Bitte nicht ersdchrecken, liebe Forianer,
das bedeutet nicht, dass ich mich als allwissendes Orakel aufspielen will. Vielmehr soll es eine Anregung sein, bei Themen, wo sich jemand unsicher fühlt, sich an jemanden zu wenden, der etwas mehr dazu sagen kann. Das erleichtert dann zunehmend die Verständigung.
Ich beginne mit einem Beispiel: Beim Quer-Beet-Lesen stieß ich auf den Thread "Wer war der beste Sachs?" Neben vielen kundigen Meinungen tauchte auch die auf, dass Hermann Prey auch ein guter Sachs hätte werden können. Das schien mir etwas weit hergeholt. Ich kenne von Prey die Aufnahmen von Flieder- und Wahnmonolog auf einer gemischten Wagner-Platte. Dazu kann ich sagen: Er singt das sehr schön, aber wenig "schusterpoetisch". Ein typischer lyrischer Bariton macht einen Ausflug in die Nürnberger Altstadt. Er erreicht alle Töne, weil der Umfang der Monologe weder viel Höhe noch viel Tiefe verlangt. Aber es fehlt das Knorrige, das Nachdenkliche, auch das Mürrische in der Meditation. Warum?
Der Stimme fehlen die entsprechenden Farben: das Herbe, auch das Derbe, das Polternde ("Mit Hieben, Stoß und Dreschen..."). Wie hätte er die Ansprachen der Festwiese singen sollen? Da geht´s richtig zur Sache. Das braucht eine Stimme, die mehr Kern und mehr Reserven hat. Seine war dafür zu weich, zu sämig. Kurzum, es war wohl gut, dass er beim Wolfram gelieben ist.
Da fällt mir auch noch eine Aufnahme ein, wo er in der "Martha" den Plumkett singt. Diese Partie ist für einen echten Bass geschrieben, der das Porterlied "von unten" stemmt und trotzdem ein sicheres hohes F platziert. Beim lyrischen Bariton von Prey klingt das etwas nach Sahnehäubchen statt nach Starkbier.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich habe Verständnis dafür, dass ein Sänger auch mal "fremd gehen" will - und zeigen will: Das kann ich auch! Aber nur selten treffen solche Ausflüge ins Schwarze.
Eine rühmliche Ausnahme bei Prey: sein Bayreuther Beckmesser. Zwar ungewohnt, aber überzeugend. Diese Leistung zeugt von künstlerischer Potenz.
Ähnliche Betrachtungen ließen sich bei vielen Sängern anstellen. Aber ich will weder dozieren noch monologisieren, sondern mich über Problematisches austauschen, und dazu gehören jeweils mindestens zwei - meint, mit herzlichen Grüßen, Sixtus
Frag nach bei Sixtus!
-
-
Lieber Sixtus,
eine im Ansatz schöne Idee, sich über Problematisches bei Sängern auszutauschen. Zuerst musste ich allerdings zweimal hinschauen und fragte mich, ob ich noch vernebelt von den tollen Tagen bin.Dann wurde ich allerdings sicher, dass der Titel: "Frag nach bei Sixtus" heißen sollte. Also kleine Korrektur erforderlich. Nun schlägt wieder mein grenzenloser, relativ kritikloser Optimismus durch. Warum soll nur nach dem Problematischen gefragt werden. Wäre es nicht ein ganzheitlicher Ansatz und eine fairere Betrachtung, wenn nicht nur nach den Defiziten sondern auch nach den besonderen Stärken des jeweiligen Sängers gefragt würde? Da würde mir bei Herrmann Prey schon einiges einfallen. Eine wunderschöne Stimme, ein samtig-warmes Timbre, ausgezeichnete Technik, hervorragende Artikulation und dadurch ausgezeichnete Wortverständlichkeit. Ausserdem war Prey ein sängerischer Charmeur und beherrschte die Kunst der sängerischen Verführung wie kaum ein anderer in seiner Zeit. Das brachte ihm die außergewöhnlich hohe Popularität. Das hörbare Werben um die Gunst des Publikums wurde ihm teilweise sogar negativ angekreidet. Jürgen Kesting schreibt in seinem Werk "Die großen Sänger" - "Jede Arie wird bei Herrmann Prey zu einem Verkaufsgespräch". Aber er schuf auch unvergessliche Charaktere; sein Bayreuther Beckmesser wurde bereits genannt. Für mich war eine seiner größten Leistungen in der"Schönen Müllerin". Prey ist Inkarnation des jungen Müllerburschen! Auch sein Valentin in "Margarethe" in der Fernsehaufzeichnung mit Geszty und Frick ist besonders im "Gebet des Valentin" zum Niederknien schön.
Lieber Sixtus, kannst Du Deinen gestarteten Thread erweitern, so dass man Sixtus auch nach den Stärken des jeweiligen Künstlers fragen kann. Würde aus meiner Sicht Deinen Ansatz vollkommender machenHerzlichst
Operus -
Lieber Operus,
mein Startbeitrag beschäftigte sich mit einem Beispiel, im konkreten Fall mit der Frage, ob der Sänger auch diese Partie, die außerhalb seines Fachs lag, hätte singen können. Damit ist weder seine schöne Stimme infrage gestellt noch seine Gestaltungskraft, und schon gar nicht seine Bedeutung als Liedersänger. Es steht jedem frei, seine Verdienste zu würdigen. Aber hier stand die Grenzüberschreitung im Fokus, nicht ein Sängerportrait.
