Valery Gergiev - ein russischer Dirigent

  • Ich verdanke diesem Dirigenten seit 1989 viele unvergessliche Konzerte und Opernaufführungen, und letzten Endes verdanke ich es ihm, dass ich seit vielen Jahren in Mikkeli, in Finnland lebe. Seinetwegen besuchte ich 1995 erstmals das Mikkeli Musik-Festival, wurde "privat verbandelt" mit einer Mitarbeiterin und sah es als (unbezahlte, unbezahlbare) Ehre an, mit Gergiev über eineinhalb Jahrzehnte an der Programmplanung zusammen zu arbeiten.

    Lieber Peter,


    das macht es freilich umso verständlicher. Ich selbst habe Gergiev nur ein einziges Mal live erlebt, 2010 nämlich mit "seinem" Kirow- bzw. Mariinski-Orchester, also zu einem Zeitpunkt, als er schon längst ein Weltstar war. Das Konzerterlebnis damals habe ich durchaus als packend in Erinnerung. Nun erreichte mich vor einiger Zeit eine sehr sorgfältig und profund, offenbar in Absprache mit Gergiev zusammengestellte Box der Rotterdamer Philharmoniker, wo er auch ein sympathisches Vorwort verfasste. Darin enthalten ist u. a. eine Rundfunkmitschnitt der 11. Symphonie von Schostakowitsch, der am 17. November 1990 im Amsterdamer Concertgebouw entstand, also aus seiner frühen Zeit und erst wenige Jahre nach seinen ersten Dirigaten im Westen (sein Debüt in Rotterdam war 1987). Jedenfalls hat mich gerade die derzeitige Ächtung Gergievs dazu veranlasst, meine Höreindrücke noch einmal zu überprüfen. Ich muss sagen, dass er für mich künstlerisch in den letzten Jahren nach und nach immer weniger interessant wurde. Wann diese Entwicklung genau einsetzte, kann ich schwer datieren, aber ich vermute, es hängt mit dem allzu großen Erfolg und dem selbstgewählten Dasein als "Jetset-Dirigent" zusammen. Das schloss nicht aus, dass es auch in der jüngsten Zeit noch Perlen unter seinen Dirigaten gab, denke ich etwa an eine wirklich gute Siebte von Prokofjew oder auch an die verspätete Uraufführung des Chant funèbre von Strawinski. Aber zurück zu dieser Elften von 1990. Bereits im Kopfsatz dachte ich mir, das habe ich derart überzeugend lange nicht gehört, wenn überhaupt. Gergiev bringt die brodelnde Atmosphäre, die hier in der Luft liegt, phänomenal herüber. Man ahnt schon, dass die Ruhe allzu trügerisch ist. Die Entladung im zweiten Satz ist in ihrer Brutalität dann derart frappierend, dass man regelrecht hochfährt. Sodann die tieftraurige Stimmung im Gedenken an die Opfer im trauermarschartigen dritten Satz und schließlich die finale Eruption des Schlusssatzes. Das Rotterdamer Orchester spielt wie auf der Stuhlkante und übertrifft sich hier wahrlich selbst. Gerade die Gongschläge sind markerschütternd. Nanu, dachte ich mir dann gleichwohl, wie kann das sein, hatte ich Gergiev bei Schostakowitsch doch mit recht oberflächlich und glatten Interpretationen verinnerlicht. Aber des Rätsels Lösung ist wohl wirklich, dass wir hier von vor über 30 Jahren reden. Es wirkt nicht ansatzweise so, als habe er damals zu wenig geprobt oder sei anderweitig bereits zu sehr eingespannt gewesen, um sich voll auf das Stück zu konzentrieren. Im Gegenteil. Man merkt vielmehr die absolute Hingabe und das In-die-Tiefe-Gehen. Man versteht, wieso die Rotterdamer Gergiev seinerzeit um jeden Preis an sich binden wollten. Da gelangen echte Sternstunden. Gergiev ist eben keine von der Klassikindustrie erschaffene Kunstfigur, sein Aufstieg künstlerisch durchaus nachvollziehbar, wenn man sich über die frühen Tondokumente chronologisch herantastet und diesem Dirigenten unvoreingenommen eine Chance einräumt. Mich hat dieses kaum zu bestreitende Absinken in die mediokre Beliebigkeit (wie gesagt, mit einzelnen Ausnahmen nach wie vor) bei ihm seit spätestens den 2010er Jahren daher betrübt und ich habe etwa seine Aufnahmen mit den Münchner Philharmonikern kaum mehr rezipiert. Vielleicht hilft ihm ja - Ironie des Schicksals - diese faktische Beschränktheit auf Russland sogar, künstlerisch wieder zur alten Größe zurückzukehren. Mit den fast tagtäglichen internationalen Auftritten - heute München, morgen New York, übermorgen Tokio - und dem damit vielleicht zwangsläufig einhergehenden Monotonie dürfte es für absehbare Zeit vorbei sein. Er geht auf die siebzig zu. Manchmal ist weniger mehr.


    Im Gegensatz zu 2014 ist heute nichts an Unterstützung für Putins Aggression zu hören. Eine öffentliche Distanzierung von Putins Politik von Gergiev zu erwarten, hieße zu verkennen, dass er nicht nur für sein eigenes Leben und das seiner Familie verantwortlich ist, sondern auch für seine musikalische "Familie", das Mariinsky-Theater mit seinen 5 Bühnen, 3 in St. Petersburg plus Vladivostok plus Vladikavkaz. Ich bin froh, nicht in Russland zu leben.....

    Das ist ein sehr wesentlicher Aspekt, dem m. E. zu wenig Rechnung getragen wird. Gergiev trägt ja in seiner Funktion nicht nur Verantwortung für sich selbst. Wie könnte er denn leichtfertig einen öffentlichen Bruch mit seinem langjährigen Freund und Förderer riskieren. Die Leute, die sicher und gut abgesichert im Ausland sitzen, reden sich schon immer leichter und fühlen sich moralisch aus dem Schneider. Man denke in diesem Zusammenhang an die altklugen Ratschläge deutscher Exilanten in Kalifornien an die im "Dritten Reich" verbliebenen Künstler.


    Gergievs langjähriges Engagement in und seine Liebe für Finnland, die Du uns sehr plastisch schilderst, sprechen eigentlich eine deutliche Sprache, die sich doch stark und wohltuend abhebt vom brutalen militärischen Vorgehen der russischen Regierung gegen ehemalige Gebiete des Zarenreiches.


    Beste Grüße

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II.,


    vielen Dank. Es müsste ein Vergnügen sein, sich mit Dir über Gergievs Einspielungen auszutauschen. Aber leider kann ich mich daran nicht beteiligen. Zwar habe ich diese Aufnahmen gesammelt, doch ich muss gestehen, nur selten oder gar nicht zu ihnen gegriffen zu haben. Verständlicherweise würden wir nicht über dasselbe sprechen : Du über die Aufnahmen, ich über meine Live-Eindrücken, in über 30 Jahren Hunderte von (meist positiven) Erlebnissen. Deshalb kann ich auch nicht abschätzen, wann Gergievs mediokre Beliebigkeit begann.


