• Ich möchte Dir darin beipflichten, lieber hami, wenn Du zu bedenken gibst: "Ich denke, wenn AH. seine Thesen über Regers Harmonik weiter entwickelt, werden unsere Musiker sehr viel zu diskutieren haben."
    Das ist der richtige Weg. Und das "Entsorgen" dieses Threads, von dem Alfred Schmidt gerade wieder einmal in der typischen - und wie ich finde bedenklichen (das Wort "entsorgen" erschreckt mich) - Administratoren-Attitüde spricht, ist der falsche.


    Das Problem ist ja doch:
    Da spricht einer in einer sprachlich wenig reflektierten, differenzierten und sachlich fundierten Weise über Musik, indem er sich in plakativ-emotional aufgeladenen Formulierungen ("quälend", "abstoßend", "Johann Sebastian Bach (ich kenne drei vor mir großartige Werke von ihm) oder Joseph Haydn (ich kenne kein vor mir großartiges Werk von ihm)") ergeht und das überdies auch noch mit exquisiter Stilistik garniert, - diesem ausgesuchten "vor mir".
    Dass das dann zu solchen Reaktionen wie der von Stimmenliebhaber oben - und den Folgebeiträgen darauf - führt, die den Thread zur "Themenabweichung" bringen, wie Alfred Schmidt das empfindet einstuft, - wen wundert das eigentlich?


    Aber wie meinte Alfred Schmidt doch oben - in eben diesem Thread?: " ...allerdings freut es mich, wenn - wohldosiert - gewagte Meinungen das Forum in Schwung halten."


    (Diesen - ganz sicher themenfremden - Beitrag zu diesem Thread habe ich im Wissen darum gemacht, dass er ganz gewiss "entsorgt" werden wird)

  • Dass das dann zu solchen Reaktionen wie der von Stimmenliebhaber oben - und den Folgebeiträgen darauf

    Moment, in meinem Beitrag Nr. 48, den du meinst, habe ich genau die Abweichung vom Thema Reger, die du soeben auch nochmal zitiert hast, ZITIERT und auf diese Themenabweichung reagiert. Die Themenabweichung ging also eindeutig von Andreas (die Abkürzung A.H. möchte ich mir nicht zu eigen machen) selbst aus: mit seinem Schlenker zu Bach und Haydn! :yes:


    Ansonsten stimme ich deinem Beitrag voll und ganz zu, lieber Helmut! :) :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Bruchstücke einer Antwort. Über "abstoßende Harmonik" lässt sich schwer diskutieren. Ich kann nicht anders - mir drängt sich hier der Vergleich vom Gewürz bei den Speisen auf. Jede(r) verträgt eine jeweils andere Dosis. Jede(r) definiert "überwürzt" anders. Auch der Grad der "Schärfe" oder Milde ist ein beliebter Streitpunkt. - Versucht man sich dem Phänomen der "Harmonik" ohne "abstoßende" Fachsprache zu nähern, so gilt festzuhalten: Die "besondere" Akkordfolge kommt nur im Umfeld relativ "gewöhnlicher" Akkordverbindungen zur eindringlichen Geltung. Ohne dies polemisch aufladen zu wollen, der FRÜHE Max Reger wusste um dieses Phänomen noch sehr wohl. Aber schon sehr bald scheint dieser Komponist geradezu panische Angst vor vermeintlicher Langeweile im harmonischen Ablauf verspürt zu haben. Seine Werke werden dichter und dichter. "Besondere" Harmonieverbindungen drängen sich in derart kurzatmigen Abständen, dass sie sich ihrer eigentlichen Wirkung selbst permanent berauben. Ich zweifle nicht daran, dass Reger wusste, was er wollte; dass er tat, was er wollte. Aber er nahm in Kauf, dass ihm viele nun nicht mehr folgen wollten. Festzuhalten gilt, dass Reger auch heute noch "seine Gemeinde" hat - Hörer, für die eben DIESE Art der Harmonik eine Art anhaltender Extase bedeutet. - Ich rate immer, mal Ausschnitte aus dem Frühwerk zu hören, die Lieder op. 4, die Duo-Sonate op. 5, das Trio (für Violine, Viola und Klavier!) op. 2. Da ist etwas noch in Balance, wo der zweifelsohne genial begabte Komponist - im Bewusstsein, dass er als Kontrapunktiker und "Akkord-Arbeiter" kaum Konkurrenz zu fürchten braucht - später andere Schwerpunkte setzt. Da nun - im großen Gegensatz z. B. zu Bartók oder Strawinsky - sein Interesse an rhythmischer Vielfalt oder an Form-Prozessen viel schwächer ausgeprägt ist, haftet vielen seiner Kompositionen eine gewisse Einseitigkeit an. Damit steht er aber nicht allein. Donizetti und Bellini sind in ihrer Art auch einseitig, haben dennoch viele "Fans" - das ist doch auch gut so. Niemand muss sich entschuldigen für das, was er liebt oder womit er liebäugelt.
    Also, ich kann schon nachvollziehen, dass einen Regers Umgang mit der Harmonik "quälen" kann, meint, dass es einem ans Nervenkostüm geht - und da verträgt halt jeder unterschiedlich viel, vielleicht auch in unterschiedlichen Tages- oder Lebensphasen. Es ist letztlich eine Sache des Tempos. In Superzeitlupe könnte wahrscheinlich jede(r) Regers Windungen nachempfinden - aber der stellte sich ja seine Musik nicht im Permanent-Largo vor. Und schon ab mittleren Tempi passiert eben derart viel in dichtester Folge, dass einem beim Bewusst-Hören schwindlig wird. Und beim "Unbewusst-Hören"? Scheiden sich eben die Seelen und Geister. Welche wollen mit, können nicht genug der Gewürze und ihrer Mischungen kriegen. Und welche sehnen sich nach ... Quellwasser vielleicht.
    Themenabweichung - dieses "Reizwort" MUSS ich bemühen (und inhaltlich füllen). Lange vor Reger lebte und komponierte einer, den Reger wie keinen sonst verehrte. Der schrieb Anfang der 1740er-Jahre an einer "Aria mit dreißig Veränderungen", später "Goldberg-Variationen" genannt. Das nun ist sicher das Gegenteil von "einseitiger Musik". Zur Harmonik: Man höre direkt hintereinander Var. 24 - 25 - 26. Die mittlere hat SCHEINBAR viel mit Reger zu tun. Aber DA geht eben diese unendlich gelassene, verspielte WEITUNG der 24. Variation voraus. DA folgt dann der sagenhafte virtuose Wirbelsturm der 26. Variation. DANN ist jede noch so kühne Akkordverbindung in der 25. Variation ganz anders integriert. Herz und Hirn öffnen sich einer bis dato (bis auf Frescobaldi-Madrigale) unerhörten Harmonik. Und außerdem kennt diese 25. Variation bei aller Dichte eben doch auch die Weite, den großen Bogen. Mit letzteren Phänomenen hat unser Palindrom-Komponist aber immer wieder seine Müh'-und-Not...

  • Herzlichen Dank an Robert Klaunenfeld für diesen Beitrag! Hab wieder was über Reger gelernt!


    Was die Bemerkung "Ich rate immer, mal Ausschnitte aus dem Frühwerk zu hören, die Lieder op. 4 ..." anbelangt:
    Da mir heute meine gestrige Äußerung (Beitrag 61) unangemessen und unvertretbar scharf vorkommt, habe ich mich entschlossen - gleichsam als Entschädigung - einen Thread zum Liedschaffen Regers zu starten, und zwar im Anschluss an den Wolf-Eichendorff-Thread, den ich noch in dieser Woche abschließen werde.


    An sich hatte ich das gar nicht vor. Die Aufzeichnungen dazu sind das Resultat einer privaten Beschäftigung mit Reger. Aber nun scheint es mir doch sinnvoll, damit ins Forum zu gehen. Freilich schwant mir jetzt schon: Der Aspekt der Harmonik wird dabei unterbelichtet bleiben, so dass Unterstützung und Ergänzung wünschenswert wären.

  • Ich verstehe die Grundhaltung nicht. Ist es nicht Zeichen von Offenheit und Bildung, Kunst per se auf sich einwirken zu lassen, sie so zu akzeptieren, wie sie gemeint ist?


    Wenn ich Probleme mit der Harmonik Regers habe, befasse ich mich intentional, ganz bewusst mit seiner Musik - die ja nun nicht Hörerwartungen gänzlich sprengt, wie es (vielleicht) noch die Zwölftonmusik tut - und es wird mir auch gelingen, sie besser zu verstehen, sie besser zu durchdringen. Damit wächst auch ganz selbstverständlich die Freude am Gegenstand. Das einzige Argument, das ich gelten lasse, ist die verfügbare Zeit.


    Ich lasse es gelten, wenn bestimmte Richtungen aus Zeitgründen zwangsläufig ins Hintertreffen geraten. Aber es ist mir völlig unverständlich, wie man vorgibt, Musik primär wegen ihrer "Harmonik" zu mögen, dann einerseits Paganini, der nun wirklich harmonisch ziemlich uninteressant ist, liebt, andererseits Reger aus Gründen der "abstoßenden Harmonik", Mozart aus Gründen der "mangelnden Harmonik" ablehnt und überdies beratungsresistent ist. Das ist doch völlig verquer!


    (Das ist jetzt quasi adressatenfrei gedacht. Vielleicht sollte ich es gänzlich unterlassen. Aber wir haben hier doch hier ein Diskussionsforum und vom Administrator ist gerade die Kontroverse ausdrücklich gewünscht.)


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • und da verträgt halt jeder unterschiedlich viel, vielleicht auch in unterschiedlichen Tages- oder Lebensphasen.

    :jubel:

    Und schon ab mittleren Tempi passiert eben derart viel in dichtester Folge, dass einem beim Bewusst-Hören schwindlig wird. Und beim "Unbewusst-Hören"? Scheiden sich eben die Seelen und Geister.

    :yes:


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo, lieber zweiterbass,


    was ist los mit Dir, dass Du neuerdings immer häufiger ausschließlich über diese Comic-Fratzen mit uns kommunizierst? "Smileys" nennt man die im schönsten, inzwischen die ganze Welt vereinnehmenden Amerikanisch. Und ich bin der festen Überzeugung: Die sollten eigentlich in einem Forum wie diesem aus dem Verkehr gezogen werden. Die sind tödlich für jede echte, eben sprachliche, Kommunikation.


    Also denn:
    Hat es Dir die Sprache verschlagen? Warum lässt Du uns nicht in Worten wissen, was Du den an von Dir gebrachten Zitaten so bemerkenswert findest?
    Dann könnte man nämlich seinerseits mit Worten dazu Stellung nehmen. Und das wäre für jemanden, der sich gerade mit der verflixten Harmonik Max Regers herumschlägt und partout dabei nicht vorankommen will, eine schöne und hilfreiche Sache.

  • Zitat

    Ich verstehe die Grundhaltung nicht. Ist es nicht Zeichen von Offenheit und Bildung, Kunst per se auf sich einwirken zu lassen, sie so zu akzeptieren, wie sie gemeint ist?


    Wenn ich Probleme mit der Harmonik Regers habe, befasse ich mich intentional, ganz bewusst mit seiner Musik - die ja nun nicht Hörerwartungen gänzlich sprengt, wie es (vielleicht) noch die Zwölftonmusik tut - und es wird mir auch gelingen, sie besser zu verstehen, sie besser zu durchdringen. Damit wächst auch ganz selbstverständlich die Freude am Gegenstand. Das einzige Argument, das ich gelten lasse, ist die verfügbare Zeit.


    Hallo Wolfgang,


    ich bin ganz bei Dir! Ich akzeptiere Kunst, so wie sie ist und versuche sie zu mögen und zu interpretieren. Immerhin habe ich doch recht viel Musik des 20. Jahrhunderts positiv beschrieben (Anton Webern, Alban Berg, Jean Langlais, Olivier Messiaen, Oscar Sala, Wolfgang Rihm, Guiseppe Sinopoli), ein Hinweis auf meine Offenheit, wie ich meine.


    Das intensive Befassen, das Suchen ist nötig - auch hier bin ich bei Dir. So habe ich doch 7 CD´s mit Regers Klavierwerk angehört, fand aber nur ein in meinen Ohren wohlgefälliges Stück. Aus meiner Erfahrung mit Orgelkonzerten, in die ich wohl ein Jahrzehnt wöchentlich gegegangen bin und aus dieser Erfahrung ist Reger für mich eben nicht erfolgversprechend. Den Grund dafür nannte ich. Ich habe wohl kein Reger-fähiges Gehör. Andere dürfen ihn heiß und innig lieben. Wir sind eben nicht alle gleich.


