Darf klassische Musik populär sein ?

  • Wer hat behauptet, "Mozart sei seicht"? Wer meine Beiträge im Forum kennt, weiß, dass ich hier normalerweise vehement Widerspruch einlegen würde (Adorno sicherlich auch). Es braucht allerdings schon einige Volten, um darauf nicht mit Widerspruch gegen diese Behauptung zu reagieren, sondern mit einem erstmal unzusammenhängenden Vorwurf, es würde (zulasten Mozarts?!) unpopuläre, "hässliche" Musik propagiert. Dieser Verschiebung galt meine Kritik weiter oben.


    (Thomas)
    "für viele Geister eben en vogue ist, nur allerhöchststehende Kompositionen, deren Gipfel angeblich im 20. Jhrd zu verorten ist, als "wahre" Klassische Musik gelten zu lassen. Auch hier im Forum stolpert man ja zuweilen drüber. Und das halte ich halt für Quatsch."


    Das halte ich natürlich auch für Quatsch! Allerdings auch weitgehend für einen Strohmann... Wer sagt denn tatsächlich so etwas? Zwar findet man für fast jede Ansicht irgendeinen prominenten Vertreter (ggf. muss man halt was aus dem Zusammenhang reißen...) und man muss bei Urteilen von Künstlern über andere immer vorsichtig sein, aber mir fällt niemand ein, der behauptet, 1) nur "höchststehende Kompositionen" seien wahre klassische Musik und 2) deren Gipfel sei im 20. Jhd. zu verorten. Man wird jedenfalls bei Adorno, Schönberg usw. kaum derartiges finden. (Und wer ernst nimmt, was irgendein Anonymus im Internet behauptet, ist selbst schuld.)


    Meinem Eindruck nach ist für Adorno der "ideale Komponist" (wobei er sicher solche Begriffe ablehnen würde, aber eben jemand bei dem "Materialstand", historisch-gesellschaftliches Bewusstsein usw. vorbildlich reflektiert werden) wohl am ehesten Beethoven. Aufgrund solcher einseitiger, aber dezidiert vertretener Positionen zur Entwicklung der Musikgeschichte und zum Verhältnis von Musik und Gesellschaft, werden sicher manche Komponisten von solchen Kommentatoren tendenziell unfair behandelt (zB Sibelius, aber vielleicht auch Händel, Telemann, Rossini u.a.).


    In jedem Falle greift man aber einen Strohmann an, wenn man unterstellt, Vertreter der Moderne wollten die ältere klassische Musik "verdrängen". Ich halte das für vollkommen abwegig. Hierfür würde mich mal ein Beispiel interessieren. Dann kann man sich damit auseinandersetzen. Pauschalisierungen, Strohmänner, unterstellte Positionen, vage Vorwürfe, die sich nicht dingfest machen lassen, finde ich eher unproduktiv
    Polemisiert wurde ja gegen zB Sibelius, nicht gegen Brahms, Schubert oder Mozart, und dies fast immer aus einer Position heraus, in der die angegriffene Musik (zB Stravinsky oder Sibelius) weitaus dominanter/erfolgreicher war als die von Adorno oder Leibowitz verteidigte Wiener Schule. Aber man wird für Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Wagner, Brahms, Mahler ziemlich sicher bei den "Modernisten" größten Respekt finden.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Klassische Musik MUSS populär sein, damit sie weiterhin existieren kann. Und ich meine auch, sie sollte populär sein. Und dahin gibt es zwei Wege: die Musik muss gängiger sein, oder der Massengeschmack muss geschärft werden. Aber ein Sichabfinden damit, dass klassische Musik nur etwas für ein paar Geistesheroen ist, heißt doch wohl die Totenglocken zu läuten.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Das halte ich natürlich auch für Quatsch! Allerdings auch weitgehend für einen Strohmann... Wer sagt denn tatsächlich so etwas? Zwar findet man für fast jede Ansicht irgendeinen prominenten Vertreter (ggf. muss man halt was aus dem Zusammenhang reißen...) und man muss bei Urteilen von Künstlern über andere immer vorsichtig sein, aber mir fällt niemand ein, der behauptet, 1) nur "höchststehende Kompositionen" seien wahre klassische Musik und 2) deren Gipfel sei im 20. Jhd. zu verorten. Man wird jedenfalls bei Adorno, Schönberg usw. kaum derartiges finden. (Und wer ernst nimmt, was irgendein Anonymus im Internet behauptet, ist selbst schuld.)


