Die Sinfonien Johann Baptist Vanhals
Teil I: 1760-62
Es ist immer bedauerlich, wenn der Schatten von überragenden Komponisten den nur wenig geringeren Anteil der „zweitbesten“ Gruppe von Tonsetzern verdunkelt und zu einer Randgröße für Kenner alleine macht. Abschnittsweise tritt ein solcher Komponist mal aus dem Schatten für einen Moment heraus, wenn durch den unermüdlichen Einsatz von Interessierten dessen Vermächtnis zu Tage gefördert wird, doch reicht dies bei weitem noch nicht aus, um selbige den Ruhm den sie verdienen zu Teil werden zu lassen. Einer dieser großartigen Komponisten des vermeintlich zweiten Gliedes ist Vanhal, der zusammen mit Joseph Haydn und Karl Ditters von Dittersdorf zu den wichtigsten Sinfonikern der 60er und 70er Jahre des musikalischen Wien und zu den Protagonisten des Sturm und Drang schlechthin zählt. Ihm zu Ehren und auch um einen Vergleich zu Haydn zu schaffen möchte ich gerne eine kleine Serie starten, die sich mit den Sinfonien des ehemaligen Leibeigenen und späteren freischaffenden Tonkünstlers befasst. Ich konzentriere mich dabei auf die 49 auf Tonträgern erhältlichen Sinfonien seines ca. 83 Werke umfassenden Oeuvres.
Die Zählung beruht auf den thematischen Katalog von Paul Bryan, der sich wie kein anderer um die Erforschung der Sinfonien Vanhals verdient gemacht hat.
Vanhal begann ca. 1760 mit dem Schreiben von Sinfonien (im Alter von etwa 20 / 21 Jahren) und damit rund drei Jahre nach Joseph Haydn jedoch etwa zeitgleich mit Dittersdorf (wobei sich bei letzterem die Sinfonien der Frühzeit nur sehr schwer datieren lassen – eigentlich nur durch den spätmöglichsten Zeitpunkt ihres Entstehens). Bryan hat die Kompositionsdaten in Abschnitte unterteilt, welche sich überwiegend an stilistischen Merkmalen festmachen sowie auf das Erscheinen seiner Sinfonien in den diversen Katalogen (hauptsächlich der von Breitkopf & Härtel) sowie dem sogenannten Quartbuch. Zum Zeitpunkt der ersten Sinfonien Vanhals hatte Haydn also schon 11 Sinfonien komponiert – Hob. I 1D, 2C, 4D, 5A, 10D, 11Es, 18G, 27G, 32C, 37C, 107B – sieben davon dreisätzig.
In den Jahren 1760-62 entstanden neun Sinfonien Vanhals, und zwar Bryan C2, C3, D1, D7, e3, G2, G7, A2, B4 – davon sind nur die Sinfonien C3 und D1 dreisätzig und wohl noch vor Vanhals Umzug nach Wien entstanden. In dieser Zeit schrieb Haydn möglicherweise die Sinfonien Hob. I 3G, 14A, 15D, 17F, 19D, 20C, 25C, 33C, 36Es, 108B, von denen nur noch 17,19 und 25 drei Sätze hatten.
Dittersdorf schrieb bis ca. 1763 25 Sinfonien in C (2), D (3), Es (3), E (2), F (4), G (5), A (2), B(3) und eine in e – moll.
Von den Sinfonien Vanhals dieser Epoche wurden bislang 4 eingespielt (C3 von Grodd / Naxos, e3 von Mallon / Naxos und der Haydn Sinfonietta Tokyo, sowie G7 und A1, ebenfalls von der Haydn Sinfonietta Tokyo). Auf diese vier Werke möchte ich mich konzentrieren.
C3 (Allegro con spirito / Andante – Presto)
Die mit Streichern, Oboen, Hörnern sowie Pauken und Trompeten festlich besetzte Sinfonie beginnt mit einem kurzen, zweigeteilten Thema, welches einen insgesamt sehr schwungvollen ersten Satz einleitet in welchem die Teile manchmal etwas isoliert nebeneinander stehen und die Holzbläser sehr zurückhalten berücksichtigt werde (ganz im Gegensatz zu den Hörnern). Für ruhige Phasen bleibt kein Raum und auch moll wird nur in der Durchführung kurz gestreift. Der hübsche Andantesatz verliert sich nicht sehr in der Tiefe und plätschert ein wenig, wenn auch in gewinnender Melodik dahin. Der abschließende Kehraus ist kurz und schmerzlos und rundet diese möglicherweise erste Sinfonie Vanhals ab. Insgesamt noch wenig späterer Vanhal, doch mit Sicherheit kein schlechter Anfang.
e3 (Allegro molto / Andante / Menuetto – Trio / Contratantz (Presto)
Der ruhige Anfang (mit einem der für Vanhal typischen „singen“ Themen) wird jäh in einen sehr dramatischen und aufwühlenden Teil weitergeführt, der schon alle Charakteristiken des Sturm und Drang aufweist. Auffällig ist, dass im Gegensatz zur vorhergehenden Sinfonie C3 die Oboen deutlich prominenter eigesetzt werden. Für Dur ist in diesem Satz fast kein Platz. Ungewöhnlich ist, dass der erste Satz direkt mit den zweiten, für Streicher mit Flöte gesetzten, verbunden wird, der insgesamt etwas Entspannung verheißt, doch ebenfalls sehr mollgetrübt ist. Das strenge, kanonische Menuetto lässt eine weitere Eigenart Vanhals erkennen – die sehr dominanten Bassi. Das Trio mit Soloflöte ist von einnehmender Schönheit. Im mit „Contratantz“ Finale geht es sehr abwechslungsreich zu, moll und Dur wechseln sich ab und sogar für die Bläser gibt es die Möglichkeit für Soli. Der Satz endet im piano. Insgesamt eine sehr starke Sinfonie des jungen Vanhal.
G7 (Allegro / Andante / Menuetto – Trio / Presto)
In der klassischen Besetzung für Streicher und Paare von Oboen und Hörnern ist die beste der hier vorgestellten frühen Sinfonien gehalten. Die Sinfonie beginnt mit einem wunderschönen Beispiel für Vanhals „singende“, zurückhaltende Themen. Und Schönheit ist es, was diesen ganzen ersten Satz ausmacht und Vanhals Meisterschaft in der Sinfonik erweist. Der ausgesprochen nachdenkliche und ruhige zweite Satz ist für Streicher alleine geschrieben und steht überwiegend in moll. Im Menuett o schließt Vanhal an den ersten Satz an – das wohl schönste Menuett seiner ersten Sinfonien, auch das Trio für Streicher ist ausgesprochen nett anzuhören. Der im piano beginnende und endende Schlusssatz ist ein insgesamt gelungener Abschluss dieser wirklich außergewöhnlich guten Sinfonie.
A1 (Allegro molto / Andante / Menuetto – Trio / Presto)
Der erste Satz beginnt fast wie ein Menuett, entwickelt sich aber zu einem sehr soliden Satz, der von durchgehenden Bassbewegungen durchzogen ist. Auch die Bläser sind gut vertreten, und selbst für ein wenig Dramatik ist im Durchführungsteil Platz. Höhepunkt des Satzes ist die ausgesprochen hübsche Schlussgruppe in der Exposition. Der zweite, reine Streichersatz ist in moll gehalten und insgesamt sehr intim und nachdenklich. Das stark synkopierte Menuetto besticht durch seine auffälligen Hornpassagen, im Trio wird es dann sehr volkstümlich. Der schwungvolle Abschluss ähnelt in Aufbau und Melodik sehr den gleichzeitigen Finalsätzen in den Sinfonien Haydns.
Im Vergleich zu Haydn fällt vor allem auf, dass Vanhal die Holzbläser sehr selten solistisch hervortreten lässt. Bei Vanhal sind die Sinfonien vor allem von den Streichern geprägt. Auch beherrscht Haydn die Werkzeuge der Sinfonie virtuoser als der um sieben Jahre jüngere Vanhal, doch zeigt sich in der Sinfonie G7 wie schnell Vanhal sich auf eine schon sehr beachtliche Höhe aufschwingen kann. Die Dur – Sinfonien Haydns sind kraftvoller als die Vanhals, der insgesamt der etwas ruhigere Sinfoniker zu sein scheint – so lange es sich nicht um eine Sinfonie in moll handelt.