Doch dir zu Ehren wende ich die Sache ins Positive und bescheinige ihm gern ein breites Repertoire von Opernpartien von Papageno und beiden Figaros über Lortzings Adelsfiguren bis zu Wagners Wolfram (und, wie gesagt, Beckmesser) - allesamt hochkarätige Rollenportraits. Bei Verdi wurde es allerdings eng...
Jetzt bin ich aber gespannt auf Anfragen, Thesen und Zweifelsfälle. Und zwischendurch dürfen auch mal die Fetzen fliegen, solange es nicht in Bosheit ausartet.
Wer wirft einen dicken Brocken in den Ring, auf dass wir ihn genießen?
Darauf freut sich, mit herzlichen Grüßen, Sixtus -
Ich fürchte, der Andrang zu diesem Thread hält sich fürs Erste in Grenzen. Deshalb werfe ich, aus aktuellem Anlass, erst mal selber noch einen Brocken in den Ring.
Morgen Abend wird es bei mir vor der Stereoanlage eng: Mehrere Rundfunksender übertragen ab 19 Uhr live aus der MET den Parsifal. Durchweg prominent besetzt mit Pape, Herlitzius, Mattei - und KFVogt, der es jetzt sogar an die MET geschafft hat.
Parallel dazu bringt ein Sender ab 20 Uhr Verdis Ballo in maschera aus Barcelona, auch in prominenter Besetzung, angeführt von Beczala.
Ich habe mich dazu durchgerungen, mit Parsifal anzufangen, dann Herrn Pape zu verabschieden zugunsten von Beczala - und mich nach dessen Ableben wieder Pape und Vogt zuzuwenden. Das bedeutet, dass ich von Parsifal die erste Gralsszene, den ganzen 2.Akt und den Beginn des 3.Akts entbehren muss.
Falls jetzt jemand etwas Ähnliches vorhat, aber andere Prioritäten setzt, könnte man sich hier am Sonntag darüber austauschen (unter Berücksichtigung des hiesigen Schwerpunkts der fachgerechten Besetzung). Mich interessiert dabei vor allem, in wieviel Prozent des 2.Akts Vogt zu hören war. Im Gegenzug berichte ich hoffentlich von einem glutvollen Liebesduett, einem epochalen Renato und einem tränenreichen tenoralen Finale.
Für heute und morgen schlage ich vor, detaillierte Informationen und Einschätzungen auszutauschen über die beiden Vorstellungen. Das heißt aber nicht, dass andere dringliche Beiträge unerwünscht wären, z.B. Fragen zu den beiden Opern und ihrem Personal - samt Stimmfächer. Dazu ermuntert, mit herzlichen Grüßen, Sixtus -
Lieber Sixtus, ich werde die Übertragungen wegen anderer Termine nicht hören können. Bei Klaus-Florian Vogt braucht man das auch nicht zu hören.Er ist bereits beim Lohengrin an der Grenze seines Fachs angekommen. Da er jedoch ein kluger Sänger ist, kommt er über Klippen hinweg. Dazu sieht er blendend aus, ist ein netter Mensch, der den Zeitgeist bedient. Das was fehlt kaschieren die Vermarktungsstrategen der Agenturen und Medien. Also geht doch?Auch René Kollo und Siegfried Jerusalem waren Sänger, die an oder über die Grenzen des Fachs gesungen haben, durch sängerische Intelligenz jedoch oft großartige Leistungen gebracht haben. Bei allen diesen Beurteilungen darf man die wahren Heldentenöre a la Suthaus, Treptow, Beirer, Hopf, Esser nicht im Ohr haben, sonst kommt man rasch zum Ergebnis, dass heute stimmliche Leichtgewichte gefragt sind, übrigens auch bei den Bässen. Wo gibt es Kaliber, wie wir sie vor nicht allzu langer Zeit noch zahlreich hatten, wie Greindl, Böhme Frick, Vogel, Kohn, Rohr, Salminen und Moll. Der letzte der Mohikaner ist Kurt Rydl. Wir müssen heute mit wohlschmeckenden, gesunden Light-Versionen zufrieden sein, aber das "Fett" ist der Geschmacksträger.
Herzlichst
Operus -
Danke, lieber Operus, für deinen Beitrag, dem ich nur zustimmen kann.
Ich hoffe, dass noch sonst jemand diese Rundfunkübertragung verfolgt, so dass sich ein Austausch ergibt. Immerhin sind ja auch noch Herlitzius, Mattei und Pape mit von der Partie, also verspricht es von der Besetzung her eine gute Aufführung zu werden.
Aber ich möchte mir auch den Maskenball aus Barcelona nicht entgehen lassen, der auch einiges verspricht. Nach dem Wiener Don José, den ich von ihm gehört habe, bin ich auf Beczala gespannt, der jetzt in der ersten Reihe angekommen ist. Und die Spanier haben sicher einige gute Partner für ihn zu bieten.
Ich freue mich drauf und werde davon berichten - notfalls allein.
Herzliche Grüße von Sixtus -
Wie sagt Elektra: Nun denn, allein!
Ich habe also gestern Abend am Radio einen zweiteiligen Torso des Parsifal gehört - genauer: den 1.Akt bis zum Ende der Gurnemanz-Erzählung, und später noch den ganzen 3.Akt.
