Diskussion zum Artikel von Bernd Weikl in der Epoch Times

  • Wie lange soll es noch dauern, bis in Wagner-Opern Musik zeitgenössischer Komponisten eingeschoben wird, bis man so etwas für eine Selbstverständlichkeit hält?


    Ich fürchte, dass gerade Leute wie Peter Konwitschny mit ihren ständigen "Tabubrüchen" eine eben solche Entwicklung bereits eingeleitet haben, ob willentlich oder nicht, will ich in diesem Zusammenhang gar nicht beurteilen. Es wird wohl definitiv kommen, wenn schon teilweise Musik vom Band bzw. von der Schallplatte lief oder die Musik mal eben unterbrochen wurde, weil Regisseur X irgendwelche Ergüsse an das Publikum absondern wollte. Das ist ja fast schon normal geworden und wird mittlerweile von vielen gar nicht mehr ob seiner Sinnhaftigkeit in Frage gestellt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Allgemein sollte man diversen "Regiegöttern" mal den Nimbus der Unfehlbarkeit nehmen. Auch Patrice Chéreau, Harry Kupfer, Peter Konwitschny und Heiner Müller darf man kritisieren, oftmals völlig zurecht. Über letzteren schrieb unser geschätzter Milletre mal andernorts:


    Zitat

    Den "Tristan", versemmelt von Heiner Müller, habe ich in Bayreuth gesehen. Für mich ist dieses Werk schlicht das opus summum des Wagnerschen Oeuvres. Was ich jedoch dort erleben mußte, war die szenische Hinrichtung dieses Werkes. Der erste Aufzug spielte in einem hinten abgeschrägten Kubus mit Oberlichte, und auf dieser Schräge rutschten die Protagonisten hin und her. Was das bedeuten sollte, war mir völlig schleierhaft. Es war nur grauslich.


    Den Höhepunkt der Nicht- oder besser Gegen-Inszenierung bildete dann der zweite Aufzug, der spielte in einer Art Rüstkammer - vielleicht eine Anspielung auf die chinesischen Tonsoldaten (?) -, in der die genialste orgiastische Liebes-Vereinigungsszene, die je in Wort und Musik geschaffen wurde, stattfinden hätte sollen. Was aber fand dortselbst statt? Die beiden Protagonisten schritten fortwährend in entgegengesetzter Richtung auf und ab, ohne sich auch nur eines Blicks zu würdigen.


    Als Marke sodann seine Klage anhub und Tristan schmerzlich zur Rede stellte: "Dies mir, dies, Tristan, mir", wollte ich schon aufspringen und nach vorne brüllen "Der hat doch gar nichts getan!" - und solch einen Unsinn muss man sich auch noch um teures Geld gefallen lassen. Ganz beiseite, dass ich als Normalsterblicher nur alle 7 oder 8 Jahre in den "Genuß" von Festspielkarten kam ...

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Du verstehst mich nicht.


    Ich glaube, ich verstehe Dich schon.


    Man muss sich sehr genau überlegen, was mit Steuermitteln förderungswürdig ist und was nicht.


    Ja, aber wer ist in diesem Fall "Man"? Und wie entscheidet "Man" darüber, dass Opernhaus XYZ für die Inszenierung des Herrn Bieito keine Geld mehr bekommt, für die von Herrn Konwitschny aber gerade noch. Wie soll so etwas funktionieren ohne eine "Prüfinstanz", die letztendlich dann doch Zensur ausübt?


    Durch solche Normen für förderungswürdige Kulturangebote kann man den Subventionskritikern den Wind aus den Segeln nehmen


    Wer bestimmt diese Normen?


    Es kann ja nicht die Lösung sein, dass die, die Bieito und Co nicht mehr ertragen können, deswegen zu Hause bleiben und die Schließung aller Opernhäuser fordern (was sie durch ihr Geschrei nach Streichung der Subventionen ja faktisch tun!), sondern man sollte dafür sorgen, das auch diese Opernfreunde die Möglichkeit haben, Inszenierungen live zu erleben, die ihnen gefallen.


    Nein, man kann aber seinen Unmut in verschiedener Form äußern, ich habe auch nichts gegen Demonstrationen oder Bürgerinitiativen. Wie wir bereits diskutiert haben, begibt man sich da aber rhetorisch oft auf dünnes Eis, wenn man nicht die "Entartete Kunst" Keule schwingen will, was man geflissentlich auch nicht tun sollte.

