Philosophie in der Musik

  • Derweil im Forum erbittert über philosophische Aspekte in einem Opernwerk diskutiert wird - oder auch nicht und man sich der Diskussion entzieht - nimmt mich wunder, ob Philosophie in Töne gesetzt wurde. Ein namentlich erwähnter Komponist - Richard Wagner - liess philosophische Haltungen von Schopenhauer und Feuerbach in sein Werk einfliessen.


    Ehrlich gesagt, fällt mir nur ein einziges musikalisches Werk ein, das sich offen mit Philosophie beschäftigt. Leonard Bernsteins Serenade für Violine, Streicher, Harfe, Schlagzeug, in der Platons Symposium thematisiert wird. Es sind Betrachtungen des Komponisten über die Liebe.


    1. Phaedrus - Pausanis: Lento - Allegro


    2. Aristophanes: Allegretto


    3. Eryximachus: Presto


    4. Agathon: Adagio


    5. Socrates - Alcibiades: Molto tenuto - Allegro molto vivace



    Wer die Schrift nicht kennen sollte, Wikipedia hilft weiter. https://de.wikipedia.org/wiki/Symposion_(Platon)


    Ich lasse mich gerne eines anderen belehren, wenn es weitere Werke geben sollte.

    Ich bin mir bewusst, dass die Philosophie der Aufklärung das Denken der Menschen verändert hat und sich das auch in der Musik in einer Weise äussert. Eine Kant-Sinfonie oder ein Descartes-Oratorium oder etwas Vergleichbares kenne ich nicht.


    Es gibt einen komponierenden Philosophen. Theodor W. Adorno fällt mir ein. "Hängebauchschwein", so nannte er sich übrigens selbst, hat Streichquartette geschrieben.


    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Strauss hat aus Nietzsches »Zarathustra« eine Sinfonische Dichtung gemacht und eine Zeitlang mit dem Gedanken gespielt, die »Alpensinfonie« mit Nietzsches »Antichrist« in Verbindung zu bringen. Es gibt auch Kenner, die in dieser Spuren von Nietzsches Spätphilosophie gefunden zu haben behaupten. Mehr als Spuren sind es in dem früheren Werk jedenfalls auch nicht. Was immer man von Strauss halten mag, er war ein zu großer Könner, um auf die Schnapsidee zu verfallen, Philosophie in Musik zu setzen. Stattdessen ist er (bei allen erheblichen Unterschieden) ganz ähnlich vorgegangen wie Bernstein: Er hat den philosophischen Text als Dichtung genommen (was beide ja auch sind) und entsprechend behandelt.

  • Lieber Werner Hintze


    Danke für den Zarathustra-Hinweis. Hätte ich weiter nachgedacht, wäre ich auf Strauss und Nietzsche gekommen.


    Die "Schnapsidee" philosophische Texte zu vertonen, scheint kein tragfähiges Konzept für ein musikalisches Werk zu sein, sonst gäbe es Komponisten, die Texte der Philosophie verwenden.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Na dann hätte ich hier mal eine Aufgabe:


    Michael Finnissy - Kritik der Urteilskraft für Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier .... :)



    Zu haben auf



    Anders als Nietzsche war Kant sicher kein philosophierender Poet, sondern neigte eher zu sprachlich komplizierten Konstrukten, um der Präzision Genüge zu tun ...

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  • Schöner Text von Leonardo da Vinci.


    Das Werk von Herbert Lachenmann gibt es in zwei Einspielungen.


    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Im 20. Jahrhundert ist das öfter passiert. Selbst das Kommunistische Manifest ist vertont worden. (Von Erwin Schulhof. Das Ergebnis der Mühe ist, wie man es erwartet.)

  • Ich glaube aber auch, dass der Versuch Philosophie in Musik umzusetzen eher zu den exotischen Tätigkeiten einiger Komponisten gehört. Allerdings weiß ich, dass John Cage stark durch Zen-Buddhismus beeinflusst wurde. Hierzu kann aber unser Kollege kurzstueckmeister sicher deutlich mehr sagen .... :hello:

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  • Wie wär's mit Lachenmanns "Zwei Gefühle"?

    https://www.musikfabrik.eu/de/…lachenmann-zwei-gefuehle/


    Schöner Text von Leonardo da Vinci.


