Der bedeutendste Jazz-Musiker des 20. Jahrhunderts?

  • Hallo zusammen,


    wir hatten die Diskussionen über den Sinn von Listen mE schon mehrfach im "Klassik"bereich. Ein Ergebnis unter anderen war, daß die jeweilige Liste insbesondere etwas über den aussagt, der sie aufgestellt hat.
    Hier ist es doch genauso.
    Matthias zB, der mit seinen Hinweisen auf vielfältigste Künstler des Jazz versucht, die (scheinbar) unendlichen Weiten des Jazzuniversums auszuleuchten, stellt eine Liste auf, die quasi erschlagend ist.
    Andere, wie zB rappy, nennen nur einen Namen, der dann auch noch wenig Gnade findet :D.
    Ich glaube dieses Antwortspektrum zeigt es schon, die allgemein gültige Liste gibt es hier im Keller genauso wenig wie in den oberen Klassiketagen.
    Dafür zeigt die entstandene (längere (was hier im Keller ja eher selten ist)) Diskussion über dieses Thema, daß die Ausgangsfrage zwar eventuell simpel gestellt, aber keineswegs doof war.
    Daher: weiter so.


    Grüsse
    Achim :hello:

  • Eines vorneweg: Auch ich halte Miles Davis für einen der führenden Jazzer des 20. Jahrhunderst. Ich denke aber, es kann nicht schaden barbirollis Lobeshymnen ein wenig zu relativieren.


    Also: Miles Davis Lehrjahre im Bebop sind genau das: Lehrjahre. Er hat sich an eine aktuelle Strömung angeschlossen, hat auch ein paar schöne Soli aufgenommen, letztendlich war er zu dieser Zeit aber wirklich nur einer von vielen. Aus der Bebop-Ära gibt es nichts von Miles Davis, was seine Vorrangstellung im Jazz legitiemieren würde.


    Cool Jazz: "Birth of the Cool" ist ein überzeugender Albumtitel. Ist er auch gerechtfertigt und das Album ein Schritt in eine neue Epoche des Jazz? Miles Davis schreibt in seiner Autobiographie: "Wir spielten uns etwas sanfter in die Ohren der Leute als Bird und Diz, bewegten uns in Richtung Mainstream. Mehr war´s nicht." Ich seh´s ähnlich (auch wenn punktuell erstaunlich polyphone Strukturen auf den Hörer dieser Aufnahmen warten...).


    Modaler Jazz: Ja! "Kind of Blue" ist in meinen Augen tatsächlich ein Jazz-Meilenstein. Und ja: es ist ein Schritt in Richtung Freiheit. Allerdings ist es auch ein Schritt in Richtung Reduktion. Schon vorher waren mittels erweiterter Bluestonleiter im Prinzip fast alle Töne für einen Akkord möglich. Der modale Jazz versuchte, den Blick auf die jeweils vorherrschende Harmonie zu nivellieren und ihn durch eine allgemein gültigen Skala zu ersetzen. Das ist ein erneuerndes Potential, wie es etwa die Mannheimer Schule gegenüber den barocken Urvätern hatte: eine willkommene Entschlackung, aber sicher nicht der Stoff für avantgardistisches Fortschrittsdenken.


    Nun zum wirklichen Highlight: "Bitches Brew". Hier ist Miles Davis Original. Und ich ganz persönlich finde die Tatsache, dass er hier relativ viele elektronische Instrumente einsetzt nicht besonders wichtig. Der Sound ist einfach relativ dissonant, die musikalische Struktur relativ frei. Wer eine Steigerung sucht, dem sei die wenige Monate später erschienene Aufnahme "Live at Fillmore East" zu empfehlen, meines Erachtens der absolute Gipfelpunkt, den Miles Davis erreichte.


    Seine folgenden Aufnahmen in den 70ern waren sicherlich noch interessant, stellten aber eher eine individuelle Form eines Freak-Outs dar, als eine Blaupause für die weitere Entwicklung der Jazzmusik.


    Für meine Begriffe hat er nach seiner schöpferischen Pause in den 80ern nie wieder an seine alte Form anschließen können. Sicher sind "We want Miles" oder "Tutu" nette Alben, die Entscheidung >Pop statt Postmoderne< verfrachtete Miles Davis aber in meinen Augen bis an sein Lebensende auf eine kommerzielle Schiene, die sicherlich nicht seinen Anspruch auf "DEN" Jazzer schlechthin untermauert.