    Meine "Musik-Ansprache"


    Ästhetik ist relativ - oder: Über Geschmack kann man nicht streiten


    Zum Umgang mit der Musik-Kritik



    Liebe Grüße


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • Hat es Dir die Sprache verschlagen? Warum lässt Du uns nicht in Worten wissen, was Du den an von Dir gebrachten Zitaten so bemerkenswert findest?


    Das hat 2 Gründe, lieber Helmut:


    Robert Klauenfelds Beitrag ist so überzeugend, dass ich mit meinen Worten dies nicht erreichen kann.


    Ich denke, die Zitate sprechen für sich (und für meine schon oft hier gepostete Meinung), dass eine Erklärung für mich überflüssig erscheint. Zu den Smileys hat Du Recht, ich werde künftig ein Wort verwenden.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo, Andreas!


    Ich liebe Max Reger nicht heiß und innig. Ich kann ihn nicht jeden Tag hören und kenne sicherlich auch nur einen relativ überschaubaren Teil seiner Werke. Die Orchesterwerke sind durchwegs unproblematisch, die Orgelmusik hat einen hohen Stellenwert, einzelne Vokalwerke erscheinen mir durchaus anrührend.


    Zur Zeit lerne ich zunehmend Kammermusik von ihm kennen und finde die mäandernde Harmonik leichter wahrzunehmen als etwa bei den Orgelwerken.


    In jedem Fall ist das interessante Musik und ich wüsste nicht, warum sie mich "abstoßen" sollte - was ist denn das für ein Adjektiv in einem solchen Kontext; ich begreife es einfach nicht!? Von ganz wenigen Ausnahmen radikal avantgardistischer Musik abgesehen, finde ich überhaupt keine Musik abstoßend.


    Warum sollte ich auch? :)


    Selbstverständlich sind wir nicht alle gleich, haben wir nicht alle - wenn Du es denn unbedingt so nennen willst, was ich nicht für sonderlich sinnvoll halte - ein "Reger-fähiges Gehör". Und ich meine auch, dass auf dieser Ebene in einem Forum zu diskutieren, schlicht wenig Sinn hat. Oder?


    :hello: Wolfgang

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  • Ich möchte heute mit dieser CD:


    auf der mein schon oft aufgeführtes Lieblingsstück von Max Reger "Wir glauben an einen Gott", op. 138 Nr. 8, enthalten ist, daran erinnern, dass Max Reger a 19. März 1873 geboren wurde.

    Heute ist die 142. Wiederkehr seines Geburtstages.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo,


    An die Hoffnung
    Friedrich Hölderlin


    O Hoffnung! holde! gütiggeschäftige!
    Die du das Haus der Trauernden nicht verschmähst,
    Und gerne dienend, Edle, zwischen
    Sterblichen wartest und Himmelsmächten,

    Wo bist du? wenig lebt' ich; doch atmet kalt
    Mein Abend schon. Und stille, den Schatten gleich,
    Bin ich schon hier; und schon gesanglos
    Schlummert das schaudernde Herz im Busen.


    Im grünen Tale, dort, wo der frische Quell
    Vom Berge täglich rauscht, und die liebliche
    Zeitlose mir am Herbsttag aufblüht,
    Dort, in der Stille, du Holde, will ich


    Dich suchen, oder wenn in der Mitternacht
    Das unsichtbare Leben im Haine wallt,
    Und über mir die immerfrohen
    Blumen, die blühenden Sterne glänzen,


    O du des Äthers Tochter! erscheine dann
    Aus deines Vaters Gärten, und darfst du nicht,
    Ein Geist der Erde, kommen, schröck', o
    Schröcke mit anderem nur das Herz mir.


    „Hyperion“(1797-99), eines seiner Frühwerke, daraus stammt das Gedicht.
    Ohne auf die Lebensumstände von Hölderlin einzugehen, ist für mich hier nur von Bedeutung, was sagt mir (wie verstehe ich) das Gedicht und wie hat Reger das Gedicht verstanden bzw. unter welchem Gesichtspunkt hat er es vertont.


    Zum Gedicht:
    Wie eine Überschrift (wie die grundlegende Meinung Hölderlins zur „Hoffnung“) steht in der 2. Verszeile der 1. Strophe: „ (Hoffnung) die du das Haus der Trauernden nicht verschmähst…“
    Am Anfang der 2 Strophe steht jedoch die Frage „Wo bist du (Hoffnung)?“ Dann folgt die sehr klare Aussage zu seinen gefühlten Lebensumständen.
    Die 3. und 4.Strophe handelt davon, wo er die Hoffnung sucht – die 3. Strophe ist der Ort der unverbrauchten Natur, während die 4. Strophe im Mystischen der Natur verortet ist und sich wieder (wie in der 2. Strophe) sein (diesmal aber sehr positives) Gefühl ausdrückt.
    Die 5. Strophe ist eine Wiederholung des Inhalts der 1 Strophe, nur aus einem anderen Blickwinkel, von einem anderen Standort aus.

    Zu Regers Vertonung auf der CD 4:
    Im Orchestervorspiel, sehr getragen, in d-Moll mit großen Dynamikunterschieden zwischen ppp und ff und mit seinen häufigen Tonart-, besonders aber Tongeschlechtswechsel, ist die Mittlerrolle der Hoffnung in der 1. Strophe zu hören; die Triolenschläge der Pauken in pp und ppp – Vorboten auf die 2. Strophe.


    In der 1. Strophe und mit Beginn der Singstimme ein Wechsel nach F-Dur, was jedoch häufig moduliert, es ist kein „reines“ F-Dur, aber der Höreindruck geht von Moll nach Dur, damit dem Positiven Hölderlins zu Hoffnung folgend; beeindruckend die Dur-Harmonik in der 2. Verszeile, nur bei „Trauernden“ Moll-Phrase. „O Hoffnung“ wiederholt in Dur, das 2. Mal verstärkend einen Ganzton höher, bevor die Musik dem Gedichttext wieder folgt, „dienend“ in absteigender Melodie und die „Himmelsmächte“ dynamisch von mf über ff zu p.


    Das „Wo bist du“ (die 2. Strophe beginnend) - die fragende Melodiewendung ist schon aus dem Orchestervorspiel bekannt – wir 3 x wiederholt, immer höher, immer drängender die Frage und die eingefügte „O Hoffnung“ in ff. Dann bis zum Ende der 2. Strophe bestimmen absteigende Melodiebögen und herbe Mollmodulationen die Vertonung, eindrucksvoll den Text (den Zustand eines Hoffnungslosen) verdeutlichend/ausdeutend und in pp endend.