    Der Niederländer Peter van Laarhoven, ein ausgewiesener Gergiev-Fan, hat sich die Mühe gemacht, sämtliche Konzert- und Opernaufführungen, von denen er Kenntnis bekam, aufzulisten, angefangen von einem Konzert 1972 mit dem Studentenorchester des Leningrader Konservatorium bis heutzutage. Ich habe vergessen, bei welcher Gesamtzahl er angekommen ist, aber zumindest eine Zahl ist kennzeichnend für Gergiev : 2021, also in der Zeit der Corona-Pandemie, dirigierte er nicht weniger als 331 Konzerte und Opernaufführungen, darunter, z. B. während des sog. Moskauer Oster-Festivals bis zu 3 Konzerte pro Tag in diversen Städten.


    Eine nahe liegende Frage wäre jetzt : Wie gut war dies alles geprobt? Wie wirkten sich die Reisestrapazen auf die Qualität aus?


    Nach meinen Informationen war dies 1989, als ich Gergiev erstmals begegnete, nicht anders. Während des Schleswig-Holstein Musik Festivals war das Orchester irgendwo in der Mitte Schleswig-Holsteins untergebracht und zu den jeweilen Konzerten herangekarrt und in der Nacht zurückgefahren. Heute wird für das Moskauer Oster-Festival ein Zug für Orchester, Solisten und Dirigenten gechartert mit einem Extra-Waggon für Proben, und mit diesem Zug wird durch ganz Russland getourt, startend und endend in Moskau, traditionell am sog. "Victory Day".


    Trotz dieser Strapazen scheinen sich immer noch Musiker darum zu reißen, Mitglied des Orchesters zu sein, doch selbst an den ersten Pulten der Violinen ist eine starke Fluktuation nicht zu übersehen. So wechselten einige Konzertmeister der 1. Geigen zu den Orchestern des Mikhailovsky- oder Bolshoi-Theaters, und einige Musiker fragten mich, ob ich ihnen nicht ein finnisches Orchester in der Nähe der russischen Grenze empfehlen könnte. Mit Sicherheit verdienen die Musiker ein gutes Geld, auch wenn die Auslandszulagen nun wegfallen, aber nicht jedem behagt es, dem Mariinsky unter Verzicht auf ein Privatleben zu "dienen".


    Dazu eine bezeichnend Frage eines Musikers, ob ich wüsste, was für das Orchester ein "freier Tag" bedeutet. Nach einer Aufführung würde man in der Nacht die Arbeit fortsetzen, z. B. Korrekturen von Aufnahmen. Der Tag sei "frei".


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Gestern war zu lesen, dass auf Putins Geheiss Gergiev zusätzlich zum St. Petersburger Mariinsky-Theater auch das Moskauer Bolshoi-Theater als Direktor übernehmen soll.


    Dies ist wirklich sehr fürsorglich von Putin gedacht, Gergiev für seine nun ausfallenden Auslands-Verpflichtungen einen angemessenen Ausgleich zu verschaffen. Doch Spaß beiseite. Gergiev erzählte oft, dass ihm nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union vom Kultusminister das Direktorium dieser beiden Bühnen angetragen worden war, doch er habe mit der Begründung ablehnen können, die Gefahr sei zu groß, dadurch beiden Institutionen nicht gerecht werden zu können. Also scheint diese Gefahr heute nicht gegeben zu sein, oder Gergiev konnte / wollte sich heute dem "Wunsch" des russischen Förderers der Künste nicht verschließen. Kontinuität Im Musik-Direktorium wird gegeben sein, kam doch der Ossete Tugan Sokhiev, der gerade sein Amt zur Verfügung gestellt hatte, ursprünglich vom Mariinsky.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Gestern war zu lesen, dass auf Putins Geheiss Gergiev zusätzlich zum St. Petersburger Mariinsky-Theater auch das Moskauer Bolshoi-Theater als Direktor übernehmen soll.


    Die staatliche Nachrichtenagentur TASS berichtete am 25.März

    "НОВО-ОГАРЕВО, 25 марта. /ТАСС/. Президент России Владимир Путин предложил художественному руководителю Мариинского театра, народному артисту РФ Валерию Гергиеву подумать о воссоздании общей дирекции Большого и Мариинского театров по примеру Дирекции императорских театров.

    .....

    "Валерий Абисалович, мы с вами уже об этом говорили и раньше. Как вы относитесь к идее воссоздать общую дирекцию? Я не говорю, что это какое-то решение, чтобы не было лишних разговоров", - добавил Путин, обращаясь к художественному руководителю Мариинского театра."

    übersetzt steht in der Nachricht also Folgendes:

    "NOVO-OGAREVO, 25. März. /TASS/. Der russische Präsident Wladimir Putin lud den künstlerischen Leiter des Mariinsky-Theaters, Volkskünstler der Russischen Föderation Valery Gergiev, ein, über die Wiederherstellung der gemeinsamen Direktion der Bolschoi- und Mariinsky-Theater nach dem Vorbild der Direktion der kaiserlichen Theater nachzudenken.

    .....

    „Valery Abisalovich, wir haben bereits darüber gesprochen. Wie denken Sie über die Idee, eine gemeinsame Direktion neu zu schaffen? Ich sage nicht, dass dies eine Art Entscheidung ist, damit es keine unnötigen Gespräche gibt“, fügte Putin hinzu , an den künstlerischen Leiter des Mariinsky-Theaters gerichtet."

    BR24 berichtete am 25.03.2022, 14:13 Uhr vollkommen richtig:

    "Der russische Präsident sagte in einer kulturpolitischen Rede, der in München geschasste Dirigent solle "darüber nachdenken", ob sein Petersburger Mariinski-Theater mit Moskaus Opernhaus fusioniert werden könne. Gergiev gilt als Favorit Putins."


    Peter Schünemanns Aussage ist also nur eine Behauptung, die sich zwar demnächst als richtig rausstellen kann,

    bisher aber nur ein Orakel und kein Job-Angebot ist.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo



  • Peter Schünemanns Aussage ist also nur eine Behauptung, die sich zwar demnächst als richtig rausstellen kann,

    bisher aber nur ein Orakel und kein Job-Angebot ist.

    Lieber Orfeo!


    Genau gesagt, habe ich nur behauptet, etwas gelesen zu haben, und bezog mich dabei auf Norman Lebrecht's Blog Slippedisc, in dem er die Überschrift benutzte "Putin orders Gergiev to take over the Bolshoi". Da ich des Russischen nicht mächtig bin, entgehen mir solche Nuancen, die ich der Washington Post entnehmen kann : "Putin suggests sweeping changes at Bolshoi, Mariinsky theaters". Wir werden sehen, was aus der Aufforderung Putins, darüber nachzudenken, wird.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Das von "kremlin.ru›president›news" veröffentlichte Protokoll der Videokonferenz mit den Gewinnern des Präsidentenpreises für junge Kulturschaffende.

    https://kremlin-ru.translate.g…&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sc

    Hier findet man den Wortlaut der Diskussion in deutscher Übersetzung. Die Bemerkungen zur Fusionierung der Theater sind sehr kurz und eher beiläufig.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Es müsste ein Vergnügen sein, sich mit Dir über Gergievs Einspielungen auszutauschen.

