Seit drei Wochen schwelge ich im Werk Jean-Philippe Rameaus. Es war mir nur auszugsweise bekannt. Nun eröffnet sich mir ein Feld, das von einer derartigen Pracht und, ja: Modernität ist, dass sich meine Begeisterung ins Grenzenlose steigert.
Ich will nur ein paar Eckdaten der Biographie nennen, man kann das ja alles nicht nur bei Wikipedia nachlesen, und mir erscheint eine Abschreib- und/oder Neuformulierungsarbeit nicht sinnvoll.
- 25. Sept. 1683 getauft in Dijon
- Italienreise; Tätigkeit als Orchestergeiger und Organist in Marseille, Avignon, Albi, Montpellier, Nîmes und Lyon
- 1709 Organist der Kirche Notre Dame in Dijon
- 1722 endgültig in Paris niedergelassen
- Harmonielehre "Traité de l'harmonie réduite à ses principes naturels"
- Ergänzung "Nouveau Système de musique theorique" (1726)
- 25. Februar 1726 heiratet mit der neunzehnjährigen Marie-Louise Mangot
- 1732 feste Anstellung als Organist
- 1727 Begegnung mit dem Mäzen Alexandre Le Riche de la Pouplinière, dem Generalgutsverwalter (fermier général) des Königs, der Rameau und Familie in seinem Palast in der rue de Richelieu wohnen lässt.
- 12 Jahre lang leitet Rameau das Privatorchester seines Gönners
- 1733 erste Oper, "Hippolyte et Aricie"
- Durch Ludwig XV. in den Adelsstand erhoben, zum Kabinettskomponisten ernannt, Pension von 2000 Livres.
- Schreibt bis zu seinem Tod zahlreiche szenische Werke, deren letztes, "Les Boréades", erst posthum uraufgeführt wird.
Eben habe ich "Les Indes galantes" gehört - ein Wunderwerk! Im Grunde sind es fünf Kurzopern: Die erste erklärt durch einen Streit zwischen Liebe und Krieg, was man sehen wird, nämlich einen Triumph der Liebe. Die vier folgenden Opern erzählen kurze Liebesgeschichten aus mehr oder weniger exotischen Ländern, wobei die Handlungen den Balletten breiten Raum gewähren. Diese gleichwertige Mischung aus Oper und Ballett ist charakteristisch für die französiscfhe Oper dieser Zeit.
Rameaus Musik ist wirklich unglaublich: Es gibt kaum herkömmliche Rezitative, alle Gestalten äußern sich melodisch. Diese Melodien sind nicht nur ausdrucksvoll, sondern auch von sicherem Geschmack getragen. Diese Art des Ausdrucks führt geradewegs zu Berlioz, mit dem Rameau eine Neigung zu raffinierten Orchesterfarben teilt. Meiner Meinung nach ist Rameau der erste Komponist, der wirklich in Instrumentalfarben denkt.
Die unglaublichste musikalische Strecke ist die fünfte "Entrée" (etwa "Akt"), die bei den Indianern Nordamerikas spielt. Die Musik wird zunehmen dichter und entwickelt einen Sog, der im Tanz "du grand Calumet" einen einzigartigen Höhepunkt findet: Ein Kurzmotiv durchläuft mehrere harmonische und dynamische Ebenen und wird dabei energetisch zunehmend aufgeladen. Etwas Vergleichbares ist bis Strawinskij nicht mehr komponiert worden. Im Finale schafft es Rameau dann, einen triumphalen, aber keineswegs auftrumpfenden Schluß zu komponieren: Die Liebe triumphiert strahlend, aber nicht in Siegerpose, sondern in lyrischer Schönheit.
Durch diese Sensibilität im Umgang mit Farben und durch seinen sicheren Geschmack scheint mir Rameau einer jener Komponisten, die bis in unsere Gegenwart die Ästhetik der französischen Musik am besten verkörpern: Gleichsam objektiv im Ausdruck, raffiniert in den Farben und getragen von unnachahmlicher Eleganz.