Salome, die Tochter der Herodias, Prinzessin von Judäa.

  • Lieber Caruso41,


    ich habe mich in meinem letzten Beitrag lediglich auf die Ebene der Figurenpsychologie beschränkt, da mich die Kahlschläge mancher Beiträge hierzu veranlaßten. Nenne das ruhig vordergründig.


    Zu den von dir angesprochenen mythologischen Bezügen möchte ich anfügen, daß die Mondgottheit selbst ambivalent ist - sie steht, mit Diana/Artemis auch und gerade für die weibliche Keuschheit (auch dies eine geheime Gemeinsamkeit zwischen Salomé und Jochanaan). Da die antike Göttin zugleich eine Helferin bei Geburten war, liegt es nahe, in Salomé eine Repräsentantin weiblicher Sexualität par excellence zu sehen. Das aber bezweifle ich.


    Es ist eine bedauerliche Schwäche von Wildes Drama, die Dekadenz des Herodeshofs (und der spätantiken Gesellschaft) ein Stückweit zu substantiieren.


    Wir wissen heute, daß das fundamentalistische Argument der Dekadenz eine strategische Behauptung ist, kein Sachbefund. Ausstellungen im Gropiusbau (Hafen von Alexandria) und im Pergamonmuseum in Berlin belegen, wie kultiviert, welt- und geistesoffen die vorderasiatischen Kulturen gewesen sind (und wie zerstörerisch das frühe Christentum dort wirkte).


    Auch an Herodes´ Tafel sitzen Römer neben Ägyptern, Juden neben Ungläubigen. Wir vernehmen eine gelehrten Disput über die Gegenwart Gottes, worin auch "eine sehr gefährliche Lehre aus Alexandria" anklingt. Dort ist von der Allgegenwart Jahwes (oder Allahs?) die Rede, im Guten wie im Bösen. Eine entscheidende Stelle.


    Denn während die orthodoxeren Juden nach rückwärts schauen (und ihre Gegenwart als gottesfern erleben - Gott habe sein Antlitz abgewendet), predigen andere bereits die Heraufkunft des Messias.


    Wildes Drama läßt offen, ob die beiden Nazarener nur weitere Absurditäten verkünden. Strauss aber findet für das Heilsgeschehen, hier und zu Jochanaans Worten, eine auratische Musik, die erfüllt ist von einem Gegendiskurs zur flirrenden Exotik der Palastwelt. Eine tiefe, sicher voranschreitende Ruhe spricht aus diesen Klängen, ein Licht aus einer anderen Welt als der mondscheingeschwängerten Wüstennacht. Schall&Wahn nennt diese evokative Musik kitschig, was mir ganz unbegreiflich ist.


    Herodias fühlt sich kurz darauf von Jochanaan angegriffen, obwohl der Opernhörer weiß, daß Salomé, die Tochter Babylons, gemeint ist. Der detailliert vorausgesagte Tod der Prinzessin offenbart die heilsgeschichtliche Verwicklung, denn Salomé ist nur ein Instrument zu Jochanaans Martyrium und überlebt ihre Tat nicht lange.


    Jochanaan, der in Felle gekleidet war und sich von Heuschrecken ernährte, steht mit seiner fundamentalistischen Haltung ("Daß ich alle Verruchtheit austilgen werde, daß ich alle Weiber lehren werde, nicht auf den Wegen ihrer Greuel zu wandeln!") auf alttestamentarischem Boden. Insofern gebe ich dir, Caruso41, recht, daß Salomé wie ein Blitz in diese Weltzurechtmachung einschlägt und ihr weibliches, sinnliches Recht einfordert. - Doch mit der Betonung nicht der starren altorientalischen, sondern zumal der heilsgeschichtlichen neutestamentlichen Rolle des Jochanaan als Täufer und Prophet Jesu verschiebt Strauss die Schlagrichtung des Dramas: Jochanaan ist nicht nur "möglicher Weise", sondern ohne jeden Zweifel ein heiliger Mann.


    Ich weiß nicht, ob jemand hier den Roman "Sie waren Augenzeugen" von Gertrud Fussenegger kennt. Auch dort wird die Heilsgeschichte (die beiden letzten Jahre von Jesu Wirken bis zur Kreuzigung) aus der gebrochenen Perspektive der vielfältigen kleinasiatischen Lebensumstände ganz unterschiedlicher Zeitgenossen erzählt. Mit der Pointe, daß das so bedeutende und wirkungsträchtige Geschehen für die mittelbar Beteiligten nur ein ganz am Rande wahrnehmbarer Schemen gewesen ist, eine Nebensächlichkeit. - Daran muß ich bei der Lektüre der Salomé oft denken.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Kompliment an Euch alle! Dies ist eine der tiefgründigsten Diskussionen, die ich bisher im Tamino-Klassik- Forum lesen durfte.
    Das es dennnoch schwierig ist, eine eindeutige psychologisch fundierte Charakterisierung der "Lolita" (bewußt gewählt) Salome zu finden liegt an der Komplexität und Vielschichtigkeit, die Richard Strauss fast allen seinen Opernfiguren gibt. Es spricht auch für die Genialität und die Symbiose von Text und Musik, wenn die Mystik des Werks und der Personen vielleicht nie ganz schlüssig geklärt und erklärt werden kann. "Den unerforschlich tief geheimnisvollen Grund, wer macht der Welt ihn kund?" ("Tristan und Isolde").


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Hallo Caruso und Farinelli,


    interessant eure Theorie vom Einbrechen der Sexualität in die christliche sinnferne Welt. Auch die von Farinelli angesprochene Scheinwahrheit der Dekandenz, diese in die vorderasiatischen Lande einzuführen, war, denke ich mehr, eine Projektion des scheinbaren Lebensgefühls des Fin de Siecle-Künstlers in die von ihm bevorzugten Orte, zumeist exotischen Charakters. Gerade deswegen ist Salome ja prädestiniert als Beispiel für die Kunstströmung der Decadence, sie enthält alle Themen, die damals ungemein beliebt waren, eine Paradestück. Das es dabei viel um Äußerlichkeiten und zeitgenössische Befindlichkeiten ging, die effektvoll in exotische Orte und Zeiten versetzt wurden, steht wohl außer Frage. Wilde wollte ziemlich sicher auch einfach erneut die Leute schocken bzw. vor den Kopf stoßen...vielleicht hat es gar, was Satirisches? In dem Sinne ist ich auch Carusos Ausführung bedenkenswert in der er Anklänge an so etwas wie Moralkritik sieht, "Salome", eine bürgerliche Farce? Hatte Strauss mit seinem Hanswurst-Jochanaan doch gar nicht so Unrecht? Wer weiß...


    Strauss aber findet für das Heilsgeschehen, hier und zu Jochanaans Worten, eine auratische Musik, die erfüllt ist von einem Gegendiskurs zur flirrenden Exotik der Palastwelt. Eine tiefe, sicher voranschreitende Ruhe spricht aus diesen Klängen, ein Licht aus einer anderen Welt als der mondscheingeschwängerten Wüstennacht. Schall&Wahn nennt diese evokative Musik kitschig, was mir ganz unbegreiflich ist.

    Die Musik als solches habe ich ausdrücklich nicht als kitschig bezeichnet, sondern den Terminus sie als Untermalung tiefreligiöser Stimmung zu sehen, für mich ist das äußerst oberflächliche "Heilsmusik"...ich denke, jemand der selbst gläubig ist, hätte da ganz andere Töne gefunden, die ich auch als auratisch empfunden hätte. Natürlich stellt sie einen Kontrast zur Ornamentik der anderen Sphäre da, aber das "prophetisch-heilige" daran geht nicht sehr tief. Ich finde sie nur vordergründig religiös.


    Da "Salome" ja auch eine Art Prototyp des beliebten Decadence-Themas Femme Fatale ist, kann man es auch so sehen, dass es hier der Einbruch der weiblichen Sexualität in eine männlich dominierte Welt ist, in der die Frau bisher auch nach den "Regeln" der Männer "gehorchen" musste, zu sein hatte, wie man sich eine Frau vorstellte, vulgo Frauen haben keine eigene Sexualität. Das war eines der ganz großen Themen des späten 19. Jahrhunderts, dazu wurden Studien verfasst und all die Diskussion schürte in der Gesellschaft, vor allem der Männer, die Angst vor der Frau als sexuelles Wesen, daraus entstand ja letztlich auch das Bild der Femme Fatale...so gesehen, ist "Salome" absolut ein Werk ihrer Zeit.
    Was die Religion dabei angeht...sie bleibt mir in dem Stück immer fragwürdig, in jedem Fall denke ich für Wilde und genauso für Strauss hatte sie in Bezug auf das Werk weniger Bedeutung als es den Anschein haben mag.


    P.S. @operus...wenn's nach mir geht, könnten ähnliche Diskusionen auch in anderen Threads geführt werden, man muss nur machen :)

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Kompliment an Euch alle! Dies ist eine der tiefgründigsten Diskussionen, die ich bisher im Tamino-Klassik- Forum lesen durfte.


    Danke, lieber Operus, für die Blumen!


    Es ist eine interessante Erörterung, in der ich schon viel gelernt habe! So geben mir auch die letzten Überlegungen von Farinelli und SchallundWahn wieder neue Anstöße, weiter und noch gründlicher über die Oper nachzudenken! Das will ich erst mal in Ruhe tun, ehe ich etwas erwidere!


    Was mich übrigens sehr wundert: bisher haben die sonst so flinken Kohorten, die für werkgetreue Inszenierungen streiten, überhaupt nichts zur Diskussion beigetragen. Wenn man denn wieder und wieder einklagt, ein Werk solle so auf die Bühne gebracht werden, wie es Textdichter und Komponist wollten, dann müsste man wohl auch was zu den Fragen zu sagen haben, die hier in diesem Thread erörtert werden. Haben sie sich in diesem Sommer etwa mit ihrer Abstimmung ganz verausgabt?


    Gute Nacht für heute!


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich hab doch was zu dem Thema geschrieben. Nur da ich nicht so die profunden Kenntnisse habe, kann ich halt nicht ganz so tief ins Detail reingehen.

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  • Zitat

    Zitat von Caruso: Was mich übrigens sehr wundert: bisher haben die sonst so flinken Kohorten, die für werkgetreue Inszenierungen streiten, überhaupt nichts zur Diskussion beigetragen. Wenn man denn wieder und wieder einklagt, ein Werk solle so auf die Bühne gebracht werden, wie es Textdichter und Komponist wollten, dann müsste man wohl auch was zu den Fragen zu sagen haben, die hier in diesem Thread erörtert werden. Haben sie sich in diesem Sommer etwa mit ihrer Abstimmung ganz verausgabt?

    Ich frage mich, lieber Caruso, was du von den Gegnern des sogenannten Regietheaters erwartest. Dass sie nunmehr endlich einsehen, eine Salomé könne nur dann für das "moderne" Publikum, das sich selbstverständlich alle diese tiefschürfenden Gedanken zu machen hat, nur noch in Jeans und T-Shirt auf leerer Bühne dargestellt werden. Man müsse sie des historischen Gewands, in das Strauss und Lachmann sie gekleidet haben, nun endgültig entkleiden (was man mit dem falsch verstandenen Wort "entstauben", das für mich die Bedeutung "im ursprünglichen Glanz wiedererstehen lassen" bedeutet, zu begründen versucht :hahahaha: :hahahaha: ), damit sie heutzutage dem Publikum, das ja wohl viel gebildeter ist als vor hundert Jahren, mehr zu sagen hat? Und da vor allem die Texte in der Musik von Richard Strauss nicht immer, vor allem von ausländischen interpreten, gut verständlich gesungen werden, sollte man eigentlich die störende Musik weglassen?
    Warum haben diese Librettistin und dieser wohl dann ebenso verständnislose Komponist denn überhaupt eine historische Handlung zu Grunde gelegt? Warum haben sie diese Probleme nicht sofort in ein Gewand ihrer Zeit gekleidet?
    Ich besitze zwei sehr schöne Aufnahmen der Salomé - natürlich in historischem Gewand, und von entsprechend jung wirkenden Interpretinnen gesungen - die vieles von dem, was hier gesagt worden ist, durchaus empfinden lassen, ohne dass sie in billige Alltagsklamotten gekleidet sind und ohne dass die Bühnendekoration oder gar die herrliche Musik stören und ohne dass "modische" Regisseure mit allerlei Firlefanz ihre Profiierungsneurose daran austoben.
    Wenn du dieses Thema in allen Einzelheiten nachgelesen hast, wirst du entdeckt haben, dass hier auch viele entschiedene Gegner des sogenannten Regietheaters eine Reihe von Beiträgen geliefert haben. Die Aussage, dass sie nichts beigetragen haben, ist also so nicht ganz richtig.
    In einem Teil dieses Themas ging es um interessante Gedanken zu dem psyschologischen Hintergründen der Figuren, was ich begrüße und was mir viel gegeben hat, dem ich nichts hinzuzufügen habe. Dies kann sich jeder aber auch bei der Darstellung in historischem Gewand machen. In einem entscheidenden Teil ging es aber auch lediglich um die Interpreten dieser Figuren, und da kann ich kaum mitreden, weil ich nicht allein auf wenige Opern wie z.B. die von Richard Strauss spezialisiert bin, sondern mein Interesse an der Oper breit gefächert ist - von den Anfängen bei Monteverdi bis in die Moderne. Mein persönliches Interesse gilt dabei in erster Linie der Musik und der szenischen Darstellung. Natürlich kann ich auch zwischen guten und schlechten Stimmen unterscheiden, aber ich bin in dieser Hinsicht - wie wahrscheinlich viele Opernliebhaber - nicht so gut ausgebildet, um sagen zu können, ob die eine diese, die andere jene Feinheit besser trifft. Das breite Interesse ist aber mit ein Grund, warum ich die Oper gerne in der Fassung sehen möchte, in der sie vom Librettisten und Komponisten gestaltet wurde.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zitat Gerhard:

    Zitat

    Ich frage mich, lieber Caruso, was du von den Gegnern des sogenannten Regietheaters erwartest.


    Mein lieber Gerhard!


    Das frage ich mich auch. Ich habe keine Lust, mich mit diesem dämlichen Regietheater näher zu befassen! Mir reicht es, daß mir dadurch seit Jahren Opernbesuche verleidet wurden!




    Herzlichst
    Wolfgang

    W.S.

  • Um auch mal wieder auf den Boden zurückzukommen - alle literarischen und sonstigen Bezüge ändern ja auch wenig daran, daß wir es am Ende der Oper mit einer der beklemmendsten Szene der Opernliteratur überhaupt zu tun haben.


    Strauss steigert die Wirkung dieser Szene ins kaum Erträgliche. Schon wie die Hinrichtung zustande kam, ist kompliziert zu fassen: der schwankende, schwache Tetrarch, nicht mehr nüchtern, von Gesichten geplagt, ermüdet vom Kampf gegen seine Frau, von der Judenpartei und deprimiert über Salomés Halsstarrigkeit, scheint einen Augenblick lang einzulenken.


    Die Atmosphäre der unsichtbaren Vorbereitung und Durchführung der Enthauptung, die unmittelbar darauf folgt, ist in jeder Hinsicht peinigend. Salomés Hysterie verrät eine Angst, als ginge es ihr selbst ans Leben. Eine nur kurz und jäh unterbrochne Stille und Anspannung, wie sie in der Musikliteratur nicht ihresgleichen hat. Ungeheure Gefühlsenergien, von Furcht, Sitte und Anstand zurückgestaut, brechen unter dem anschwellenden Trommelwirbel zu Beginn des Schlußgesangs hervor, der zunächst eine orchestrale Verzerrung des Salométhemas aufbietet, ehe diese selbst mit ihrem zweigestrichenen As einfällt.


    Ich erlaube mir die Bemerkung, daß Birgit Nilsson diesen Spitzenton makellos hervorbringt, wie eine finstere Königin der Nacht. Hier fehlt mir denn doch das Gequälte, Kreatürliche des Schreis.


    Ein Blick in die Bühnenanweisungen stößt uns auf den Satz:


    Ein riesengroßer schwarzer Arm, der Arm des Henkers, streckt sich aus der Zisterne heraus, auf einem silbernen Schild den Kopf des Jochanaan haltend


    Diese Anweisung baut sozusagen die Brücke zu dem von Caruso41 hier vorgestellten Beardsley-Band, dessen Illustrationen ja vor Phallik nur so strotzen. Ich habe an anderer Stelle in diesem Forum auf die Pendant-Szenenvorschrift hingewiesen, nämlich die Spielanweisung für den Solo-Kontrabaß (vor "Es ist kein Laut zu vernehmen")


    ... so daß ein Ton erzeugt wird, der dem unterdrückten Stöhnen und Ächzen eines Weibes ähnelt.


    Hier wird am deutlichsten Strauss´ Intention, aus Salomé eine Hysterikerin zu machen, deren unterdrückte Sexualität eruptiv und vernichtend hervorbricht. Das seltsame Tier aus der Zisterne, ein muskelbepackter schwarzer Arm mit einem männlichen Medusenhaupt (Salomé verglich ja Jochanaans Haar u.a. mit einem "Schlangenknoten, gewickelt um deinen Hals") dürfte eine Herausforderung für die Regie bleiben.


    Was weder Wilde noch Strauss der Prinzessin zugestehn, ist menschliche Reue. Zwar wurde die Anstiftung im Affekt begangen und löste bei allen Beteiligten großes Unbehagen und Ängste aus. Zwar ist der Schlußgesang durchwirkt mit Reminiszenzen an die Schmeichelworte des Herodes ("Ich will mit meinen Zähnen hineinbeißen, wie man in eine reife Frucht beißen mag"). Man könnte daraus schließen, daß Jochanaan als Stellvertreter eine Rache erleidet, die eigentlich dem Herodes gilt. Verschiedentlich wurde Salomé, für uns Heutige nicht ungewöhnlich, als mißbrauchtes Kind gedeutet, deren Gefühlswelt zerrüttet ist (z.B. Hamburg oder Dresden).


    Ich dürste nach deiner Schönheit. Ich hungre nach deinem Leib.


    Auch diese Sätze nehmen die Avancen des Herodes wieder auf ("Ich bin nicht hungrig, Tetrarch"). Aber das zentrale Motiv bei Wilde scheint mir das des faszinierten Blickes zu sein:


    Aber mich, mich hast du nie gesehn.


    Die Liebe als ein allgemeiner Verblendungszusammenhang, Blicke, die das geliebte Objekt bis zur Unkenntllchkeit verfälschen, Projektionen. Narraboth bringt sich um, weil seine taubenfüßige Prinzessin, der er doch ebenfalls zweideutige Avancen macht ("Die Nacht ist schön im Garten!"), zu Jochanaan spricht wie eine orientalische Prostituierte. - Herodes läßt Salomé umbringen, weil er alle Achtung vor ihr verliert (und da hapert es mit der Interpretation vom Mißbrauch - ein derartiger Vater hätte keinen Anlaß, sein Kind zu idealisieren).


