Alle sprechen über dasselbe Musikwerk

  • Es wird Zeit für negativere Töne ;)

    Dass die Sonatine meisterhaft komponiert und gestaltet ist, kann man glaube ich nicht bestreiten. Der eher negative Eindruck ist also persönlicher Natur: Ravel ist überhaupt nicht mein Komponist. Französischer Impressionismus ist etwas, das ich in der bildenden Kunst sehr mag, in der Musik hingegen nicht wirklich. Ravel noch eher als Debussy.

    Ich bedaure ausserordentlich - aber ich kann mit der "Klangwelt" Ravels - abgesehen vom Bolero nichts anfangen - sie langweilt mich. Die Anspielungen auf Musik des 18. Jahrhundert mag strukturell gegeben sein. Vom melodiösem Eindruck höre ich keine Ähnlichkeiten.


    Ich gestehe freimütig, dass es mir ähnlich geht. Dass Ravel verflucht gut komponierte und das Stück das Werk eines großen Könners ist, ist selbstverständlich unbestritten. Trotzdem packt mich diese Musik nicht, und ich versuche zu ergründen, wieso das so ist. Irgendwie kommt mir das Stück wie ein wunderschönes Glasperlenspiel vor, dessen ästhetischen Reiz ich zwar anerkenne, das mir aber auf eine merkwürdige Weise inhaltsleer erscheint. Bei den Klavierwerken von Beethoven, Schubert und Brahms spüre ich, dass diese Musik etwas mit mir zu tun hat. Bei Ravel stehe ich anerkennend daneben und nehme zur Kenntnis, das jemand so etwas geschrieben hat. Würde man mich vor die Wahl stellen, Ravels Sonatine oder eine beliebige Sonate aus den 32 Stück vom großen Ludwig van zu hören, ich würde wohl in 499 von 500 Fällen für eines der Erzeugnisse von Maestro Beethoven votieren (und die eine Ausnahme nur deswegen wählen, um zu überprüfen, ob ich mit Ravel mittlerweile Fortschritte erziele).


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Bertrand Chamayou spielte die Klavierwerke Ravels jüngst ein, er ist für mein Gehör deutlich ungestümer unterwegs. Manchmal -aber ich mag mich da täuschen- klingt das ein wenig wie Samson Francois Freude daran, gezielt in der Partitur zu stolpern (scheint er immer mal wieder gerne gemacht zu haben, was zu seinem Ausspruch passt "Laisse-moi mes fausses notes")

    Das mit dem "in der Partitur stolpern" ist gut. :) Von Bertrand Chamayou habe ich heute seine wirklich fabelhafte neue CD "Ravel fragments" gehört über die große Anlage. Besprechung wird folgen. Seine Gesamtaufnahme werde ich mir wohl doch noch auch zulegen... :hello:


    Einen schönen Abend wünschend

    Holger

  • Trotzdem packt mich diese Musik nicht, und ich versuche zu ergründen, wieso das so ist.

    So unterschiedlich sind die Zugänge zur Musik. ^^ Paul Badura-Skoda sprach mit Bezug auf Ravel von der "Liebe auf den ersten Ton". Michelangeli sagte zu Debussy, dass sei "seine" Musik von Anfang an gewesen. Debussy und Ravel - das ist "meine" Musik von Anfang an. Ravels Sonatine packt mich mehr und berührt mich innerlich mehr als Beethovens Appassionata.

    Irgendwie kommt mir das Stück wie ein wunderschönes Glasperlenspiel vor, dessen ästhetischen Reiz ich zwar anerkenne, das mir aber auf eine merkwürdige Weise inhaltsleer erscheint.

    Ich empfinde das total anders. Ich finde Ravels Musik - gerade die Sonatine - nirgendwo "inhaltsleer", sondern durch und durch beseelt bis in die letzte Note. Ich verstehe natürlich, warum Liebhaber von Barockmusik insbesondere kaum Zugang zu impressionistischer Musik finden. Barockmusik lebt vom Affekt, der berührt und mitreißt. Selbst die Empfindsamkeit der Klassiker Mozart und Beethoven ist davon noch bestimmt, von dem, was das 18. Jhd. "das Herz rühren" nennt. Diese unmittelbar berührende Affektiertheit gibt es bei Ravel nicht mehr. Und deshalb kann Ravels Musik auch - wenn man ihre ganz andere Emotionalität so nicht realisiert - als "kühl" erscheinen. Artur Rubinstein erzählt die Anekdote, dass Ravel in einer Aufführung von Wagners Tristan so heftig berührt wurde, dass er die Hand seiner Begleiterin nahm. Es war für ihn zuviel an Emotion. Ravel war hypersensibel und so ist es auch seine Musik. Da kommt das zum Ausdruck, was der Humanismus des 18. Jhd. bis hin zu Wassiliy Kandinsky im 20. Jhd. als das Programm einer "Verfeinerung der Sinne" aufstellte. Die Empfindsamkeit bei Ravel ist unendlich fein, wo es in der Barockmusik die groben Affekte gibt, macht Ravel leise Andeutungen. Die großen Empfindungen muss man bei Ravel aus den leisen und ganz leisen Tönen heraushören wie im Menuett, an dem ich im Moment "arbeite". Anders als bei Debussy ist bei Ravel die Melodie sehr wichtig. Man hört im Menuett diese ganz leise Trauer - viel feiner noch als in der Pavane. Es gibt bei Ravel freilich auch die starken emotionalen Ausbrüche und den Rausch - allerdings apollinisch sublimiert. Ravels Musik erdrückt einen nicht wie die Appassionata, sie macht das Gemüt frei, entführt in ein Reich der Fantasie, des Schönen. Da ist etwas vom Glück der griechischen Götter, selber kein Schicksal zu haben und die Welt frei anschauen zu können. Ravels Musik muss man mit den Ohren "sehen" - wie diese magische Stelle im Finale. Da "steht" die Musik wie an einem heißen Tag in der Sommerhitze. Es gibt dann so eine Art von hereintönenden "Echos" - aber ganz anders als die romantischen Bergechos der Fanfaren in der Tellslegende bei Liszt. Das sind bei Ravel reine Impressionen, Klangfetzen.