    Lieber Peter,


    ich danke neuerlich für Deine Ausführungen und Hinzufügungen zur Vita Gergievs, die für mich lehrreich waren. Gerne hätte ich mich noch zu dieser und jener (meist frühen) Einspielung geäußert, doch wurde mir kürzlich an anderer Stelle nachgesagt, ich würde dadurch eine Lobpreisung des musikalischen Gottseibeiuns betreiben, und mir ferner unterstellt, ich hätte mich unzureichend über die jüngsten Ereignisse informiert. Es wurde auch eine hier vertretbare Zensur ins Spiel gebracht. Unter diesen Umständen habe ich mich dazu entschieden, mich zum Thema Gergiev auf absehbare Zeit nicht mehr zu äußern, um Missverständnissen vorzubeugen.

    Beste Grüße

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Peter,


    ich danke neuerlich für Deine Ausführungen und Hinzufügungen zur Vita Gergievs, die für mich lehrreich waren. Gerne hätte ich mich noch zu dieser und jener (meist frühen) Einspielung geäußert, doch wurde mir kürzlich an anderer Stelle nachgesagt, ich würde dadurch eine Lobpreisung des musikalischen Gottseibeiuns betreiben, und mir ferner unterstellt, ich hätte mich unzureichend über die jüngsten Ereignisse informiert. Es wurde auch eine hier vertretbare Zensur ins Spiel gebracht. Unter diesen Umständen habe ich mich dazu entschieden, mich zum Thema Gergiev auf absehbare Zeit nicht mehr zu äußern, um Missverständnissen vorzubeugen.

    Beste Grüße

    Hallo Joseph II, ich würde eine sachliche Diskussion über Gergievs Aufnahmen sehr begrüßen, beispielsweise seiner Mahler- und Bruckner Aufnahmen - in München hat er ja den gesamten Zyklus aufgenommen und ich bin noch unschlüssig, was ich davon halten soll.


    Viele Grüße, Christian

  • Allerdings wird in dem Beitrag nicht ein neues Argument geboten. Plötzlich wollen es alle Zeitungen schon längst gewusst haben. Der Traum von der unpolitischen Musik? Ja, den habe ich auch. Sonst könnte ich sie nicht hören und würde stattdessen politische Schriften lesen. Ich will nicht darüber nachdenken, wer im Konzert neben mir sitzt oder welche Partei ein Dirigent oder ein Sänger wählt. Denn ich halte Musik, wie wir sie hier verstehen, im Kern für unpolitisch. Das will ich mir nicht nehmen lassen. Sonst nähme ich Schaden, nicht die Musik.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Allerdings wird in dem Beitrag nicht ein neues Argument geboten. Plötzlich wollen es alle Zeitungen schon längst gewusst haben.

    Naja, der Beitrag ist ja schon uralt! ;)


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Aha! Das ahnte uch natürlich nicht.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Allerdings wird in dem Beitrag nicht ein neues Argument geboten. Plötzlich wollen es alle Zeitungen schon längst gewusst haben. Der Traum von der unpolitischen Musik? Ja, den habe ich auch. Sonst könnte ich sie nicht hören und würde stattdessen politische Schriften lesen. Ich will nicht darüber nachdenken, wer im Konzert neben mir sitzt oder welche Partei ein Dirigent oder ein Sänger wählt. Denn ich halte Musik, wie wir sie hier verstehen, im Kern für unpolitisch. Das will ich mir nicht nehmen lassen. Sonst nähme ich Schaden, nicht die Musik.

    Das ist aber nicht der Tenor des Artikels, lieber Rüdiger - vom 4.3., also von vor 3 Wochen! Sooo alt ist er also nicht. Und wenn es stimmt, dass Gergiev Mitte März ein Konzert vor 1600 Zuschauern/Zuhörern in Moskau gegeben hat, wo am Ende des Programms "Das große Tor von Kiew" aus Mussorgskys Bildern einer Ausstellung stand, dann ist das die Fortsetzung seiner unsäglichen Aktivitäten von 1914, nämlich propagandistischer Missbrauch von Musik. Denn das kann an diesem Ort zu dieser Zeit nicht anders verstanden werden als ein Bekenntnis zu Putins verbrecherischem Krieg, nach dem Motto: Das Tor von Kiew, da marschieren unsere siegreichen Truppen durch, das ist Russland. So jedenfalls die Wunschvorstellung von Putins Russland, die so eine Konzertaufführung bekräftigt. Er ist also "Überzeugungstäter".


    Schöne Grüße

    Holger

  • Zitat von Dr. Holger Kaletha

    vom 4.3., also von vor 3 Wochen! Sooo alt ist er also nich

    Also, in der momentanen Situation ist das schon alt!


    Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • klassik.com behauptete am 8. März 2022 ohne Belege, es stünden Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" unter W.A.G. im Sarjadje-Park in Moskau auf dem Programm. Tatsächlich listet die offizielle Website der Zaryadye Hall kein solches Konzert und auch die Suchfunktion fördert nichts zutage. Ebenso wenig findet man im Netz irgendeinen echten Beleg dafür, selbst wenn man auf Russisch sucht. Hingegen sehr wohl gelistet und auch nicht als "cancelled" angegeben ist ein Konzert von musicAeterna unter SWR-Protegé Teodor Currentzis vom 19. März 2022 ebendort, wo u. a. Tschaikowskis "Pathétique" gespielt wurde. Wo bleibt hier der Aufschrei? Wann wird Currentzis boykottiert?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Also, in der momentanen Situation ist das schon alt!

    Für die Bewertung des Verhaltens von Gergiev aber neu genug!

    klassik.com behauptete am 8. März 2022 ohne Belege, es stünden Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" unter W.A.G. im Sarjadje-Park in Moskau auf dem Programm. Tatsächlich listet die offizielle Website der Zaryadye Hall kein solches Konzert und auch die Suchfunktion fördert nichts zutage. Ebenso wenig findet man im Netz irgendeinen echten Beleg dafür, selbst wenn man auf Russisch sucht. Hingegen sehr wohl gelistet und auch nicht als "cancelled" angegeben ist ein Konzert von musicAeterna unter SWR-Protegé Teodor Currentzis vom 19. März 2022 ebendort, wo u. a. Tschaikowskis "Pathétique" gespielt wurde. Wo bleibt hier der Aufschrei? Wann wird Currentzis boykottiert?

    Dafür gibt es wohl eine ganz einfache Erklärung. Die Veranstaltung war als pompöse Siegesfeier nach dem geplant, was Putin erwartet hat: Einen Blitzkrieg mit dem schnellen und überwältigenden Sieg Russlands, sprich dem von Panzern erzwungenen Putsch der Regierung in Kiew und Wiedereinsetzung des russischen Vasallen Janokowitsch. Da Putin sich gründlich verrechnet hat, wurde die ganze Jubelfeier, zu der auch Gergievs Auftritt gehören sollte, sang und klanglos abgesagt.


