Beethoven Neunte oder der Chor, der nicht gelungen?

  • Die nachstehende Diskussion über den Chorsatz von Beethovens 9. habe ich aus dem Thread "Hilfe, ich mag Verdi nicht" ausgegliedert. TP



    Darauf muss man eigentlich überhaupt nicht reagieren.


    Warum schreibt man es dann in einem Internetforum?


    Einer dieser Oberlehrer hat mich mal belehrt (es war wohl der 4. Satz der Neunten, deren Chorkomposition ich in Frage gestellt habe [...]).


    Das mag jetzt böser klingen, als es von mir gemeint ist, aber wie soll Dir das (also das Infragestellen der Chorkomposition der Neunten) gelingen können? Laut Deiner eigenen Auskunft verfügst Du nur über sehr begrenztes musiktheoretisches Wissen. Auf dieser Basis kann es schlicht nicht funktionieren, eine substanziell fundierte Kritik an einem musikalischen Werk dieses Rangs zu üben.


    Gewisse Vorhaben erfordern halt gewisse Fähigkeiten. Ich spiele leider nicht gut genug Klavier, um das Finale der Hammerklaviersonate halbwegs ordentlich spielen zu können. Aber: genau aus diesem Grund lasse ich es...


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Das mag jetzt böser klingen, als es von mir gemeint ist, aber wie soll Dir das (also das Infragestellen der Chorkomposition der Neunten) gelingen können? Laut Deiner eigenen Auskunft verfügst Du nur über sehr begrenztes musiktheoretisches Wissen. Auf dieser Basis kann es schlicht nicht funktionieren, eine substanziell fundierte Kritik an einem musikalischen Werk dieses Rangs zu üben.

    Da irrst du dich. Ich singe seit 1980 in Vokalensembles und kenne viele Chorwerke auch vom Singen. Hier brauche ich keine Theorie, sondern nur gute Ohren, und die habe ich. Ich bin hier im Forum nicht firm, um Klaviermusik oder Sinfonien zu beurteilen, aber Chöre durchaus. Ohne Musiktheorie kann ich feststellen, dass in den finalen Takten der 9. für den Chor der Sopran über mehr als 30 Takte das a'' zu singen hat. Schon wenn Gardiner oder Herreweghe ihre tollen Chöre das singen lassen, klingt das für mich (!) nicht. Dafür braucht man keine Musiktheorie, das hört man. Alle befreundeten Soprane waren auch immer der Meinung, dass sie keine Lust hätten, sowas zu singen. Herbert von Karajan hatte ja immer einen großen Chor aus Laien. Alfred hat erklärt, dass er diesen Chor gerne nahm, weil er damit endlos proben konnte ohne Gagen zu zahlen. Wenn dann in einem solchen Chor viele ältere Sänger, vor allem aber Sängerinnen, sind, dann hört man das, und es klingt nicht gut.

    Eine andere Sache hat Stolzing gut charakterisiert. Viele der Wohlmeinenden hier denken, man muss nur daran arbeiten, Textbücher lesen, mehrere Aufnahmen hören, sich jedenfalls anstrengen, um hinter die Schönheiten der italienischen Musik oder der 9. zu kommen. Das kenne ich von fundamentalistischen Theologen (und hier kenne ich mich sehr gut aus), die einem Atheisten sagen, er müsste sich nur intensiv mit der Bibel und den theologischen Dogmen auseinandersetzen, dann würde er verstehen und dann glauben. Ich denke, danach wird er ein - noch stärkerer Atheist sein.

    Ich nehme jetzt mal ein Beispiel (nicht die Lucia!) einer Oper, die ich nicht mag, aber auch nicht hasse, den Troubadour. Ich lese das Textbuch, höre CDs, auch DVDs und lese einiges über Verdi, dazu alles, was hier im Forum darüber geschrieben wurde.

    Würde ich den Troubadour dann lieben?:?::?:

    Nachtrag: In einem Buch habe ich eine Stellungnahme des Komponisten Louis Spohr gelesen, der am 4. Satz kein gutes Haar gelassen hat. Dem kann man ja die Kenntnis von Kompositionen nicht absprechen.

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  • Viele der Wohlmeinenden hier denken, man muss nur daran arbeiten, Textbücher lesen, mehrere Aufnahmen hören, sich jedenfalls anstrengen, um hinter die Schönheiten der italienischen Musik oder der 9. zu kommen.

    Dem einen gelingt es, dem anderen eben nicht. Ich lese hier an keiner Stelle, dass jemand denkt, man müsse die italienischen Opern gut finden. Gott sei Dank! Sonst hätte ich auch Probleme. Wenn man sich aber austauschen will und seine Ablehnung extrem provokativ formuliert, darf einen doch der Gegenwind nicht überraschen.


    Ich beherrsche (nicht bloß gelernt sondern relativ gut) 4 Instrumente: Violoncello, Geige, Trompete und Klavier. Zudem bin ich ausgebildeter Sänger und der einzige Nichtberufsmusiker in meiner Familie. Ich bekam Bach mit der Muttermilch. Darf ich mich zu der Musik, die mir mit das wichtigste auf der Welt ist, äußern oder muss ich mir von euch erklären lassen was mir gefällt tune warum das so ist?

    Ich beherrsche kein Instrument gut und äußere mich trotzdem zur Musik ... Also meiner Meinung nach ist alles gut!


    Das Problem ist halt nur, wenn man diese Musik mit Tschingderassabum bezeichnet, kann es passieren, dass man jemandem auf die Füße tritt ... ;) BTW mir kommt "la donna e mobile" auch aus den Ohren ... aber was soll's? Wenn es jemand gerne hört, weiß ich es nicht besser. :)

  • Ohne Musiktheorie kann ich feststellen, dass in den finalen Takten der 9. für den Chor der Sopran über mehr als 30 Takte das a'' zu singen hat.

    Eine solche Stelle gibt es nicht.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Da liegst du falsch. Wenn ich höre, wie der Sopran in den letzten Takten der 9., die er zu singen hat, über viele Takte hinweg einen hohen Ton singt, den man in schlechten Chören auch als Kreischen bezeichnen könnte, dann reicht das doch. Die 9. ist nun mal für mich zum Hören da und nicht zum musiktheoretischen Studium.

    "Eine solche Stelle gibt es nicht": das kann gut sein, ich hab das irgendwo abgeschrieben, außerdem habe ich keine Noten von der Neunten. Aber wenn ich schreibe "die letzten Takte, die der Chorsopran zu singen hat", da ist klar: die Stelle gibt es doch, ich habe sie nur falsch benannt.

    Werter Sümmboohl: was ist drölfzig?

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  • "Eine solche Stelle gibt es nicht": das kann gut sein, ich hab das irgendwo abgeschrieben, außerdem habe ich keine Noten von der Neunten. Aber wenn ich schreibe "die letzten Takte, die der Chorsopran zu singen hat", da ist klar: die Stelle gibt es doch, ich habe sie nur falsch benannt.

    Nein, es gibt keine solche Stelle, bei der "der Sopran über mehr als 30 Takte das a'' zu singen hat", weder am Ende des Satzes noch irgendwo vorher. Nimm es einfach zur Kenntnis oder besorg Dir die Noten. Ich weiß nicht, wo Du das abgeschrieben hast, aber es ist einfach Unsinn. Immerhin ist ein schönes Beispiel dafür, auf welcher Basis hier mancher meint, Werturteile abgeben zu können.

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  • Da liegst du falsch. Wenn ich höre, wie der Sopran in den letzten Takten der 9., die er zu singen hat, über viele Takte hinweg einen hohen Ton singt, den man in schlechten Chören auch als Kreischen bezeichnen könnte, dann reicht das doch. Die 9. ist nun mal für mich zum Hören da und nicht zum musiktheoretischen Studium.


    Es geht nicht darum, ein musiktheoretisches Studium an dem Stück vornehmen zu wollen, sondern um den von Dir geäußerten Anspruch, die Chorkomposition bewerten zu wollen. Dazu muss man (logischerweise) in der Lage sein, dies zu können, also eine Komposition zu bewerten.


    Letztlich hast Du nur angeführt, dass eine bestimmte Stelle im Finale der Neunten von Laienchören üblicherweise nicht klangschön gesungen werden kann.


    Diese Argumentation ist aus mehreren Gründen für das Ausgangsvorhaben (eine Bewertung der Chorkomposition) nicht gut geeignet:


    1) Es handelt sich um einen relativ kurzen Ausschnitt (Länge ca. einige Sekunden) in einem relativ langen Satz (Spieldauer üblicherweise über 20 min.). Inwieweit ist die Stelle beispielhaft für die kompositorische Faktur des gesamten Satzes, also - in Deiner Argumentation bleibend - dafür, dass Beethoven den Chor klanglich unzulänglich behandelt?