Mein Eindruck:
Der Dirigent Yannick NÉZET-SÉGUIN zeigt viel Verständnis für den gegenüber dem Tristan reduzierten orchestralen Rausch und die Verinnerlichung des Klangs. Das kam auch den Sängern zugute, die keine Mühe hatten, sich zu behaupten. So konnte sich René PAPE als Gurnemanz prächtig entfalten und seinen Edelbass in den Dienst des Grales stellen. Seine lange Erzählung im 1.Akt war ein ebenso kulinarisches wie spirituelles Erlebnis. (Das muss sich ja nicht gegenseitig ausschließen.) Amfortas Peter MATTEI begann mit seiner "Waldesmorgenpracht" mit entsprechend balsamisch belcanteskem Bariton vielversprechend. Bei der Kundry von Evelyn HERLITZIUS bedauerte ich, dass ich den 2.Akt nicht eingeplant hatte. Sie war eine glaubhafte wilde Dienerin.
3.Akt: Der Orchesterklang wurde noch suggestiver, dem Karfreitagsanlass würdig, mit verhaltenem Pathos. Die Szene gehörte nun ganz dem Gurnemanz, dessen Einwürfe zum Niederknien schön und ganz auf Linie gesungen wurden. In der Schlussszene konnte sich Mattei dann voll entfalten und stellte ein bewegendes Portrait des leidenden Amfortas auf die Bühne.
Und KV VOGT? Ich kann nur seinen 3.Akt beschreiben, und der liegt ihm sicher besser als der zweite. Vogts Strategie scheint es zu sein, seinen schmalen, aber klangvollen Tenor gleichsam im Volksliedton einzusetzen, d.h. unbekümmert auf jede Klangentfaltung zu verzichten und das Kopfregister konsequent durchzuhalten. Dadurch erzielt er einen epischen Erzählton, der zuweilen interessant klingt. Bei orchestralem Crescendo wird die Stimme aber zugedeckt. So gelingt es ihm, die Partie durchzustehen. Dabei merkt man allerdings, dass es doch kein Verlust war, den 2.Akt versäumt zu haben.
Mit herzlichen Grüßen und in der Hoffnung auf die Eindrücke anderer - Sixtus -
Mit herzlichen Grüßen und in der Hoffnung auf die Eindrücke anderer - Sixtus
Vielleicht war ich nicht wirklich in der Laune, Oper im Radio zu hören oder nicht in Stimmung für einen Parsifal. Geschafft habe ich den 2ten & 3ten Aufzug mit jeweils kurzen unterbrechen und mein Eindruck war, dass mir die Aufführung im Wesentlichen uninspiriert vorkam. Man könnte auch sagen, es hat mich nicht berührt. Am besten sicherlich noch Pape, sehr wohlklingend und textverständlich, aber sonst ... *schulterzuck*
-
Danke, Michael, für deinen Beitrag von Akt 2 und 3 des Parsifall.
Wir können unsere Eindrücke kaum vergleichen, weil ich die Akte 1 und 3 gehört habe. Aber ich kann mir vorstellen, dass ich nach dem 2.Akt die Geduld verloren hätte, denn dafür hat KF Vogt nicht die Statur, und Herlitzius ist auch schon über ihren Zenit hinaus. Doch ich habe mich im 3.Akt bewusst an Pape, Mattei und den Dirigenten gehalten: gesunde große Stimmen mit solider Technik, ganz auf Legatogesang fokussiert, das ist schon viel für diese schweren Partien. Und wenn Amfortas einmal nicht "FeHe" singt statt "Wehe", kann man auch froh sein.
Der Dirigent wird übrigens nach dem Rauswurf von Levine neuer GMD der Met, und ich meine, wir werden noch manches Gute von ihm hören. Mir haben seine zügigen Tempi und der der lichte Opchesterklang gut gefallen.
Herzliche Grüße von Sixtus -
Anlass dieser Themenstellung ist der oft wiederholte, aktuell bei der Neuproduktion der Berliner "Salome" entstandene endlose Schlagabtausch zwischen den Anhängern und Gegnern des Regietheaters. Dieser Kampf führt zu nichts außer zu Verhärtungen und Feindseligkeiten. Warum?
Die Anhänger der beiden Gruppen gehen bei ihren Beiträgen von Voraussetzungen aus, die miteinander unvereinbar sind. Es besteht kein Einvernehmen darüber, was bei einer Oper zum Werk gehört - und was Interpretation ist, ebenso darüber, was an Interpretation zulässig ist, wie weit sie ins Werk eingreifen darf, wo die Grenzen verlaufen usw.
Bevor ein Minimalkonsens über die Terminologie und die Definitionen erreicht ist, kann es aber keine echte sachliche Diskussion geben, weil man immer aneinander vorbeiredet. Das Ergebnis ist dann regelmäßig eine weitere Verhärtung der Fronten. Deshalb halte ich es für unerlässlich, sich auf einheitliche Definitionen zu verständigen. Sie sind die Maßeinheiten, die erst fruchtbare Auseinandersetzungen ermöglichen. Erst wenn darüber ein Minimum an Verständigung erreicht ist, sollte die Debatte fortgesetzt werden.
Ich schlage deshalb vor, in einem ersten Schritt darüber zu diskutieren, was bei einer Oper zum Werk selbst gehört - und wo die Interpretation beginnt. Dabei sollte nicht unterschlagen werden, dass es Fälle gibt, wo die Grenzen fließend sind zwischen dem, was verhandelbar ist - und was nicht (und warum). In den Fällen, wo keine Verständigung möglich ist, bleibt dann nur die Resignation, dass dieser Punkt nicht weiter diskutiert werden kann. Man sollte nicht so tun, als könne man diese Diskrepanzen als Lapalien vernachlässigen.