    Die 3. Strophe im lebhaften 6/8-Takt und D-Dur mit einer ebenso aufblühenden Melodie für die Gesangstimme und reich instrumentiert - bei „am Herbsttag aufblüht“ kündigt sich mit einem rit der Übergang zum Andante an, dem „Dort in der Stille“, aber im Ausdruck unverändert. „Du Holde“ wird wieder 3 x wiederholt mit string. und rit. um bei „will ich dich suchen“ im Adagio, zu Moll moduliert, mit pp zu enden.


    Das Adagio, mit dem die 4. Strophe beginnt, verhindert nicht, im Gegenteil, das Orchester in seinen vielfältigen Farben und die Singstimme blühen in schwelgerischen, zarten Dur-Akkordfolgen auf. „Das unsichtbare Leben…“ gerät zum Andante und „die immerfrohen Blumen“ steigern sich im 9/8 und fff geradezu euphorisch im breiten freudigen Adagio, was bei „den blühenden Sterne glänzen“ zurück ins Andante findet und mit einem eingeschobenen „O du Holde, du Holde, dich, ja dich, will sich finden“ endet.


    Die letzte Strophe ist von großen Tempounterschieden geprägt (und nur der Äther wird lautmalerisch dargestellt). In einer groß angelegten, machtvollen Melodie der Singstimme wird die Hoffnung „erklärt“ – eben aus einem anderen Blickwinkel/Standort als in Strophe 1. Mit dem ergänzten Text zum Gedicht „O Hoffnung, O Hoffnung, holde, holde, holde Hoffnung, O Hoffnung“ endet das Orchesterlied in beruhigenden, ungetrübten Dur-Akkorden in pp (womit Reger m. E. zu einer letztlich andern Sicht der Hoffnung kommt, im Gegensatz zu Hölderlin).


    Viele Grüße
    zweiterbass (8767)

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • [...] daran erinnern, dass Max Reger a 19. März 1873 geboren wurde.

    Heute ist die 142. Wiederkehr seines Geburtstages.


    Ich feiere keine Geburts- oder sonstige Gedenktage und auch keine anderen kalenderdiktierten Feiertage. Trotzdem bin ich Dir jetzt zu Dank verpflichtet, hat mich Deine Erinnerung doch zum Stöbern in dieser Diskussion bewogen und dazu, die Streichquartette von Max Reger nach Jahren wieder einmal durchzuhören. Manchmal etwas anstrengend, aber immer abwechslungsreich und spannend.

  • Hallo,


    Hymnus der Liebe
    Ludwig Jacobowski
    (1868 - 1900) , aus „Vom Geschlecht der Promethiden“


    Höre mich, Ewiger, höre mich, Ewiger, Allerbarmer,
    der du vom Dunkel der Tiefe emporwächst
    in des Äthers leuchtender Sphäre,
    Ewiger, der du mit deiner Alliebe
    die ganze wogende Menschheitsflut umarmst,
    wo ist die Liebe, die Menschenliebe?


    Ewiger, gib sie uns wieder die Hohe, die Reine,
    daß sie mit erbarmender Seele, mit milden,
    doch mächtigen Händen die klaffenden Wunden schließt,
    und in der bangen Seele des Einzelnen wieder
    entfache den sterbenden Funken göttlicher Liebe,
    der ihm im starren Herzen einst wohnte,
    als die grauen Gespenster der Selbstsucht und Gier
    noch nicht regierten die Seele der Menschen.


    Wüßt' ich, o Ewiger, wo ich sie fände. die
    erhabene Göttin, siehe, ich nähme noch einmal
    das hehre Martyrium des Genius,
    griff noch einmal mit kühner Hand an die Fackel des Ewigen
    und schleuderte Funken hernieder heiligen Feuers voll.


    Und zermalmte strafend die gewaltige Himmelswölbung
    mir die glühende Stirn, mir den trotzigen Nacken,
    dennoch rüttelt' ich wieder an die zitternde Veste der Welt,
    kämpfte gigantisch wider die wimmernden Geister der Nacht,
    holte aus ihren Schattenarmen die Liebe,
    reichte mit sterbenden Händen hernieder die Hohe,
    die Hohe der jauchzenden Menschheit!


    Säh ich vernichtet alle Gespenster des Staubes,
    säh ich auf seligem Antlitz den ersten Schimmer
    erwachenden Weltenglücks und Elysium,
    siehe, ich stürbe, stürbe, stürbe so gern!


    Ein Gedicht, das m. E. nicht Bezug zu den christlichen Religionen hat. Umso mehr erstaunt es mich, dass es Reger, von dem der Ausspruch stammen soll „Ich bin katholisch bis in die Fingerspitzen“, vertont hat.



    Regers Vertonung (die CD 4 ist bereits im Beitrag 72 vorgestellt worden) ist 1914 entstanden, 2 Jahre vor seinem Tod, die UA fand 1918 statt. Regers Leben war bestimmt durch ein oftmaliges (ständiges?) „Auf und Ab“ seiner Lebensumstände.


    Eine bedeutungsschwere Orchestereinleitung (mit klopfender Pauke); auf „Allerbarmer“ mit großer Dynamik der 1. Schwerpunkt, der 2. die wiederholte Frage „wo ist die Liebe“, die Menschenliebe. „Die Hohe, die Reine“ in ebensolchen Akkorden: mit absteigender Melodik die „klaffenden Wunden“; „bangen“ wird wiederholt. Welch Aktualität in den Versen 6-8 der 2. Strophe und der Musik Regers, die sich in dem Orchesterzwischenspiel fortsetzt. „Wüßt‘ ich o Ewiger“ aus ganz tiefer (Verzweiflung) Altlage aufsteigend in die Pause (der Ratlosigkeit). Die Verse 4 + 5 der 3. Strophe mit sehr viel geballter Energie, aufsteigender Melodik und starker Dynamik. Vers 1 der 4. Strophe mit mächtig aufsteigender Melodik, Harmonik und Dynamik, der 2. Vers durch fallende, aufsteigende und wieder fallende Melodie in ff zeigt die eigene Betroffenheit. Große Pause vor „dennoch rüttelt“ (neue Kraft holend); „die Liebe“, sehr betont, durch Pause und Orchesterzwischenspiel noch verstärkt. „...reichte mit sterbenden Händen“ – aus tiefer Lage hoffnungsvoll aufsteigende Melodik in „die Höhe…jauchzend“ – „Menschheit“ auf abfallendem Akkord endend, was im Orchesterzwischenspiel seinen Fortgang nimmt. Letzte Strophe „säh ich“, aus dem zweifelnden Konjunktiv aufsteigend, hört die Musik „den ersten Schimmer“ – „stürbe“ 2 x klagend wiederholt - „gern“ in hoher Lage, Dur, pp, rit. endet der Hymnus (hoffnungsvoll?) friedlich.
    https://www.youtube.com/watch?v=8b16vP8T3t0 Es handelt sich um die Aufnahme der CD.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,