    Das Argument: "Miles, der Mentor" hört man öfter. Sicher ist da etwas dran. Ich allerdings sehe die Entwicklung etwas kritisch: je mehr Miles Davis Mentor war, desto weniger war er in meinen Ohren Trompeter. Dieses immer wieder beschworene Kollektivbewusstsein bereitet mir genau dann ein Umwohlsein, wenn der Einzelne nur noch hin und wieder eine Tonleitersalve ablässt und ansonsten sofort wieder der permanent-dominierenden Rhythmusgruppe den Platz räumt.


    Allerdings: Bei aller Kritik darf man nicht vergessen, dass Miles Davis auch in Momenten, in denen er nicht die Ambition hatte, der neueste Schrei zu sein, hochwertigen Jazz produziert hat (beliebiges Beispiel: "So what" vom gleichnamigen Album aus den 50ern)


    Insgesamt: Ja! Ein wichtiger Mann! Eineinhalb bahnbrechende Momente hat er gehabt. Ansonsten ein guter Jazzer. In meinen Augen gibt es allerdings hin und wieder ein bisschen mystifizierende Legendenbildung, die man auch etwas nüchterner betrachten kann.


    Tharon.

  • Zitat

    Original von Tharon
    Ich denke aber, es kann nicht schaden Barbirollis Lobeshymnen ein wenig zu relativieren.


    Lieber Tharon,


    solltest du es als Lobeshymne verstanden haben, so steht es dir freilich zu, diese zu relativieren. Es war allerdings gar nicht als blindwütige Lobeshymne gemeint, sondern als Begründung, warum ich denke, dass Miles Davis die herausragende Figur des Jazz gewesen ist. Eines sei klar gestellt: MEIN Lieblingsmusiker ist er keinesfalls. Wenn es nach meinem persönlichen Geschmack geht, hätte ich viel eher John Coltrane nennen müssen. Wenn ich an Musiker gedacht hätte, die ihr Instrument auf neue Ebenen gehoben haben, hätte ich von Louis Armstrong bis Jaco Pastorius viele Dutzend andere erwähnt. Mir ging es darum, objektive Maßstäbe anzulegen, um zu einem subjektiven Ergebnis zu gelangen. :D


    Zitat

    Miles Davis Lehrjahre im Bebop sind genau das: Lehrjahre. (...) Aus der Bebop-Ära gibt es nichts von Miles Davis, was seine Vorrangstellung im Jazz legitiemieren würde.


    Richtig. Lehrjahre sind bekanntlich keine Herrenjahre... :hello:


    Zitat

    Modaler Jazz: Ja! "Kind of Blue" ist in meinen Augen tatsächlich ein Jazz-Meilenstein. Und ja: es ist ein Schritt in Richtung Freiheit. Allerdings ist es auch ein Schritt in Richtung Reduktion.


    Auch das kann ein wegweisender Schritt sein, wenn man das "Höher, schneller, weiter" als Sackgasse erkannt oder die klassischen Hard Bop-Schemata als ausgetrene Pfade angesehen hat.


    Zitat

    Nun zum wirklichen Highlight: "Bitches Brew". Hier ist Miles Davis Original. Und ich ganz persönlich finde die Tatsache, dass er hier relativ viele elektronische Instrumente einsetzt nicht besonders wichtig. Der Sound ist einfach relativ dissonant, die musikalische Struktur relativ frei. Wer eine Steigerung sucht, dem sei die wenige Monate später erschienene Aufnahme "Live at Fillmore East" zu empfehlen, meines Erachtens der absolute Gipfelpunkt, den Miles Davis erreichte. (...) Dieses immer wieder beschworene Kollektivbewusstsein bereitet mir genau dann ein Umwohlsein, wenn der Einzelne nur noch hin und wieder eine Tonleitersalve ablässt und ansonsten sofort wieder der permanent-dominierenden Rhythmusgruppe den Platz räumt.