  • Das Extradrei-Lied ist großartig, aber Herr Böhmermann hat bei seinem Spottgedicht offenbar eine juristische Grenze überschritten.


    Der Mann, dem das Spottlied gilt, hat nach unserer Rechtsauffassung vermutlich schon mehrere Dutzend juristische Grenzen überschritten. Aber das gehört nicht hierher.

  • [...] ich habe auch nichts gegen Demonstrationen oder Bürgerinitiativen.


    Ich auch nicht. Aber es zeigte sich ja bereits kürzlich an anderer Stelle, dass diese sofort in Verbindung gebracht werden mit diversen anderen Bewegungen, die derzeit so für Aufsehen sorgen. Das ist natürlich ein Totschlagargument und wird jede Diskussion erschweren oder gar unmöglich machen.

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    – Luís de Camões

  • Allgemein sollte man diversen "Regiegöttern" mal den Nimbus der Unfehlbarkeit nehmen. Auch Patrice Chéreau, Harry Kupfer, Peter Konwitschny und Heiner Müller darf man kritisieren, oftmals völlig zurecht.


    Wer hat denn jemals behauptet, bestimmte Regisseure seien unfehlbar und dürften nicht kritisiert werden? ?( Nenne mir mal einen Beleg dafür. Ich habe lediglich ein Problem damit, wenn von vornherein eine bestimmte Art der Regie als "Verunstaltung" deklariert wird und damit eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Arbeit gar nicht erst stattfindet. Natürlich gibt es von Konwitschny, Bieito etc. misslungene Inszenierungen, aber es gibt auch sehr gute.


    Zu der Tristan-Instenierung von Heiner Müller habe ich übrigens genau die gegenteilige Meinung wie Milletre, aber das nur am Rande.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ja, aber wer ist in diesem Fall "Man"?

    Wer bestimmt diese Normen?

    Genau darum geht es. Am besten über einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, der sich genau mit dieser Frage befasst. Am einfachsten ist natürlich das, was man negativ als "Selbstzensur" und positiv als "Berufsethos" bezeichnen könnte und was offenbar ein einer gleichgültigen Gesellschaft schwer zu erreichen ist.


    Wie wir bereits diskutiert haben, begibt man sich da aber rhetorisch oft auf dünnes Eis, wenn man nicht die "Entartete Kunst" Keule schwingen will, was man geflissentlich auch nicht tun sollte.

    Das mag sein, aber nur weil es solche schlimmen, extremen Dinge gab, kann meines Erachtens nicht das andere Extrem die einzig mögliche Antwort sein: Völlige Gleichgültigkeit gegenüber der Kunst und ihrer Entwicklung. Es geht mir auch nicht um Verbote oder ähnliches, sondern um einen Kanon an Mindestnormen, die ein Regisseur beim Inszenieren einer Oper in der Regel'(!) erfüllen sollte. Und vor allem geht es darum, zu einer neuen Ethik des Theaters zu gelangen, welche Diskussionen wie die aktuellen überflüssig macht und niemanden auf die Idee kommen lässt, die Abschaffung der Theater zu fordern.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Und vor allem geht es darum, zu einer neuen Ethik des Theaters zu gelangen, welche Diskussionen wie die aktuellen überflüssig macht und niemanden auf die Idee kommen lässt, die Abschaffung der Theater zu fordern.


    Die Abschaffung von Theatern oder ihren Subventionierungen würde ich niemals fordern, eher die von Großsportereignissen und ihren Arenen. :D


    Vielleicht wäre eine Option so etwas wie bei Booking.com einzuführen. Alle Theaterbesucher dürfen nach Besuch der Veranstaltung auf einer für alle einsehbaren website die Veranstaltung benoten (z.B. 1-5 Sterne), dazu vielleicht kurze Kommentare. Dann hätte jeder schon mal eine Idee, was ihn erwartet. Und über die Zeit würde sich vermutlich schon ergeben, dass Inszenierungen, die eine niedrige Durchschnittsnote verliehen bekommen, schneller vom Spielplan verschwinden als die mit 4 bis 5 Punkten. Und Theaterintendanten hätten vielleicht dann auch Interesse viele 4-5 Punkte Inszenierungen im Programm zu haben. Ranking ist doch heute das A und O.