    "Das große Tor von Kiew" ist ein direkter Bezug auf die Geschehnisse. Bei Tschaikowskys 6. sehe ich das nicht. Das Programm von Currentzis war wohl schon lange vor dem Ukraine-Krieg so festgelegt, ist zu vermuten - anders als im Falle Gergiev, wo die Programmwahl gezielt mit Blick auf die politischen Ereignisse vorgenommen wurde.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Dr. Holger Kaletha!


    Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich mich weiterhin zu diesem Thema äußern sollte. Als ausgewiesener, wenn auch nicht unkritischer Fan des Künstlers Gergiev möchte ich nicht in den Geruch geraten, ein Versteher oder gar Verteidiger des politischen Menschen Gergiev zu sein. Zu diesem ist meine Position klar : Eine Verbannung Gergievs von Auftritten außerhalb Russlands, Weißrusslands, Nord-Koreas, Chinas ist unausweichlich. Von meinem ruhigen Sofa im noch (friedlichen) Finnland ist es für mich kein Problem und folgenlos, mich von Putin zu distanzieren.


    Bei Deinem Beitrag #434 fällt mir auf, dass Du schreibst "Und wenn es stimmt, dass...", während es für Dich in #437 schon erwiesen ist, dass Gergiev zum geplanten Siegesparaden-Konzert in Moskau Mussorgskys Bilder einer Ausstellung mit dem "Großen Tor von Kiev" hätte dirigieren sollen. Diesen Schritt von #434 zu #437 kann ich leider nicht nachvollziehen, da mir die Quellenangaben fehlen, möchte Dir aber nicht widersprechen.


    Naiv, wie ich bin, denke ich, dass Gergiev einen seiner nunmehr freien Tage (horror vacui) mit einem Konzert in Moskau füllen wollte und eines der von ihm am häufigsten gespielten (und am wenigsten, da gar nicht, geprobten) Werke

    auf das Programm gesetzt hatte. Aber ich lasse mich gerne belehren, aber bitte nicht durch bloße Behauptungen.


    Zum Schluss eine Anekdote, die nur ganz am Rande nichts mit dieser Diskussion zu tun hat. Gergievs Mikkeli Musik-Festival war immer auf der Suche nach Werken, die eine Brücke zwischen russischer und finnischer Kultur bilden könnten. Vor gut 20 Jahren war man kurz davor, Shostakovichs Suite über finnische Themen aufzuführen, bis ein kluger Musikwissenschaftler herausgefunden haben wollte, dass dies eine Auftragskomposition für die geplante Parade in Helsinki nach dem Sieg Russlands über Finnland gewesen sein sollte. Es gibt eine Aufnahme dieser Suite für Sopran, Tenor und Kammerorchester. Man möge sich einmal vorstellen, wie die Russen zur Melodie von "Minun kultani kaunis on" (Mein Liebling ist schön) paradieren, ein lustiges Stück, das der Geiger Pekka Kuusisto gerne, launig moderierend, bei Konzerten als Zugaben benutzt. Seither bin ich etwas misstrauisch, was die Ergebnisse von Musikwissenschaftlern anbelangt. Übrigens verzichtete Gergiev aus Rücksicht auf finnische Gefühle auf die Aufführung dieser Suite.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Bei Deinem Beitrag #434 fällt mir auf, dass Du schreibst "Und wenn es stimmt, dass...", während es für Dich in #437 schon erwiesen ist, dass Gergiev zum geplanten Siegesparaden-Konzert in Moskau Mussorgskys Bilder einer Ausstellung mit dem "Großen Tor von Kiev" hätte dirigieren sollen. Diesen Schritt von #434 zu #437 kann ich leider nicht nachvollziehen, da mir die Quellenangaben fehlen, möchte Dir aber nicht widersprechen.


    Naiv, wie ich bin, denke ich, dass Gergiev einen seiner nunmehr freien Tage (horror vacui) mit einem Konzert in Moskau füllen wollte und eines der von ihm am häufigsten gespielten (und am wenigsten, da gar nicht, geprobten) Werke

    auf das Programm gesetzt hatte. Aber ich lasse mich gerne belehren, aber bitte nicht durch bloße Behauptungen.

    Lieber Peter Schünemann,


    in der derzeitigen Kriegssituation wird man kaum klare und eindeutige Informationen bekommen! Ganz sicher sind da verschiedene Szenarien denkbar - da war das, was ich geschrieben habe, in der Tat nur hypothetisch und ein bisschen gewagt. Es kann natürlich sein, dass auch dieses Konzert lange vor dem Krieg geplant war. Hätte es stattgefunden (wer weiß das so genau), hätte es dann aber eine politische Bedeutung bekommen, die es vorher nicht hatte. Und Gergiev kann man allerdings zutrauen, dass er auch unter diesen Umständen dirigiert hätte, wenn man auf das schaut, was er in der Vergangenheit alles gemacht hat. Er hat sich ja leider nicht verkneifen können, seinem Freund Putin den Gefallen zu tun, in Syrien vor Soldaten zu dirigieren, die vorher das Land mit Bomben übersäht haben. Er macht sich damit seine Karriere und seine künstlerische Zukunft kaputt so ähnlich wie einst Mengelberg in Amsterdam zur Zeit der Nazi-Besetzung von Holland. Ich glaube auch, dass er in der Zusammenarbeit mit Künstlern sehr umgänglich ist. Es gibt ein sehr sympathisches Video, wo er mit Nelson Freire, der leider auch schon verstorben ist, probt, der als Brasilianer aus einem ganz anderen Kulturkreis stammt und mit ihm befreundet war.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    die Wahrheit stirbt im Krieg als Erstes ("Wahr" jetzt nicht im Gebrauch der Philosophen sondern im Gebraucht des Alltags verwendet). Auch steht es uns nicht zu, in diesem Moment über Künstler zu Gericht zu sitzen. Ausladungen von Künstlern wie Gergiev und Netrebko mögen vielleicht nachvollziehbar sein, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr missbillige ich sie. Irgendwann wird der Krieg vorbei sein, die Gunst des konsumierenden Mobs sich wieder wenden, und ich kann einer Anna Netrbebko nur raten -schon aus Prinzip- nicht zur DGG zurückzukehren.


    Auch wenn es zu allen Zeiten spaßig gefunden wurde, sich am Sturz der Großen zu ergötzen, sollten wir doch ein wenig mehr Sachlichkeit einkehren lassen. Mittlerweile hebt eine Hexenjagd auf alles an, was in irgendeiner Weise versucht, die Vorgänge zu verstehen (und nicht "Verständnis zu haben" was ein Unterschied ist) und vom Holzschnittdenken abzuweichen. Das gilt für ausführende Künstler ebenso wie etwa für Autoren wie Gabriele Krone-Schmalz, deren Bücher vom Ch.Beck Verlag derzeit nicht mehr ausgeliefert werden.


