Bayreuther Festspiele 2021 - Eröffnungspremiere "Der fliegende Holländer" (und anderes)

  • Und was schreibt die internationale Presse so?


    "'Endlich!' Die Bayreuther Festspiele bekommen zum ersten Mal eine Dirigentin."

    "The Guardian", 26. Juli 2021


    "Und welch ein Klang es war: Das von Anfang an treibende und temperamentvolle Orchester wurde von Oksana Lyniv, der ersten Dirigentin in der Geschichte der Festspiele, geleitet. Aus diesem Meilenstein wurde zu Recht viel gemacht, auch wenn er peinlich überfällig war."

    "The New York Times", 27. Juli 2021

    Man muss hinzufügen, dass Frauen in Großbritannien und in Amerika bereits viel früher in den großen Orchestern spielten. Im Queen's Hall Orchestra unter Sir Henry Wood schon ab 1913. Im Philadelphia Orchestra engagierte Leopold Stokowski 1930 die erste Frau. Auf dem Pult blieben Frauen aber auch dort noch lange die Ausnahme.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nun, auf eine Frau als Dirigentin hätten die Bayreuther nicht so lange warten müssen.

    Ich hätte mir Simone Young auch gut im Graben vorstellen können.

    Ob ich nicht höre? ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir. (aus "Elektra")

  • Ich hätte mir Simone Young auch gut im Graben vorstellen können.

    Ja, das wäre sicherlich interessant! Vor allem aus zwei Gründen: Zum einen neigt Simone Young, welche ich hier in Hamburg als GMD häufig genug und insbesondere mit fast allen Wagner-Opern (inkl. Rienzi in der Laeiszhalle) gehört habe, gerne dazu, etwas laut zu werden und zum anderen sollen die Verhältnisse des "Hamburger Grabens" u.a. aufgrund baulich-historischer Umstände (Bei einem Bombenangriff in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1943 wurde der Zuschauerraum völlig zerstört, lediglich das Bühnenhaus blieb verschont, also "Altes Bühnenhaus" vs. "Neuer Orchestergraben", welcher eher tief auch nach hinten liegt), den Verhältnissen in Bayreuth nicht unähnlich sein.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Eine Frage, die ich mir auch gestellt habe! - Was ginge verloren, wenn man die Traumatisierung des Herrn H. als Kind, i.e. Daland und "das Dorf" treiben dessen Mutter offenbar in den Selbstmord, nicht als Erklärung oder besser noch als Begründung dafür hätte, dass er in das Dorf zurückkehrt? Zwar würde dadurch der "Hinrichtung" einiger Dorfbewohner durch H. die Motivation fehlen, aber vielleicht ist auch diese "Hinrichtung" eigentlich verzichtbar. Alles andere würde sich weiterhin aus sich selbst heraus, d.h. aus dem Libretto zusammen mit der Inszenierung ergeben. Allerdings wäre zusätzlich wieder der Moment des Zufalls gegeben, d.h. der Holländer taucht letztlich, wie bei Wagner auch, zufällig auf und nicht, wie bei Tcherniakov, absichtlich bzw. aufgrund seiner Vorgeschichte. - Dieses Ersetzen des Zufalls durch die Zwangsläufigkeit bei der Einführung der Holländer-Figur empfinde ich vielleicht als die größte Schwäche der Inszenierung.


    Wenn ich Deine Bemerkung richtig lese, sehe ich das ganz ähnlich. Die Motivation der Handlung durch das Vorspiel ist nicht geglückt und auch nicht notwendig. Mich hat es an die Rückblenden im Leone-Western "Spiel mir das Lied vom Tod" erinnert, die Mundharmonikas Rache erklären.

    Allerdings ist Tschernjakows Vorgehen durchaus Wagner-haft: Alles Bühnengeschehen bedarf ausführlichster Begründung, die die Protagonisten auch liefern, monologisch wie Gurnemanz, oder im Dialog, wie Mime und der Wanderer bei der Wissenswette.


    Die Zwangsläufigkeit sehe ich eher auf Sentas Seite. Im großen Holländer-Monolog im ersten Akt ist die Erlösungsperspektive noch ganz undeutlich, eher schon äußerst pessimistisch negiert. Erst Senta verleiht ihr Gestalt im zweiten.

    Manche Regisseure haben den H. überhaupt als Sentas Kopfgeburt bzw. Wunschvorstellung gefaßt. Ich denke da an Kupfer-Inszenierung in Bayreuth oder an die Homoki-Inszenierung in Zürich, bei der zum Schluß der Holländer einfach verschwunden ist.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Ja, das wäre sicherlich interessant! Vor allem aus zwei Gründen: Zum einen neigt Simone Young, welche ich hier in Hamburg als GMD häufig genug und insbesondere mit fast allen Wagner-Opern (inkl. Rienzi in der Laeiszhalle) gehört habe, gerne dazu, etwas laut zu werden und zum anderen sollen die Verhältnisse des "Hamburger Grabens" u.a. aufgrund baulich-historischer Umstände (Bei einem Bombenangriff in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1943 wurde der Zuschauerraum völlig zerstört, lediglich das Bühnenhaus blieb verschont, also "Altes Bühnenhaus" vs. "Neuer Orchestergraben", welcher eher tief auch nach hinten liegt), den Verhältnissen in Bayreuth nicht unähnlich sein.

    Leider muss ich Dir in einem Punkt widersprechen. Ich sehe keine Ähnlichkeit zwischen dem Orchestergraben der Hamburgischen Staatsoper und dem "mytischen Abgrund" des Bayreuther Festspielhauses.

    Der Graben in Bayreuth ist mit einem ausladenden Schalldeckel versehen, der dem Zuschauer jeglichen Blick aufs Orchester nimmt. Von keinem Platz im Festspielhaus kann der Zuschauer auch nur einen Musiker sehen was für diese auch den Vorteil hat, dass sie bei den Aufführungen in luftiger Sommerkleidung ihren Dienst verrichten können. Bei fehlender Klimaanlage und oftmals Außentemperaturen jenseits der 30 Grad sicherlich von Vorteil.

    Die Sitze der Musiker sind in mehreren Terrassenstufen abwärts nach hinten weit unter die Bühne angeordnet. So extreme Verhältnisse kenne ich nur von Bayreuth.


    Der extreme Deckel auf dem Graben und die besondere Sitzordnung der Musiker führen bekanntermaßen zu außergewöhnlichen Klangwirkungen und zu der besonderen Akkustik im Festspielhaus.


    Dem Vernehmen nach sind manche namhafte Dirigenten an diesen klanglichen Besonderheiten verzweifelt und ihr Wirken dort war von kurzer Dauer, oder sie haben es erst gar nicht versucht.

    Ob ich nicht höre? ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir. (aus "Elektra")

  • Die Zwangsläufigkeit sehe ich eher auf Sentas Seite. Im großen Holländer-Monolog im ersten Akt ist die Erlösungsperspektive noch ganz undeutlich, eher schon äußerst pessimistisch negiert. Erst Senta verleiht ihr Gestalt im zweiten.

    So jedenfalls bei Wagner, da können wir uns einig sein. - Aber was ist eigentlich mit der Tscherniakov/Gregorian-Senta? Wenn ich mir die Bilder vom Sonntag nochmal in das Gedächtnis rufe, das sehe eine junge, etwas exaltierte und ein wenig punkige Frau, die wohl alles Möglichen wollen und am Ende auch durchsetzen kann. Nur nach Erlösung, erlösen oder erlöst werden strebt diese Person in meinen Augen irgendwie so überhaupt nicht!

    Nehmen wir das "Abendessen" im zweiten Aufzug (ich musste kurz an das "Abendessen" in Konwitschnys legänderer Don Carlos-Inszenierung (Wien/Hamburg) denken ...): Dort sitzt eine Senta, die mir alles aus der Distanz zu beobachten scheint, eher amüsiert, als wirklich durch die Anwesenheit des Holländers ergriffen oder gar überwältigt. Ich habe hier an keiner Stelle eine Bereitschaft Sentas gespürt, sich für die Erlösung des seeischen Ashasvers einzusetzen oder gar zu opfern. Sie hat mir der "Schuld", die das Dorf und ihr Vater wohl auf sich geladen haben, eigentlich nichts zu tun.

    Wenn man etwas wagen will, kann man vielleicht sogar fragen, ob es der Inszenierung ab diesem Zeitpunkt wirklich noch um die Erlösung des Holländers, oder vielleicht mehr um die Erlösung Frau Marys geht. Welche Rolle spielt diese Frau? Ist sie mit Daland verheiratet? War sie dies schon, als er eine Affäre mit der Mutter des H. hatte? Ist sie vielleicht sogar Sentas Mutter? - Immerhin ist sie es, die H. am Ende erchießt und damit nicht nur den Holländer, sondern vielleicht auch sich selbst erlöst?! Und konsequenterweise ist Senta im Schlussbild nicht etwa entsetzt über die Tat am Holländer, sondern wendet sich der Täterin Mary zu und fängt diese auf.


    Wie schon weiter oben gesagt, alles sehr konsequent und auch sehr gut inszeniert - aber eigentlich eine vollkommen eigene Story.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Wie schon weiter oben gesagt, alles sehr konsequent und auch sehr gut inszeniert - aber eigentlich eine vollkommen eigene Story.

    Lieber Michael, du hast das tadellos analysiert. Genau darauf bezog sich meine Frage, ob der Regisseur das Libretto gelesen hat oder es in irgendeiner Weise für relevant hielt.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Genau darauf bezog sich meine Frage, ob der Regisseur das Libretto gelesen hat oder es in irgendeiner Weise für relevant hielt.

    Ach, komm! - Die Frage ist doch offensichtlich rhetorischer Natur. Wohl keiner der hier im Forum Schreibenden dürfte bei den Probenarbeiten dabei gewesen sein, keiner wird die Gelegenheit gehabt haben bzw. haben, mit Tscherniakov zu sprechen. Also wirst Du hier auch keine beweisbare Antwort erhalten. Gleichwohl glaube ich natürlich, dass Tscherniakov das Libretto sowohl gelesen, als auch verstanden hat und es für durchaus relevant hält. Trotzdem hat er sich m.E. etwas zu sehr in seiner eigenen Idee/Interpretation vergaloppiert. Man mag es kaum glauben, aber soetwas ist mir auch schon passiert und jeder, der behauptet, ihm selbst nicht bzw. es könne ihm garnicht passieren, hielte ich für einen Lügner. - So what?


    Das ändert nichts daran, dass ich die Inszenierung weiterhin für spannend und handwerklich ausgezeichnet halte. Auch würde ich nicht behaupten, Tscherniakov hätte der Geschichte etwas beleibig übergestülpt oder - um hier ein gern verwendetes Bild eines Mitforisten, von dem ich lange nichts mehr gelesen habe, zu verwenden - "das Bild" (Kunstwerk) übermalt. Also versuchen wir doch, sinnvolle Fragen zu stellen und dabei die Kirche im Dorfe zu lassen!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Auch würde ich nicht behaupten, Tscherniakov hätte der Geschichte etwas beleibig übergestülpt

    Wieso nicht - wo du doch selbst gesagt hast, es sei eine vollkommen eigene Story?

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Auch würde ich nicht behaupten, Tscherniakov hätte der Geschichte etwas beleibig übergestülpt

    Wieso nicht - wo du doch selbst gesagt hast, es sei eine vollkommen eigene Story?

    Ganz ehrlich: Es bestünde auch die Möglichkeit, Du schautest Dir die Inszenierung an und überlegst dann selbst, warum ich trotzdem nicht behaupten würde, hier wurde etwas beliebig übergestülpt! - Das Schlüsselwort ist offenbar "beliebig". Die Fragen, die Tscherniakov m.E. in der Inszenierung stellt bzw. versucht zu beantworten, haben immer noch sehr viel mit mit Wagners Oper zu tun. Ist das Zusammentreffen des Holländers mit Daland wirklich Zufall? Welche Rolle könnte Frau Mary in der Geschichte spielen? Warum ist Senta so scharf darauf, den Holländer zu erlösen? Will Senta dies überhaupt? Oder will sie vielleicht eigentlich nichts mit der ganzen kaputten Gesellschaft um sie herum zu tun haben? - Vielleicht kann man eher sagen, dass Tscherniakovs Story zusätzlich zur Wagnerschen Handlung stattfindet (vgl. auch Beitrag #30) und das kann man erhellend, überflüssig oder belanglos finden. Ich selbst bin hier bis jetzt offensichtlich auch noch zu keinem für mich befriedigenden Ergebnis gekommen, aber ich habe die Inszenierung immerhin gesehen ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Warum ist Senta so scharf darauf, den Holländer zu erlösen?

    Warum sollte der Holländer eigentlich heutzutage noch so scharf darauf sein, erlöst zu werden? Um zu erleben, was aus dieser Welt geworden ist?

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Warum sollte der Holländer eigentlich heutzutage noch so scharf darauf sein, erlöst zu werden? Um zu erleben, was aus dieser Welt geworden ist?

    Ich habe die beiden Fragen in dieser Zusammenstellung jetzt mehrfach gelesen, aber es tut mir leid, sie ergeben so keinen Sinn. - Meinst Du, der Holländer könnte scharf darauf sein erlöst zu werden, um zu erleben, was aus dieser Welt geworden ist? Aber wenn "Erlösung" hier den erwünschten Tod bedeutet, wie soll er dann erleben, was aus dieser Welt geworden ist? Oder müsste es heißen "Um nicht zu erleben, was aus dieser Welt geworden ist?"?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Wenn man etwas wagen will, kann man vielleicht sogar fragen, ob es der Inszenierung ab diesem Zeitpunkt wirklich noch um die Erlösung des Holländers, oder vielleicht mehr um die Erlösung Frau Marys geht. Welche Rolle spielt diese Frau? Ist sie mit Daland verheiratet? War sie dies schon, als er eine Affäre mit der Mutter des H. hatte? Ist sie vielleicht sogar Sentas Mutter? - Immerhin ist sie es, die H. am Ende erchießt und damit nicht nur den Holländer, sondern vielleicht auch sich selbst erlöst?! Und konsequenterweise ist Senta im Schlussbild nicht etwa entsetzt über die Tat am Holländer, sondern wendet sich der Täterin Mary zu und fängt diese auf.


    Wie schon weiter oben gesagt, alles sehr konsequent und auch sehr gut inszeniert - aber eigentlich eine vollkommen eigene Story.

    Die Rolle einer Amme hat Wagner immer interessiert. Frau Mary ist ja nicht die einzige, Magdalene und Mime wären zu nennen. So, wie ich es am letzten Sonntag gesehen habe, sind Mary und Daland ein Paar. Herr Holländer hatte bei einer seiner letzten Landungen - vielleicht just vor sieben Jahren - etwas mit Mary. Das ist ungeklärt, aber es muß einen Grund haben, daß sein Konterfei sich in Marys Handtasche befindet. Sie hat auf jeden Fall eine Rechnung offen mit Herrn Holländer.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Die Rolle einer Amme hat Wagner immer interessiert. Frau Mary ist ja nicht die einzige, Magdalene und Mime wären zu nennen.

    :hahahaha::hahahaha: DAS hätte ich gerne mal gesehen, wie Mime das Baby Siegfried "anlegt" :hahahaha::hahahaha:

    Ob ich nicht höre? ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir. (aus "Elektra")

  • DAS hätte ich gerne mal gesehen, wie Mime das Baby Siegfried "anlegt"

    So weit weg ist das ja garnicht: Mime "Als zullendes Kind zog ich dich auf, ..." :saint:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Wirklich schade, dass Gerhard nicht mehr mitmischt.

    Ja, die Opernmörder haben gewonnen, im Forum und auf der Bühne. Ich bin hier zwar noch drin, doch ich halte die Klappe, wenn es um die Bewertung irgendwelcher Inszenierungen geht. Ich verstehe diese Welt nicht und will sie gar nicht mehr verstehen.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Nunja, ganz so drastisch ist es ja jetzt auch nicht. Ich bin sicher auch kein Freund davon, die Opern in einer Weise umzudeuten, dass man das Libretto nur noch als lose Vorlage sieht, die man dann quasi völlig entkernt, wie ein historisches Gebäude, bei dem man nur noch die Fassade stehenlässt, aber alles andere innendrin neu gestaltet. Ich verstehe sicherlich, dass dies eine Herangehensweise ist, die der konsequenten Weiterentwicklung inszenatorischen Schaffens Rechnung tragen will, mein Fall ist es jedoch nicht. Dennoch finde ich es gut und richtig, dass es solcherlei Dinge gibt, selbst wenn sie mir nicht gefallen - solange es nicht NUR solche freien Deutungen gibt, die sich sehr stark von der Textvorlage lösen.


    Nach wie vor finden sich immer wieder auch Inszenierungen, die sich enger an das Libretto halten, und versuchen, möglichst nah am verfassten Text zu bleiben; das liegt mir persönlich mehr.


    Dass der Regisseur selbstverständlich das Libretto sehr genau kennt, steht für mich außer Frage; dass er auch, wie die meisten Regisseure, über eine langjährige Ausbildung und Erfahrung verfügt, ist mit Sicherheit der Fall, und die Inszenierung ist mit Sicherheit sehr bewusst und überlegt gestaltet worden; all die Entscheidungen, vom Libretto abzuweichen, sind nicht aus Ignoranz vorgenommen worden, sondern einem Konzept, einer Zielsetzung folgend. Diese Professionalität möchte ich auch keinem Regisseur absprechen, selbst wenn ich seine Herangehensweise und seine Arbeiten nicht mag.


    In Bayreuth ist es nun so, dass man in den letzten Jahren vermehrt darauf setzt, mit avantgardistischen Inszenierungen zu punkten, die darauf ausgelegt sind, das Libretto möglichst gegen den Strich zu bürsten. Da dies für mich zumeist wenig zufriedenstellend ist, mithin sogar störend, wenn nicht gar sogar verstörend wirkt, ist für mich die Konsequenz, dass ich mich vor allem auf die Radioübertragung konzentriere; die Vorstellungen, die ich im Opernhaus, im Kino oder im Fernsehen anschauen möchte, klopfe ich im Vorfeld darauf ab, ob sie eher "frei nach" oder doch eher eng am Libretto bleiben; da werde ich auch immer noch fündig - von daher ist für mich alles gut, solange diese Vielfalt gewahrt bleibt.


    Dass daher die Oper jetzt allgemein dem Untergang geweiht ist und ermordet wurde, sehe ich nicht. Es sind ganz klar sehr schwierige Zeiten - aber die Oper hat da schon ganz anderes überlebt, und sie wird sich auch in Zukunft weiterentwickeln.


    Ich hoffe, ich bin nicht zu weit abgewichen, schließlich geht es ja hier nicht um Grundsatzdiskussionen über RT oder nicht RT - aber immerhin, dieser Holländer war für mich auch schon rein musikalisch sehr interessant und bewahrenswert, auch ohne die Inszenierung.

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  • Lieber MDM,


    ich bin noch nicht abgemeldet und dir zuliebe schalte ich mich hier ausnahmsweise noch einmal ein. Das ändert nichts an meinem Entschluss, mich weiterhin erst einmal aus diesem Forum herauszuhalten und die Entwicklung abzuwarten. Als Besucher kann ich dennoch die Beiträge einiger Leute, die ich schätze, mitlesen und ich erstelle auch noch weiterhin Operninhalte. Ob ich diese aber jemals im Tamino veröffentlichen werde, weiß ich noch nicht, obwohl ich mich weiterhin über die freundschaftliche Zusammenarbeit mit dir und Dr.Pingel, den ich auch persönlich kenne, gefreut hätte.

    Nun meine ehrliche Meinung zum „Fliegenden Holländer“ (auch wenn ich jetzt wieder bei einigen wenigen einen Sturm der Entrüstung – auf den ich mich schon freue – auslösen werde):

    Wer in diesem Machwerk aus der Experimentierbude, zu der Bayreuth immer mehr verkommt, das Werk sehen will, das uns unter diesem Namen untergejubelt werden soll, der muss in Literatur und Oper doch recht wenig bewandert sein. Dem Regisseur ist nicht weiteres eingefallen, als einen billigen Krimi zu erfinden, der mit dem eigentlichen Werk nicht im mindesten etwas gemein hat, dazu aber die Musik und den Text des Werkes zu missbrauchen. Auf die Frage von Mme.Cortese, ob der Regisseur das Libretto gelesen hat, kann ich nur mit einem eindeutigen „nein“ antworten, denn sonst hätte er doch merken müssen,dass keiner der Texte, die ja auch Wort für Wort (ich habe sie mit dem Libretto verglichen) gesungen werden, zu seiner abwegigen Phantasie passt. Ich habe mir die wesentlichen Stellen dieses Schmarrn in der Mediathek angeschaut. Das erspart mir, heute Abend noch weitere Zeit im Fernsehen damit zu vergeuden.

    Selbst in seiner eigenen Phantasieklamotte bleibt er in der Darstellung einfallslos: Die Geschehnisse um Gewitter und Sturm und das Lied des Steuermanns beim Biertisch in einer Kneipe vortragen zu lassen, ist doch einfach ein zu simpler Ausweg, wenn man keine besseren Ideen hat. Der Auftritt des Holländers – an eben demselben Biertisch – entbehrte in meinen Augen jeglicher Dramatik. Auch das Spinnerlied – selbst wenn es noch so banal ist – in einer Chorprobe im Freien vortragen zu lassen, wirkt abgeschmackt. Die Ballade der Senta widersprach ihrer Gesamthaltung, in der ich keine Liebe und auch kein Mitleid zu dem „armen Mann“ entdecken konnte. Erik verhielt sich so distanziert, dass man ihm die Liebe zu Senta nicht abnahm.

    Statt eine absurde und zum Text und zur Musik unpassende Handlung zu erfinden, sehe ich die Aufgabe des Regisseurs darin, die Sänger zum passenden Gebaren in Auftritt, Mimik und Gestik dem Originalwerk entsprechend hinzuführen. Nicht aber, die Handlung nach eigenem Geschmack zu verändern und den Zuschauer eine Deutung aufzuzwingen, die er nicht braucht und (außer vielleicht einigen wenigen – wie hier im Forum und mancher Presseleute – ) auch nicht haben will. Aber dazu scheinen viele modische Regisseure nicht mehr fähig zu sein. Wagner würde sicherlich die heutigen Verantwortlichen aus dem von ihm geschaffenen Musentempel mit der Peitsche hinaustreiben.

    Übrigens wartet ja auch noch so ein verrückter „Don Giovanni“ aus Salzburg auf uns, der voraussichtlich auch im Fernsehen – das ja vernünftige Inszenierungen kaum mehr kennt – übertragen wird. Nach allem, was ich inzwischen darüber weiß, werde ich damit keine Zeit mehr vergeuden. Diesen werde ich mir am 22.08. im Kino in der Aufzeichnung aus der MET anschauen.


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Wer in diesem Machwerk aus der Experimentierbude, zu der Bayreuth immer mehr verkommt, das Werk sehen will, das uns unter diesem Namen untergejubelt werden soll, der muss in Literatur und Oper doch recht wenig bewandert sein.

    Ach ja, eben alles Idioten, außer Papi! - Und wie immer vollkommen neutral, sachlich und ohne persönlichen Angriff formuliert ...

    Auf die Frage von Mme.Cortese, ob der Regisseur das Libretto gelesen hat, kann ich nur mit einem eindeutigen „nein“ antworten, [...]

    Womöglich besitzt Du wieder einmal Informationen aus erster Hand? Hast gar mit dem Regisseur persönlich gesprochen? Laß uns teilhaben!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo, MSchenk,


    wieder das Übliche. Gerhard schreibt seine eigene Meinung, nichts anderes. Und was kommt als Antwort?

    Ich schließe mich seiner Meinung an, vollinhaltlich, wobei dieses Verbrechen an der Gattung Oper durch den Herrn Tschernjakow in der Beurteilung noch viel zu unkritisch betrachtet wird.


    Das ist meine Meinung, die braucht keiner zu teilen!!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber Gerhard,


    danke für die Rückmeldung!.

    Habe mich gefreut, dass du immer noch fit und angriffslustig bist und außerdem noch Freude an der Erstellung und Übersetzung von Operninhalten hast. Wer weiß, vielleicht kommen auch mal wieder andere Zeiten hier.


    Ich habe mir den Bayreuther "Holländer" angehört und in einigen größeren Ausschnitten angesehen. Musikalisch hat mir das überwiegend gut bis teilweise sogar sehr gut gefallen. Der Rest ist in meinen Augen Bullshit; zu viel Tcherniakov, zu wenig Wagner. Aber solange die Urgroßenkelin sich solche "Künstler" ins Haus holt und deren Egotrip-Experimente durchwinkt, ist eben leider keine Besserung in Sicht.


    Schöne Grüße nach Leverkusen...MDM :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Ja, genau! Von Gerhard an dieser Stelle nichts Neues, sondern wieder das Übliche! Und es wäre ja gar kein Problem, wenn er tatsächlich bei seiner eigenen Meinung bleiben würde! - Aber warum muss er dann in einem Atemzug mit seiner Meinung diejenigen, die nicht seiner Meinung sind, als "wenig bewandert", d.h. vulgo (mal wieder) als ahnungslose Volldeppen hinstellen um dann später womöglich zu behaupten, das wäre ja garnicht persönlich gemeint?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Mein Eindruck ist auch, dass sich Tcherniakov für die Stücke selbst nicht sonderlich interessiert. Er nimmt sie als Ausgangspunkt für eigene Schöpfungen - so wie manche Regisseure sehr frei mit einem Roman für einen Spielfilm umgehen.

    Genau hier scheint meiner Meinung nach der Knackpunkt bei einigen Regisseuren zu liegen. Ich habe vor längerer Zeit - ich glaube, es war anlässlich seiner Inszenierung der "Salome" - mal über Castellucci geschrieben: Castellucci inszeniert immer Castellucci, egal, welche Musik man dazu spielt. (Was ich über den Salzburger "Don Giovanni" gelesen habe, scheint diese These zu bestätigen). Genau diesen Eindruck habe ich bei diesem "Holländer" des Herrn Tcherniakov auch.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Castellucci geschrieben: Castellucci inszeniert immer Castellucci, egal, welche Musik man dazu spielt. [...] Genau diesen Eindruck habe ich bei diesem "Holländer" des Herrn Tcherniakov auch.

    Das, oder allgemeiner "Regisseur X inszeniert immer Regisseur X" ist vielelicht nicht einmal von der Hand zu Weisen. Aber wenn ich darüber nachdenke, gilt bzw. galt das auch für z.B. Zeffirelli. Bei dem ist es nur weniger "aufgestoßen", weil immer alles so "schön anzuschauen" gewesen ist. - Wo ein solches "Regisseur X inszeniert immer Regisseur X" m.E. beispielsweise nicht zutrifft, ist etwa bei Peter Konwitschny, dessen Arbeiten sich, wie ich finde, ziemlich voneinander unterscheiden.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Das, oder allgemeiner "Regisseur X inszeniert immer Regisseur X" ist vielelicht nicht einmal von der Hand zu Weisen. Aber wenn ich darüber nachdenke, gilt bzw. galt das auch für z.B. Zeffirelli. Bei dem ist es nur weniger "aufgestoßen", weil immer alles so "schön anzuschauen" gewesen ist. - Wo ein solches "Regisseur X inszeniert immer Regisseur X" m.E. beispielsweise nicht zutrifft, ist etwa bei Peter Konwitschny, dessen Arbeiten sich, wie ich finde, ziemlich voneinander unterscheiden.

    Da magst du recht haben, vor allem in seinen späteren Jahren mag er auch oft zu viel des Guten getan haben, aber im Gegensatz zu den genannten Herren hat er sich wenigstens immer an die Vorgaben des Librettos gehalten.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Die Ballade der Senta widersprach ihrer Gesamthaltung, in der ich keine Liebe und auch kein Mitleid zu dem „armen Mann“ entdecken konnte.

    Lieber Gerhard, das habe ich auch so gesehen. Da treffen zwei liebelose Egomanen aufeinander, jeder im anderen ein Werkzeug zur Umsetzung der eigenen Pläne sehend. Das hat der Regisseur sicher so gewollt. Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

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