    Das verstehe ich jetzt nicht. Wenn Davis "permanent-dominierende Rhythmusgruppen" gehabt hat, dann doch in der Bitches Brew-Zeit und danach. Zwei Bassisten, zwei Schlagzeuger, drei Keyboarder und Percussion: Wenn das keine üppige Rhythmusgruppe war! Und zwischendurch bliesen Wayne Shorter, Dave Liebman oder Steve Grossman "Tonleitersalven"? Ist das nun das "wirkliche Highight" oder bereitet es dir "Unwohlsein"?


    Zitat

    Für meine Begriffe hat er nach seiner schöpferischen Pause in den 80ern nie wieder an seine alte Form anschließen können.


    Das sehe ich ähnlich, sieht man mal davon ab, dass er bei der Wahl seiner Musiker ab und zu doch noch ein Händchen für aufstrebende, frische Stimmen hatte, wobei wir beim nächsten wären:


    Zitat

    Das Argument: "Miles, der Mentor" hört man öfter. Sicher ist da etwas dran. Ich allerdings sehe die Entwicklung etwas kritisch: je mehr Miles Davis Mentor war, desto weniger war er in meinen Ohren Trompeter.


    Auch das erschließt sich mir nicht wirklich. Warum behindert jemanden die vorzügliche Wahl an Mitmusikern, selbst vernünftig zu spielen? Ich höre das Gegenteil: Jedesmal, wenn er einen neuen Haufen junger Wilder um sich geschart hatte, beeinflusste das auch sein Spiel hörbar. Wie gesagt: ich halte ihn nicht für den herausragenden Trompeter, aber sicherlich auch nicht für einen schlechten, weil er junge Musiker gefördert hat. Und damit, da war er sicher uneigennützig genug, in erster Linie sich selbst.


    Zitat

    (beliebiges Beispiel: "So what" vom gleichnamigen Album aus den 50ern)


    Das kenne ich gar nicht. Du meinst nicht doch "Kind of Blue"?


    Zitat

    In meinen Augen gibt es allerdings hin und wieder ein bisschen mystifizierende Legendenbildung, die man auch etwas nüchterner betrachten kann.


    Sehr gerne. Gegen mystifizierende Legendenbildung habe ich auch etwas. Mein Beitrag war nicht als derartiges gemeint. Ich kenne die Mystifizierung rund um Miles Davis, besonders die, die er selbst betrieben hat, und ich versuche eigentlich, so etwas skeptisch zu betrachten. Meine Begründungen für seine Rolle im Jazz stammen eher aus meinen und anderer Hörerfahrungen und natürlich auch dem, was man sich über die Jahrzehnte so angelesen hat. Dankbar bin ich deshalb schon für deine Anmerkungen, damit ich nicht in blinde Heldenverehrung gerate. Das würde mir bei Miles Davis aber eigentlich auch nicht passieren dürfen, dafür ist mir vieles zu unangenehm und unsympathisch an ihm.


    LG
    B.

  • Sorry,


    bei ein paar Punkten habe ich mich wirklich unklar ausgedrückt. Also hier ein paar Klarstellungen.


    Meine Aussagen zum modalen Jazz waren nicht unbedingt wertend gemeint. Ich denke über diesen Moment des Jazz hin und wieder nach und habe noch keinen festen Eindruck. Deswegen formuliere ich es hier mal als Frage: Wenn der modale Jazz hinsichtlich des harmonischen Anspruchs ein Rückschritt ist, kommt dieser dann nicht etwas früh? Immerhin hatte der Avantgarde-Jazz Ende der 50er durchaus noch einiges Potential...


    Bitches Brew: Ja, da hatte Miles Davis eine recht dominierende Rhythmus-Gruppe. Aber was für ein Unterschied zu den nur wenig später erschienenen Alben wie "On the corner", "Live-evil", "Agharta" u. ä! Um es mal überspitzt auszudrücken: Bitches Brew klingt für mich eher nach einer Kollektivimprovisation. Heraus kommt eine recht dissonante, jazzige Polyphonie. Die späteren Alben der Siebziger stellen die Rhythmusgruppe mehr in den Dienst eines (oft recht simplen) Groove. Und wenn dann Gitarristen auch noch anfangen in ihren Soli etliche Minuten lang nicht viel mehr zu tun als mit ihren Effektgeräten herumzuspielen (solche Momente gibt es auf den Agharta-Pangaea-Alben recht stark)... dann muss ich eben manchmal gähnen.