    Ich halte das für eine ausgesprochen beunruhigende Entwicklung. Wir brauchen keine Gesetze, die uns unser Wording und Denken vorschreiben, das geschieht schon ganz von selbst durch Medien und Social Bubbles. Theo Currenzis etwa hat in Köln sein Programm geändert: statt Brahms 1 ein russisch-ukrainisch-deutscher Mix (Alexander Shchetynskys Orchesterwerk „Glossolalie“, Schosta 5 und das Violakonzert von Jörg Widmann). So weit so nett. Nicht nett genug für den Kölner Stadtanzeiger, der da titelte: "Irritierender Jubel beim Gastspiel von Teodor Currentzis". Und geheimnist eingangs:


    "Als „Missa in tempore belli“, als Messe in Kriegszeiten, bezeichnete Haydn 1796 sein später „Paukenmesse“ genanntes Werk. Aktuell ist alle Musik, die Traditionsmusik wie die neukomponierte, naheliegend „Musica in tempore belli“ – und kann sich diesem Ein- und Zugriff eines verstörenden Außerkünstlerischen auch gar nicht entziehen."


    Ei der Deibel, da muss man drauf kommen. Was aber genau irritierte den Rezensenten? Schlichtweg das unbotmäßige Publikum.


    "Aber es gab am Konzertabend auch Irritationen: Die betrafen weniger die zu Beginn verordnete Schweigeminute, mit der die Kölner Kulturbürger ihre Solidarität mit den Kriegsopfern in der Ukraine bekunden sollten, mehr die spontane Jubelreaktion gleich nach dem bombastischen Schluss der Sinfonie.

    Sicher, als Anerkennung einer überragenden Orchesterleistung – gleichermaßen beredt ins Ohr und Mark dringend mit ihren schmerzhaften Zuspitzungen und verstörten Idyllen, wunderbar plastisch in der Verlaufsformung – war der Beifall gerechtfertigt. Aber auch, wer dem Quellenwert von Solomon Volkovs Schostakowitsch-Memoiren misstraut, kommt nicht umhin, den finalen Triumph als schal, ironisch, „uneigentlich“ zu empfinden."


    Das nun geht schlichtweg zu weit. Ich kann von niemandem erwarten, mich derart um außermusikalische Informationen und Hintergründe zu kümmern, um dann in einer Art voke-Konformitätscheck zu befinden, wie ich als Publikum zu reagieren habe (und dem Rezensenten zu gefallen).


    Der Artikel verbirgt sich hinter einer paywall des Kölner Blattes, die nur die Schlagzeile und die ersten zwei Zeilen offenbart. Wer wissen will, was den Rezensenten irritiert hat und welcher Windungen es bedurfte, zu dieser Irritation zu gelangen, müsste zahlen. Man kann sich das Geld aber auch sparen.


    Wenn ich dann noch in einem anderen Thread aufgefordert werde, Aufnahmen von Gergiev aus "Pietätsgründen" nicht zu posten (keine Sorge. ich persönlich besitze keine), dann kann ich mich nur noch wundern.


    Vielleicht schaffen wir es ja, zur Bewertung von Gergievs Dirigaten zurückzukommen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:




    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Der Traum von der unpolitischen Musik? Ja, den habe ich auch. Sonst könnte ich sie nicht hören und würde stattdessen politische Schriften lesen. Ich will nicht darüber nachdenken, wer im Konzert neben mir sitzt oder welche Partei ein Dirigent oder ein Sänger wählt. Denn ich halte Musik, wie wir sie hier verstehen, im Kern für unpolitisch. Das will ich mir nicht nehmen lassen. Sonst nähme ich Schaden, nicht die Musik.

    Lieber Rheingold, Musik ist in der Regel unpolitisch, aber nicht immer. Beethoven (gegen Napoleon) Schostakowitsch (gegen Stalin, aber auch politische Gefälligkeitswerke), Sibelius (Finlandia); Tschaikowsky (1812) fallen mir gerade als Gegenbeispiel ein. Ansonsten gebe ich dir aber Recht.

    Wenn ich dann noch in einem anderen Thread aufgefordert werde, Aufnahmen von Gergiev aus "Pietätsgründen" nicht zu posten (keine Sorge. ich persönlich besitze keine), dann kann ich mich nur noch wundern.

    Vielleicht schaffen wir es ja, zur Bewertung von Gergievs Dirigaten zurückzukommen.

    Gergiev ist russischer Staatsbürger und ist politisch Anhänger des Präsidenten. Das ist sicher purer Opportunismus, aber nicht jeder hat den Mut, wenn er in Russland lebt, sich gegen Putin zu wenden. Vom heimischen Sofa aus kann man klug reden. Irgendwann hat sich das Thema auch mal erschöpft. Eine Zensur hier im Forum hielte ich für sehr fatal.

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • die Wahrheit stirbt im Krieg als Erstes ("Wahr" jetzt nicht im Gebrauch der Philosophen sondern im Gebraucht des Alltags verwendet). Auch steht es uns nicht zu, in diesem Moment über Künstler zu Gericht zu sitzen.

    Lieber Thomas,


    da denke ich, dass es im Falle Gergiev gar nicht darum geht, eine Art Gerichtsprozess zu führen, also nicht darum, eine Schuld oder Unschuld festzustellen. Es geht um etwas Anderes - nämlich die gesellschaftliche Akzeptanz. Um das an einem anderen Beispiel zu erläutern: Man kann weder Richard Wagner noch seine Musik für den Holocaust verantwortlich machen im Sinne einer Schuldzuweisung. Trotzdem ist das Aufführungsverbot für Wagner in Israel nachvollziehbar, weil die Generation, die den Holocaust erlebt hat, Wagner im Kontext der Nazi-Propaganda erlebt hat. (Heute allerdings nicht mehr, da diese Generation längst nicht mehr lebt.) Zur Zeit des kalten Krieges hat Niemand nach dem Parteibuch russischer Künstler gefragt, wenn sie im Westen auftraten. Weil es einen Grundkonsens gab auch in der Abschreckungs-Ideologie, dass keine Seite Krieg will. Putins Krieg gegen die Ukraine erschüttert die Grundfesten Europas, hat die vertraglichen Grundlagen friedlichen Zusammenlebens schlicht in die Luft gesprengt. Wir finden uns praktisch in einem Krieg mit Russland - die Flüchtlinge kommen zu uns und es herrscht ein Wirtschaftskrieg. Auch ein Konzert mit klassischer Musik ist eine Art Abendunterhaltung. Wenn die Benzinpreise steigen, Leute vielleicht ihren Job verlieren wenn demnächst kein Gas mehr aus Russland kommt, dann sollen sie sich von einem Herrn Gergiev bespaßen lassen, der das alles für legitim hält? Triffst Du Dich abends mit einem Brandstifter zum Glas Bier, der am Tag zuvor Dein Haus abgefackelt hat? In einer Kriegssituation muss man Farbe bekennen, zu welcher Seite man gehört. Da hört jegliches Herumgeeiere und opportunistische Lavieren auf. Und Gergiev hat Farbe bekannt und sich für Putins Russland entschieden. Dann muss er auch die Konsequenzen tragen und kann sich nicht beschweren. Bei vielen Kommentatoren, die sich "kritisch" als Putin-Versteher geben, vermisse ich einfach das klare Denken. Man kann sicher vieles sagen, was politisch falsch gelaufen ist im Sinne des hypothetischen hätte-wäre-wenn, aber letztlich geht es um die Konsequenzen. Und da ist einfach eine klare Position gefordert.

    Ausladungen von Künstlern wie Gergiev und Netrebko mögen vielleicht nachvollziehbar sein, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr missbillige ich sie. Irgendwann wird der Krieg vorbei sein, die Gunst des konsumierenden Mobs sich wieder wenden, und ich kann einer Anna Netrbebko nur raten -schon aus Prinzip- nicht zur DGG zurückzukehren.


    Auch wenn es zu allen Zeiten spaßig gefunden wurde, sich am Sturz der Großen zu ergötzen, sollten wir doch ein wenig mehr Sachlichkeit einkehren lassen.

    Es geht ja nicht nur um Ausladungen. Dieser Beitrag ist doch sehr sachlich:


    Gergiev beim Wort nehmen • VAN Magazin (van-magazin.de)


    Zitat daraus - das Schluss:


    "Dabei deutet tatsächlich nichts darauf hin, dass Gergiev dem System Putin und dessen Angriffskrieg in der Ukraine kritisch gegenübersteht. Seine politischen Positionen, die er 2015 in einem Spiegel-Interview darlegte, sind im wesentlichen identisch mit dem offiziellen ideologischen Parallelnarrativ, das jetzt auch die Invasion in der Ukraine begleitet: der Zusammenbruch der Sowjetunion als Katastrophe, Putin als Stabilitätsanker, der Blutvergießen verhindert, der Euromaidan als konzertierte Aktion ukrainischer Nazis, unterstützt vom Westen, der versucht habe, »dieses Kuchenstück Ukraine an sich zu reißen«. Selbst unter einem Offenen Brief von Kulturschaffenden, in dem letzte Woche sehr allgemein ein Ende des Kriegs gefordert wird, ohne Putin oder Russland als Aggressor zu benennen, und den auch der kremltreue Chef des Bolshoi Theaters, Vladimir Urin, unterzeichnet hat, findet sich Gergievs Name nicht. Auch viele andere prominente und einflussreiche Gestalter:innen der russischen Kulturlandschaft äußern gerade auf die ein oder andere Weise Dissent, ganz zu schweigen von vielen russischen Musikerinnen und Musikern. Dass Gergiev sich eigentlich von Putin distanzieren will, ihn aber Überforderung oder die Angst vor möglichen Konsequenzen davon abhalten, ist unwahrscheinlich. In diesem Fall hätte er gegenüber dem Münchner Oberbürgermeister, dessen bestbezahlter Angestellte er bis heute war, in Verbier, wo er bis vor wenigen Tagen Musikdirektor war, oder gegenüber seinem (mittlerweile Ex-)Agenten seine schwierige Situation und Zerrissenheit erklärt. Dies hat er nicht getan. Beim Rotterdams Philharmonisch Orkest, mit dem Gergiev seit 1988 verbunden ist, hat man es am Montag tatsächlich geschafft, mit dem Dirigenten in Kontakt zu treten. Am Ende stand die sofortige Trennung wegen »unüberwindbarer Differenzen«. Es ist davon auszugehen, dass diese Entscheidung und deren Begründung anders gelautet hätte, wenn Gergiev sich zumindest intern von Putins Krieg distanziert hätte.


    Man kann natürlich hinter Gergievs Weigerung, sich zu distanzieren, trotzdem komplexe Erklärungsketten einer Dilemmasituation konstruieren. Oder man kann Gergiev einfach beim Wort nehmen. »Deshalb erklären wir mit Nachdruck, dass wir die Haltung des Präsidenten der Russischen Föderation zur Ukraine und zur Krim unterstützen«, heißt es in dem von ihm unterzeichneten Künstler:innenappell zur Krim-Annexion. Nichts deutet darauf hin, dass sich daran etwas geändert hat."


    Also: Distanzierung von diesem Krieg auch von Putin treuen Künstlern in Russland gibt es durchaus - nur Gergiev gehört nicht dazu. Und die Gespräche mit Rotterdam zeigen, dass Gergiev offenbar in keiner Weise bereit ist, zu den aktuellen Geschehnissen Distanz zu nehmen. In diesen nicht-öffentlichen Gesprächen hätte er sehr wohl auf Distanz gehen können, so dass eine Lösung hätte gefunden werden können (zeitweilige Aussetzung, aber nicht Aufkündigung des Vertrages z.B.). Doch war dazu offenbar kein Spielraum. Gerade in Holland mit dem Trauma eines nachweislich von russischen Raketen abgeschossenen Verkehrsflugzeuges über der Ukraine kann man verstehen, dass Gergiev ohne jegliche Bereitschaft zur Distanzierung von den aktuellen Kriegsereignissen untragbar ist.



    Wenn ich dann noch in einem anderen Thread aufgefordert werde, Aufnahmen von Gergiev aus "Pietätsgründen" nicht zu posten (keine Sorge. ich persönlich besitze keine), dann kann ich mich nur noch wundern.


    Vielleicht schaffen wir es ja, zur Bewertung von Gergievs Dirigaten zurückzukommen.


    Auch hier kann man anders denken. Ist es nicht zynisch, Gergiev als Künstler in dieser Situation besondere Aufmerksamkeit zu schenken und alle Befindlichkeiten, die mit diesem Krieg zusammenhängen, auszublenden?


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    das unterschreibe ich ! Du hast es auf den Punkt gebracht, mehr kann man dazu nicht sagen.


    Kalli

  • Man helfe bitte meinem altersbedingt schwachen Gedächtnis nach, aber ich erinnere zu diesem Krieg Putins gegen die Ukraine keine einzige Äußerung Gergievs, weder zustimmender noch ablehnender Art. Wenn er sich dieses "Sic tacuisses" schon 2014 zu eigen gemacht hätte, wäre ihm sein heutiges Schweigen nicht, wie in dem vorherigen Beitrag unterstellt, als Legitimation von Putins Krieg unterstellt worden.


    Eine öffentliche Unterstützung dieses Krieges dürfte für Gergiev doch kein Risiko darstellen. Er ist doch schon jetzt (recht so) aller westlichen Auftritte verlustig gegangen. Aber von ihm ist keine diesbezügliche positive Äußerung zu erfahren gewesen.

    Ich schrieb schon einmal, dass es für mich, im freien Finnland auf dem Sofa sitzend, ein Leichtes ist, mich von Putin und diesem verbrecherischen Überfall auf einen souveränen Staat zu distanzieren. Aber würde es mir genauso ergehen, wenn ich in Russland lebte oder als im Ausland Lebender Familie in Russland hätte?

    Pardon, aber dieser Gesichtspunkt kommt mir bei all diesen Diskussionen zu kurz.


    Wie man's macht, macht man's falsch. Siehe Anna Netrebko, die sich jetzt - 4 Wochen verspätet und ziemlich schwammig - von Putin mit den Worten distanziert, sie kenne ihn eigentlich kaum (meine Worte). Wie ist die Reaktion darauf! Sie ist "eingeknickt". Was würden wir sagen, wenn sich nun auch Gergiev von Putin distanzierte? Will er nun doch im Westen seine Schäfchen ins Trockene bringen? Schließlich hat er, was offenbar offiziell nicht bekannt ist, auch einen niederländischen Pass, ihm vor vielen Jahren von der Königin verliehen.


    Ich möchte mich nicht an Unterstellungen über Gergievs öffentliches Schweigen beteiligen, möchte aber aus seinem Schweigen nicht, wie es auch hier geschieht, eine Unterstützung der verbrecherischen Politik Putins ableiten. Das ist mir dann doch zu einfach.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Ich schrieb schon einmal, dass es für mich, im freien Finnland auf dem Sofa sitzend, ein Leichtes ist, mich von Putin und diesem verbrecherischen Überfall auf einen souveränen Staat zu distanzieren. Aber würde es mir genauso ergehen, wenn ich in Russland lebte oder als im Ausland Lebender Familie in Russland hätte?

    Pardon, aber dieser Gesichtspunkt kommt mir bei all diesen Diskussionen zu kurz.

    Das überzeugt mich nun gar nicht! Auch Putin weiß um Gergievs Positionen im Westen - die zudem für ihn und sein Land ein Aushängeschild sind. Wenn Gergiev sich vorsichtig distanziert hätte wie dieser Chef des Bolschoi-Theaters (der nach wie vor im Amt ist offenbar), hätte ihm das wohl nicht geschadet. Putin hätte sehr wohl verstanden, dass er seine Positionen im Westen nicht verlieren will und eine gewisse Neutralität wahren muss. Es ist zudem ein Mythos, dass es in einer Diktatur keine Alternative zum widerspruchslosen Mitläufertum gäbe. Historisch nachweisbar stimmt das selbst für den Nationalsozialismus nicht. Es ist also nur eine faule Ausrede. Und wenn man eine herausragende öffentliche Position hat, kann man sich vielleicht Mut sogar eher leisten. Denn so Jemand wie Gergiev will auch Putin nicht so leicht verlieren. Er ist nämlich nicht zu ersetzen. Ein Wilhelm Furtwängler jedenfalls verstand es, seine Position zu nutzen und hat sich bei Goebbels für Juden eingesetzt, um ihnen zur Ausreise zu verhelfen - zum großen Ärger von Goebbels. Der sagte in einem Wutanfall: "Es gibt keinen dreckigen Juden in Deutschland, für den sich Herr Furtwängler nicht verwenden würde!"


    Schöne Grüße

    Holger

  • Man helfe bitte meinem altersbedingt schwachen Gedächtnis nach, aber ich erinnere zu diesem Krieg Putins gegen die Ukraine keine einzige Äußerung Gergievs, weder zustimmender noch ablehnender Art.

    Ich auch nicht, lieber Peter. Da sind wird schon mal zwei. Mich lässt ratlos zurück, dass jemand für etwas hart abgestraft wird, was er nicht gesagt hat. Kann das Schweigen zur Tat werden? Einen rechtsstaatlichen oder gar juristischen Hintegrund sehe ich dafür nicht. Gergiev wird viel zu wichtig genommen, auch vion jenen, die nichts vion Musik verstehen. Neuerdings wird sogar das politische Berlin - einschließlich Bundespräsident - von einer Zeitung der Stadt, die sich gern bürgerlich gibt, zur öffentlichen Selbstkriik für frühere Entscheidungen bei der Zusammenarbeit mit Russland genötigt. Man hat schlicht vergessen, welch düstere Vergangenheit um diese Methode schwebt. Dabei vergessen sich diese Zeitungen, die selbst in Puitin einen Hoffnungstäger sahen, selbst. Die stehen ja immer darüber. :no:



    Ist es nicht zynisch, Gergiev als Künstler in dieser Situation besondere Aufmerksamkeit zu schenken und alle Befindlichkeiten, die mit diesem Krieg zusammenhängen, auszublenden?

    Mit Verlaub, lieber Holger, aber ich höre, was ich will. Es ist schon schlimm genug, dass man darüber nichts schreiben soll. Wohin wird das noch führen? Ich fürchte, dass in diesem schrecklichen Krieg auch die Freiheit stirbt, zumidest schweren Schaden nimmt. Spätestens dann hätte Putin gewonnen, was Gott verhüte. Wir dürfen keine graue Masse von Opportunisten werden.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wie man's macht, macht man's falsch. Siehe Anna Netrebko, die sich jetzt - 4 Wochen verspätet und ziemlich schwammig - von Putin mit den Worten distanziert, sie kenne ihn eigentlich kaum (meine Worte). Wie ist die Reaktion darauf! Sie ist "eingeknickt". Was würden wir sagen, wenn sich nun auch Gergiev von Putin distanzierte? Will er nun doch im Westen seine Schäfchen ins Trockene bringen? Schließlich hat er, was offenbar offiziell nicht bekannt ist, auch einen niederländischen Pass, ihm vor vielen Jahren von der Königin verliehen.


    Ich möchte mich nicht an Unterstellungen über Gergievs öffentliches Schweigen beteiligen, möchte aber aus seinem Schweigen nicht, wie es auch hier geschieht, eine Unterstützung der verbrecherischen Politik Putins ableiten. Das ist mir dann doch zu einfach.

    Man kann, lieber Peter, davon ausgehen, dass Gergiev das Gleiche widerfahren wäre. Es hat den Anschein, als säße hier einige hartleibige Presbyter zu Gericht mit einem Urteil, das bereits vor der Verhandlung gefallen ist. Auch werden Vergleiche und Formulierungen immer härter, jede Entgegnung findet ein "ja, aaaber..." . Wenn Gergiev dann als Brandstifter bezeichnet wird, der tags zuvor ein Haus abgefackelt habe, dann liegt die Metapher doch sehr dicht beim Urteil desjenigen, der sie gebraucht.


    Dergleichen sehe ich mit einiger Fassungslosigkeit. Und noch einmal daran zu erinnern:das Bekenntnis Gergievs aus 2014 zur Krim-Annektion hat mit diesem Krieg nun gar nichts zu tun. Und angesichts von knapp 60 Prozent Russen bei den mehr als zwei Millionen Krim-Einwohnern gegenüber 25 Prozent Ukrainern (Stand 2014) lässt sich die seinerzeitige Haltung fast noch nachvollziehen. Nur zur Erinnerung: die Krim war jahrhundertelang eigenständiges Gebiet, bis Chrustschow sie 1958 der Ukraine zugeschlagen hatte, da er selber Ukrainer war. Er konnte ja nicht damit rechnen, dass die Sowjetunion jemals aufhören würde zu existieren.

    Auch hier kann man anders denken. Ist es nicht zynisch, Gergiev als Künstler in dieser Situation besondere Aufmerksamkeit zu schenken und alle Befindlichkeiten, die mit diesem Krieg zusammenhängen, auszublenden?


    Schöne Grüße

    Holger


    Kann ich nicht nachvollziehen. Ich sehe da keinen Zynismus, wenn Joseph II eine Aufnahme von Gergiev postet. Es kann auch nicht angehen, das Forumsmitgliedern diesbezüglich Vorschriften gemacht werden. Es steht Dir freilich frei, die Dinge dergestalt mit außermusikalischem Inhalt aufzuladen. Persönlich ziehe ich mir solche Schuhe werde bei Gergiev, Netrebko (von beiden besitze ich nicht eine Aufnahme, aber die Einstellung ist ganz grundsätzlich) noch irgendwem anderem an (bevor jetzt wieder jemand mit Künstlern aus schwierigen deutschen Zeiten um die Ecke kommt).


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich sehe das alles etwas anders -

    (Habs hier auch leicht, weil ich keine einzige Aufnahme von Gergiev besitze - zumindest nicht wissentlich. Und bei Netrebko. wahrscheinlich schon, wenn sie halt bei einer Opern-Gesaamtaufnahme mit dabei war - aber ich habe sie sicher nicht wegen ihr angeschafft.)


    Gergiev hat durch sein Naheverhältnis zu Putin Vorteile gehabt (und das noch immer) und hat daraus die sich ergebenden Konsequenzen gezogen.

    Das ist immerhin eine Einstellung. Andrerseits bedarf es hier auch keines besonderen Mutes - er ist in jedem Falle gut versorgt.

    Die Intendanten. Orchester, Opernhäuser sind derzeit sowieso durch Corona geschädigt. Sie können und wollen sich nicht mit Problemen und Verdienstausfällen herumschlagen, die durch Personen entstehen, die polarisieren - und sortieren sie aus.

    Genau dasselbe wie man einen Sänger aussortiert, der die Stimme verloren hat und deswegen kein Publikum mehr anzieht. (etc. etc)

    Der "gute Name" hat gelitten - aber der ist es , der das Publikum anlockt, nicht die "künstlerische Leistung (die 90% sowieso nicht beurteilen können)

    Das gilt auch für Schallplatten (CD) Aufnahmen. Es wäre dumm und sinnlos solche Aufnahmen wegzugeben oder durch "nicht-hören" zu "bestrafen"

    Aber ich glaube eine Neuaufnahme würde derzeit auf (zu?) wenig Resonanz bei den Käufern stoßen - und DESHALB - und NUR DESHALB - werden die Plattenkonzerne sich von diesen Interpreten zurückziehen. Denn Plattenkonzerne sind keine Gutmenschen oder Idealisten, auch keine Musikfreunde - sondern eiskalte Kaufleute und Manager. Wer nicht funktioniert, der wird aussortiert.


    Zu Frau Netrebko - ICH hätte ihr in der gegenwärtigen Situation geraten - NICHTS mehr zu sagen. Es gibt Situationen, wo jedes Wort - auch wenn es ehrlich ist - schadet. Ich gehe davon aus, daß jene , die sie bereits fallen gelassen haben, sie nach ihrer "Kehrtwendung" noch eventuell auch noch verachten. (?)


    Zur Zensur im Forum, betreffend Russische Künstler möchte ich fest stellen, daß es keine gibt.

    Allerdings würde ich sagen, daß ein Focus darauf - grade zu dieser Zeit - kontraproduktiv ist, weil er von vielen als Provokation empfunden werden kann. Es war schon vor etlichen Jahren hier Mode immer wieder sich mit Themen zu beschäftigen, wo wir uns unbeliebt machen.

    Wer sich mit Loosern gemein macht, der wird am Ende selber einer sein.

    Es ist also eine Frage des Takts und - vor allem taktisch-strategisch bedeutend - was man schreibt,wie man schreibt und WANN man schreibt.

    Jeder Unternehmer, jede Organisation ist bestrebt einen angenehmen Eindruck zu hinterlassen. Selbst die ärgsten Leuteschinder-Firmen (die Namen sind bekannt) sprechen heute in ihrer Werbung von "sozialer Kompetenz", "Nachhaltigkeit", "Umweltschutz" und ähnlichem Bla Bla.......:hahahaha:


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Was mich an dieser Diskussion stört, ist, dass so oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Dr. Holger Kaletha hebt die vorsichtige Distanzierung des Bolshoi-Chefs Vladimir Urin positiv hervor und erwartet von Gergiev Ähnliches. Ich las jetzt noch einmal den von diversen Künstlern, u. a. von Spivakov, unterzeichneten Brief und verglich ihn mit dem ersten Versuch Anna Netrebkos, sich gegen den Krieg auszusprechen.


    Wie war die Reaktion? Liebe Anna, das ist nicht genug. Du hast den Namen Putin nicht erwähnt und dich nicht von ihm distanziert. Das reicht nicht aus! Nichts anderes ist in dem u. a. von Urin und Spivakov unterzeichneten Brief zu lesen. Der Name Putin kommt nicht in ihm vor, geschweige denn eine Distanzierung von ihm, und der Ukraine-Krieg wird vorsichtigst mit "armed action" umschrieben und nicht etwa "war" genannt. Ist es das, was wir von Gergiev erwarten? Mit derselben Reaktion wie bei Anna Netrebko?


    Gergiev besaß nicht immer diese so stark kritisierte Nähe zur politischen Macht. Ganz im Gegenteil war er immer sehr stolz auf die Tatsache, dass er der erste "Intendant" (ich weiß nicht, wie sein damaliger Titel war) war, der mit überwiegender Mehrheit vom gesamten Personal des damals so genannten Kirov gewählt und nicht von Staat oder Partei bestimmt worden war, als sein Vorgänger Yuri Temirkanov zur Leningrader Philharmonie ging. Die Nähe zur politischen Macht ergab sich dadurch, dass Putin sich für Kunst interessierte, aber auch durch den Zwang, ein marodes Theater finanziell zu sanieren. Gergiev hatte schon immer einen ausgesprochenen Geruchssinn für das Auffinden von Geldquellen, und Staatsmänner, Oligarchen usw. gehörten von nun an zu der Klientel, deren Geld er gerne für sein Theater annahm. Ich betone "für sein Theater", denn es ist bekannt, dass er seine Gagen von Auslandsgastspielen in der schwierigen Anfangszeit in sein Theater steckte.


    Um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen : Ich bezweifle stark, dass unsere verehrten Tamino-Gergiev-Kritiker mit einer ähnlich vorsichtigen Anti-Kriegs-Adresse wie der von Urin & Co zufrieden zu stellen wären. Wer weiß, ob diese vorsichtigste Distanzierung nicht der Grund für Putins Vorschlag an Gergiev zur Zusammenlegung beider Direktionen gewesen ist. Sollte Gergiev sein Lebenswerk, den Aufbau seines Mariinsky-Imperiums, riskieren?


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

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