    Bei den Klavierwerken von Beethoven, Schubert und Brahms spüre ich, dass diese Musik etwas mit mir zu tun hat. Bei Ravel stehe ich anerkennend daneben und nehme zur Kenntnis, das jemand so etwas geschrieben hat. Würde man mich vor die Wahl stellen, Ravels Sonatine oder eine beliebige Sonate aus den 32 Stück vom großen Ludwig van zu hören, ich würde wohl in 499 von 500 Fällen für eines der Erzeugnisse von Maestro Beethoven votieren (und die eine Ausnahme nur deswegen wählen, um zu überprüfen, ob ich mit Ravel mittlerweile Fortschritte erziele).

    Es gibt aber schon Bezüge auch bei Beethoven zu Ravel - etwa die Arietta aus Beethovens letzter Klaviersonate op. 111, wo sich eine Variationsfolge auflöst in den Triller - in reine Bewegung und Klang an sich. Die Entsprechung dazu ist der langsame Satz aus dem G-Dur-Klavierkonzert. Es gibt bei Beethoven auch nicht nur die Mondscheinsonate und die Appassionata, sondern etwa die doch Ravels Welt schon deutlich nähere frühe Sonate Es-Dur op. 7 - die mir bezeichnend für einen Ravel-Liebhaber persönlich viel näher ist als die Appassionata.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Martha Argerichs Singularität


    MS0zMjgyLmpwZWc.jpeg


    91xlay-DJoL._SY355_.jpg


    Interpretationsvergleiche haben das Gute, dass man die verschiedenen Perspektiven eines Werkes erfasst, die dann zu unterschiedlichen Deutungsansätzen herausfordern. Es gibt natürlich Werke, die mehr oder weniger eindeutig sind und entsprechend auch entweder größere oder kleinere Interpretationsspielräume bieten. Dazu kommen die Auslegungstraditionen und "Weltbilder", die auf die Interpreten Einfluss haben.


    Zum Schluss meines Interpretationsvergleichs bin ich noch einmal zu meinem Anfang gleichsam zurückgekehrt: zu Martha Argerich, durch deren DGG-Studioaufnahme ich die Sonatine überhaupt kennengelernt hatte. Um so mehr bin ich auch nach diesem Wiederhören von der Singularität von Martha Argerichs Aufnahme überzeugt.


    Warum? Nicht nur wegen ihrer überragenden pianistischen und ästhetischen Fähigkeiten. Sie hat hier Interpretationsgeschichte geschrieben, weil sie die Bedeutung der Dynamik bei Ravel realisiert hat. Die Dynamik bei Ravel ist ein Zug, den es bei Debussy so nicht gibt. Bei Ravel ergeben sich - so paradox es scheint - Bezüge zur Symphonik von Anton Bruckner. Beispiele dafür sind die Ballettmusik Daphnis et Chloe oder auch La Valse - ein Wiener Walzer, der von der ungeheuren Dynamik, die er entfacht, aus dem Gleichgewicht gebracht und von dieser schließlich "aufgefressen" wird - was im Grunde von der Unmöglichkeit zeugt, im 20. Jhd. die Walzerseligkeit des 19. Jhd. wiederzubeleben. Bei Ravel gibt es ein quasi Brucknersches dynamisches Kontinuum des Anschwellens und Abebbens, das sich zu Höhepunkten des Ausbruchs dynamischer Energie aufbaut und wieder abflaut und dabei über die Formgrenzen hinausgreift. Bruckner hat sich dieses dynamische Prinzip bei Richard Wagner abgeschaut und auf seine Symphonik übertragen. Für Ravel sicher von großer Bedeutung war von Richard Wagner Isoldes Liebestod - da gibt es diese quasi unendliche Steigerung und Emphase - aus dem extrem Leisen heraus steigert sich die Leidenschaft bruchlos kontinuierlich zur Apotheose. Bei Martha Argerich durchzieht die leidenschaftliche Glut alle drei Sätze der Sonatine. Sicher spielt auch eine Rolle, dass sie bis heute sehr gerne die vierhändige Version von La Valse spielt, früher umwerfend vorgetragen zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Jugendfreund Nelson Freire. Der Mitschnitt aus Amsterdam ist von einer unglaublichen Impulsivität und Spontaneität - wobei sie mit einer Lockerheit spielt und auch über die größten Schwierigkeiten vor allem im Finale souverän gebietet wie eine Kaiserin über ihr Reich, die sie sozusagen aus dem Ärmel schüttelt als wären sie nichts, wogegen ein Sokolov dagegen fast schon wie ein Pedant und Erbsenzähler wirkt. Das Wunder dabei ist aber, dass sie nichts unterschlägt. Das Spiel der Argerich ist nie grob oder grobschlächtig auf die bloße Wirkung zielend, sondern hypersensibel feinsinnig - auch merkt man immer, wie genau sie den Notentext liest. Die Formklarheit leidet nie unter der leidenschaftlichen Bewegtheit. Die Studioaufnahme ist natürlich noch mehr ausbalanciert und ausgewogen - doch ich möchte heute die ungeheure Spontaneität des Mitschnitts aus Amsterdam um keinen Preis missen. Sie geht da an die Grenzen - aber überschreitet sie nicht mit ihrer intuitiven Sicherheit, mit der sie immer das "Richtige" tut. Das Finale ist in diesem Konzertereignis ein einziger dionysischer Rausch. Zugleich ist das Spiel von Martha Argerich - da scheint wohl auch die "Schule" von Friedrich Gulda prägend gewesen zu sein - sehr "modern". Leidenschaft geht zusammen mit einem kristallklaren Klang und einem geradezu traumwandlerischen Sinn für den "Impressionismus", die Klangfantasie von Ravels Musik. Die Farben schillern und flimmern - die Musik vibriert geradezu in jeder Note. "Martha Argerich ist wie das Leben" - sagte einmal Mischa Maisky von ihr. So ist auch ihre "vitalistische" Spielart von Ravel - die Musik "fließt" bei ihr wie ein Lebensstrom mit allen hellen und dunklen Wasserspiegelungen, großen Wogen und kleinen Wellen. Da kann man eigentlich nur noch - staunen. :) :) :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Nun kommt der Vorschlag. Es sollte keine Klaviermusik sein, um ein wenig Abwechslung zu bringen. Ich hatte ein ziemlich luftiges Werk von Boulez einige Zeit in den Ohren, habe aber dann auch wieder Abstand genommen. Streichquartette sind gerade hier im Forum "en vogue", also wird es ein Streichquartett und das von Boulez ist nicht gerade luftig ;). Es wird keine hyperkomplexen Werke von Elliott Carter geben, obwohl dessen Streichquartette sicher zu den bededeutensten des letzten Jahrhunderts gehören, es sollte leicht und verständlich bleiben und ohne großen Aufwand zu rezipieren sein. Nachdem also die Randbedingungen einigermaßen klar wurden, fiel mir ein, dass ich in den letzten zwei Jahren mit großer Freude Streichquartette von Luciano Berio gehört hatte. Berio ist nicht gerade bekannt für dieses Genre und sein Output ist auch nicht übermäßig groß, aber ich bin der Meinung, dass es sehr hörenswerte Stücke sind. Einige Neueinspielungen jüngerer Quartette scheinen mir im Urteil recht zu geben.