Zuletzt las ich die These, Oper sei Theater und erst fertig, wenn das Stück auf der Bühne gespielt wird. Nach der Aufführung sei es nicht mehr vorhanden und werde erst mit der nächsten Aufführung wieder geschaffen. Das ist in der Tat nicht zu leugnen - es übersieht aber, dass das Stück erst einmal geschrieben und veröffentlicht wurde. Dieses Produkt, die Partitur, sollte also nicht übersehen werden. Für Musiker (Dirigent, Orchester, Sänger) ist es das Werk schlechthin - und die Grundlage ihrer beruflichen Arbeit. Diese Arbeit ist nicht nur im Theater zu besichtigen, sondern auch im Plattengeschäft, als Film (DVD) usw. Spätestens seit der Erfindung der Ton- und Bildaufzeichnungen sind auch die Live-Mitschnitte und auch die Studioaufnahmen - neben den Bühnenaufführungen - Formen des künstlerischen Produkts.Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass für die Autoren das Werk zwar als Endprodukt eine Bühnenaufführung ist, aber auf der Grundlage von Text und Musik: der PARTITUR. Ich nenne sie deshalb den KERN DES WERKES; denn ohne sie gäbe es dieses nicht. Über diesen Kern legt sich, bildlich gesprochen, als zweite Schicht die gespielte Musik und der gesungene Text, und erst dann kann das Ganze, in einem dritten Vorgang, auf einer Bühne aufgeführt werden (Darstellung, Regie).
Die aufgeführte Oper ist also ein anzustrebendes Endprodukt. Doch das schließt nicht aus, dass auch, gewissermaßen unterwegs, ansehnliche Zwischenprodukte zustande kommen, die sogar nennenswerte Rezipienten (und Käufer!) finden.Mein Fazit: Die zweite und dritte Schicht sind der Interpretation unterworfen und deshalb verhandelbar. Nicht aber der Kern, den die Autoren geschaffen, veröffentlicht und zur Interpretation freigegeben haben.
Ich leugne nicht, dass diese Auffassung dem Regietheater enge Grenzen setzt (über die im Einzelnen noch zu sprechen sein wird). Aber sie ist keineswegs in enger Buchstabengläubigkeit befangen und lässt Spielräume zu, die von Fall zu Fall auszuhandeln wären.
Ich denke, dass an dieser Stelle eine Diskussion eröffnet werden kann, die diesen Namen verdient.
In diesem Sinne: Herzliche Grüße von Sixtus -
Hallo
die Partitur ist der Versuch, ein akustisches Ereignis außerakustisch festzuhalten, niederzuschreiben. Dazu dienen die Noten incl. des Notensystems, welche die Lage der Töne im physikalischen Tonumfang, deren zeitliche Dauer und die/ihre Reihenfolge festlegen. Das bedeutet, dass Veränderungen dieser Parameter das in der Partitur niedergeschriebene Werk in unzulässiger Weise verändern, weil der Komponist des Musikwerkes diese Andersartigkeit ja hätte niederschreiben können - und alle weiteren Angaben in der Partitur unterliegen bereits der Interpretation (Dynamik, Ausführung des Tones, Verbindung der Töne, Aussagewert der Töne insgesamt, Stellung der Töne zu außermusikalischen Werkbestandteilen etc.).Diese Kurzdefinition gilt für alle Arten von Musik.
Bei Beachtung dieser Definition sind Meinungsdifferenzen/Streitigkeiten ausgeschlossen, allerdings um den Preis einer äußerst umfangreichen, schwierigen schriftlichen Vermittlung der gewünschten/zu tätigenden Aussage.
Viele Grüße
zweiterbassNachsatz: „Keine Garantie für Fehlerfreiheit der Kurzdefinition.“
-
Hallo Zweiterbass!
Danke für deine Kurzdefinition der Partitur. Sie scheint mir aus einer lexikalischen Quelle zu stammen. Diese Angaben sind sehr präzise, aber auch sehr abstrakt. Ich musste den Text zweimal lesen, um ihn auf eine für unseren Zweck praktikable Fassung zu bringen.
Es geht ja hier um die Grenzen bei der Anwenduung, also um die Frage: Was ist von der Sache her zwingend einzuhalten - und wo gibt es legitime Spielräume der Interpretation. Erst wenn diese Grenzen konkret und anschaulich formuliert sind, lassen sich für konkrete Einzelfälle verbindliche Aussagen machen.
Überspitzt gefragt: Sind Text und Musik, wie sie in der Partitur stehen, verbindlich (womöglich "heilig"), oder lassen sie der Interpretation Spielräume. Und wenn ja, in welchem Maße? In dieser konkreteren Fragestellung wäre meine Antwort etwa: Der Grad der "Heiligkeit" der der Partitur ist abhängig vom Grad ihrer Meisterschaft. Beispiel: Eingriffe in die Partitur von Mozarts Don Giovanni bedürfen besserer Argumente als bei seiner Clemenza di Tito. Eingriffe bei Verdis Aroldo sind eher zu tolerieren als bei Ballo in maschera usw.
Mit anderen Worten: Die Tolerierung von Eingiffen ist bei schwächeren Werken leichter als bei Meisterwerken. Die Schwierigkeit dabei ist nur: Wo verlaufen die Grenzen zwischen beiden? Da ist Urteilskraft gefragt, und die ist leider nicht messbar. Über dieses weite Feld wäre eine Diskussion sinnvoll, wie ich meine.
Herzliche Grüße von Sixtus -
Was ist von der Sache her zwingend einzuhalten - und wo gibt es legitime Spielräume der Interpretation. Erst wenn diese Grenzen konkret und anschaulich formuliert sind, lassen sich für konkrete Einzelfälle verbindliche Aussagen machen.
Lieber Sixtus, Joseph II. hatte an anderer Stelle einen interessanten Film verlinkt, in dem Karl Böhm (ab 49:57 Min.) etwas zu Deinem Thema sagt. Ich stelle ihn hier nochmal ein:
https://www.youtube.com/watch?v=EtW_xYfQdoY -
Dazu dienen die Noten incl. des Notensystems, welche die Lage der Töne im physikalischen Tonumfang, deren zeitliche Dauer und die/ihre Reihenfolge festlegen.
Wobei man festhalten muss, dass Noten nicht zu jeder Zeit das gleiche bedeuteten! Ein Staccato ist nicht in jeder Epoche das Staccato, das heute gelehrt wird, ebenso wie andere Vortragsbezeichnungen wie etwa der Legatobogen oder Punktierungen. Nicht einmal die Tonhöhe ist da exakt aufgeschrieben, weil auch die jeweilige Stimmung berücksichtigt werden muss. Die Note Fis sieht auf dem Papier im 18. Jahrhundert so aus wie im 21. Jahrhundert, aber sie klingt anders, weil die Stimmung eine andere ist.Harnoncourt hat das besser ausgedrückt:
ZitatWollen wir hingegen Musik spielen, die in der Werknotation aufgeschrieben ist, die also vor der schon genannten Grenze (etwa um 1800) liegt, fehlt uns die genaue „Gebrauchsanweisung“. Wir müssen dafür zu anderen Quellen greifen. Dieser ganze Komplex ist natürlich auch ein großes pädagogisches Problem, denn man lernt normalerweise zuerst die Notenschrift, und erst später, die Musik zu gestalten; die Notenschrift wird stillschweigend als für jede Musik gültig vorausgesetzt, und niemand sagt dem Studenten, dass die Musik vor dieser Notationsgrenze anders zu lesen sei als die danach. Man macht sich und dem Studierenden dabei viel zu wenig bewusst, dass man es im einen Fall mit einer fertigen Spielanweisung zu tun hat, während man im anderen Fall eine Komposition vor sich hat, ein Werk, das in einer prinzipiell anderen Weise aufgezeichnet ist.
Diese beiden unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten ein und derselben Notenschrift müssten jedem Musikstudenten von Anfang an in seinem Theorie-, Instrumental- und Gesangsunterricht klargemacht werden. Sonst spielt oder singt er in beiden Fällen das „was dasteht“ (eine häufige, fordernde Formel von Musikpädagogen), wobei er der Werknotation unmöglich gerecht werden kann, ohne sich mit ihr auseinandergesetzt zu haben. (…) Wenn ich also ein Musikstück sehe, versuche ich in erster Linie das Werk zu sehen und festzustellen: Wie muss es gelesen werden, was bedeuteten diese Noten für den Musiker damals? Die Notation jener Zeit, in der nicht die Spielweise, sondern das Werk dargestellt wurde, verlangt ja von uns die gleiche Lesekenntnis, die sie von den Musikern verlangt, für die das Werk geschrieben wurde.Also nicht einmal das, was in den Noten steht, ist absolut klar (von period instruments will ich gar nicht erst anfangen!), und selbst Regieanweisungen können, speziell zur Zeit Mozarts, auch von fremder Hand eingefügt worden sein, auch da gibt es teilweise sich widersprechende Quellen. Ein Mitarbeiter der Neuen Mozart Ausgabe schrieb dazu auch etwas (Hervorhebungen von mir!):
ZitatInwiefern die in diesem Libretto-Druck fixierten Regieanweisungen vom Komponisten bzw. Librettisten stammen, lässt sich in der Regel nicht mehr feststellen. Es ist aber davon auszugehen, dass doch der Librettist maßgeblich die Bühnenhandlung (also auch die Regieanweisungen) inhaltlich bestimmte, zum Teil wirkten dabei aber auch die Impressarii auf die Umsetzung der Handlung ein. Hingegen wird ein Komponist die direkte Bühnenhandlung allenfalls beeinflusst haben, wenn er in engem Kontakt und Austausch mit dem Librettisten stand und dabei musikalische Gründe vorbrachte. Konkret nachweisen lassen sich solch konkrete Einflüsse des Komponisten auf Regieanweisungen im 18. Jahrhundert nur in den seltensten Fällen. Ohnehin ist für das 18. Jahrhundert (anders als dann im Extremfall im späten 19. Jahrhundert etwa bei Wagner) von einem sehr flexiblen Werkbegriff auszugehen, wonach Opern musikalisch und auch szenisch den jeweiligen Bedingungen vor Ort sowohl musikalisch (neue Nummern, Umbesetzung der Rollen) als auch szenisch angepasst wurden. Die Vorstellung "so und nicht anders muss mein Werk aufgeführt werden" gab es zur Mozart-Zeit (noch) nicht. Entsprechend arbeitete auch Mozart seine Opern immer wieder um.
