Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Ich sehe mal wieder vom überheblichen Ton ab, der schon anstrengend ist, weil ich nicht erkennen kann, was seine Ursache sein sollte. Der allgemeine Forschungsstand in der Werkästhetik, der vermutlich kompliziert ist, kann ja kaum Gegenstand dieser Diskussion sein.

    Gegenüber der Wissenschaft und wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte man erst einmal Respekt haben. Denn die besitzen Allgemeinverbindlichkeit. Und wenn der nötige Respekt nicht gezeigt wird, ist "Überheblichkeit" von Seiten des Wissenschaftlers manchmal leider erforderlich.


    Zweitens hast Du einfach - und die an der Diskussion beteiligten Künstler - das Grundproblem nicht begriffen. Regietheater hat ein erhebliches Rezeptionsproblem. Es ist nun allzu offensichtlich nicht unumstritten, sondern sehr umstritten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Künstler die Sinnhaftigkeit ihres Tuns nicht allgemein und allgemeinverbindlich verständlich machen können. Diejenigen, die Regietheater toll finden, brauchen letztlich nicht überzeugt werden. Es geht um die Menschen, die Probleme mit dem Regietheater haben. Und da nützt es nichts, wenn man nur immer sein künstlerisches Selbstverständnis wie in einer Gebetsmühle in unendlicher Wiederholung zum Besten gibt. Man braucht Verbindlichkeiten, die auch der Andere, der Regietheater nicht ohne weiteres akzeptiert, akzetieren kann und von daher vielleicht zu einer gewissen Akzeptanz von Regietheater kommen kann. Das ist nicht zuletzt meine Bemühung als Ästhetiker. Die wird aber von den Künstlern respektlos zurückgewiesen und lächerlich gemacht. Der Mensch, welcher mit RT Probleme hat, akzeptiert nunmal kein anyrthing goes, sondern will wissen, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist. Wenn dann die Freunde von RT immer nur sagen: Das ist künstlerische Freiheit, es ist alles erlaubt, es gibt keine Verbindlichkeiten, dann haben sie einfach nur ihre diskursive Unfähigkeit unter Beweis gestellt, die Sinnhaftigkeit ihres Tuns denen, welche bei RT nicht ohne weiteres einen Sinn erkennen können, in irgendeiner Form zu demonstrieren. Ein Weg ist, höhere Verbindlichkeiten wie die Ästhetik ins Spiel zu bringen, weil es hier um allgemeingültige Erkenntnisse geht. Grundlegend ist aber, dass man auf einfache und klar gestellte Fragen auch eine Antwort geben können sollte. Warum ist das, was del Monaco gemacht hat, nicht gut? Es wird solchen Fragen aber immer ausgewichen und statt dessen werden alle Verbindlichkeiten abgestritten, mit denen man möglicher Weise zu einem Verständnis kommen könnte. Dann aber sitzen die Regietheater-Künstler nur in ihrer Filterblase. Sie wollen von denen, die RT ablehnen, nichts hören und die, welche Schwierigkeiten mit RT haben, lehnen es weiter ab. Ihre Fragen nach Sinnhaftigkeit werden in einer für sie verständlichen Weise nicht beantwortet. Das aber ist nichts anderes als der Bankrott jeglicher Verständigungsbemühung.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Tamino hat sich verändert, scheint mir. Ein ganzer Thread hier, der mehrheitlich darauf abzielt, dass man jegliche Form inszenierender Selbstbefriedigung des Regisseur-Egos als nicht nur legitim, sondern als State of the art empfinden soll.
    Das ist so, als ob in einer Diskussion über Mozarts Klaviermusik sich der Tenor dahingehend formuliert, dass Glenn Goulds „dekonstruierende“, hölzerne Interpretation von Mozarts Klaviersonaten das Non plus Ultra sei.


    Der Gedanke einer Tradition, einer kulturellen Überlieferung, die vom

    jeweiligen Werk ausgeht und der man sich in Liebe und Wertschätzung verbunden fühlt, scheint ferngerückt. Damit wird diese Diskussion über Regie zum zeitgemäßen

    Spiegel der „großen“ Kulturpolitik, die eigentlich eine ganz kleine, kleingeistige ist, mit staatlichen Sachwaltern einer Roth, der schon ein Bibelzitat oder ein Begriff wie „preussisch“ gegen den Strich geht.


    Zurück zum Regietheater: Dort, wo Opern primär Entwicklungen einer mehr oder weniger als trostlos dargestellten Gegenwart spiegeln und erklären sollen, statt Menschen kulturellen Sinn aus ihrer inhärenten schöpferischen Kraft hinaus zu stiften - wo der „Ring“ beispielsweise, diese größte aller Opern, nur noch als profane Metapher für den Kapitalismus herhalten soll - wird implizit ein Projekt der kulturellen Entwurzelung und seelischen Verödung betrieben, der man den allergrößten Widerstand entgegensetzen sollte.


    Ich kann da nur sagen: Danke, dass es noch Mittel- und Osteuropa gibt - in Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn bekommt man noch werktreue Inszenierungen in dem Sinne zu sehen, dass dem Zuschauer nicht die gegenwärtige Weltanschauung des Regisseurs als Schablone aufgezwungen wird, die er kognitiv ersteinmal zur Seite schieben muss, sondern er sich der Wiedergabe der Oper als eigener Welt mit ihrem legitimen Recht, aus sich selbst heraus zu wirken, widmen kann.


    Wer in Abrede stellt, dass es den oben dargestellten, in der Praxis sehr greifbaren Unterschied zwischen einer gezielten regisseurhaften Verfremdung und einer primär an Zeit, Ort und Historie einer Oper orientierten Interpretation gibt, stellt sich entweder dumm oder ist schlicht ein Troll. In jedem Fall werde ich auch in 2023 nicht aufgeben, nach tradierten Perlen der Inszenierung zu suchen, und überlasse Clowns, Erschiessungen und Erbrochenes auf der Bühne gern den Regisseurstar-Freunden.


    Gutes Hören

    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Gegenüber der Wissenschaft und wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte man erst einmal Respekt haben. Denn die besitzen Allgemeinverbindlichkeit.