    Im Jahre 1964 komponierte Berio nun "Sincronie" für Streichquartett, ein recht kurzes Werk, das die Literatur um ein sehr originelles Werk bereichert. Es ist von unglaublicher klanglicher Finesse, aber in der Form recht einfach kontrastierend aufgebaut. Es gibt meditative Teile, die zur Versenkung einladen und aber auch starke Momente, die die Reflexion antreiben.


    Lieben gelernt habe ich dieses Werk durch die Einspielung des Arditti Quartettes, obwohl in in den letzten Wochen gerne auch die des Molinari oder auch Fabrik Quartettes gehört habe.


    Es gibt doch einige Einspielungen, die im Internet zu finden sind.


    Zuerste eine Live-Einspielung des Arditti Quartettes vom 20. Februar 2024. Live mit Video ist der Musik wahrscheinlich am leichtesten zu begegnen



    Wer sich für die Noten interessiert (das Interesse am Verständnis der Partitur ist bei mir in den letzten Jahren gewachsen) kann auch diese Einspielung hören



    Bei Interesse bietet unser Werbepartner die Einspielung des Molinari Quartettes an


    Witzigerweise ist die Einspielung im Download schon wesentlich länger zu haben. Oder als Klassiker


    Hier müsste man aber vom Werbepartner abweichen und woanders fündig werden.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Live mit Video ist der Musik wahrscheinlich am leichtesten zu begegnen

    Nein!

    "He is the corpse at every funeral, the bride at every wedding, and the child at every christening!" (Tochter von Roosevelt über ihren Vater)

  • Nein

    Wie man's nimmt, Berio habe ichlive in Florenz ("Formazione" unter Chailly) und in Köln mit Stenz gehört. Er steht nicht wirklich häufig auf dem Plan, aber Axel hat schon recht: der live-Eindruck ist bei Berio schon intensiver. Die Streichquartette sind für mich neu, bin sehr gespannt.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zunächst hat mich schon die Partitur interessiert, weil man dann den klanglichen Eindruck besser vergleichen kann mit ähnlichen Erfahrungen, die man bereits gemacht hat.


    Sie ist weniger komplex als etwa der Fall bei Ferneyhough, meine ich. Das bedeutet auch ganz konkret, dass die Anweisungen zwingender zu befolgen sein dürften als dort. Das Klangbild ist überdies ruhiger, häufiger statisch, die Geräuschkomponente, und der Grad an Mikrotonalität vor allem, geringer als bei dem Engländer oder bei Lachenmann.


    Natürlich nach wie vor markante Avantgarde und insofern Musik, die fünfzig oder sechzig Jahre alt sein muss - was sie ja auch ist, ein Klassiker eben. Insofern kenne ich Berio als bei Weitem leichter zu hörenden Meister etwa mit seiner Sinfonia.


    Dennoch finde ich viele Details klangfarblich weniger spröde als bei den genannten Komponisten. Umgekehrt - und jetzt vergleiche ich eher mit Clara Iannottas eigenwilligen Streichquartetten, in denen etwa Insekten widergespiegelt werden - ist Berio weniger bildkräftig.


    So weit die Eindrücke eines Halblaien. Ich melde mich wieder, wenn ich die Live-Aufführung gehört und gesehen habe. Vielleicht kann ich dann auch eine Aussage treffen in Bezug auf Dr. Pingel. ;)

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • es sollte leicht und verständlich bleiben und ohne großen Aufwand zu rezipieren sein.