    Daß der gottessichtige Prophet keinen Blick für Salomés Schönheit hatte, ist ein tiefgreifender Vorwurf. Die platonisch-plotinische Spätantike hat das Sinnenschöne nicht nur in Frage gestellt oder abgewertet, es hat die sinnliche Schönheit ontologisch ausgehölt und als besonders raffiniertes Vexierspiel der materiallen Sphäre alles Schlechten hingestellt, worauf dann die frühchristliche Theoriebildung dankbar aufsetzte. So gesehen beschert ihre Tat der Prinzessin einen kurzen Triumph - und es mag ja etwas daran sein, daß die Männer seither im Medium des Weiblichen heimlich herbeisehnen, den Kopf zu verlieren.


    :hello:

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  • Wenn ich die verschiedenen Berichte hier in diesem Thema lese, sprechen Text und Musik deutlich genug. Dass hier versucht wird, schriftlich die verschiedenen psychologischen Hintergründe in die Werke hineinzudeuten, ist durchaus interessant. Schon über viele Opern wurden unterschiedlichste und lesenswerte schriftliche Abhandlungen veröffentlicht, warum nicht auch hier. Das ist es ja, was das Forum interessant macht. Aber lasst doch die Oper wenigstens auf der Bühne so, wie sie von Librettist und Komponist entworfen ist und beschwört nicht die Entstellung nach den verschiedenen Auffassungen, die auch hier teilweise unterschiedlich sind, herbei. Der Zuschauer ist sicherlich reif genug, beim Studieren des Textes und Lauschen der Musik seine Interpretation zu finden, ohne dass ihm ein Regisseur eine einseitige Interpretation aufzwingt und das Originalwerk verunstaltet.


    Liebe Grüße
    Gerhard

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  • Lieber Farinelli,


    hab Dank, dass Du so kompetent zum Thema zurückgelenkt hast!


    Es war wohl nicht sehr klug von mir, einnmal anzufragen, was denn die Verfechter einer Aufführungspraxis, die sich streng am Buchstaben des Textes orientiert und der Tradition verpflichtet bleibt, zum besseren Verstehen des Werkes, seiner Hintergründe, Intentionen und Sinnstrukturen beitragen können.
    Wie gute Tontaubenschützen, die auf alles schießen, was sich bewegt, haben sie sofort Salven gegen das Regietheater geschossen.
    Dabei ging es Dir und mir und den anderen an der Diskussion beteiligten ja nicht um Regietheater sondern um der Entschlüsselung des Werkes.
    Daran aber scheinen diese Opernfreunde eher weniger Interesse zu haben. Ihnen genügt es vielleicht, sich an schönen Bildern und Klängen zu delektieren. Die Weltsichten, die Moden und die Phantasien der Zeit, aus denen diese Werke stammen, scheinen sie eher nicht zu interessieren! Belassen wir's dabei! Soll genießen, wer genießen will! Aber schön, dass es hier im Forum auch Opernfreunde gibt, denen informiertes Hören und Verstehen wichtig ist!


    Ich möchte jetzt nur einen kurzen Hinweis zu Deinen letzten Bemerkungen geben! Du sagst:


    ...Die Liebe als ein allgemeiner Verblendungszusammenhang, Blicke, die das geliebte Objekt bis zur Unkenntllchkeit verfälschen, Projektionen...


    Gerade in dem Zusammenhang finde ich ausserordentlich interessant, wie Strauss die Tonartendramaturgie entfaltet.
    Jochanaans Tonart ist eigentlich C-Dur! Weit weit weg von Salomes Tonart cis-moll!
    Wenn er Salome - Du hast Recht: er sieht sie nicht einmal an - Rettung und Heil durch den Erlöser zusagt, dann steht das in As-dur und wenn er Salome wieder und wieder verflucht, landet er schließlich in seinem letzten "Schlag" bei cis-Moll, also bei Salomes Tonart!! - Und dann ganz am Ende nach Salomes "Allein was tut's...Ich habe Deinen Mund geküsst!" wird alle Eindeutigkeit der harmonischen Bezüge aufgelöst: Das cis-Moll Salomes verwandelt sich in ein Cis-dur und darin klingen merkwüdig und rätselhaft ein Gis-Nonakkord und ein Dominatseptakkord auf A auf! Kann man darin nicht die Kombination von Todes- und Kussakkord sehen? Aber die Tonart der Liebe bleibt draussen!


    Und dann - Du hast schon mehrfach sehr klug über Herodes geschrieben - steigt Herodes bei seinem "Man töte dieses Weib" zum hohen B! Ich hatte ja schon drauf hingewiesen, dass Strauss hier nach dem ekstatischen und utopisch alle Regeln sprengenden Rausch wieder zur wohlanständigen - Dur-Moll-Harmonik zurückkehrt! Aber das B ist ein Fremdkörper in der harmonischen Struktur dieser Phrase. Die meisten Tenöre haben da ohnehin ihre Probleme und man glaubt, sie würden nur schlecht intonieren! Aber hört man das mal genau gesungen, dann entdeckt man selbst in dem scheinbar so eindeutigen Schluss noch ein Rätsel!


    Es gäbe noch so viel zu enträtseln...


    Für heute erst mal Schluss!
    Liebe Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Lieber Caruso,


    nachdem du dich über die "Kohorten" beschwert hast, die hier nicht mitschreiben, was ja nachweislich nicht stimmt, stellst du nun eine Behauptung auf, dass diese "Kohorten" nicht an einer Interpretation interessiert sind, was ich in meinem Beitrag 190 auch schon teilweise widerlegt habe. Wir sind schon an einer Auseinandersetzung mit dem Werk interessiert und nehmen jede schriftliche Abhandlung dazu gerne auf. Aber wir wollen nicht, dass uns der Regisseur die Auseinandersetzung mit dem Werk, die wir selbst führen können, durch seine irren Ideen zuschanden macht. So wie hier verschiedene Interpretationsansätze zu finden sind, und die Schreibenden durchaus auch nicht immer einer Meinung sind, so hat auch der Opernfreund seine eigenen Interpretationsansätze und muss sich nicht andere aufdrängen lassen. Im modischen sogenannten Regietheater, wird dem Zuschauer diese Freiheit genommen. Mit deinen Vergleichen aber stempelst du uns zu tumben Genießern ab, die eine Auseinandersetzung mit dem Werk scheuen. An einer Entschlüsselung des Werkes, wie sie hier versucht wird, sind wir durchaus interessiert, aber nicht durch Entstellung des Originalwerkes.
    Wenn hier einer das Regietheater in diesem Thema in Spiel gebracht hat, so warst du es selbst mit deinem Angriff auf jene "Kohorten" im Beitrag 184 getan,durch den du die Regietheatergegner herausfordertest, indem du behauptetest, sie hätten nichts zum Thema beigetragen, was ja nicht der Wahrheit entsprach. Und jetzt beschwerst du dich, dass das Regietheater wieder ins ins Spiel kommt, was du selbst verursacht hast.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Dabei ging es Dir und mir und den anderen an der Diskussion beteiligten ja nicht um Regietheater sondern um der Entschlüsselung des Werkes.
    Daran aber scheinen diese Opernfreunde eher weniger Interesse zu haben. Ihnen genügt es vielleicht, sich an schönen Bildern und Klängen zu delektieren. Die Weltsichten, die Moden und die Phantasien der Zeit, aus denen diese Werke stammen, scheinen sie eher nicht zu interessieren! Belassen wir's dabei! Soll genießen, wer genießen will! Aber schön, dass es hier im Forum auch Opernfreunde gibt, denen informiertes Hören und Verstehen wichtig ist!

    Lieber Caruso,


    es wundert mich schon sehr, solch - mit Verlaub - ungereimtes Zeug aus dem Computer eines hochgelahrten Musikfreundes zu lesen.


    Wenn es an sich schon etwas nach elitärer Überheblichkeit riecht, jemandem anzukreiden, sich an schönen Bildern und Klängen zu delektieren, so ist es mir gänzlich unverständlich, wie man verlangen kann, dass jemand ohne musiktheoretische Kenntnisse sich in die Analysen der Experten mischen sollte.


    Es gibt viele Gründe, sich nicht an der hier stattfindenden Diskussion zu beteiligen, doch was den Einzelnen interessiert und was nicht, ist unmöglich daran fest zu machen, dass man das Wort denen überlässt, die etwas Substantielles zu sagen haben.


    Mich zum Beispiel interessiert diese Debatte sehr, doch erstens habe ich keine Noten zu diesem Werk und zweitens würden sie mir wenig nützen.
    Dass hier musikalische Extreme aufeinander prallen, höre ich zwar, aber ich würde mich der Lächerlichkeit preisgeben, wollte ich mich auf theoretische Auslegungen versuchen.
    Allseits bekannte Ansichten wiederzukäuen, wie etwa auf die Gegensätzlichkeite der Tonarten As-dur und Cis-dur hinzuweisen, würden unseren Kennern doch nur ein müdes Lächeln abgewinnen.


    Ich neige sogar zu der ketzerischen Ansicht, dass der junge Strauss im Salome-Sujet lediglich eine Möglichkeit gefunden hatte, unter Anderem seine Meisterschaft in der Kunst des Orchestrierens demonstrieren zu können und darüber hinaus einige Spießer zu schockieren.


    Doch wie schon gesagt, man sollte nicht in Politikermanier über Dinge reden, von denen man keine Ahnung hat. Das dürfte wohl der Grund für die Zurückhaltung ansonsten aktiver Debattanten zu sein.


    "Informiertes Hören", wie Du es forderst, lieber Caruso, ist eben nach üblichem Sprachgebrauch informiertes Hören, das wohl so viel bedeutet, den Meinungen Anderer Rechnung zu tragen.


    Viele Grüße
    hami1799

  • Was mich übrigens sehr wundert: bisher haben die sonst so flinken Kohorten, die für werkgetreue Inszenierungen streiten, überhaupt nichts zur Diskussion beigetragen.
    ... dann müsste man wohl auch was zu den Fragen zu sagen haben, die hier in diesem Thread erörtert werden. Haben sie sich in diesem Sommer etwa mit ihrer Abstimmung ganz verausgabt?

    Nein, lieber Caruso, was das "Verausgaben" betrifft, so ist es ganz bestimmt nicht. Die hoch geschätzten Mitglieder Gerhard und Rodolfo bringen es auf den Punkt. Zitate:

    da ich nicht so die profunden Kenntnisse habe, kann ich halt nicht ganz so tief ins Detail reingehen.

    Doch wie schon gesagt, man sollte nicht in Politikermanier über Dinge reden, von denen man keine Ahnung hat. Das dürfte wohl der Grund für die Zurückhaltung ansonsten aktiver Debattanten zu sein.

    Genau so ist es. Ich z. B., habe alle Beiträge mit Interesse gelesen und bestimmt hat sich mir einiges lernend erschlossen. Aber ich werde einen Teufel tun mich dazu aktiv zu beteiligen, weil mir hier die tatsächliche Fach- und Sachkenntnis fehlt. Die Musik von Strauss, wie auch von Wagner, ist nicht unbedingt "meine Musik". Der Rosenkavalier ginge vielleicht noch, obwohl mir da hauptsächlich auch nur die Überreichung der silbernen Rose, die Arie des Sängers und der Walzer gefallen. Zu einer Analyse von Wagners Tristan oder der Walküre wirst Du von mir nicht ein Wort lesen. Dazu fehlt mir die intensive Kenntnis und so geht es anderen Mitgliedern in manch anderen Threads ähnlich. Was ich damit sagen will, man sollte nicht geringe Beteiligung zu einem Thema mit mangelndem Interesse gleichsetzen. Man lernt ja auch durch die fachlich fundierten Beiträge unserer Experten auch durch Lesen und zur Kenntnisnahme. Wieviel Interessantes habe ich schon bei Helmut Hofmann gelesen, ohne mich direkt zu beteiligen. Er ist einer der "Lied- Experten", ich nicht. Aber man lernt manches dabei.
    Zu Anfang des Jahres habe auch ich mal ein Thema vorgegeben. Es ging um Spekulationen über "Beethovens unsterbliche Geliebte" und hatte auf mehr Interesse vor allem unserer "Beethoven- Experten und Kenner" gehofft. Lediglich J. R. und Siegfried hatten sich dazu geäußert.
    Wenn Du demnächst vielleicht mal ein Thema zur ital. Oper bringst, da bin ich ganz sicher an Deiner Seite, bzw. da hast Du mich garantiert auf den Fersen.


    In diesem Sinne herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ausdrücklich möchte ich mich bei Farinelli und Caruso41 bedanken für die tiefgehenden Analysen der herrlichen Oper. Sie eröffnen neue Sichtweisen. Sie gehören für mich zu den interessantesten theoretischen Beiträgen in diesem Thread.


    Aber mir geht es wie hami1799. Obwohl des Notenlesens kundig, ist es mir egal, ob das B zum Schluß bei manchen Sängern daneben klingt und ob der Übergang Cis - Moll zu Cis - Dur unlogisch erscheint und mit den erwähnten Außenvorlassen der Liebestonart sich Fragen öffnen. So weit geht mein Interesse nicht, wohl aber die Bereitschaft, es anzuhören.


    Für mich ist Salome ein verwöhnter, pubertierender Teenager. Ich will mein Spielzeug, weil der Mann mit dem Bart böse war und mich nicht küssen wollte. Da ist sie sogar bereit, ihre ganze Verzogenheit zu beweisen, vielleicht gar nicht wissend, daß sie sich außerhalb jeder Toleranzgrenze begibt. Und der alte Herodes, der mit Schrecken sehen muß, daß Salome bereit ist, alle moralischen Schranken zu überwinden und sogar ihn selbst sexuell anregt (viel mehr, als das sein eigenes Weib kann), um ihr Spielzeug auf dem Silbertablett zu bekommen, dem bleibt nach dem Scheitern anderer Angebote zur Verhinderung der Enthauptung nur der Mann mit dem Beil als Lösung, um nicht selbst als Lügner dazustehen. Und wenn das verwöhnte Ding dann den Kopf in der Hand hält und das Unmögliche tut, dann wird sie vom pubertierenden Kind zur Frau.


    Was bleibt, ist ein faszinierender Text, eine teilweise verwirrende Musik mit einem derartig grandiosen Schlußgesang, der alle Facetten der Straußschen Musik aufzeigt. Von schrillen Mißklängen, fast atonal, bis zur flehenden (fast) Kantilene - Du hättest mich geliebt, Jochanaan - zum Triumphgesang, der sie zur Frau macht.


    Und da paßt mir eine Aufführung wie in Dresden im Schwimmbad bzw. Wellnesbereich überhaupt nicht! Selten habe ich eine mich so enttäuschende Aufführung gesehen wie diese. Aber damit genug in diesem spannenden Thread vom Regietheater!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Lieber Gerhard, lieber Hami!


    sicher habt Ihr wirklich nicht Unrecht!
    Vermutlich war meine Bemerkung, dass die Freunde der "wergetreuen Inszenierungen" nichts zur Enträtselung des hochkomplexen Stückes beigetragen hätten, ungerecht!
    Ihr habt einfach Recht: warum sollten sie denn?


    Meine Überlegung war eigentlich eher naiv: wenn Opernfreunde dafür streiten, dass Werke so aufgeführt werden sollen, wie sie gedacht, gemeint und geschrieben sind, dann werden sie doch etwas zu den hier diskutiereten Fragen beizutragen haben. Dann werden sie gewiss etwas wissen von Frauenbildern und Männerphantasien der Zeit, dann kennen sie sich aus mit der Moralkultur der Zeit und damit, was denn unter Liebe verstanden wurde, was als erotisch galt und wie Sinnlichkeit und Sexualität in dieser Gesellschaft gelebt werden konnten, welche Phantasien und Projektionen gängig waren, und so weiter...und so weiter...
    Ich wollte herausfordern, dass sie dazu etwas sagen!
    Ich dachte, das könnte der Diskussion weiterhelfen!


    Das hätte sie selber übrigens sicher auch stärker gemacht!
    Im Forum verwenden viele einige Energie darauf, für das Ziel, dass Inszenierungen "wergetreu" sein sollten, zu streiten.
    Die Frage, wie sie sich mehr Gehör und Einfluss verschaffen können, wird immer wieder gestellt!
    Zu den "Lessons learned" aus dem Musikleben die letzten Jahrzehnte gehört, dass ein Kampf für ein Aufführungsideal, das sich der Entstehungszeit und ihren Klang-, Zeit-, Harmonie-, Phrasierungs- und Agogik-Idealen verpflichtet weiss, eine gute Chance hat, wenn sie wirklich informiert ist darüber, wie die Werke in ihrer Entstehungszeit geklungen haben dürften.
    Fragt mal Harnoncourt, Gardiner oder Curtis. Sie haben sich erst informiert und waren dann argumentationsfähig! Wer eine Aufführungspraxis von Opernwerken wünscht, die sich an den ästhetischen, kulturellen und theaterpraktischen Orientierungen und Standards der Entstehungszeit orientiert und die Intentionen und Anweisungen der Autoren ernst nimmt, fände sicher Gehör, wenn er wenigstens etwas dazu sagen könnte, was das genau in diesem oder jenem Fall heisst! Aber vielleicht ist ja diese Annahme ganz unzeitgemäß! Vermutlich funktioniert der Betrieb heute einfach anders! Also - lassen wir das! Schließen wir Frieden! Immerhin habe ich mich über all die Monate ganz bewusst aus dem Streit und Werkgerechtigkeit und Regietheater soweit als möglich herausgehalten. Das würde ich auch in Zukunft gerne so halten!


    Gründlich missverstanden hast Du mich, lieber Hami, wenn Du unterstellst, ich wollte jemanden in die Ecke der Ignoranten und Dummen stellen, wenn er denn nicht dem Konzept des "informierten Hörens und Verstehens" folgte.
    Der Begriff ist ja nun nicht von mir sondern in der Musikästhetik und Musikwissenschaft schon lange gebräuchlich. Da wird zwischen dem informierten Verstehen eines Musikwerkes und dem ästhetischen Verstehen unterschieden. Das eine wird ausdrücklich dem anderen nicht vor- oder nachgeordnet! Beide Arten haben ihre je eigene Berechtigung. Ich kann sagen, dass ich selber eigentlich beides praktiziere. Ich denke sogar, dass sich beide befruchten und ergänzen können.
    Was also ist die Unterscheidung?
    Es gibt eine Möglichkeit ein Musikwerk zu hören, zu erfassen und zu verstehen, die auskommt ohne Vorinformationen. Das wird als Ästhetisches Verstehen bezeichnet!
    Ich kann eine Messe von Dufay oder eine Fuge von Bach hören und "verstehen" ohne etwas zu wissen über Harmonielehre, Kontrapunkt, Satzbau, Fugentechnik und so weiter. Das ist ein Weg zum Werk, der tiefe und reiche Erfahrungen erlaubt. Der Hörer setzt sich ja dem Kunstwerk unmittelbar aus und lässt es direkt auf sich wirken! Mir liegt also ganz fern, jemanden als dumpfen Kulinariker zu diffamieren, der sich einfach in die Salome setzt und die Bilder und Klänge genießt und so seinen Zugang zu dem Werk findet.


    Es gibt aber auch das Hören und Verstehen eines Musikwerkes, das dies nicht allein als ästhetisches Ereignis erfährt sondern als geschaffenes Kunstwerk - zudem gar als geschaffenes und durch Interpreten ausgeführtes Kunstwerk - und dieses Hören und Verstehen ist vorbereitet und begleitet durch Kenntnisse, Einsichten und Reflektionen, die gleichsam erhellen und aufklären, was hinter dem steht, was ich sehe und höre! Das wird als verstehendes Hören bezeichnet.
    Die - wenn ich das richtig erinnere - von SchallundWahn auf den Weg gebrachte Debatte über die Profile der Figuren in der Salome und über die Handlungszusammenhänge und -logiken habe ich nun so verstanden, dass sie auf informiertem Verstehen gründet und auf informiertes Verstehen zielt.
    Das fand ich interessant und wichtig! Dazu habe ich Lust! Und: deshalb sitze ich am PC, obwohl draußen so herrliches Wetter eigentlich zur Radtour einladen würde!


    Ich habe schon mal in einem Thread, in dem es um Idealbesetzungen der Brünnhilde ging, den Versuch gemacht, aus dem "...aber Nilson ist besser..Nein: Varnay ist die Ideale...Über die Flagstadt geht gar nichts...-Kreisen" herauszukommen und eine Erörterung begonnen, was für ein Bild von Brünnhilde wir denn haben und was wir von ihren Interpreten erwarten. Aufgenommen wurde es leider nicht.


    Umso mehr habe ich mich gefreut, dass hier so viele die Anstrengung mitgetragen haben, Salome "informiert zu verstehen"!


    Inzwischen sind auch Beiträge von Crissy und La Roche eingestellt (Ich habe wohl - wie zumeist - arg lange gebraucht, meinen Beitrag zu schreiben). Auch ihre Beiträge find ich völlig legitim. Aber das dürfte nach meinen Ausführungen über das "informierte Hören und Verstehen" hoffentlich auch schon klar sein! Also denn:



    Pace! Pace! Pace


    Caruso41


    .

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Was mich aber etwas stört ist , das in den Threads die tiefer in die Materie reingehen, wenn man nicht so ein Fachwissen hat und trotzdem etwas schreibt das ich das Gefühl habe, dass der Beitrag dann ignoriert wird. Ich finde es ja nicht schlimm wenn man nicht personlich angesprochen wird, aber überhaupt nicht auf einen Beitrag einzugehen empfinde ich als schlimmer. Und ich habe dieses Fachwissen nun mal nicht um solche langen und interessanten Beiträge zu schreiben wie von Caruso, Farinelli oder SchallundWahn .


    Aber nach der Kritik zu einem anderen Punkt: Gibt es dann zu diesem Thema interessante Literatur ?

  • Ei, lieber Caruso,


    da hast du mich doch schon wieder auf dem falschen Fuß erwischt, um einmal einen Tennisterminus zugebrauchen.

    Mir liegt also ganz fern, jemanden als dumpfen Kulinariker zu diffamieren, der sich einfach in die Salome setzt und die Bilder und Klänge genießt und so seinen Zugang zu dem Werk findet.

    Nach jahrelangem Dahinvegetieren als jener dumpfer Kulinariker haben sich mir hier im Forum zwar einige Tore zu neuen Einsichten geöffnet, aber immer raunt mir ein kleiner Teufel ins Ohr: "früher warst du aber enthusiastischer"
    Die einstige Verzückung über "Celeste Aida", La donna é mobile", "Che gelida manina" und andere "Höhepunkte" will sich nicht mehr so recht einstellen und ich frage mich, ob die Flucht ins analytische Hören nur zum Zweck erfolgt ist,um Abnützungserscheinungen zu entgehen.
    Wie dem auch sei, die Rolle als unbedarfter Kulinariker habe ich jedenfalls sehr genossen, allerdings: Richard Strauss war damals nicht auf der Speisekarte.
    Doch möchte ich hier keine Gegensätze sehen und für mich hat selbst die "gedankenlose Konsumtion" eines Opern-Schlagers, wie die erwähnte Arie des Herzogs, durchaus einen Eigenwert. Meistens bedeutet sie jedoch den Anfang einer musikalischen Entwicklung und sichert sich auf diese Weise ihre Existenzberechtigung.


    Und schließlich noch eine Binsenwahrheit: Allzu kritisches Hören kann einem leicht den Genuß verderben, das habe ich aus verschiedenen Beiträgen gelesen. Als Beispiel sei hier Hildegard Behrens erwähnt. Trotz ihrer fragwürdigen Diktion war sie für mich eine der besten Salome aller Zeiten.


    Viele Grüße
    hami1799

  • Zitat

    Und schließlich noch eine Binsenwahrheit: Allzu kritisches Hören kann einem leicht den Genuß verderben, das habe ich aus verschiedenen Beiträgen gelesen. Als Beispiel sei hier Hildegard Behrens erwähnt. Trotz ihrer fragwürdigen Diktion war sie für mich eine der besten Salome aller Zeiten.


    Mein lieber hami!


    Das sehe ich genauso. Ich habe an anderer Stelle (wo genau weiß ich nicht mehr) schon einmal geschrieben: Mir muß eine Stimme gefallen und sie muß zu der entsprechenden Rolle passen. Da ist es mir egal, ob Sänger oder Sängerin kein Mezza voce oder kein Piano beherrschen. Ob es "Brüller" sind oder die Stimme zu weich. Und da kann man noch soviel z. Bsp. Rita Streich kritisieren, weil ihre Stimme keine Bühnenpräsenz habe, sie gehört für mich zu den schönsten deutschen Sopranstimmen!


    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Hallo Rodolfo,


    was für Literatur schwebt dir denn da vor? Zur besagten Oper in ganz speziellen (da kann ich leider nicht helfen) oder mehr allgemein kunst-/gesellschaftsgeschichtlich in Bezug auf das späte 19.Jahrhundert? Da finde ich zB das Buch von Mario Paz äußerst interessant, das heißt "Die schwarze Romantik. Farinelli wird dir da sicher außerdem weiterhelfen können.
    Im Übrigen möchte ich nicht, dass du dich ignoriert fühlst, falls es auf dich so gewirkt hat, entschuldige ich mich dafür.


    Gut, dass Farinelli Beardsleys Illustartionen noch mal erwähnt hast, schon als Caruso darüber schrieb, wollte ich das aufgreifen, habe es aber vergessen. So wie Wildes Stück ein Paradestück der Decadence ist, so sind es Beardsley Bilder (nicht nur die für Salome), gerade seine Frauenfiguren sind letztlich immer Verunsicherung oder gar Vernichtung für den Mann. Bei seinen Salome-Bildern ist besonders das interessant, dass sich auf die Schlussszene bezieht, den Moment in dem Salome Jochanaans Haupt in Händen hält und endlich geküsst hat. Es trägt den schlicht klingenden, aber absolut entwaffnenden Titel "The Climax" (Der Höhepunkt).


    [timg]http://farm2.static.flickr.com…3df8a7d78_o.jpg;l;306;432[/timg]Wessen "Höhepunkt"?...Und hier bin ich nun bei der von Caruso dankenswerte Weise entdeckten Tonart"verschmelzung" von Todes- und Kussakkord beim "Was tut's ich habe deinen Mund geküsst", das cis-Moll, das sich in Cis-dur, der rätselhafte Gis-Nonakkord und der Dominatseptakkord auf A (gut, dass es Menschen gibt, die sowas besser erkenne als ich)...ja, die Liebe bleibt draußen, Kuss und Tod vereinen sich (Kuss könnt hier denke ich auch für jegliche Art von körperlicher Leidenschaft stehen), nicht umsonst haben die Franzosen die Metapher vom "Petit Mort" geprägt und Freud hat schon Sexual- und Todestrieb als zwar Komplementäre, aber einander anziehende Mechanismen gedeutet, die einen Ursprung haben und sich dort auch wieder treffen. Die vermeintliche Blutfluss von Jochanaans Haupt in Beardsleys Bild ist da auch eher zweideutig, nicht nur rein optisch, sondern auch, wo er hin fließt schießt eine Pflanze hervor, unter Salome schlängelt sich der Ansatz einer neuen Pflanze hinauf...Farinelli hat das Phallische dieser Illustrationen ja schon erwähnt. Es ist demnach nicht nur ekstatsicher-utopischer Rausch, sondern gar orgiastischer.
    Was Herodes ominöses B am Ende der Oper angeht, dass Caruso weiterhin erwähnte...unterstreicht möglicher Weise Herodes Unsicherheit. Vielleicht ist es aber auch so, dass die Rückkehr zur Dur-Moll-Harmonik der Abbruch ist, zurück aus dem Rausch, aber das B das zeichen für das Unbekannte schlechthin ist. Man kehrt zurück, wo man vorher war, aber so kann man nicht weiterleben, weil das, was passiert ist, zu ungeheuer ist. Das B als das Nichts, Herodes steht vor etwas, dass er nicht Begreifen kann und die einzige Möglichkeit, die er sieht diesen Zustand zu "beseitigen" ist Salome zu töten. Letztendlich für mich eine ziemlich hilflose Aktion, wie Farinelli richtig meinte, ist es sicher nicht die Reue als solche, die Herodes zu diesem Ende treibt, sondern die pure Angst vor dem Unbekannten, diese Unsicherheit ist ur schwer auszuhalten.


    Ein Blick in die Bühnenanweisungen stößt uns auf den Satz:


    Ein riesengroßer schwarzer Arm, der Arm des Henkers, streckt sich aus der Zisterne heraus, auf einem silbernen Schild den Kopf des Jochanaan haltend.

    Ein Moment, den ich beim Lesen des Stücks schon unheimlich fand. Der schwarze Arm aus der dunklen Zisterne. Die Dunkelheit der Tat und ihrer Beweggründe, die aus der nachtschwarzen Gruft der Urnacht im Menschen herausragt. Sie geht die Menschen dort eben doch an, Herodes und alle anderen. Die Tat, die "unsichtbar" getan wurde, die man nicht sehen musste (wieder, was man nicht sieht, geht einen nicht seelisch an). Manchmal habe ich das Gefühl Herodes würde für einen Augenblick, ehe dieser Moment kommt, ernsthaft glauben, alles könnte noch mal "gut" werden, im Sinne von, es passiert dort unten und hier oben wird mich nie mehr etwas davon berühren...aber dann erscheint der Arm. Ich denke, es ist kein Zufall, dass der Henker ein Farbiger sein soll, denn das Schwarz dieses Armes halte ich ebenfalls für ein Bild. Das Oben und Unten könnte ebenfalls eine Assoziation wert sein.


    Nochmal zur Musik von Jochanaan...es wurde ja schon gesagt, dass sich sich von der Ornamentik und dem Flirren der anderen Sphäre abhebt...entscheidendes Wort 'abhebt", Jochanaan hat für mich in Charakter als auch Musik, weniger Religiöses, eher etwas Monolithisches (ach herrje Beardsley mit seiner Phallus-Symbolik hätte sich daran gefreut...ich meine es aber eher nicht so). Er steht allein da, ragt über sie hinaus, steinblockartig, hart und unsinnlich, aber er ragt eben auch hoch, wallartig, er errichtet eine Mauer um sich (auch die Musik, die wirkt als schichte man sie auf, C-Dur-Breite), was wieder gut dazu passen würde, dass Jochanaan ebenso unsicher ist. Er versteckt sich hinter einer Mauer, mauert sich ein...nur einmal ist die Mauer fort, als er Salome die die Jünger-Szene auf dem See schildert, aber beim "Ruf ihn an...Und rufe ihn beim Namen...usw." zieht er die Wand Sockel für Sockel wieder hoch, die Musik türmt sich weiter und weiter auf und gipfelt in einem Orchesterbeben, Jochanaan hat sich entgültig der Welt abgeschlossen und kehrt in die Zisterne zurück.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

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  • Lieber Caruso,


    ja, Frieden und Sachlichkeit sollte zwischen uns, den Mitgliedern des Forums, herrschen und nicht gegenseitige Verunglimpfung. Ich habe deine sachkundigen Beiträge immer gerne gelesen. Ich selbst habe - wie ich schon hier an einzelnen Stellen gesagt habe - keinerlei musikalische Ausbildung (ich hätte sie gerne gehabt, aber die damaligen Umstände ließen es nicht zu). Ich kann mit dem Gehör kaum zwischen C- und Cis-Dur unterscheiden.
    Aber ich bin ein glühender Musikliebhaber geworden, nicht nur der Oper, sondern auch der konzertanten und reinen Instrumentalmusik. Dabei habe ich im Laufe des Lebens - soweit es meine Zeit ermöglichte - eine breite Palette an Musik gehört und mir zugelegt. Ich höre klassische Musik nicht nebenher. Wenn ich sie genießen will, muss ich die Zeit haben, sie ungestört intensiv zu hören. Und ich bin nicht spezialisiert auf eine bestimmte Richtung sondern versuche, auch heute noch immer Neues (auch viele Werke, die heute wieder aus der Versenkung geholt werden) kennen zu lernen. Um da liegt auch wohl der Unterschied. Wenn ich mich auf etwas speziailisiere, gehe ich sicher auch mehr in die Tiefe, während für vielseitiges Interesse wohl kaum 48 Stunden (ohne Schlaf) am Tag ausreichen würden, um bei allem in solche Tiefen zu gehen. Ich habe dazu auch noch einen Haushalt, eine Familie (in der ich zur Zeit zusammen mit meiner Schwester auch viel mit der Betreuung einer 90jährigen Tante, die damals uns Waisen zusammen mit den Großeltern großgezogen hat, und heute hilflos ist, zu tun habe), weitere Hobbys (z. B. Filmen, für einen Freund Unterrichtstexte schreiben, Nachhilfe in Mathematik geben, eine weitere Sprache lernen, mit vielen Freunden korrespondieren usw.) und die täglichen Wanderungen mit meiner Frau lasse ich mir auch nicht nehmen.
    Da habe ich garnicht die Zeit, alles, was im Forum geschrieben wird, zu lesen und muss schon zwischen den Themen auswählen. Aber ich bin vor eineinhalb Jahren ins Forum gegangen, weil ich soviel Interessantes, und Lernenswertes fand und wie du weißt, reizt es mich auch, am Opernführer des Forums mitzuschreiben und damit tiefer in die (z.T. fremdsprachigen) Libretti einzudringen.
    Man kann sicher nicht alle Erwartungen, die man hat, auch auf andere übertragen, denn nicht jeder - und das haben andere hier auch schon gesagt - kann, auch wenn er an den Analysen Interesse und Freude hat, selbst Entscheidendes dazu beitragen.
    Deine Berichte lese ich gerne, bei farinelli wäre ich manchmal dankbar, wenn er allgemein verständlicher schreiben würde (ich weiß, das ist nicht so leicht).
    Also wundere dich nicht, wenn nicht jeder zu allen Beiträgen auch etwas Weiterführendes zu sagen hat. Besser wäre es sicherlich, die Themen nicht durch solche Einwände zu unterbrechen, die zu endlosen Diskussionen und Rechtfertigungsversuchen führen, die mit den eigentlichen Inhalt (hier der Salomé) nichts mehr zu tun haben.
    In diesem Sinne


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich neige sogar zu der ketzerischen Ansicht, dass der junge Strauss im Salome-Sujet lediglich eine Möglichkeit gefunden hatte, unter Anderem seine Meisterschaft in der Kunst des Orchestrierens demonstrieren zu können und darüber hinaus einige Spießer zu schockieren.


    Diese Ansicht ist nicht ketzerisch, sondern schlicht und einfach falsch. ;)


    Erstens einmal der Irrtum mit dem "jungen Strauss". Richard Strauss war bei der Uraufführung der Salome bereits über vierzig Jahre alt! Da waren einige bekannte Komponisten schon tot!


    Und die Überlegung, eine Oper zu schreiben, um die Kunst des Orchestrierens demonstrieren zu können, grenzt ans Abartige. Nein, Strauss war ja bekanntlich durch eine Aufführung des Dramas so richtig angeheizt worden. Er hatte sich an diesem Stoff regelrecht begeistert und nachdem die Vorbereitungen getroffen waren, komponierte er die ganze Oper in einem einzigen Kompositionsrausch durch - mit einer Ausnahme! Er lies bewusst den Tanz weg, der erst komponiert wurde, nachdem die restliche Partitur fertiggestellt war. Und ich kann mich persönlich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies hörbar ist. Die ganze Oper atmet eine derartig perfekte Homogenität, dass sich der Tanz für mich merklich vom Rest abhebt. Ansonsten hört man in dieser Oper Klänge, wie sie Strauss nie zuvor komponiert hat. Wie er hier die schwüle Stimmung eines Abends im vorderen Orient in Töne verwandelt, ist reine und großartige Kunst und hat nichts mit Demonstration zu tun - na ja, beim Tanz würde ich diesen Gedanken nicht völlig und kategorisch ablehnen, aber das Werk an sich ist ein einziger genialer Wurf.


    Die Aussicht, "einige Spießer zu schockieren", hat er sicher bewusst in Kauf genommen, bzw. einkalkuliert. Man darf aber nicht vergessen, dass das Stück damals viel gespielt wurde und von der Bühne her recht gut bekannt war. Es wird aber genügend Publikum gegeben haben, für die das Werk dennoch sehr gewagt war. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass der Salome-Stoff generell und viele ähnliche Stoffe im ausgehenden 19. Jahrhundert in der gesamten Kunstwelt intensiv beackert wurden.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Liebe Freunde,


    ich persönlich freue mich immer, wenn eine Diskussion möglichst breit aufgestellt ist, und freue mich namentlich, hier auch Gerhard Wischniewski, Chrissy, La Roche und Rodolfo39, 9079Wolfgang und Hami1799 zu treffen.


    Ich entschuldige mich vornweg für mein hochgestochenes Gewäsche und gebe auch keine Literaturempfehlungen. Ich kenne die Salomé nur deswegen näher, weil ich diese Oper noch zu Schulzeiten vermutlich einige hundert Mal en suite gehört habe, mit Partitur (dafür habe ich halt damals mein Taschengeld ausgegeben).


    Gefreut habe ich mich auch über Theophilus´ Worte:


    Ansonsten hört man in dieser Oper Klänge, wie sie Strauss nie zuvor komponiert hat. Wie er hier die schwüle Stimmung eines Abends im vorderen Orient in Töne verwandelt, ist reine und großartige Kunst


    Ich habe mir - Caruso nöge es mir nachsehen - bislang nie die Mühe gemacht, die Tonarten zuzuzordnen. Partituren sind für mich eher eine Art von Landkarten, sie dienen der akustischen Orientierung. Für die Tonarten bräuchte ich einen Klavierauszug (und ein Klavier).


    Ich glaube aber nicht, daß es mehr als gesunden Menschenverstand erfordert, um die dramaturgische Unterscheidung zwischen Herodes und Jochanaan zu treffen: Der Prophet eine starre, thesenhafte Figur, ohne wirkliche Verstrickung in die Handlung. Psychologisch unergiebig. Der Tetrarch dagegen eine komplexe, blutvolle, lebendige Gestalt, voller Beziehung zu den einzelnen Dramenfiguren.


    Theohilus spricht mir insofern aus der Seele, als mir heute abend, auf der Fahrrad-Heimkehr von der Arbeit, wieder die Exposition der Oper durch den Kopf schwirrte, und dabei abermals auffiel, wie wundervoll dicht Strauss alles Atmosphärische nachzeichnet. Die Berauschung Narraboths, die unhheilvollen Ahnungen des Sklaven, den Lärm im Palast, den erregten Auftritt Salomés. Seismographisch wird noch die kleinste Bewegung in der Musik eingefangen, die ein Wunder an Suggestion ist. Der leitmotivische Apparat spricht eine rasch zu erlernende Sprache, denn die Motive sind durchweg gestisch evident.


    Strauss ist hier ein so liebevoller Erzähler seiner Geschichte, daß die Musik eigentlich keinen Raum für eine abstrahierende oder verfremdende Regie beläßt. Schall&Wahns scharfsinniger Hinweis auf die in den alten Orient hineinprojizierte Decadence läßt vielleicht an Franz von Stucks Salomé denken, eine hinreißend sinnliche junge Frau in aller wünschenswerten Nacktheit.


    Was mir, z.B. an den Argumenten Rodolfos, auffiel, ist die Tatsache, daß wir weder eine solche Wunsch-Beziehung zum grausam-lüsternen Orient unterhalten, noch die zu sich selbst befreite Sinnlichkeit der Frauen als bedrohlich empfinden. Für uns verschiebt sich das Drama daher notwendig in eine andere Richtung (es sei denn, wir rekonstruieren die Jahrhundertwende-Sicht). Wir nehmen die Figur nicht mehr ernst genug, weil uns die zu Grunde liegenden Probleme fern gerückt sind. Noch kaum die Rede war ja z.B. von der Homosexualität des Autors, die eine weitere Lesart von Salomé Verlangen eröffnet (und zwar gerade im Kernfeld der polaren Entgegensetzung von extremer Sinnlichkeit und Askese).


    Ich wünsche mir, daß jeder hier Interessierte sich eingeladen fühlt, etwas zum Diskussionsstoff beizutragen - auch und gerade das Befremden über diese wahrlich erregende Oper.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Erstens einmal der Irrtum mit dem "jungen Strauss". Richard Strauss war bei der Uraufführung der Salome bereits über vierzig Jahre alt! Da waren einige bekannte Komponisten schon tot!

    Jung war er jedenfalls als Opernkomponist. Die Salome war seine dritte Oper, nach der noch ca. 15 weitere folgten.


    Natürlich hat er sich an dem Stoff begeistert, weil er ganz eindeutig seinem Kompositionsstil entgegenkam. Die Frage ist, was kam zuerst, das Ei oder die Henne?
    Die Bereitschaft, dieses Wild-Drama zu vertonen wurde sicherlich von bereits vorhanden, wenn auch nicht konkreten Kompositionsplänen beeinflusst.
    Dass die Oper wie aus einem Guß erscheint, spricht meiner Ansicht nach nicht gerade dagegen.


    Apropo Instrumentierungskunst. Auch große Meister waren bisweilen nicht frei von menschlichen Schwächen. Koketterie alein reicht als schöpferische Triebkraft sicher nicht aus, um ein großes Werk zu schaffen, aber ganz abwesend ist sie sicher nicht allzu selten.

  • Hallo Schallund Wahn,


    an Literatur meinte ich solche, in der die einzelen Personen auf den Bezug zur Musik hin charakterisiert. Duch einen Bekannten könnte ich an die Partitur herankommen.
    Wie jemand sexuell gepolt ist spielt für mich eigentlich keine Rolle. Ich fand in der letzten Spielzeit die Inszenierung von Eugen Onegin aus München schlimm, in der auf der angeblichen Homosexualität Tschaikowsky"s Bezug genommen wurde. Das war mehr als plump.

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  • Liebe Freunde,


    ich persönlich freue mich immer, wenn eine Diskussion möglichst breit aufgestellt ist, und freue mich namentlich, hier auch Gerhard Wischniewski, Chrissy, La Roche und Rodolfo39, 9079Wolfgang und Hami1799 zu treffen.
    :hello:


    Eigentlich wollte auch ich mich mit weiteren Gedanken zur "Salome" äußern, doch laß ich es lieber, um den hochgelehrten farinelli nicht noch weiter zu verärgern.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Ihr lieben Taminos!


    Nur in aller Kürze ein paar Anmerkungen zu den Beiträgen des letzten Tages!



    Was mich aber etwas stört ist , das in den Threads die tiefer in die Materie reingehen, wenn man nicht so ein Fachwissen hat und trotzdem etwas schreibt das ich das Gefühl habe, dass der Beitrag dann ignoriert wird.

    Ich habe sicher noch keinen Beitrag von Dir absichtlich ignoriert! Ich erinnere mich aber, dass ich Deine ganz spontanen und aus dem unmittelbaren Erleben heraus geschriebenen Beiträge oft ganz erfrischend fand! Die Schwierigkeit in diesem – wunderbaren – Thread über Salome ist nun aber, dass so viele interessante Beobachtungen, Analysen und Thesen vorgetragen werden, dass man gar nicht auf alles und Jeden eingehen kann und – ja, es ist ungerecht – da bleiben dann bisweilen Beiträge, die eher nicht so elaboriert sind, mitunter auf der Strecke!
    Sorry!



    Nach jahrelangem Dahinvegetieren als jener dumpfer Kulinariker haben sich mir hier im Forum zwar einige Tore zu neuen Einsichten geöffnet, aber immer raunt mir ein kleiner Teufel ins Ohr: "früher warst du aber enthusiastischer"
    Die einstige Verzückung über "Celeste Aida", La donna é mobile", "Che gelida manina" und andere "Höhepunkte" will sich nicht mehr so recht einstellen und ich frage mich, ob die Flucht ins analytische Hören nur zum Zweck erfolgt ist,um Abnützungserscheinungen zu entgehen.

    Da sprichst Du nun eine Erfahrung an, die wohl fast alle Musikfreunde machen! Wenn man bestimmte Musikstücke nicht mehr einfach nur naiv genießt sondern sich mit ihnen und ihrer Interpretation auch intensiver beschäftigt: dann passiert so etwas wie die Entzauberung dieser Werke. Und dementsprechend können sie oft gar nicht mehr so ergreifen, entrücken, begeistern, enthusiasmieren…wie ehedem!


    Einstein hat einmal auf die Frage, was er sich wünschen würde, wenn er jetzt einen Wunsch von einer guten Fee erfüllt bekommen könnte, gesagt, er wünschte sich, den Don Giovanni noch einmal zum ersten Mal zu hören! Das ist genau das Problem!


    Aber Jeder von uns macht ja dann doch auch immer wieder die Erfahrung, dass man eine Aufführung von Bachs h.moll-Messe, Beethovens V. Sinfonie oder eben Richard Strauss’ Salome hört und die Musik, über die man doch so viel gelesen und nachgedacht hat, einen ganz neu und unmittelbar packt und berührt!


    Gott sei Dank!



    Ich selbst habe - wie ich schon hier an einzelnen Stellen gesagt habe - keinerlei musikalische Ausbildung (ich hätte sie gerne gehabt, aber die damaligen Umstände ließen es nicht zu). Ich kann mit dem Gehör kaum zwischen C- und Cis-Dur unterscheiden.

    Wer kann das schon. Ich jedenfalls nicht! Und wenn ich Musik höre, interessieren mich zunächst erst mal Formenlehre, Strukturanalyse, Harmonielehre und Tonartendramaturgie relativ wenig! Wenn ich dann aber so eine unerhörte Klangwirkung erlebe wie etwa in der (nun ja hier schon breiter diskutierten) Schlusspassage von Salomes Schlussgesang, dann werde ich neugierig und dann will ich wissen, was passiert da eigentlich musikalisch, wie konstruiert Strauss diese Klangekstase und wie steht das zu der in dem Werk entfalteten Tonartendramaturgie! Vor allem will ich wissen: warum tut er das? was soll das mitteilen?
    Ja, und dann greife ich zur Partitur und oft beginnt dann das Staunen: In dem Übergang von cis-moll nach Cis-Dur lässt Strauss einen bitonalen Akkord aufklingen, in dem ein Gis-Nonakkord mit einem Dominatseptakkord auf A kombiniert wird! Ungeheuerlich!! Absolut wahnsinnig!!! (Nebenbei: im Klavierauszug wäre m. E. die harmonische Normabweichung – ja nur für einen flüchtigen Moment – kaum zu entdecken! Da muss man schon die Partitur lesen!)
    Also: die Beschäftigung mit der Partitur kann mir oft helfen, die Komposition in ihrer ganzen Tiefe und in ihrem vollen Reichtum zu erfassen. Nötig ist sie aber nicht. Ich kann die Größe eines Werkes auch fühlen und verstehen, ohne die Komposition gleichsam zu durchleuchten und zu sezieren!



    Ich habe mir - Caruso nöge es mir nachsehen - bislang nie die Mühe gemacht, die Tonarten zuzuzordnen. Partituren sind für mich eher eine Art von Landkarten, sie dienen der akustischen Orientierung. Für die Tonarten bräuchte ich einen Klavierauszug (und ein Klavier).

    Nach dem, was ich gerade gesagt habe, wirst Du mir glauben: Ich sehe es Dir nach!
    Aber: es macht auch Spass, sich eingehender mit Tonartendramaturgien zu befassen - gleichgültig ob bei Bach oder Mozart, Wagner oder Strauss, Puccini oder Berg! Und man gewinnt darüber oft verblüffende und oft ganz erhellende Einsichten! Nicht selten werden einem im wahrsten Sinne des Wortes die Ohren geöffnet!



    Es ist demnach nicht nur ekstatsicher-utopischer Rausch, sondern gar orgiastischer.

    Ja natürlich! Da ist das Dionysische mit Händen zu greifen. Und wer es nicht unter der Haut und in allen Gliedern kribbeln fühlt, muss wohl taub sein!



    Was Herodes ominöses B am Ende der Oper angeht, das Caruso weiterhin erwähnte...unterstreicht möglicher Weise Herodes Unsicherheit. Vielleicht ist es aber auch so, dass die Rückkehr zur Dur-Moll-Harmonik der Abbruch ist, zurück aus dem Rausch, aber das B das Zeichen für das Unbekannte schlechthin ist.

    Ja, beide Deutungen helfen möglicherweise, diesen erneuten Bruch mit der harmonischen Logik zu verstehen. Herodes singt ja das hohe B auf töte (in der Phrase "Man töte dieses Weib!"). Schon bei seinem Auftritt haben wir erfahren, dass es wohl zu seinem Alltag gehört, Tötungen zu befehlen. Den jungen Syrier aber, so stellt er fest, hat er nicht zu töten befohlen. Und nun befielt er die Tötung Salomes mit einer unerhörten harmonischen Grenzüberschreitung. Es ist - da ist er sich ganz bewußt - etwas anderes als alle anderen Tötungen, die er je angeordnet hat.
    Vielleicht führt das zurück zu der Vermutung, dass es noch etwas geben muss hinter dem Geheimnis des Todes...


    So, nun hatte ich eigentlich noch etwas zu Jochanaan und seiner Musik sagen wollen, aber leider finde ich gerade nicht das Zitat, das mich dazu veranlasst hat. Die Behauptung war, er würde eigentlich in dem Stück keine Entwicklung durchmachen. Ja irgendwie ist das eine Gestalt wie von einem nazarenischen Bildhauer. Er steht gleichsam in einer Aureole von C-Dur in seiner ganzen marmornen Schönheit! In Berlin konnte man in den 60er Jahren in der Wieland-Wagner-Inszenierung einen Sänger erleben, der das geradezu ideal verkörperte: William Dooley! Ein Bariton mit einer charismatischen Ausstrahlung und einer erzenen Stimme, in der immer Obertöne des Lichtes aufklangen! Aber wenn er endlich Salomes Begehren mit dem "niemals...niemals" abwies, dann war er für einen wahnsinnig intensiven Augenblick der bis in Mark erschütterte und zutiefst versuchte Mann! Unvergesslich!!! Ich habe andereSänger gehört, die entschieden besser gesungen haben, aber keiner ist dem, wie ich den Jochanaan sehe, auch nur annähernd so nah gekommen wie William Dooley!



    Beste Grüße an alle, von denen ich wieder so viel erfahren und lernen konnte,


    Caruso41


    .

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Was ich das letzte Mal auch wieder vergessen habe...nochmal zur Verschmelzung von Kuss- und Todesthema.
    Salome, die singt "Was tut's, was tut's..." und "Das Geheimniss der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes", könnten auch zusammenhängen, der Tod konnte ihre "Liebe" (oder was man darin auch sehen will...sie glaubt zumindest, dass sie liebt) nicht löschen, die Liebe, die über den Tod hinausreicht, Salome hat den Tod quasi verachtet, ihn verlacht mit ihrem "Was tut's?" Ja, was tut's, dass der Tod zwischen ihr und Jochanaan steht, sie hat den Tod "überwunden", der eigentlich das Ende für ihren Wunsch Jochanaan zu küssen, bedeuten hätte sollen.
    Das Geheimnis der Liebe ist deshalb größer als das des Todes, weil es über diesen hinausreichen, ihn gar negieren kann.


    @Rodolfo
    mit Lektüre zum von dir genannten Themenkreis kann ich leider gar nicht dienen, tut mir leid.
    Aber so gesehen, geht es in der Diskussion ja auch darum, dass herauszufinden.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Hochverehrter und kluger Milletre,


    ich finde mich nur ausnahmsweise und stellvertretend in die Rolle des Majordomus oder Haushofmeister, um namentlich die Freunde der konventionellen Regie hier zu begrüßen. Dich rechne ich nur am Rande zu dieser Gruppierung, empfinde dich und Caruso41 aber vielmehr ganz grundsätzlich als Gastgeber in diesem Thema, und fühlte mich daher nicht berufen, euch beide hier in Empfang zu nehmen, da ihr auf goldenen Sesseln selbst im Empfangssalon sitzt.


    Der ungestraft schlecht belesene Farinelli

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zitat

    Zitat von Caruso: Und wenn ich Musik höre, interessieren mich zunächst erst mal Formenlehre, Strukturanalyse, Harmonielehre und Tonartendramaturgie relativ wenig! Wenn ich dann aber so eine unerhörte Klangwirkung erlebe wie etwa in der (nun ja hier schon breiter diskutierten) Schlusspassage von Salomes Schlussgesang, dann werde ich neugierig und dann will ich wissen, was passiert da eigentlich musikalisch, wie konstruiert Strauss diese Klangekstase und wie steht das zu der in dem Werk entfalteten Tonartendramaturgie! Vor allem will ich wissen: warum tut er das? was soll das mitteilen?

    Zitat

    Ja, und dann greife ich zur Partitur und oft beginnt dann das Staunen: In dem Übergang von cis-moll nach Cis-Dur lässt Strauss einen bitonalen Akkord aufklingen, in dem ein Gis-Nonakkord mit einem Dominatseptakkord auf A kombiniert wird! Ungeheuerlich!! Absolut wahnsinnig!!! (Nebenbei: im Klavierauszug wäre m. E. die harmonische Normabweichung – ja nur für einen flüchtigen Moment – kaum zu entdecken! Da muss man schon die Partitur lesen!) Also: die Beschäftigung mit der Partitur kann mir oft helfen, die Komposition in ihrer ganzen Tiefe und in ihrem vollen Reichtum zu erfassen. Nötig ist sie aber nicht. Ich kann die Größe eines Werkes auch fühlen und verstehen, ohne die Komposition gleichsam zu durchleuchten und zu sezieren!

    Lieber Caruso,


    auch das muss man ja gelernt haben und man muss all die Partituren (und das wären bei mir sehr viele) auch haben oder sich leisten können. Leider hatte ich die Chance dazu nicht. Wie ich ja in meiner Vorstellung schon mitgeteilt habe, habe ich lediglich den Musikunterricht im Gymnasium genossen, auf das ich bei den familiären Umständen, die wir nach Kriegsende hatten, auch nur durch einen glücklichen Zufall geraten bin, und dort einen engagierten Musiklehrer gehabt, der mit dem ihm damals zur Verfügung stehenden primitiven Mitteln oder vielleicht gerade damit uns dennoch die Liebe zur Klassik vermitteln konnte.
    Und nach der Schulzeit musste ich mich über viele Jahre mit lebenswichtigeren Dingen beschäftigen und habe mich im Beruf auch an vielen Dingen zusätzlich beteiligt, die meine Freizeit erheblich eingeschränkt haben, mir andererseits aber auch viel Freude bereitet haben.
    Ich bin also nur ein einfacher Musikfreund geblieben, der begierig auf alles war und sich im Laufe der Jahre vielerlei Musikwerke zugelegt hat. Ich kann mich daher auch selten an musikanalytischen Themen und Beurteilungen mit eigenen Beiträgen beteiligen, weil ich die Aussagen der Musik eher empfinde als dass ich sie in ihre Einzelteile zerlegen und beschreiben könnte. Und nach meinen persönlichen ist es wohl die überwiegende Anzahl der Musikfreunde, die die Sprache der Musik eher empfinden als sie analysieren können oder wollen.
    Vielleicht wird aus dieser Sicht auch verständlich, dass man die Musik in einer Oper dann verfälscht wahrnimmt, wenn durch eine entstellende Handlung verdorben wird.
    Ich bin aber sehr dankbar für viele Berichte hier, die mir einen tieferen Blick in viele Werke geben. Auch durch mancherlei Lektüre habe ich solche Anregungen bekommen, z.B. durch die rororo-Opernbücher, die ich leider nicht alle habe und die es heute kaum mehr zu bekommen sind. Und auch darin zeigt sich, wie unterschiedlich die einzelnen werke von den verschiedenen Experten gesehen und bewertet werden.
    Gerade die Diskussion über die Salomé hat mir, nachdem ich diese erst kürzlich noch einmal in einer ungeheuer packenden Aufzeichnung des Marinski-Theaters St Petersburg gesehen habe, viel gegeben.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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