  • Vielleicht wäre eine Option so etwas wie bei Booking.com einzuführen. Alle Theaterbesucher dürfen nach Besuch der Veranstaltung auf einer für alle einsehbaren website die Veranstaltung benoten (z.B. 1-5 Sterne), dazu vielleicht kurze Kommentare. Dann hätte jeder schon mal eine Idee, was ihn erwartet. Und über die Zeit würde sich vermutlich schon ergeben, dass Inszenierungen, die eine niedrige Durchschnittsnote verliehen bekommen, schneller vom Spielplan verschwinden als die mit 4 bis 5 Punkten. Und Theaterintendanten hätten vielleicht dann auch Interesse viele 4-5 Punkte Inszenierungen im Programm zu haben. Ranking ist doch heute das A und O.


    Das halte ich für problematisch. Erstens sind die Ergebnisse nicht repräsentativ, weil sich nur ein Teil der Opernbesucher daran beteiligen würde. Viel grundsätzlicher finde ich aber das Problem, dass dann der Publikumsgeschmack zum alleinigen Maßstab erhoben würde. Ich weiß, dass manche genau dies fordern, aber im Bereich der Kunst hielte ich das für fatal. Dass der Mehrheitsgeschmack ein schlechtes Kriterium für die Bewertung von Kunst ist, dafür gibt es nicht nur in der Musikgeschichte hinreichend viele Beispiele.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ob Stalin oder Mao regelmäßig in die Oper gegangen sind, entzieht sich meiner Kenntnis


    Stalin war regelmäßiger Besucher der Bolschoi-Oper, sah und hörte auch gerne das Ballett. Da sollen ihm die Tschaikowsky-Klassiker sehr lieb gewesen sein. Also, noch ein Beweis mehr, dass schöne Kunst keinen Dreckshaufen in eine schöne Seele verwandeln kann (ich hoffe, ihr tragt es mit Fassung, dass ich Stalin als einen "Dreckshaufen" bezeichnet habe, aber der Kerl hat's nicht besser verdient).


    Bei Mao weiß ich nicht, ob er die Pekingoper goutierte, oder gar westliche Klassik schätzte. In der chinesischen Kulturrevolution wurde jedenfalls alles, was nur entfernt nach traditioneller chinesischer oder europäischer Kultur roch, eingestampft. Habe mal die erschütternde Szene nachgelesen, in der ein kultivierter Professor von Studentenhorden während dieser widerlichen Kulturrevolution dazu gezwungen wurde, öffentlich seine Schallplattensammlung mit Werken Beethovens, Mozarts usw. zu zerbrechen. Hätte er sich geweigert, so drohten die entmenschten Bestien ihm, hätten sie ihn getötet.


    Grüße
    Garaguly

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  • Viel grundsätzlicher finde ich aber das Problem, dass dann der Publikumsgeschmack zum alleinigen Maßstab erhoben würde. Ich weiß, dass manche genau dies fordern, aber im Bereich der Kunst hielte ich das für fatal. Dass der Mehrheitsgeschmack ein schlechtes Kriterium für die Bewertung von Kunst ist, dafür gibt es nicht nur in der Musikgeschichte hinreichend viele Beispiele.


    Es muss ja nicht der Mehrheitsgeschmack sein, man kann die Noten ja dann schon so darstellen, dass offensichtlich wird, ob das eine Inszenierung war, die mehrheitlich als lau wahrgenommen wurde, oder eine, die stark polarisierte. Dann verteilen sich die Noten völlig unterschiedlich. Eine Inszenierung, die 30% toll finden, aber 50% weniger gut finden, würde ich natürlich im Spielplan lassen. Aber wenn eine Inszenierung von 95% abgelehnt wurde und nur von 3% goutiert, hätte ich meine Zweifel, ob es sich da um Kunst gehandelt hat. Vor allem, wer soll das dann bitte feststellen? Die drei Journalisten, die dabei waren? Ich glaube außerdem, die RT-Gegner hier würden sich oft wundern, wie viele gute Note die von Ihnen abgelehnten Inszenierungen bekämen. Denn wer wie Du so etwas schätzt, stimmt garantiert ab. ;) Deshalb hätte ich auch keine Sorge wegen der Repräsentativität.

  • Es wird immer Stimmen geben, die "Subventionen" streichen und alles Mögliche einsparen wollen. Den meisten davon ist Theater/Oper/Klassische Musik schlicht egal, daher auch egal, ob es sich um plüschige oder blutige Inszenierungen, um "Freischütz" oder "Die Soldaten" handelt. Auf die Torheit, dass man, wenn "Subventionen" gestrichen würden, endlich wieder schönes Theater hätte, lohnt kaum einzugehen. (Man ist versucht, "Geht doch nach drüben!" (nämlich USA) zu empfehlen, aber Steuervergünstigungen für Spenden und Stiftungen sind selbstverständlich auch Subventionen.) Vor 50 Jahren waren Theater und Oper genauso "subventioniert" wie heute (sie waren in ihrer 2500jährigen bzw. gut 400jährigen Geschichte meistens oder jedenfalls sehr oft "subventioniert") und zumindest in den letzten 20 Jahren hat sich an den Auslastungszahlen auch nicht viel geändert, soweit ich weiß.


    Bei dieser Diskussion sollte man sich m.E. nicht so in die Defensive drängen lassen, dass *interne* Auseinandersetzungen bzgl. Weber vs. Zimmermann oder Ponelle vs. Bieito überhaupt maßgeblich sind. Natürlich besteht hier eine Gefahr, dass durch Selbstzerfleischung der Opern/Theaterfreunde diese ihre Position insgesamt schwächen. Das halte ich aber nicht für das größte Problem.


    Entgegen dem, was immer wieder behauptet wird, halte ich es auch nach wie vor für eine offene Frage, ob unkonventionelle Regie mehr Besucher abstößt als anlockt. Man kann ja mal ein wenig in älteren Forenbeiträgen (zB eines Alviano) stöbern, um zu sehen, dass es eine große Zahl von begeisterten Fans waghalsiger Inszenierungen gibt. Ebenso haben sich einige relative "Einsteiger" (z.B Dieter) in eine ähnliche Richtung geäußert und schließlich haben meines Wissens "Skandalinszenierungen" gar nicht so selten auch über den anfänglichen Sensationswert hinaus oft erstaunlich hohe Auslastungszahlen.


    (Ich habe jetzt dem Thread allgemein geantwortet und ich hoffe, es fühlt sich niemand verpflichtet, eine unerwünschte oder persönlich traumatisierende Diskussion mit mir zu beginnen. :angel: )

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Das mit den hohen Auslastungszahlen hab man im Essener Aalto Theater Anfang der 90 Jahre gesehen. Die Hilsdorf Inszenierungen waren immer ausverkauft bzw gut besucht. Ich kann mich noch an einen Don Carlo erinnern, wo ich mich fast mit meiner Sitznachbarin in die Haare bekommen hätte. Alle 10 Minuten stieß sie mich an und flüsterte : Jetzt wird's schlimm. Die schlimmste Stelle war für sie wo Eboli im Badeanzug mit dem König zu gange war. Dann habe ich es gewagt beim Auftritt nach der Pause von Herrn Solzesz nicht Bravo zurufen, weil er furchtbar dirigiert hat, und schon meinte sie schnippisch: sie haben wohl nicht viel Ahnung von Musik ? Aber das größte Ärgernis für sie war das ich beim Schlussapplaus von Herrn Hilsdorf nicht geklatscht habe und sie mich dazu drängen wollte zu klatschen. Darauf hab ich dann nur geantwortet das ich für eine nicht erbrachte Leistung auch nicht klatschen braucht . Wenn Blicke töten könnten , würde ich wahrscheinlich heute nicht hier schreiben.dem König



  • Auch wenn ich mich hier eigentlich nicht äußern wollte, muss ich denn doch ein Votum abgehen, auch wenn es ein Minderheitenvotum sein sollte. Es ist mir gleich. Gewiss lässt sich der Müllersche "Tristan" in Bayreuth so refelktieren, wie Milletre das getan hat. Es ist sein Empfinden. Und sein gutes Recht. Er wollte etwas anderes sehen. Darin erkenne ich eines der größten Probleme des gegenwärtigen Theaters. Die Leute kommen mit ganz bestimmten Erwartungen und sind bitter enttäuscht, wenn die sich für ihr gutes Geld nicht erfüllen. Das ist wie in einem Restaurant. Man freut sich auf ein zartes Roastbeef und bekommt stattdessen Lammfilet vorgesetzt. Vom einem zum anderen umzuschalten, sich auf die neue Situation einzustellen, die nicht erwartet war, das fällt schwer. Es kann aber auch sehr aufregend sein. Ich nehme mir das Recht heraus, diese Inszsnierung als eine der bedeutendsten und intelligentesten Regiearbeiten zu bezeichnen, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Dabei war ich sehr skeptisch und wild entschlossen, die Inzsnierung schrecklich zu finden, bevor sich noch der Vorhang gehoben hatte. Ja, das gebe ich gern zu. Und dann die Wendung. Hätte ich mich nicht darauf eingelassen, hätte ich mich um ein so starkes Erlebnis gebracht. Ich habe sehr viel begriffen damals in Bayreuth.


    Müller hat Bilder von großer magischer Wirkung und Poesie gefunden, die übrigens in dem offiziellen DVD-Mitschnitt nicht annähernd zum Tragen kommen. Wie selten hatte ich als Zuschauer das Gefühl, dass es nur so geht. Sein Ansatzpunkt war, dass sich die Geschichte als Projektion in den Figuren zuträgt und nicht als feurige Handlung, in der die Protagonisten über sich herfallen, was mich nie so richtig überzeugt hat. Ein "orgiastische Liebes-Vereinigungsszene", wie es Milletre ausdrückt, ist vielleicht auch möglich aber kaum überzeugend darzustellen. Das ist zumindeest meine Überzeugung. "Tristan" ist ein total introvertiertes Stück. Ich wähle ein Foto von Waltraud Meier als Isolde im Liebenstod dieser Deutung aus, in dem sich das ausdrückt, was Müller wollte - und ich zum Glück empfand:



    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich nehme mir das Recht heraus, diese Inszsnierung als eine der bedeutendsten und intelligentesten Regiearbeiten zu bezeichnen, die ich je in meinem Leben gesehen habe.


    Lieber Rheingold, ich danke Dir für diesen Kommentar, denn ich habe diesen "Tristan" in Bayreuth ganz genauso empfunden!
    Schade, dass Milletre nicht mehr aktiv ist, es wäre einen Versuch wert, anhand dieser Inszenierung einmal über einen konkreten Fall einer "Regietheater-Inszenierung" zu diskutieren.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • :hello:


    Ja, lieber Bertarido, das wäre sicher ein gutes Thema gewesen.


    Gruß Rheingold

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  • Zitat

    Zitat von Bertarido: Ja, Du wiederholst Dich, und die Diskussion dreht sich wie gehabt im Kreise.

    Ja, lieber Bertarido, das werde ich auch weiterhin tun, solange hier versucht wird, die Entstellung von Meisterwerken mit dem Deckmäntelchen "Freiheit der Kunst" zu kaschieren. Was würdest du sagen, wenn du ein Meisterwerk für die Bühne erstellt hättest und irgend ein Regisseur würde dir das völlig verdreht auf die Bühne bringen? Leider können sich die toten Meister nicht mehr wehren. Aber das Publikum kann es, das zu Recht das Werk erwartet, das ihm angekündigt wird. Und insofern wird sich die Diskussion weiterhin im Kreise drehen, wenn immer wieder das absurde Argument der "Freiheit der Kunst" für solche Inszenierungen vorgebracht wird. Freiheit der Kunst lasse ich - wie ich leider auch wiederholen muss - durchaus für eigene Werke gelten. Aber bei der Oper ist auch die Handlung ein feststehender Bestandteil, der für mich unumstößlich ist.
    Das können auch die vielen theoretischen Erörterungen, die das zu verdrehen versuchen, nichts daran ändern!

    Zitat

    Zitat von Lutgra: Nein, einen Herrn Bieito und einer Herrn Castorf muss eine freie Gesellschaft schon aushalten können. Und auch wenn mir deren Inszenierungen überhaupt nicht gefallen, ist es doch absurd zu behaupten, sie würden die jeweiligen Werke zerstören. Wenn ein Kunstwerk zerstört wird, ist es weg. Wenn Herr Bieito den Parsifal inszeniert, gefällt er mir zwar heute Abend nicht, aber die nächste Inszenierung kann ja wieder ein ganz andere sein. Also von "Zerstörung" kann überhaupt keine Rede sein.

    Natürlich kann eine freie Gesellschaft einen Herrn Bieito oder Castorf aushalten, wenn es Einzelfälle wären, die man ja dann - wenn man als Zuschauer genügend informiert ist - nicht zu besuchen braucht. Aber das ist doch heutzutage der Regelfall, dass jede Handlung verdreht wird, denn eine werkgerechte Inszenierung ist sucht man hier schon wie die "Nadel im Heuhaufen". Man muss schon in bestimmte andere Länder reisen um solche noch zu finden. Neben den Inszenierungen von Bieito und Castorf, die sicherlich zu den Schlimmsten zählen, gibt es viele andere, die auch sehr schlimm sind und nicht immer ist einem der Regisseur ein solcher Begriff wie die schon Genannten und einige andere, hier immer wieder Angeführten.
    Natürlich bleibt das Kunstwerk selbst als solches generell erhalten aber in solchen Inszenierungen ist es einfach zerstört. Das Wort "Zerstörung" hat also durchaus seine Berechtigung bezogen auf eine solche Inszenierung. Es wäre schön, wenn die nächste Inszenierung dann tatsächlich wieder werkgerecht wäre. Aber das wäre nach all den Erfahrungen schon als ein Wunder anzusehen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Nach der Lektüre der Beiträge der letzten zwei Tage trifft es sich gut, dass ich in dieser Zeit etwas erlebt habe, was zur Entspannung beitragen könnte:


    Die Vorstellung begann zu meiner Erheiterung wie folgt: Offene Bühne. Kein Schiff, sondern ein großer, fast leerer Raum, nach hinten begrenzt durch einen überdimensionalen transparenten Fliegenvorhang, hinter dem eine Party der Matrosen stattfindet - immerhin als stumme Pantomime, denn das Orchestervorspiel ist in vollem Gange.
    Durch den Flattervorhang schiebt sich eine männliche Gestalt in den Raum und durchquert ihn, die Bewohnerin des Raumes umkreisend und deren Tun mit einer Filmkamera festhaltend - für alle Fälle. Dann ertönt die Stimme eines lyrischen Tenors, der etwas von Westwind und von einer Schiffsreise nach Osten erzählt. Jetzt haben wir die beiden Personen ausgemacht: Die Dame ist Isolde, der voyeuristische Spion Tristan!


    Sage also niemand, die Möglichkeiten der Regie seien längst ausgereizt. Ich fürchte, lieber Gerhard, du tust gut daran, dich zu entspannen - ich musste es auch. Es wurde der längste 1.Akt, den ich je durchsitzen musste. Nicht weil der Dirigent ihn verschleppt hätte, sondern weil die Regisseurin mit dieser Introduktion ihr Pulver schon fast verschossen hatte.
    Und das Beste: Ab dem 2.Akt wurde alles besser - die Musik war einfach zu stark, um sich von derlei Neckereien anfechten zu lassen. Sogar das Publikum wachte auf. Der ratlose Höflichkeitsapplaus nach dem 1.Akt verwandelte sich am Schluss in Jubel, soweit man in Kaiserslautern dazu fähig ist; denn in den Pausen hörte ich im Vorbeigehen über alles plaudern, nur nicht über das Stück oder gar die Aufführung. Wie auch - das Stück war hier bis dato unbekannt!


    Jetzt kann der erbitterte Kampf meinetwegen weitergehen, aber vielleicht etwas lockerer und entspannter. denn wir werden die Verrücktheiten unserer erodierenden Kultur nicht aufhalten - da hilft einzig Humor. Wie sagt der späte Wotan: "Zu schauen kam ich, nicht zu schaffen!" Und beim Schauen lässt sich gut lächeln...
    Falls ich eure ernsten Gefechte gestört habe, seht es mir bitte nach. Aber manchmal sollte man sich eine Pause gönnen. Denn "ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!" -


    meint Sixtus

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  • Lieber Sixtus,


    persönlich bin ich ganz entspannt, weil ich über mache verrückten Ansichten nur lächeln kann, aber mich ärgere. Ich respektiere auch andere Ansichten (ich nenne einmal Michael Schenk oder Bertarido), wenn sie denn ohne Arroganz, Selbstüberschätzung und Herabwürdigung anderer vorgetragen werden. Ich habe in pädagogischen Lehrgängen gelernt, dass schon das Wort "falsch" geschweige denn "Unsinn" gegenüber den Aussagen eines Diskussionspartners völlig tabu sein sollte. Wenn aber ein Diskussionspartner mit solche Worte gebraucht, darf er sich nicht wundern, wenn ihm gegenüber ähnliche Ausdrücke verwendet werden.
    Wenn ich Kritik an einer Sache ausübe (die Regisseure sind nicht meine Diskussionspartner), müssen harte Worte aber durchaus erlaubt sein. Manche Regisseure sonnen sich ja, wie wir wissen, sogar darin, wenn sie heftig kritisiert werden.
    Ich sehe es durchaus als berechtigt an, wenn ich mit für eine bessere Welt kämpfe, auch im Theater.
    Ich sage meine Meinung nüchtern und klar. Dadurch spüre ich aber keine persönliche Erregung, bleibe also durch entspannt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Aber das ist doch heutzutage der Regelfall, dass jede Handlung verdreht wird, denn eine werkgerechte Inszenierung ist sucht man hier schon wie die "Nadel im Heuhaufen".