    ^^ ... der Witz ist gut. Mutig, mutig! :thumbup: Wenn hier nicht nur Ligeti, sondern sogar schon Albeniz und Ravel auf nahezu unüberwindliche Rezeptionsschwierigkeiten stoßen, was soll da jetzt der arme Berio sagen. ;(Meine Empfehlung: Wenn man zuvor Giacinto Scelsi als gesundheitsfördernde italienische Hauptspeise für musikalische Veganer genossen hat (Melodien mit so richtig speckfettem Sänger-Schm(a)elz sind nur was für Fleischesser ^^ ) passend zur vorösterlichen Fastenzeit, ist der Berio dann genau die richtige kalorienreduzierte, nur wenig süßliche Nachspeise. :saint:


    Jedenfalls habe ich festgestellt, dass für diese feinen und feinsten Klänge meine Desktop-Anlage zu "schlecht" ist. Das muss ich mir über Kopfhörer zu Gemüte führen. :hello:

  • Wenn hier nicht nur Ligeti, sondern sogar schon Albeniz und Ravel auf nahezu unüberwindliche Rezeptionsschwierigkeiten stoßen, was soll da jetzt der arme Berio sagen.

    Ich sehe das viel entspannter. Ravel ist ein viel verschlossenerer Komponist als Berio und ich kann den Vergleich mit dem Glasperlenspiel schon ein wenig nachvollziehen, auch wenn die äußere Brillanz von Ravels Werk für mich nicht den Inhalt verdeckt.

    Berio halte ich tatsächlich für recht einfach zu rezipieren, auch wenn die Musik, wie schon richtig erkannt wurde, der sogenannten musikalischen Avantgarde der Nachkriegszeit angehört. Man sollte sich sein Ohr nicht durch Vorurteile verkleistern lassen, und wenn doch, bestraft man sich nur selbst ;)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Sie ist weniger komplex als etwa der Fall bei Ferneyhough, meine ich. Das bedeutet auch ganz konkret, dass die Anweisungen zwingender zu befolgen sein dürften als dort. Das Klangbild ist überdies ruhiger, häufiger statisch, die Geräuschkomponente, und der Grad an Mikrotonalität vor allem, geringer als bei dem Engländer oder bei Lachenmann.

    Werter WolfgangZ , das sehe ich recht ähnlich. Ich höre gerade Ferneyhoughs Sonaten für Streichquartett aus dem Jahre 1967 und stimme Dir zu, dass dieses Werk deutlich herausfordernder ist, wenn auch nicht so schwierig, wie häufig behauptet wird. (Über die Spielschwierigkeit kann ich nichts sagen)


    Der dynamisch-dramatische Aufbau der Musik ist komplexer als bei Berio und doch hinterlässt das Werk bei mir am Ende eine ähnliche Stimmung. Berios Werk ist nur etwas leichtgewichtiger, mehr eine Vorspeise als ein Hauptgericht ;), wenn man kulinarisches Vokabular bemühen möchte :)^^

  • Nunmehr der obige Live-Mitschnitt mit dem Arditti-Quartett - auf jeden Fall Spezialisten für solches Repertoire.


    Die Präzision des Zusammenspiels wird deutlich. Auffälliger jetzt auch die Generalpausen, meist nur Zäsuren, und auch die Häufigkeit von Unisono-Passagen - ich meine zumindest, dass es echtes Unisono ist, kann das aber bei den billigeren Lautsprechern am PC nicht mit Sicherheit sagen..


    Ansonsten bleibe ich bei meiner Sicht von letzter Woche.


    Vorspeise - Hauptgericht - ja, warum nicht. Weitere Meinungen wären natürlich nicht uninteressant. :)


    Ich bin mir eigentlich sicher, dass die Erfahrung im Konzertsaal nochmals von anderer Natur wäre.


    :cheers: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich bin mir eigentlich sicher, dass die Erfahrung im Konzertsaal nochmals von anderer Natur wäre.

    Das glaube ich auch. Gerade bei Musik, die man jetzt nicht dauernd hört, ist bei mir das Live-Erlebnis nicht selten der Schlüssel zum Verständnis.

  • Hier noch mein urlaubsbedingter Nachtrag zu Ravels Sonatine:


    Den Berio habe ich bisher erst einmal (mit Noten) gehört, trotzdem schon einmal ein Beitrag dazu. Bevor die Musik startete, habe ich erst einmal ausführlich die Erläuterung der Symbole für die verschiedenen Streichinstrumentspieltechniken bzw. -notationen studiert, für mich als Streicher (Violine + Viola) sehr interessant! :/


    Zum Hörerlebnis muss ich mich ehrlich gesagt den eher kritischeren Stimmen anschließen, ich fand es (insbesondere über die Dauer von fast 19 Minuten) sehr anstrengend, durchgängig konzentriert zuzuhören. Geschafft habe ich es nur über Betrachtung der Noten und die Begutachtung der wilden streicherklangtechnischen Experimente, mit denen Berio das nur Mögliche auf den Streichinstrumenten ausreizt.


    Rein von den Noten her finde ich das äußerst interessant, mit der Zeit stellte sich auch über den Klang ein gewisser Sog ein. Die Partitur erinnert mich in ihrer Schreibweise teilweise an Crumbs "Black Angels", auch da sind ähnlich detailliert Glissandi/Portamenti und Stichnoten ausnotiert. Auch klanglich sehe ich teilweise Parallelen zu Crumb. Es hat mir Spaß gemacht, immer wieder in den Noten zu sehen, was Berio als nächstes vorhat und die "neuen" Symbole der zu Beginn erklärten Spieltechniken zu entschlüsseln und am Klang nachzuvollziehen. Nur um dann zu überlegen, wie ich an der Partitur verzweifeln würde, müsste ich das Stück selber spielen ^^


    Ob ich ohne die Noten durchgehalten hätte? Wahrscheinlich eher nicht, so ist es aber für mich ein immersives Musikerlebnis der etwas anderen Art geworden - (in positiver Hinsicht) an die Noten gefesselt, um aus Streichersicht nachvollziehen zu können. Spannend!


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Ich habe mir nun auch das Berio-Streiquartett zu Gemüte geführt und muss zugeben, dass es beim (gerade erfolgten) ersten Hördurchgang nicht so recht bei mir gezündet hat.


    Es sind einige klanglich interessante Stellen drin, und wenn man sich wie Amdir die Mühe macht, die Noten im Hinblick auf die Spieltechniken zu studieren, mag das gewinnbringend sein.


