Mein persönlicher Zugang zu Sibelius - und mehr ........

  • Mir fehlen die Quellen, um das auch nur ansatzweise beurteilen zu können. Aber ich gehe mal davon aus, dass Adorno meint, an Erfahrungen seiner Leser anzuknüpfen und da klingt es so, als ob Mitte/Ende der 1930er Sibelius nicht annähernd in dem Maße etabliert gewesen wäre wie Bruckner oder Strauss. Der Vergleich mit zumindest aus unserer Sicht doch erheblich exotischeren und "unwichtigeren" Komponisten wie Delius oder Sinding scheint mir das anzudeuten. Andererseits muss er ja, um überhaupt als "Gefahr" angesehen zu werden, doch ziemlich erfolgreich gewesen sein.


    Wiederum habe ich das auch nur vage in Erinnerung und keine Quelle, aber die Blut-und-Boden-Unterstellung ist wohl nicht ganz aus der Luft gegriffen, da die offizielle Nazi-Linie Sibelius angeblich als "nordischen" Komponisten schätzte und besonders das Violinkonzert "protegiert" haben soll. (Da "Ersatz" für das geächtete Mendelssohn-Konzert gesucht wurde, aus ähnlichen Gründen sei das vergessene Schumann-VK ausgegraben worden.)


    Natürlich ist das ein extrem polemischer Text und Adorno hatte (damals) eine ziemlich genaue Vorstellung davon, welcher Linie moderne Musik folgen sollte (selbst wenn nicht alles außerhalb der Schönberg-Schule derart polemisch abgekanzelt wurde). Aber ich frage mich schon, warum der Text anscheinend doch ernst genommen wurde bzw. die Einwände auch weniger polemisch eingestellter Musiker zumindest teilweise wiederzugeben scheint. (Leibowitz 20 Jahre später gehört zwar zur selben Richtung, aber sicher nicht so eng zum Adorno-Kreis, das er nicht ein eigenes Urteil fällen würde.) So ein Vorwurf wie der der mangelhaften Satztechnik ist ja keine reine Geschmackssache und wäre relativ leicht zu widerlegen. Adorno mag ein arroganter, einseitiger und polemischer A... sein, aber man kann kaum bestreiten, dass er sich ganz gut mit Musik auskannte. Ich erinnere mich an eine Diskussion vor mehr als 10 Jahren im Internet, bei der jemand mehr oder minder die Adorno-Linie der "tausend Löcher" vertreten hat und ein Diskussionspartner (MuWi und Musikredakteur) die Vorwürfe aus "technischer" Sicht weitgehend eingeräumt, aber eben anders bewertet hat. Nämlich, wenn ich recht erinnere, als einen originellen Ausweg aus den Dilemmata der Spätromantik, quasi eine weitere persönliche Option gegenüber Schönberg & Co einerseits und Stravinsky u. Neoklassizismus andererseits.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Adorno hatte (damals) eine ziemlich genaue Vorstellung davon, welcher Linie moderne Musik folgen sollte (selbst wenn nicht alles außerhalb der Schönberg-Schule derart polemisch abgekanzelt wurde).

    Wie gut, dass sich diese Vorstellung nicht durchgesetzt hat!


    Und warum du Adorno hier verteidigst, indem du seine Angriffe auf Sibelius zumindest relativierst, wenn nicht gar für begründet erklärst, erschließt sich mir ebenso wenig, wie dass dir seine Musik so viel weniger gibt als mir, aber die Geschmäcker sind verschieden und man muss ja auch nicht alles verstehen!
    Ich achte aber jeden Kompionisten, auch wenn er Musik schreibt, die mir nicht gefällt, weit mehr als Polemiker, die sich schriftstellerisch einen "Rang" und Aufmerksamkeit "erwerben", weil sie als Komponisten dazu nicht in der Lage waren...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Eben dies wird die Veranlassung für Adornos Polemik gewesen sein: in den angelsächsischen Ländern war es v.a. Sibelius und keineswegs Schönberg, der den Weg aus der Spätromantik wies - und gleichzeitig eine Möglichkeit, in dieser zu verharren. Das zweitklassige Epigonentum wird dabei seinen Anteil gehabt haben.


    Die "nordische" Herkunft begünstigte die Sibeliusrezeption bereits vor dem ersten Weltkrieg, sowohl in Deutschland wie auch in Grossbritannien.


    Ergänzend zu Beitrag 30 sei auch erwähnt, dass bereits die dt. Kritiker der wilhelminischen Epoche auf jene "formalen Schwächen" hinwiesen, die aus der Abkehr vom Sonatensatzschema herrührten. Gleichwohl billigten sie Sibelius einigen Kredit als Schöpfer einer neuen "nordgermanischen" Sinfonik zu - dabei die finnische Herkunft des Komponisten wacker ignorierend. Dem Publikumserfolg in Deutschland lagen solche Bedenken ohnehin kaum in Wege.


    Die oben zitierte Aussage Tawastjernas hat zweifellos bestand. Erst mit Ende des ersten Weltkrieg sank Sibelius Stern in Mitteleuropa - wie übrigens auch der vom eben erwähnten, zeitweise sehr beliebten Delius.

  • Sibelius ist als Komponist einerseits schon großartig, aber wieder auch sehr rätselhaft. Er lebte von 1865-1957, sein kompositorisches Schaffen beschränkt sich aber im Prinzip auf ganze 36 Jahre von 1890 bis 1926, dann noch einige unbedeutende Arbeiten, ab 1929 war endgültig Schluss. Warum? Ich habe dazu keine Antwort gefunden. Auf die Äußerungen von Adorno will ich nicht eingehen, weil es hier um den persönlichen Zugang zu Sibelius gehen soll. Auch andere bedeutende Komponisten ernteten zu ihren Lebzeiten nicht nur Zustimmung, sondern auch Ablehnung. Das schmälert ihre Leistung doch keineswegs. Ich habe zu Sibelius auch relativ spät Zugang gefunden, das erste Werk von ihm war seine dreisätzige 3. Sinfonie in der Aufnahme mit Ashkenazy. Sie ist einfach strukturiert und voller einprägsamer Themen in allen Sätzen. Generell hat für mich seine Musik schon etwas Unverwechselbares in der Melodik, so mit einer herben Schwermütigkeit. Ich habe hier nichts gegen den Begriff "nordisch", weil er die Melancholie in der Musik von Sibelius ausdrückt. Kein farbiges südländisches Kolorit, keine österreichisch-ungarische Walzerseligkeit, keine deutsche Geradlinigkeit. Ich favorisiere neben der von mir genannten 3. noch unbedingt die 2. Sinfonie mit ihren monumentalen Steigerungen und schönen Klangbildern, dann die hier mehrfach erwähnte 5. Sinfonie und auch die Vierte. Obwohl gerade dieses introvertierte Werk sich schwer erschließt mit seiner sparsamen Instrumentation. Vielleicht deuten sich hier die Probleme bereits an, die zum völligen schöpferischen Verstummen des Komponisten führten. Sein Violinkonzert ist eines meiner Lieblingskonzerte für dieses Instrument, auch hier unverkennbar die romantisch gefärbte nordich-herbe Mellancholie, so klingt kein anders Konzert. Für sein Land verdient gemacht hat sich Sibelius mit der Finlandia , quasi der Natiionalhymne Finnlands. In seiner Kürze eine unglaublich beeindruckende Tondichtung. Auch die Karelia-Suite ist einfach meisterhaft. Das sinfonische Werk von Sibelius habe ich in verschiedenen Einspielungen mit Ashkenazy, Karajan, Bernstein, Maazel und in einer Gesamtbox mit Kurt Sanderling. Für mich ist Sibelius ein herausragender finnischer Komponist mit einer sehr eigenen harmonischen Tonsprache und damit eine singuläre Erscheinung in der internationalen Musikkultur.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Die "Fünf Skizzen" op. 114 (Klavier solo) sowie die insgesamt sieben Charakterstücke für Violine und Klavier, gesammelt in op. 115 und op. 116, allesamt 1929 entstanden, sowie das Orgelstück "Surusoitto" (= Trauergeläut) op. 111B (1931) sind ein Kosmos für sich und alles andere als unbedeutend. - Nach 1926 war Sibelius nicht untätig. Aber er kam mit der VIII. Symphonie nicht zu Rande, wurde immer skrupulöser, hat das umfangreiche Material hierzu schließlich in den 1940er-Jahren verbrannt. Oben erwähnter Miniatur-Kosmos erhält uns wenigstens die Ahnung einer Ahnung von der VIII. Symphonie. Wobei das imaginäre "Trauern" hier der erfüllten Dankbarkeit weichen könnte: In den beiden Einsätzern VII. Symphonie und "Tapiola" ist eben (auf komplementäre Art!) alles gesagt, was er zur Großform zu sagen hatte. Dahinter zurück wollte er auch nicht mehr. Also beließ er es (innerlich zwangsläufig) bei "offiziellem" Schweigen...

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  • Denn für mich ist die Musik von Sibelius fast schon existenziell. Ein Leben ohne ihn kann ich mir gar nicht vorstellen.


    Schön gesagt, lieber Rheingold. So geht es mir auch. Einstiegsdroge war die Karajan-Aufnahme der Sinfonien 4 - 7, die auch Glenn Gould mal als eine seiner Lieblingsplatten bezeichnet hat. Was ich in jungen Jahren bei Sibelius erstmals zu finden meinte, war eine im Gegensatz zu Beethoven "überpersönliche" Musik. Eine, bei der nicht wie in der "Pastorale" die Empfindung des Menschen angesichts der Natur in Musik ausgedrückt ist, sondern sich quasi die Natur selbst, ohne den Menschen, in Töne fasst. Das fand ich faszinierend und finde es auch heute noch, auch wenn ich dieses Überpersönliche auch noch in anderen Kompositionen gefunden zu haben glaube. Dass Dur klingt als wäre es Moll, die musikalischen Eruptionen (oder, wie es hier im Thread heisst, "Orgasmen"), dass die Vierte so klingt, als würde man den Planeten Erde verlassen und auf einem Kometen landen - das sind Annäherungen daran, was Sibelius für mich faszinierend macht. Beschreiben kann ich es vollständig nicht. Wer war gleich Adorno?


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Wer war gleich Adorno?


    Ein passender Abschluss Deines Beitrages !


    Ein unbedeutender Miesmacher.
    Er war Komponist !?! Tolle bekannte Werke, die er hinterlassen hat. Die totalen Konzert-Reisser ....

    Gruß aus Bonn, Wolfgang


  • :hello:

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zurück zu Sibelius: Bis auf Alfreds frühe Interessenlosigkeit, die, wenn ich es richtig verstanden habe, sich inzwischen zum Interesse gewandelt hat, sind alle Musikfreunde mit den Werken des Finnen vertraut und lieben seine Musik.


    Ich löcke dann mal wider den Stachel und schreibe, dass ich zwar seine Zweite mit Finlandia und noch einigen anderen kleineren Sachen auf CD habe, dass ich aber mit dieser Musik nicht warm werden kann. Eine tiefgründige Erklärung vermag ich nicht anzugeben, nur, dass sie mich nicht anspricht. Ich habe also keinen Zugang zu Sibelius und vermisse insofern
    auch nichts.


    Sorry... :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Ich sage jetzt einmal einfach ganz frech: Sibelius passt nur für Leute, die einen eher gefühlsmäßigen Zugang zu Musik haben. Die Wissenschaftler, Techniker und Analysten finden wahrscheinlich einfach zu wenig bei ihm.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ich sage jetzt einmal einfach ganz frech: Sibelius passt nur für Leute, die einen eher gefühlsmäßigen Zugang zu Musik haben.

    Und ich dachte immer, Musik ist die "Sprache der Gefühle", die das sagt, was Worte nicht sagen können?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • dann lies mal ein wenig hier im Forum herum. Da wirst du aber staunen!

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • dann lies mal ein wenig hier im Forum herum. Da wirst du aber staunen!

    Also ich lese ja hier vieles, aber weiß Gott nicht alles, und an dieser meiner (durch jahrelange aktive und passive Beschäftigung mit Musik) gewachsenen Grundeinstellung würde sich dadurch auch gar nichts ändenr, denn Töne überzeugen immer mehr als Worte. :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Die Wissenschaftler, Techniker und Analysten finden wahrscheinlich einfach zu wenig bei ihm.


    Ich bin auch Techniker und Analyst in Bezug auf Klangtechnik, aber das trifft nicht zu, lieber Klaus.


    Lieber Lutgra, wir hatten zur gleichen Zeit das ähnliche Hörprogramm.
    Bei mir am Fr-Morgen auch -


    Eines der großen Werke des frühen 20. Jahrhunderts


    Jean Sibelius
    Symphonie Nr. 4


    aus dieser ausssergewöhnlich spannenden 1. GA mit Berglund.
    :angel: Die Sinfonie Nr.4 ist der Hammer an Ausdrucksstärke und Gefühl in dieser Bournemouth-Aufnahme:

    EMI, 1972-1978, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Wir sollten eigendlich bei Tamino mal einen Thread zu den Sinfonischen Dichtungen starten, denn diese sind nicht weniger interessante und wichtige Werke von Sibelius ... deshalb mache ich jetzt auch dort im neuen Thread weiter.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Heute erinnere ich an Jean Sibelius' Todestag, und ich tue dies mit der Gesamtaufnahme der Symphonien in der Einspielung von Kurt Sanderling, der gestern Geburtstag und vorgestern Todestag hatte:




    Heute ist der 58. Todestag von Jean Sibelius.



    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo!


    Heute Nacht schaute ich mir eine Aufnahme der 2ten Sinfonie von Sibelius unter Rattle mit den Berliner Philharmonikern an.
    Beeindruckend!


    Gruß WoKa


    PS: Ich könnte jetzt behaupten, dass ich es aus Anlass seines Todestages angeschaut habe - allerdings war mir der nicht bekannt.

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

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