    Ich bin mir ziemlich sicher, den zu besitzen. Ich versuche immer noch das Standardmodell der Elementarteilchen zu verstehen, obwohl ich kein Physiker bin ... Ich finde das eine großartige Sache! Auch, wenn ich da irgendwo am Anfang herumdümpele, ist mir klar, eine großartige Leistung vor mir zu sehen.


    Ich habe nicht Philosophie studiert, weil ich keinen Respekt habe.. Allerdings bezweifele ich die Allgemeinverbindlichkeit philosophischer Erkenntnisse.


    Gehen wir detailliert ein auf ein paar Deiner Bemerkungen:


    Regietheater hat ein erhebliches Rezeptionsproblem. Es ist nun allzu offensichtlich nicht unumstritten, sondern sehr umstritten.

    Mit dieser Einstellung bin ich eigentlich auch in die Diskussion gegangen. Im Laufe der Gespräche ist das für mich aber mittlerweile sehr undeutlich geworden. Natürlich gibt es RT-Gegner ! Aber wie verteilt sich das denn nun wirklich? Ist das eine Mehrheit oder bloß eine laute Minderheit?


    Mittlerweile dreht sich hier gerade mein Verständnis ein wenig.


    Man braucht Verbindlichkeiten, die auch der Andere, der Regietheater nicht ohne weiteres akzeptiert, akzetieren kann und von daher vielleicht zu einer gewissen Akzeptanz von Regietheater kommen kann.

    Dieser Satz ist eine andere Aussage, als dass es solche gäbe. Nur sehe ich da etwas schwarz. Wenn ich unser La Roche wäre (er verzeihe mir das Beispiel) und in eine Lohengrin-Aufführung ginge, die mir dann nicht gefiele, lassen wir die Einzelheiten, wieso, weg, Du mir jetzt aber erklären würdest, dass das eine Inszenierung nach dem neuesten Stand der Werkästhetik wäre, würde mich das auf jeden Fall nicht überzeugen. Ich sähe absolut nicht ein, dass mich irgendeine theoretische Erkenntnis dazu zwingen könnte, dass mir die Aufführung zu gefallen habe. Und ich ( La Roche) hätte recht.


    Anders gesprochen: Schön wäre eine solche Verbindlichkeit, wenn man den Wunsch hätte, dass alle dasselbe gut und schlecht finden sollen ..Aber, unter uns alten Ästhetikern, die gibt es nicht. Ich habe auch nicht den Wunsch, dass es so sein soll und bin mit der bunten Welt mit den vielen Meinungen recht zufrieden.. (Nicht in allem ;))



    Die wird aber von den Künstlern respektlos zurückgewiesen und lächerlich gemacht. Der Mensch, welcher mit RT Probleme hat, akzeptiert nunmal kein anyrthing goes, sondern will wissen, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist.

    Ich hoffe sehr, dass die RT-Gegner nicht wissen wollen, was erlaubt ist, sondern einfach ihrem Geschmack Ausdruck verleihen. Ob das nun immer geschmackvoll passiert, ist dann tatsächlich zweitrangig.


    Grundlegend ist aber, dass man auf einfache und klar gestellte Fragen auch eine Antwort geben können sollte.

    Warum sollte das sein? Es gibt sehr einfach gestellte Fragen, die über hunderte von Jahren bis heute keine Antwort finden, trotz geballter Anstrengung klügster Köpfe.


    [OT]

    kann man jede gerade Zahl > 2 als Summe von zwei Primzahlen schreiben .. (Ich habe mal mit einem Rechner aus Jux und Dollerei damit rumgespielt ... Es funktioniert immer...)

    [OT Ende]


    Ich kann mit dieser Diffusität im eigenen und im Urteil meiner Mitmenschen leben. Wichtig ist doch nur, dass man sich die Köpfe nicht einschlägt ... :)


    Luxus wäre ein Modus der herrschaftsfreien Kommunikation .... aber da sehe ich auch etwas schwarz

  • Das ist allgemeiner Forschungsstand in der Werkästhetik heute. Du kannst das nun zur Kenntnis nehmen oder nicht. Auch die Künstler müssen sich darum nicht scheren freilich.

    Mal ganz abgesehen davon, ob das tatsächlich "allgemeiner Forschungsstand" ist oder nicht: Wenn Künstler sich nicht darum scheren müssen, sind es jedenfalls keine "Verbindlichkeiten".


    Ich hoffe sehr, dass die RT-Gegner nicht wissen wollen, was erlaubt ist, sondern einfach ihrem Geschmack Ausdruck verleihen.

    Ich befürchte, dass es schlimmer ist: Sie wollen nicht wissen sondern bestimmen, was erlaubt ist.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Vor etlichen Jahren bereits war hier im Forum der handliche Begriff "Regietheatermafia" gebräuchlich. An Aktualität hat er nichts eingebüßt. Diesen Thread hat dieselbe, auch mittels frischer Kräfte von außerhalb, die sonst nichts Nennenswertes beitragen, okkupiert und bestimmt nun vermeintlich den Diskurs in der Sache. Darüber lässt sich milde lächeln. Es zeigt im Grunde eher, wie prekär die Lage für die RT-Apologeten mittlerweile sein muss, dass nun alles aufgeboten und mobilisiert werden muss, um die Deutungshoheit zu behalten. Es sollte doch sehr wundern, wenn auch nur ein einziger Unentschlossener durch die hier durch die RT-Jünger vorgetragenen "Argumente" auf die dunkle Seite gewechselt wäre.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino hat sich verändert, scheint mir. Ein ganzer Thread hier, der mehrheitlich darauf abzielt, dass man jegliche Form inszenierender Selbstbefriedigung des Regisseur-Egos als nicht nur legitim, sondern als State of the art empfinden soll.

    Lieber hasiewicz es scheint mir eine ganze Menge von Egos in diesen Diskussionen zu geben. Mir ist a priori nicht klar, warum ein Regisseur nicht genauso ein Kunstwerk erschaffen kann wie ein Komponist ...


    Der Gedanke einer Tradition, einer kulturellen Überlieferung, die vom

    jeweiligen Werk ausgeht und der man sich in Liebe verbunden fühlt, scheint ferngerückt zu sein.

    Deinen Eindruck gewinne ich auch. Nur scheint mir diese Tradition eben auch nur eine historisch bedingte zu sein. Sie scheint ihre Wurzeln in der Romantik zu haben. Das macht sie natürlich weder gut noch schlecht, aber zeigt auf, dass wir hier nicht über Universelles sprechen.



    Zurück zum Regietheater: Dort, wo Opern primär Entwicklungen einer mehr oder weniger als trostlos dargestellten Gegenwart spiegeln und erklären sollen, statt Menschen kulturellen Sinn aus ihrer inhärenten schöpferischen Kraft hinaus zu stiften - wo der „Ring“ beispielsweise, diese größte aller Opern, nur noch als profane Metapher für den Kapitalismus herhalten soll - wird implizit ein Projekt der kulturellen Entwurzelung und seelischen Verödung betrieben, der man den allergrößten Widerstand entgegensetzen sollte.

    Wenn wir schon über Geschmack sprechen ... Ich habe mich mal an dieses Werk gemacht mit einem Haufen von Philips-Platten von Böhm und konnte nicht viel von dem was Du hier sagst nachvollziehen. Ich bitte das einfach zu akzeptieren. Das war eine riesige Kiste mit ausführlichen Begleitmaterial ... :)


    Nicht zuletzt dieser mythologische Krimskrams verleidet mir das Vergnügen. (Ich bin allerdings auch kein großer Fan vom Herrn der Ringe :(). Jetzt kann ich sagen, na gut --- weg mit dem Mist --- oder vielleicht öffnet sich mir das Werk auf einem anderen Weg.


    Ich habe wirklich keine Ahnung!


    Wer in Abrede stellt, dass es den oben dargestellten, in der Praxis sehr greifbaren Unterschied zwischen einer gezielten regisseurhaften Verfremdung und einer primär an Zeit, Ort und Historie einer Oper orientierten Interpretation gibt, stellt sich entweder dumm oder ist schlicht ein Troll.

    Tatsächlich würde ich das momentan nur in den Extremen glauben. Im Detail stelle ich mir die Unterscheidung schwierig vor, aber ich bin ja auch nur eine Laie.



    In jedem Fall werde ich auch in 2023 nicht aufgeben, nach tradierten Perlen der Inszenierung zu suchen, und überlasse Clowns, Erschiessungen und Erbrochenes auf der Bühne gern den vermeintlich Progressiven.

    So muss das sein! Ich suche auch nach den Perlen und ich glaube, dass wir uns nicht um die Funde streiten werden ! :saint:

  • Es zeigt im Grunde eher, wie prekär die Lage für die RT-Apologeten mittlerweile sein muss, dass nun alles aufgeboten und mobilisiert werden muss, um die Deutungshoheit zu behalten. Es sollte doch sehr wundern, wenn auch nur ein einziger Unentschlossener durch die hier durch die RT-Jünger vorgetragenen "Argumente" auf die dunkle Seite gewechselt wäre.

    Lieber Joseph II. ich beglückwünsche Dich zu Deinem Weltbild. Es wird Dir wenig Kopfschmerzen bereiten.


    Bei diesem handlichen Begriff

    Vor etlichen Jahren bereits war hier im Forum der handliche Begriff "Regietheatermafia" gebräuchlich. An Aktualität hat er nichts eingebüßt

    Gehöre ich denn da nun zu, weil ich Dir nicht zustimme? Ich möchte Dich wirklich nicht verwirren, aber es würde mich schon interessieren.

  • Das ganze Theater hier im Thread ist eigentlich nichts weiter als Theater zum Theater. Ein bißchen Show, ein bißchen Egoismus, ein bißchen Rechthaberei und Selbstdarstellung, ein bißchen im Wasser paddeln mit dem Ziel, nicht zu ertrinken.


    Letztendlich beweist der Thread nur eines: Zur Lösung vieler praktischer Probleme ist die Philosophie ungeeignet, im Gegenteil - sie schafft erst Probleme, über die dann seitenlang einem interessierten Publikum Meinungen präsentiert werden können. Nicht interessiertes Publikum blättert einfach weiter. Interessiertes Publikum wartet auf die Fortsetzung.


    Einen Sieger wird es nicht geben, nur neue Probleme, die es ohne Philosophie nicht geben würde.

    Da lobe ich mir doch die Naturwissenschaften, die immer eine in Formeln und Regeln gefaßte allgemeingültige Lösung finden wird und kann.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Einen Sieger wird es nicht geben, nur neue Probleme, die es ohne Philosophie nicht geben würde.

    Warum muss es in einem Gespräch immer Sieger geben?


    Mir reicht es meistens, wenn ich ein bisschen klüger rauskomme, als ich reingegangen bin. Es wird in Geschmacksdingen nie eine einfache Übereinstimmung geben. Das ist doch sowieso klar und doch auch gut so! Das kann man auch mit Philosophie nicht erzwingen.

  • Wenn Künstler sich nicht darum scheren müssen, sind es jedenfalls keine "Verbindlichkeiten".

    Welche Verbindlichkeiten, wenn wir bei diesem Begriff einmal bleiben, gibt es denn für Künstler aus der Theater-/Opernszene überhaupt, wenn zum Beispiel Werktreue bei Inszenierungen keine Rolle spielt ? Oder könnte man sagen, es gibt keine Verbindlichkeiten und alles was nicht verboten ist, ist grundsätzlich auch erlaubt? Ich versuche gerade, die "Denke" dahinter zu verstehen.


    Gruß MDM :/

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

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  • Da sind wir schon bei der nächsten Schwierigkeit: Eine Partitur ist nur in sehr seltenen Fällen ein Kunstwerk, nämlich dann, wenn sie auf eine besondere Weise gedruckt oder geschrieben wurde oder kunstvoll illustriert oder gebunden wurde usw. Wenn man von diesen Möglichkeiten absieht, ist sie erst einmal kein Kunstwerk. (Weder meine Dover-Partitur des Parsifal noch die entsprechenden Bände der neuen Wagnerausgabe können den Anspruch erheben, Kunstwerke zu sein (und erheben ihn auch gar nicht). Man kann wahrscheinlich sagen, dass die Partitur die (unvollkommene und unvollständige) Aufzeichnung eines musikalischen Kunstwerks ist. Aber was dieses musikalische Kunstwerk wirklich ist und auf welche Weise existiert (wenn es existiert), ist eine sehr komplex Frage. Die verdient sicherlich eine eigene Diskussion und würde diese nur zusätzlich erschweren, wenn sie hineingemischt würde.

    Auch wenn die Diskussion inzwischen weitergegangen ist, möchte ich hier doch noch etwas klarstellen: Als ich schrieb, eine Partitur z.B. des "Lohengrin" sei ein Kunstwerk, meinte ich natürlich nicht die bedruckten Stücke Papier auf dem Pult des Dirigenten. Ebensowenig meint man mit der Aussage "Der 'Zauberberg' ist ein (literarisches) Kunstwerk" das gedruckte Buch. In beiden Fällen geht es um das, was in den jeweiligen Druckwerken notiert ist.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Über das hier häufig und wiederholt angewandte Stöckchen, dass Werktreue überhaupt keine Rolle spiele, sollte nicht weiter gesprungen werden. Die Diskussion wird dann gerne darauf (ab)gelenkt, man solle haargenau definieren, was mit Werktreue gemeint ist. Dies ist, wie dieser Thread und etliche Vorgänger bewiesen haben, ein reines Ablenkungsmanöver. Wie zurecht angeführt, geht es nicht zuletzt darum, allem Tradierten und von alters her Bewährten den Fehdehandschuh ins Gesicht zu klatschen.

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    – Luís de Camões

  • Deinen Eindruck gewinne ich auch. Nur scheint mir diese Tradition eben auch nur eine historisch bedingte zu sein. Sie scheint ihre Wurzeln in der Romantik zu haben. Das macht sie natürlich weder gut noch schlecht, aber zeigt auf, dass wir hier nicht über Universelles sprechen.

    Hier möchte ich entschieden widersprechen. Erzählformen wie die der Heldenreise beispielsweise sind Grundlage von Homers „Odyssee“ bis zu Tolkiens „Herr der Ringe“. Auch eines der erfolgreichsten Computerspiele des laufenden Jahres, „Elden Ring“ (17 Mio. mal verkauft), erzählt eine klassische Heldenreise vor einem mythischen Hintergrund mit einem Soundtrack, der an Wagner orientiert ist. Gäbe es kein überzeitliches menschliches Bedürfnis an dieser Art der Erzählung, an Mythen, am Geheimnisvollen, würden solche Elemente nicht vom ersten Epos bis zum aktuellen Game funktionieren.


    Zu glauben, Kunst brauche die „ironische Brechung“, den „Gegenwartsbezug“ als notwendige Ingrediens heißt nur, die eigene Fantasielosigkeit zum Maßstab zu machen.


    Dass du, lieber astewes, weder mit Wagners Ring noch mit Tolkien etwas anfangen kannst sei dir zugestanden - aber es passt gut in den Kontext deiner Aussagen.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • (...) könnte man sagen, es gibt keine Verbindlichkeiten und alles was nicht verboten ist, ist grundsätzlich auch erlaubt? Ich versuche gerade, die "Denke" dahinter zu verstehen.

    Meine "Denke": Genau so "könnte man sagen", wie du es gefragt hast.

    Es gibt in diesem Thread kein einziges stichhaltiges Argument dagegen. Was mich nicht wundert, denn Künstlern ist hierzulande ein (gesellschaftspragmatisches) Maximum an Gestaltungsfreiheit gegeben. Mich wundert es aber zunehmend, dass diese faktisch gültige Konstellation immer wieder hinterfragt wird in dem Sinne, ob es denn wirklich so sei. Es ist so. Ein Künstler muss sich vor keinem Kritiker, Publikum, Ästhetiker, Politiker, keiner Institution oder Behörde für die inhaltliche Seite seines Tuns rechtfertigen. Für dieses trägt er Verantwortung (das wurde ja bereits mehrfach erwähnt) - und dass dies kein Leichtes ist, dürfte vielen Nicht-Künstlern dennoch klar sein. Denn er befindet sich ja schaffenderweise in einem komplexen Spannungsfeld (das allerdings individuell unterschiedlich aussieht), welches sowohl von äußeren als auch von inneren Faktoren beeinflusst wird.

    Ich denke weiterhin, dass die Kunstgeschichte bereits mehrfach bewiesen hat, dass Künstler sich grundsätzlich von allen vermeintlichen "Verbindlichkeiten" emanzipieren können. Ich würde sogar sagen: Dies liegt im Wesen der Kunst. Sie lässt sich von außen durch keine theoretischen Vorgaben festlegen. Sie hätte jederzeit die Möglichkeit, diese zu unterlaufen oder zu ignorieren. Und in diesem Sinne hinkt die Ästhetik den Kunstschaffenden auch immer hinterher. Umgekehrt jedenfalls wird kein Schuh draus.

    Natürlich lassen sich "Verbindlichkeiten" fordern. Das wurde hier ja auch mehrfach gemacht. Die Hilflosigkeit dieser Forderungen ist aber unübersehbar, weil sie immer wieder an der Grenze des faktisch Gegebenen scheitert. Es bleiben Forderungen mit Wunschcharakter.

    Ganz besonders im 20. Jahrhundert hat sich herauskristallisiert, dass erstens jedes Werk auch so etwas wie eine "eigene" Sprache spricht, die aus sich selbst heraus verstanden werden muss. (Das war m.E. allerdings prinzipiell mit bedeutender Kunst schon immer so.) Zweitens thematisiert Kunst im 20. Jahrhundert auch deutlichst den Kunstbegriff und ihr Kunst-Sein selbst. Aber auch hierbei wäre sie in keinem einzigen Fall gewzungen, sich der Gedanken eines philosophischen Theoretikers zu bedienen. Diese Aspekte ihrer Autonomie werden ihr nicht zu nehmen sein - außer zeitlich beschränkt mithilfe roher Gewalt.

  • Diese Aspekte ihrer Autonomie werden ihr nicht zu nehmen sein - außer zeitlich beschränkt mithilfe roher Gewalt.

    Doch: Durch Entzug von Ansehen und Geld, wie es z.B. bei der Documenta dieses Jahr passiert ist.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich habe nicht Philosophie studiert, weil ich keinen Respekt habe.. Allerdings bezweifele ich die Allgemeinverbindlichkeit philosophischer Erkenntnisse.

    Darum geht es doch nicht. Ästhetische Betrachtungen sind doch nicht nur exklusiv in philosophischen Abhandlungen zu finden. Und ihre Verbindlichkeit erklärt sich auch nicht daraus, dass sie Philosophen als Lehrsätze vermeintlich verkünden. Sie entstehen u.a. dadurch, dass es Poetiken gibt, die Regeln zur praktischen Ausführung geben und die Künstler sich in der Praxis daran gehalten haben. Über Jahrhunderte. Und daraus folgt, dass man den Sinn dieser Kunstwerke nicht versteht, wenn man die Regeln nicht versteht, nach denen sie geschaffen wurden und wie sie sich in der Struktur und dem Aufbau der Werke niedergeschlagen haben. Verbindlichkeit und der Nachweis von Verbindlichkeit ist auch eine empirische Frage. Dann kann sich daran eine (philosophische) Reflexion anschließen. Es ging um die "Werkgerechtigkeit". Kunstwerke haben einen Sinn und eine Aussage und zu deren Verstehbarkeit gehören genau diese Verbindlichkeiten. Sonst führt das schlicht zum Nichtverstehen. Man ist einfach nicht bei Trost, das einfach so bedenkenlos abzustreiten und alles für beliebig zu erklären.

    Mit dieser Einstellung bin ich eigentlich auch in die Diskussion gegangen. Im Laufe der Gespräche ist das für mich aber mittlerweile sehr undeutlich geworden. Natürlich gibt es RT-Gegner ! Aber wie verteilt sich das denn nun wirklich? Ist das eine Mehrheit oder bloß eine laute Minderheit?

    Jeder Mensch sollte sich erst einmal bemühen, sich verständlich zu machen, wenn er verstanden werden will. Das darf man bei einem Künstler, der Kunstwerke für ein Publikum schafft, wohl voraussetzen. Da geht es nicht um Mehrheiten oder Minderheiten. Selbst Menschen wie ich, die RT nicht prinzipiell ablehnen, finden gewisse Dinge einfach fragwürdig. Wenn man dann keine Antwort hat, warum es solche Fragwürdigkeiten in einer Kunst gibt, dann wird die ganze Kunst fragwürdig. Und die Zahl derer, die solche Kunst dann ablehnen, wird kontinuierlich steigen. Auch Regietheater ist keine Kunst, die für die Ewigkeit gerschaffen ist, sondern sehr vergänglich.

    Dieser Satz ist eine andere Aussage, als dass es solche gäbe. Nur sehe ich da etwas schwarz. Wenn ich unser La Roche wäre (er verzeihe mir das Beispiel) und in eine Lohengrin-Aufführung ginge, die mir dann nicht gefiele, lassen wir die Einzelheiten, wieso, weg, Du mir jetzt aber erklären würdest, dass das eine Inszenierung nach dem neuesten Stand der Werkästhetik wäre, würde mich das auf jeden Fall nicht überzeugen. Ich sähe absolut nicht ein, dass mich irgendeine theoretische Erkenntnis dazu zwingen könnte, dass mir die Aufführung zu gefallen habe. Und ich ( La Roche) hätte recht.

    Wer sagt denn so etwas? Ich kann den Sinn von Readymades verstehen und muss diese Art Kunst deshalb doch nicht lieben. Wer keine Zwölftonmusik mag, den wird auch keine philosophische oder welche Erklärung auch immer dazu bringen, sie zu mögen. Aber er wird vielleicht etwas mehr Respekt vor dieser Art Kunst haben, wenn ihm einer erklärt, welcher Sinn darin zu finden ist und warum man sie gerne hört. Genau daran fehlt es in der RT-Debatte: dem gegenseitigen Respekt. Und im Unterschied zu Dir kann ich La Roche verstehen. Man kann (siehe den Thread über "Absurde und lächerliche Inszenierungsideen") eine Farbbeutelschlacht auf der Bühne bei einer Wagner-Oper von der Bildästhetik her sehr wohl als lächerlich empfinden. Dafür habe ich dann eine Erklärung, die RT-Künstler vielleicht nicht gerne hören wollen... ^^

    Ich hoffe sehr, dass die RT-Gegner nicht wissen wollen, was erlaubt ist, sondern einfach ihrem Geschmack Ausdruck verleihen. Ob das nun immer geschmackvoll passiert, ist dann tatsächlich zweitrangig.

    Menschen, die zeigen, dass sie keine Verbindlichkeiten achten, sind nie überzeugend. Überzeugend ist der - egal in welchem Beruf - wenn er sagt, wo seine sehr persönlichen Verbindlichkeiten liegen, was er anders als Andere lieber nicht tun würde. Maßstablosigkeit ist kein Wert an sich und keine Tugend. "Halte Maß" steht auf dem Apollon-Tempel in Delphi.

    Warum sollte das sein? Es gibt sehr einfach gestellte Fragen, die über hunderte von Jahren bis heute keine Antwort finden, trotz geballter Anstrengung klügster Köpfe.

    Das ist sehr allgemein über etwas geredet, was man nicht kennt.

    Mal ganz abgesehen davon, ob das tatsächlich "allgemeiner Forschungsstand" ist oder nicht: Wenn Künstler sich nicht darum scheren müssen, sind es jedenfalls keine "Verbindlichkeiten".

    Es gibt aber nunmal Künstler immer noch, und zwar keine unbedeutenden, für die "Werktreue" eine hohe und sehr hohe Verbindlichkeit hat. Was sagst Du diesen Deinen Kollegen?

    Ich befürchte, dass es schlimmer ist: Sie wollen nicht wissen sondern bestimmen, was erlaubt ist.

    Das ist doch nur Ausdruck von Hilflosigkeit, dass sie sich unverstanden fühlen und das nicht mehr zu sehen bekommen, was sie gerne wollen. Ihr helft ihnen aber auch nicht gerade in dieser Hinsicht.

    Letztendlich beweist der Thread nur eines: Zur Lösung vieler praktischer Probleme ist die Philosophie ungeeignet, im Gegenteil - sie schafft erst Probleme, über die dann seitenlang einem interessierten Publikum Meinungen präsentiert werden können.

    Da siehst Du nicht, dass gerade Dir die Philosophie hilft. ;) Philosophen ignorieren nämlich keine Fragen, auch die einfach und einfachsten und vermeintlich dummen Fragen nicht, die sie Ernst nehmen. :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Doch: Durch Entzug von Ansehen und Geld, wie es z.B. bei der Documenta dieses Jahr passiert ist.

    Dass man Kunstschaffende sanktionieren kann, steht außer Frage. Das ändert aber nichts daran, dass sie bei jedem neuen Werk eine (juristisch begrenzte) Gestaltungsfreiheit haben, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu arbeiten. Und auch die Freiheit, sich vermeintlichen Autoritäten dabei nicht zu beugen.

  • Auch wenn die Diskussion inzwischen weitergegangen ist, möchte ich hier doch noch etwas klarstellen:

    Ich hätte noch hinzufügen sollen, dass natürlich klar ist, wie es gemeint ist. Ich bin in solchen Dingen ganz einfach größtmögliche Genauigkeit. Denn wenn man seine Opponenten in einer solchen Debatte ernst nimmt (was man immer tun sollte – dies dem ausgewiesenen Fachmann für philosophische Ästhetik ins Stammbuch), muss man damit rechnen, dass jede Schwäche ausgenutzt wird, besser: man sollte nicht nur damit rechnen, sondern darauf hoffen, dass der Opponent so aufmerksam ist, solche Schwächen zu entdecken und herauszuarbeiten. Deshalb debattiert man ja, wenn man es ernst nimmt. (Wenn nicht, will man nur gewinnen, was an der Verwendung von argumenta ad hominem und ad personam zu erkennen ist.) Wie gesagt: Ich hätte das klarstellen sollen, weil es sich in einer etwas erhitzten Atmosphäre nicht von selbst versteht, aber wir sind nun mal allesamt nur fehlbare Sterbliche... ;)


    Über das hier häufig und wiederholt angewandte Stöckchen, dass Werktreue überhaupt keine Rolle spiele, sollte nicht weiter gesprungen werden.

    Wer hat denn dieses Söckchen angewandt? Es ist so, dass hier eine Forderung erhoben wird und danach gefragt wird, wie diese Forderung zu begründen ist. Wenn sich die Forderung nach Werktreue begründen lässt, muss sie akzeptiert werden. Bisher hat es aber keine Begründung gegeben. »Es ist so, weil es so ist« oder »es ist so, weil ich es sage« oder »es ist so, weil ich ausgewiesener Fachmann für irgendwas bin« oder »es ist so, weil Sartre irgendetwas nicht zur Sache gehöriges gesagt hat« – all das sind keine Begründungen. Und so lange nicht begründet ist, warum eine Forderung erfüllt werden muss, bzw. so lange eine Behauptung nicht bewiesen ist, ist sie einfach ungültig. Die Versuchung, einem, der eine Behauptung als unbewiesen zurückweist, sozusagen zur Strafe eine andere Behauptung zu unterstellen, die er nicht geäußert hat, ist zwar groß, man sollte ihr aber widerstehen, weil dieser Taschenspielertrick allzu leicht durchschaubar ist. Konkrett (falls die Übertragung zu schwer ist): Wenn die Behauptung, Werktreue sei für die Theaterarbeit verbindlich, als uznbegründet zurückgewiesen wird, wird damit nicht gesagt, Werktreue sei nicht verbindlich. Denn »diese Forderung ist nicht begründet« bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass diese Forderung nicht begründet ist. Dass darüber hinaus gilt, dass eine Forderung, die nicht begründet ist, nichtig ist, ist eine andere Sache, die sofort ihre Bedeutung verliert, wenn die Begründung gegeben wird. Da das aber bisher nicht geschehen ist...

    Doch: Durch Entzug von Ansehen und Geld, wie es z.B. bei der Documenta dieses Jahr passiert ist.

    Genau. Wenn die Argumente ausgehen, tritt an ihre Stelle die nackte Gewalt. Besonders überzeugend ist das allerdings nicht, sondern hebt lediglich kraftvoll die Schwäche der eigenen Position hervor.

  • Ein Künstler muss sich vor keinem Kritiker, Publikum, Ästhetiker, Politiker, keiner Institution oder Behörde für die inhaltliche Seite seines Tuns rechtfertigen.

    Dennoch sollte es meiner Meinung nach doch so etwas wie einen Berufsethos, auch bei gestaltenden Künstlern, geben. Vor allem, wenn sie sich Werken bedeutender Persönlichkeiten der europäischen Kunstgeschichte bedienen. Ich meine, jeder von uns, der einem normalen Beruf nachgeht, muss sich doch an bestimmte geschriebene, oft auch ungeschriebene Regeln, halten. Ein Banker hütet immer das Bankgeheimnis gegenüber seinen Kunden, er veruntreut nicht und betreibt keine Insidergeschäfte. Ein Brauer richtet sich nach dem Reinheitsgebot. Ein Lehrer behandelt seine Schutzbefohlenen alle gleich. Ein Kaufmann ist ehrbar. Wissenschaftler sind sorgfältigem Arbeiten verpflichtet und dürfen nicht plagiieren. Juristen verteidigen die Gesetze und beugen sie nicht , Ärzte sind dem hippokratischen Eid verpflichtet. Ein Kunsthändler darf nicht wissentlich gefälschte oder mit unsauberer Provenienz ausgewiesene Gemälde verkaufen. Ein Weinhändler panscht nicht. Ein Bestatter übervorteilt nicht die trauernden Angehörigen usw. usf.. Für wohl jeden Berufsstand gelten bestimmte Regeln, geschrieben oder ungeschrieben..


    Nur für Künstler einer bestimmten Szene sollen keinerlei Verbindlichkeiten oder moralische Prinzipien gelten? Wieso eigentlich nicht? Gerecht wäre das nicht. Sie sind doch nichts Besonderes oder wie? Ich bin der Meinung, wer ein ehrlicher und anständiger Kerl ist ( ich gehe jetzt mal von Männern aus) schmückt sich nicht nicht mit fremden Federn, er hat es nicht nötig. Wenn ein Opernregisseur beipielsweise" Lohengrin - Romantische Oper in 3 Akten von Richard Wagner" inszeniert, dann muss das Werk, auch wenn es großzügig neu interpretiert wird, in seinen wesentlichen Bestandteilen erkennbar bleiben, sonst ist es in meinen Augen ein Etikettenschwindel.


    Gruß...:hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Genau. Wenn die Argumente ausgehen, tritt an ihre Stelle die nackte Gewalt. Besonders überzeugend ist das allerdings nicht, sondern hebt lediglich kraftvoll die Schwäche der eigenen Position hervor.

    Das Sanktionieren einer antisemitischen Ausstellung als „nackte Gewalt“? Ziemlich dünnes Eis, würde ich sagen.


    Im Übrigen gelten Protestformen wie Boykotts und Sanktionen in westlichen Demokratien als legitime Instrumente. Problem damit?

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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  • Dennoch sollte es meiner Meinung nach doch so etwas wie einen Berufsethos, auch bei gestaltenden Künstlern, geben. Vor allem, wenn sie sich Werken bedeutender Persönlichkeiten der europäischen Kunstgeschichte bedienen. Ich meine,

    Das ist zum einen eine Meinung, die zu teilen niemand gezwungen ist, zum anderen ist es ziemlich starker Toback, wenn Du allen Regisseuren, deren Arbeiten Deinem Geschmack nicht entsprechen, das Berufsethos absprichst. Findest Du nicht auch? Wie wäre es denn mit Argumenten für Deine Position statt Diffamierungen derjenigen, die anderer Meinung sind?

  • Das Sanktionieren einer antisemitischen Ausstellung als „nackte Gewalt“? Ziemlich dünnes Eis, würde ich sagen.

    Erstens war diese Ausstellung keineswegs antisemitisch, zum anderen brachtestDu diesen Vorgang lediglich als Beispiel dafür, wie man mit renitenten Künstlern umgehen kann.

  • Erstens war diese Ausstellung keineswegs antisemitisch, zum anderen brachtestDu diesen Vorgang lediglich als Beispiel dafür, wie man mit renitenten Künstlern umgehen kann.

    Warum ich ein Beispiel bringe, solltest du nicht mutmaßen. Genauso wenig wie ich mutmaße, warum du mit künstlerischem Antisemitismus kein Problem zu haben scheinst - das musst du wissen.

    https://amp.dw.com/de/antisemitismus-wie-es-zum-größten-skandal-der-documenta-kam/a-63137650

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Das ist zum einen eine Meinung, die zu teilen niemand gezwungen ist, zum anderen ist es ziemlich starker Toback, wenn Du allen Regisseuren, deren Arbeiten Deinem Geschmack nicht entsprechen, das Berufsethos absprichst. Findest Du nicht auch?

    Nein, das tue ich natürlich nicht. In allen Berufen gibt es seriöse Vertreter und einige wenige schwarze Schafe.


    Mich würde interessieren, worin dieser Berufsethos im genannten Falle überhaupt besteht, was ihn konkret ausmacht, weil dies meiner Meinung nach für mich bislang irgendwie unscharf geblieben ist.

    Wie wäre es denn mit Argumenten für Deine Position statt Diffamierungen derjenigen, die anderer Meinung sind?

    Argument wären Fälle, in denen bekannte Werke unter dem Namen des Urhebers aufgeführt werden, das aufgeführte Werk aber durch starke Verfremdungen verschiedenster Art für den normalen Zuschauer nicht mehr als das angekündigte erkennbar ist. Das wäre für mich nicht mehr seriös.


    Gruß...MDM :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Man sieht, die RT-Apologetik kann auf Ernst gemeinte und Ernst zu nehmende kritische Einwände nicht anders als strategisch reagieren, sie von daher nur als eine bloße Strategie nehmen, im Krieg der ästhetischen Weltanschauungen ihre sicher befestigte Festung mit argumentativen Kanonenkugeln zu schwächen, um sie dann einzunehmen. Das muss natürlich mit allen Mitteln verhindert werden! ^^

  • Dennoch sollte es meiner Meinung nach doch so etwas wie einen Berufsethos, auch bei gestaltenden Künstlern, geben. Vor allem, wenn sie sich Werken bedeutender Persönlichkeiten der europäischen Kunstgeschichte bedienen. Ich meine, jeder von uns, der einem normalen Beruf nachgeht, muss sich doch an bestimmte geschriebene, oft auch ungeschriebene Regeln, halten. Ein Banker hütet immer das Bankgeheimnis gegenüber seinen Kunden, er veruntreut nicht und betreibt keine Insidergeschäfte. Ein Brauer richtet sich nach dem Reinheitsgebot. Ein Lehrer behandelt seine Schutzbefohlenen alle gleich. Ein Kaufmann ist ehrbar. Wissenschaftler sind sorgfältigem Arbeiten verpflichtet und dürfen nicht plagiieren. Juristen verteidigen die Gesetze und beugen sie nicht , Ärzte sind dem hippokratischen Eid verpflichtet. Ein Kunsthändler darf nicht wissentlich gefälschte oder mit unsauberer Provenienz ausgewiesene Gemälde verkaufen. Ein Weinhändler panscht nicht. Ein Bestatter übervorteilt nicht die trauernden Angehörigen usw. usf.. Für wohl jeden Berufsstand gelten bestimmte Regeln, geschrieben oder ungeschrieben..


    Nur für Künstler einer bestimmten Szene sollen keinerlei Verbindlichkeiten oder moralische Prinzipien gelten? Wieso eigentlich nicht? Gerecht wäre das nicht. Sie sind doch nichts Besonderes oder wie? Ich bin der Meinung, wer ein ehrlicher und anständiger Kerl ist ( ich gehe jetzt mal von Männern aus) schmückt sich nicht nicht mit fremden Federn, er hat es nicht nötig. Wenn ein Opernregisseur beipielsweise" Lohengrin - Romantische Oper in 3 Akten von Richard Wagner" inszeniert, dann muss das Werk, auch wenn es großzügig neu interpretiert wird, in seinen wesentlichen Bestandteilen erkennbar bleiben, sonst ist es in meinen Augen ein Etikettenschwindel.


    Gruß...:hello:

    Ich finde ein Berufsethos so per se auch nicht schlecht. ;) Dass du auf dieses im Zusammenhang mit gestaltenden Künstlern kommst, dürfte wohl ein Ausdruck grundsätzlichen Misstrauens sein, oder? Denn mit der von mir angesprochenen Gestaltungsfreiheit hat das sachlogisch für mein Verständnis nichts zu tun.

    Ich jedenfalls kann nicht für Theaterschaffende sprechen, da ich keiner bin. Vermutlich haben viele von ihnen Wertvorstellungen hinsichtlich ihrer Arbeit, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass man sie sonst auf hohem Niveau ausführen könnte. Aber Theaterschaffenden einen Extrastrauß moralischer Prinzipien zu binden, leuchtet mir nicht ein (das hast du allerdings auch nicht ausdrücklich gemacht). Ich denke, dass moralische Prinzipien für alle gleich gelten müssten.

    Du nimmst diesen Gedanken nun mit in die Diskussion hinein, ob RT Etikettenschwindel sei. Und da bin ich sehr skeptisch. Ich glaube auch hier ganz pragmatisch, dass man sich schon wirklich sehr grün hinter den Ohren zeigen müsste, um immer wieder auf Aufführungen "hereinzufallen", die in sehr freier Weise auf Setting und Handlung eines Stückes bezogen sind, dessen Titel auf dem Programm erscheint.

    Es wurde ja hier schon so einiges probiert, um so etwas wie einen "aufführungsgerechten" (:)) Programmzettel hinzubekommen. Ich sehe darin aber kein gewichtiges Problem, so gerne auch ich um Klarheit bemüht sein möchte. Aber es sollte m.E. auch nicht zu kompliziert und unpraktisch werden. Die meisten Opernbesucher wissen, dass die Spanne von... bis... gehen kann. Zudem gibt es keine klaren Kriterien für "stark RT", "mäßig RT" und "wenig RT" - und sehr niedrigschwellige Möglichkeiten, sich vorab zu informieren!

  • Genauso wenig wie ich mutmaße, warum du mit künstlerischem Antisemitismus kein Problem zu haben scheinst - das musst du wissen.

    Lass doch diese frechen Unterstellungen. Sie machen Deine Position nicht stärker, sondern schwächer. Abgesehen davon sind sie peinlich.

  • Mich würde interessieren, worin dieser Berufsethos im genannten Falle überhaupt besteht, was ihn konkret ausmacht, weil dies meiner Meinung nach für mich bislang irgendwie unscharf geblieben ist.

    Davon war hier auch nicht die Rede. Gegenstand der Debatte ist die nach wie vor unbeantwortete Frage, wie sich die Forderung nach Werktreue begründen lässt. Wenn Du Dich für ein anderes Thema interessierst, solltest Du eine Debatte darüber beginnen und jemanden suchen, der Lust hat, Deine Frage zu beantworten.

  • Hier möchte ich entschieden widersprechen. Erzählformen wie die der Heldenreise beispielsweise sind Grundlage von Homers „Odyssee“ bis zu Tolkiens „Herr der Ringe“.

    Tatsächlich hat die Odyssee mich gepackt. Den Herrn der Ringe habe ich auch gelesen, hatte aber den Eindruck, dass die literarische Qualität mit den Bänden zwei und drei nachlässt. Das ist aber natürlich auch Geschmackssache. Die Odyssee steht bei mir aber hoch im Kurs ...:)


    Also ja, Du hast recht, was die Erzählform angeht.



    Gäbe es kein überzeitliches menschliches Bedürfnis an dieser Art der Erzählung, an Mythen, am Geheimnisvollen, würden solche Elemente nicht vom ersten Epos bis zum aktuellen Game funktionieren.

    Auch hier wirst Du recht haben, wenn ich auch ein miserabler Gamer bin und ein begeisteter Leser der Odyssee ...



    Zu glauben, Kunst brauche die „ironische Brechung“, den „Gegenwartsbezug“ als notwendige Ingrediens heißt nur, die eigene Fantasielosigkeit zum Maßstab zu machen.


    Das kann sein, muss es aber nicht. Ob eine ironische Brechung hier zur Kunst beiträgt oder nur ein sinnlos plakatives Element ist, müsste man sich doch im Speziallfall ansehen. Ein Pauschalurteil greift sicher zu kurz. ICh habe aber bisher auch noch von keinem, der hier der RT-Gruppe zugeordnet wird gehört, dass es notwenidig sei. Bisher ist doch eigentlich nur über die Freiheit der Kunst und Verbindlichkeiten gesprochen worden.


    Es ist gerade noch das Berufsethos eines Künstlers angesprochen worden. Wenn es ein solches geben sollte, wäre es in meinen Augen bedingungsloses kompromissloses Eintreten für das Kunstwerk. Das wird es aber in dieser Reinform nicht geben können, weil auch der Künstler natürlich den Gesetzen unterliegt und wahrscheinlich auch sonst Kompromisse schließen muss, die dem Kunstwerk als solches abträglich sein können.


    Eine schöne Geschichte in dem Zusammenhang sind die zwei Fassungen von I-A-GADDA-DA-VIDA von Iron Butterfly .. (Ich vermute, dass Du sie kennst :))

  • Lass doch diese frechen Unterstellungen. Sie machen Deine Position nicht stärker, sondern schwächer. Abgesehen davon sind sie peinlich.

    Du hast oben behauptet, die Documenta sei keine antisemitische Ausstellung gewesen. War sie aber nachweislich, oder kennst du dich mit Antisemitismus besser aus als Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden? Sonst vielleicht deinem eigenen Ansehen zuliebe mal einen Beitrag auslassen.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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