    auf der CD 3 dieser Box:
    Die Tondichtung op. 128 (1913) von Reger nimmt Bezug auf 4 Bilder von Arnold Böcklin (Reger war nicht der einzige Komponist, der Bilder von Böcklin als Vorlage zu Kompositionen herangezogen hat). Reger verliert sich bei seinen 4 Tondichtungen nur sehr sporadisch in Lautmalerei; es geht vielmehr um die von den Bildern ausgehende Mystik im emotionalen Bereich ankommen zu lassen und dies dann mit der Sprache der Musik zu verdeutlichen, besser auszudrücken, als Worte das können. Letzten Endes ist es die vergleichbare Problematik wie bei der Textvertonung.

    1. Satz „Der geigende Eremit“, molto sostenuto - es geht hier nun allerdings nicht an, für den geigenden Eremiten keine Solovioline einzusetzen – das kann als Tonmalerei verstanden werden, muss es aber nicht. Erst bei 1:35 setzt die Solovioline mit einem einprägsamen (markanten?) Thema ein. Bis dahin höre ich einen pseudoreligiösen, musikalischen Gestus (das Thema ab 1:35 im Aufbau), der den Spagat - zwischen dem im von oben kommenden Licht stehenden einsamen Eremiten in seiner einfachen Behausung und der lebendigen Putte außerhalb der Behausung – hinbringen muss; anders ausgedrückt: Die Süßlichkeit der lebenden Putte steht in krassem Gegensatz zu dem den die Lebensfreuden absagenden, verinnerlichten Eremit. Dazu zwei Interpretationsmöglichkeiten: Durch die Musik empfängt der Eremit eine vom Schöpfer (dem Ursprung aller Musik) kommende Lebensfreude -
    gerade die katholische Religion vermittelt m. E. eine von außen kommende (Putte), sehr an Emotionen hängende Religiosität.
    Ich meine, bei Reger ist kein Spagat zu hören; der süßlichen Melodik wird durch die herbe Harmonik viel von der Süße genommen; hinzu kommt der häufige Wechsel des Tongeschlechts, was eine dauerhafte, eindeutige Zuordnung zu Dur oder Moll schwer macht. Wenn die Sologeige jedoch in hohe Tonlagen entschwebt, gewinnt das Gefühl, unabhängig von Dur oder Moll, die Oberhand. Dabei finde ich für mich beeindruckend, dass die Musik ab 1:35 bei mir ganz anders ankommt, als das Orchestervorspiel bis 1:35,; wenn die Solovioline einsetzt, gewinnt die Musik einen konkreten Bezug zu Bild und verliert damit den pseudoreligiösen Eindruck. Das Thema wird mannigfaltig variiert, in kleine Stücke zerteilt, neu zusammengesetzt, die Harmonik (und Dynamik) verändert sich ohne dass dabei der grundsätzliche Charakter des Satzes verändert wird. Wenn aber einzelne Orchesterstimmen anstatt der Solovioline das Thema vortragen, kommt ein geheimnisvoller Zug in die Musik. Kurz vor dem Ende des Satzes hat die Solovioline das Thema in Moll, „entschwebt“ dann aber in hohe Tonlage und in Dur endend.


    2. Satz „Im Spiel der Wellen“, vivace – ob die Nymphe das auch (noch?) als Spiel in den Wellen empfindet? Ihren Blick übergeht die Musik anfangs, es ist eine unbeschwerte, spielerisch leichte Melodik, Harmonik und Orchestrierung. Ab ca. 0:50 ändern sich diese Merkmale, es ist nicht mehr leicht und weniger spielerisch, die Dynamik nimmt zu, der Rhythmus und die Orchestrierung werden ruppiger und der Musikcharakter gilt mehr den lüsternen (?) Meeresgöttern. Dies wird im Fortgang weniger, aber überwiegend wechselnd nach Moll und der Satz endet in absteigenden Mollakkorden in p und ganz zurückgenommener Orchestrierung.


    3. Satz „DieToteninsel“, molto sostenuto - von dem Gemälde gibt es fünf Fassungen; ich nehme an, Reger hat für seine Vertonung die 5. (düsterste) Fassung gewählt. Zitat aus Wikipedia: „Das Bild ist stark autobiographisch geprägt, das Thema Tod spielte in Böcklins Leben als auch in seinen Werken immer eine bedeutende Rolle. Er verlor acht seiner vierzehn Kinder; er erkrankte an Typhus und erlitt einen Schlaganfall. Ab der dritten Version versah Böcklin eine der Grabkammern in den Felsen mit seinen Initialen.“ (Welch ein nachzuvollziehender Unterschied zu Friedrich Rückert in der pers. Verarbeitung.)
    Die Böcklin-Suite entstand 1913, da war Reger schon 2 Jahre Kapellmeister der Meininger Hofkapelle; in dieser Stellung brauchte er eigene anspruchsvolle Orchestermusik. Andererseits hatte er wegen Arbeitsüberlastung etc. einen Zusammenbruch, sodass er anfangs 1914 die Stelle aufgab (von der er Jahre zuvor geträumt hatte). Es bleibt die Frage ob dieser meist sehr düstere Satz damit in Verbindung zu bringen ist.
    In der Einleitung (aber hier darüber hinaus auch pausierend bis „ans Ende“) wieder die klopfende Pauke wie im „Hymnus der Liebe“. Es gibt für mich kein klar erkennbares Thema, die Harmonik bewegt sich absolut im tonalen, spätromantischen Rahmen, dynamisch geht es äußerst turbulent zu, der unvorbereitete Wechsel zwischen ff und pp geht häufig mit markten Klangfarbenänderungen einher, die Orchestrierung ist sehr unterschiedlich, aber ohne abstruse Instrumente, die klopfende Pauke erzeugt ambivalente Gefühle zwischen Angst/Schrecken und Verwunderung. So ganz kann ich es mir nicht erklären, mit welchen musikalischen Mitteln Reger diese überaus düstere Stimmung erzeugt (oder spukt da das Bild von Böcklin mit herein?). Der Satz läuft am Ende in pp in einem kaum mehr hörbaren Dur-Akkord aus.