    Bei Schönberg z.B. ist ganz klar, daß er mit seiner Musiktheorie und seinen Werken die von ihm aufs höchste verehrten "Heroen" der näheren oder ferneren Vergangenheit nicht etwa verdrängen wollte; vielmehr kämpfte er um die Anerkennung seiner Kompositionsweise und der Kompositionen seiner Schule (wenn man Berg und v. Webern überhaupt hierunter subsummieren will!), postulierte also allenfalls "Gleichwertigkeit" mit ersteren.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Hallo,


    sie kann, darf, soll, muss populär sein – sie kann, darf, soll, muss aber auch unpopulär sein.
    Und zwischen diesen beiden Extremen gibt es so viele Spielarten, wie es Menschen mit unterschiedlichen Fingerabdrücken gibt - weil es eben nur auf die Hörer/innen ankommt.


    Viele Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz: Ich bewundere Alfreds Geschick, alte Threads zu aktvieren bzw. neue Threads zu installieren, die m. E. nur den einen Zweck haben, in der Folge möglichst viele Beiträge zu erzeugen – weil sie so herrlich undefiniert sind.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Klassische Musik MUSS populär sein, damit sie weiterhin existieren kann. Und ich meine auch, sie sollte populär sein. Und dahin gibt es zwei Wege: die Musik muss gängiger sein, oder der Massengeschmack muss geschärft werden. Aber ein Sichabfinden damit, dass klassische Musik nur etwas für ein paar Geistesheroen ist, heißt doch wohl die Totenglocken zu läuten.


    Lieber Klaus 2,


    Besser kann man dies kaum ausdrücken. Deshalb ausdrückliche Zustimmung und nachdrückliche Unterstreichung.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Möglicherweise weiche ich ab, aber muss meinen Ärger loswerden. Klassische Musik soll vor allem langweilig sein. "Soll" - das Klischee verlangt es. "Soll" auch im Sinne von "ich weiß das - vom Hörensagen".
    Da schaue ich vorletzte Woche Bundesliga (Aktuelles Sportstudio) - und der Sprecher kündigt die Taktiken der Mannschaften in etwa so an: "(Langweiliger) Abwehr- gegen Angiffs und Hurrafussball - in gewissem Sine Klassik gegen Rockmusik". :cursing:

  • Darf klassische Musik populär sein? Ich musste zunächst nachschauen, wie das Adjektiv benutzt werden kann. Wenn ich die Liste und ihre 13 Bedeutungen durchlese, treffen sie auf manche Werke der klassischen Musik zu.


    Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Ja, sie darf populär sein - und ich füge noch hinzu, sie darf auch zum Widerspruch herausfordern und zu den gewohnten Hörerwartungen im Gegensatz stehen. Eines darf sie wohl nicht sein: langweilig.


    Am 28. Dezember 1782 schrieb Mozart seinem Vater über die neu entstandenen Klavier-Konzerte: "Die Concerten sind eben das Mittelding zwischen zu schwer und zu leicht. Sie sind sehr brillant - angenehm in die Ohren - natürlich ohne in das Leere zu fallen. Hie und da können auch Kenner allein Satisfaction erhalten - doch so - dass die Nichtkenner damit zufrieden sagen müssen, ohne zu wissen warum."


