Tugan Sokhiev ist bei den Berliner Philharmonikern ein zwar eher seltener aber anscheinend doch sehr geschätzter Gastdirigent. In der vergangenen Woche stand er mal wieder am Pult der Berliner Philharmonie, ich habe das dritte Konzert am Samstag abend live gehört. Vor der Pause stand Liszts A-Dur-Klavierkonzert auf dem Programm, gespielt von dem jungen Franzosen Alexandre Kantorow, der 2019 den Moskauer Tschaikowsy-Wettbewerb gewann und seither einige Aufnahmen bei BIS Records vorgelegt hat, darunter Klavierkonzerte von Liszt und Saint-Saens unter der Leitung seines Vaters Jean-Jacques Kantorow. In der Philharmonie spielte Alexandre Kantorow auf technisch hohem Niveau, blieb dabei aber musikalisch sehr blass. Wenn die Philharmoniker wie an diesem Abend ihr Bestes geben, braucht es einen Solisten, der ihnen in Bezug auf Klangfarbenreichtum, Fantasie und Gestaltungskraft etwas entgegensetzen kann (z.B. dem herrlichen Cello-Solo von Martin Löhr), aber davon war der junge Franzose weit entfernt.
Nach der Pause dann als Hauptwerk das Abends Schostakowitschs Vierte. Die habe ich vor einigen Jahren schon einmal mit den Philharmonikern unter Simon Rattle gehört, aber die Aufführung am Samstag war ohne Zweifel intensiver und packender. Den ersten Satz ließ Sokhiev in vergleichsweise gehaltenem Tempo, aber mit umso größerer Härte und Kraft spielen, das gefürchtete Streicher-Fugato vor der Reprise habe ich noch niemals mit solcher Brillanz und emotionaler Intensität gehört. Herausragend auch die Soli von Fagott, Englisch Horn und Piccolo. Die gewaltigen Steigerungen im ersten letzten Satz gingen buchstäblich an die Schmerzgrenze, die Coda danach verbreitete lähmende Angst und Erschütterung. Am Ende herrschte langes Schweigen, bevor sich die Spannung in stürmischem Applaus entludt. Aus dem Orchester war anschließend zu hören, dass diese dritte Auffühung die beiden vorangegangenen (am Donnerstag und Freitag) deutlich übertroffen hätte. Ich finde nicht wenige von Schostakowitschs Werken eher plakativ, und ich glaube schon gar nicht an die übliche Erklärung, alles Affirmative, Oberflächliche und Primitive zu einem heimlichen Akt des Widerstands oder versteckten Protests umzudeuten, aber diese Symphonie finde ich schon sehr beeindruckend.