    Irgendwie fehlt es mir in dem Stück dann aber doch etwas an Substanz. Positiv formuliert verströmt es eine gewisse südländische Leichtigkeit (dieses Klischee möchte ich mir nicht sparen ^^), aber das ist es dann auch. Einige nette Einfälle, eine sehr klangliche Orientierung, ein nettes Werk der Avantgarde, aber m. E. kein gewichtiges. Die Beschreibung von astewes als "Vorspeise" trifft es eigentlich recht gut. Als Ohrenputzer höre ich gerade das erste Ligeti-Quartett, das für meinen Geschmack in einer etwas anderen Gewichtsklasse unterwegs ist (obwohl es eher aus Ligetis früher Phase stammt, somit noch recht Bartok-esk und nicht allzu avantgardistisch ist).


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Irgendwie fehlt es mir in dem Stück dann aber doch etwas an Substanz. Positiv formuliert verströmt es eine gewisse südländische Leichtigkeit (dieses Klischee möchte ich mir nicht sparen ^^ ), aber das ist es dann auch. Einige nette Einfälle, eine sehr klangliche Orientierung, ein nettes Werk der Avantgarde, aber m. E. kein gewichtiges.

    Das kann ich in gewisser Weise nachempfinden. Ich finde das Stück zwar recht originell - klanglich - aber am Enxde von einfacher Machart, was die Form angeht, so dass ich die Leichtgewichtigkeit sehr ähnlich empfinde. Ich empfand das aber als Vorteil für den Diskussionsfaden ... aber man irrt sich hier doch sehr schnell ;)


    Ob ich ohne die Noten durchgehalten hätte? Wahrscheinlich eher nicht, so ist es aber für mich ein immersives Musikerlebnis der etwas anderen Art geworden - (in positiver Hinsicht) an die Noten gefesselt, um aus Streichersicht nachvollziehen zu können. Spannend!

    Das wünsche ich mir bei so manchem Stück erleben zu dürfen. Ich habe aus den Notendiskussionen einiges mitnehmen können, was ich, mit den Noten alleine gelassen - niemals selbst eruiert hätte. Die Spannung zwischen der Notation und dem am Ende entstehenden Klang finde ich auch im wahrsten Sinne des Wortes "spannend".

  • Ich finde das Stück zwar recht originell - klanglich - aber am Enxde von einfacher Machart, was die Form angeht, so dass ich die Leichtgewichtigkeit sehr ähnlich empfinde.

    Das Berio-Quartett habe ich mir mehrfach angehört - ganz und in Ausschnitten. Hilfreich finde ich, wenn man an die Entstehungszeit Anfang der 1960iger denkt. Damals war das große Schlagwort "Struktur". "Form" wollte man bei den Serialisten von damals nicht mehr, aber "Struktur". Dagegen schrieb dann Carl Dahlhaus einen Aufsatz, dass man "Form" und "Struktur" unterscheiden sollte. Insofern sollte man bei Berio finde ich "strukturell" hören und gar nicht erst nach einer "Form" suchen. ^^ Es gibt verschiedene "Gruppen" mit jeweils einer bestimmten Struktur - liegende Orgelpunkte mit feinen Fluktuationen und auch Mikroton-Skalen, die dann von ereignisartigen Einwürfen unterbrochen werden. Mit Stockhausen gesprochen ist das eine "Momentform", wo es keinen "roten Faden" mehr gibt, der traditionell durch die Formarchitektur (vor)gegeben ist. Es gibt dann verschiedenen Gruppen, wo bestimmte strukturelle Merkmale mehr oder weniger dominieren - mal die liegenden Töne, mal die "trockenen Töne" mal Kontraste mit Tonclustern. Dadurch entsteht Abwechslungsreichtum und Spannung. Auch trifft hier das zu, was damals der Sprachgebrauch der Serialisten ist: Man spricht von musikalischem "Material". Es kommt nur noch auf die Toneigenschaften als solche an, die keinerlei "Bedeutung" mehr haben anders als etwa bei Schönberg oder auch Webern, wo es noch den "Expressionismus" gibt. Bei Berio ist ein Klang nur ein Klang - man soll auf die feinen und feinsten Klangänderungen (gleich am Anfang!), Klangkontraste und den ästhetischen Reiz des "Klanges an sich" achten. Bei Debussy und Ravel ist diese Autonomie des klanglichen auch schon da, aber eben noch nicht "abstrakt" verwendet ohne die anderen Bedeutungen: Form, Expressivität usw. Berios Musik ist "abstrakte Musik" (den Begriff verwendete Anton Webern zur Charakteristik der Musik von Johann Sebastian Bach). Wenn ich die "Kunst der Fuge" höre (habe ich gestern gemacht, weil ich zwei sehr schöne CDs geschenkt bekommen habe :) ) dann gibt es da durchaus eine Vergleichbarkeit. Bei Bach ist das ein "Denken in Tönen" und die barocke Affektivität ist auf ein Minimum reduziert. Hier bei Berio ist es viel "ästhetischer" - ein Purismus in der Reduktion auf das Rein-Klangliche von Musik. Ich finde das faszinierend. Es ist natürlich auch anstrengend, diese "Reduktion" zu vollziehen. Ich schaue mir auch sehr gerne abstrakte Bilder an - nur bin ich dann auch froh, wenn ich dann zur etwas "gegenständlicheren" Malerei zurückkehre. Das Bereichernde an solcher "abstrakten Musik" ist finde ich, dass man dann auch "traditionelle" tonal-melodische Musik anders hört, die Klanglichkeit an sich, die es auch da gibt (etwa bei Brahms), auch als solche wahrnimmt, die Erfassung von dessen Eigenbedeutung einen Sinn entwickelt. Von daher bin ich der Meinung wie Maurizio Pollini, dass man Bezüge von "Neuer" und "Alter Musik" herstellen sollte. Das ist dann ein wirklicher Gewinn und erweitert das ästhetische Sensorium. :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich hatte angedroht, oder versprochen - wie immer man es auslegen mag - ein paar ehrliche Zeilen zum ausgewählten Werk zu schreiben. Meine etwas bissige Kritik richtet sich nicht gegen die Auswahl, sondern gegen das Werk selbst. Ich frage mich, wie man SO ETWAS überhaupt komponieren kann (wenn das Wort "komponieren" hier überhaupt angebracht ist). So was auf CD zu bannen ist ein tollkühnes Unterfangen, einem finanziellen Selbstmordversuch gleichend. Wer hört sowas freiwillig ?