    2) Ist es von Beethoven überhaupt intendiert, dass der Chor an dieser Stelle klangschön singen soll? Das könnte man ziemlich kontrovers diskutieren.


    3) Wohl am wichtigsten: Ich habe erhebliche Zweifel, dass Beethoven sich um die Singbarkeit für Laienchöre einen feuchten Kehricht gekümmert hat. Hinweise darauf dürften die musikalisch-technischen Anforderungen in seinen anderen Werken der Spätphase sein, aber auch der berühmte Schuppanzigh-Ausspruch (sinngemäß: "Was kümmert mich seine Geige, wenn mich der Geist ergreift?"). Man kann einem Werk aber nur vorwerfen, Standards nicht zu erfüllen, die als Kriterium aus ihm abgeleitet werden können. Einfacher: Wenn Beethoven nicht für Laienchor schreiben wollte, dann ist die Singbarkeit für Laienchor kein sinnvolles Kriterium. Man wirft der Neunten ja auch nicht vor, dass man sie so schlecht mit E-Gitarre und elektronischen Drums kombinieren kann.


    Fazit: Dein Vorhaben, auf Basis dieses Arguments eine Bewertung des Finales der Neunten als Chorkomposition vorzunehmen, scheitert, da die Qualität des Arguments nicht zum Anspruch passt.


    "Eine solche Stelle gibt es nicht": das kann gut sein, ich hab das irgendwo abgeschrieben, außerdem habe ich keine Noten von der Neunten. Aber wenn ich schreibe "die letzten Takte, die der Chorsopran zu singen hat", da ist klar: die Stelle gibt es doch, ich habe sie nur falsch benannt.


    Eine Bewertung einer Chorkomposition ohne Noten der Komposition? Ein recht steiles Vorhaben...


    Werter Sümmboohl: was ist drölfzig?


    Werter Dottore: das ist ein scherzhafter Ausdruck für eine große Zahl. So spricht heute wohl die Jugend (habe ich mir sagen lassen)... :)


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  • Die Noten kann ja jeder gratis aus IMSLP runterladen. Die hohen Töne sind 2 1/2 Takte gehalten.

    Sie sind einmal auch länger gehalten, rund 12 Takte (bei "der ganzen Welt", vor "Ihr stürzt nieder"), aber eben bei weitem nicht "mehr als 30 Takte".

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  • Die Kombination ist zwar schräg, aber da Du das schon so oft geschrieben hast, wissen das ohnehin alle.

    Ich finde, dass dir als Moderator dieser Ton nicht zusteht.

    Wenn hier die üblichen Verdächtigen sich wieder tummeln und auch die sonst unsichtbaren Geister wie Melomane und thdeck ihre Messer wetzen, kann man davon ausgehen, dass es sich normalerweise um einen RT-thread handelt. Da der im Augenblick schlummert, muss dieser thread als Ausgangspunkt für den shitstorm herhalten.

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  • Ich finde, dass dir als Moderator dieser Ton nicht zusteht.

    kurzstueckmeisters Beitrag ist in meinen Augen inhaltlich korrekt und auch nicht despektierlich.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Nur mal am Rande: Ich finde es nicht in Ordnung, einen Beitrag, nachdem auf selbigen bereits reagiert wurde im Nachhinein zu verändern. Dies kann Mißverständnissen Tür und Tor öffnen. Warum nicht einen neuen Beitrag erstellen, wenn noch etwas zu sagen ist?

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
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  • kurzstueckmeisters Beitrag ist in meinen Augen inhaltlich korrekt und auch nicht despektierlich.

    Gut. Akzeptiert. Es ist ja auch der Grundton in dieser Art von Themen hier.

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  • Ich finde, dass dir als Moderator dieser Ton nicht zusteht.

    Und ich finde, dass es dir nicht zusteht permanent fake news ins Forum auszugießen. Du solltest den Usern "ChKöhn" und "Symbol" dankbar sein, dass sie deine peinlichen Falschbehauptungen richtig stellen und auf diese Weise den Ruf dieses Forums bewahren, das den Anspruch hat, ein seriöses Klassikforum zu sein.

  • Es ist ja auch der Grundton in dieser Art von Themen hier.