    populär


    1 Bedeutung: beliebt
    beim Volk beliebt, bekannt, berühmt, gefeiert, namhaft, volkstümlich, volksverbunden, angebetet, angesehen, begehrt, en vogue, erwünscht, geachtet, genehm
    2 Bedeutung: allgemein verständlich
    eingängig, fassbar, fasslich, verstehbar, verständlich
    3 Bedeutung: gemeinverständlich
    volkstümlich
    4 Bedeutung: volkstümlich
    volksverbunden
    5 Bedeutung: angenehm
    angesehen, begehrt, bekannt, besucht, bevorzugt, eingeführt, frequentiert, gängig, geachtet, gefeiert, gefragt, geschätzt, gesucht, liebenswert, beliebt
    6 Bedeutung: berühmt
    einen Namen habend, prominent, anerkannt
    7 Bedeutung: geliebt
    lieb, teuer, vergöttert
    8 Bedeutung: prominent
    angesehen, bedeutend, anerkannt, bekannt, beliebt, geachtet, gefeiert, geschätzt, groß, hochgeschätzt, in aller Munde, jedermann geläufig, namhaft, renommiert, berühmt
    9 Bedeutung: genehm
    angenehm, geeignet, gelegen, gern gesehen, günstig, passend, beliebt, erfreulich, erwünscht, geladen, gut, lieb, wohlig, wohl tuend, willkommen
    10 Bedeutung: verständlich
    artikuliert, deutlich, fassbar, klar, wohlartikuliert, überschaubar, übersichtlich, verstehbar
    11 Bedeutung: angesehen
    anerkannt, bedeutend, bekannt, berühmt, prominent, hoch geschätzt, gefeiert, geschätzt, groß, stadtbekannt, namhaft
    12 Bedeutung: willkommen
    angesehen, begehrt, beliebt, erwünscht, geschätzt, gern gesehen, umschwärmt, angenehm, gebeten, geladen, gelegen, lieb, erbeten
    13 Bedeutung: beeindruckend
    bekannt, mächtig, prominent, anerkannt, angesehen, beachtlich, bedeutend, bedeutsam, bedeutungsvoll, berühmt, bewundernswert, bewunderungswürdig, ersten Ranges, groß

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ja - Klassik sollte "populär" sein - im Sinne von "begehrt" - ähnlich wie Geld - welches ja auch nicht wirklich vom Status des Begehrenden (wohl aber des Besitzenden) abhängt.
    Dabei ist es interessant, daß zahlreiche Werke der Klassik und der Romantik, sowie einige des Barock diese Ansprüche durchaus erfüllen. Niemand der beispielsweise Schuberts Forellenquintett oder Mozarts Krönungskonzert (die Liste kann beliebig fortgesetzt werden) hört, muß wirklich etwas von der Struktur der Werke zu verstehen, um sie geniessen zu können.
    Das "Erarbeiten" von Werken ist im Großen und Ganzen eher eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, wo teilweise ungenießbare Werke dem Publikum so lange vorgekaut werden, bis es als genießbar anerkannt wird. Gute Musik muß IMO nicht wirklich erklärt werden - Was der Komponist sich dabei gedacht hat interessiert den Großteil des Publikums nicht - es will "geniessen" - in "Klängen schwelgen" Der Schlager hat die eingängigen Themen quasi "anaktiert" - sie werden von vielen als "minderwertig und seicht" abgetan. Wobei gesagt werden muß, daß gerade Mozart und seine Zeitgenossen zahlreiche "Ohrwurmthemen" geschrieben haben - etwas das in unserer Zeit in der sogenannten Klassik eher verpönt ist.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das "Erarbeiten" von Werken ist im Großen und Ganzen eher eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, wo teilweise ungenießbare Werke dem Publikum so lange vorgekaut werden, bis es als genießbar anerkannt wird.


    Als jemand der überwiegend Musik des 20. Jahrhunderts hört, muss ich dem hier natürlich vehement widersprechen. Und Du tust es letztlich auch, da Du Dich regelmäßig auch aus freien Stücken mit Werken des 20. Jahrhunderts beschäftigst. Natürlich gibt es Ungeniessbares, aber es gibt auch unglaublich viel Interessantes und Neues zu entdecken und ich finde das viel spannender als bisher angeblich ungehörten Nuancen in der 167. Interpretation eines Publikumsrenners nachzulauschen.

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  • Niemand der beispielsweise Schuberts Forellenquintett oder Mozarts Krönungskonzert (die Liste kann beliebig fortgesetzt werden) hört, muß wirklich etwas von der Struktur der Werke zu verstehen, um sie geniessen zu können.

    Stimmt! Jedoch gestatte ich mir, hinzuzufügen, dass dies was mich betrifft, ebenso für Werke von Komponisten wie Schreker, Strauss oder Korngold gilt.
    Was das "Erarbeiten" angeht, darf ich daran erinnern, dass es auf dem Gebiet der Literatur schon immer ein Ziel des deutschen Bildungsmonopols war,
    wehrlosen Oberschülern den Geschmack auf Shakespeare oder Goethe durch exzessives Analysieren zu vermiesen.
    Wie es dagegen im Musikunterricht zuging, weiß ich leider nicht, weil ich da immer gefehlt habe.