    "Experimentelle Musik" - Wie klingt das ? Einerseits jaulend, andrerseits nach Kreissägen und anderen Werkzeugen in einer metallverarbeitenden Fabrik. Ein handfestes Zwölftonmusik-Werk ist ja ein pures Labsal dagegen.

    Musik für die Hölle - das ist eine Assoziation ,die mir beim heutigen (wiederholten !!) Hören kam. Man stelle sich vor, das bis in alle Ewigkeit hören zu müssen, garniert mit ähnlichen Werken von befreundeten Zeitgenossen. Und da gabs ja leider doch einige.

    Ich werde - wie schon bisher - die Musik der letzten 75 Jahre meiden - und jene, zu Beginn des 20. Jahrhunderts komponierte, nur selektiv in homöopathischen Dosen konsumieren.


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Ich bin auch noch in letzter Sekunde meiner Pflicht nachgekommen und es war die härteste im bisherigen Thread-Verlauf.

    Generell bin ich immer offen auch für Epochen und Komponisten die mir bisher nicht zusagten oder die ich bisher nicht kannte. Ich schließe auch nie aus, dass mir in anderen Lebensphasen Musik gefällt, die mir bisher nicht gefiel. Das hat mir schon viel Gewinn gebracht.

    Bei Berio muss ich sagen, dass ich ratlos davor stehe und mir stand heute nicht vorstellen kann, dass mir diese Musik jemals etwas geben wird. Natürlich geht es um Klang und das ist zumindest teilweise durchaus faszinierend. Aber mehr ist da nicht für mich zu holen. Das ist mir aber ein bisschen zu wenig Substanz. Die Partitur mitzulesen ist in gewisser Weise aufschlussreich, wenngleich wie schon bei Ligeti und auch anderen Komponisten entlarvend: Eine solch extreme Partitur wird (kann) nicht zutreffend abgebildet werden. Bis zu vier Pianissimi ist letztlich doch nur eine Art affektierte Extravaganz. In keiner der Youtube-Aufnahmen werden die Unterschiede zwischen dreifachen Fortissimo und vierfachen Pianissimo abgebildet. Wenn es aber nicht möglich ist, dann ist es Unsinn.

    Zwischen den klanglichen Extremen ist es für meine Ohren oft Krach. Ich frage mich die ganze Zeit, was soll ich damit anfangen, es klingt wie eine Klangwerkstatt, zwischendurch wie Kinder/Amateure die Instrumente ausprobieren die sie nicht spielen können und immer wieder tauchen Fetzen auf, die zusammhanglos, quasi um ihrer selbst willen in den Klangraum geworfen werden.

    Kann ich dem Ligeti und erstrecht Komponisten die mich nicht so zusagen (z.B. Ravel, Klami oder Albeniz) immer noch etwas abgewinnen, bleibt das ehrlich gesagt hier aus. Ich denke dann ganz böse: In dieser Zeit könnte man gut etwas großartiges von über 200 Komponisten hören, die mir mehr zusagen...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • ich muss mich deinem Urteil anschliessen, ich konnte diese Musik gerade mal 3-4 Minuten lang ertragen und konnte dem Stück überhaupt nichts abgewinnen. Es wäre allemal für Filmmusik geeignet, für einen Horror-Film...

    Gruß,


    Kostas

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Wer hört sowas freiwillig ?

    Berios Sincronie habe ich rein zufällig vor zwei, drei Wochen schon gehört, da mir der Primarius des Fabrik Quartetts netterweise ihre Debut-CD geschickt hat, die mit diesem Stück beginnt. Ich hatte die Musiker im Januar beim Heidelberger Streichquartettfest getroffen. Dort haben sie Bartok 4 und Xenakis Tetras gespielt, auch ein Klassiker der Avantgarde. Außerdem haben sie mit Lukas Fels vom Arditti Quartett vorgeführt, wie man die Notation von Helmut Lachenmann in Klänge umsetzt. Selbiger stand ja im Fokus des Streichquartettfestes, wo alle drei seiner Streichquartettwerke auch aufgeführt wurden (vom Diotima und vom Kuss Quartett). Auch ziemlich herausfordernde Werke.

    Ich höre aber so etwas inzwischen gerne und auch regelmäßig, manchmal einen ganzen Abend lang. Üblicherweise nur, wenn es Musik für Streichquartett ist. Die stellt inzwischen sowieso mindestens 50% meines Musikkonsums dar. Ich gehe auch gerne in entsprechende Konzerte und habe z.B. schon zwei sehr intensive mit den Ardittis (eines über 3 Tage) erlebt. Ich bin - im Gegensatz zu vielen - auch ein großer Fan von "Sandwichkonzerten" (Haydn - Aktuelles Werk - Beethoven). Holger hat auf den Sinn solcher Gegenüberstellungen oben schon hingewiesen.

    Da ich keine Noten lesen kann, rezipiere ich diese Musik rein hörend. Und ich höre sie als Abfolge von reinen Klangereignissen, die ich interessant oder halt weniger interessant finde. Sincronie finde ich recht interessant.