    Je mehr Mentor desto weniger Trompeter: Das ist natürlich nicht zwangsläufig so und im Falle Miles Davis wahrscheinlich auch nur ein sehr subjektiver Eindruck. Für mich sah es gerade live in den 80ern öfter danach aus, als hätte Miles zwar gute Leute um sich geschart, aber eigentlich keine rechte Kraft mehr, um seinem Instrument Präsenz zu verleihen. Seine Soli hören sich für meine Ohren immer mehr nach einer Aneinanderreihung kurzatmiger Motivfragmente an, zwischen denen die Pausen immer größer werden.


    "So what": Das ist Schwachsinn, ich hab´ mich vertan. Gemeint war das Stück "Walkin´" vom gleichnamigen Album in den 50ern.


    Herzliche Grüße,


    Tharon.

  • Hier erstmal meine Liste. Es ist mir nicht gelungen, sie auf 8 Musiker zu reduzieren, aber ich habe sie so gruppiert, dass 8 "Gruppen" entstehen. Denn wenn ich z.B. Coleman Hawkins nenne, kann ich nicht Lester Young auslassen, ähnlich z.B. Grapelli und Django Reinhard.


    Louis Armstrong


    Duke Ellington


    Coleman Hawkins
    Lester Young


    Billy Holliday
    Ella Fitzgerald


    Dizzy Gillespie
    Charlie Parker
    Miles Davis


    John Coltrane


    Dave Brubeck
    Thelonius Monk


    Stéphane Grappelli
    Django Reinhard


    Meine intensivere Beschäftigung mit dem Jazz ist Ende der 60er abgebrochen, erst seit kurzem habe ich wieder Zeit und Muße zum Jazz. Erstaunlich ist, dass meine Liste sich weitgehend mit denen von Achim und von Dreamhunter deckt, auch die von Michael Schlechtriem genannten Musiker finden sich zum größten Teil in unseren Listen wieder. Musiker nach 1970 tauchen kaum auf; mal die Frage, ob es Euch vielleicht ähnlich ergangen ist wie mir?


    Wenn es die Frage ist, einen Einzelnen herauszuheben, dann aber nach welchen Kriterien?


    Der größte Umwälzer in der Jazzgeschichte ist mit Sicherheit Louis Armstrong. Sicherlich, es hat vor ihm gute Jazzmusiker gegeben, ich mag besonders King Oliver, Bessie Smith und vor allem Jelly Roll Morton. Aber nach Armstrong, spätestens nach den Aufnahmen der Hot five und Hot Seven spielte keiner mehr so wie vorher, er hat praktisch alles, was danach kam, entscheidend beeinflußt.


    Ähnlich revolutionär waren mit dem Bebop vielleich noch Dizzy Gillespie und vor allem mein Lieblingsmusiker dieser Ära Charlie Parker gewesen.


    Aber wenn das Kriterium ist, wen höre ich zur Zeit am liebsten, so hat sich mein subjektives Urteil gewandelt. Anfangs als Jugendlicher, natürlich Armstrong, und die Hot Five und Hot Seven war Ende der 50er meine erste Jazz-LP. Später waren es Charlie Parker/Dizzy Gillespie, und ich hatte neben meiner Liebe zur alten, klassischen "historischen" Musik, das Gefühl, im Jazz eine aktuelle, lebendige, neue Musik zu verfolgen.


    Miles Davis wurde oben schon von Barbirolli sehr schön dargestellt, vielen Dank dafür! sein grader Strahl trifft mich so, dass er von den bisher genannten von mir wohl am meisten gehört wurde, zumal er ja wirklich eine enorme Entwicklung repräsentiert, und es wohl richtig ist, - etwas abgewandelt von seinem eigenen Ausspruch - dass er an 4-5 Jazzrevolutionen wesentlich beteiligt war.


    Zur Zeit versuche ich, Anschluß dort zu finden, wo ich seinerzeit aufgehört habe, und kann mich an Ornette Coleman ger nicht satt hören. Also, wenn ich rein subjektiv nach einer Spontanwahl gefragt würde, wäre er es.