  • Als jemand der überwiegend Musik des 20. Jahrhunderts hört, muss ich dem hier natürlich vehement widersprechen. Und Du tust es letztlich auch, da Du Dich regelmäßig auch aus freien Stücken mit Werken des 20. Jahrhunderts beschäftigst. Natürlich gibt es Ungeniessbares, aber es gibt auch unglaublich viel Interessantes und Neues zu entdecken und ich finde das viel spannender als bisher angeblich ungehörten Nuancen in der 167. Interpretation eines Publikumsrenners nachzulauschen.


    Es sind halt alles recht vage Begrifflichkeiten und es ist ebenso halt alles auch eine Frage der Offenheit, bisweilen des Geschmacks. Ich habe keine Probleme mit dem Erfassen von Messiaen, Bernd Alois Zimmermann oder Henri Dutilleux. Ich muss mir diese Werke nicht "erarbeiten", aber ich habe doch immer wieder Lust dazu. Und ich bin jetzt, da ich mir endlich einmal die Gesamtheit der Sinfonien von Haydn durch Lektüre und etwas aufmerksameres Hören "erarbeite", nicht wenig erstaunt über die neuen Erkenntnisse, die ich gewinne, obwohl ich mich eigentlich für einen sehr erfahrenen Laienhörer halte. Ungenießbar? Sollte eigentlich gar nichts sein. Nicht a priori. Das Recht, mich von einem Lachenmann (oder einer Regiekonzeption ... :untertauch: ) zu distanzieren (bisweilen wütend zu distanzieren - nicht von Lachenmann, das nicht mehr 8-) ), möchte ich mir selbstverständlich vorbehalten - aber eben nicht a priori. :P:)


    Und sehr recht - aus meiner Sicht - hat lutgra mit seinen Worten zur Nummer 167.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!


  • Was das "Erarbeiten" angeht, darf ich daran erinnern, dass es auf dem Gebiet der Literatur schon immer ein Ziel des deutschen Bildungsmonopols war, wehrlosen Oberschülern den Geschmack auf Shakespeare oder Goethe durch exzessives Analysieren zu vermiesen.


    Wie es dagegen im Musikunterricht zuging, weiß ich leider nicht, weil ich da immer gefehlt habe.


    Wie Recht Du hast. Und der Musikunterricht war nicht viel besser.


    Daß aber nicht alle einen bleibenden Schaden davongetragen haben, sieht man am besten an Dir selbst, da auch das Totanalysieren von Goethe und Genossen Deinen Sprachqualitäten keinen Dämpfer haben aufsetzen können.

  • Lieber Herr Müller,


    mit Dir sind es schon ganze Zwei, die dämpferlos ins Horn der hohen Dichtkunst blasen. Nimmt der Zulauf weiterhin solche Formen an, fürchte ich allerdings um den guten Klang des Forums.


    Nichtsdestotrotz vermissen wir Dich schmerzlich bei Freund Seicento. Besonders Dein kontroversielles Lehrstück über die Herkunft des Wassers (totaler Blödsinn!)
    ringt mir trotz der disaströsen Deutung der wissenschaftlichen Forschung einen Hauch von Heiterkeit ab, wobei ich zugeben muss, dass das Wort "abringen" dabei völlig in die falsche Richtung weist, denn um die Wahrheit zu sagen, ersticke ich beinahe immer vor Lachen.


    Dann also bis bald!

  • Übrigens nicht zu vergessen, dass Popularität ja immer auch Modegeschmack meint, was einst populär war, erscheint heute vielleicht unerträglich. Insofern tragen Beispiele hier nicht sehr weit.
    Ich könnte mir also gut vorstellen, dass sich Parallelen entwickeln, d.h. eine neue Pop-Musik entsteht und die ist dann vielleicht ein wenig ähnlich zu klassischen Tendenzen und machen diese dann wieder populär.
    Als Beispiel könnte man evtl. nennen: Gangster´s paradise, wo mit klassischen Elementen gespielt wird oder den Film "ein Schweinchen namens Babe" wo der Bauer eine Melodie aus der Orgelsynfonie singt. Filmmusik ist oft in der Art der Klassik komponiert und wird häufig von Orchestern eingespielt.
    Was ich versuche auszudrücken: Popularität ist kein fester Begriff.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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