LG,
Hosenrolle1 -
Danke für deine Kurzdefinition der Partitur. Sie scheint mir aus einer lexikalischen Quelle zu stammen
Hallo Sixtus, nein, das ist auf "meinem Mist gewachsen".Sind Text und Musik, wie sie in der Partitur stehen, verbindlich (womöglich "heilig")
Ich habe mich nur auf das akustische Ereignis bezogen, was in den Noten...festgeschrieben ist. Text usw. habe ich zu dem außerakustischen Bereich gezählt, welcher über die Interpretation "zu Worte kommt".Ein für Deine Antwort dankender
zweiterbass -
Ich denke, wir können getrost davon ausgehen, dass die zuletzt genannten Gedanken zu den verschiedenen Lesarten der Noten in verschiedenen Epochen berücksichtigt werden müssen. Ebenso dürfen wir voraussetzen, dass jeder von uns die unterschiedlichen Werkvorstellungen, etwa von Mozart und Wagner, kennt und bei der Argumentation nicht ausdrücklich betonen muss.
Was hier (aus meiner Sicht) zur Debatte steht, ist eher, wie wir diese historisch bedingten Besonderheiten bei der Frage berücksichtigen, was festgeschrieben und was verhandelbar ist. Das macht den Stoff komplex, aber, wie ich glaube, nicht unlösbar.
Wichtig scheint mir, dass wir bei unserer Debatte nicht abheben und die Erdung verlieren, sondern immer die Praxis im Auge behalten, z.B. wenn es um traditionelle Gewohnheiten geht (wie eingelegte Töne kontra "come scritto", um übliche Striche oder um verschiedene Fassungen).
Der beste Interpret (ob Sänger, Musiker oder Regisseur) ist doch der mit dem besten Überblick - meint Sixtus -
Was hier (aus meiner Sicht) zur Debatte steht, ist eher, wie wir diese historisch bedingten Besonderheiten bei der Frage berücksichtigen, was festgeschrieben und was verhandelbar ist.
Hallo zusammen,wenn ich hier auch meine Meinung einbringen darf, fängt an dieser Stelle die Frage nach dem persönlichen Geschmack an. Für mich hängt die Toleranz bei der Auslegung bestimmter Anweisungen (ob nun musikalisch oder die Regie betreffend) sehr davon ab, wie mich der entsprechende Interpret persönlich anspricht. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Abweichungen gut sind, kann ich sie akzeptieren. Das ist nun zugegebenermaßen sehr subjektiv.
Wichtig scheint mir, dass wir bei unserer Debatte nicht abheben und die Erdung verlieren, sondern immer die Praxis im Auge behalten, z.B. wenn es um traditionelle Gewohnheiten geht
Das ist für mich auch ein wichtiger Punkt. Das Publikum hat sich auch an gewisse Abweichungen gewöhnt, besonders wenn es um verschiedene Fassungen geht. Klassisches Beispiel: viele Zuhörer vermissen bei Hoffmanns Erzählungen in der neuesten Fassung die Spiegelarie. -
Du sprichst ein Beispiel an, bei dem sich das Publikum spaltet: ZuHÖRER werden auf diese Arie nicht verzichten wollen - mit guten Gründen. Denn sie ist schwer zu singen und ein Prüfstein für jeden Bariton, ob er nicht nur eine gute Höhe ha, sondern seine Spitzentöne auch in die Legato-Phrasen einzubetten versteht.
Für die bloßen ZuSCHAUER dagegen kann sie, wenn das nicht gelingt, ein Fremdkörper sein, ja sogar ein Ärgernis.
Ich möchte sie nicht missen, will sie aber auch nicht um jeden Preis hören.Bei dieser Oper gibt es ohnehin ein Dickicht von Fassungen, so dass wir keine allzu strengen Maßstäbe anlegen dürfen, was authentisch ist. Ein typischer Fall von "nicht fertig geworden" - meint Sixtus
-
Lieber Sixtus,
diese Unterscheidung in ZuSCHAUER und zuHÖRER trifft es in meinen Augen sehr gut.
War auch nur ein - zugegebenermaßen recht extremes - Beispiel, um auf die Gewohnheiten zumindest eines Großteils des Publikums hinzuweisen und darauf, dass diese nicht immer mit der musikwissenschaftlich authentischsten Herangehensweise übereinstimmen. -
Ich denke, wir können getrost davon ausgehen, dass die zuletzt genannten Gedanken zu den verschiedenen Lesarten der Noten in verschiedenen Epochen berücksichtigt werden müssen.
In der Praxis wird das aber praktisch nie berücksichtigt, auch wenn sich die Situation da nach und nach bessert. Seltsamerweise stört DAS kaum jemanden. Aber WEHE, auf der Bühne hat irgendeine Figur kein historisches Kostüm an!Wer von "Werktreue" und dem "Willen des Komponisten" spricht, damit aber ausschließlich das Bühnengeschehen, nicht aber das Geschehen im Orchestergraben meint, ist für mich inkonsequent und damit unglaubwürdig. Wenn schon Werktreue, dann bitte nicht nur teilweise, sondern ganz! Auf diesen Umstand hat schon Wieland Wagner hingewiesen.
Vielleicht sehe ich zu schwarz, aber dieser Thread wird zu nichts führen, außer erneutem Streit.
LG,
Hosenrolle1 -
In der Praxis wird das aber praktisch nie berücksichtigt, auch wenn sich die Situation da nach und nach bessert. Seltsamerweise stört DAS kaum jemanden. Aber WEHE, auf der Bühne hat irgendeine Figur kein historisches Kostüm an!Es stört ja nicht einmal, wenn - wie im erwähnten Fall der Diamantenarie - der Komponist die Arie gar nicht selbst komponiert hat, sondern es sich lediglich um eine Paraphrase einer seiner - zugegebenermaßen schönen - Melodie aus einem anderen Stück handelt. Inzwischen kennt man ja auch das in mindestens zwei Fassungen überlieferte Chanson, welches Offenbach für die besagte Stelle komponiert hat. Trotzdem will man natürlich die Diamantenarie "nicht missen". Bizarr, wenn sich sonst ständig auf den ominösen Komponistenwillen bezogen wird, aber wahr!
-
Lieber Melomane,
da führst da ein schönes Beispiel an. Wobei diese Modifizierung wider besseren Wissens oft noch nicht einmal dem Publikum geschuldet ist - Jean-Christophe Keck rauft sich regelmäßig die Haare, dass bei dieser Oper und auch bei anderen Werken Offenbachs immer wieder auf alte, längst überholte Fassungen zurückgegriffen wird. Dem Vernehmen nach hat das teilweise auch damit zu tun, dass man schon andere Partituren und Notenmaterial im Archiv hat, und daher nicht extra neue Fassungen anschaffen will, das teilweise Sänger, die den Hoffmann schon im Repertoire haben, nicht noch umlernen und teilweise neue Varianten und Abwandlungen lernen wollen, etc. etc.
-
Jean-Christophe Keck rauft sich regelmäßig die Haare, dass bei dieser Oper und auch bei anderen Werken Offenbachs immer wieder auf alte, längst überholte Fassungen zurückgegriffen wird.
Herr Keck ist nun derjenige, der sich aktuell an Offenbach eine goldene Nase verdient und der durch seine "kritischen Ausgaben" als Herausgeber (Voll-) Tantiemen kassiert, als würden die Theater Werke lebender Komponisten spielen!!! Das gehört auch zur Wahrheit dazu und so kann man Offenbach auch tot kriegen und zumindest dafür sorgen, dass er seltener gespielt wird. Der betreffende Verlag bietet überhaupt keine rechtefreien Alternativfassungen zu Kecks Ausgaben an. Wenn ich dann lese, das Her Keck "sich die Haare rauft", wenn ein Theater sich dann für eine rechtefreie Uralt-Fassung etwa von "Hoffmanns Erzählungen", dann hat das zumindest ein "keckes Geschmäckle"...
-
Wichtig scheint mir, dass wir bei unserer Debatte nicht abheben und die Erdung verlieren, sondern immer die Praxis im Auge behalten, z.B. wenn es um traditionelle Gewohnheiten geht
Fluchtpunkt in der Kunst ist eher Aufbrechen von z.B. traditonellen Hör-Gewohnheiten z.B. überraschender Beginn in Sinfonien bei Beeethoven oder z.B. Modulationen bei Schubert oder Brahms.
Insofern "hebt" Kunst tendenziell ab. Worum sollte ausgerechnet Regie davon ausgenommen sein und in irgend ein Gewohnheitskorsett eingezwängt werden. Hinzu kommt, dass Szenenanweisungen bereits durch ihre zwangsläufig geringe Dichte bzw. Ausführlichkeit vergleichweise sehr viel weniger strenge Vorgaben als Notenrtext bilden.
Mahler nervt Instrumentenquäler in seinen Noten oft mit noch zusätzlichen Spielanweisungen. Dennoch fallen Wiedergaben seiner Sinfonien höchst unterschiedlich aus. -
Meine Reaktion auf die letzten 6 Beiträge fällt etwas summarisch aus (ich war unterwegs).
Ich bin d´accord mit der Forderung, dass wir hier nicht nur abweichende Darstellungen auf der Bühne kritisch beleuchten, sondern auch solche in den Noten. Nur sollten wir uns nicht zu sehr mit Missstätnden befassen, die die Verlage angehen (und die wir vermutlich nicht ändern werden), sondern mit Gepflogenheiten im praktischen Theaterbetrieb, die wir für fragwürdig halten.
Übrigens enthält Offenbachs Hoffmann-Oper noch eine Fälschung bereit: Das berühmteste Stück daraus ist geklaut (wenn auch bei sich selber): Die Barcarole stammt aus seiner Oper "Die Rheinnixen"! Sollen wir sie deshalb aus dem Hoffmann verbannen? Das wäre ein Schritt in Richtung Bankrott für diese Oper. Die Theater sind sicher gut beraten, wenn sie die Barcarole (und die Spiegelarie) im Stück belassen, auch um die Kassen zu füllen. Wenn man alles entfernt, was nicht wissenschaftlicher Akribie standhält, kommen wir in Teufels Küche. Das meinte ich mit "nicht abheben".
Herzliche Grüße von Sixtus -
Übrigens enthält Offenbachs Hoffmann-Oper noch eine Fälschung bereit: Das berühmteste Stück daraus ist geklaut (wenn auch bei sich selber): Die Barcarole stammt aus seiner Oper "Die Rheinnixen"! Sollen wir sie deshalb aus dem Hoffmann verbannen? Das wäre ein Schritt in Richtung Bankrott für diese Oper. Die Theater sind sicher gut beraten, wenn sie die Barcarole (und die Spiegelarie) im Stück belassen, auch um die Kassen zu füllen. Wenn man alles entfernt, was nicht wissenschaftlicher Akribie standhält, kommen wir in Teufels Küche.
Oh, da darf man nicht in die Richtung der Barock-Oper schauen, denn dann wird's haarig...
-
Mir fällt da eine Analogie ein, die das, was ich meine, metaphorisch veranschaulicht:
Bei einer Oper (im Grunde bei jedem Kunstwerk, das der Aufführung bedarf, um vollständig zu sein, also Schauspiel, Musikstück) erwarte ich bei der Wiederbegegnung ein Mindestmaß an Wiedererkennungswert. Nicht unbedingt in dem Sinne, dass ich dann mitsingen kann, wie es zuweilen in italienischen Open-Air-Veranstaltungen zu beobachten ist. Vielmehr in dem Sinne, dass ich beim wiederholten Besuch der Kathedrale von Chartres nicht die Völklinger Hütte vorfinde - obgleich beide unter Weltkulturerbe firmieren.
Um es noch drastischer auszudrücken: Auch nicht als Konglomerat mit Elementen aus beiden Bauwerken.
Kurzum: Die Veränderung durch Bearbeitung, Inszenierung oder andere als Verbesserung gedachte Umdeutung muss Grenzen haben. Mir ist klar, dass es sich dabei oft um Geschmacksfragen handelt, dass es also oft subjektiv ist. Aber subjektiv ist ja nicht unbedingt ein Schimpfwort -
meint, mit herzlichen Grüßen, Sixtus -
Lieber Sixtus,
ich fürchte, das ist vergebliche Liebesmüh´. Für hartgesottene RT-Befürworter ist dann eben die Völklinger Hütte die Kathedrale von Chartres, oder, wie schon geschehen, ein Biogasbehälter die Wartburg, wenn man es den dranschreibt. Merke: Wo Wartburg draufsteht, ist auch Wartburg drin!
-
Bei einer Oper (im Grunde bei jedem Kunstwerk, das der Aufführung bedarf, um vollständig zu sein, also Schauspiel, Musikstück) erwarte ich bei der Wiederbegegnung ein Mindestmaß an Wiedererkennungswert. Nicht unbedingt in dem Sinne, dass ich dann mitsingen kann, wie es zuweilen in italienischen Open-Air-Veranstaltungen zu beobachten ist. Vielmehr in dem Sinne, dass ich beim wiederholten Besuch der Kathedrale von Chartres nicht die Völklinger Hütte vorfinde - obgleich beide unter Weltkulturerbe firmieren.
Um es noch drastischer auszudrücken: Auch nicht als Konglomerat mit Elementen aus beiden Bauwerken.Der metaphorische Vergleich von Oper bzw. Operninszenierung mit Bauwerken schrammt vorbei, denn eine Kathedrale
1.
... dient im Gegensatz zur Oper einem religiösen Kult verknüpft mit Offenbarungs- bzw. Wahrheitsanspruch.
Kunst bzw. Kunstcharakter des Kirchenbauwerks rückt folglich im Vergleich zur Oper in den Hintergrund, weil Oper bzw. allg. Kunst einen der Religion oder Theorie gleichzusetzenden Wahrheits- oder Offenbarungsanspruch eben nicht aufweist.2.
... ist im Gegensatz zur Oper ein bereits fertiges/vollendetes Bauwerk, also mit ausgeprägtem Dingcharakter. Opernaufführungen geraten durch unterschiedliche Orchester, Dirigenten, veränderte Instrumente (ist Hosenrolles Spezialgebiet), Akkustik, Beleuchtung und Regisseure dagegen verschieden; also ohne konstanten Dingcharakter wie ein Bauwerk. Opern sind durch ihre Aufführungen veränderlich bzw. flüssig. Von der Perspektive des Besuchers im 21. Jahrhundert, die nicht mit der des z.B. 19. Jahrhunderts gleichzusetzen wäre, mal ganz abzusehen. -
Hallo Hosenrolle, (zu Deinem Beitrag Nr.14)
vorausschicken muss ich, dass ich bei meiner Kurzdefinition die „reine Musik“ im Auge/im Ohr hatte. (Wenn der Musik Text hinzugefügt wird, entstehen eine Vielzahl von Problemen außermusikalischer Art: Wie hat der Komponist den Text des Schriftstellers verstanden und wie versteht der Musikhörer den Text des Schriftstellers, deckt sich das mit dem Textverständnis des Komponisten? (Das alte Problem – wie die Aussage des Senders beim Aussageempfänger ankommt kann sehr unterschiedlich sein und ist vom Aussagesender vorerst nicht zu beeinflussen! xx)
Eine ganze Reihe Deiner Vorbehalte fallen nach meiner Kurzdefinition unter die Interpretation und ich gehe nur auf solche Unterschiede ein, die davon nicht betroffen sind.Die Tonlage der „Note Fis“ ist von der Stimmung abhängig – Ja! Aber es wird kaum vorkommen, dass z. B. die Solovioline ihren Part in einer Stimmung des 18.Jhd. spielt, damit auch Fis und die Begleitung ihren Part in der gleichschwebenden Stimmung spielt und damit auch Fis– nur bei gleicher Stimmung ist die Harmonik gleich. Und wenn ein Hörer ein Musikstück hört, dass in Fis notiert ist und in wohltemperierter Stimmung gespielt wird und unmittelbar darauf das Stück auch in Fis aber in gleichschwebender Stimmung hört, so wird den Unterschied nur der Hörer mit absolutem Gehör bemerken/hören.
Vortragsbezeichnungen stehen außerhalb des Notensystems, sind also interpretationsfähig, für die Punktierung (Dauer des Tones) gilt das nicht.
Ich zitieren Dich: „Also nicht einmal das, was in den Noten steht, ist absolut klar.“ xx
Viele Grüße
zweiterbass