    Beste Grüße, MG

  • Zitat

    Original von Tharon


    Für mich sah es gerade live in den 80ern öfter danach aus, als hätte Miles zwar gute Leute um sich geschart, aber eigentlich keine rechte Kraft mehr, um seinem Instrument Präsenz zu verleihen. Seine Soli hören sich für meine Ohren immer mehr nach einer Aneinanderreihung kurzatmiger Motivfragmente an, zwischen denen die Pausen immer größer werden.


    Lieber Tharon,


    da stimme ich dir vorbehaltlos zu! Du nennst es "kurzatmig". Möglichwerweise kommst du dem Problem damit sogar im wahrsten Sinne sehr nahe. Mag es gesundheitliche Schwächung gewesen sein, Probleme mit den Lippen, gepaart mit der nicht ganz unarroganten Attitüde, es müsse ja reichen, wenn er körperlich anwesend sei: Die Musik der Davis-Gruppen der späten 80er und sein brüchiges Trompetenspiel gehören nicht zu den Meilensteinen seiner Laufbahn. An ein Konzert (ich glaube, es war 1989) erinnere ich mich: Mir war es schmerzhaft und fast körperlich unangenehm, dem Suchen und Nichtfinden der Töne beiwohnen zu müssen. Aber einmal, bei Cindy Laupers "Time after Time", kehrte die Magie zurück! Und ich war sehr begeistert - und bin es seitdem - vom damals noch jungen Saxophonisten Kenny Garrett.


    LG
    B.

  • Zwei Namen hat dankenswerter Weise Manuel García genannt, die zu meiner Verwunderung noch nicht erwähnt wurden:


    Django Reinhardt
    Stéphane Grappelli


    Gewiß verstehen viele unter dem Begriff "Jazz" etwas anderes als diese aus der französischen Roma-Szene hervorgegangene Stilrichtung, die obendrein auch noch ins zweifelhafte "amusement" hineinreicht.


    Aber wenn man innovative Kreativität und virtuose Beherrschung ihrer Instrumente (akustische Gitarre von Maccaferri "arch top" und die wunderbare G.B.Guadagnini-Violine) anerkennt, weiters die unglaubliche Musikalität und die subtile Improvisationsmeisterschaft dieser beiden Musiker gleichsam gefangennimmt, so glaube ich schon, dass Reinhardt/Grappelli die Jazz-Szene bedeutend mitgeprägt haben.


    Stéphane Grappelli gelang nach der Trennung von Django Reinhardt und dem Quintett des Hot Club de France nach 1950 eine atemberaubende Karriere mit unzähligen Studio- und Live-Aufnahmen sowie maßstabsetzendenen Konzertauftritten, von denen ich drei in Wien in bleibender Erinnerung behalten werde.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Zweifellos war John Coltrane ein herausragender Saxophonist. Aber kann man Äpfel mit Birnen vergleichen?


    Ich habe Grappelli bewusst in den Vordergrund gestellt, da er als einer der ersten (nach Stuff Smith, Joe Venuti, Eddie South) die Violine erfolgreich und nachhaltig als Führungsinstrument in Jazz, Blues und Swing etablieren konnte und damit dieser Musikrichtung eine bis dahin eher verschlossene Tür geöffnet hat.


    Allein dieses Verdienst ist dem einzigartigen Violinvirtuosen Stéphane Grappelli zuzuschreiben.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • In einer Liste der bedeutenderen Violinisten des Jazz müßte Grappelli unter den Älteren sicherlich genannt werden. Ihm gehört natürlich das Verdienst, die Zigeunergeigentradition in den Jazz eingebracht zu haben.


    Ich würde aber auch unter den Älteren an erster Stelle Ray Nance nennen, der sein Leben lang in den Bands Duke Ellingtons gespielt hat, deswegen vielleicht individuell nicht so im Vordergrund stand, aber viele seiner Soli sind einfach unglaublich vom improvisatorischen Einfallsreichtum bei, verglichen mit den Jazz-Violinisten seiner Generation, herausragendem Können. (Unter denen, die sich ähnlich geäußert haben, sind Perlman, Gidon Kremer, Nigel Kennedy, Billy Bang, Gregor Hübner....)
    Und dann war Ray Nance auch noch ein ebenso guter Trompeter, guter Vibraphonist und guter und witziger Sänger und Unterhalter.