    4. Satz „Bacchanal“, vivace - ob Reger mit seinen/r Alkoholproblemen, -krankheit dieses Bild besonders gut in Musik „verwandeln“ konnte? Der Satz beginn mit einem furiosen, wilden Orchestereinsatz in fff mit störend Misstönen. Chaotische Passagen - Dynamik und grelle Orchestrierung betreffend (gibt es ein Thema? Ja, aber das ist für mich zumindest schwer auszumachen) - wechseln sich mit dynamisch ruhigen, rhythmisch unruhigen, hektischen Stellen ab; der Satz endet abrupt.



    Viele Grüße
    zweiterbass

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  • 4. Satz „Bacchanal“, vivace - ob Reger mit seinen/r Alkoholproblemen, -krankheit dieses Bild besonders gut in Musik „verwandeln“ konnte? Der Satz beginn mit einem furiosen, wilden Orchestereinsatz in fff mit störend Misstönen. Chaotische Passagen - Dynamik und grelle Orchestrierung betreffend (gibt es ein Thema? Ja, aber das ist für mich zumindest schwer auszumachen) - wechseln sich mit dynamisch ruhigen, rhythmisch unruhigen, hektischen Stellen ab; der Satz endet abrupt.


    Das "Baccanal" ist eines meiner liebsten Stücke von Reger, wenn man das überhaupt so sagen kann. Liebstes Stück, das trifft es eigentlich nicht, aber Du wirst wissen, was ich meine. Es wirkt auf mich wie ein Absturz, wie ein Fall, wie ein wildes Taumeln in Abgründe, aus denen kein Herauskommen mehr ist. Als ob sich diese Musik selbst verschlingt. Sie hat keinen inneren Halt. Ich glaube schon, dass Reger sehr viel Persönliches hineingelegt hat, uns in seine verletzte Seele blicken lässt. Vielleicht haben wir eines seiner persönlichsten Stücke vor uns. Am Beginn, in den ersten Sekunden, höre ich gleich an die zehn Themen, sogar sehr traditionelle, nur angerissen, irrlichternd, als hätten sie mit ihm nichts zu tun. Es ist wie eine Geistermusik. Auf diesem Foto, lässt Reger gar etwas wie ein Lächeln erkennen. Das ist selten, deshalb stelle ich es hier mal ein.



    Leider ist mir keine vernünftige Kopie der bildlichen Verlage von Böcklin bekannt. Wo hängt die eigentlich? Kann es sein, dass sie sich in Privatbesitz befindet? Was ich bisher verhältnismäßig ungenau in den Farben sah, scheint mir ziemlich gemäßigt im Vergleich mit dem, was Reger in Töne setzte. Er geht nach meinem Eindruck sehr weit über das Bild hinaus.


    Eine Frage: Kennt wer die "Drei romantische Tonstücke nach drei Bildern von Arnold Böcklin", die Regers Schüler Fritz Lubrich (Foto) komponiert hat?


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zit: "...ob Reger mit seinen/r Alkoholproblemen, -krankheit dieses Bild besonders gut in Musik „verwandeln“ konnte?"


    Das glaube ich eher nicht, nach all dem, was ich von seiner Haltung als Komponist weiß.


    Aber das ist es nicht, was ich sagen wollte. Ich möchte mich bei zweiterbass bedanken.
    Ich habe nicht nur all das gelesen, was er hier zu Reger in Gestalt von Beiträgen zu diesem Thread eingebracht hat, ich habe auch die Musik dazu gehört. Das war in hohem Maße erhellend und bereichernd.
    Zweiterbass hat mich sozusagen zu Reger zurückgeführt. Und nun weiß ich: Ich sollte den Reger-Liedthread weiterführen. Es war ein Fehler - wie ich inzwischen sehe -, ihn für den Start des Threads "Schuberts Winterreise post Fischer-Dieskau" und die Betätigung darin abzubrechen.

  • Es war ein Fehler - wie ich inzwischen sehe -, ihn für den Start des Threads "Schuberts Winterreise post Fischer-Dieskau" und die Betätigung darin abzubrechen.


    Ach, das war doch kein Fehler, es war einfach mal was Anderes, du bist mit Leuten ins Gespräch gekommen (wie z.B. mir), die bei Reger nicht mitreden können, weil sie sich nicht annähernd so gut bei ihm auskennen wie du. Ich fand den "Winterreise"-Thread wirklich lohnend und danke dir ausdrücklich dafür, ich habe aber auch Verständnis, wenn du jetzt lieber wieder "ad fontes" gehen willst. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das ist aber mal eine schöne Reaktion auf meinen Beitrag hier, lieber Stimmenliebhaber.
    Du hast ja recht, in dem, was Du mir zu bedenken gibst.
    Ich werde den Reger-Lied-Thread tatsächlich fortsetzen, - aber erst, nachdem ich den Winterreise-Thread für mich persönlich zu einer Art Abschluss gebracht habe. Das gehört sich so. Ich bin schließlich verantwortlich dafür, dass es ihn gibt.
    Es braucht dafür noch fünf Beiträge. Den ersten habe davon habe ich heute dort schon eingestellt.

  • Hallo,


    auf der CD 7 der Box gem. Beitrag Nr. 75 spielt das RSO Berlin „Eine romantische Suite“, op.126


    Notturno, molto sostenuto – es ist auch ein Klangrausch wie das Notturno KV 286, aber doch von ganz anderer Art; während Mozart mit dem ihm eignen Melodienreichtum eine nächtliche Serenadenmusik durch einmalige orchestrale Echokwirkungen (4 Orchester!) bereichert, lässt mich Reger das (von ihm empfundene?) geheimnisvolle einer Nacht nachvollziehen – inwieweit das romantisch ist, dürfte von den individuellen Ansichten des Hörers abhängen. Bis 1:02 überwiegen indifferente Bläser-Akkorde, der Harfeneinsatz bringt zwar etwas Romantik, aber erst ab 1:03, wenn die Streicher überwiegend in Dur den Ton angeben, gibt es einen (noch geheimnisumwitterten) romantischen Klangcharakter. Zu einer innehaltenden, festlich-fröhlichen Dur-Klangorgie wie bei Mozart wird es aber bei Reger nicht, zu sehr sind stets unterschiedliche Dynamik, Orchesterfarben und auch die eigentlich sehr gewohnte, aber stets wechselnde Harmonik verhindern eine Stimmung ohne nächtliche Heimlichkeiten.


    Scherzo, vivace – obwohl die Harmonik nicht passt, erinnert mich der Anfang (Orchestrierung und Rhythmik) doch an den Mendelssohnschen Sommernachtstraum. Walzerähnliches taucht auf und eine sehr leichte Orchestrierung lässt vor dem inneren Auge ein Elfenballett dahin schweben. Der Satz verklingt in hoher Lage in pp.


    Finale, molto sostenuto - nicht von ungefähr decken sich die Tempobezeichnungen des 1. mit dem letzten Satz; das finale Ende mündet in den Klangcharakter des 1. Satzes, wozu auch die ähnliche Melodik beiträgt – die Dynamik steigert sich, sodass das Geheimnisvolle etwas in den Hintergrund rückt. Gegen Ende des Satzes bleiben wie fragend-rufende Bläserakkorde ohne Antwort; der Schlussakkord in fff ist für mich Regers Geheimnis in Sachen Romantik.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Zitat

    zurück zu Max Reger, den ich augenblicklich zwar auch nicht gern höre, was sich aber vermutlich durchaus ändern kann, wenn ich mich mit ihm näher befasse. Da wir heuer volles Programm haben, wenn wir uns nur mit den wichtigsten Jubilaren befassen, verschiebe ich die Thematik Max Reger (so ich es erlebe) ins Jahr 2016, denn da hat er seinen 100 Todestag....


    Das habe ich ein paar Beiträge weiter oben geschrieben. Inzwischen - nämlich gestern habe sein Violinkonzert op 101 gehört - und war davon mehr als angetan. Spontan habe ich mich entschlossen in Hinkunft Reger mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Zunächst wird ein Thread über seine Konzerte eröffnet, ein jeweils separater wäre vermutlich zuviel des Guten.
    Ferner war ich völlig überrascht wie viele Threads über Max Reger das Tamino Klassikforum zu bieten hat. Hier eine kleine Auflistung von allem was ich gefunden habe.


    Max Reger. Sein Liedschaffen, vorgestellt anhand repräsentativer Beispiele
    REGER Max: Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart op. 132
    REGER Max: Die Streichquartette
    Reger, Max
    Max Reger: Das Orgelwerk
    Max Reger - Choralvorspiele
    Max Reger Orgelgesamteinspielung


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....




  • Eine Biographie über Max Reger, dessen 100. Todestag am 11. Mai 2016 begangen wird, ist bei Breitkopf & Härtel erschienen. Bei Amzon heißt es: "Susanne Popp, Autorin des Reger-Werkverzeichnisses und langjährige Leiterin des Max-Reger-Instituts ist wie keine andere prädestiniert, einen der faszinierendsten Komponisten der vorletzten Jahrhundertwende zu porträtieren."


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent


  • Hallo,


    vor wenigen Tagen hörte ich in St. Sebald in einem Konzert (in
    Verbindung mit der HfM Nürnberg) die 23 Variationen über ein Thema von Telemann
    op. 134 von Reger (ein Spätwerk). Reger hat mehrere Variationen für Orchester
    geschrieben, dieses ist für Klavier und dabei ist ein höchst beeindruckendes
    Werk entstanden - es ist eine große Freude zu hören, wie Reger dieses Thema aus
    der Barockzeit auf sehr unterschiedliche Weise variiert, dabei auch in seine
    Musiksprache „verfällt“ und dennoch nie das Barockgefühl verloren geht. Es fasziniert mich jedes Mal, wenn
    ein Komponist einen solchen Einfallsreichtum entwickelt und dabei ein äußerst
    vielseitiges 30-minütiges Werk entsteht und das nur durch eine konsequent durchgehaltene Veränderung des Themas in der jeweiligen Variation.


    Der Pianist Dimitri Rodionov (Meisterschüler an der hiesigen HfM) spielte das Werk brillant und ohne Noten - eine
    bravouröse Gedächtnisleistung. Ich saß etwa 8 m vom Flügel entfernt, sodass ein halliger Kirchenklang noch nicht entstand, andererseits der Klang des Flügels den in einem Konzertsaal übertraf, ohne
    an Transparenz zu verlieren.

    Ich war restlos begeistert – eine CD-Aufnahme mit M. A. Hamelin liegt auf meiner Bestellliste bei Amazon.
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    Viele Grüße
    zweiterbass



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    Hallo,


    vor wenigen Tagen hörte ich in St. Sebald in einem Konzert (in Verbindung mit der HfM Nürnberg) die 23 Variationen über ein Thema von Telemann op. 134 von Reger (ein Spätwerk). Reger hat mehrere Variationen für Orchester geschrieben, dieses ist für Klavier und dabei ist ein höchst beeindruckendes Werk entstanden - es ist eine große Freude zu hören, wie Reger dieses Thema aus der Barockzeit auf sehr unterschiedliche Weise variiert, dabei auch in seine Musiksprache „verfällt“ und dennoch nie das Barockgefühl verloren geht. Es fasziniert mich jedes Mal, wenn ein Komponist einen solchen Einfallsreichtum entwickelt und dabei ein äußerst vielseitiges 30-minütiges Werk entsteht und das nur durch eine konsequent durchgehaltene Veränderung des Themas in der jeweiligen Variation.


    Der Pianist Dimitri Rodionov (Meisterschüler an der hiesigen HfM) spielte das Werk brillant und ohne Noten - eine bravouröse Gedächtnisleistung. Ich saß etwa 8 m vom Flügel entfernt, sodass ein halliger Kirchenklang noch nicht entstand, andererseits der Klang des Flügels den in einem Konzertsaal übertraf, ohne an Transparenz zu verlieren.
    Ich war restlos begeistert – eine CD-Aufnahme mit M. A. Hamelin liegt auf meiner Bestellliste bei Amazon.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Nachtrag zum vorigen Beitrag:
    Die Klangbrillanz des Liveerlebnisses kann YouTube nat. nicht bringen (auf Hamelin bin ich gespannt).
    Und Reger wäre nicht Reger, wenn er mit der (recht freien) Fuge nicht noch eine "Sahnestück" drangehängt hätte.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ja, die Telemannvariationen sind vermutlich das eingängigste und brillanteste Klavierstück Regers (nein, ich kenne nicht die 12-CD-GA, habe nur zwei CDs davon und die Hamelin-CD), sogar unterhaltsam. Die könnten eigentlich beinahe so bekannt wie Brahms' Händelvariationen sein.

    Die Bach-Variationen sind "ernster" und etwas sperriger, aber ingesamt ist Reger bei den Variationenwerken meiner Erfahrung nach vergleichsweise zugänglich. Auch die Beethoven-, Hiller-, Mozart-Variationen für Orchester sind gut hörbar. Die Schwäche Regers bei Melodien und prägnanten Motiven, die seine Musik für mich sonst oft als mäanderndes Dickicht erscheinen lässt, wird durch die eingängigen Themen ausgeglichen. Und variieren kann er ohne Zweifel!

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Hallo,
    meine Erwartungen wurden voll erfüllt, Hamelin interpretiert hervorragend, über seine Technik ist jedes Wort überflüssig – der Unterschied zu der YouTube-Einspielung ist mehr als groß.


    Ich habe den Tipp auf dem Booklet befolgt und mir das Originalthema von Telemann angehört, hier die YouTube-Einspielung
    https://www.youtube.com/watch?v=X0Df98_iIfc
    bitte auf „Mehr anzeigen“ klicken und dann die Nr. 7, „Menuet“, wählen

    Reger transkribiert für seine Variationen das Thema für Klavier – und damit verändert sich das Thema natürlich im Klang, aber auch die Charakteristik ändert sich, es wird lebhafter, transparenter incl. der Dynamik; aus dem fast beschaulichen kleinen Orchestersatz wird bei Reger auf dem Klavier eine zur überschäumenden Freude anregende „Ouvertüre“ zu den Variationen.



    Ähnliches habe ich schon bei Guilmant erfahren – hier mein Tamino-Beitrag.
    http://www.tamino-klassikforum…&postID=411025#post411025


    und die CDs zum nachhören.



    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    ich beziehe mich auf die im letzten Beitrag vorgestellte CD – nun zu Regers Bachvariationen Op. 81.


    Es ist ein Werk aus seiner mittleren Schaffensperiode, in welchem er die Leichtigkeit und Spielfreude der Telemanvariationen noch nicht erreicht. Hier nun das Variationenthema aus der Bach Kantate „Auf Christi Himmelfahrt allein“, Duett Alt/Tenor - dem die Fröhlichkeit des Telemanthemas fehlt.
    https://www.youtube.com/watch?v=_hOcLkaw-iA ab Laufzeit 8:25.


    Reger stellt das Thema in sehr gemäßigtem Tempo - verglichen mit Bach – vor. Ob er wohl mit dieser Tempowahl mehr Variationsmöglichkeiten haben wollte; bemerkenswert ist, dass von 14 Variationen 7 in wesentlich schnellerem Tempo geschrieben sind, als er das Thema vorstellt. Ab der 6. Variation verwendet Reger nicht mehr das ganze Bachthema, sondern nur noch den prägenden Teil; besonders beeindruckt haben mich:
    Var. 1 – die beginnt mit dem Klangcharakter einer Fuge, ist aber keine.
    Var. 3 - Reger „introvertiert“ das Thema.
    Var. 4 - im großen Gegensatz zu Var. 3 – wirbelnde Kaskadenläufe.
    Var. 5 – auch vivace, aber mit mehr Inhalt, weniger Virtuosität (wobei ich die Kaskadenläufe auch nicht als virtuose Beigabe höre).
    Var. 6 – mit gegensätzlicher Dynamik.
    Var. 7 – sehr gemäßigtes Tempo, aber im Ausdruck doch sehr verschieden vom Tempo der Vorstellung des Bachthemas – verhaltenes Sinnieren.
    Var. 9 – noch verhaltener/verträumter als 7
    Var. 12 – in ruhigen, abgeklärten Akkorden ist noch wieviel Bach zu hören?
    Var. 13 – anfangs noch Bach
    Var. 14 – ich würde sie nicht bei Reger verorten, wüsste ich nicht, dass sie von ihm ist.
    Fuge – etwas schwerere Kost als die Fuge in seinen Telemanvariationen, obwohl sie immer wieder in leichtem „Gewand“ daher kommt und auch in beruhigtem Dur endet.
    https://www.youtube.com/watch?v=dqoOWQsPCY8


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    in dem Beitrag hier Nr. 75 poste ich zu Regers Vertonung „Die Toteninsel“ - sie wurde nach einem Gemälde von A. Böcklin, das in 5 Versionen zwischen 1880-1886 gemalt wurde - die 1913 komponiert wurde.
    https://www.youtube.com/watch?v=iXzQ5zIAiaU es handelt sich um die CD-Aufnahme des Beitrags.









    Track 5 „Die Toteninsel“. Die Komposition wurde 1890 fertiggestellt, es ist also die erste (von vielen) Vertonungen des Gemäldes von Böcklin.
    Der Vergleich mit Regers Vertonung zeigt, dass bei beiden Komponisten entweder das Gemälde anders „ankam“, unterschiedlich interpretiert wurde oder ihre Einstellungen zum Tod sehr verschieden waren.









    Geradezu charakteristisch sind die „klopfenden“ Paukenschläge bei Reger, die den unsichtbaren Tod akustisch erkennen lassen, besser den Tod als Ende und damit als Bestandteil der irdischen Anwesenheit begreifen/akzeptieren. Deswegen kommt es in Regers Vertonung zwar anfangs zu einem ernsten, dunklen Klangbild, das sich am Ende des Werks in friedlichen Dur-Akkorden auflöst.
    Aber zu keinen überreagierenden Ausbrüchen von Bestürzung, Verzweiflung, Angst, wie bei Schulz-Beuthen, z. B. CD-Laufzeiten: 0:10 – 0:16; 4:24 – 4:33; 8:50 – 9:00 (diese 3 Stellen werden je mehrmals wiederholt); 10:29 – 10:45; 11:05 – Ende.
    Leider gibt es keine YT-Einspielung


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hoffentlich - und gottseidank - haben Reger und Schulz-Beuthen das Böcklin-Gemälde verschieden interpretiert. Darin liegt der Sinn der menschlichen Empfindung - und auch der Kunst! Nehme an, dass es auch noch andere Gemälde gibt, die eine Insel darstellen, die mit Todes-Empfindung zu tun haben.... ;)