    Es wird ja als ein Argument der RT-Gegner immer angeführt, dass es inzwischen praktisch nur noch oder fast nur noch solche Inszenierungen gäbe, die Eingriffe in die Handlung vornähmen bzw sich sehr weit von ihr entfernen häufig gepaart mit Extremdarstellungen. Lässt sich diese Behauptung eigentlich irgendwie verifizieren?

  • Wen das wirklich interessiert, dem empfehle ich die Kritiken im Neuen Merker, bzw. im Opernfreund zu überfliegen. So hat man einen guten Überblick über den gesamten deutschsprachigen Raum und wird rasch erkennen, dass Gerhards Aussage absolut richtig ist.

  • Wie sollte man das anstellen? Das lässt sich doch kaum operationalisieren. Für manche ist der falsche Federhut (oder gar keiner) schon verwerflich, danach wäre dann praktisch alles "Regietheater".


    Andere lassen sich, obwohl mit skeptischer Haltung in die Oper gegangen, von einer unkonventionellen Idee verzaubern (s.o. zu Tristan). In dem Kontext eben auch der sehr wichtige Hinweis, dass ein Standbild oder sogar ein Video eben oft gerade nicht die Energie oder besondere Atmosphäre einfangen können, die eine bestimmte Inszenierung live bietet.


    Wieder andere sagen irgendwann "was zu viel ist, ist zu viel" oder "bis hierher und nicht weiter", aber wie soll man das quantitativ machen. Warum ist eine "Stummfilm-Zauberflöte" akzeptabel, aber eine "Entführung aus dem Bordell" nicht mehr (falls jemand das genau so meinen würde).


    Man müsste auch Gewichtsfaktoren einführen, weil Bayreuth ein anderes Gewicht hat als die Kölner Oper und die Kölner Oper ein anderes als das Stadttheater Gießen. Es käme sehr wahrscheinlich bestenfalls etwas pseudo-quantitatives heraus.

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  • Wie sollte man das anstellen? Das lässt sich doch kaum operationalisieren. Für manche ist der falsche Federhut (oder gar keiner) schon verwerflich, danach wäre dann praktisch alles "Regietheater".


    Gut, dann ist die Aussage aber wertlos und kein vernünftiges Argument. Dann kann man höchstens sagen: "Ich habe das Gefühl, dass...

  • @Rodolfo: Du hast die Brisanz anscheinend noch nicht verstanden.


    Auf der einen Seite stehen neben einer nicht geringen Zahl von Opernfreunden die meisten Regisseure und Intendanten, Dramaturgen etc., fast die gesamte Kulturpresse, Rezensenten etc., fast die gesamte Kulturwissenschaft, einschließlich der Unis, an denen der Theaternachwuchs auf solcher Basis ausgebildet wird, und im Konfliktfalle die Rechtslage und Rechtssprechung.


    Auf der anderen Seite steht ein (nicht allzu) mächtiges Häuflein von Opernfreunden und (nicht selten pensionierten) Sängern und als theoretischer Überbau Richtlinien, die ein paar Regisseure wie Felsenstein vor 50 Jahren niedergelegt haben. Meinetwegen auch der "gesunde Menschenverstand" (bekanntlich die bestverteilte Sache der Welt, weil auch die, die sonst schwer zufriedenzustellen sind, davon normalerweise nicht mehr zu haben wünschen, als sie tatsächlich haben (frei nach Descartes)).


    Natürlich kann es sein, dass die kleinere/weniger einflussreiche Gruppe "recht" hat, sofern "recht haben" hier überhaupt vernünftig angewendet werden kann; eine Mehrheit oder eine dominierende Elite muss keineswegs im Recht sein oder die Wahrheit gepachtet haben.
    Aber die Machtverhältnisse, zumindest im deutschsprachigen Raum sind ziemlich eindeutig. Daher ja die Verzweiflung...
    (Ich kann letztere durchaus verstehen, da ich mich in Dingen, die ich zumindest teilweise für wichtiger als Regietheater halte, in einer ähnlichen Position befinde.)


    NB: Ich habe keine Ahnung, wo unter den Opernfreunden die Mehrheit liegt, da naturgemäß sich scharfe Kritiker oder besonders Begeisterte am lautesten und häufigsten äußern. Bei der schweigenden Mehrheit weiß man in vielen Fällen eben gerade nicht, ob sie es nur "toleriert". Die wenigen Zahlen, die ich finde, zeigen jedenfalls insgesamt keine massiv eingebrochene Auslastung in den letzten ca. 20 Jahren (was vielleicht ein zu kurzer Zeitraum ist).

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  • Warum ist eine "Stummfilm-Zauberflöte" akzeptabel, aber eine "Entführung aus dem Bordell" nicht mehr (falls jemand das genau so meinen würde).


    Vielleicht, weil man bei der letzteren Variante erstens eine spektakuläre Absicht dahinter vermutet und zweitens - und das dürfte der Hauptgrund sein - weil man eine zu große Verfremdung gegenüber dem Sinn des Werkes verspürt.
    Konventionen, denke ich, sind eine starke Gesellschaftsstütze und beeinflussen vielfach das Urteil des Einzelnen. Wenn einer in Deutschland bei Tisch das Messer abschleckt, hat er schlechte Manieren. In Schweden dagegen fällt er kaum auf. Mich stört es immer noch, obwohl es objektiv gesehen keinen Grund dafür gibt.
    Es scheint mir allerdings, das Normen und Konventionen zu einem gewissen Grad den Menschen eine Identität geben, ohne die sie sich nicht wohl fühlen würden. Da stellt sich dann die Frage, wie lange eine Gesellschaft es aushält, aus unzufriedenen Menschen zu bestehen.

  • Natürlich habe ich die Brisanz verstanden. Aber ändern können wir sowieso nichts. Im Grunde hattest du vorher ja schon geschrieben das eigentlich alles Regietheater ist. Da könnte man jetzt diskutieren ob es gut gemacht ist oder nicht. Warum gehen wir dann in eine Premiere ? Weil wir nicht wissen was uns erwartet , und das ist das spannende. Hinterher kann man sagen man geht noch mal rein oder Und Die Kürzung der Subventionen bringen auch nichts, das siehe ich hier seit Jahren in Duisburg. Wäre das Duisburger Haus nicht in einer Opernehe mit Düsseldorf, hätten wir schon lange kein Opernhaus mehr. Und das mit den Sängern hab ich nur erwähnt weil es mich immer ärgert, wenn nur über die Inszenierung und nichts über die Sänger geschrieben wird, die gehören ja schließlich auch zur Oper. Und nur konzertante Opern aufzuführen bringt auch nichts, weil dann diejenigen die Wert auf Handlung legen nicht hingehen würden , obwohl ich letzten einen sehr guten Tristan aus Berlin gesehen habe, da brauchte man wirklich keine Inszenierung, weil die Sänger wunderbare Rollengestalter waren.

  • Die Frage von dir. lieber Hami, hat mich nachdenklich gemacht: Wie lange hält es eine Gesellschaft aus, aus unzufriedenen Menschen zu bestehen?
    Na ja, eine Gesellschaft hält viel aus, und eine so bunte, wie wir es inzwischen sind, noch mehr. Aber sie zerfällt auch immer mehr in (Interessen-)Gruppen, die völlig unabhängig voneinander existieren. Die großen (wie Fußballfans oder andere Sportsfreunde) leben relativ am zufriedensten, halten ihresgleichen womöglich gar für die Gesellschaft schlechthin. Aber je kleiner und spezieller sie sind, desto schwieriger wird es mit ihrer Zufriedenheit. Und wenn sie dann noch von Subventionen abhängig sind wie Opernfreunde, wird es vollends prekär: Da schleppt man auch noch ein schlechtes Gewissen mit sich herum, weil man Steuergelder in Anspruch nimmt.


    Ein Ausweg? Der billigste wäre ein elitärer Hochmut, dass man einen besonders anspruchsvollen Geschmack hat. Aber damit ist in einer Demokratie auch nicht gut sein, weil man sich vor dem Massengeschmack verstecken muss. Und wer läuft schon gern mit eingezogenem Kopf durch die Welt? Vollends ärgerlich wird es, wenn wir uns in gegnerische Gruppen spalten, deren Diskussionen sich so lange im Kreise drehen, bis die Erschöpfung beide einholt.


    Könnte es sein, dass die beiden Gruppen von verschiedenen Dingen reden? Ich meine nicht nur unterschiedliche Akzente im Repertoire setzen (das sowieso!), sondern unter dem selben Begriff (wie Werk oder Regie) etwas gänzlich anderes verstehen? Dann hätten wir auf Dauer kaum eine Chance auf gesellschaftliches Überleben. Ich fürchte, wir führen diese Rückzugsgefechte. Damit will ich keineswegs Friede Freude Eierkuchen predigen - aber reine Selbstzerfleischung ist auch nicht die Lösung.


    Brainstorming ist angesagt - meint Sixtus

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