  • Ich denke dann ganz böse: In dieser Zeit könnte man gut etwas großartiges von über 200 Komponisten hören, die mir mehr zusagen.

    IMO ist das nicht böse - nur pragmatisch

    Es ist IMO eine Unart der Vertreter der Avantagarde, mehr oder weniger darauf zu bestehen, daß ihre Musik anerkannt werden muß.

    Das begann schon bei Schönberg, der da in einem Brief , Artur schnabel betreffen, der sich weigerte zeitgenössischen Repertoire zu spielen, schrieb:

    Zitat

    Sein Standpunkt scheint mir nicht nur albern, sondern fast verbrecherisch. Ich meine, es ist die erste Pflicht eines wirklichen Künstlers, zeitgenössische Musik zu spielen. Hätten sich alle Interpreten benommen wie er, so hätten die Werke der größten Meister noch immer nicht das Ohr des Publikums.

    Ich finde, das ist eine Anmaßung, eine Frechheit. Und natürlich in eigener Sache - und somit nicht neutral


    Ich höre aber so etwas inzwischen gerne und auch regelmäßig, manchmal einen ganzen Abend lang.

    Lieber Lutgra

    Du hattest ja - ebenso wie astewes - immer schon eine Neigung in diese Richtung.

    Wenn ich irgendwo irgendwann mal schreibe "Das will "NIEMAND" hören, dann beziehe ich das auf die geringe Anzahl von begeisterten Hören. Und zudem möchte ich das Forum - dereinst als fast reines Mozartforum (und Umgebung) angedacht - nicht in die Moderne abdriften lassen. Die Idee eines reinen Mozartforums musst ich fallenlassen, denn auch hier ist der Interessentenkreis zu klein.


    Dieser thread ist übrigens ein gelungenes Beispiel für gelebte Meinungsvielfalt.

    Das funktioniert nur, wenn man auch ein harsches Urteil ertragen kann - wenns sein muß auch zähneknirschend.



    BTW: Anmeldungen für die nächste Runde dieses Projekts werden noch entgegengenommen.


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Sein Standpunkt scheint mir nicht nur albern, sondern fast verbrecherisch. Ich meine, es ist die erste Pflicht eines wirklichen Künstlers, zeitgenössische Musik zu spielen. Hätten sich alle Interpreten benommen wie er, so hätten die Werke der größten Meister noch immer nicht das Ohr des Publikums.


    Ich finde, das ist eine Anmaßung, eine Frechheit. Und natürlich in eigener Sache - und somit nicht neutral

    Ich finde, dass es weder das eine noch das andere ist, sondern eine vertretbare Meinung. Warum sollten Meinungen "neutral" sein? welche ist das denn?


    Abgesehen davon, kann man das Argument doch leicht nachvollziehen.

    Michael Gielen äußerte sich ganz ähnlich. Kennt übrigens jemand die Kompositionen Schnabels? Ich kenne sie und kann sie genießen. Schnabel hätte sie nach diesen Ansprüchen selbst nicht konzertant vortragen können. Das macht seine Meinung doch ein wenig inkonsistent ;)

  • Bei Schönbergs Reaktion auf Schnabel spielt vielleicht auch viel Enttäuschung mit - beide waren jüdische Emigranten - über die fehlende Künstler-Solidarität in der Diaspora. Schnabel war wie von Axel bemerkt auch Komponist und Schönberg wohl einfach nicht seine Welt. Dagegen hat sich etwa Claudio Arrau mit Boulez beschäftigt - die Partituren analysiert, aber sich letztlich nicht getraut, serielle Musik aufzuführen. Schönbergs Klavierstücke hat Arrau allerdings gespielt (Mitschnitt der BBC, auf CD erhältlich).

  • Ich bin auch noch in letzter Sekunde meiner Pflicht nachgekommen und es war die härteste im bisherigen Thread-Verlauf.

    Das finde ich bemerkenswert, dass Du Dich dieser "Herausforderung" mutig gestellt hast! Chapeau! :thumbup:

    Zwischen den klanglichen Extremen ist es für meine Ohren oft Krach. Ich frage mich die ganze Zeit, was soll ich damit anfangen, es klingt wie eine Klangwerkstatt, zwischendurch wie Kinder/Amateure die Instrumente ausprobieren die sie nicht spielen können und immer wieder tauchen Fetzen auf, die zusammhanglos, quasi um ihrer selbst willen in den Klangraum geworfen werden.

    Was Du als "Krach" hörst, ist insofern auch Krach, als es sich hier um ein Komponieren mit Geräuschen handelt. Allerdings gibt es da eine auskomponierte "Struktur". Ich hatte das mit dem Prinzip der "Momentform" anzudeuten versucht. Wenn es keinen "roten Faden" mehr gibt, die Musik also keine durchlaufende "Geschichte" erzählt und sich nichts mehr "entwickelt", werden die Klänge ereignishaft, was Du "Klangfetzen" nennst. D.h. sie überfallen mitunter den Hörer unerwartet und überraschend wie der Knall eines Düsenjets. Doch geschieht dies zugleich mit der Einbindung in eine Struktur - durch die formulierten klanglichen Kontraste was die Klangeigenschaften angeht und auch die "Variation" und Verdichtung von elementaren Klangcharakteristiken (Orgelpunkt, also Kontinuum versus diskontinuierlicher, stachelig trockener Klänge etc.) Die Mikrotonskalen sind zudem bemerkenswert. Diese verwendet Stockhausen in seinen Kompositionen für Solo-Bläser (XI, YPSILON u.a.). :hello:


    P. S.: Der Strukturalismus kommt ja aus der Linguistik. Bei Saussure konstituiert sich die Bedeutung durch eine Signifikantenkette in der "Gegenüberstellung von Verschiedenheiten" (Beispiel: Baum und Strauch). Genau das - die Gegenüberstellung von Verschiedenheiten als strukturbildendes Prinzip - kann man in Berios Quartett sehr gut erkennen finde ich.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Ich werde erst heute dazu kommen, mir in Ruhe den Berio anzuhören. Zuvor werde ich allerdings das neue Musikstück vorstellen. Es ist etwa 10 min lang, gut anhörbar -wie ich finde- und stammt von Claude Debussy. Ein entlegenes Werk aus seinem Schaffen. 1974 habe ich es in einer Sendung der Reihe "Von Bach bis Bartok" aufgeschnappt und mitgeschnitten. die Rede ist von der "Rhapsodie für Saxophon und Orchester". Man könnte au fragen ist es Debussy ja oder nein? Debussy hat selbst keine aufführungsreife Fassung erstellt, das besorgte sein Freund Jean Roger Ducasse. Zeit genug hätte er gehabt, der gute Claude. 1901 bekam er den Auftrag für ein Werk für Saxophon und Orchester von der Saxofonistin und Mäzänin Elise Hall, die auch gleich bezahlte. Indes, es kam nichts. Die Arbeit an dem Werk schleppte sich hin und Debussy schenkte der Auftraggeberin zwischenzeitlich eine Geschenkpartitur der Oper "Pelleas und Melisande". Ständig waren andere Arbeiten wichtiger, auch die Rhapsodie für Klarinette und Orchester (die wohl auch beklannter ist). Irgendwann mal hieß es, daß nur noch 50 Takte fehlen würden, am Ende von Debussy Erdendasein blieb die Rhapsodie unorchestriert als Partitur für Klavier und Saxofon liegen.


    Das Werk hat eindeutig maurische Einflüsse, die orchestrierte Aufführungsfassung ist ungemein farbenfroh. Ob der Saxophonpart eine solistische Herausforderung ist kann ich nicht sagen. Es ist allerdings auch keines der Werke, die geschrieben sind, um instrumental circensisch zu sein. Eher atmet es eine wunderbare Atmospähre, die zwischenzeitlich von dramtischen Erzähleinsprengseln aufgemischt wird.


    Die damals gesendete und mir bis heute liebste Aufnahme des Werkes ist die von Sigurd Rascher und Leonard Bernstein. Als ich mir Jahre später die Platte besorgen wollte war sie allerdings vom Markt. Die Dortmunder Musikbiblithek besaß sie, so daß ich an eine stereo-Aufnahme kam. Erst Jahre später konnte ich sie von einem Plattenhändler erstehen, der regelmäßig für Vinyl-Beutezüge in die USA freiste und sie mir von da mitbrachte. Auch das Restprogramm der LP ist fantastisch, aber jetzt geht es nur um dies wunderbare Aschenputtel, die Rhapsodie für Saxophon und Orchester in genau der von mir geschätzten Aufnahme. Viel Spaß beim Hören:



    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Da an anderer Stelle hier im Forum über ANsermet gesprochen wird: der hat zwar den ganzen Debussy aufgenommen, von den Rhapsodien allerdings nur die für Klarinette. Die später erschienene Gesamtaufnahme der Werke Debussys unter Jean Martinon hingegen enthält die Rhapsodie für Saxophon und Orchester.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Das Saxophon also. Wiewohl es von der Entstehung her gerade noch so als „klassisches“ Instrument durchgehen könnte (Sax hat es 1840 erfunden und 1846 wurde es patentiert), gibt es kaum „klassische“ Werke, die das Instrument vorsehen (vielleicht Bizet und das war's?). Das MGG (ich habe ein alte Ausgabe) bezeichnet das Saxophon als eine Abart der Clarinette; diese Aussage, wiewohl sie falsch bzw. nicht ganz korrekt ist (es ist eher eine Kombination aus Clarinette und Oboe), hat sich leider, nachdem ich dies in jungen Jahren gelesen hatte, bei mir auf der Stirn eingebrannt, zumal das Instrument auch vorwiegend im Jazz (Glenn Miller u.v.a.) vorkommt, gehört es überhaupt nicht in mein Metier. Es wird zu den Holzblasinstrumenten gerechnet, wobei der Holzanteil eher bachblütenartig ist ... immerhin mehr als bei der modernen Flöte, deren „Zauberton“ meine Ohren quält. Mich würde durchaus interessieren, in welchen frühen Werken (also ca. 1840-1860) das Instrument verwendet wurde (stilistisch ist aber auch das schon weit von meiner Wohlfühlzone entfernt). Offenbar war das Instrument unmittelbar nach seiner Geburt nicht sonderlich bekannt oder beliebt; ähnlich Schubert mit „seiner Arpeggione“, die sich - im Gegensatz zum Saxophon - nicht durchsetzen konnte heute meistens durch ein Violoncello ersetzt wird (obwohl es zahlreiche Nachbauten inzwischen gibt). Das Saxophon gehört für mich jedenfalls nicht zu den wirklich klassischen Instrumenten; das klingt für mich wie Klarinette und Klavier bei Bach und Händel - ein Fremdkörper.


    In Debussy mag ich aber vielleicht mal reinhören.

    Man muß nur den Schuh umdrehen, dann wird ein Spieß daraus.
    (Johann König)

  • gibt es kaum „klassische“ Werke, die das Instrument vorsehen (vielleicht Bizet und das war's?)

    Ich hätte noch Glasunow - Saxophonkonzert Op. 109 zu bieten. Habe ich wenige Male im Zuge der Sinfonien-GA gehört.


    Bei Ravel habe ich noch geschrieben, dass der Impressionismus nicht mein Fall ist, Ravel aber besser als Debussy bei mir ankommt. Da haben wir den Salat :P

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Ich hätte noch Glasunow - Saxophonkonzert Op. 109 zu bieten.

    Das ist ja auch schon jenseits von Gut und Böse entstanden.

    Man muß nur den Schuh umdrehen, dann wird ein Spieß daraus.
    (Johann König)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner