Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Du hast es einfach nicht verstanden. Der herablassende Sprachgebrauch, von einem Kunstwerk als bloßem "Material" zu sprechen, um eine Theateraufführung zu bewerkstelligen, geht zusammen damit, dass man seine Aufführung egomanisch als sein exklusives Eigentum betrachtet. Ich würde mir nicht anmaßen, wenn ich eine Arbeit über Husserl und Kant schreibe, in Bezug auf die Texte vom "Material" für "meine" Arbeit, die auch so etwas wie ein (wissenschaftliches) "Kunstwerk" ist, zu sprechen. Da haben wir Geisteswissenschaftler doch gelernt, Respekt und Achtung vor Autoren und ihren Werken zu haben.


    Die Bezeichnung "Material" ist ja keine qualitative, sondern eine funktionsbezogene. Wenn jemand eine künstlerische Aufführung macht und dabei das Kunstwerk einer anderen Person verwendet, ist dieses (rein funktional gedacht!) in diesem Kontext natürlich ein "Material". Damit wird diesem "Material" ja nicht abgesprochen, dass es sich um ein Kunstwerk ersten Ranges handelt.


    Du drückst Dich mit solchen sprachlichen Belehrungen ;) aber um die Antwort auf die eigentliche Frage. Wenn es de jure erlaubt ist, das Stück "Tristan und Isolde" als gemeinfreies Stück nach Belieben zu verwenden, auf welchen Umständen beruht es dann, bestimmte Arten der Verwendung als anstößig oder unangemessen einzustufen? Das geschriebene Recht, auf dem unser aller Zusammenleben basiert, ist es ja definitiv nicht. Man kann diese angebliche Anstößigkeit natürlich als persönliche Meinung äußern, aber dann ist es halt auch nur eine persönliche Meinung.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Der herablassende Sprachgebrauch, von einem Kunstwerk als bloßem "Material" zu sprechen, um eine Theateraufführung zu bewerkstelligen, geht zusammen damit, dass man seine Aufführung egomanisch als sein exklusives Eigentum betrachtet.

    Diesen Satz finde ich nicht nur wegen der "sprachlichen Belehrung" merkwürdig, sondern auch - und vor allem - wegen des behaupteten Zusammenhangs zwischen einem angeblich "herablassenden Sprachgebrauch" und der "egomanischen" Betrachtung einer Aufführung "als exklusives Eigentum". Ich kann da keinen logischen Zusammenhang erkennen, außer vielleicht einen der Art, wie es sie früher in Karl-May-Filmen gegeben hat, wo die Bösewichter nicht nur böse sondern grundsätzlich zugleich auch hässlich und dumm waren :). Wer als Theaterkünstler "eine Aufführung als sein exklusives Eigentum betrachtet", müsste angesichts der Vielzahl an Beteiligten ebenfalls ziemlich dumm sein.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • wie es sie früher in Karl-May-Filmen gegeben hat, wo die Bösewichter nicht nur böse sondern grundsätzlich zugleich auch hässlich und dumm waren :).


    Ich dachte immer, dass wäre bei Filmen mit Bud Spencer und Terence Hill so gewesen. ^^


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Ohne in die Diskussion eingreifen zu wollen, charakterisiert sich für mich das Folgende:


    Eine Partitur an sich kann kann ich als Kunstwerk begreifen, aber nur, wenn ich sie zu lesen imstande bin .... (Da tue ich mich leider schwer)

    Ein Drama als literaisches Werk kann ein Kunstwerk sein, aber nur, wenn ich .... :):((Ich kann mich erinnern als Junge Shakespeare und Molière aus unserem Bücherschrank stiebitzt und gelesen zu haben. Das war für mich ein großes Vergnügen. Die ersten Inszenierungen, die ich damals im Fernsehen sah, waren riesige Enttäuschungen, weil die Fantasie plötzlich durch die Banalität der Realisierung auf den Boden geholt wurde. Eine der wenigen Inszenierungen, die ich später im Theater mit Freude gesehen habe, war eine von Büchners Leonce und Lena ...


    Also ist es doch für mich sehr einfach zu begreifen, eine Theateraufführung erst einmal als Kunstwerk eigenen Ranges zu verstehen. Wie ist nun das Verhältnis einer Theateraufführung zur angegebenen Textvorlage. Das kann ich mir tatsächlich kompliziert vorstellen. Eine eventuell lineare Realisierung nach dem Motto "mache doch einfach das was da steht" (wenn man das überhaupt verstehen kann) ersetzt dann tatsächlich meine Fantasie durch die des Regisseurs .... Muss mich das überzeugen?


    Ich habe mal Minetti im Faust gesehen. Er ging tatsächlich recht frei mit dem Text um und "gestaltete" die Rolle. Er schuf in meinen Augen etwas ganz eigenes Neues. Das konnte mich überraschen und überzeugen! Das wäre auch das, was mich zum Beispiel an einer Zauberflöte begeistern könnte. Ich wüsste nicht, wieso ich mir eine Aufführung à la Böhm/Fischer-Dieskau/Wunderlich in einer schlecht nachgemachten Version ansehen sollte, was ja irgendwie der Fall wäre, wenn beide Aufführungen versuchen wollten sich auf etwas Spezifisches Außenliegendes mehr oder weniger gut zu beziehen. Wäre das nicht der Tod der Kunst?

  • Doch, genau das kann und darf er tun. Mit welchem Recht willst Du ihm das verbieten?

    Du hast völlig Recht. Respektlosigkeit und ein falsch verstandenes Freiheitsverständnis, alles als seinen Privatbesitz zu betrachten, auch das, was einem nicht gehört, kann man Niemandem verbieten. Auch der Philosoph tut das nicht. Achtung und Respekt sind nämlich nicht einklagbar, man kann zu ihnen nur auffordern und an das moralische Gewissen appellieren. Kant spricht vom Gefühl der Achtung vor dem Sittengesetz.

    Künstlerische Entscheidungen werden von Künstlern und nicht von Forschern getroffen.

    Es gibt HIP. Da bemühen sich Künstler darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in ihrer Aufführungspraxis umzusetzen. Du willst behaupten, dass Harnoncourt deshalb keine freien künstlerischen Entscheidungen getroffen hat, sondern die Forscher für ihn? ^^


    Schöne Grüße

    Holger

  • Die Bezeichnung "Material" ist ja keine qualitative, sondern eine funktionsbezogene. Wenn jemand eine künstlerische Aufführung macht und dabei das Kunstwerk einer anderen Person verwendet, ist dieses (rein funktional gedacht!) in diesem Kontext natürlich ein "Material". Damit wird diesem "Material" ja nicht abgesprochen, dass es sich um ein Kunstwerk ersten Ranges handelt.

    Das ist eine sehr technische und objektivierende Sprache. Im Theaterlabor ist sie freilich nicht unpassend, nur sollte man die Wirkung solcher Worte berücksichtigen, welche sie auf normale Menschen außerhalb des Theaterlabors hat.

    Du drückst Dich mit solchen sprachlichen Belehrungen ;) aber um die Antwort auf die eigentliche Frage. Wenn es de jure erlaubt ist, das Stück "Tristan und Isolde" als gemeinfreies Stück nach Belieben zu verwenden, auf welchen Umständen beruht es dann, bestimmte Arten der Verwendung als anstößig oder unangemessen einzustufen? Das geschriebene Recht, auf dem unser aller Zusammenleben basiert, ist es ja definitiv nicht. Man kann diese angebliche Anstößigkeit natürlich als persönliche Meinung äußern, aber dann ist es halt auch nur eine persönliche Meinung.

    Wir sind die Geisel des Anderen, hat Emanuel Levinas gesagt. Künstler sollten realisieren, dass nicht nur wichtig ist, wie sie über sich selbst denken, sondern auch wie Andere über sie denken. Absolute Freiheit heißt absolute Verantwortung. Und Verantwortung ist nie nur die Verantwortung vor sich selbst, sondern auch vor den Anderen. Und da können die Anderen manchmal die Hölle sein. ;)

    Diesen Satz finde ich nicht nur wegen der "sprachlichen Belehrung" merkwürdig, sondern auch - und vor allem - wegen des behaupteten Zusammenhangs zwischen einem angeblich "herablassenden Sprachgebrauch" und der "egomanischen" Betrachtung einer Aufführung "als exklusives Eigentum".

    Dein Vokabular wirkt auf mich so - und sicher nicht nur auf mich. Du kannst das natürlich ignorieren. Selbstverständlich.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Dein Vokabular wirkt auf mich so - und sicher nicht nur auf mich. Du kannst das natürlich ignorieren. Selbstverständlich.

    Auf eine Diskussion über meine charakterlichen Defizite werde ich mich garantiert nicht einlassen. Insofern ignoriere ich das, ja.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Auf eine Diskussion über meine charakterlichen Defizite werde ich mich garantiert nicht einlassen. Insofern ignoriere ich das, ja.

    Ich verstehe jetzt nicht, warum Du das Problem personalisierst. Es ist doch kein Geheimnis, dass einer der verbreitetsten Vorwürfe gegen RT und die RT-Regisseure ist, dass sie keinen Respekt vor den Werken haben. Und da kann man sich nun bemühen, die Gräben zu vertiefen oder daran zu arbeiten, sie zuzuschütten. Eine nicht unwichtige Rolle spielt da eben die Sprache, die gesprochen wird, weil sie ein nicht unerhebliches Kommunikationsproblem schafft. Jeder Kommunikationstrainer wird Dir sagen, dass es keinen Sinn macht, beleidigt zu reagieren, wenn Du Dich nicht verstanden fühlst. Du solltest daran arbeiten, was die Gründe dafür sind, damit solche Missverständnisse erst gar nicht verstehen. Es ist nunmal so, dass Sprache etwas über den verrät, der sie spricht und auch so genommen wird. Wenn man Wagners Tristan als "Material" bezeichnet, das man für eine Inszenierung benutzt, dann ist diese Sprache erst einmal verständlich in dem ursprünglichen Verwendungskontext, aus dem sie stammt: dem Theaterlabor. Der Regisseur ist nämlich so etwas wie ein Handwerker - und entsprechend ist der Text für ihn sowas wie ein Legobaustein, den er für sein Modell (die Inszenierung) braucht. Nur: Respekt bringt so eine Sprache schlicht nicht zum Ausdruck. Denn: Respekt und Würde gehören zusammen. Würde hat aber nunmal kein Ding und Material wie ein Legobaustein. Respekt bringt man deshalb auch nur einem Subjekt entgegen, das eine Würde hat, und keinen Objekten. Deshalb wirkt eine solche verdinglichende Handwerker-Sprache außerhalb der Werkstatt zynisch=respektlos. Das Problem ist zudem, wenn Künstler nur noch in einer solcher verdinglichenden Sprache über ihre Kunst und ihr Kunsthandwerk sprechen, dies auch Wirkungen auf ihren Geist haben kann. Die Sprache ist eben mehr als nur ein Mittel, etwas auszudrücken. Wer nicht anders kann, als verdinglichend über Kunstwerke zu sprechen, der verliert deshalb vielleicht den Respekt, eben weil er über die adäquate Sprache nicht mehr verfügt, die Respekt auch wirklich zum Ausdruck bringt. Und genau so wird das vom Publikum schließlich aufgenommen, das Künstler nur in solcher Handwerker-Sprache über Kunst sprechen hört. Dann schließt sich der Kreis. Und so tritt wieder der Kommunikationstrainer auf, der sagt: Wenn der Künstler (als "Sender" in der Kommunikation) auch noch ignoriert, dass seine Worte als Ausdruck von Respektlosigkeit verstanden werden, ist das wiederum respektlos gegenüber dem Hörer (Empfänger) und bestätigt dann nur dessen Vorurteil, dass Künstler, die eine solche respektlose Sprache sprechen, auch respektlos sind.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Es ist doch kein Geheimnis, dass einer der verbreitetsten Vorwürfe gegen RT und die RT-Regisseure ist, dass sie keinen Respekt vor den Werken haben. U

    Meines Erachtens ist dieses "Argument" schon mehrfach widerlegt worden, in dem auf minutiöse Untersuchungen hingewiesen wurde. Nicht zuletzt der kleine Film kann das belegen.


    Sinn oder Unsinn - Regietheater



    Die von Dir hier unterschwellig eingeforderte pseudoreligiöse Verehrung von Kunst hat meines Erachtens nicht viel mit Respekt vor dem Werk zu tun, sondern eher mit zu wenig gegenüber dem Denken.


    Der Begriff Material scheint mir doch geeignet zu sein, um die Funktion zu beschreiben. Als Rezipient verwende ich sogar Musik und Aufführungen als Material für meine Unterhaltung und für Denkanstöße ...

  • Meines Erachtens ist dieses "Argument" schon mehrfach widerlegt worden, in dem auf minutiöse Untersuchungen hingewiesen wurde. Nicht zuletzt der kleine Film kann das belegen.

    Widerlegt für wen? Auch da wird Dir der Kommunikationstrainer sagen, dass man auf Vorurteile nicht nur mit dem Beibringen von vermeintlich objektiven Gründen reagieren kann. Man muss sich auf sie einlassen und versuchen, die Quelle zu stopfen, aus der sie sprudeln. Und das ist hier eben auch die Sprache, die gesprochen wird und eine fehlende Sensibilität im Umgang mit der Sprache.

    Der Begriff Material scheint mir doch geeignet zu sein, um die Funktion zu beschreiben. Als Rezipient verwende ich sogar Musik und Aufführungen als Material für meine Unterhaltung und für Denkanstöße ...

    Der Respekt ist aber keine "Funktion" und lässt sich auch mit einer funktionalistischen Ausdrucksweise nicht zum Ausdruck bringen.

    Die von Dir hier unterschwellig eingeforderte pseudoreligiöse Verehrung von Kunst hat meines Erachtens nicht viel mit Respekt vor dem Werk zu tun, sondern eher mit zu wenig gegenüber dem Denken.

    Das ist nun einfach unsachlich - um nicht zu sagen ignorant - das Einfordern von Respekt mit "pseudoreligiöser Verehrung mit Kunst" gleichzusetzen. Darauf antworte ich dann klar und deutlich: Eine solche Gleichsetzung kann nur der vornehmen, für den Respekt und Achtung so fremde Dinge sind, dass er sie gar nicht mehr versteht. Wie ich das Sachproblem sehe, habe ich doch hier formuliert - was Du bezeichnend überlesen hast ^^ :


    Ich sage ja nicht, dass das Werk die einzige Verbindlichkeit ist, die eine Theateraufführung betrifft. Dazu kommt die Aufführungstradition, die Interessen des Publikums, die Dispositionen des Künstlers... Was ihm wichtiger ist, das gewichtet der Künstler, welcher die Aufführung zu verantworten hat. Nur wenn er eben der "Werkgerechtigkeit" keine oder nur wenig Bedeutung beimessen will, hat das Konsequenzen - nämlich Inkonsistenzen in seiner "Theaterkonzeption". Da ist eben die Frage, wie weit, ob und mit welcher Begründung man solche dann in Kauf nehmen soll.

    Um das "Problem" nochmals klarzumachen:


    Dem Künstler wird allgemein die Freiheit eines Interpreten der Werke zugestanden, die er zur Aufführung bringt. Da gibt es wohl kaum einen Widerspruch. Man akzeptiert und freut sich sogar darüber, dass Pollini eine Klaviersonate von Beethoven anders spielt als Brendel oder Barenboim. Nur wärest auch Du nicht einverstanden, wenn Du eine Klaviersonate von Beethoven überhaupt in keinem Konzert mehr so vorgeführt bekämest, wie sie eigentlich geschrieben steht: Pianist A würde die Tonarten der Themen verändern, Pianist B einen anderen Schluss komponieren, Pianist C einen ganzen Satz wegnehmen, Pianist D Teile des Stückes in ein größeres Werk einbauen, das er selbst komponiert hat. Genau das ist bei Regietheater aber Usus. Da wollen Künstler mehr sein als nur Interpreten, sondern meinen, die Stücke nach ihren eigenen Maßstäben verändern zu dürfen. Da darf man allerdings verlangen, dass man gute Gründe hat dafür, dass man meint, ein Werk nicht nur interpretieren, sondern verändern zu dürfen - und das auch belegen und sich dafür rechtfertigen kann. Wenn es nun Menschen gibt, die meinen, der Künstler überschreite hier seine Grenzen, zeige eben deshalb keinen Respekt gegenüber dem Werk, indem er mehr sein will als nur ein Interpret, dann sollte man darauf eine Antwort finden können. Genau deshalb führe ich diesen Dialog mit Christian Köhn und Symbol. Eingangs habe ich in meiner Antwort auf Bertarido gesagt, die RT-Gegner hätten keine Argumente in ihrer prinzipiellen Ablehnung von RT (natürlich haben Sie Recht, Respekt gegenüber den Werken zu fordern wie H. Hofmann das hier getan hat, das meine ich jetzt aber nicht). Nach dem Verlauf der Diskussion muss ich mich nun korrigieren: Die RT-Befürworter haben genauso wenig Argumente, welche die berechtigten Einwände der RT-Gegner wirklich widerlegen könnten, sondern haben nur affirmativ bekräftigt, was sie zu tun gedenken, was sie wollen und nicht wollen. Den bloßen Willen oder Unwillen zu bekunden ist aber kein Argument. Also keine Seite ist hier argumentativ überzeugend! Natürlich habe ich (zumindest den Ansatz) einer Antwort, aber zunächst möchte ich die nicht selbst geben, sondern endlich einmal von den RT-Befürwortern etwas hören, was eine Antwort auf die gestellte Frage ist. ;) :D


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Also wenn jemand sagt: "Ich verwende Beethoven als Material", dann macht er offenbar sein eigenes Ding mit Beethoven-Elementen und führt nicht ein Stück von Beethoven auf.


    Wenn er was anderes gemeint hat, und sich missverstanden fühlt, ist er selbst Schuld.

  • Die RT-Beführworter haben genauso wenig Argumente, welche die berechtigten Einwände der RT-Gegner wirklich widerlegen könnten, sondern haben nur affirmativ bekräftigt, was sie zu tun gedenken, was sie wollen und nicht wollen. Den bloßen Willen oder Unwillen zu bekunden ist aber kein Argument. Also keine Seite ist hier argumentativ überzeugend!

    Das gefällt mir. Es ist auch irgendwie eigenartig, zu erwarten, dass das eine oder das andere Bedürfnis (nach nennen wir's mal Historisierung versus Modernisierung) zwingend durch Argumente als das "bessere" ausgezeichnet werden könnte. Entweder ist es halt Geschmackssache, oder das eine (Historisierung in der Musik) resp. das andere (Modernisierung auf der Bühne) hat sich eben im letzten Jahrhundert im Betrieb durchgesetzt und das andere jeweils völlig verdrängt. Allein durch die Macht des Faktischen (jeweils ist das andere ausgestorben) sind dann im Diskurs nur noch die Argumente der sieghaften Fraktion übrig.

  • Widerlegt für wen?

    Widerlegt für mich. Ich bin hier eigentlich mit einer Erwartung hineingegangen, dass die Kollegen vom RT die Werke nicht lesen, sondern bloß ihr eigenes Ding drehen. Das ist für mich durch einiges hier widerlegt worden. Ich hatte versucht mich selbst schlau zu machen (siehe Film). Die Beiträge über Konwitschny fand ich dann auch interesant.



    Auch da wird Dir der Kommunikationstrainer sagen, dass man auf Vorurteile nicht nur mit dem Beibringen von vermeintlich objektiven Gründen reagieren kann. Man muss sich auf sie einlassen und versuchen, die Quelle zu stopfen, aus der sie sprudeln.

    Wenn das mein Ziel gewesen wäre, hätte ich es sicher versucht ... Aber ehrlich gesagt interessiert es mich nicht, mit Kollegen über Werke zu diskutieren, die sie ganz offensichtlich nicht einmal angeschaut haben und sich aus einschlägigen Quellen mit Vorurteilen versorgen. Das könnte so manchen Kommunikationstrainer überfordern. :)


    Der Respekt ist aber keine "Funktion" und lässt sich auch mit einer funktionalistischen Ausdrucksweise nicht zum Ausdruck bringen.

    Ich sehe mich nicht gezwungen, immer und überall Respekt explizit "zum Ausdruck" zu bringen. Mir reicht es, wenn ich ihn habe. Umgekehrt finde ich Beiträge mit Urteilen über Dinge, die ich nicht einmal kenne, wirklich respektlos diesen Dingen gegenüber.


    Das ist nun einfach unsachlich - um nicht zu sagen ignorant - das Einfordern von Respekt mit "pseudoreligiöser Verehrung mit Kunst" gleichzusetzen.


    Es ist etwas provokant formuliert. Ich hatte den Eindruck, dass der Vorwurf mangelnden Respektes, der eigentlich durch nichts begründet ist, als eine Erwartungshaltung in verbaler Gymnastik, die natürlich nicht stattfinden wird, vom Inhalt ablenken soll. Es hat also doch schon etwas mit Pseudoreligion zu tun ... :)

    Für mich persönlich drückt sich Respekt meistens darin aus, dass man das, worüber man diskutiert ernst nimmt, und demjenigen, mit dem man diskutiert seine Meinung lässt, und ihm keine Vorschriften macht.


    Es ist auch irgendwie eigenartig, zu erwarten, dass das eine oder das andere Bedürfnis (nach nennen wir's mal Historismus versus Modernisierung) zwingend durch Argumente als das "bessere" ausgezeichnet werden könnte. Entweder ist es halt Geschmackssache, oder das eine (Historismus in der Musik) resp. das andere (Modernisierung auf der Bühne) hat sich eben im letzten Jahrhundert im Betrieb durchgesetzt und das andere jeweils völlig verdrängt.

    Ich glaube, dass es das ganz gut trifft. Das ist durchaus eine Metainfomation, die ich dem Thread hier entnehmen kann.

  • Man kann sich fragen, warum das so ist, und meine Theorie wäre: Weil Musik abstrakter ist, ist man eher geneigt, die historische Version zu akzeptieren, während man auf der Bühne Menschen, die auf historische Art agieren, schnell lächerlich findet, wenn man sich nicht aktiv bemüht, sich da in eine historische Ästhetik einzufühlen. (So wie meistens im Kino Leute bei alten Filmen an den unpassendsten Stellen lachen, weil einfach damals anders geschauspielert wurde oder die Leute sich anders gegeben haben.)


    In der Musik gab es auch Stimmen, die meinten, HIP würde sich nicht durchsetzen, weil das für unsere Ohren klänge wie japanisch (sagte vor ein paar Jahrzehnten der Dirigent Adam Fischer bei einem Konzert). Es hat sich aber dann doch sehr breit durchgesetzt und auch die nicht-HIPpen stark beeinflusst. HIP auf der Bühne gibt es nur ganz vereinzelt als "Alternativszene".

  • Es ist auch so, dass viele Menschen eher Instrumentalmusik akzeptieren als geschulten Gesang, den man abstoßend oder lächerlich findet. Das hat meines Erachtens dieselbe Ursache: Der Gesang ist "konkreter", ein Mensch bringt etwas mit seiner Stimme zum Ausdruck, und der historische Operngesang ist zu weit vom Alltagssprech und Rockgesang entfernt und wirkt daher lächerlich. Die Geige ist mit ihrer Stimme abstrakter und wird daher eher akzeptiert.

  • Andererseits geht natürlich das Regietheater mit seiner Aktualisierung wieder dem Publikum viel zu weit, da die Ergebnisse nicht mehr wie Aktualisierungen historischer Kunstwerke wirken sondern wie Neuschöpfungen, die sich an der Vorlage bestenfalls stoßen. Das Märchen, dass das Publikum lieber Konwitschny als Ponnelle sehen würde, werde ich den RT-Fans nie abnehmen.

  • Die Entsprechungen wären jetzt:


    HIP mit alten Instrumenten bei Barockmusik (Standard) - Rekonstruktion barocker Operninszenierungen (extrem selten, meistens irgendwo am Land)

    Bei Musik ab dem 19. Jahrhundert ist aber HIP mit historischen Instrumenten auch nicht Standard, allerdings sind die Interpretationen stark von HIP beeinflusst


    das Mittelfeld - dezente Modernisierung: Brendel - Ponnelle


    "Komponierte Interpretation" (bspw. Zenders Winterreise oder Richters Jahreszeiten, wird gar nicht unter Aufführungspraxis sondern unter Komposition gelistet) - Regietheater (Standard)

  • Das gefällt mir. Es ist auch irgendwie eigenartig, zu erwarten, dass das eine oder das andere Bedürfnis (nach nennen wir's mal Historisierung versus Modernisierung) zwingend durch Argumente als das "bessere" ausgezeichnet werden könnte. Entweder ist es halt Geschmackssache, oder das eine (Historisierung in der Musik) resp. das andere (Modernisierung auf der Bühne) hat sich eben im letzten Jahrhundert im Betrieb durchgesetzt und das andere jeweils völlig verdrängt. Allein durch die Macht des Faktischen (jeweils ist das andere ausgestorben) sind dann im Diskurs nur noch die Argumente der sieghaften Fraktion übrig.

    Das ist eine gute Beschreibung der "Macht des Faktischen". So bilden und halten sich ja auch Traditionen. Auch RT ist inzwischen eine Tradition. Der eine Regisseur inszeniert so, weil es der vor ihm auch schon so gemacht hat... Nur ist es so, dass sich Traditionen letztlich nur halten, wenn die Sinnhaftigkeit wenn auch nicht immer reflektiert, so doch zumindest unreflektiert erhalten bleibt. Sonst kommt es zu dem, was von Ferruccio Busoni die bloße "Denkroutine" genannt wird. Wenn man die Sinnhaftigkeit von RT nicht mehr vermitteln kann und es schließlich nur noch "Denkroutine" ist, läuft sich diese Tradition von Theater irgendwann tot (wie jede andere sinnleer gewordene Tradition auch) ...

    Widerlegt für mich. Ich bin hier eigentlich mit einer Erwartung hineingegangen, dass die Kollegen vom RT die Werke nicht lesen, sondern bloß ihr eigenes Ding drehen. Das ist für mich durch einiges hier widerlegt worden. Ich hatte versucht mich selbst schlau zu machen (siehe Film). Die Beiträge über Konwitschny fand ich dann auch interesant.

    Es ist interessant, dass dieser Vorwurf schon sehr alt ist. Letztlich steht dahinter ein ganz prosaischer Interessenkonflikt zwischen Autoren/Komponisten und ausübenden Künstlern. ^^ Dass Konwitschny sehr gewissenhaft Partituren liest und über sehr große Fachkompetenz verfügt, kann man wirklich nicht bestreiten.

    Wenn das mein Ziel gewesen wäre, hätte ich es sicher versucht ... Aber ehrlich gesagt interessiert es mich nicht, mit Kollegen über Werke zu diskutieren, die sie ganz offensichtlich nicht einmal angeschaut haben und sich aus einschlägigen Quellen mit Vorurteilen versorgen. Das könnte so manchen Kommunikationstrainer überfordern. :)

    Es ist aber doch positiv zu vermerken, wenn sich Menschen auf eine Diskussion einlassen. Dann sollte man diese Bereitwilligkeit auch mit der Bereitwilligkeit belohnen, eine Antwort zu geben. :)

    Ich sehe mich nicht gezwungen, immer und überall Respekt explizit "zum Ausdruck" zu bringen. Mir reicht es, wenn ich ihn habe. Umgekehrt finde ich Beiträge mit Urteilen über Dinge, die ich nicht einmal kenne, wirklich respektlos diesen Dingen gegenüber.

    Wenn Du bei der Queen eingeladen gewesen wärest oder eine Einladung beim Bundespräsidenten hast, musst Du ihn bezeugen. ^^ Dinge die man nicht kennt, nicht versteht und nicht verstehen will einfach abzuurteilen ist natürlich auch respektlos. Da gibt es in diesem Konflekt zwischen RT-Befürwortern und RT-Gegnern viel Respektlosigkeit auf beiden Seiten.

    Es ist etwas provokant formuliert. Ich hatte den Eindruck, dass der Vorwurf mangelnden Respektes, der eigentlich durch nichts begründet ist, als eine Erwartungshaltung in verbaler Gymnastik, die natürlich nicht stattfinden wird, vom Inhalt ablenken soll. Es hat also doch schon etwas mit Pseudoreligion zu tun ... :)

    Argumentationen ad hominem sind immer abzulehnen - das ist Sophistik, wie schon bei Platon zu lesen ist. Aber in der Frage des Respektes eines Künstlers, der ein Werk hervorbringt, sollte man den Respekt an den Werken erkennen können. Und da braucht es eines Kriteriums, woran man denn den Respekt erkennt. Die Unterscheidung Interpretation/Bearbeitung ist ein klares Kriterium: Wer sich auf das Interpretieren beschränkt und das Bearbeiten lässt, zeigt damit Respekt, indem er das Werk in seiner Substanz unverändert lässt. Wenn die "Arbeit" des ausübenden Künstlers aber weiter geht und das Bearbeiten, also die Veränderung des Werkes, einschließt, braucht es eines weiteren Kriteriums. Also: Wenn Liszt Opern-Paraphrasen schreibt, sind das seine Bearbeitungen. Deswegen wird er auch als Komponist der Rigoletto-Paraphrase genannt. Wenn aber ein Regisseur eine Bearbeitung von Verdis Rigoletto aufführt und diese Aufführung nicht als sein Werk, sondern die Aufführung von Verdis Werk genannt und angekündigt wird, bedarf es da eines Kriteriums, warum auch das - im Unterschied zu Liszts Bearbeitung - das Werk von Verdi ist. Da fehlt mir das Kriterium, das die RT-Freunde bislang nicht genannt haben, dass ich auch da noch den Respekt vor Verdi klar und deutlich erkennen kann und das Recht, dass der Bearbeiter von Verdis Werk dieses sein Bearbeitungs-Werk Verdi intentional zuschreibt und nicht sich selbst (als Aufführung "von Verdi"). Also bitte: Welches ist hier das Kriterium?

    Für mich persönlich drückt sich Respekt meistens darin aus, dass man das, worüber man diskutiert ernst nimmt, und demjenigen, mit dem man diskutiert seine Meinung lässt, und ihm keine Vorschriften macht.

    Dass man das "Rechenschaft geben" (griech. logon didonai) fordert ist aber aufklärerisches, sokratisches Erbe. Das ist manchmal allerdings sehr unbequem - deshalb wurde Sokrates auch aus der Welt geschafft...


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich habe - aus gutem Grund .

    mich hier bislang an diesem Thread nicht beteiligt

    Zum einen werde ich die Welt nicht ändern

    Zum andern ist das Thema Opern - Theaterbesuch für mich abgehakt

    zum Dritten will ich mich nicht ärgern

    ABER:

    Ein paar Worte zum Thema "Werktreue" möcht ich doch sagen.

    Es wird immer wieder - oft auch heuchlerisch - drauf hingwiesen,

    dies sei ein schwammiger , nicht näher zu definierender Begriff-

    und deshalb sei quasi "alles erlaubt"

    Es scheint als ob die Autoren der Vergangenheit solche Tendenzen vorhergeahnt haben

    (aber nicht mit welcher teilweisen Unverfrorenheit sie durchgesetzt werden)

    und deshalb oft genaueste Anweisungen zu Bühnenbild und Kostümen hinterlassen

    Ebenso die Stadt oder das Land, wo das betreffende Stück spielt.

    Und selbstverständlich auch das Zeitalter.

    Es werden oft sogar genau die Farben der Kostüme beschrieben und die vorhandenen Türen und Stiegenaufgänge, die gesamte Architektur etc.

    DAS - sind die EISERNEN GRUNDPFEILER der WERKTREUE.

    In diesem Rahmen hat man sich zu bewegen.

    Man sollte also voraussetzen, daß derjenige, der für eine Inszenierung verantwortlich ist, auch weiß, daß im Spanien des 16. Jahrhunderts die Kleidung bei Hofe SCHWARZ war.

    Sind also keine Bearbeitungen und Verfälschungen erlaubt ?

    Da werden sich die Geister scheiden

    Aus meiner Sicht müssten sie wenigstens DEKLARIERT werden

    Aber mit WERKTREUE hat das nichts mehr zu tun.

    Wenn es also nicht gelingt, zu definieren, was Werktreue ist (wobei ich da ein wenig Absicht dahinter vermute)

    so ist es doch relativ einfach zu definieren, wo die Grenzen überschritten wurden.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



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  • Das gefällt mir. Es ist auch irgendwie eigenartig, zu erwarten, dass das eine oder das andere Bedürfnis (nach nennen wir's mal Historisierung versus Modernisierung) zwingend durch Argumente als das "bessere" ausgezeichnet werden könnte. Entweder ist es halt Geschmackssache, oder das eine (Historisierung in der Musik) resp. das andere (Modernisierung auf der Bühne) hat sich eben im letzten Jahrhundert im Betrieb durchgesetzt und das andere jeweils völlig verdrängt. Allein durch die Macht des Faktischen (jeweils ist das andere ausgestorben) sind dann im Diskurs nur noch die Argumente der sieghaften Fraktion übrig.

    Das habe ich weiter oben auch schon gesagt. Die Sache ist zu einem Streit von "Kirchenvätern" geworden, die eine gegensätzliche RT-Theologie vertreten. Schopenhauer frei zitiert: Argumente wird es hier nicht geben.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ich erlaube mir, mich mal kurz einzumischen, um ein paar Sachen richtigzustellen. Aber vorab:

    Grundsätzlich ist "Werktreue" oder "Werkgerechtigkeit" ein positiv konnotierter Begriff. Daran ändert auch nichts, dass es ein kleines Häuflein von RT-Regisseuren und RT-Sympathisanten gibt, die mit dieser Forderung nicht viel anfangen können.

    Doch, doch. Das ändert sehr viel. Denn wenn der Begriff »grundsätzlich« positiv konnotiert ist, aber für einige nicht, ist er eben für einige positiv konnotiert und für andere nicht. Daran ändert sich auch nichts, wenn man jene, die eine von der eigenen abweichende Meinung vertreten, als ein kleine Häuflein von RT-Regisseuren und RT-Sympathisanten verunglimpft. Die damit einhergehende Behauptung, dass man aus der Tatsache, dass jemand diese Begriffe für Unsinn und unbrauchbar erachtet, schließen kann, dass es sich um »RT-Sympathisanten«, was immer das sein mag, handelt. Di Behauptung ist schlicht falsch und lässt sich durch nichts begrünfen.


    Ein Text, der ein "Werk" darstellt, ist vielmehr ein geschlossener Sinnzusammenhang und will und muss in der Textanalyse auch als solcher betrachtet werden.

    Ob das wirklich so ist, hängt doch allzusehr von der jeweiligen Konzeption ab, die einer vertritt, als dass diese apodiktische Aussage als in der Allgemeinheit, die sie beansprucht, gültig betrachtet werden kann.

    Das verlangt jeder Dozent von seinen Studenten - sonst fallen sie schlicht durch die Prüfung.

    Das mag so sein oder auch nicht. Ich glaube, ein guter Dozent erwartet von seinen Schülern nicht, dass sie genau wiedergeben, was er ihnen vorgetragen hat, sondern lehr sie das selbständige Denken. Ich jedenfalls hatte Lehrer, die mir geradezu verboten, zu sagen, was sie gesagt haben, weil sie das ja selbst wissen, und sehr froh waren, wenn ihnen auf eine fundierte Weise widersprochen wurde, weil ihnen das Gelegenheit bot, die eigene Position an einem kritischen Einwand zu überprüfen und ggf. zu schärfen oder zu ändern. Im übrigen geht es hier ja auch nicht um eine Prüfung.


    Durch Textanalyse stellt sich heraus - gemäß der Definition eines vollendeten Werks, von dem man keine Teile wegnehmen oder hinzufügen kann, ohne es als Ganzes zu zerstören - was die konstitutiven Bestandteile dieses Textes sind, welche für das Verständnis des Sinnzusammenhangs unbedingt erfoderlich sind, so dass er nicht in Teilen oder im Ganzen unverständlich wird bzw. einen ganz anderen Sinn bekommt, der nicht zu ihm gehört.

    Donnerwetter! Das nenne ich, einen einfachen Zusammenhang kompliziert machen. Man könnte auch sagen: Die Analyse eine Gegenstands besteht darin, diesen in seine Bestandteile zu erlegen. Die Frage ist allerdings, was diese doch recht schlichte Aussage hier zur Debatte beiträgt. Aber sei’s drum, der eigentlich interessante Punkt komm erst. Also weiter.


    Peter Konwitschny hat sich - offenbar genervt nicht nur von der ganzen RT-Diskussion, sondern auch von dem Dilettantismus von so manchen Regisseuren-Kollegen - in einem Interview mal so geäußert, dass er gar kein Regietheater mache, sondern Werktreue für ihn das höchste Gebot sei.

    Das ist einigermaßen verkürzt zitiert. Ich würde vorschlagen, dieses Verfahren »interessegeleitete Amputation« zu nennen. Aber selbst angenommen, diese Zusammenfassung würde das treffen, was er sagte, wäre doch so einiges sazu zu sagen.


    Zum einen: Wer auch nur eine oder zwei Arbeiten von Konwitschny kennt (wer nicht, sollte das nachholen, ehe er sich dazu äußert), weiß, dass sie mit dem Begriff »Werktreue«, wie er in den einschlägigen Debatten verwendet wird, nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Wenn er den Begriff trotzdem verwendet und für sich beansprucht liegt damit auf der Hand, dass er hier einen taktischen Dreh versucht, indem er seinen Gegenspielern ihren Lieblingsbegriff und ihre stärkste Waffe entwindet, ihn umdefiniert und gegen die richtet, die ihn gegen ihn in Stellung zu bringen versucht haben. Das ist ein gefährliches Verfahren, weil es nach hinten losgehen kann, wie man hier sieht. Nämlich dann, wenn die Empfänger der Botschaft diese absichtlich missverstehen, indem sie sie wörtlich nehmen.


    Übrigens ist, was Du an anderer Stelle behauptest, dass die Position, die Konwitschny hier einnimmt, »Konsens« sei, nicht zutreffend. Weder ist es Konsens, was er gemeint hat, noch was Du aus seiner Äußerung herausgelesen haben willst. Ich habe einen guten Bekannten, mit dem ich seit nunmehr 66 Jahren ein Herz und eine Seele bin, der weit mehr als die Hälfte seines Lebens (nämlich gut 40 Jahre) mit praktischer Theaterarbeit verbracht hat und gut die Hälfte dieser Zeit ein sehr enger Mitarbeiter Konwitschnys war, und der mit der von Konwitschny hier angewadndten sehr riskanten Taktik nie einverstanden war. Von einem Konsens in dieser Sache kann also nicht einmal für seine engste Umgebung die Rede sein.


    Das Problem ist schlicht und ergreifend, dass nichts erreicht wird, wenn einer den Apologeten der sog. »Werktreue« erklärt, ihre Werktreue sei gar nicht die richtige Werktreue, aber seine. Ein solcher Streit mag im Sandkasten am Platz sein, führt aber auch dort zu nichts. Und es ist auch nicht sinnvoll, einen Begriff zu übernehmen, der unzureichend definiert ist, und dann mit ihm zu hantieren. Die eigene Aussage wird dann nämlich durch die Unklarheit der verwendeten Begriffe verunklart und ist damit jedem Missverständnis und jedem Missbrauch ausgesetzt – wie man sieht.


    Einen Punkt möchte ich noch bekräftigen, obwohl er schon genannt wurde: Dass man das Material, aus dem man etwas baut, genau betrachtet, ist eine Selbstverständlichkeit und keine moralische Verpflichtung. Nur wenn man nicht daran interessiert ist, ob das Gebäude stehen kann, wird man darauf verzichten können. Als die spanischen Baumeister in Peru die Inka-Tempel und -Festungen abrissen, um aus den Steinen ihre Kirchen zu bauen, mussten sie sich selbstverständlich sehr genau ansehen, die die Steine beschaffen waren, die sie in den neuen Bauwerken verwenden wollten. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass sie sich den Inkabauten zu irgendeinem Respekt verpflichtet gefühlt hätten und ihn etwa gar zur Grundlage ihres Wirkens gemacht hätten.


    In diesem Zusammenhang sei noch der Hinweis erlaubt, dass der Begriff des »Materials« von Brecht in die Diskussion dieser Fragen eigebracht worden ist. Das macht ihn nicht besser, wenn er denn schlecht ist, entlastet aber Christian und andere hier (einschließlich meiner Wenigkeit), die ihn verwenden und nicht davon abzulassen gedenken, von dem Vorwurf, willkürlich irgendeinen zutiefst verwerflichen Begriff in die Welt geschleudert zu haben. Das hat ein anderer getan (mit dem ich mich in einer theoretischen Diskussion nicht so ohne weiteres anlegen wollen würde).


    Das soll fürs erste mal reichen. Fortsetzung folgt (vielleicht).

  • Oder doch noch ein Hinweis. Da in dieser Debatte Autoritätsbeweise sehr beliebt sind (in dieser bis zur zum Herbeizitieren von Hitlers Duzfreundin), will ich auch mal einen bringen. Richard Wagner wird ja gern als einer zitiert, der die strikte Wahrung des Tradition und der Alten vertreten hat.


    Dazu hat er sich an vielen Stellen seiner Schriften geäußert (nein, es kommt jetzt nicht »Kinder schafft Neues«), und an mehreren prominenten Stellen seiner Bühnenwerke. Eins, das sich ganz dem Thema widmet, heißt »Die Meistersinger von Nürnberg« und handelt auf der Ebene der ästhetischen Diskussion davon, dass das Alte überwunden und immer wieder in Frage gestellt werden muss. Das lässt sich ja leicht herausfinden. Etwas weniger offensichtlich und darum nur selten verstanden, ist eine für die Dramaturgie des »Siegfried« entscheidende Stelle im ersten Akt:


    Mime versucht, die Bruchstücke des Schwerts mit einen Mitteln zusammenzufügen, was ihm immer wieder misslingt. Was entsteht, sieht zwar aus wie ein Schwert, ist den Anforderungen der Gegenwart nicht gewachsen. Wie es weitergeht, ist ausreichend bekannt: Siegfried reduziert das Schwert seines Vaters auf den »Materialwert«, um das Brechtsche Wort zu verwenden, zerspant es also vollständig, schmilzt die Späne neu ein und schafft daraus ein neues Schwert. Ich denke, ich muss die Allegorie nicht auflösen, oder?

  • Ich erlaube mir, mich mal kurz einzumischen, um ein paar Sachen richtigzustellen. Aber vorab:

    Aaah, Werner Hintze! Herzlich willkommen! :) :jubel:

    Doch, doch. Das ändert sehr viel. Denn wenn der Begriff »grundsätzlich« positiv konnotiert ist, aber für einige nicht, ist er eben für einige positiv konnotiert und für andere nicht.

    So einfach ist das natürlich nicht. Es gibt immer noch einige Wissenschaftler, die den Klimawandel leugnen. Nur ist das eine Minderheitsmeinung. Ich erinnere mich nicht, irgendwann einmal eine Kritik gelesen zu haben, wo ein Pianist, Sänger oder Dirigent dafür getadelt wird, dass er "werktreu" interpretiert. Nur bei Theaterleuten sorgt der Begriff für Diskussionen. ^^

    Daran ändert sich auch nichts, wenn man jene, die eine von der eigenen abweichende Meinung vertreten, als ein kleine Häuflein von RT-Regisseuren und RT-Sympathisanten verunglimpft. Die damit einhergehende Behauptung, dass man aus der Tatsache, dass jemand diese Begriffe für Unsinn und unbrauchbar erachtet, schließen kann, dass es sich um »RT-Sympathisanten«, was immer das sein mag, handelt. Di Behauptung ist schlicht falsch und lässt sich durch nichts begrünfen.

    An solchen "Kämpfen" bin ich überhaupt nicht interessiert. Als Ästhetiker stehe ich sozusagen darüber. Für mich ist nur interessant zu klären, in wie weit dieser Begriff und der damit erhobene Anspruch sinnvoll ist.

    Ob das wirklich so ist, hängt doch allzusehr von der jeweiligen Konzeption ab, die einer vertritt, als dass diese apodiktische Aussage als in der Allgemeinheit, die sie beansprucht, gültig betrachtet werden kann.

    Nicht jede Literatur hat Werkcharakter. Und eben deshalb fungiert der Werkbegriff dann, wenn es sich tatsächlich um Werke handelt - als (mit Kant gesprochen) - "regulatives Prinzip" der Analyse.

    Das mag so sein oder auch nicht. Ich glaube, ein guter Dozent erwartet von seinen Schülern nicht, dass sie genau wiedergeben, was er ihnen vorgetragen hat, sondern lehr sie das selbständige Denken. Ich jedenfalls hatte Lehrer, die mir geradezu verboten, zu sagen, was sie gesagt haben, weil sie das ja selbst wissen, und sehr froh waren, wenn ihnen auf eine fundierte Weise widersprochen wurde, weil ihnen das Gelegenheit bot, die eigene Position an einem kritischen Einwand zu überprüfen und ggf. zu schärfen oder zu ändern. Im übrigen geht es hier ja auch nicht um eine Prüfung.

    Wenn Du wüsstest, was das Niveau heute von Studenten ist, denen einfach elementare Kenntnisse fehlen, die eigentlich auf dem Gymnasium hätten vermittelt werden sollen....

    Donnerwetter! Das nenne ich, einen einfachen Zusammenhang kompliziert machen. Man könnte auch sagen: Die Analyse eine Gegenstands besteht darin, diesen in seine Bestandteile zu erlegen. Die Frage ist allerdings, was diese doch recht schlichte Aussage hier zur Debatte beiträgt. Aber sei’s drum, der eigentlich interessante Punkt komm erst. Also weiter.

    So einfach ist das nicht in den Literaturwissenschaften. Die "werkimmanente Analyse" ist eine Antwort auf die in Deutschland einflussreiche Dilthey-Schule, der zufolge man einen Text verstanden hatte, wenn man die Biographie seines Autors verstand. Man hat also gemeint, den Sinn durch biographische Kenntnisse zu erschließen, die im Text selber meist gar nicht ausweisbar waren. Die werkimmanente Interpretation beschränkt sich deshalb darauf, das, was wirklich als Sinnschicht des Textes aufweisbar ist, zu seiner Interpretation heranzuziehen. Das heißt deshalb nicht, dass man Biographisches zur Interpretation nicht verwenden darf. Wenn es wie bei Thomas Mann Der Tod in Venedig eine Sinnebene des Textes ist, der mehrdeutig ist - eben neben dem Mythologischen auch die Homosexualität des Autors verarbeitet - gehört das Biographische natürlich zur "wirkimmanenten" Analyse.

    In diesem Zusammenhang sei noch der Hinweis erlaubt, dass der Begriff des »Materials« von Brecht in die Diskussion dieser Fragen eigebracht worden ist. Das macht ihn nicht besser, wenn er denn schlecht ist, entlastet aber Christian und andere hier (einschließlich meiner Wenigkeit), die ihn verwenden und nicht davon abzulassen gedenken, von dem Vorwurf, willkürlich irgendeinen zutiefst verwerflichen Begriff in die Welt geschleudert zu haben. Das hat ein anderer getan (mit dem ich mich in einer theoretischen Diskussion nicht so ohne weiteres anlegen wollen würde).

    Hier geht es doch nicht um ein Gericht und eine moralische Verurteilung. Pierre Boulez spricht übrigens auch vom "Material" einer Komposition. Es geht um ein Kommunikationsproblem, dass man doch beachten sollte, in welchem Kontext man eine Sprache und einen Sprachgebrauch verwendet. Es lernt jeder Rhetorikschüler seit der Antike, dass der Redner die Wirkung seiner Worte kalkulieren sollte. Man sollte die Worte so wählen, dass der Mensch, der einem gegenüber steht, sie auch versteht. Darauf keine Rücksicht zu nehmen, schafft Probleme, die vermeidbar sind, wenn man etwas bewusster seine Worte wählt.


    Schöne Grüße

    Holger

  • die EISERNEN GRUNDPFEILER der WERKTREUE

    Um diese geht es. Dass man sich seit langem nicht mehr daran hält, sei es aus einer falschen Protesthaltung oder aus bloßer Unkenntnis heraus, ist kein Geheimnis.


    Im Prinzip könnte man eine typische Opernvorstellung (vornehmlich bei Wagner) heutzutage dergestalt simplifizieren: Unterirdische Inszenierung, mediokre Gesangsdarbietungen, bemühtes Dirigat. Das Ganze wird von einem nicht unerheblichen Teil des Feuilletons anschließend hochgeschrieben und zur Messlatte erklärt, wobei das Gros der Rezension allein die Arbeit des Regisseurs betrifft. Gemein ist vielen Regisseuren und Kritikern die Verachtung des (zahlenden) Publikums. Hier zieht man insofern an einem Strang und verkennt geflissentlich, dass man ohne dasselbe Publikum schnell passé würde. Sänger und Musiker, darunter auch Dirigenten, sind in diesem Konstrukt zu Statisten degradiert, ohne die freilich aber nichts ginge. Wenn sich also Publikum, Sänger oder Musiker querstellten, wäre die Chose schnell an ihrem natürlichen Ende angelangt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • .... Wenn sich also Publikum, Sänger oder Musiker querstellten, wäre die Chose schnell an ihrem natürlichen Ende angelangt.

    Da kommt natürlich die Frage auf, warum eigentlich Publikum, Sänger und Musiker sich nicht querstellen?

    Ist die Ablehnung dieser Art von Regie vielleicht gar nicht so verbreitet, wie RT-Gegner es gerne hätten? Wenn dem Publikum die hier geforderte absolute "Werktreue" wirklich so enorm am Herzen läge, könnte es doch, wenn es wollte, einfach wegbleiben. Tut es aber nicht!

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • So einfach ist das natürlich nicht. Es gibt immer noch einige Wissenschaftler, die den Klimawandel leugnen. Nur ist das eine Minderheitsmeinung.

    Und was ist damit gesagt? Es gibt da keinen Konsens. Es gibt verschiedene Auffassungen, woher der Klimawandel rührt. Viele Wissenschaftler deuten die Daten so, dass er vom Menschen verursacht wird, andere meinen, dass sich das aus den Daten nicht ergibt. Da ist also kein Konsens, so wenig wie auf so gut wie allen Gebieten. Es sei denn, man nimmt an, dass »das ist Konsens« bedeutet, dass es die Meinung aller relevanten Wissenschaftler und Autoren sei. Dann muss man allerdings das Kriterium offenlegen, mit dessen Hilfe man diese Relevanz bestimmen kann. Darf ich fragen, welches das ist?


    Im übrigen ist hier ja nicht vom Klimawandel und auch nicht von Naturwissenschaft die Rede, sondern von divergierenden ästhetischen Auffassungen. Und da gibt es eben keinen Konsens. Ich kenne nur sehr wenige Theoretiker und Praktiker, die den Begriff der Werktreue, wie er in solchen Diskussionen in der Regel angewandt wird, für sinnvoll erachten. Womit ich nicht bestritten haben will, dass es diese gibt. Auch habe ich damit keine Aussage darüber getroffen, wie relevant ihre Auffassung ist.


    Ich erinnere mich nicht, irgendwann einmal eine Kritik gelesen zu haben, wo ein Pianist, Sänger oder Dirigent dafür getadelt wird, dass er "werktreu" interpretiert. Nur bei Theaterleuten sorgt der Begriff für Diskussionen. ^^

    Wenn ich richtig verstanden habe, dreht sich die Diskussion hier um Theater. Was soll also diese Feststellung besagen? In Bezug auf das Theater wird über diesen sehr schwammigen Begriff diskutiert. Das ist unstrittig, man sieht es ja hier. Ob er auch in anderen Bereichen eine Rolle spielt oder diskutiert wird, tut hier gar nichts zur Sache.


    Wenn Du wüsstest, was das Niveau heute von Studenten ist, denen einfach elementare Kenntnisse fehlen, die eigentlich auf dem Gymnasium hätten vermittelt werden sollen....

    Das ist mir, ehrlich gesagt, vollkommen Wurscht, jedenfalls in diesem Zusammenhang.


    Den Rest übergehe ich, weil er in diesem Zusammenhang ganz irrelevant ist. Die Frage ist, warum das Theater verpflichtet sein soll, sich an eine »Werktreue« zu halten, die ungenau definiert ist. Nicht nur ist sie ungenau definiert, sie geht auch von einem keineswegs von allen (oder auch nur von vielen) für verbindlich erachteten Theaterbegriff aus. Es wäre also zu erklären, warum dieser Theaterbegriff defekt ist und aufgegeben werden muss.


    Das heißt wohl in erster Linie, zu klären, warum und wie das Theater zwingend auf einen zu interpretierenden Text angewiesen ist, der dem Theaterkunstwerk Grund- oder Vorlage ist, und demgegenüber es irgendeine Verpflichtung hat. Ich bestreite das und sehe keine Möglichkeit, das aus der Struktur des Theaterkunstwerks – das, man kann es anscheinend nicht oft genug wiederholen – für seine Existenz auf eine textliche oder musikalische Vor- oder Grundlage ganz und gar nicht angewiesen ist.

    (Das seltsamerweise beliebte Gegenargument, dass man zur Aufführung einer Mozart-Oper eine Partitur braucht, die Mozart geschrieben hat, ist natürlich unzureichend. Denn es besagt lediglich, dass es Theaterkunstwerke gibt, die andere Werke beinhalten können. Daraus folgt aber nicht, dass das für alle Theaterkunstwerke zutrifft, so wenig, wie aus der Existenz einerKirschtorte folgt, dass alle Torten Kirschen enthalten müssen.)



    Im Prinzip könnte man eine typische Opernvorstellung (vornehmlich bei Wagner) heutzutage dergestalt simplifizieren: Unterirdische Inszenierung, mediokre Gesangsdarbietungen, bemühtes Dirigat.

    Im Prinzip könnte man die Argumentation der Befürworter der sog. »Werktreue« heutzutage dergestalt simplifizieren: unterirdische Sachkenntnis, mediokre Argumentation, bemühte Autoritätsbeweise. Aber was wäre damit erreicht? Auf diese Weise kommt man keinen Schritt voran, weshalb ich es für sinnvoller erachte, rationale Argumente vorzutragen, auch wenn mir mir äußerst selten Gleiches mit Gleichem vergolten wird. Daran bin ich aber nun gewöhnt.


    Im Grunde wollte ich ja nur den offensichtlichen Missbrauch richtigstellen, der hier mit Konwitschnys Aussage getrieben wurde, sie sich leider zum absichtlichen Missverständnis geradezu anbietet.

  • Dem Künstler wird allgemein die Freiheit eines Interpreten der Werke zugestanden, die er zur Aufführung bringt. Da gibt es wohl kaum einen Widerspruch.


    Man kann es anscheinend nicht oft genug wiederholen: Das Theaterkunstwerk ist nicht die Interpretation eines anderen Kunstwerks (sonst könnte es kein Theaterkunstwerk ohne ein solches zu interpretierendes Werk geben), sondern die Interpretation eines anderen Kunstwerks kann, muss aber nicht in das Theaterkunstwerk eingehen.

    Diese Aussage passt also nicht in den Zusammenhang und ist somit für diesen irrelevant. Wie es sich mit der Darbietung eine Klaviersonate verhält, ist ein anderes Thema, denn eine Klaviersonate ist weder ein Drama, noch ist ihre Darbietung Theater. Eine Apfel ist kein Blumenkohl. Mehr ist dazu nicht zu sagen.


    Vielleicht doch das noch:



    Die RT-Befürworter haben genauso wenig Argumente, welche die berechtigten Einwände der RT-Gegner wirklich widerlegen könnten, sondern haben nur affirmativ bekräftigt, was sie zu tun gedenken, was sie wollen und nicht wollen.

    Ich bin nun bekanntlich kein »RT-Befürworter«, weil ich gar nicht weiß, was »RT« sein soll. (Der russische Internet-Sender wird ja nicht gemeint sein, oder?)


    Dennoch darf ich vielleicht dazu sagen, dass die Aussage in dieser Allgemeinheit nicht stimmt. Die bei weitem überwiegende Zahl dieser Debatten, die ich erlebt habe oder von denen ich anderweitig Kenntnis erhalten habe, laufen so ab, dass die Apologeten der sog. »Werktreue« ihren Gegenspielern vorhalten, dass diese gewisse Verpflichtungen haben, wie sie ihre Arbeit zu machen, insbesondere, wie sie sich zu den geheiligten Werken zu verhalten haben. Die auf der anderen Seite fragen in der Regel nach, woraus sich diese Forderungen ergeben und worauf sie sich stützen und erhalten entweder keine oder ganz unzureichende Antworten. Von einer affirmativen Bekräftigung ihrer Seite kann in der Regel keine Rede sein, und sie ist auch nicht nötig, denn es genügt ja zu zeigen, dass die Argumente der Gegner auf wackligen oder gar keinen Füßen stehen – was meistens nicht weiter schwer ist.

  • Da kommt natürlich die Frage auf, warum eigentlich Publikum, Sänger und Musiker sich nicht querstellen?

    Ist die Ablehnung dieser Art von Regie vielleicht gar nicht so verbreitet, wie RT-Gegner es gerne hätten? Wenn dem Publikum die hier geforderte absolute "Werktreue" wirklich so enorm am Herzen läge, könnte es doch, wenn es wollte, einfach wegbleiben. Tut es aber nicht!

    Das erklärt sich m. E. relativ einfach:


    Das Gros des Publikums dürfte auch heutzutage ganz primär wegen des jeweiligen Werkes oder eines darin mitwirkenden Künstlers auf der Bühne oder im Orchestergraben (Dirigent) in die Oper gehen. Darüber nimmt man die "Regieleistung" gewissermaßen notgedrungen und zuweilen zähneknirschend hin. Dann gibt es, zumindest an den großen Häusern, auch nicht wenige Touristen, die unbedingt mal gerne bspw. in der Wiener Staatsoper oder in der Semperoper gewesen wären, gleich was gespielt wird. Für die Bayreuther Festspiele gilt zudem, dass diese selbst bei Wegbleiben aller Regietheater-Gegner wohl noch zu wenige Karten für alle Interessenten hätten.

    Orchestermusiker haben wohl selten die Wahl, diese oder jene Opern-Inszenierung zu boykottieren. Und da man drunten im Orchestergraben ohnehin wenig von dem Bühnengeschehen oben mitbekommt ... Wie heißt es am Ende des "Rheingolds":


    Traulich und treu

    ist's nur in der Tiefe:

    falsch und feig

    ist, was dort oben sich freut!


    Unter den Dirigenten gibt es schon ein paar, die sich wegen des Regisseurstheater weitestgehend in Opernhäusern rar gemacht haben (besonders Marek Janowski).


    Sänger im Ensemble eines Opernhauses haben nicht so einfach die Möglichkeit, welche Weltstars haben, ganz bewusst Produktionen diverser Regisseure zu meiden und trotzdem nicht schlimmstenfalls der staatlichen Alimentierung zu bedürfen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das Gros des Publikums dürfte auch heutzutage ganz primär wegen des jeweiligen Werkes oder eines darin mitwirkenden Künstlers auf der Bühne oder im Orchestergraben (Dirigent) in die Oper gehen. Darüber nimmt man die "Regieleistung" gewissermaßen notgedrungen und zuweilen zähneknirschend hin.

    Darf ich fragen, auf welche Daten sich diese Aussage stützt, aus welchen Erhebungen sie stammen und was ihre Verlässlichkeit verbürgt?

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