    Das Werk von Herbert Lachenmann gibt es in zwei Einspielungen.


    Lachenmann schreibt dazu


    Bei der Rezeption scheint zumindest im Sinne von Lachenmann kein philosophischer Gedanke notwendig tragend sein zu müssen

  • Lachenmann Werke nicht als "kritische Musik" zu hören, ist aber gar nicht in seinem Sinne.

    ;)

    Ich lese seine Bemerkungen zu seinem Stück so, dass das "Kritische" in der Art des "strukturell gerichteten Hörens" zu finden ist. Das ist selbstverständlich nicht gedankenlos, aber nicht notwendig philosophisch, oder?

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  • Eine wirklich schöne Idee dieser Thread, lieber Moderato! 😊


    Noch spannender finde ich eigentlich Musik, die Philosophie in Tönen ist und/oder sein will. Dazu zählen die Symphonien Gustav Mahlers, insbesondere die 3. und 4. Symphonie. Nicht nur hat Mahler in der 3. Symphonie ein philosophisches Gedicht von Friedrich Nietzsche vertont, die Symphonie hat als Ganze ein philosophisches Programm.


    Besonders faszinierend finde ich, einem Gedanken von Friedrich Nietzsche nachzugehen. Nach der Vernunftkritik von Kant ist, so Nietzsche, Metaphysik wenn überhaupt nur noch als Kunst möglich, indem das Transzendente und nicht Erfahrbare durch eine ästhetische Erfahrung vermittelt wird. Der Heidegger-Schüler Wilhelm Weischedel sprach von der "ontologischen Erfahrung", die auch die Kunst und Musik vermitteln kann. So erweitert sich der Kreis. Claude Debussy "Nuages" z. B. gehört dann auch dazu und ebenfalls einige Liszt-Stücke mit religiös-metaphysischem Inhalt. Der Gedanke der Kunstreligion aus dem 19. Jhd. gehört ebenfalls in diesen Kontext.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Nicht nur hat Mahler in der 3. Symphonie ein philosophisches Gedicht von Friedrich Nietzsche vertont, die Symphonie hat als Ganze ein philosophisches Programm.


    Ist das so? Constantin Floros hat (nach meiner Erinnerung) das der Dritten zugrundeliegende Programm als "kosmologisch" bezeichnet. Was ist denn das philosophische Programm?


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Ist das so? Constantin Floros hat (nach meiner Erinnerung) das der Dritten zugrundeliegende Programm als "kosmologisch" bezeichnet. Was ist denn das philosophische Programm?


    LG :hello:

    Das kenne ich auch. Floros hat ausgegraben, dass sich Mahler ursprünglich auf ein Gedicht seines Freundes Lipiner bezogen hat, was die Entstehung der Welt aus einer schlafenden Wolke schildert. Die späteren Programme stehen im Kontext von Mahlers Rezeption von Schopenhauer, Nietzsche und Jean Paul.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich vermisse noch einen Thread Mathematik in der Musik

    Da gäbe es so einiges, z.B. bei Stockhausen den "Goldenen Schnitt" und die Fibonacci-Zahlen, bei Klebe die Primzahlen, bei Lutoslawski Stochastik, bei Xenakis Gruppentheorie, Mengenlehre und Vektorrechnung usw..

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  • Bartok nicht zu vergessen, bei dem beides ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt.

    Oder die Zahlenreihen in der Sinfonik von Per Nörgard. Aber durchgeblickt habe ich da noch nicht. Vielleicht auch zu viel verlangt.

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Die späteren Programme stehen im Kontext von Mahlers Rezeption von Schopenhauer, Nietzsche und Jean Paul.


    Das verstehe ich nicht. Mahler hat m. W. die programmatischen Anmerkungen zu den Sätzen der Dritten irgendwann entfernt. Welche "späteren Programme" meinst Du denn, und was ist deren philosophische Thematik? Ein bloßes Im-Kontext-Stehen (nur zeitlich oder auch inhaltlich?) zu Mahlers Lektüre philosophischer Texte stellt ja noch kein Programm da.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Da gäbe es so einiges, z.B. bei Stockhausen den "Goldenen Schnitt" und die Fibonacci-Zahlen, bei Klebe die Primzahlen, bei Lutoslawski Stochastik, bei Xenakis Gruppentheorie, Mengenlehre und Vektorrechnung usw..


    Ligeti wurde laut eigener Aussage für seine späteren Werke von der fraktalen Geometrie inspiriert. Daraus ergibt sich dann wohl, dass seine Klavieretüden nur noch dann vernünftig rezipiert werden können, wenn man die Mandelbrot-Menge korrekt beschreiben kann. :)


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Da wir gerade so nett plaudern. Auch die Musik von Xenakis kann man leicht erschließen. In seinem Buch Formalized Music


    FormalizedMusic.jpg


    empfehle ich besonders das Kapitel 2, Markovian Stochastic Music. Mit dem Wissen über die Entropie eines stochastischen Systems und einem leichten Verständnis der Poisson-Verteilung steht dem Genuss der Musik nicht mehr viel im Weg .. :pfeif:


    Ist das jetzt Philosophie?

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  • Das verstehe ich nicht. Mahler hat m. W. die programmatischen Anmerkungen zu den Sätzen der Dritten irgendwann entfernt. Welche "späteren Programme" meinst Du denn, und was ist deren philosophische Thematik? Ein bloßes Im-Kontext-Stehen (nur zeitlich oder auch inhaltlich?) zu Mahlers Lektüre philosophischer Texte stellt ja noch kein Programm da.


    LG :hello:

    Damals war die Debatte um Programmmusik sehr polemisch und nur von daher kommen Mahlers Skrupel. Er wollte dem aus dem Weg gehen. Sachlich waren sie nicht begründet, Mahler hatte da sehr genaue Vorstellungen, die mit denen von Franz Liszt identisch sind. Sehr aufschlussreich sind die Aufzeichnungen von Natalie Bauer-Lechner, die bei allen Mahler-Experten als authentisch gelten.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Damals war die Debatte um Programmmusik sehr polemisch und nur von daher kommen Mahlers Skrupel. Er wollte dem aus dem Weg gehen. Sachlich waren sie nicht begründet, Mahler hatte da sehr genaue Vorstellungen, die mit denen von Franz Liszt identisch sind. Sehr aufschlussreich sind die Aufzeichnungen von Natalie Bauer-Lechner, die bei allen Mahler-Experten als authentisch gelten.


    Das mag alles richtig sein (und die Quelle Bauer-Lechner ist mir auch bekannt), nur beantwortet es nicht die Frage, welche Inhalte die philosophischen Programme der Dritten gehabt haben sollen. Ich kenne Mahlers Satzbezeichnungen ("Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen" etc.), nur kann man die kaum als philosophisches Programm bezeichnen. Welches sind die besagten anderen Programme? In welchem Stadium der Komposition traten sie hinzu?


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Ich glaube nicht, dass man aus diesen Sachen etwas über Nietzsches Philosophie entnehmen kann. Was man aber auf jeden Fall (und schnell) erkennt, ist, dass ein sehr bedeutender Philosoph ein armseliger Notenkleckser sein kann. Und auch noch einer, der sich maßlos überschätzt. Von Wagner gibt es die schöne Bemerkung über Nietzsche, der zu ihm kam »die Partitur im Gewande«. Man kann sich gut vorstellen, was für Qualen er gelitten hat...

  • dass ein sehr bedeutender Philosoph ein armseliger Notenkleckser sein kann

    Empfand ich auch so, ich habe nicht lange durchgehalten beim Hören einiger der Werke, die auf CD erschienen sind.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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