Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Darf ich fragen, auf welche Daten sich diese Aussage stützt, aus welchen Erhebungen sie stammen und was ihre Verlässlichkeit verbürgt?

    Langjährige empirische Erfahrung. Glaubt jemand ernsthaft, die Mehrheit des Publikums ginge wegen bspw. Calixto Bieito in eine Opernvorstellung?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mit solchen gefühlten Daten ist es immer so eine Sache. Da kann leicht jemand kommen und behaupten, seine langjährige empirische Erfahrung (ein schöner Pleonasmus übrigens) besage das Gegenteil. Das ist dann schwer zu widerlegen. Auf diese Weise kommt man nicht weiter, wenn man nicht auf irgendeine Weise die Macht hat, die Wahrheit festlegen zu können.

  • Gemein ist vielen Regisseuren und Kritikern die Verachtung des (zahlenden) Publikums. Hier zieht man insofern an einem Strang und verkennt geflissentlich, dass man ohne dasselbe Publikum schnell passé würde.

    Das ist nicht nur auf Regisseure und Kritiker beschränkt. sondern ein - fast möchte man sagen "natürlicher Vorgang"

    Überall wo sich ein "gesicherter Bereich" entwickelt oder sich eine Gruppe oder Organisation obenauff fühlt, beginnt sie die Welt zu tyrannisieren, Das gilt für Supermärkte, Internationale Konzerne, Politparteien, Staaten,Weltanschauungen und nicht zuletzt Religionen aller Coleur. Wir erleben es jetz bei der "letzten Generation", die allerdings nicht so mächtig ist wie sie sich dünkt, und die übersieht, daß Ihr Anliegen non mal nicht das Anliegen der derzeit Reichen und Mächtigen ist - un d der Mehrheit der jetzt lebenden Bevölkerung ist egal was in 30 oder 40 Jahren passierrt oder nicht passiert.


    Und da finde ich wieder geradezu nahlos und elegant zu unsem Kernthema zurück und beantworte hier eine von "Orfeo" gestellte Frage (wenngleich sie hypothetisch, provokativ ist;))

    Wenn dem Publikum die hier geforderte absolute "Werktreue" wirklich so enorm am Herzen läge, könnte es doch, wenn es wollte, einfach wegbleiben. Tut es aber nicht!

    Die Anwort wird vielleicht eingige erstaunen, die anderen erschüttern


    Die Wahrheit ist, daß BEIDE Gruppen global gesehen eher winzig sind.

    Der Rest der Wellt teilt sich in eine etwas Größere Gruppe der Melomanen und Fans UND der Hauptbevölkerungsgruppe, der das alles egal ist.

    Sowohl den Melomanen, als auch den Fans ist eigentlich egal was da auf der Bühne gezeigt wird.

    Diese Eigenschaft teilen sie mit einer weiteren - eher aussterbenden Gruppe, der des Bildungsbürgertums und (zuvor) des Adels

    Man ging ins Theater (Oper) um auch von jenen Leuten in der neuesten Garderobe gesehen zu werden, die keine Sonntagsmessen besuchten.

    Die Melomanen wollen schöne Stimmen hören - die Fans ihre Stars anbeten

    Was sich da auf der Bühne abspielt ist den meisten völlig egal - die beiden zu Beginn erwähnten Grüppchen ausgenommen..


    Einen weiteren Hinweis gibt die Antwort auf die (nichr gestellte) Frage:

    Warum revoltiert nicht die "breite" Masse, die an Musik desinteressiert ist. und frag, warum ihr Steuergeld für eine Kunst verbraten wird, die keine mehr ist - und selbst wenn - die kaum jemanden mehr interessiert (?)


    Wir sind in gewisser Weise amerikanisiert: Der Hauptteil der Bevölkerung ist gegen alles abgestumpft.

    Ob das so bleibt ist die Frage. Meine Prognose ist hier: Eher nein


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • m Prinzip könnte man eine typische Opernvorstellung (vornehmlich bei Wagner) heutzutage dergestalt simplifizieren:

    Lieber Joseph II. Du möchtest unbedingt Befürworter des RT-Theaters erzeugen. Gutes Simplifizieren ist eine große Kunst, die nur wenige auf der Welt so beherrschen, dass die tragenden Strukturen hinter der unübersichtlichen Oberfläche sichtbar werden. Meistens führt sie einfach nur zu einem simplen Weltbild, was zu nichts anderem dient, als Andersdenkende in die Ecke stellen zu können.


    Langjährige empirische Erfahrung. Glaubt jemand ernsthaft, die Mehrheit des Publikums ginge wegen bspw. Calixto Bieito in eine Opernvorstellung?

    Ich werde wohl jetzt so jemand, einfach, um es einmal gesehen zu haben und, um zu wissen, worüber gesprochen wird. Vielleicht bin ich dann dann in der Diskussion der einzige. Damit kann ich dann leben. :)


    Welche Hybris bringt Dich denn auf den Gedanken, Deine ästhetischen Vorstellungen seien generell selbstverständlich und bräuchten nicht begründet zu werden?


    Und um es gleich klarzustellen. Brüllende Idioten sind kein Argument. Die finden sich auf jeder Demo von Impfverweigerern in beliebigen Mengen....

  • Mit solchen gefühlten Daten ist es immer so eine Sache. Da kann leicht jemand kommen und behaupten, seine langjährige empirische Erfahrung (ein schöner Pleonasmus übrigens) besage das Gegenteil. Das ist dann schwer zu widerlegen. Auf diese Weise kommt man nicht weiter, wenn man nicht auf irgendeine Weise die Macht hat, die Wahrheit festlegen zu können.



    Ich denke, die neuen Mitglieder Symbol und Werner Hintze sind sehr willkommen. Ich frage mich nur, warum die Neuen sich immer sofort auf den Regietheater-thread stürzen, und nicht nur das, sondern auch sofort vehement für das RT sind. Mit Argumenten, die hier schon 2500x ausgetauscht sind und die Gegner auch nach wie vor nicht überzeugen (ich bin allerdings weder Gegner noch Befürworter).

    Ich lese gerade Südseegeschichten von Somerset Maugham. Die bemitleidenswertesten Personen sind dort die christlichen Missionare, die Chinesen oder Bewohner der Südsee-Inseln missionieren wollen. Meist werden diese Missionsversuche durch einheimische junge Mädchen beendet (ist jetzt kein Rassismus, steht bei Maugham so).

    "Auf diese Weise kommt man nicht weiter..." In punkto Regietheater kann man überhaupt nicht weiterkommen, das lehrt uns doch die endlose Debatte. Es ist eine pseudo-theologische Debatte. Und welche Macht soll hier jemand haben, die Wahrheit festzulegen, eine Wahrheit, die es hier nicht geben kann.

    Natürlich hat Alfred auch insofern Recht, als dass es den meisten egal ist, Hauptsache, Fußball, Bier und Helene Fischer bleiben:untertauch:

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ich denke, die neuen Mitglieder Symbol und Werner Hintze sind sehr willkommen. Ich frage mich nur, warum die Neuen sich immer sofort auf den Regietheater-thread stürzen, und nicht nur das, sondern auch sofort vehement für das RT sind.

    Es tut mir leid, ich bin nicht vehement für das, was hier »RT« genannt wird, ich weiß nämlich gar nicht, was das sein soll. Bisher konnte es mir auch keiner erklären. Darum vertrete ich die Position des »RT« auch nicht mit Argumenten, sondern frage lediglich, wie die Argumente der Gegner dieses geheimnisvollen »RT« sich begründen lassen. Das konnte mir bisher auch keiner erklären lassen. Stattdessen wird mir unterstellt, ich wäre für dieses dubiose »RT«, wovon ich ja doch wohl etwas wissen müsste.

  • Dem kann abgeholfen werden: Was Regietheater oder besser noch: Regisseurstheater ist, hier wird man fündig (eigentlich wurde es in diesem Thread aber schon genannt):


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das Machwerk kenne ich (die paar Seiten sind ja schnell gelesen). Es enthält einige geschmäcklerischen Nörgeleien, aber keine einzige sachliche, also ernstlich verwertbare Aussage zum Thema.

  • Lieber Joseph II. Du möchtest unbedingt Befürworter des RT-Theaters erzeugen.

    Die gab es bereits ganz ohne mein Zutun, lieber astewes.


    Vielleicht bin ich dann dann in der Diskussion der einzige. Damit kann ich dann leben. [Anm.: im Bezug auf den Besuch einer Vorstellung primär wegen eines Regisseurs, hier konkret Bieito]

    Dies sei Dir völlig unbenommen. Ich frage mich bei so etwas dann allerdings schon, wie ernsthaft das Interesse an der jeweiligen Oper ist, wenn man diese vorrangig wegen des Regiekonzepts besucht und nicht wegen der Musik. Heutige Kritiken verfolgen zumindest im deutschsprachigen Raum häufig ein solches Muster, was zu Lasten der kritischen Beurteilung der Gesangsleistungen geht. Hierauf wurde bereits verwiesen.


    Welche Hybris bringt Dich denn auf den Gedanken, Deine ästhetischen Vorstellungen seien generell selbstverständlich und bräuchten nicht begründet zu werden?

    Begründungen erfolgten in diesem seitenlangen Thema nun doch aber "noch und nöcher", nicht nur meinerseits. Dass sie entweder nicht zur Kenntnis genommen wurden oder aber vermeintlich keine Geltung haben sollten, ändert ja nichts daran, dass sie durchaus angeführt wurden. Wenn aber die Verfechtung einer möglichst strengen Werktreue als Hybris zu gelten hat, bin ich dessen wohl überführt. Aber damit kann auch ich gut leben.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die »Verfechtung« einer »möglichst strengen« (welche Nachtigall höre ich da trapsen?) Werktreue ist keine Hybris, wenn eine Begründung dafür geliefert wird, warum diese verbindlich sein soll. Die fehlt aber leider.

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  • welche Nachtigall höre ich da trapsen?

    "Merkwürd'ger Fall!", sprach Konrad Nachtigall. "Wenn spricht das Volk, halt' ich das Maul."

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich sehe mich nicht gezwungen, immer und überall Respekt explizit "zum Ausdruck" zu bringen. Mir reicht es, wenn ich ihn habe.

    Mir reicht es, wenn ein Künstler seinen Respekt dadurch zum Ausdruck bringt, dass er so sorgfältig arbeitet, wie es ihm möglich ist.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Mir war übrigens bisher gar nicht bewusst, dass Respekt eine ästhetische Kategorie und ein Kriterium für die Qualität eines Kunstwerks ist. Und wenn ich es mir recht überlege, muss ich gestehen, dass ich das auch stark bezweifle.


    Um noch einmal auf Siegfried zu kommen: Er ist bei der Herstellung seines Schwert nicht erfolgreich, weil er die »Vorlage« respektvoll behandelt, ganz im Gegenteil. Mime hingegen ist (wie Beckmesser) ein respektvoller Bewahrer der Tradition oder will es zumindest sein. Man sieht, was dabei herauskommt.

  • Ich lese gerade Südseegeschichten von Somerset Maugham. Die bemitleidenswertesten Personen sind dort die christlichen Missionare, die Chinesen oder Bewohner der Südsee-Inseln missionieren wollen. Meist werden diese Missionsversuche durch einheimische junge Mädchen beendet (ist jetzt kein Rassismus, steht bei Maugham so).

    "Auf diese Weise kommt man nicht weiter..." In punkto Regietheater kann man überhaupt nicht weiterkommen, das lehrt uns doch die endlose Debatte. Es ist eine pseudo-theologische Debatte. Und welche Macht soll hier jemand haben, die Wahrheit festzulegen, eine Wahrheit, die es hier nicht geben kann.

    Ich bin ja nun ein altmodischer Aufklärer, der gerne an die Macht der Argumente glaubt. Gerade diese RT-Diskussion macht mich leider auch so skeptisch wie Du. Keine der beiden Seiten ist in der Lage die Sinnhaftigkeit von dem, was die andere Seite tut und/oder sagt, überhaupt einzusehen. Deshalb pflegt man dann die "Rituale", mit denen man den geschlossenen Zirkel (oder anders gesagt die Filterblase), in der man sitzt, nur noch geschlossener macht. In einem Hifi-Forum sagt kürzlich ein Bekannter von mir schön, dass er solche Begriffe wie "Voodooist" nicht mag, weil es Kampfbegriffe sind, nur mit dem Ziel der Ausgrenzung. Genauso ist es in der RT-Debatte mit Begriffen wie "Werktreue", "Respekt", dem Sprachgebrauch "Material". Sie werden zum Erkennungsmerkmal, mit denen man die Zugehörigkeit zu seinem Zirkel deutlich macht - ihr ursprünglicher Sinn ist gar nicht mehr präsent. Michel Foucault hat die Machtdiskurse analysiert, welche die Funktion der Eingrenzung und Augrenzung haben. Wer von "Werktreue" redet, der grenzt aus und ebenso das Theaterleute-Kauderwelsch - was viel Verwandtschaft hat mit dem berühmten Soziologenkauderwelsch. Der Theatermensch verabscheut Begriffe wie "Werk" oder "Werkgerechtikgkeit" und redet statt dessen vom "Material" - auch dann wenn diese Sprache auf Menschen außerhalb des Zirkels befremdlich wirkt. Nach dem Motto: Mit denen will ich nichts zu tun haben, also spreche ich auch unbeirrt weiter und weiter nur meine Privatsprache. Da zeigen sich leider die Theaterleute wenig kritikfähig - sondern reagieren wie die beleidigte Leberwurst, wenn man das kritisiert. ^^ Beleidigtsein - das kennen wir aus dem Alltag - ist ein gutes Mittel, sich gegen Kritik zu immunisieren. ("Er": Die Handtssche ist zu teuer! "Sie" beleidigt: Du willst mir doch nicht unterstellen, ich kann mit dem Geld nicht umgehen! Kritik von ihm ist damit gegenstandslos. ^^ ) Das gilt für die andere Seite der RT-Gegner ganz genauso, die nicht "belehrt" werden wollen und beleidigt reagieren, wenn man ihnen sagt, was sachlich nicht stimmt. Ich persönlich mag keine Rituale. Deswegen rede ich auch weiter unbeirrt von "Werkgerechtigkeit" ... Aber zu den Sachpunkten komme ich noch. Ich bleibe ein unverbesserlicher Aufklärer... :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Langjährige empirische Erfahrung. Glaubt jemand ernsthaft, die Mehrheit des Publikums ginge wegen bspw. Calixto Bieito in eine Opernvorstellung?


    Welche Hybris bringt Dich denn auf den Gedanken, Deine ästhetischen Vorstellungen seien generell selbstverständlich und bräuchten nicht begründet zu werden?


    Begründungen erfolgten in diesem seitenlangen Thema nun doch aber "noch und nöcher", nicht nur meinerseits. Dass sie entweder nicht zur Kenntnis genommen wurden oder aber vermeintlich keine Geltung haben sollten, ändert ja nichts daran, dass sie durchaus angeführt wurden.


    Die Hauptaussage verstehe ich so: Aufführungen müssen werktreu sein


    Dazu ist der Begriff "werktreu" insoweit infrage gestellt worden, ob dieses Verständnis ("so wie Wagner das aufgeschrieben hat, so wie Mozart das wollte") im Rahmen einer Opern/Theateraufführung als exakte Befolgung machbar ist und überhaupt Sinn hat. Diese Diskussion ist für meine Begriffe noch offen


    Was ist nun seitenlang als Argument gekommen? (persönlicher Extrakt!)


    1. Bilder und Äußerungen in der Form: "Da sieht man es doch und es ist ja wohl klar, dass ..." zusammen, mit "Bäh" wie kann man nur?.

    2. Autoritäten verschiedener Couleur, die das auch so sehen wollen

    3. Wenn man nun sagt, dass sei Mozarts Zauberflöte oder Wagners Ring, dann ist es doch klar, dass in diesem Falle die beiden titelbestimmenden Personen ja die aufführungsbestimmenden Parameter setzen müssen.


    Ad 1) Das hätte ich nicht einmal im Sandkasten ernst genommen. Dafür fehlt mir einfach das Verständnis.

    Ad 2) Ich bin wenig autoritätsgläubig. Ich lasse mich gerne anleiten und mit Argumenten überzeugen, aber ich folge nicht einfach einer Meinung, nur weil sie ein anderer auch hat.


    Ad 3) Das hier ist ein wenig komplizierter.:


    a) Es ist ja durchaus möglich, dass es sich hier um einen Zeitgeschmack und Marketing handelt. Also werden Aufführungen so bezeichnet, wie sie sich am besten verkaufen. Also im Operngebäude "Der neue Mozart nach Bieito" und im Kino "Der neue Emmerich nach Mozart" etc. Wäre das die einzige Begründung für die Betitelung, wäre es IMO sinnlos, einen ästhetischen Zusammenhang suchen zu wollen, weil der Zusammenhang bloß im Marketing begründet wäre. Das würde selbstverständlich auch schon für die Zeit Mozarts gelten können. Damals gab es eben andere Zugpferde. Wenn ich mich noch richtig erinnere, hat man hin und wieder auch Musik eines unbekannten Komponisten unter dem Namen eines bekannteren verkauft :)


    b) Machen wir die Annahme, dass die Betitelung nicht bloßes Marketing ist, sondern auf einen in der Ästhetik begründeten Zusammenhang zwischen Mozarts (Wagners etc) Werk (und Schikaneders :)) und der Aufführung an sich referenziert, dann wäre dieser auszuführen. Da kommen wir wieder auf den Begriff der Werktreue. Dieser soll nun die Beziehung herstellen, scheint mir aber ohne Diskussion nicht verständlich zu sein. Ich habe in #395 versucht, darauf hinzuweisen (ist auch schon häufig an anderer Stelle und von anderen passiert) , dass man ein Drama von Moliere, Skakespeare und wahrscheinlich von Wagner genießen kann, ohne an einer Aufführung teilzunehmen. Es ist also ein Kunstwerk für sich. Wenn der Titel "Aufführung von Mozarts Zauberflöte nach Bieito" (weiß gar nicht, ob es die gibt ... ;)) ästhetisch etwas bedeutet, wäre zu klären, in welcher Beziehung nun die Kunstwerke "Mozarts Zauberfötenpartitur" (und Schikaneders Libretto) zum Kunstwerk Opernaufführung stehen. In diesem Zusammenhang hatte ich auf eine Faustaufführung von Bernhard Minetti hingewiesen, der mit dem Text sehr frei umging und dem "Faust" eine eigene Gestaltung verlieh, die mich faszinierte ... Also eine tolle Aufführung. War das jetzt Goethes Faust? Hatte Minetti den Faust als Material für seine Aufführung genommen und Etikettenschwindel betrieben weil man hätte sagen müssen "Eine Aufführung von Bernhard Minetti mit Material der Kleidungsfirma X und Möbeln aus dem Möbelhaus Y und einem Text von Goethe"?


    Ich finde die Antwort auf diese Frage keineswegs einfach und selbstverständlich.

  • Der Theatermensch verabscheut Begriffe wie "Werk" oder "Werkgerechtikgkeit" und redet statt dessen vom "Material" - auch dann wenn diese Sprache auf Menschen außerhalb des Zirkels befremdlich wirkt.

    Ich bin zwar kein "Theatermensch" (was ist das überhaupt?), aber ich verwende Begriffe, die das, was ich zu sagen habe, am präzisesten ausdrücken.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Der Theatermensch verabscheut Begriffe wie "Werk" oder "Werkgerechtikgkeit" und redet statt dessen vom "Material" - auch dann wenn diese Sprache auf Menschen außerhalb des Zirkels befremdlich wirkt.

    Ich weiß nicht, wer »der Theatermensch« ist. Ist das ein Verwandter von »dem Afrikaner« oder »dem Russen«? Ich nehme an, der Begriff »Theatermensch« soll die Menschen bezeichnen, die im und für das Theater arbeiten. Und das ist eine große Gruppe, so dass das Wort in dieser Allgemeinheit doch wohl nur im Plural sinnvoll zu verwenden ist.


    Wie dem auch sei, es mag Menschen geben die die genannten Begriffe verabscheuen, die hier vorgenommene Generalisierung ist aber mit Sicherheit unzulässig. Ich zum Beispiel pflege kein irgendwie geartetes emotionales Verhältnis zu Begriffen, gleich welcher Art. Weder liebe noch verbscheue ich sie. Auch habe ich gar nichts gegen den Begriff »Werk«. Ich wüsste auch nicht, woraus das hervorgehen sollte. Ich ersetze den Begriff »Werk« auch nicht durch den Begriff »Material«. Nichtsdestoweniger glaube ich ich mich als Theatermensch bezeichnen zu dürfen, so dass diese allgemeine Aussage auf mich zutreffen müsste, wenn sie denn überhaupt zutreffend sein soll. Ich wüsste übrigens auch nicht, welchen Sinn diese letztgenannte Ersetzung haben könnte. Aber vielleicht hast Du ja eine Idee und kannst mir helfen.


    Den Begriff »Werktreue« oder den angeblich besseren »Werkgerechtigkeit« lehne ich freilich im Zusammenhang mit der Debatte über das Theater ab. Allerdings nicht, weil ich ihn verabscheue, sondern weil ich ihn für unbrauchbar erachte. Und zwar zu allererst, weil ich eine Verbindung eines ästhetischen mit einem moralischen oder juristischen Begriff für sinnlos erachte, zum anderen, weil ich nicht erkennen kann, wie sich die moralische Forderung, die sich aus diesem Begriff ergibt, begründen lässt.


    Dass die Begriffe, deren Verwendung ich für sinnvoll erachte, möglicherweise bei Leuten, die ihren Inhalt nicht kennen, befremdlich wirken können, ist mir übrigens schnurzpiepegal.


    Die Hauptaussage verstehe ich so: Aufführungen müssen werktreu sein

    Und daraus ergeben sich zwei Fragen, die in diesen Diskussionen dieser Art konsequent unbeantwortet bleiben:


    1. Was heißt »Werktreue«?

    2. Wie lässt sich die Forderung nach diesen ominösen Treue begründen?


    Statt diese sich aus der oben zitierten Äußerung selbstverständlich ergebenden Fragen zu beantworten, wird lieber unterstellt der da fragt, habe eine positive Äußerung getätigt, was nicht der Fall ist. Angeblich soll er erklärt haben, dass er das, was gern »Regietheater« genannt wird unterstützt. Und gegen diese aus der Luft ausgedachte apologetische Bemerkung wird dann polemisiert. Wie sinnvoll das ist, hängt davon ab, was man erreichen will. Wenn es um eine sinnvolle Debatte mit rationalen Argumenten geht, in deren Verlauf möglicherweise neue Erkenntnisse gewonnen werden, ist es mit Sicherheit nicht sinnvoll. Wenn nicht, dann allerdings...

  • Und welche Macht soll hier jemand haben, die Wahrheit festzulegen, eine Wahrheit, die es hier nicht geben kann.

    :thumbup:

    Der Ausgangspunkt ist, ein historisches Werk auf die Bühne zu bringen, das zu einer anderen Zeit für ein anderes Publikum geschrieben wurde. Egal, wie man es angeht, es wird eine Form von Widersprüchlichkeit entstehen. Nun kann ich Regietheater nicht ausstehen und bin ziemlich auf eine HIPpe Darbietungsform eingeschworen, dennoch verstehe ich natürlich die jeweiligen Ziele und Defizite. Die Versuche, die eine oder andere Art als zwingend notwendig hinzustellen und die Kritiker als Deppen sind nur peinlich und, wenn sie von Seiten der Macht kommen, widerlich. Ich lese daher in diesem Thread keine Beiträge von Symbol, Köhn und Hintze mehr, habe ja keine Lust, mich zu ärgern, die Herren kenne ich schon.

  • Der Ausgangspunkt ist falsch gewählt, darum ist auch alles andere falsch. Das Theater bringt nicht ein altes Werk auf die Bühne, sondern produziert Theaterkunstwerke, die andere Werke (dramatische, musikalische, solche der bildenden Kunst usw. usf.) in sich aufnehmen können, aber nicht müssen. Sollte diese Aussage falsch sein, müsste sich zeigen lassen, dass Theater nicht existieren kann, wenn keine Werke »auf die Bühne gebracht« werden, die zu einer anderen oder derselben Zeit entstanden sind. Das ist aber offensichtlich eine unsinnige Aussage.

  • Der Ausgangspunkt ist, ein historisches Werk auf die Bühne zu bringen, das zu einer anderen Zeit für ein anderes Publikum geschrieben wurde.


    Der Ausgangspunkt ist falsch gewählt, darum ist auch alles andere falsch. Das Theater bringt nicht ein altes Werk auf die Bühne, sondern produziert Theaterkunstwerke, die andere Werke (dramatische, musikalische, solche der bildenden Kunst usw. usf.) in sich aufnehmen können, aber nicht müssen.


    Das ist doch schon (und schön) pointiert!


    Es scheint mir so zu sein, dass die zweite Auffassung die erste als Problem allerdings beinhaltet. Sollte nämlich ein Text, der zu einer anderen Zeit für ein anderes Publikum geschrieben worden ist, in das Theaterstück aufgenommen werden, taucht natürlich das Problem der Übertragung auf ...


    Wenn wir also über Opern und Theater reden wollen, die historische Texte integrieren, und die scheinen ja der Gegenstand des eigentlichen Interesses zu sein, muss die Frage beantwortet werden, wie man einen solchen Text mit Hinblick auf das Ziel, die eigentliche Vorstellung nämlich, analysieren kann. Hier müssen natürlich die anderen Aspekte einer Vorstellung (Handlung auf der Bühne, Deko etc mit in die Diskussion eingebracht werden)


    Ich bleibe dabei, dass das Beispiel Lutz-Lohengrin doch dafür eine gute Vorlage sein könnte.



    Dazu kommen natürlich Erwartungen vom Publikum:


    1. Das Publikum, dass ganz einfach eine Theatervorstellung genießen kann, unabhängig davon, welche Quellen angezapft werden

    2. das Publikum, was mit Partitur und Textbuch dasitzt und Vergleiche zu Abweichungen anstellt

    3. das Publikum, was Partitur und Text schon kennt und sich die ganze Zeit über ein falsches Verständnis ärgert

    4. das Publikum, was die Voraussetzungen unter 3. erfüllt und sich ggf. über die moderne Art der Integration freut

    5. das Publikum, dem das alles egal ist und welches nur schöne Stimmen hören möchte und sich dann darüber Gedanken macht, ob der Sänger die benötigte Stimmlage eigentlich mit dem erforderlichen Volumen noch richtig hinkriegt (ich neige dazu nach Alfred diese Menge fast als die größte anzusehen)

    6. das Publikum, was es genießt, wenn man sich zur Oper noch richtig anziehen kann (wann passt überhaupt heute noch Smoking?) und hofft, dass der musikalische Teil nicht zu umfangreich ist und recht häufig durch hübsche Pausen mit Wein und Häppchen unterbrochen wird (diese Menge ist wahrscheinlich im Schrumpfen begriffen, wenn ich an die Kleidungsoffensiven meiner letzten Opernbesuche denke - ist aber auch schon lange her.)


    Allerdings glaube ich, dass zu starkes Rekurrieren auf das Publikum uns in der ästhetischen Debatte nicht weiterbringen wird .... zumal ja die Erziehung bei einigen so deutlich zu wünschen übrig lässt, dass ich deren Agieren ungern mit dem Wörtern Kultur und Geschmack zusammenbringen möchte ...

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  • Die Staatsoper Wien behauptet jedenfalls auf ihrem Spielplan, historische Werke aufzuführen. Womöglich käme sonst deutlich weniger Publikum.

    Man sollte den Aspekt des Marketings nicht vergessen. Nur weil Wiener Staatsoper und Semperoper das so ihren Publikum (siehe Beitrag #441) verkaufen, muss es ja nicht so sein.

  • Es scheint mir so zu sein, dass die zweite Auffassung die erste als Problem allerdings beinhaltet. Sollte nämlich ein Text, der zu einer anderen Zeit für ein anderes Publikum geschrieben worden ist, in das Theaterstück aufgenommen werden, taucht natürlich das Problem der Übertragung auf ...

    Da mahne ich zur Vorsicht. Ich würde das Wort »Übertragung« vermeiden.


    Nichtsdestoweniger ist es natürlich richtig, dass die Probleme, wenn der erste Schritt geklärt ist, erst anfangen. Ohne jeden Zweifel muss die Frage geklärt werden, welchen Platz die Kunstwerke, die das Theaterkunstwerk in sich aufnimmt, in diesem einnehmen. (Eigentlich muss sogar die Frage gestellt werden, ob es sie in sich aufnimmt, oder auf andere Weise zu ihnen ins Verhältnis tritt und sie verwendet. Brecht zum Beispiel würde das Wort »aufnehmen« ablehnen oder zumindest zur Vorsicht bei seiner Verwendung mahnen, weil es zu sehr nach »Verschmelzung« klingt. Ich bin da derselben Meinung, aber provisorisch mag es mal so gehen.)


    Aber hier geht es ja um eine andere Frage, nämlich die, ob das Theaterkunstwerk ein eigenständiges ist oder die »Verwirklichung«, »Sichtbarmachung« oder eben »Aufführung« eines anderen, schon fertigen. Und die lässt sich ziemlich leicht beantworten, zum einen mit der Feststellung, dass Theater kein anderes Kunstwerk braucht, zum anderen dadurch, dass es keine Verwirklichung einer Dichtung sein kann, denn dann wäre die Dichtung Theater und das Theater gar nicht mehr nötig. Der Autor des Theaterereignisses ist also nicht Goethe oder Wagner. Sie haben nur einen Teil geliefert. Möglicherweise den wichtigsten, das wäre von Fall zu Fall zu diskutieren und ist von Fall zu unterschiedlich, aber eben nur einen Teil. Denn – ich wiederhole das, damit es nicht untergeht – die Dichtung ist kein Theater, sondern eine Dichtung.


    Eine wieder andere Frage ist, wie mit den Kunstwerken, die in das Theaterkunstwerk eingehen sollen, zu verfahren ist. Dass es sehr sinnvoll ist, sich das Material, mit dem man arbeitet, genau anzuschauen, wurde schon ausreichend oft bestätigt. Wie man das tut, und wie man ein Kunstwerk im Hinblick auf seine Verwendung im Kontext eines Theaterkunstwerks analysiert, ist eine handwerkliche Frage. Dafür hat sich im laufe der Zeit ein Reservoir an Techniken entwickelt, unter denen man je nach Notwendigkeit und Neigung auswählen kann. Welche da besser oder schlechter sind, ist keine Frage, die sich pauschal beantworten lässt, und selbstverständlich ist es erst recht keine moralische... ;)

  • Man sollte den Aspekt des Marketings nicht vergessen. Nur weil Wiener Staatsoper und Semperoper das so ihren Publikum (siehe Beitrag #441) verkaufen, muss es ja nicht so sein.

    Zu dem Thema gab's doch sogar schonmal eine Gerichtsverhandlung, als jemand sein Eintrittsgeld zurückhaben wollte, weil das Opernhaus nicht das gespielt hätte, was angekündigt war.

  • Und was ist damit gesagt? Es gibt da keinen Konsens. Es gibt verschiedene Auffassungen, woher der Klimawandel rührt. Viele Wissenschaftler deuten die Daten so, dass er vom Menschen verursacht wird, andere meinen, dass sich das aus den Daten nicht ergibt. Da ist also kein Konsens, so wenig wie auf so gut wie allen Gebieten.

    Du übersiehst hier einfach den Unterschied von alltäglichen und wissenschaftlichen "Meinungen". In den Wissenschaften gibt es ein sehr komplexes und ziemlich gut funktionierendes Evaluationssystem. Deshalb ist hier klar, dass die Beweise für einen Menschen gemachten Klimawandel erdrückend sind und das von nahezu allen maßgeblichen Forschern akzeptiert wird. Die wenigen Ausnahmen sind nicht Ernst zu nehmende Außenseitermeinungen.

    Im übrigen ist hier ja nicht vom Klimawandel und auch nicht von Naturwissenschaft die Rede, sondern von divergierenden ästhetischen Auffassungen. Und da gibt es eben keinen Konsens.

    Entscheidend ist finde ich, dass man nur über Begriffe streitet, die doch allgemein eine gewisse Bedeutung erlangt haben. Lebten wir um 1900, dann gäbe es um die "Werktreue" einfach keine solche heftig geführte Debatte, weil ganz andere Kriterien in diesem Zeitalter wichtig waren, welche die Gemüter bewegt haben. ^^

    Ich kenne nur sehr wenige Theoretiker und Praktiker, die den Begriff der Werktreue, wie er in solchen Diskussionen in der Regel angewandt wird, für sinnvoll erachten.

    Werktheoretiker diskutieren aber diesen Begriff - wie das etwa der (inzwischen verstorbene) Adorno-Schüler Albrecht Wellmer getan hat. Gerade wenn sie das kritisch tun, zeigt das doch, dass es nicht nur um den Begriff geht, sondern das damit zusammenhängende Ernst zu nehmende Problem.

    Wenn ich richtig verstanden habe, dreht sich die Diskussion hier um Theater. Was soll also diese Feststellung besagen? In Bezug auf das Theater wird über diesen sehr schwammigen Begriff diskutiert. Das ist unstrittig, man sieht es ja hier. Ob er auch in anderen Bereichen eine Rolle spielt oder diskutiert wird, tut hier gar nichts zur Sache.

    Ich glaube, dass dieser Begriff in der polemischen Auseinandersetzung mit RT mit Bedeutungen aufgeladen wurde, die er ursprünglich einfach nicht hatte. Ich komme noch einmal auf Maurizio Pollini zurück - hier aus diesem Film:


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    Pollini rühmt dort Arturo Toscanini. Vor Toscanini hätte man in Mailand Verdi-Opern nur in sinnentstellenden Kürzungen auf der Opernbühne erleben können. Toscanini hat sie erstmals "werktreu" ohne solche Kürzungen aufgeführt. Der ursprüngliche Sinn von "werktreuen" Aufführungen war also durchaus "avantgardistisch", setzte sich ab von einer fragwürdigen älteren Aufführungstradition. Es ging darum, eine Oper in Gänze aufzuführen, dass sie auch als ein sinnvolles Ganzes, wie sie es als "Werk" darstellt, wahrgenommen werden kann. In diesem Verständnis von Werktreue war überhaupt noch nicht das enthalten, was ihm als zusätzliche Bedeutung dann in der polemischen Auseinandersetzung um RT zugewachsen ist: dass man ein Libretto "buchstäblich" nehmen und in allen Details so in der Aufführung übernehmen soll (also auch mit sämtlichen Regieanweisungen). Den positiven und richtigen Sinn von "Werktreue", der bei Pollini anklingt, kann man als Werktheoretiker auch nach wie vor sehr gut begründen - um das Missverständnis von "Buchstabentreue" zu vermeiden, spreche ich lieber von "Werkgerechtigkeit". Das Werk kann man mit einem Haus vergleichen. Wenn ich in einem Haus wohne, kann ich verschiedene Veränderungen vornehmen: Ich kann die Wände neu tapezieren und streichen, oder sogar eine Wand herausnehmen und so aus zwei kleinen Zimmern ein großes machen. Das verändert das Haus. Nur muss ich dabei auf eines achten: Die Wand kann ich nur herausnehmen, wenn es keine tragende Wand ist, was auf dem Bauplan verzeichnet ist. Wenn ich nämlich eine tragende Wand herausnehme, bricht das Haus in sich zusammen. In diesem Sinne kann ein Regisseur also durchaus Veränderungen an der Vorlage vornehmen - wenn sie denn eben nicht die "tragenden" Elemente betreffen. Denn dann werden die Veränderungen sinnentstellend und sind nicht mehr werkgerecht. Ich kann bei einer Fabel nicht das fabula docet weglassen, dann hört sie nämlich auf, eine Fabel zu sein oder aus dem Tristan, der eine Tragödie ist, eine Komödie machen. Das ist eine Verbindlichkeit und Grenze künstlerischer Freiheit. Wenn man das nicht akzeptiert, wird eine Operninszenierung wirklich zur Bastelarbeit und ein Werk zum Steinbruch, wo man beliebig aus einer Kirche einen Fischmarkt machen kann...

    Den Rest übergehe ich, weil er in diesem Zusammenhang ganz irrelevant ist. Die Frage ist, warum das Theater verpflichtet sein soll, sich an eine »Werktreue« zu halten, die ungenau definiert ist. Nicht nur ist sie ungenau definiert, sie geht auch von einem keineswegs von allen (oder auch nur von vielen) für verbindlich erachteten Theaterbegriff aus. Es wäre also zu erklären, warum dieser Theaterbegriff defekt ist und aufgegeben werden muss.

    Ich halte es hier mit dem Freiheitsverständnis von Jean-Paul Sartre: Es ist meine Freiheit, wenn ich mich entschließe, den Tristan aufzuführen. Dann übernehme ich aber auch freiwillig die Verpflichtung zur Werkgerechtigkeit. Ich muss ja nicht Wagners Tristan aufführen. Wenn ich vorgebe zu tun, Wagners Tristan aufführen zu wollen, aber nicht bereit bin, die dazu gehörige Verpflichtung zur Werkgerechtigkeit zu übernehmen, dann ist das mit Sartre unehrlich, eine "Unwahrhaftigkeit" (frz. mauvaise foi). Ganz einfach ist das und sehr klar. ^^

    Das heißt wohl in erster Linie, zu klären, warum und wie das Theater zwingend auf einen zu interpretierenden Text angewiesen ist, der dem Theaterkunstwerk Grund- oder Vorlage ist, und demgegenüber es irgendeine Verpflichtung hat. Ich bestreite das und sehe keine Möglichkeit, das aus der Struktur des Theaterkunstwerks – das, man kann es anscheinend nicht oft genug wiederholen – für seine Existenz auf eine textliche oder musikalische Vor- oder Grundlage ganz und gar nicht angewiesen ist.

    (Das seltsamerweise beliebte Gegenargument, dass man zur Aufführung einer Mozart-Oper eine Partitur braucht, die Mozart geschrieben hat, ist natürlich unzureichend. Denn es besagt lediglich, dass es Theaterkunstwerke gibt, die andere Werke beinhalten können. Daraus folgt aber nicht, dass das für alle Theaterkunstwerke zutrifft, so wenig, wie aus der Existenz einerKirschtorte folgt, dass alle Torten Kirschen enthalten müssen.)

    Das ist viel zu allgemein und unverbindlich für meinen Geschmack. Wenn ich eine Oper aufführe, wo es eine Textgrundlage eben gibt, dann ist das für den Regisseur eine Verbindlichkeit. Wenn er das nicht akzeptiert, dann soll er die Oper nicht aufführen, sondern ein anderes Stück.

    Im Prinzip könnte man die Argumentation der Befürworter der sog. »Werktreue« heutzutage dergestalt simplifizieren: unterirdische Sachkenntnis, mediokre Argumentation, bemühte Autoritätsbeweise. Aber was wäre damit erreicht?

    Auf diesen Diskurs will ich mich jetzt gar nicht einzulassen. Denn unabhängig davon hat der Begriff "Werkgerechtigkeit" einen sachlich nachvollziehbaren Sinn, den man glaube ich Jedem vermitteln kann. ^^

    Man kann es anscheinend nicht oft genug wiederholen: Das Theaterkunstwerk ist nicht die Interpretation eines anderen Kunstwerks (sonst könnte es kein Theaterkunstwerk ohne ein solches zu interpretierendes Werk geben), sondern die Interpretation eines anderen Kunstwerks kann, muss aber nicht in das Theaterkunstwerk eingehen.

    Diese Aussage passt also nicht in den Zusammenhang und ist somit für diesen irrelevant. Wie es sich mit der Darbietung eine Klaviersonate verhält, ist ein anderes Thema, denn eine Klaviersonate ist weder ein Drama, noch ist ihre Darbietung Theater. Eine Apfel ist kein Blumenkohl. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

    Die Voraussetzung dieser Argumentation ist, dass das Kunstwerk ein Theaterkunstwerk ist und sonst nichts und also mit seiner jeweiligen Aufführung identisch. Nur dann ist nämlich das aufgeschriebene Werk etwas, was zusammenhanglos damit irgendwie "außerhalb" existiert. Es gibt hier aber nicht zwei Kunstwerke, sondern der Bezug zu einem von der jeweiligen Aufführung unabhängigen Werk (das verbindliche Ansprüche schlechterdings an jede Aufführung stellt), gehört eben mit zum "Theaterkunstwerk".

    Mir reicht es, wenn ein Künstler seinen Respekt dadurch zum Ausdruck bringt, dass er so sorgfältig arbeitet, wie es ihm möglich ist.

    Das kann ich voll akzeptieren! :)

    Mir war übrigens bisher gar nicht bewusst, dass Respekt eine ästhetische Kategorie und ein Kriterium für die Qualität eines Kunstwerks ist. Und wenn ich es mir recht überlege, muss ich gestehen, dass ich das auch stark bezweifle.


    Um noch einmal auf Siegfried zu kommen: Er ist bei der Herstellung seines Schwert nicht erfolgreich, weil er die »Vorlage« respektvoll behandelt, ganz im Gegenteil. Mime hingegen ist (wie Beckmesser) ein respektvoller Bewahrer der Tradition oder will es zumindest sein. Man sieht, was dabei herauskommt.

    Ich habe Respekt vor meiner Aufgabe als Lehrer, Migranten Deutsch beizubringen oder vor meiner Aufgabe, einen Lexikonartikel über Husserl zu schreiben. Da habe ich nämlich eine Menge Verantwortung. Genauso sollte ein Künstler Respekt haben vor der Aufgabe ein Werk zu interpretieren und aufzuführen. Denn auch das ist eine Verantwortung. Ästhetik ist zwar nicht moralisch an sich, aber Kunst zu "machen" ist eben nicht völlig frei von jeglicher Moral, wie jede andere Werktätigkeit auch.

    Den Begriff »Werktreue« lehne ich allerdings im Zusammenhang mit der Debatte über das Theater ab. Allerdings nicht, weil ich ihn verabscheue, sondern weil ich ihn für unbrauchbar erachte. Und zwar zu allererst, weil ich eine Verbindung eines ästhetischen mit einem moralischen oder juristischen Begriff für sinnlos erachte, zum anderen, weil ich nicht erkennen kann, wie sich die moralische Forderung, die sich aus diesem Begriff ergibt, begründen lässt.


    Dass die Begriffe, deren Verwendung ich für sinnvoll erachte, möglicherweise bei Leuten, die ihren Inhalt nicht kennen, befremdlich wirken können, ist mir übrigens schnurzpiepegal.

    Das Problem ist das von Fachsprachen. Wenn ich als Philosoph darauf beharre, dass man in Bezug auf Heidegger nicht vom "Subjekt" sondern nur vom "Dasein" sprechen kann, ist das nur für Fachphilosophen verständlich. Wenn ich einen Vortrag vor Laien halte, muss ich diesen Sprachgebrauch überdenken und mir was einfallen lassen.... ^^ :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • :thumbup:

    . Ich lese daher in diesem Thread keine Beiträge von Symbol, Köhn und Hintze mehr, habe ja keine Lust, mich zu ärgern, die Herren kenne ich schon.

    Ich würde es nicht so drastisch ausdrücken, denn es sind ja kluge Leute; trotzdem wiederholen sie alle 5000 "Argumente", die wir schon hatten. Außerdem: es sind ja neue Mitglieder, von denen man in anderen Themen wenig liest. Vielleicht erklärt mir ja jemand, wieso die Neuen (nicht alle) sich immer sofort auf die RT-Debatte stürzen und dort das Rad neu erfinden, ein Rad, das wir längst in die Scheune gestellt haben.

    Ich werde als nächstes hier mal ein Beispiel einstellen. Es handelt sich um eine meiner TOP 10-Lieblingsopern, nämlich das "Totenhaus" von Janacek (neben "Makropulos" der einzige Janacek, den ich nicht mitsingen kann:pfeif:). Es wird dirigiert von Pierre Boulez und inszeniert von Patrice Chéreau. Im Booklet äußert Chéreau sich über sein Regiekonzept, wobei er zugibt, dass er Janaceks Grundkonzept ändern musste. Ich muss das Video noch sehen, damit ich feststellen kann, ob er das wie so oft nur im Programmheft/booklet nur behauptet oder ob man es auch deutlich sieht.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ich würde es nicht so drastisch ausdrücken, denn es sind ja kluge Leute; trotzdem wiederholen sie alle 5000 "Argumente", die wir schon hatten. Außerdem: es sind ja neue Mitglieder, von denen man in anderen Themen wenig liest.

    Obwohl ich nun schon zweieinhalb Jahre hier poste, finde ich die Diskussion spannend. Ich kenne die 5000 Argumente, die hier wiederholt werden, gar nicht. Meines Erachtens sehe ich uns ganz am Anfang einer sinnvollen Auseinandersetzung ....


    Kurze Blicke in ältere Threads haben mich schnell Abstand nehmen lassen ...

  • Du übersiehst hier einfach den Unterschied von alltäglichen und wissenschaftlichen "Meinungen". In den Wissenschaften gibt es ein sehr komplexes und ziemlich gut funktionierendes Evaluationssystem. Deshalb ist hier klar, dass die Beweise für einen Menschen gemachten Klimawandel erdrückend sind und das von nahezu allen maßgeblichen Forschern akzeptiert wird. Die wenigen Ausnahmen sind nicht Ernst zu nehmende Außenseitermeinungen.

    Ja, das haben die Wissenschaftler, die das ptolemäische Weltsystem für das einzig plausible hielten, auch so gesehen. Und sie hatten durchaus gute Gründe dafür. Nur leider hat sich dann doch ein anderes als besser erwiesen und nach und nach durchgesetzt. Das besagt nun wirklich gar nichts.


    Werktheoretiker diskutieren aber diesen Begriff - wie das etwa der (inzwischen verstorbene) Adorno-Schüler Albrecht Wellmer getan hat.

    Ich fahre auf Autoritätsbeweise nicht so ab. Anders gesagt: Es interessiert mich nicht weiter, was irgendwer diskutiert. Soll er es tun. Er wird seine Gründe haben. Das zwingt mich nicht, dieser Diskussion zu folgen, und es zwingt mich schon gar nicht, in dieser Diskussion eine bestimmte Position zu beziehen.


    Ich will nicht bestreiten, dass der Begriff der Werktreue in gewissen Zusammenhängen, die mir (noch) nicht bekannt sind, sinnvoll anwendbar ist. Das ist mir gleichgültig, so lange ich diesen Zusammenhang nicht berühre. Wenn es um das Theaterkunstwerk geht, ist er nicht sinnvoll einzusetzen, jedenfalls nicht dann, wenn er in dem Sinne verwendet wird, wie es in diesen Debatten geschieht. (Einen anderen kenne ich nicht, es mag ihn aber geben, aber über Dinge, von denen ich nicht weiß, rede ich selbstverständlich nicht.)



    Das ist viel zu allgemein und unverbindlich für meinen Geschmack. Wenn ich eine Oper aufführe, wo es eine Textgrundlage eben gibt, dann ist das für den Regisseur eine Verbindlichkeit.

    Dass Du das so siehst, hast Du nun oft genug betont. Nur hast Du versäumt, die Frage zu beantworten, woraus sich diese Verbindlichkeit ergibt. Und das ist eben die Frage, um die es geht.



    Denn unabhängig davon hat der Begriff "Werkgerechtigkeit" einen sachlich nachvollziehbaren Sinn, den man glaube ich Jedem vermitteln kann.

    Mir konnte den bisher keiner vewrmitteln. Probiere es doch mal.


    Die Voraussetzung dieser Argumentation ist, dass das Kunstwerk ein Theaterkunstwerk ist und sonst nichts und also mit seiner jeweiligen Aufführung identisch. Nur dann ist nämlich das aufgeschriebene Werk etwas, was zusammenhanglos damit irgendwie "außerhalb" existiert.

    Nein. Das ist nicht meine Position. Meine Position ist, dass das Theaterkunstwerk ein Theaterkunstwerk ist. Das ist, glaube ich, nicht zu bestreiten. Vom Theaterkunstwerk gibt es keine »jeweilige« Aufführung, denn das, was man gemeinhin »Aufführung« nennt, ist eben dieses Theaterkunstwerk, zu dessen Charakteristika gehört, dass Produktion und Rezeption zeitlich zusammenfallen, dass es nicht konservier- und also auch nicht reproduzierbar ist.


    Und das aufgeschriebene Werk, das in das Theaterkunstwerk aufgenommen werden kann (kann!), auf welches das Theaterkunstwerk für seine Existenz aber keineswegs angewiesen ist, ist eben kein Theaterkunstwerk, sondern eine Dichtung oder eine musikalische Komposition oder eine Verbindung von beiden.


    Dieses existiert tatsächlich außerhalb des Zusammenhangs der Aufführung, denn sonst könnte man es ja nicht lesen, sondern nur im Theater anschauen. Allerdings entsteht, wenn diese Dichtung in das Theaterkunstwerk eingeht, etwa Neues, in dem die einzelnen Bestandteile keine selbständige, sondern nur noch eine aufeinander bezogene Wirklichkeit haben. Aber das ist schon wieder ein ganz anderes Problemfeld.



    Ich habe Respekt vor meiner Aufgabe als Lehrer, Migranten Deutsch beizubringen oder vor meiner Aufgabe, einen Lexikonartikel über Husserl zu schreiben. Da habe ich nämlich eine Menge Verantwortung. Genauso sollte ein Künstler Respekt vor der Aufgabe ein Werk zu interpretieren und aufzuführen.

    Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Aus der Tatsache, dass Du Respekt vor Deiner Aufgabe hast, schlussfolgerst Du, dass alle Regisseure der Welt vor der Aufgabe, dis Du ihm zuschreibst, Respekt haben? Das ist mir nicht klar.


    Abgesehen davon ist die Aufgabe des Regisseurs, die Erschaffung eines Theaterkunstwerks (ggf. in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern) zu leiten, nicht ein Werk zu interpretieren und aufzuführen. Da gibt es nichts zu moralisieren. Er hat sicherlich eine Verantwortung wie jeder Leiter, von dem andere Menschen abhängig sind, aber diese ist kein ästhetisches Phänomen und hat mit Ästhetik auch nichts zu tun.



    Das Problem ist das von Fachsprachen. Wenn ich als Philosoph darauf beharre, dass man in Bezug auf Heidegger nicht vom "Subjekt" sondern nur vom "Dasein" sprechen kann, ist das nur für Fachphilosophen verständlich. Wenn ich einen Vortrag vor Laien halte, muss ich diesen Sprachgebrauch überdenken und mir was einfallen lassen....

    Ich weiß nicht recht, was diese Aussage in diesem Zusammenhang verloren hat. Aber ich würde sagen (mal abgesehen davon, dass ich es möglichst vermeiden möchte, irgendwo über diesen Nazi zu sprechen), dass man, wenn man Leuten etwas erklären will, von dem Verständnis ausgehen sollte, das man bei ihnen voraussetzen kann, und von dort aus die Erklärung aufbaut. Das ist meiner Ansicht nach kein so großes Problem, sondern das Einmaleins der Pädagogik. Oder eigentlich jeglicher Kommunikakion

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