    In den 60er Jahren ist dann der herausragende Jazz-Violinist des freien Jazz Leroy Jenkins, der von der Blues-Fiddle kommt, aber auch eine beachtliche Könnerschaft erreicht und für unzählige wirklich herausragende Aufnahmen steht. Auch der Pole Zbiginiew Seifert muß hier unbedingt für diese Periode genannt werden. Ebenso Michal White, John Blake, Billy Bang, J. Burnham, die vor allem an Leroy Jenkins anknüpfen.


    Im Jazz-Rock sind dann sehr gute Violinisten vor allem Jerry Goodman (The Flock, Mahavishnu Orchestra, Jan Hammer), Jean-Luc Ponty (spielte u.a. bei Frank Zappa; auch die frühen eigenen Platten sind noch sehr gut, danach wird es ziemlich belangloser Fusion, aber zweifellos auch ein brillianter Violinist, der viele beinflußt hat, z.B. Didier Lockwood, Michael Urbaniak).


    Heute gibt es eine sehr goße Zahl brillianter Violinisten und Violinistinnen im Jazz in Nordamerika und Europa, aber auch in Israel und dem Libanon, die heute meist eine klassische Konzertsoloviolinisten-Ausbildung haben und häufig auch zweigleisig fahren (Jazz und Neue Musik) oder auch gleichzeitig im Jazz und der Alten Musik-Szene aktiv sind wie z.B. die Barock-Violinistin Maya Homburger.


    Viele haben oder hatten heute auch feste Stellen in klassischen Orchestern und sind außerdem in Jazz-String-Trios oder String-Quarteten aktiv (z.B. die sehr guten Violinistinnen im String-Trio of New York, dem Uptown String Trio, dem Turtle Island String Quartet, Massada String Quartet, String Thing......- und es werden immer mehr)
    (Auch gibt es heute Streichquartette, die moderne Klassik und Jazz spielen, wie z.B. das Mondrian String Quartet aus Holland.)


    Die technische Könnerschaft ist dadurch sicherlich noch gewachsen. Unter den ganz herausragenden, auch hoch-originellen Jazz-ViolinistInnen muß man heute auf jeden Fall Mark Feldman, Jason Hwang, Clara Kihlstedt, Mat Manieri (spielt auch Viola), Dominique Pifarely aus Frankreich, Mads Tollin aus Dänemark und den Deutschen, Gregor Hübner rechnen. Aber es gibt heute wirklich enorm viele, enorm gute Jazz-ViolinistInnen. Wenn ich wieder mehr Zeit habe, kann ich dazu gerne einen Thread machen.


    Zur aktuellen Entwicklung gehört übrigens auch, dass zu sehr vielen größeren Formationen wieder ViolinistInnen (und häufig auch CellistInnen) gehören, wie einstmals in der Vor- und Frühgeschichte des Jazz und noch in vielen Swing Big Bands, so heute z.B. im Vancouver Jazz Orchestra (dort vor allem auch eine geniale Bratschistin), im Italian Instabile Orchestra, vielen Big Bands von Giorgio Gaslini, den Formationen um Barry Guy, heute auch dem Willem Breuker Kollektiev und vielen anderen.


    :hello: Matthias

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  • Zitat

    Ich habe Grappelli bewusst in den Vordergrund gestellt,


    Das ist ja auch sehr lobenswert, macht aber Grappelli trotzdem nicht zum bedeutendsten Jazzer.
    Er war sehr einflußreich, was die Violine anging, aber ein Coltrane ist für mich da schon eine ganz andere Nummer.


    Zitat

    Zweifellos war John Coltrane ein herausragender Saxophonist. Aber kann man Äpfel mit Birnen vergleichen?


    Grappelli war ein herausragender Geiger und Interpret seiner Musik, Coltrane war ein herausragender Musiker und Erneuerer des Jazz, unabhängig davon, welches Instrument er spielte.


    Natürlich war er ein herausragender Saxophonist, aber damit ist es noch lange nicht getan.
    Es stimmt, man kann Äpfel und Birnen nicht vergleichen.


    Zitat

    Jazz, Blues und Swing


    Sind dies drei neue, unabhängige, Stile?

  • Hallo Michael,


    ich gebe Dir natürlich recht. Trotzdem bin ich Milletre für seinen Beitrag dankbar. Grappelli steht eben auch am Anfang einer Entwicklung der Europäisierung des Jazz, über Europa hinaus und sogar auf die USA zurückwirkend und einem selbstbewußten Messen an klassischer Technik und dem Heimisch-Werden traditionell klassischer Instrumente im Jazz und damit einer heute recht wesentlichen Entwicklung.


    :hello: Matthias

  • Hallo Matthias,

    Zitat

    ich gebe Dir natürlich recht. Trotzdem bin ich Milletre für seinen Beitrag dankbar


    eben, deshalb habe ich ja auch dies geschrieben:

    Zitat

    Das ist ja auch sehr lobenswert


    :hello:


    Michael

  • Hallo Michael,


    - habe ich nicht überlesen. Ich wollte es nur noch einmal betonen, da er mich ja zu meinem vorhergehenden Beitrag animiert hat.


    Beste Grüße, Matthias

  • nach langer, langer reiflicher Überlegung ist dies für mich


    ELLA Fitzgerald.


    1. Sie beherrschte Improvisationen, scat-Gesang und vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für ein Lied wie keine andere.


    2. Ist für mich die STIMME das Non-plus-ultra in jeder Musik.


    3. Dauerte ihre Karriere entsprechend lang und sie beeinflusste glaube ich ALLE SängerInnen.

  • Apropos Fitzgerald, warum hat noch niemand Joe Pass genannt? :D


    Gerade hab ich noch einen guten, eventuell Themenrelevanten, Quote in nem youtube Kommentar gelesen:

    Zitat

    Once again you touch the masters graces. This is difficult to do indeed, acoustic science now has a name for the shortest discernible musical period of time - which is aptly named a "Tatum". Even in a Tatum you seem to find Tatum


    :jubel: :D

    Sie werden Shakespeare erst richtig genießen, wenn Sie ihn im klingonischen Original lesen.

  • absolut allem gesagtem kann ich zustimmen:
    "Gelernt" habe ich Jazz von Louis Armstrong,
    geniessen werde ich ihn mein Leben lang mit Ella Fitzgerald,
    einer meiner Top-Favoriten, mein Liebling, ist George (&Ira) Gershwin,
    der inhaltsreichste Komponist ist der Duke.


    aber der bedeutendste Jazz Musiker des 20. Jahrhunderts?


    William Christopher Handy


    ohne ihn und seinen St. Louis Blues, und da ist es mir vollkommen gleichgültig, ob der als Blues oder Jazz durchgeht, gäbe es m. E. keinen Jazz.


    Originalpartitur 1912-1914, 1925 mit Louis & Bessie Smith aufgenommen.


    Wenn Ihr wahre Freude und Ergriffenheit wollt, dann hört Euch das Carneigie Hall Konzert unter L. Bernstein aus dem Jahr 1957 an.


    "Satchmo the Great", Columbia Records


    Ich habe bei dem Konzert zu Jugendzeiten mal mitdirigiert, dabei aber ausser acht gelassen, dass ich auf der Autobahn mit meinem 1er Golf unterwegs war, 15m Leitplanke und ein Golf weniger auf der Welt, Gott sei Dank kein Personenschaden.
    Ich bereue nichts :]


    Wir alle schreiben hier unsere persönlichen Ansichten nieder, ich hoffe, ich habe meine deutlich genug klar gemacht :beatnik:

    if you have to have jazz explained to you, you'll never know. L. Armstrong

  • Platz 8 für Klaus Doldinger, der den Jazz in Deutschland über Jahrzehnte vielfältigst mitgestaltet hat.


    Ich bin ja kein grosser JAZZ-Kenner, da ich selber von einer ganz anderen Richtung, der Elektronischen Musik (NewAge u.ä.) her komme.
    Gar nicht gefällt mir, wenn im Jazz gesungen wird, oder noch schlimmer, wenn :D da so ein paar wohlgenährte Tanten dabei rumkrähen.


    :thumbup: Aber wenn mir etwas gefällt, dann vertiefe ich das gerne. Und das war bereits in den 70er-80er-jahren mit einer ganzen Anzahl Klaus Doldinger-Scheiben (LP´s) der Fall, die ich heute gesammelt als besser klingende MP3-Dateien vorliegen habe.
    Von daher bin ich ja froh den Namen Doldinger hier wenigsten bereits erwähnt und betrachtet vorgefunden zu haben.


