Zitat
Seitdem Melot mit dieser Frage vor langer Zeit allein gelassen wurde, hat sich im Klavierforum niemand mehr mit den Englischen und Französischen Suiten von Bach beschäftigt.
Vielleicht wird ja hier in der Zupfclavierabteilung mehr draus.
Fangen wir doch noch einmal bei den seltsamen geografischen Zuordnungen an: Wieso englisch und französisch?
Vielleicht ergibt sich ja was draus.
Die festgelegte Satzfolge in der Suite gibt es erst spät. Die Reihenfolge war – zwar zeitlich und regional verschieden – schon eher vorgegeben, aber der Spieler/das Ensemble konnte aus beliebigen Allemanden eine auswählen, darauf eine Gaillarde, dann eine Pavane, eine Gavotte usw.
Erst bei Froberger und Louis Couperin beginnt so etwas wie eine festgelegte Reihenfolge bestimmter (!) Sätze, obwohl auch da die Varianten noch so zahlreich sind, dass unmöglich eine bestimmte Suite als ganz und gar richtig ausgegeben werden kann. Immerhin ist die Folge Allemande – Courante – Sarabande ab da fast immer vorhanden, wenn auch durch allerlei eingeschobene andere Typensätze ausgeweitet, später kam als nächsthäufiger Tanz noch das Menuet hinzu.
Bei der Instrumentalsuite wurde aber einer kunstvollen Einleitung ziemliches Gewicht beigemessen. Nur war die nicht notiert, sondern als Visitenkarte des Spielers improvisiert. Die Geschichte mit den nicht mensurierten Lautenpréludes dürfte bekannt sein. Diese Art gibt es auch noch bei Louis Couperin und Zeitgenossen für die Cembalisten, aber immerhin ist das Prélude ab da notiert und vom Komponisten vorgegeben vorhanden.
Der Titel „Französisch“ ist bei Bach eigentlich unsinnig.
BWV 812 bis 817 sind Suiten, die zwar viele Eltern, aber keine Einleitungssätze haben. Zusammengestellt aus allen möglichen vorhandenen, manchmal angepassten Einzelsätzen und hinzukomponierten Stücken sind sie Bachs eigener Versuch zum eigenen Thema „Suiten ohne Präludium“.
Außerdem haben wir damit eine Sammlung von originellen, kurzweiligen Stücken, die auch immer nach Bach klingen. Die Französischen Suiten sind im Satz häufig aufs Wesentliche konzentriert und für den Spieler eher zu meistern als die teils sehr virtuosen Englischen Suiten oder die ‚großen Brocken’ der Partiten.
Und was ist englisch an BWV 806 – 811?
Barocke Kunstmusiksuiten enthalten viele Elemente aus Volkstänzen. In England eroberte die Gigue den wichtigen letzten Platz der Claviersuite. Dazu muss man nicht – wie so oft – Dieupart, einen in London lebenden gebürtigen Franzosen, als Erfinder bemühen, schon die posthum veröffentlichten Cembalosuiten Henry Purcells folgen allesamt strikt diesem Muster der Französischen Suite mit obligatorischer Gigue als Schlusssatz.
Dieuparts ‚Verdienst’ besteht allerdings darin, dass seine Stücke nicht nur auf der Insel äußerst beliebt waren, sondern auch auf dem Festland Verbreitung fanden und auch bei Bach im Notenschrank standen. Seine Reverenz erwies er dem Kollegen, indem er einen kompletten Satz Dieuparts notengetreu übernahm, allerdings an eine andere wichtige Stelle verschob und umbenannte. (Quizfrage: Um welchen Satz bei Bach handelt es sich?)
Während Bachs Eingangssätze verschiedenen Mustern (allein das wäre viele Zeilen wert) folgen, sind die Giguen allesamt (meistens) zweistimmige virtuose Fugen, deren Themen im zweiten Teil fast immer gespiegelt werden. Dazwischen steht ein festes Schema: Allemande, Courante, Sarabande und ein weiterer Satz (2 x Bourrée, 2 x Gavotte, je 1 x Menuet und Passepied).
Das charakteristische, allerdings weniger unbedingt „Englische“ sind also die feste Klammer von Präludium und Gigue und die bis auf den vorletzten Satz einheitliche Abfolge.
Die Englischen Suiten stammen aus Bachs Clavierlöwenzeit, sind also in Weimar entstanden. Spieltechnisch sind vor allem die Präludien recht weit oben angesiedelt, aber auch die Giguen stellen ziemliche Ansprüche.
Und um die eingangs zitierte, gut abgehangene Frage Melots zu beantworten:
Mit diesen Aufnahmen hat Rousset den beiden Zyklen ein wunderbares Denkmal gesetzt. Selten habe ich so einen bilderbuchmäßigen Cembaloklang auf CD erlebt, und ebenso selten hat sich jemand mit solcher Detailverliebtheit und trotzdem großen Bögen den Französischen Suiten gewidmet wie mit einer dermaßen stupenden Virtuosität auf die Englischen Suiten gestürzt.
Das verwendete Instrument (ein Ruckers-Original von 1632 (1745) aus dem Museum von Neuchâtel) ist ein wahres Juwel.
Mit diesem Klang in den Ohren vermisst man auch kein deutsches Cembalo.
Gibt es überhaupt Aufnahmen auf (mehr oder weniger) deutschen Cembali?
Und nun: Was gibt es zu den Suiten weiter zu sagen? Welche Einspielungen verdienen die Erwähnung hier? Und vor allem: Warum?