    Diese Bemerkung kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wenn sich jemand hier im Ton vergriffen haben sollte, so wäre es nützlich, konkret darauf hinzuweisen, statt eine derartig allgemein gehaltene Feststellung zu formulieren. Ich bitte hierbei nur zu bedenken, dass provokante Thesen geeignet sind, etwas harschere Gegenreaktionen zu provozieren, was m. E. in der Natur einer jeden Diskussion liegen dürfte. Wenn hier jemand italienische Komponisten in die Nähe der Wildecker Herzbuben rückt, dann sollte man sich nicht wundern, wenn eine Antwort auch mal etwas deutlicher ausfällt. Ich finde das ehrlich gesagt auch nicht so schlimm, denn das ist allemal besser, als wenn wir uns hier gemeinsam in gepflegter Langeweile ergehen.


    LG :hello:

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  • Ich komme mir vor wie beim ESC. Die Frage ist nur, wer die zero points bekommt, Stolzing oder Pingel!

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  • Ich komme mir vor wie beim ESC. Die Frage ist nur, wer die zero points bekommt, Stolzing oder Pingel!

    Weder-noch.


    Entweder:


    Wolfgang Schwalm > Wildecker Herzbuben | KORG (EU - DE)


    Oder:


    BBC Radio 3 - Composer of the Week, Giuseppe Verdi (1813-1901), Turning  Points


    :?:



    Bei den Bärten wäre ich wohl schon mal für ein Unentschieden.:yes:


    :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • In einem Hifi-Forum sagte mal Jemand: "Ein Internet-Forum ist keine Wahrheitsfindungsanstalt!" ;) Deshalb ein wenig zur Wahrheitsfindung in dieser Diskussion:

    Ohne Musiktheorie kann ich feststellen, dass in den finalen Takten der 9. für den Chor der Sopran über mehr als 30 Takte das a'' zu singen hat. Schon wenn Gardiner oder Herreweghe ihre tollen Chöre das singen lassen, klingt das für mich (!) nicht. Dafür braucht man keine Musiktheorie, das hört man. Alle befreundeten Soprane waren auch immer der Meinung, dass sie keine Lust hätten, sowas zu singen. Herbert von Karajan hatte ja immer einen großen Chor aus Laien. Alfred hat erklärt, dass er diesen Chor gerne nahm, weil er damit endlos proben konnte ohne Gagen zu zahlen. Wenn dann in einem solchen Chor viele ältere Sänger, vor allem aber Sängerinnen, sind, dann hört man das, und es klingt nicht gut.

    Was die Ausführbarkeit von ästhetischen Ideen, die in einer Partitur fixiert sind, angeht können die ausführenden Musiker - hier die Chorsänger - sich natürlich ein Urteil erlauben. Alles andere wäre absurd. Gustav Mahler erläutert, dass er ganz bewusst die Instrumente in extremen Tonlagen spielen lässt, dass sie keinen schönen Ton mehr hervorbringen können. Ihm geht es um Ausdruck. Beethoven hat hier offenbar einen Chorsatz komponiert, der nicht schön klingt und schön klingen kann, wenn auch die besten Chöre der Welt das nicht schön singen können. (Dabei ist es völlig wurscht, ob die Stelle 10, 20 oder 30 Takte betrifft. Das ist reine Beckmesserei. An dem Sachverhalt ändert das nichts.) Die Frage ist also, warum. Beethoven ist nun nicht Mahler, kein Expressionist, sondern ein Klassiker und Idealist. Man darf also unterstellen, dass er am ästhetischen Ideal des Schönen orientiert bleibt. Warum nun also dieses Unschöne? Er hat sich vielleicht mit Kant gedacht: "Du kannst, denn du sollst!" Die ausübenden Musiker werden also mit einer Moral konfrontiert: Du musst nur kräftig genug wollen, dann kannst Du. Nur leider - Pech für den Idealisten Beethoven - ist die ästhetische Erfahrung kein Sollen, sondern ein Sein. Vielleicht hat hier Beethoven von den ausführenden Musikern wirklich zuviel verlangt. Das schön zu singen, kann nicht gelingen. Dann kann und darf man konstatieren, dass auch ein Beethoven hier das ästhetische Ideal der Vollkommenheit nicht vollkommen erreicht hat. So eine Kritik muss auch ein Meisterwerk wie Beethovens 9. ertragen können. Sonst mystifiziert man und verwechselt das Ideal mit der Wirklichkeit. Ästhetische Kritik ist auch bei Beethoven erlaubt. ^^


    Schöne Grüße

    Holger

  • Was die Ausführbarkeit von ästhetischen Ideen, die in einer Partitur fixiert sind, angeht können die ausführenden Musiker - hier die Chorsänger - sich natürlich ein Urteil erlauben. Alles andere wäre absurd.

    Deinem Doktorkollegen ging es nicht um "die Ausführbarkeit von ästhetischen Ideen" sondern um die Qualität der Komposition. Er schreibt wörtlich, dass er das Chorfinale der Neunten für "kompositorisch misslungen" hält. Zwar räumt er ein, über keine Partitur zu verfügen (was ein "Urteil" über die dort fixierten "ästhetischen Ideen" logischerweise unmöglich macht) und die einzige konkrete Information (die sich dann als grob falsch herausstellte) "irgendwo abgeschrieben" zu haben, aber das scheint für Euch beide ja kein Problem zu sein und jedenfalls keinerlei Einfluss auf die Wertungskompetenz zu haben.


    Beethoven hat hier offenbar einen Chorsatz komponiert, der nicht schön klingt und schön klingen kann, wenn auch die besten Chöre der Welt das nicht schön singen können.

    Z.B. beim Monteverdi Choir klingt die Stelle (ich nehme an, es geht um das gehaltene a'' ab Takt 720, das zwar nicht "mehr als 30" sondern nur 8 Takte dauert, aber egal) vollkommen makellos. Dass das beim Dr. Pingelschen Laienchor anders sein mag, spielt keine Rolle: Das Stück ist wie gesagt nicht für Laienchor geschrieben. Deine Prämisse ist falsch, womit auch die Schlussfolgerungen hinfällig sind.


    Beethoven ist nun (...) kein Expressionist, sondern ein Klassiker (...). Man darf also unterstellen, dass er am ästhetischen Ideal des Schönen orientiert bleibt.

    Zeitgenössische Kritiker haben schon bei Beethovens frühen Werken das Fehlen von "Schönheit", "Anmut" und dergleichen kritisiert, beim Spätwerk hielten sie ihn für völlig übergeschnappt. Die "Große Fuge" ist wohl kaum "am ästhetischen Ideal des Schönen" orientiert. Auch diese Prämisse Deiner Argumentation ist also falsch.


    (Das ist reine Beckmesserei.)

    Es ist die Korrektur einer Falschbehauptung. Im Gegensatz zu Dir lege ich Wert darauf, dass im Diskurs nicht mit falschen Fakten argumentiert wird.

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  • Man kann sich in einer Diskussion wohlwollend und um Verständnis bemühend verhalten oder aber polemisch und abstreitend. Ich muss Dr. Pingels Bewertung, dass das Finale der 9. Beethoven misslungen sei, nicht unbedingt teilen. Diesem Urteil liegt aber ein ästhetisches Problem zugrunde, es hat also eine sachliche Grundlage, die man sehr wohl sehen kann. Das abzustreiten ist einfach nur Polemik.


    In der Ästhetik des 18. einschließlich etwa der ersten Hälfte des 19. Jhd. gibt es zwei bestimmende Paradigmen: das Schöne und das Erhabene. Dieser Gegensatz bestimmt noch die Auseinandersetzung von Wagner und Eduard Hanslick. Was es nicht gibt, ist eine expressionistische Ästhetik im Sinne von Arnold Schönberg: Kunst soll nicht schön, sondern vor allem wahr sein. Das gehört ins 20. Jhd. Formwidrigkeiten, einen expressivistischen Vortragsstil wie etwa bei C. Ph. E. Bach hat man als "erhabenen Stil" gedeutet und gerechtfertigt. Bei Beethovens Chorsatz kommt das wohl kaum in Frage. Hier trifft wohl eher das zu, was Paul Bekker meinte, dass sich Beethovens Klangvorstellungen nicht an der (instrumentalen, ausführungstechnischen) Realität, sondern an der kompositorischen Idee orientieren. Dieser Idealismus bedeutet, dass Beethoven so dachte, dass etwas sein können soll und die Musiker sich dann damit abmühen dürfen und Wege finden, es auch zu realisieren. Das ist eine Ästhetik der Forderung und bisweilen Überforderung, die eben auch einmal misslingen kann.

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  • Für mein Verständnis:


    Ästhetik bedeutet: Lehre von der Wahrnehmung bzw. vom sinnlichen Anschauen. Ästhetisch ist demnach alles, was unsere Sinne bewegt, wenn wir es betrachten: Schönes, Hässliches, Angenehmes und Unangenehmes.

  • Deinem Doktorkollegen ging es nicht um "die Ausführbarkeit von ästhetischen Ideen" sondern um die Qualität der Komposition. Er schreibt wörtlich, dass er das Chorfinale der Neunten für "kompositorisch misslungen" hält. Zwar räumt er ein, über keine Partitur zu verfügen (was ein "Urteil" über die dort fixierten "ästhetischen Ideen" logischerweise unmöglich macht) und die einzige konkrete Information (die sich dann als grob falsch herausstellte) "irgendwo abgeschrieben" zu haben, aber das scheint für Euch beide ja kein Problem zu sein und jedenfalls keinerlei Einfluss auf die Wertungskompetenz zu haben.

    1. Ich bin kein Doktorkollege, mein Dr. ist fake. Nun sagt ja Melomane, ich sei bekannt wegen meiner fakes. Ich denke, dass Melomane auch eine Fake-Person ist, ausgedacht von jemand, der sich unter falschem Namen hier einen Jux macht.

    2. Es geht mir überhaupt nicht um die Qualität der Komposition, die kann ich nicht beurteilen. Es geht um "die Ausführbarkeit von äathetischen Ideen", vulgo "Klingt der 4. Satz in Bezug auf den Chor oder klingt er nicht?" Und ich sage "im Ohr eines Chorsängers, der eine Unzahl an Chorwerken gesungen hat, klingt er nicht, und das gilt auch für die besten Chöre der Welt!" Das ist eine, nämlich meine Meinung, die man auch mit enormer Spitzfindigkeit nicht widerlegen kann.. Die Information mit den letzten Takten, habe ich einem Führer über Sinfonien von Konrad Beikircher entnommen. Ich denke, dass der mindestens soviel von Sinfonien versteht wie die Kritiker hier. Der ist in seiner Kritik noch viel weiter als ich gegangen, aber das reicht jetzt.

    3. Noch eine Bitte: wenn ihr Kritik übt, dann bitte an Holger, dem ich dankbar bin, dass er meine Laienmeinung stärker theoretisch untermauert hat.

    4. Fazit: meine Meinung ist die, dass der Chorsatz in der 9. nicht klingt. Dazu sagt ihr: von der Chorstruktur klingt er doch.

    5. "Wertungskompetenz": meine Wertungskompetenz liegt darin, dass ich Chorstücke auch von der Singbarkeit her betrachte. Das führt auch dazu, dass ich Bach gerne höre, aber nicht singe. Ein Komponist, der für Sänger schreibt, ist Schütz. Die Chorstimmen bei Bach sind aber eher instrumental gedacht (Streicher).

    6. Fazit: ihr kämpft mit Erbitterung, obwohl da gar kein Schwert liegt.

    7. Noch was Nettes: ihr erinnert mich immer mehr an die Glaubenskongregation der katholischen Kirche, deren Vorsitz ja seinerzeit unser Benedikt hatte und deren Name einen schönfärberischen Beigeschmack hat für Inquisition.

    Für mein Verständnis:


    Ästhetik bedeutet: Lehre von der Wahrnehmung bzw. vom sinnlichen Anschauen. Ästhetisch ist demnach alles, was unsere Sinne bewegt, wenn wir es betrachten: Schönes, Hässliches, Angenehmes und Unangenehmes.

    So ist es. Und es kommt nicht darauf an, in erster Linie die Struktur einer Komposition zu beschreiben.

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  • Es geht nicht darum, ein musiktheoretisches Studium an dem Stück vornehmen zu wollen, sondern um den von Dir geäußerten Anspruch, die Chorkomposition bewerten zu wollen. Dazu muss man (logischerweise) in der Lage sein, dies zu können, also eine Komposition zu bewerten.

    Wer kann denn eine Komposition bewerten? Du? Und was sind die Kriterien?


    Der Mindeststandard für Wissenschaftlichkeit (als dem Nur-Geschmacksurteil scheinbar überlegen) ist doch, daß Wertungen intersubjektiv nachvollziehbar sein müssen, also andere "habile" Werter (und wer kann das sein?) zum gleichen Urteil kommen. Das scheint mir gerade in der Musik so gar nicht gegeben.


    Eine Alternative wäre, daß man bestimmten Berufsgruppen quasi per Amt zutraut, ein objektives Urteil abzugeben. Vielleicht anderern Komponisten? Also der Konkurrenz? Ausführenden Musikern? Sind sie überfordert, ist die Komposition schlecht, ansonsten ist sie gut? Musik-"Wissenschaftlern" in Hochschulen und Kritikern bei Kultur-Zeitschriften? Die scheinen doch verantwortlich zu sein für nicht anhörbare "neue Musik" und seltsame Auswüchse beim Regietheater - also auch diskreditiert. Als abschreckendes Beispiel habe ich mal auf einem Gitarrenfestival die Komposition eines Professors für Gitarre an der Hochschule Detmold gehört. Nix, was das Herz oder den Kopf - oder wenigstens die Leber - erfreut hätte.


    Bin doch mal gespannt, was Dir so einfällt.

  • Es geht mir überhaupt nicht um die Qualität der Komposition, die kann ich nicht beurteilen.

    Deine Aussage war, das Stück sei "kompositorisch misslungen". Das soll kein Qualitätsurteil über die Komposition sein? Verstehe. :hahahaha:


    meine Meinung ist die, dass der Chorsatz in der 9. nicht klingt. Dazu sagt ihr: von der Chorstruktur klingt er doch.

    Nein, das hast Du Dir ausgedacht. Ich habe gesagt: Es gibt professionelle Chöre, bei denen er makellos klingt. Dass Du in Laienchören alle möglichen Stücke gesungen hast, ist zwar toll (ernst gemeint), tut aber hier nichts zur Sache, weil dieses Stück wie gesagt nicht für Laienchor geschrieben wurde. Das ist aber keine Schwäche der Komposition.


    Die Information mit den letzten Takten, habe ich einem Führer über Sinfonien von Konrad Beikircher entnommen. Ich denke, dass der mindestens soviel von Sinfonien versteht wie die Kritiker hier.

    Wenn er wirklich behauptet, "in den finalen Takten der 9. für den Chor (habe) der Sopran über mehr als 30 Takte das a'' zu singen", dann kann ich nur wiederholen, dass das nicht stimmt. (Übrigens ist Beikircher Mundart-Kabarettist und dürfte deshalb eher die Pointe als die musikwissenschaftliche Genauigkeit im Blick haben. Ich würde mir an Deiner Stelle lieber einen anderen Gewährsmann suchen oder einfach selbst in die Partitur schauen.)


    Der Mindeststandard für Wissenschaftlichkeit (als dem Nur-Geschmacksurteil scheinbar überlegen) ist doch, daß Wertungen intersubjektiv nachvollziehbar sein müssen, also andere "habile" Werter (und wer kann das sein?) zum gleichen Urteil kommen. Das scheint mir gerade in der Musik so gar nicht gegeben.

    Da irrst Du Dich. Für einen ersten Einstieg in das Thema empfehle ich Carl Dahlhaus' "Analyse und Werturteil". Weil es so schön in diesen Thread passt, hier ein kurzes Zitat:

    Zitat von Carl Dahlhaus

    Daß ästhetische Urteile 'subjektiv' und nichts sonst seien, ist ein Gemeinplatz, dessen Sinn vage und unbestimmt, dessen Funktion jedoch eindeutig ist: Er erfüllt den Zweck, Reflexion und rationale Rechtfertigung überflüssig zu machen. Er gehört also, um mit Francis Bacon zu sprechen, zu den Vorurteilen, den Idolen der Trägheit. Wer sich auf ihn beruft, fühlt sich im Recht, wenn er auf dem eigenen Urteil beharrt, ohne sich durch Argumente, welche die Voraussetzungen des Urteils gefährden, beirren zu lassen.

    Wäre Carl Dahlhaus nicht bereits seit 34 Jahren tot, könnte man glatt glauben, er ziehe mit diesen Worten das Fazit dieser Diskussion ;).


    Als abschreckendes Beispiel habe ich mal auf einem Gitarrenfestival die Komposition eines Professors für Gitarre an der Hochschule Detmold gehört. Nix, was das Herz oder den Kopf - oder wenigstens die Leber - erfreut hätte.

    Ja, so ein Publikum hatte ich auch schon mal. Da kann man nichts machen.

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  • Als absoluter Laie,


    "4. Fazit: meine Meinung ist die, dass der Chorsatz in der 9. nicht klingt. Dazu sagt ihr: von der Chorstruktur klingt er doch."


    Für mich klingt er nicht - gut. Selbst bei Gardiner gerade so.....hat nicht hier im Forum den Wunsch geäußert er hätte den gerne instrumental ? Wäre was für mich. Aber bitte zurück zu Verdi !

  • "4. Fazit: meine Meinung ist die, dass der Chorsatz in der 9. nicht klingt. Dazu sagt ihr: von der Chorstruktur klingt er doch."

    Ich tue mich schwer, weil ich kein großer Fan des Schlussatzes mit Chor bin .... Schon der Schillersche Text ..... ;)


    aber:



    Es geht mir überhaupt nicht um die Qualität der Komposition, die kann ich nicht beurteilen. Es geht um "die Ausführbarkeit von äathetischen Ideen",


    Sollte das in diesem Fall ernst genommen werden, ist der ästhetische Anspruch zu formulieren, um zu sehen, ob der Chorsatz dem gerecht wird. Das kann man sogar meiner Meinung nach untersuchen. Das hat IMO nichts damit zu tun, ob der Chorsatz nun schön klingt oder einfach zu singen ist. Ob man dadurch das Stück nun mehr mag oder nicht, steht natürlich in den Sternen :hello:


    Dasselbe gilt meines Erachtens auch für Verdi, der bei mir eine fast verschwindende Rolle spielt. Selbstverständlich kann ich den nicht mögen. Ich kann auch sagen, dass ich ihn nicht verstehe und das eigentlich gerne möchte (trifft bei mir schon nicht zu --- bisher) , ich kann auch sagen, dass ich die ganze Musik von Verdi für aufgeblasene Marschmusik halte. Aber bitte, wenn ich austeile, muss ich auch einstecken können! Sonst mache ich mich lächerlich!


    Selbst bei Gardiner gerade so.....hat nicht hier im Forum den Wunsch geäußert er hätte den gerne instrumental ? Wäre was für mich

    Da hätte ich einen kleinen Tipp. Yury Martynov spielt die Neunte in der fulminanten Version von Liszt auf einem Blüthner Flügel von 1867. Ein akustischer Genuss .... und was für ein Klaviersatz! Völlig ohne Gesang!


  • Dieses Mitglied im Forum war ich. Am 4. Satz der 9. hat mich nicht die Komposition gestört, sondern dass sie für Chor nicht optimal komponiert ist. Daher habe ich gedacht, wäre ich ein berühmter Dirigent, ich würde den Chor durch ein kleineres Orchester, besser noch durch ein großbesetztes Bläserensemble ersetzen. Die Komposition für die Solisten würde ich aber ganz streichen, besonders, wenn sie so aufgeführt wie in der Karajan-Aufnahme, wo Gundula Janowitz alles an die Wand singt.

    Wo ist diese Variation (Liszt) verfügbar?

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  • Am 4. Satz der 9. hat mich nicht die Komposition gestört, sondern dass sie für Chor nicht optimal komponiert ist.


    Also stört Dich nicht die Komposition, sondern lediglich die Komposition. Alles klar. ;)


    LG :hello:

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  • Also stört Dich nicht die Komposition, sondern lediglich die Komposition. Alles klar. ;)


    LG :hello:

    Du kannst offenbar nicht richtig lesen. Meine Aussage bedeutet, dass die Komposition nicht für Chor geeignet ist, aber für ein 2. Orchester durchaus.

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  • Meine Aussage bedeutet, dass die Komposition nicht für Chor geeignet ist, aber für ein 2. Orchester durchaus.

    Die Aussagen, ein Chorstück sei "für Chor nicht optimal komponiert" und das Stück sei "misslungen", sind Aussagen über die Komposition. Deine Versuche, das im Nachhinein zu bestreiten, sind geradezu albern. Aber sehen wir davon mal ab: Glaubst Du ernsthaft, Beethoven hätte übersehen, was Dir und den Experten, bei denen Du abgeschrieben hast, auf den ersten Blick aufgefallen ist, dass also der Chorsatz hohe Anforderungen stellt? Ich habe solche Hybris zwar schon öfter erlebt, staune aber doch immer wieder darüber.

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