    Diese Alben gefallen mir:


    Ataraxia und Hand Made (bei dieser war noch Udo Lindenberg als Schlagzeuger beim Klaus !)
    ...


    Jubillee Concert, Infinity Machine und Move
    ... ...


    Klaus Doldinger hat auch gute Fimmusiken geschrieben.
    Neben der berühmten zu Tatort und Das Boot auch die schöne zu Peterchens Mondfahrt ! Das hat schon früher meine Töchter immer sehr begeistert.


    :?: Wer kennt und schätzt Klaus Doldinger ?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich weiss nicht, ob man von DEM wichtigsten Jazzmusiker etc. sprechen kann. Es gab so einige, die für die Musikgeschichte sehr wichtig waren und sind. Andere sind einfach deswegen so wichtig, weil sie so gut sind.


    Parker und Gillespie waren ja sehr wichtig für den Bebop, Tatum und O.Peterson für das Swing-Piano, Fitzgerald und Sinatra für den Gesang.
    Leute, die sehr innovativ waren und heute immer noch sind heissen aus meiner Sicht auch Corea, Hancock (gerade als Rhodes-Spieler) und Jarret (alle an den Tasten), für den Bassbereich fand und finde ich Abe Laboriel und Marcus Miller wichtig, für den coolen modalen Jazz steht wohl der Name Miles Davis (aber nicht nur...), für die Einbindung von Rock, Soul und Gospel in den Jazz fallen mir spontan die Herren Eddie Harris und Les McCann ein. Bei den Jazzfunk-Schlagzeugern kommt man nicht an Billy Cobham vorbei und bei den europäischen Flügelhornsolisten muss ich gleich an Ack von Rooyen aus Holland denken.


    Es kommt eben darauf an, was man mag. Wer den früheren Bigband-Sound zu schätzen weiss, der wird wohl Glenn Miller toll finden....aber eigentlich höre ich das so, dass viele der Sachen, die früher neu waren und mit einem Namen verbunden sind, von den heutigen Leuten noch besser gemacht werden.


    Wynton Marsalis ist da so ein perfekter Könner und Perfektionist.


    Bei den Deutschen ist auch meiner Ansicht nach Doldinger wichtig, ebenso so mancher seiner Musiker, wie z.B. der Keyboarder auf dessen Namen ich nicht kommen (der aber auch schon mit Till Brönner eine tolle DVD gemacht hat), ebenso Wolfgang Schmid am Bass.


    Neben Brönner finde ich für den deutschen Jazz legendären Paul Kuhn unglaublich wichtig (als Jazzpianist, Arrangeur und Bandleader, nicht als Schlagersänger, was er ja heute längst nicht mehr macht). Sehr gut konnten auch die Herren Horst Jankowsky und Eugen Cicero (auch Jazz-Trioversionen von Klassischen Themen) spielen, wobei nicht alles, was so an Show-Musik vom Erstgenannten auf dem Markt ist, wirklich hörenswert ist. Aber als Pianist im Jazz-Trio war er erste Sahne, was ich leider aus der Erinnerung an manche TV-Übertragung sagen kann, und nicht aufgrund von CDs. Nicht alle guten Jazz-Sachen gibt es auch auf CD, d.h. es würde sich hierfür manchmal lohnen, noch einen LP-Spieler zu haben.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Da ich viele Jazz-Stücke nicht so sehr schätze (z.B. so ziemlich den kompletten Big-Band-Bereich), reduziert sich die Auswahl schon ordentlich.


    Stimme und Musicals sind auch nicht mein Fall (obwohl Ella natürlich großartig ist, ebenso Satchmo, und es gibt noch ganz viele andere), aber meine Favoriten im Jazz sind die Solisten und die kleinen Ensembles. Bei den Ensembles sind es vor allem Oscar Peterson und Tsuyoshi Yamamoto, und natürlich der große Dave Brubeck (der mit Joe Morello einen der absoluten Ausnahmeschlagzeuger in seiner Truppe hatte).


    Was mir auch besonders gut gefällt, ist die Kombination aus Bach und Jazz, also Jacques Loussier.


    Als Solist ist Keith Jarrett herausragend.


    Wenn man Jazz nicht zu eng faßt, gehört auch Piazzolla zu den Größten.

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