Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • "Gendergerechtigkeit" in der Oper? Mal sehen, wann sich die erste Sängerin der Grimgerde den Wotan einklagen will.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Also muss letztlich ein Regisseur wissen, ob er/sie eine Produktion "Tristan und Isolde" oder "Musiktheater inspiriert von 'Tristan und 'Isolde'" nennen möchte

    Letztendlich liefert der Regisseur ein Produkt ab. Entscheiden, wie das genannt wird, sollte nicht der Regisseur, er hat das Produkt geschaffen, aber verkaufen werden es die Theater. Der Regisseur wird maximal von einem Journalisten gefragt nach dem Konzept, welches das zur Disposition stehende Produkt verändert hat. Und schon bei dem Wort "Konzept" haben maßgebliche Kritiker wie Joachim Kaiser ihre Bedenken:


    http://www.youtube.com/watch?v=mVFQRfN5A5Q&t=254s


    Wir kommen nicht drumrum, jede Veränderung von Handlungsort, -zeit, Text und sogar der Musik ist und bleibt ein Produkt des Regisseurs und nicht des Schöpfers und rechtfertigt eine Umbenennung des Werkes z.B Inszenierung nach xxx... frei nach ... Wagner...........usw.

    La Roche, Theaterdirektor im Ruhestand.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Letztendlich liefert der Regisseur ein Produkt ab. Entscheiden, wie das genannt wird, sollte nicht der Regisseur, er hat das Produkt geschaffen, aber verkaufen werden es die Theater

    Ist es nicht sinnvoller, den Erzeuger nach Benamung zu fragen, denn er weiß schließlich am besten, was er da geschaffen hat. Was ein Verkäufer da meint, könnte später dann eher zu Missverständnissen führen und Aggressionen fördern. :)


    Wir kommen nicht drumrum, jede Veränderung von Handlungsort, -zeit, Text und sogar der Musik ist und bleibt ein Produkt des Regisseurs und nicht des Schöpfers

    Die ganze Diskussion scheint mir bisher darauf hinauszulaufen, dass eine Opernaufführung oder auch eine Theaterinszenierung nicht nur einen Schöpfer hat ... Dein Text bestätigt das ja.


    Dass da manchmal Mozart steht, ist dann eben Marketing oder Konvention (Auch vor 200 Jahren gab es schon Marketing). Dass heute der Film als Fantasy-Musical auf der Basis von Noten Mozarts gepriesen wird, ist auch nur Marketing. Ein erster Eindruck weist stark in Richtung Harry Potter und dann kommt eben noch Mozart als Beigabe hinzu .... Ich würde solchen Bezeichnungen nicht ästhetisches Gewicht geben. Da klingelt eben kein Glöckchen, sondern nur die Kasse :)

  • Mozart, Wagner, Verdi, Puccini und R. Strauss auf dem Programmheft verkauft sich eben besser als "Peter Konwitschnys Vergangenheitsbewältigung, unterlegt mit Musik von Giuseppe Verdi" oder "Calixto Bieitos Alptraum, unterlegt mit Musik von Richard Wagner".

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich lese diesen Diskurs interessiert mit, fände es aber schön wenn auf sinnfreies " gendern " verzichtet werden könnte ! Das nervt beim Lesen ungemein! Danke !

    Natürlich kann das jeder schreiben, wie er will. Allerdings kann auch jeder lesen, wie er will. Da habe ich die Einstellung, dass ich grundsätzlich keine gegenderten Texte lese. Auch hier nicht.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Dass an einem Theaterkunstwerk viele Künstler beteiligt sind, dürfte ja wohl unstrittig sein. Die Konvention, bei Opern trotzdem nur den Komponisten als Schöpfer zu nennen, ist logischerweise eine grobe Vereinfachung dieses Umstands und vermutlich Ausdruck einer besonderen Wertschätzung seines Anteils am Kunstwerk. Insofern finde ich es schon sehr amüsant, dass der Vorschlag, statt dessen den Regisseuren diese Ehre zukommen zu lassen, ausgerechnet von denen kommt, die sonst am lautesten über das böse Regietheater schimpfen.


    Die ganze Diskussion scheint mir bisher darauf hinauszulaufen, dass eine Opernaufführung oder auch eine Theaterinszenierung nicht nur einen Schöpfer hat ...

    So ist es ohne Zweifel, und vor allem stellt ein Theaterkunstwerk keine "Realisierung", "Aktualisierung", "Darbietung" usw. einer dramatischen Dichtung dar, sondern es ist ein Kunstwerk eigener Art, das eine solche Dichtung verwenden kann - aber nicht muss. Ein Theaterkunstwerk ist kein Drama und deshalb logischerweise auch nicht die Bearbeitung eines Dramas, denn die müsste, wie weitreichend sie auch immer wäre, ja wieder ein Drama sein.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Die nächsten fünf Tage noch in der ORF-TVthek abrufbar: Die Neuinszenierung der "Meistersinger" aus der Wiener Staatsoper (ob außerhalb Österreichs zugänglich, kann ich nicht mit Gewissheit sagen). Inszenierung: Keith Warner, Dirigent: Philippe Jordan. Die gesamte Besetzung hier.


    https://tvthek.orf.at/profile/…er-von-Nuernberg/14159700

    Erste Eindrücke: Moderates Regietheater, das zwar keinem wehtut, wo man sich aber trotzdem fragt, weswegen dafür die legendäre Otto-Schenk-Inszenierung von 1975 abgesetzt wurde. Ich hatte das Glück, die letzte Wiederaufnahme dieser zeitlosen Produktion im November 2012 noch zu erleben.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Moderates Regietheater, das zwar keinem wehtut, wo man sich aber trotzdem fragt, weswegen dafür die legendäre Otto-Schenk-Inszenierung von 1975 abgesetzt wurde. Ich hatte das Glück, die letzte Wiederaufnahme dieser zeitlosen Produktion im November 2012 noch zu erleben.


    Ohne den konkreten Fall zu kennen: bei solchen über sehr lange Zeiträume immer wieder erfolgenden Wiederaufnahmen hat der "Schlusszustand" in der Regel nur noch begrenzt etwas mit dem "Originalzustand" der Inszenierung zu tun. Das liegt einfach daran, dass die Wiederaufnahmen meist von Regieassistent*innen (;)) einstudiert werden, die hierfür unterschiedliches Material (mehr oder weniger gründlich geführte Regiebücher, zum Teil auch mal Video-Aufzeichnungen unterschiedlicher Qualität) zur Verfügung haben.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ist dies nicht letztlich das, was ChKöhn schrieb? Der sinnvollste Setzer der Maßstäbe dürfte nämlich derjenige sein, der das künstlerische Erzeugnis macht, da er/sie auch dafür verantwortlich zeichnet. Also muss letztlich ein Regisseur wissen, ob er/sie eine Produktion "Tristan und Isolde" oder "Musiktheater inspiriert von 'Tristan und 'Isolde'" nennen möchte.

    Du bringst das Beispiel Wagner. Und das ist erhellend! ^^ Die Maßstäbe setzt erst einmal der Komponist - der hier auch der Textdichter ist. Wenn sich der Regisseur mit dem Komponisten verwechselt, ist das reine Anmaßung. Er hat die Sinnschöpfung des Komponisten, an der er nicht beteiligt war und ist, zu respektieren wie sie ist. Gerade bei Wagner ist das evident. Er wollte kein übliches Libretto schreiben, sondern ein Dicht-Werk, dass sich mit Werken der reinen Dichtkunst messen kann. Das kann man nun mal nicht ignorieren. Das Werk des Regisseurs ist die Aufführung zu bewerkstelligen - nicht mehr und nicht weniger. Da liegen seine Möglichkeiten - und seine Grenzen.

    Wenn er/sie extrem frei mit dem Material umgeht und dadurch Divergenzen zwischen Erwartungen des Publikums und dem Gezeigten auf der Bühne hervorruft, ist das ja auch sein/ihr Problem. Nur: woran soll man sich bei der Nomenklatur für eine solche Musiktheater-Veranstaltung orientieren? Ich wüsste keinen besseren ersten Maßstab zur Orientierung als die Konvention.

    Entschiedener Widerspruch! Dass Wagners "Ring" den Werkcharakter eines in sich geschlossenen Sinnzusammenhangs und vollendeten Kunstwerks hat, ist keine Konvention, sondern eine sich aus der Werkanalyse und ästhetisch-wissenschaftlichen Betrachtung zwingend ergebende Erkenntnis. Wer aus Wagners Kunstwerk etwas anderes machen will nach seinen Vorstellungen, ignoriert damit dessen Werkcharakter.

    »Kein Mensch muss müssen«

    Richtig. Nur wenn der Mensch meint, all das tun zu dürfen, was er kann, sollte er allerdings immer auch wissen, welchen Preis er dafür zahlt.

    Dass an einem Theaterkunstwerk viele Künstler beteiligt sind, dürfte ja wohl unstrittig sein. Die Konvention, bei Opern trotzdem nur den Komponisten als Schöpfer zu nennen, ist logischerweise eine grobe Vereinfachung dieses Umstands und vermutlich Ausdruck einer besonderen Wertschätzung seines Anteils am Kunstwerk.

    Das finde ich nun einigermaßen seltsam. Der Regisseur wird doch genannt. Auch wenn Bieito Beethovens "Fidelio" inszeniert, bleibt das immer noch Beethovens Fidelio. Wenn man Bieito fragen würde, bekäme man von ihm selbst glaube ich genau diese Antwort! ;)

    So ist es ohne Zweifel, und vor allem stellt ein Theaterkunstwerk keine "Realisierung", "Aktualisierung", "Darbietung" usw. einer dramatischen Dichtung dar, sondern es ist ein Kunstwerk eigener Art, das eine solche Dichtung verwenden kann - aber nicht muss. Ein Theaterkunstwerk ist kein Drama und deshalb logischerweise auch nicht die Bearbeitung eines Dramas, denn die müsste, wie weitreichend sie auch immer wäre, ja wieder ein Drama sein.

    Wenn das wahr wäre, dann bedeutete ein Libretto oder eine Partitur nicht mehr als ein Backrezept. Also: Der Regisseur ist ein Bäcker und will einen Streuselkuchen mit Kirschen backen. Also sucht er sich dafür das passende Rezept aus, in dem alle Zutaten dafür drin stehen. Später aber schmeckt ihm der Kirschstreuselkuchen nicht mehr und er entscheidet: Ich will statt dessen lieber Mohnkuchen backen! (Ich als fanatischer Mohnkuchen-Liebhaber könnte das durchaus verstehen - aber das nur in Klammern. ^^ ) Also streicht er einfach aus diesem Rezept die Kirschen und schreibt den Mohn dafür rein. Das kann er machen. Nur ist der Regisseur kein Bäcker und ein Libretto btw. die Partitur kein Backrezept. Denn: Eine Wagner-Oper ist ein vorgebener geschlossener Sinnzusammenhang, der als solcher nicht einfach zur Anpassung an die Aufführungsbedingungen beliebig umzumodeln ist. Das ist ästhetisch zwingend festgelegt durch den Werkcharakter. Wer mit einem solchen Werk umgeht, muss also erst einmal verstehen, deuten, interpretieren, also erkunden, was der vorgegebene Sinn ist, wozu dann auch gehört, die "Unbestimmtheitsstellen" des Textes zu erkennen wie die Inkonsistenzen und Widersprüche, die zu ihm gehören. (Bei Wagners Ring gibt es davon viele, was an der sehr komplexen Entstehungsgeschichte liegt.) Es ist die Aufgabe der Aufführung, diesen verbindlich vorgegebenen Sinn zur "Darstellung" zu bringen, zu "realisieren". Alles andere baut darauf auf. Sonst handelt es sich schlicht nicht um die Aufführung von Wagners Werk, sondern um eine beliebige Bearbeitung nach den Maßstäben des Bearbeiters. Wenn man nicht mehr bereit ist, die Unterscheidung zwischen "Aufführung im Anschluss an Wagner" und "Aufführung von Wagners Werk" zu machen, ist das schlicht das Ignorieren des Werkcharakters. Zu dieser nivellierenden Betrachtung neigen freilich die Beführworter von RT. ^^ Nur ist das ästhetisch inakzeptabel. Natürlich ist richtig: Keine Aufführung geht in der Realisierung und Darstellung eines Werkes auf. Aber!!!!! : Diese muss die Grundlage von allem Anderen, was dazu kommt, sein und bleiben. Wenn das nicht der Fall ist, dann benutzt man Kunstwerke als Steinbrüche, die man abreißt, um daraus nach eigenem Gutdünken neue Häuser zu bauen, in denen man lieber wohnen möchte als in den Gemäuern, aus denen man Steine nimmt.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Es ist die Aufgabe der Aufführung, diesen verbindlich vorgegebenen Sinn zur "Darstellung" zu bringen, zu "realisieren". Alles andere baut darauf auf. Sonst handelt es sich schlicht nicht um die Aufführung von Wagners Werk, sondern um eine beliebige Bearbeitung nach den Maßstäben des Bearbeiters.

    Eine "Bearbeitung" kann Theater wie gesagt schon deshalb nicht sein, weil die Bearbeitung eines Dramas wieder ein Drama wäre. Durch Bearbeitung wird aus einem Bild kein Roman, aus einer Skulptur keine Symphonie und aus einem Text bzw. einer Partitur kein Theater. Das ist ja wohl offensichtlich.


    Dass Wagners "Ring" den Werkcharakter eines in sich geschlossenen Sinnzusammenhangs und vollendeten Kunstwerks hat, ist keine Konvention, sondern eine sich aus der Werkanalyse und ästhetisch-wissenschaftlichen Betrachtung zwingend ergebende Erkenntnis. Wer aus Wagners Kunstwerk etwas anderes machen will nach seinen Vorstellungen, ignoriert damit dessen Werkcharakter.

    Natürlich ist der "Faust" ein fertiges Werk, aber eben kein Theaterkunstwerk. Wer ein solches schaffen will, kann deshalb gar nicht anders, als "nach seinen Vorstellungen" "etwas anderes" zu machen.


    Natürlich ist es richtig: Keine Aufführung geht in der Realisierung und Darstellung eines Werkes auf. Aber diese muss die Grundlage von allem Anderen, was dazu komm, sein und bleiben.

    Bleibt noch die Frage, wer Dir die Kompetenz verliehen hat, das so festzulegen ;). Wäre es so, wie Du schreibst, dass also die Basis eines Theaterkunstwerkes grundsätzlich die "Realisierung und Darstellung eines Werkes" sei, dann könnte es ohne ein solches Werk kein Theater geben. Das ist offensichtlich falsch.


    Wenn das nicht der Fall ist, dann benutzt man Kunstwerke als Steinbrüche, die man abreißt, um daraus nach eigenem Gutdünken neue Häuser zu bauen, in denen man lieber wohnen möchte als in den Gemäuern, aus denen man Steine nimmt.

    Aber da ist ja gar kein "Haus" / kein Theaterkunstwerk. Was nicht da ist, kann man auch nicht abreißen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Eine "Bearbeitung" kann Theater wie gesagt schon deshalb nicht sein, weil die Bearbeitung eines Dramas wieder ein Drama wäre. Durch Bearbeitung wird aus einem Bild kein Roman, aus einer Skulptur keine Symphonie und aus einem Text bzw. einer Partitur kein Theater. Das ist ja wohl offensichtlich.

    Das verstehe ich nun gar nicht. Natürlich kann man eine Bearbeitung weiter bearbeiten - so Arcadi Volodos Howowitz´ Carmen-Fantasie. Eine Partitur kann Retuschierungen aufweisen durch die Aufführungspraxis und immer weiter retuschiert werden (Gustav Mahler). Und natürlich kann die Textvorlage für eine Theateraufführung mehr oder weniger und wiederholt modifiziert/umgeschrieben werden.

    Natürlich ist der "Faust" ein fertiges Werk, aber eben kein Theaterkunstwerk. Wer ein solches schaffen will, kann deshalb gar nicht anders, als "nach seinen Vorstellungen" "etwas anderes" zu machen.

    Da bringst Du einfach die Ebenen durcheinander. "Faust", so wie das Stück geschrieben steht, ist ein Theaterkunstwerk, das für die Aufführung bestimmt ist. Das zeigt sich nicht zuletzt in seinem Aufbau - es gibt Szenen und Aufzüge u. dgl. Eine solche Gliederung macht bei einem reinen Lesetext keinen Sinn. Davon verschieden ist die Aufführung und die konkreten Aufführungsbedingungen. Die kann sich wiederum mehr oder weniger an diesen Text halten. Und wie weit sie sich vom Textsinn entfernen darf, ist eben eine legitime Frage.

    Bleibt noch die Frage, wer Dir die Kompetenz verliehen hat, das so festzulegen ;) . Wäre es so, wie Du schreibst, dass also die Basis eines Theaterkunstwerkes grundsätzlich die "Realisierung und Darstellung eines Werkes" sei, dann könnte es ohne ein solches Werk kein Theater geben. Das ist offensichtlich falsch.

    Das ist offensichtlich richtig. ^^ Denn ohne den Text von Goethe könnte niemand ein Theaterstück aufführen, das Goethes Faust wäre. Das wäre dann irgendein Faust, aber nicht der von Goethe. Meine Argumente sind ästhetisch und sprachtheoretisch begründet - der Darstellungsaspekt gehört nunmal untrennbar zum Sinnverständnis von Sprache und zur Kommunikation. Was Du machst, ist Sprache und sprachliche Kommunikation auf den Wirkungsaspekt zu reduzieren und die anderen Aspekte unberücksichtigt zu lassen.

    Aber da ist ja gar kein "Haus" / kein Theaterkunstwerk. Was nicht da ist, kann man auch nicht abreißen.

    Der Fehler bei Dir ist, dass Du einfach das Werk mit einer konkreten Aufführung unterschiedslos gleichsetzt. Wenn das richtig wäre, würde sich Beethovens Fidelio mit jeder Aufführung vervielfältigen und so verflüchtigen ins Nirvana. :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Da bringst Du einfach die Ebenen durcheinander. "Faust", so wie das Stück geschrieben steht, ist ein Theaterkunstwerk, das für die Aufführung bestimmt ist.

    Ich glaube, hier liegt der Knackpunkt. Man kann ja durchaus, den Text "Faust" vom Autor Goethe, auch wenn er für die Aufführung gedacht ist, als Kunstwerk unterscheiden vom Kunstwerk Theateraufführung.


    In gewisser Weise ist die Formulierung "Es wird Goethes Faust aufgeführt" dann nur eine Sache der bequemen Vereinfachung.

  • Ich glaube, hier liegt der Knackpunkt. Man kann ja durchaus, den Text "Faust" vom Autor Goethe, auch wenn er für die Aufführung gedacht ist, als Kunstwerk unterscheiden vom Kunstwerk Theateraufführung.


    In gewisser Weise ist die Formulierung "Es wird Goethes Faust aufgeführt" dann nur eine Sache der bequemen Vereinfachung.

    Anders als bei bildender Kunst gehört zu einem Musikstück oder einem Theaterstück, das es aufgeführt wird. Und das Aufführen und die Aufführung ist selbstverständlich eine eigene Kunst und ein eigenes Kunstwerk. Ich gehe ja ins Konzert, um Pollini zu hören, wie er Beethoven spielt - und nicht nur wegen Beethoven bzw. Beethovens Werk. Aber weil eben das Werk und die Aufführung nicht identisch sind, kann ich die Aufführung danach beurteilen, ob sie mehr oder weniger dem Werk gerecht wird. Das macht ihre Qualität aus. Darum dreht sich letztlich der Streit beim Regietheater, ob Regisseure hier nicht zu weit gehen. Es macht keinen Sinn, sich da aus der Diskussion herauszumogeln, indem man einfach sagt: Das Werk ist die Aufführung. Konkret habe ich mal eine Aufführung von Madame Butterfly in Münster besucht. Das war Regietheater. Mein Bekannter, der Regietheater im Prinzip auch mag und gar keine Probleme damit hat, fand die Aufführung weniger gelungen, weil sie sich durch die Veränderung von Ort und Zeit sowie bestimmter Handlungsmotive einige gravierende Inkonsistenzen einhandelte. Die Regie-Idee fand er letztlich nicht überzeugend - und seine Argumente waren auch für mich plausibel. So könnte er aber noch nicht einmal reden, wenn Werk und Aufführung einfach identisch wären.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das verstehe ich nun gar nicht. Natürlich kann man eine Bearbeitung weiter bearbeiten - so Arcadi Volodos Howowitz´ Carmen-Fantasie. Eine Partitur kann Retuschierungen aufweisen durch die Aufführungspraxis und immer weiter retuschiert werden (Gustav Mahler). Und natürlich kann die Textvorlage für eine Theateraufführung mehr oder weniger und wiederholt modifiziert/umgeschrieben werden.

    Es ging nicht darum, eine Bearbeitung weiter zu bearbeiten, sondern aus einem Text bzw. einer Partitur durch "Bearbeitung" ein Theaterkunstwerk zu machen. Das ist genauso unmöglich wie aus einem Roman durch "Bearbeitung" ein Bild zu machen.


    Da bringst Du einfach die Ebenen durcheinander. "Faust", so wie das Stück geschrieben steht, ist ein Theaterkunstwerk, das für die Aufführung bestimmt ist.

    Ich glaube, Du bringst die Ebenen durcheinander: Der "Faust" ist kein "Theaterkunstwerk" sondern ein Drama. Er wurde und wird auch ganz sicher häufiger gelesen als gespielt. "Bestimmt" ist da also gar nichts. Natürlich eignet er sich aufgrund seiner speziellen Eigenschaften höchstwahrscheinlich besser für die Verwendung im Rahmen eines Theaterkunstwerkes als "Finnegans Wake" oder die Facebook-Nutzungsbedingungen, aber ob und in welcher Weise er dort verwendet wird, ist durch nichts festgelegt.


    Der Fehler bei Dir ist, dass Du einfach das Werk mit einer konkreten Aufführung unterschiedslos gleichsetzt.

    Nein, ich tue das Gegenteil: Ich unterscheide das literarische Werk "Faust" von dem Theaterkunstwerk.


    Das ist offensichtlich richtig. ^^ Denn ohne den Text von Goethe könnte niemand ein Theaterstück aufführen, das Goethes Faust wäre. Das wäre dann irgendein Faust, aber nicht der von Goethe.

    Was auf der Theaterbühne stattfindet, ist niemals "Goethes Faust", denn Goethe hat kein Theaterkunstwerk hinterlassen (was auch gar nicht möglich wäre, weil Theater wie Musik grundsätzlich in der Gegenwart stattfindet).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Aber weil eben das Werk und die Aufführung nicht identisch sind, kann ich die Aufführung danach beurteilen, ob sie mehr oder weniger dem Werk gerecht wird

    Das kannst Du natürlich machen. Voraussetzung ist ein entsprechendes Wissen und vieles andere mehr.


    Aber das ästhetische Erleben der Musik könnte ja etwas völlig anderes sein. Stell Dir vor, Du hörst in einem Konzert Musik, die Dich bewegt und erfährst im Nachhinein, dass sie einen Komponisten hat. Wahrscheinlich interessierst Du Dich dann für den Komponisten, eventuell aber auch nicht.


    Entscheidend scheint mir hier zu sein, dass das Erfahren der Musik als solche unabhängig von historischen Bezügen einfach im Augenblick des Rezipierens stattgefunden hat. In dieser Hinsicht kann man die Aufführung doch als eigenes Kunstwerk begreifen.

  • Es ging nicht darum, eine Bearbeitung weiter zu bearbeiten, sondern aus einem Text bzw. einer Partitur durch "Bearbeitung" ein Theaterkunstwerk zu machen. Das ist genauso unmöglich wie aus einem Roman durch "Bearbeitung" ein Bild zu machen.

    Das ist aber einfach das falsche Beispiel. Es gibt ja die Versuche, Orchesterwerke zu "vertanzen" - wozu sie nicht bestimmt sind. Ein Theaterstück wird aber nunmal für das Spielen auf dem Theater geschrieben.

    Ich glaube, Du bringst die Ebenen durcheinander: Der "Faust" ist kein "Theaterkunstwerk" sondern ein Drama. Er wurde und wird auch ganz sicher häufiger gelesen als gespielt. "Bestimmt" ist da also gar nichts. Natürlich eignet er sich aufgrund seiner speziellen Eigenschaften höchstwahrscheinlich besser für die Verwendung im Rahmen eines Theaterkunstwerkes als "Finnegans Wake" oder die Facebook-Nutzungsbedingungen, aber ob und in welcher Weise er dort verwendet wird, ist durch nichts festgelegt.

    Auch das ist so nicht richtig. Goethes Faust ist für ein "normales" Theaterstück einfach ungewöhnlich lang. Da wusste natürlich auch der Theaterpraktiker Goethe, dass dies die Aufführung erschwert und sein Faust deshalb als Buch gelesen wird. So kann man vielleicht der Ansicht sein, dass bei Goethes Faust die Bestimmung (Lesetext und/oder Theaterstück) nicht ganz eindeutig ist. Bei anderen Stücken wie Schillers Räubern oder Hamlet von Shakespeare oder Büchners Wozzek ist das aber eindeutig. Das sind keine Lesetexte. Der Vergleich mit Finnegans Wake ist hier unangebracht. Denn von der Sprachstruktur und dem Aufbau her ist dieser Text für das Theater absolut ungeeignet - das ist eine völlig andere Literaturgattung.

    Nein, ich tue das Gegenteil: Ich unterscheide das literarische Werk "Faust" von dem Theaterkunstwerk.

    Aber in völlig falscher Weise. Du tust so, als hätte "Faust" als Text mit dem Theater so viel zu tun wie "Finnigans Wake" - nämlich gar nichts. Und dann erschafft für Dich die Theateraufführung "Faust" als Theaterstück gleichsam aus dem Nichts. Jeder Literaturwissenschaftler kann Dir da minutiös vorrechnen, dass das definitiv unrichtig ist. ^^

    Was auf der Theaterbühne stattfindet, ist niemals "Goethes Faust", denn Goethe hat kein Theaterkunstwerk hinterlassen (was auch gar nicht möglich wäre, weil Theater wie Musik grundsätzlich in der Gegenwart stattfindet).

    Doch. Goethes Worte werden gesprochen, die Aufführung, wenn sie werkgerecht ist, hält sich an Goethes Szeneneinteilungen etc. Die Aufführung findet in der Gegenwart statt - das Theaterstück als Literaturgattung und aufgeschriebener Text dagegen ist nicht zeitgebunden.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Du tust so, als hätte "Faust" als Text mit dem Theater so viel zu tun wie "Finnigans Wake" - nämlich gar nichts.

    Wenn ein Künstler die künstlerische Entscheidung trifft, in einem Theaterkunstwerk einen Text zu verwenden, hat dieses Kunstwerk natürlich auch mit dem Text "zu tun". Aber er ist dort in einen Gesamtzusammenhang mit anderen Elementen eingebettet, und zwar nicht, weil der Künstler so eigenmächtig wäre, sondern weil ein Text nun mal kein Theater ist. Welche Rolle der Text in diesem Zusammenhang spielt, darüber ist mit seiner Verwendung aber noch nichts gesagt. Du verlangst, dass alle anderen Elemente dem Text zu dienen und sich ihm unterzuordnen haben, aber das ist nur eine Möglichkeit unter unendlich vielen. Theater ist keine "Realisierung" eines Textes, denn der Text ist schon real, muss und kann also auch nicht "realisiert" werden. Er ist nur kein Theater.


    das Theaterstück als Literaturgattung und aufgeschriebener Text dagegen ist nicht zeitgebunden.

    Ja, aber damit ist nichts über seine Verwendung in einem Theaterkunstwerk gesagt. (Übrigens bin ich der festen Überzeugung, dass auch ein aufgeschriebener Text "zeitgebunden" ist, aber das wäre ein anderes Thema.)

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Das kannst Du natürlich machen. Voraussetzung ist ein entsprechendes Wissen und vieles andere mehr.


    Aber das ästhetische Erleben der Musik könnte ja etwas völlig anderes sein. Stell Dir vor, Du hörst in einem Konzert Musik, die Dich bewegt und erfährst im Nachhinein, dass sie einen Komponisten hat. Wahrscheinlich interessierst Du Dich dann für den Komponisten, eventuell aber auch nicht.

    Ja, aber dann gibt es immer noch den Notentext als Verbindlichkeit. Das ist dann genau so wie das Lesen eines Märchens, das auch keinen Autor hat.

    Entscheidend scheint mir hier zu sein, dass das Erfahren der Musik als solche unabhängig von historischen Bezügen einfach im Augenblick des Rezipierens stattgefunden hat. In dieser Hinsicht kann man die Aufführung doch als eigenes Kunstwerk begreifen.

    Das hatte ich doch gesagt, dass die Aufführung ein eigenes Kunstwerk ist. Natürlich ist die "Werkgerechtigkeit" nicht das einzige Kriterium der Beurteilung. Eine werkgerechte Aufführung kann sehr routiniert und langweilig sein... :D

    Wenn ein Künstler die künstlerische Entscheidung trifft, in einem Theaterkunstwerk einen Text zu verwenden, hat dieses Kunstwerk natürlich auch mit dem Text "zu tun".

    Ja genau so viel, wie wenn ein Regisseur auf die Idee käme, ein Happy End an das Ende von Tristan und Isolde zu setzen und das tragische Finale, Isoldes Liebestod, dafür zu streichen - die beiden kriegen sich doch im Leben und nicht erst im Tod - zur Beglückung des Publikums. :D Auf das "Wie" des Zu-tun-habens kommt es leider an, nicht nur auf das "Dass" ... Schon im 19. Jhd findet man immer wieder die Kritik an der herrschenden Aufführungspraxis, dass die Schauspieler (Regisseure im modernen Sinne gab es damals noch nicht) nur ihrem Egotrip folgen und die Intentionen des Dichters/Komponisten nicht genügend beachten (zu finden z.B. bei E.T.A. Hoffmann Seltsame Leiden eines Theaterdirektors). Deshalb sollte man dieses Problem nicht einfach ignorieren. "Irgendwie mit dem Text zu tun haben" bleibt viel zu vage und beantwortet diese Frage nicht. ;)

    Aber er ist dort in einen Gesamtzusammenhang mit anderen Elementen eingebettet, und zwar nicht, weil der Künstler so eigenmächtig wäre, sondern weil ein Text nun mal kein Theater ist.

    Nochmals: Theaterstücke sind eine eigene Literaturgattung und die Beziehung zum Theater ist deshalb nicht einfach äußerlich und beliebig. Der Text enthält jede Menge Hinweise, wie das dort aufgeschriebene Stück aufzuführen ist. Der Text "ist" in diesem Sinne Theater. Oder willst Du die Literaturwissenschaft revolutionieren und behaupten, es gäbe die Literaturgattung Theaterstück mit den dazugehörigen Gattungskriterien überhaupt nicht? ;) :D

    Welche Rolle der Text in diesem Zusammenhang spielt, darüber ist mit seiner Verwendung aber noch nichts gesagt.

    Doch. Wenn man erwähnt, dass die Aufführungspraxis von Vorgaben im Libretto abgewichen ist (Kürzungen, Umstellungen etc.), muss man aber auch sagen, dass es immer schon eine darauf bezogene Kritik insbesondere der Komponisten/Autoren gegeben hat, die beklagen, dass man sich nicht an die Textvorlagen hält. Eine solche Praxis legitimiert sich also nicht einfach selbst - sondern es bedarf der Kriterien, welche Bearbeitungen zulässig und welche besser zu unterlassen sind.

    Du verlangst, dass alle anderen Elemente dem Text zu dienen und sich ihm unterzuordnen haben, aber das ist nur eine Möglichkeit unter unendlich vielen.

    Das ist nur richtig, wenn man das Kriterium der werkgerechten Aufführung ganz aufgibt. Dann können Regisseure wie der liebe Gott mit der Welt machen, was sie wollen. :D

    Theater ist keine "Realisierung" eines Textes, denn der Text ist schon real, muss und kann also auch nicht "realisiert" werden. Er ist nur kein Theater.

    Doch. Realisiert wird die Textvorlage - indem die Worte gesprochen werden usw.

    Ja, aber damit ist nichts über seine Verwendung in einem Theaterkunstwerk gesagt. (Übrigens bin ich der festen Überzeugung, dass auch ein aufgeschriebener Text "zeitgebunden" ist, aber das wäre ein anderes Thema.)

    Natürlich. Wenn darüber "nichts gesagt" wäre, würde Niemand so einen Text schreiben.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich melde mich mal aus der Position eines einfachen Mönches in der scholastischen RT-Debatte über das "RT-filioque", die von den beiden "Kirchenvätern" Köhn und Kaletha (auch Symbol gehört dazu) kundig, aber auch geheimnisvoll, geführt wird. Ich habe immer die mittlere Position vertreten, also RT-Theater als ästhetische Möglichkeit. Mit jedem Beitrag neige ich mehr auf die Seite von Holger Kaletha. Auch wenn ich nicht alles sofort verstehe, ist es eine spannende Diskussion. Auch ist sie, verglichen mit früher, doch von Respekt geprägt, das ist doch ein großer Fortschritt. Allerdings zu einem wird man mich nicht bewegen können. 1. Wagners Texte ohne Musik zu lesen. 2. Wagners theoretische Texte zu lesen.

    Und weil kleine Mönche schnell müde werden, geht es nach dem heimlichen Genuss eines vollen Glases Messwein (ein klassischer Papstwein, nämlich Bergerac-Monbazillac) an die Siesta.

    Noch ein kleiner Scherz: Ein Mönch wird in der Kopierstube beim Abschreiben eines Textes ohnmächtig. Ein anderer Mönch hastet zum Abt: "Wir brauchen Hilfe. Unser Kopierer ist zusammengebrochen!"

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • 1. Wagners Texte ohne Musik zu lesen

    Da kann ich nur von abraten. Dieses Programm habe ich einmal konsequent durchgezogen ...:)


    Für den sprachlich Abgehärteten


    wagner-die-musikdramen.jpg


    2. Wagners theoretische Texte zu lesen.

    Solange da nicht antisemitischer Blödsinn drin zu finden ist (oder dieser wenigstens ausblendbar wäre) , wäre ich mittlerweile nicht abgeneigt ...

  • Ich melde mich mal aus der Position eines einfachen Mönches in der scholastischen RT-Debatte über das "RT-filioque", die von den beiden "Kirchenvätern" Köhn und Kaletha (auch Symbol gehört dazu) kundig, aber auch geheimnisvoll, geführt wird.


    Diese Nennung ehrt mich zwar sehr, aber als oller Protestant fühle ich mich Luther irgendwie etwas näher als den Kirchenvätern. ;)


    Oder willst Du die Literaturwissenschaft revolutionieren und behaupten, es gäbe die Literaturgattung Theaterstück mit den dazugehörigen Gattungskriterien überhaupt nicht?


    Selbstverständlich gibt es diese Gattung, aber ein "Theaterstück" ist eben kein "Theater", denn sonst müsste ja der Zusatz "-stück" nicht sein. Es ist halt eine literarische Gattung, in der Texte mit szenischem Bezug gestaltet werden, so dass diese sich besonders für eine szenische Aufführung eignen. Das heißt aber nicht, dass eine solche Aufführung unbedingt stattfinden muss, um das Theaterstück als literarisches Werk rezipieren zu können.


    Dann können Regisseure wie der liebe Gott mit der Welt machen, was sie wollen.


    Zumindest laut der christlichen Theologie kann auch der liebe Gott das nicht (mit Verweis auf die "Regensburger Rede" des emeritierten Papstes), aber das ist OT. ;)


    Leider habe ich gerade wenig Zeit, aber zwei kurze Anmerkungen habe ich noch.


    Erstens sollte man mit der Nennung Wagners in diesem Zusammenhang insofern vorsichtig sein, weil es nicht nur vor, sondern auch nach Wagner Musiktheater gegeben hat, das nicht seinen ästhetischen Vorstellungen gefolgt ist. Wagner war als Theoretiker und Ästhet des Musiktheaters fraglos sehr wichtig, aber es gibt auch ein Musiktheater jenseits seiner Sphäre. Wenn man grundlegende theoretische Überlegungen zum Musiktheater anstellt, müssen diese Überlegungen auch das Non-Wagner-Theater sinnvoll erfassen können.


    Zweitens hierzu:


    Eine werkgerechte Aufführung kann sehr routiniert und langweilig sein...


    Wäre dies nicht nur dann zutreffend, wenn das Werk so konzipiert ist, dass es "routiniert" und "langweilig" erscheinende Aufführungen hervorbringen soll? Sonst könnte eine solche Aufführung doch wohl kaum "werkgerecht" sein. Ich glaube kaum, dass es Werke von Rang gibt, auf die dies zutrifft. Andererseits gibt es natürlich Glass, Pärt und Penderecki, wobei ich befürchte, dass die ihre Erzeugnisse tatsächlich spannend finden/fanden... :untertauch:


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Selbstverständlich gibt es diese Gattung, aber ein "Theaterstück" ist eben kein "Theater", denn sonst müsste ja der Zusatz "-stück" nicht sein. Es ist halt eine literarische Gattung, in der Texte mit szenischem Bezug gestaltet werden, so dass diese sich besonders für eine szenische Aufführung eignen. Das heißt aber nicht, dass eine solche Aufführung unbedingt stattfinden muss, um das Theaterstück als literarisches Werk rezipieren zu können.

    Das gilt ja auch für Musikstücke. Die Noten, die aufgeschrieben wurden, müssen nicht unbedingt gespielt werden. Doch es gilt das "wenn - dann..." Wenn sie schließlich gespielt werden, schafft der Text Verbindlichkeiten.

    Erstens sollte man mit der Nennung Wagners in diesem Zusammenhang insofern vorsichtig sein, weil es nicht nur vor, sondern auch nach Wagner Musiktheater gegeben hat, das nicht seinen ästhetischen Vorstellungen gefolgt ist. Wagner war als Theoretiker und Ästhet des Musiktheaters fraglos sehr wichtig, aber es gibt auch ein Musiktheater jenseits seiner Sphäre. Wenn man grundlegende theoretische Überlegungen zum Musiktheater anstellt, müssen diese Überlegungen auch das Non-Wagner-Theater sinnvoll erfassen können.

    Anti-Wagnerianer war z. B. Bert Brecht. Der hat aber sehr genau notiert, was er wollte... :D

    Wäre dies nicht nur dann zutreffend, wenn das Werk so konzipiert ist, dass es "routiniert" und "langweilig" erscheinende Aufführungen hervorbringen soll? Sonst könnte eine solche Aufführung doch wohl kaum "werkgerecht" sein. Ich glaube kaum, dass es Werke von Rang gibt, auf die dies zutrifft.

    Wenn man einer Aufführung keiner gravierenden Verstöße nachweisen kann, darf man sie werkgerecht nennen. Natürlich reicht das noch nicht dafür, dass es eine wirklich gute Aufführung wird. Das ist letztlich eine Frage, wie weit oder eng man den Begriff "werkgerecht" fasst. :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ja genau so viel, wie wenn ein Regisseur auf die Idee käme, ein Happy End an das Ende von Tristan und Isolde zu setzen und das tragische Finale, Isoldes Liebestod, dafür zu streichen - die beiden kriegen sich doch im Leben und nicht erst im Tod - zur Beglückung des Publikums.

    Über das Gelingen bzw. Misslingen von Theaterkunstwerken habe ich nichts geschrieben, und rein fiktive Beispiele wären auch kaum der passende Gegenstand, um das zu diskutieren. In unserem Zusammenhang ist entscheidend, dass ein Autor kein Theaterkunstwerk schafft sondern ein Drama, und dass ein Theaterkunstwerk weder auf die Verwendung eines solchen Dramas angewiesen ist noch sein Schöpfer irgendeine Verpflichtung hat, es in einer bestimmten Weise zu verwenden. Und natürlich ist umgekehrt das Drama auch nicht darauf angewiesen, in einem Theaterkunstwerk verwendet zu werden.


    Nochmals: Theaterstücke sind eine eigene Literaturgattung und die Beziehung zum Theater ist deshalb nicht einfach äußerlich und beliebig. Der Text enthält jede Menge Hinweise, wie das dort aufgeschriebene Stück aufzuführen ist. Der Text "ist" in diesem Sinne Theater. Oder willst Du die Literaturwissenschaft revolutionieren und behaupten, es gäbe die Literaturgattung Theaterstück mit den dazugehörigen Gattungskriterien überhaupt nicht? ;) :D

    Eben: Sie sind eine Literaturgattung, aber kein Theater. Dass die Beziehung zum Theater "äußerlich und beliebig" sei, hast Du mir in den Mund gelegt. Ich habe nur (mehrfach) geschrieben, dass ein Text/Stück in einem Theaterkunstwerk verwendet werden kann (nicht muss).


    Das ist nur richtig, wenn man das Kriterium der werkgerechten Aufführung ganz aufgibt. Dann können Regisseure wie der liebe Gott mit der Welt machen, was sie wollen. :D

    Sie können alles tun, aber sie sollten nur tun, was sie können. Dann wüsste ich allerdings nicht den geringsten Grund, warum sie etwas nicht tun sollten.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Über das Gelingen bzw. Misslingen von Theaterkunstwerken habe ich nichts geschrieben, und rein fiktive Beispiele wären auch kaum der passende Gegenstand, um das zu diskutieren. In unserem Zusammenhang ist entscheidend, dass ein Autor kein Theaterkunstwerk schafft sondern ein Drama, und dass ein Theaterkunstwerk weder auf die Verwendung eines solchen Dramas angewiesen ist noch sein Schöpfer irgendeine Verpflichtung hat, es in einer bestimmten Weise zu verwenden. Und natürlich ist umgekehrt das Drama auch nicht darauf angewiesen, in einem Theaterkunstwerk verwendet zu werden.

    Tatsache ist aber, dass die Entstehungsbedingungen der allermeisten Theaterstücke waren, dass der Autor sie nur geschrieben hat im unmittelbaren Zusammenhang ihrer Aufführung und Aufführungsmöglichkeit. Entweder waren es Auftragsarbeiten oder der Autor musste schlicht davon leben, dass er Stücke liefert, die aufgeführt werden können. Nur die tatsächlichen Aufführungen brachten letztlich Geld. Und meistens wurden sie auch deshalb in genau der Gestalt aufgeführt, wie sie aufgeschrieben wurden oder es gab Änderungswünsche, denen der Autor gleich entsprochen hat. Die ganze Problematik die Du da aus heutiger Sicht skizzierst, ist deshalb in Bezug auf die Entstehungsbedingung der allermeisten Stücke ein bisschen künstlich. Da sind wir dann wieder bei dem Problem des historischen Abstandes und wie man damit umgeht.

    Eben: Sie sind eine Literaturgattung, aber kein Theater. Dass die Beziehung zum Theater "äußerlich und beliebig" sei, hast Du mir in den Mund gelegt. Ich habe nur (mehrfach) geschrieben, dass ein Text/Stück in einem Theaterkunstwerk verwendet werden kann (nicht muss).

    Jetzt redest Du aber einmal mehr um den heißen Brei herum. ^^ Ich muss Goethes Faust nicht aufführen. Aber wenn ich mich dazu entschließe, dieses Stück aufzuführen, schafft der Text Verbindlichkeiten. Ich muss dann begründen können, wenn ich ihn stark verändere, was das noch mit dem eigentlichen Stück zu tun hat, das ich ja vorgebe aufführen zu wollen. Das kann man nunmal verlangen.

    Sie können alles tun, aber sie sollten nur tun, was sie können. Dann wüsste ich allerdings nicht den geringsten Grund, warum sie etwas nicht tun sollten.

    Wir sollten es nicht bei geistreichen Wortspielen belassen. ;) Was heißt hier genau "können"? Um welche Möglichkeiten geht es? Ich kann mir erlauben, auf die andere Straßenseite zu gehen. Das ist möglich. Nur unter welchen Bedingungen? Nur wenn die Ampel auf "Grün" steht oder auch bei roter Ampel?


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das gilt ja auch für Musikstücke. Die Noten, die aufgeschrieben wurden, müssen nicht unbedingt gespielt werden. Doch es gilt das "wenn - dann..." Wenn sie schließlich gespielt werden, schafft der Text Verbindlichkeiten.


    Das ergibt für mich keinen Sinn. Demnach wäre es ja "werkgerechter", von einer Beethoven-Sonate nur den ersten und den letzten Takt zu spielen, als sie vollständig aber mit einer einzigen vom Text abweichenden Note zu spielen.


    Davon abgesehen ist das Verhältnis von notiertem Material zur Aufführung bei der Musik anders als beim Theater. Beim Theater kann der Dramentext unabhängig von der Theateraufführung ästhetisch rezipiert werden, aber dann halt als Literatur und nicht als Theater. Bei der Musik kann man zwar eine Partitur studieren und sich damit eine Vorstellung von Musik verschaffen, aber zur ästhetischen Rezeption gehört in der Musik das klangliche Ereignis, das beim Lesen nicht stattfindet.


    Wenn man einer Aufführung keiner gravierenden Verstöße nachweisen kann, darf man sie werkgerecht nennen. Natürlich reicht das noch nicht dafür, dass es eine wirklich gute Aufführung wird. Das ist letztlich eine Frage, wie weit oder eng man den Begriff "werkgerecht" fasst.


    Hieran zeigt sich m. E. recht gut die Schwammigkeit derartiger Begriffe. Ich hätte ja angenommen, dass etwas dem Werk "gerecht" werden muss, um "werkgerecht" genannt zu werden. In diesem Sinne wäre eine texttreue, aber strunzlangweilig gestaltete Darbietung z. B. von Liszts h-moll-Sonate halt nicht "werkgerecht". Derartige Missverständnisse ließen sich vermeiden, wenn man sich auf die reine Überprüfung von "Textgerechtigkeit" oder "Texttreue" beschränken würde. So etwas kann halt auch noch Sixtus Beckmesser. ^^


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Aber wenn ich mich dazu entschließe, dieses Stück aufzuführen, schafft der Text Verbindlichkeiten.


    Wieso? Er ist gemeinfrei, d.h. man kann zumindest de jure niemanden verpflichten, dass der Text in einer bestimmten Weise genutzt wird.


    Ich würde es anders formulieren: der Text schafft keine Verbindlichkeiten, aber eine gewisse Fallhöhe. Egal, was jemand theatralisch daraus macht - es hätte zumindest die theoretische Möglichkeit bestanden, den Text möglichst buchstabengetreu "auszukostümieren". Wenn man mit der Aufführung hinter diese Option zurückfällt, kann das m. E. ein plausibler Grund sein, die für die Aufführung getroffenen Entscheidungen infrage zu stellen.


    Ich muss dann begründen können, wenn ich ihn stark verändere, was das noch mit dem eigentlichen Stück zu tun hat, das ich ja vorgebe aufführen zu wollen. Das kann man nunmal verlangen.


    Wer ist "man"? Und verlangen kann "man" natürlich viel, aber das bedeutet nicht, dass man einen Anspruch darauf hat, das Verlangte auch zu erhalten.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Das ergibt für mich keinen Sinn. Demnach wäre es ja "werkgerechter", von einer Beethoven-Sonate nur den ersten und den letzten Takt zu spielen, als sie vollständig aber mit einer einzigen vom Text abweichenden Note zu spielen.

    Jetzt hast Du meine Antwort aus dem Zusammenhang gerissen, dann wird sie natürlich unverständlich. ^^ Prinzipiell habe ich darauf hier geantwortet:


    Tatsache ist aber, dass die Entstehungsbedingungen der allermeisten Theaterstücke waren, dass der Autor sie nur geschrieben hat im unmittelbaren Zusammenhang ihrer Aufführung und Aufführungsmöglichkeit. Entweder waren es Auftragsarbeiten oder der Autor musste schlicht davon leben, dass er Stücke liefert, die aufgeführt werden können. Nur die tatsächlichen Aufführungen brachten letztlich Geld. Und meistens wurden sie auch deshalb in genau der Gestalt aufgeführt, wie sie aufgeschrieben wurden oder es gab Änderungswünsche, denen der Autor gleich entsprochen hat. Die ganze Problematik die Du da aus heutiger Sicht skizzierst, ist deshalb in Bezug auf die Entstehungsbedingung der allermeisten Stücke ein bisschen künstlich. Da sind wir dann wieder bei dem Problem des historischen Abstandes und wie man damit umgeht.


    Davon abgesehen ist das Verhältnis von notiertem Material zur Aufführung bei der Musik anders als beim Theater. Beim Theater kann der Dramentext unabhängig von der Theateraufführung ästhetisch rezipiert werden, aber dann halt als Literatur und nicht als Theater. Bei der Musik kann man zwar eine Partitur studieren und sich damit eine Vorstellung von Musik verschaffen, aber zur ästhetischen Rezeption gehört in der Musik das klangliche Ereignis, das beim Lesen nicht stattfindet.

    Erst einmal geschieht die Veröffentlichung eines bestimmten Textes zu einem bestimmten Verwendungszweck. Und der ist bei einem Theaterstück nunmal die tatsächliche Aufführung. Was dann "möglicherweise" noch mit solchen Texten passieren kann, gehört nicht zur Gattungsbestimmung. Wenn ein Stück populär wurde in früheren Zeiten, wo die Aufführungsmöglichkeiten sehr begrenzt waren, ist es denkbar, dass sie auch nur gelesen wurden. Da müsste man aber erst einmal klären, ob es überhaupt einen Verleger gab, der solche Literatur, die eigentlich gar keine Leseliteratur war, für Leser auch verlegt hat. Bei Lyrik, die einen "musikalischen" Sinn hat, ist es eigentlich nötig, sie vorzutragen oder zumindest laut zu lesen. Das sind aber alles rezeptionsästhetische Fragen.

    Hieran zeigt sich m. E. recht gut die Schwammigkeit derartiger Begriffe. Ich hätte ja angenommen, dass etwas dem Werk "gerecht" werden muss, um "werkgerecht" genannt zu werden. In diesem Sinne wäre eine texttreue, aber strunzlangweilig gestaltete Darbietung z. B. von Liszts h-moll-Sonate halt nicht "werkgerecht". Derartige Missverständnisse ließen sich vermeiden, wenn man sich auf die reine Überprüfung von "Textgerechtigkeit" oder "Texttreue" beschränken würde. So etwas kann halt auch noch Sixtus Beckmesser. ^^

    Der Begriff ist nicht schwammig, man sollte nur die wekästhetische Seite von der rezeptionsästhetischen unterscheiden, um ihn zu präzisieren. Die rezeptionsästhetische Perspektive enthält Aspekte, die über die "Werkgerechtigkeit" hinausgehen. Dazu gehört der Vortragsstil, Aufführungstraditionen, in denen man sich bewegt, die Originalität oder bloße Nachahmung von Vorbildern in der Interpretation, die Ästhetik der Aufführung und wirkungsästhetische Fragen wie Identifikation oder Distanz des Zuschauers usw. usw.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich muss Goethes Faust nicht aufführen. Aber wenn ich mich dazu entschließe, dieses Stück aufzuführen, schafft der Text Verbindlichkeiten. Ich muss dann begründen können, wenn ich ihn stark verändere, was das noch mit dem eigentlichen Stück zu tun hat, das ich ja vorgebe aufführen zu wollen. Das kann man nunmal verlangen.

    Ergänzend zu dem, was Symbol geschrieben hat: Deine Prämisse ist, ein Regisseur wolle "das eigentliche Stück aufführen". Woher nimmst Du diese Information? Vielleicht will er einfach nur unter Verwendung des Stückes ein möglichst gelungenes Theaterkunstwerk schaffen? Da also Deine Prämisse nicht haltbar ist, gilt das auch für Deine Schlussfolgerung, dass sich aus ihr "Verbindlichkeiten" ergeben. Diese ergeben sich aus Deinen persönlichen Erwartungen an eine angeblich "werkgerechte" Aufführung, aber nicht aus dem Stück.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose