Franz Schubert - - - Gedanken zum Schubertlied und seinen Interpreten

  • Mit Erleichterung habe ich Deine Reaktion auf meinen letzten Beitrag hier gelesen, lieber "hart".
    Ich hatte mich schon nicht mehr getraut, das Forum anzuklicken, weil ich befürchtete, ich hätte Verärgerung ausgelöst, wenn nicht sogar Schlimmeres. Der Beitrag war da und dort wirklich unnötig scharf, und die Verwendung des Unwortes "super" eine richtiggehende Tolpatschigkeit (obwohl ja gar nicht auf einen bestimmten Personenkreis gemünzt).
    Letzten Endes stand hinter dem, was ich da schrieb, ja nichts anderes als das starke Verlangen nach Dialog und Gespräch.


    Dass man an schönen Stimmen Freude haben und sie in ihrem Wohlklang genießen möchte, kann ich sehr gut verstehen, obwohl mir selbst - leider! - ein wenig das Sensorium dafür fehlt.
    Bezeichnenderweise war die Callas die einzige Opernstimme, die mich je fasziniert hat. Und die hatte ja gerade keinen wohlklingenden Sopran.


    Ich habe auf dem Forum lernen können (und müssen), dass meine Sicht auf das Kunstlied, die ja primär vom zugrundeliegenden lyrischen Text her erfolgt, wohl eine durchaus einseitige ist. Sie bedarf der Ergänzung durch ein Verständnis des Liedes als eines autonomen, vom sprachlichen Text emanzipierten musikalischen Kunstwerks.


    Aus dieser Perspektive gewinnt dann die Stimme eine neue und ganz eigene Dignität: Sie ist jetzt nicht mehr nur ein dienend interpretierender Bestandteil des Liedes, sondern einer, der mit seiner je eigenen klanglichen Qualität einen wichtigen Beitrag zu dessen musikalischem Gehalt liefert.


    Ich hatte in diesem Zusammenhang gerade erst ein durchaus bemerkenswertes Erlebnis.
    Ich hörte mir eine Rundfunksendung an, die ich vor mehr als vierzig Jahren mit meiner Revox- Bandmaschine mitgeschnitten hatte: "Liedgesang aus der Frühzeit der Schallplatte".
    Der Kommentator meinte dort: "Der Liedgesang war in den dreißiger Jahren auf einem Höhepunkt, den er danach nie wieder erreichte."


    Hat mich nachdenklich gemacht, - dieser Satz, und mir fielen sofort meine Forianer ein.
    Mit meinem Verständnis des Kunstliedes und seines Interpreten bin ich wohl so etwas wie ein Exot hier auf dem Forum, wenn nicht gar ein Fremdling.
    Möchte aber dennoch gerne bleiben!


    Übrigens: Die beiden von Dir erwähnten Aufnahmen kenne ich leider noch nicht. Zu meinen über dreißig Aufnahmen der Winterreise wollte ich eigentlich nicht noch eine weitere hinzufügen.
    Ich werde es dennoch tun und mir auch den besagten Schwanengesang anhören. Warum?
    Damit ich hier darüber reden kann!

  • Hallo! Helmut Hofmann,
    das wird wohl so langsam zu unserer Privatseite...
    Aber ich möchte doch gleich darauf antworten und zunächst eine Bemerkung zur Callas machen. Reanata Tebaldi hat vielleicht "schöner" gesungen, aber die Callas sang "expressiver", was auch mich begeisterte.


    Was die alten Liedaufnahmen (30er Jahre) angeht, bin ich nicht immer hell begeistert, die Aufnahmen in den 40er Jahren sind in der Regel etwas besser. Hier schätze ich Gertrude Pitzinger (sie lehrte den 60er Jahren an der Musikhochschule Frankfurt), Karl Erb und Peter Anders.


    Karl Erb war übrigens der, der zu Fischer-Diskau sagte: Kommen sie mal zu mir, ich zeige ihnen, wie man Schubert singt...


    Dass der Liedgesang in den dreißiger Jahren auf seinem Höhepunkt war, den er nie wieder erreichte, bestreite ich ausdrücklich.
    Man kann doch, ja man muss, Fischer-Dieskau als Maßstab nehmen und sehen, dass er einem beachtlichen Nachwuchs den Liedgesang "schackhaft" machte.


    Ich glaube kaum, dass Bostridge, Goerne, Jarnot... um nur einige zu nennen, heute in dieser Art musizieren würden, wenn es Dieskau nicht gegeben hätte.


    Bei dem von mir erwähnten - von Henschel gesungenen - Schwanengesang geht es nicht um das Hören.
    Ich beziehe mich auf eine Ende März gesehene szenische Aufführung an der Komischen Oper Berlin, wo Henschel teilweise gegen den Eisernen Vorhang sang und sich bei andern Liedern auf dem Boden wälzte... dazu gab es projezierte Ruckelbilder usw. usw.
    Man möchte die "langweiligen" Liederabende auf diese Weise aufmotzen und so das Publikum ins Theater locken. Ich fürchte, dass das Regietheater nun die Liederabende erreicht und man auch dort als Musikfreund nicht mehr hingehen kann.


    Dem Rezensenten in der Berliner Zeitung, der von der Sache recht angetan war, könnte ich leicht beweisen, dass er von Liederabenden keinen blassen Dunst hat, denn er sprach von Interpreten, die mit dem Frack am Flügel stehen - in der Tat, das habe ich bei Liederabenden schon lange nicht mehr gesehen...

  • Zitat

    Original von hart
    Und ich sehe Ian Bostridges Winterreise kritisch, besonders die, die er auf DVD eingespielt hat.
    Aber mit wem kann man darüber schon diskutieren?


    Es käme doch auf einen Versuch an, bevor du die Flinte ins Korn wirfst, lieber hart.


    Bostridge bietet genug Reibfläche, nicht nur seiner Stimme wegen. Ich hab mir seine "Winterreise" inzwischen auf YT zu Gemüte geführt und mein erster Gedanke dazu war: Was würde Schubert dazu sagen? Der zweite: Wer kauft so etwas? Der dritte: Ich bestimmt nicht!


    Fazit: Man muß nicht das Fliegen imitieren, um wie eine Krähe zu singen (Lied 15).

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Lieber Siegfried,
    ich muss ja eine Sache kennen, um sie zu beurteilen. Also habe ich diese Winterreise-DVD erworben.
    Natürlich hatte ich Bostridge schon vorher einige Male live gehört und da waren auch "Sternstunden" dabei...


    In Mannheim hörte ich vor einigen Jahren eine Winterreise, die ein Sänger durch Turnübungen auflockerte.


    Ein wenig später dann in Frankfurt eine szenische Winterreise live auf der Bühne.


    Nun, kürzlich in der Komischen Oper in Berlin, diesen szenischen Schwanengesang mit Henschel (siehe Kurzbeschreibung oben).


    Das waren also vier Bemühungen, die einen Lied-Freund traurig und nachdenklich machen...und was, bitte, sollte ich nun versuchen?

  • Eigentlich wollte ich ja für einige Zeit die Klappe halten, aber es geht nicht. Ich bitte um Verständnis.
    Auf Siegfrieds Beitrag hin habe ich, nachdem ich erst einmal (bitte nicht lachen!) herausfinden musste , was die Buchstaben YT bedeuten, mir die Video-Schnipsel von Ian Bostridge bei You Tube angeschaut.
    Alle (!), Schubert und insbesondere die Winterreise betreffend. Es war eine Tortur. Ich schwankte zwischen ungläubigem Staunen und dem Drang, auf "Herunterfahren" zu klicken.


    Jetzt aber sehe ich mich Fragen gegenüber, von denen ich glaube, dass sie ernsthaft durchdacht und diskutiert werden müssten.
    Fragen dieser Art:


    Macht man es sich nicht zu einfach, wenn man das "Phänomen Bostridge" mit ein paar Bemerkungen als indiskutabel abqualifiziert?
    Was ist eigentlich gegen seine Art, Schubert zu singen und zu interpretieren, sachlich einzuwenden?
    Könnte so etwas, wie hier bei You Tube zu sehen, nicht ein Weg sein, junge Leute mit dem Kunstlied bekannt zu machen und ihr Interesse zu wecken?
    Hängen wir, wenn wir das Eindringen von Elementen des Regietheaters in den Liederabend beklagen, nicht einem Verständnis von Liederabend an, das einmal auf seine Legitimation und seine sachliche Berechtigung hin befragt werden müsste?
    Könnte es sein, dass dies die Zukunft des Liederabends ist, weil er nur auf diese Weise neues und junges Publikum gewinnen kann?


    Konkret (und bewusst provokant): Was spricht eigentlich dagegen, "Die Nebensonnen" aus der Winterreise so vorzutragen, dass man, wie Bostridge das hier tut, mit abgespreizten Armen auf einem Stuhl vor einer kahlen Wand steht und eine Erscheinung bietet, die auffällig an das berüchtigte Folterbild von Abu Ghureib erinnert, - wenn dabei notengetreu Schubert gesungen wird?


    Nachtrag (bitte nicht als Koketterie verstehen, sondern als Versuch, solchen Fragen Nachdruck zu verleihen):


    Diese Fragen stellt einer, der mit einiger Wahrscheinlichkeit der Älteste hier auf dem Forum ist und dessen Verständnis von Liedinterpretation in unzähligen Fischer-Dieskau-Liederabenden herangewachsen ist.
    Einer, der bei jeder Liedinterpretation, der er in einem Liederabend oder auf einer CD begegnet, unvermeidlich im Hintergrund immer die Art und Weise mithört, in der Fischer-Dieskau dieses Lied singt.
    Einer, der schon mal aus einem Liederabend rausgelaufen ist, weil ihm der Sänger schlicht zu dumm war.
    Aber auch einer, der jetzt wirklich überzeugt davon ist, dass man sich als Freund des Kunstliedes solchen Fragen stellen muss, so sehr einem das auch gegen den Strich gehen mag.

  • Zitat

    Original von hart
    Hallo! Helmut Hofmann,
    das wird wohl so langsam zu unserer Privatseite...


    Bei dem von mir erwähnten - von Henschel gesungenen - Schwanengesang geht es nicht um das Hören.
    Ich beziehe mich auf eine Ende März gesehene szenische Aufführung an der Komischen Oper Berlin, wo Henschel teilweise gegen den Eisernen Vorhang sang und sich bei andern Liedern auf dem Boden wälzte... dazu gab es projezierte Ruckelbilder usw. usw.
    Man möchte die "langweiligen" Liederabende auf diese Weise aufmotzen und so das Publikum ins Theater locken. Ich fürchte, dass das Regietheater nun die Liederabende erreicht und man auch dort als Musikfreund nicht mehr hingehen kann.


    Hallo, Ihr ZWEI von der "Privatseite"


    Darf ich, gewährt mir die Bitte, für einen Moment sein...in Eurem Bunde der Dritte.


    Wie man bei der sogen DUTZEND -FAVORITEN -LIEDER-HITLISTE sehen kann, habe ich Henschels SCHWANENGESANG auf den "meinen Olymp" gehoben.
    Der Hintergrund für meine Wahl ist ein LIVE - Erlebnis vor ca 7 oder 8 Jahren in Edinburgh. Eingebettet in WAGNERs RING hatte ich Zeit für 3 weitere Ereignisse.


    Eine konzertanten LOHENGRIN unter Runnicles, die WINTERREISE mit Jonas Kaufmann, die mich sehr enttäuscht hat....schön gesungen, ABER ohne eine individuelle Ausdrucksskala, ohne die ein Lied beliebig werden kann.


    DANN: Dietrich Henschell mit dem "Schwangesang". Seit Görnes "Winterreise" vor ca 12 Jahren, habe ich keinen mehr so mich überwältigenden "Liederabend" (es war eine Mattinee) gehört. Ich mußte mich sehr zusammenreißen, daß meine "Nachbarn" nicht durch meine Ergriffenheit (sprich: Schluchzen) gestört wurden. Es war einmalig.....ich schrieb es ihm später per email um mich zu bedanken.........bekam ein Autogramm und eine CD von ihm geschickt. (!)


    Henschel's geschilderte "Performance" gab es in Edinburgh natürlich nicht.
    Ich bin irritiert, sogar etwas geschockt, weil ich sowas auch noch nie gehört, geschweige denn LIVE erlebt habe. (Die Info über "Youtube Bostridge" war mir auch neu.) Henschel habe ich in der Komischen Oper vor 3 oder 4 Jahren unter dem genialen Dirigat von Kyrill Petrenko in den Mozart-Festtagen gesehen/gehört. (als Don Giovanni und Don Alfonso) Er ist ein genialer Musikdarsteller.............aber im "Schwanengesang"???


    Ich bräuchte eine ganze Zeit um mich darauf innerlich einzustellen/umzustellen.


    Vor Jahren habe ich mal eine halbszenische WINTERREISE in der orchestralen Zender-Fassung gesehen (mit K-P. Blochwitz)......das fiel schon durch die (interessante) Version aus dem Rahmen.....und war unter diesen Bedingungen auch mit der szenischen "Ergänzung" insgesamt gelungen.


    Sorry, aber ich bin noch immer etwas irritiert.


    Als Neugieriger bezüglich Inszenierungen und Anhänger des "Musiktheaters" (bei Opern)..............bin ich hinsichtlich eines "Liederabends" im Moment noch "konservativ" eingestellt.


    Es wurde Konrad Jarnot erwähnt....macht der inzwischen auch schon "Leibesübungen" beim Liedvortrag ?
    Vorletztes Jahr in Wetzlar hat er jedenfalls noch einen ganz traditionellen Liederabend gesungen....ich glaub, sogar im Frack (!)


    Gruß................"Titan"

  • Lieber Helmut Hofmann,


    Zu Ian Bostridge:
    Diesen Tenor habe ich nun insgesamt vier Mal live erlebt und hatte dabei jeweils unterschiedliche Eindücke mitgenommen.
    In Schwarzenberg hat er mich mal bei Schubertliedern mit der Zugabe "Abschied" D475 (also nicht dem Abschied aus Schwanengesang) überrascht.
    Als er begann "Über die Berge zieht ihr fort..." war ich hin und weg, hinreißend gesungen, das war eine Sternstunde des Liedgesangs!


    Ansonsten neigt Bostridge (nach meinem ganz persönlichen Geschmack) etwas zum "theatralischen singen", was ich nicht so sehr schätze.
    Aber selbstverständlich akzeptiere ich, dass jeder Künstler seine eigenen Vorstellungen und Bewertungsmaßstäbe entwickelt.


    Zu den szenischen Liederabenden:
    Das hatte ich nun mit vier unterschiedlichen Interpreten versucht; jeder Versuch hat mich verärgert. Das Maß ist voll; ich geh da nicht mehr hin!
    Sollte ich mir vielleicht auch noch die "Winterreise" im Boxring antun?


    Wenn ich in ein Konzert gehe, in einen Liederabend, möchte ich mir meine eigenen Bilder zu dem Dargebotenen machen - auf Spektakel jedweder Art verzichte ich gerne.


    Hören wir mal hin, was Dietrich Fischer-Dieskau dazu zu sagen hat:


    "Viele Künstler erlauben sich seltsame Späße wie die "Winterreise" im Boxring, und dann noch von einer Frau gesungen. Oder getanzter Gustav Mahler. Da stecken schon begabte Leute dahinter. Aber letztlich sind das Verrücktheiten, Verzweiflungstaten, weil ihnen nichts mehr einfällt. Weil sie denken, es sei nichts mehr in der Schublade, was für sie übrig bliebe."

  • Hallo Titan,
    nein, das hat Konrad Jarnot nicht getan - der hat zuletzt hier in Schwetzingen einen ganz hervorragenden Richard Strauss-Liederabend gesungen! Ganz seriös, wie es sich gehört.


    Jonas Kaufmann habe ich ebenfalls live mit einem Lied-Programm von Richard Strauss gehört und war begeistert.
    Von Kaufmann gesungene Schubertlieder kenne ich nicht, da kann ich leider nichts dazu sagen.


    Von Henschel habe ich die "Winterreise" und Korngold-Lieder auf CD. Gegen diese Interpretationen habe ich überhaupt nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, diese Einspielungen sind gut!
    Live hörte ich Henschel nun in Berlin erstmals, habe gegen das stimmlich Gebotene im Prinzip auch nichts einzuwenden, aber die schrecklich zusammengerührte Soße war für mich kaum erträglich, es war widerlich.


    Ach Gott! Wie oft habe ich diesen "unechten" Zyklus schon gehört, wie kann man das nur so sehr verhunzen?


    Die Winterreise von Hans Zender ist natürlich etwas ganz anderes, das hat mit dem von mir angesprochenen Thema nichts zu tun. Das ist doch eine bedeutende Sache, eine echte Bereicherung.

  • Das Unbehagen, das das in meinem letzten Beitrag hier angesprochene You-Tube-Video (Ian Bostridge, "Die Nebensonnen") bei mir auslöst, hat primär nichts mit meinen konventionellen Vorstellungen von einem Liederabend zu tun.
    Es hat seine Ursache darin, dass hier Liedgesang überfrachtet wird mit visuellen Elementen, die nicht nur vom musikalischen Gehalt des Liedes ablenken, sondern ihn sogar verdecken und verfremden.


    Ich weiß nicht, ob die Assoziation mit dem Abu Ghureib-Folterbild gewollt ist, sie lenkt aber die Aufmerksamkeit auf jeden Fall weg von dem, worum es in diesem Lied eigentlich geht: Ende einer Wanderung durch eine Landschaft abgründiger seelischer Depression und hoffnungsloser Vereinsamung, an deren Ende nur noch die Vision einer Erlösung durch den Tod steht.
    Die einzig angemessene gestische Haltung, die ein Sänger hier einnehmen kann, ist die eines starren In-sich-Versunkenseins.


    Fischer-Dieskau, den ich diesbezüglich zum Maßstab nehmen möchte, stand bei diesem Lied kerzengerade (wie immer!), aber mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und nach unten gerichteten Augen vor dem Flügel. Mehr war nicht.
    Das entsprach ja ganz seiner sängerischen Grundhaltung.
    Er sagt dazu:


    "Blicken wir auf das Klavierlied: Hier verbietet sich körperliche Bewegung und Gestik als gewolltes Vorzeigen eines dramatischen Impetus. Handlungsschauplatz ist das Gesicht des Sängers, das vom inneren Erleben durchleuchtet jede aufgesetzte Mimik scheuen sollte." (Töne sprechen, Worte klingen, 1985, S.467)
    Er begründet dies damit (und das ist der entscheidende Punkt!), dass der Sänger als Interpret eines musikalischen Kunstwerks diesem gegenüber grundsätzlich in einer dienenden Funktion ist.


    Er selbst hat, außer einer - allerdings deutlich sichtbaren! - An- und Entspannung in der Körperhaltung vor und nach jedem Lied höchstens den Gesichtsausdruck eingesetzt, das aber auch nur vorsichtig dosiert und vom Gehalt des Liedes abhängig.
    Wenn darin einmal heitere Elemente enthalten waren, wie etwa bei dem "lieben Pferdchen" in Schumanns "Der Contrabandiste", dann zeigte das Gesicht einen schelmischen Audruck und der Körper reckte sich in die Höhe und wippte beim Sprechen leicht mit. Das war aber die Ausnahme und vom Text des Liedes her regelrecht geboten!


    Es war unübersehbar, dass der Sänger in allem, was er auf der Bühne tat, sich mit höchstem Ernst ganz in den Dienst an der Interpretation des Liedes stellte. Nichtstimmliche Mittel mussten da von vornherein von sekundärerer Bedeutung sein.


    Der Vorwurf gegenüber dem, was Bostridge da inszeniert, besteht also darin, dass er gegen die dienende Funktion, die einem Interpreten nun einmal zukommt, verstößt und damit in unvertretbarer Weise den musikalischen Gehalt des Liedes mit Ausdruckselementen überlagert, die diesem fremd sind, und es damit verfälscht.


    Diese Gefahr ist immer gegeben, wenn man Elemente des Regietheaters in die Liedinterpretation einführt.
    Sie haben, von der Sache her gesehen, dort nichts zu suchen, da es sich bei dem Kunstlied, im Gegensatz etwa zur Oper, um ein in sich ruhendes, autonomes musikalisches Kunstwerk handelt, das aus sich heraus spricht und dabei nicht auf szenische Transformation angewiesen ist.

  • Hallo Schubertgemeinde,


    Zitat Helmut:
    "Diese Gefahr ist immer gegeben, wenn man Elemente des Regietheaters in die Liedinterpretation einführt".


    Ich fand ihn ganz originell, den Film mit Bostridge. Dass es dem Filmemacher (Regisseur) nicht oder nur schlecht gelungen ist, Text, Ton und Bild (nicht nur bei Die Nebensonnen) in Einklang zu bringen, ist eine andere Sache. Als Aufgabe fände ich es schon lohnenswert. Allerdings bräuchte es dann einen Regisseur, der auch etwas davon versteht, was sich hinter jedem einzelnen Lied der Winterreise verbirgt. Das wissen ja machmal die Sänger nicht. Im Übrigen hatte Schubert selbst eine Tenorstimme, warum es soviel Aufnahmen mit Bariton gibt, die ja dann herunter transponiert sein müssten, weiß ich nicht. Die Aufnahmen mit Pregardien/Zender, Blochwitz/Zender und Pregardien/forget sind doch nicht deshalb unattracktiv, weil es mal anders klingt, als mit Klavier. Entscheidend ist doch, dass der Sänger die stimmlichen Mittel und die Textverständlichkeit rüberbringt. Eine schöne Stimme allein reicht natürlich nicht. Mir gefallen z.B. die frühen Aufnahmen von Dieskau auch besser, was vermutlich auch daran gelegen hat, dass er noch keine Zeit hatte, sich so ausführlich mit Schubert zu beschäftigen wie zum Zeitpunkt seiner späteren Aufnahmen, bei denen bestimmte Stellen sehr akzuentiert klingen, manche meinen auch überzogen.. Seine Textverständlichkeit bleibt aber in allen seinen Aufnahmen einwandfrei.


    Habe heute im Fernsehen ein kurzes Portrait mit Christine Schäfer gesehen und einen Ausschnitt aus den Kindertotenliedern. Dabei habe ich erst gemerkt, wie schwer es ist, Lieder zu singen.



    Gruß aus Burgdorf, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat Bernward: "Ich fand ihn ganz originell, den Film mit Bostridge".


    Das kann ich gut nachfühlen. Von diesem Ian Bostridge geht zweifellos eine gewisse mediale Faszination aus.
    Als Liebhaber des Schubertliedes muss ich freilich festellen: Sein Interpretationsstil ist, zumindest in Sachen Schubert, ziemlich problematisch.
    Das muss ich natürlich begründen und tue es an dem von mir gewählten Beispiel "Die Nebensonnen". Dieses Mal aber ausschließlich bezogen auf die Aufnahme der "Winterreise" bei EMI (mit L.O. Andsnes am Flügel).


    Vordergründig betrachtet, rein vom Notenbild her, liegt eine notengetreue gesangliche Wiedergabe vor: Alle Tempo- und Dynamikvorschriften Schuberts sind beachtet und eingehalten.
    Geht man aber in die musikalische Tiefenstruktur, dann sieht die Sache anders aus.


    In seiner detaillierten Analyse des Liedes hat der Schubertkenner Thr. Georgiades (Schubert. Musik und Lyrik. Göttingen, 1967) aufgezeigt, dass sich hier "ein erhabenes Schauspiel" ereignet:
    "Majestätisch-schlicht, für immer Abschied nehmend steigen der Gesang und die Begleitung, steigt der vom Schicksal Getroffene die breiten Stufen des Gebäudes herab: ..." (S.388 ).
    Georgiades spricht von einem "Musikalischen Nennen der Trauer". Es vollziehe sich "ein unablässig weiterschreitendes Sagen, ohne sich zu wenden" (S.389).


    Das heißt aber nun:
    Das, was Schubert mit diesem Lied sagen will, spricht sich in der Struktur der Gesangsmelodie in ihrer Einheit mit Text und Klavierbegleitung aus. Der Sänger muss nur diesem unabwendbaren, die Umkehr ausschließenden "Herbsteigen" folgen und auf diese Weise die musikalische Struktur zum Sprechen bringen.
    Besondere Akzentuierungen von Teilen des Textes sind nicht nur überflüssig, sie stören sogar diesen von Schubert gewollten "Effekt" des weiterschreitenden Sagens.


    Genau diesen Fehler macht aber Bostridge. Schon bei den ersten Takten seiner Interpretation fällt das starke Vibrato in der Stimme und der larmoyante Grundton auf, der das ganze Lied hindurch beibehalten wird.
    Bei einzelnen Wörtern wird viel zu stark akzentuiert: "weg(!) von mir", "seid(!) ihr nicht", "Ja neulich(!) hat ich".
    Bei "Nun sind hinab die besten zwei" versinkt die Stimme in eine Art weinerliche Fast-Tonlosigkeit. (Beim Video übrigens noch stärker ausgeprägt!).
    Vom ersten bis zum letzten Ton ist die Interpretation in einem sentimentalen, regelrecht larmoyanten Ton gehalten. Damit wird der musikalischen Struktur etwas aufgepfropft, was nicht nur überflüssig ist, sondern diese sogar in ihrer Aussage stört und verfremdet.


    Wer die Probe aufs Exempel machen möchte, der höre sich einmal unmittelbar nach dieser Aufnahme die Interpretation von Hans Hotter an (mit G. Moore, bei EMI), meinetwegen auch, um auf der Tenor-Ebene zu bleiben, die von Peter Schreier (mit Sw. Richter, bei Philips).
    Das ist wie eine Erleuchtung.
    Unüberhörbar die Erkenntnis: Weniger ist mehr!

  • Was lese ich da in Hofmanns Erzählungen?


    "von Schubert gewollten "effekten"


    Ich erinnere mich daran, als Thomas Hampson mal intensiv darüber nach dachte, was Schubert wohl gemeint haben mag...
    Wie schön, wenn man es weiß!


    Und noch eine Bemerkung zur Winterreise auf tenoraler Ebene - man sollte auch mal die Aufnahmen von Peter Anders hören, die Nebensonnen fast "opernhaft" dargeboten.

  • Zitat hart: "Wie schön, wenn man es weiß"


    Klingt leicht ironisch.
    Ich darf darauf hinweisen, dass der von mir angesprochene "Effekt" (zugegeben: nicht gut gewählter Begriff!), dieses "majestätische Herabschreiten" also, aus den Noten ablesbar ist.

    Ich zitiere Georgiades:
    "Erste Stufe (T.20f.) auf e´´ (Terzlage), Begleitung in C-Dur; zweite Stufe (T.22), der Gesang, noch in C-Dur, zur Prim c´´ herabsteigend, die Begleitung nach der Trugschlussstufe, a-Moll, ausweichend; ... dritte Stufe (T.23), der Gesang wiederholt nicht ... die Töne des vorangegangenen Taktes, ... er vollzieht also nicht die erwartete Rückkehr nach C-Dur ..., sondern steigt abermals eine Terz tiefer, nach a´, wir hören eine a-Moll-Wendung ... die Begleitung schreitet gleichzeitig mit dem A´des Gesangs durch den Trugschluss auf F zur vierten, abermals tiefer gelegenen Stufe fort"...(und so weiter. A.a.O., S.388).


    Es geht also nicht darum, darüber zu rätseln, was Schubert vermutlich mit einem Lied hatte sagen wollen, es geht lediglich darum, aus dem Notentext abzulesen, was er gesagt hat(!).
    Das kann man schon wissen, ohne für sich phantastische Kenntnisse über Schuberts Intentionen zu reklamieren, über die (natürlich!) noch nicht einmal große Interpreten wie Hampson verfügen.

  • Natürlich war diese Ironie beabsichtigt...
    Im Prinzip sind wir uns ja einig - DFD ist der Größte! (und das ist nicht ironisch gemeint)
    Aber man muss einfach akzeptieren, dass es daneben andere Stimmen und andere Auffassungen gibt. Uns bleibt nur die Souveränität des Hörers - wir entscheiden, was uns gefällt.


    Sicher hilft es dem Hörenden, wenn er neben dem Hören auch noch das eine oder andere Hintergrundwissen hat und weiß, warum das so komponiert wurde, und so und so gesungen werden sollte. Ironie ist bei Schubert wohl eher selten, aber seine Komposition des Liedes "Herrn Josef Spaun, Assessor in Linz" (D 749) ist zum Beispiel so ein Stück, wo man sich wundert, dass dieses Lied stückweise geradezu arios gesungen wird. In der Tat ist das hier von Schubert gewollt.


    Aber nicht immer weiß man um die Hintergründe so gut Bescheid, dann wird mitunter mit der Stange im Nebel herumgfuchtelt - und da denke ich oft, na ja...

  • Manchmal sang Fischer-Dieskau so überzeugend, dass man es sich nicht mehr anders vorstellen konnte bzw. wollte.
    Wenn man dann andere gut Sänger/innen gehört hat, dann konnte bei mir die Reaktion schlimmstenfalls ein entrüstetes Kopfschütteln und bestenfalls ein begeistertes "schön, dass man es es anders wunderbar machen kann".


    Am besten gefiel mir in den letzten Jahrzehnten als Alternative zum in seiner eigenen Klasse singenden Fischer-Dieskau zunächst einmal Peter Schreier.
    Ich liebte aber auch eine sehr schön gesungene und gespielte Schubert-LP mit Christa Ludwig, die ich jetzt aufgrund dessen, dass ich keinen Plattenspieler mehr habe, nicht mehr hören kann.


    Gerade habe ich sie wieder gefunden und werde sie mir nunmehr als CD bestellen:



    Anspieltip "An die Musik", "Die Forelle" und auch der "Erlkönig"


    Für diese Lieder sind gerade diese Interpretationen für mich prägend geworden.
    Schön, dass ich durch diesen Thread wieder an die Aufnahme erinnert wurde. Sie hat mir zwischendurch immer wieder sehr gefehlt...


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • "Im Prinzip sind wir uns ja einig - Dietrich Fischer-Dieskau ist der Größte!"


    Das war so, das ist so und das wird auch noch lange so bleiben. Über seine vielen Einspielungen
    stelle ich das Live-Erlebnis mit Jög Demus.


    Das Live-Erlebnis mit Dietrich Henschel war auch nicht von schlechten Eltern, das mit Hermann Prey auch nicht. Ich weiß nicht, bei dem hohen Sachverstand der vielen Beteiligten, ob man gerecht wird, Live-Erlebnis und Tonträger zu vergleichen.


    Nachdem ich nun in den letzten Tagen so viele verschiedene Winterreisen angehört habe, ist mir aufgefallen, dass mir die mit Schreier/Richter sowie die mit einigen Bassinterpreten langsam vorkommt. Die Noten sind doch aber für alle gleich. Wie ist das möglich.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Nun, lieber Bernward Gerlach - live is live, unsere Jungen singen das aus voller Kehle...
    Bei der klassischen Musik ist das genau so. Das Konzerterlebnis sollte immer im Vordergrund stehen. Die CD ist für mich immer nur eine Ergänzung; ich suche auch nie die absolute Perfektion, dennoch begeistern mich die meisten Konzerte, die ich besuche, weil ich zumindest erahne, was die Künstler an einem Abend leisten.


    Was das Hören unterschiedlicher Winterreisen-Aufnahmen in einem engen Zeitfenster angeht, bin ich etwas kritisch. Nach meinem Verständnis braucht das Werk eine Art "Zeitpassepartout".


    Zudem hört man wohl immer anders. Ein Beispiel:
    Selbst Jürgen Kesting hat sein ursprünglich ablehnendes Urteil bezüglich der Winterreise von Peter Anders später relativiert und lyrische Schlichtheit und musikalische Genauigkeit herausgehört...

  • Zitat

    Original von hart
    Nun, lieber Bernward Gerlach - live is live, unsere Jungen singen das aus voller Kehle...
    ...


    Nein, die singen Live is Life!


    :D

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Nochmal kurz zur Frage, ob eine Gittaren-begleitete Version der "Winterrreise" ein duldsames Arrangement ist oder nicht:


    Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Schubert selber Gitarre spielte (davon kann man sich im Schubert-Haus in Wien überzeugen). Wozu wird er das getan haben, WENN NICHT um gesungene Lieder damit zu begleiten. Somit ist die Idee schonmal nicht von ganz so weit hergeholt.


    Die Argumente für den geschlossenen Charakter der Winterreise, der Klavier und Gesang verbindet sind zwar nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen, aber ein Beweis dafür, dass Schubert das nicht womöglich selbst gemacht hätte (oder tatsächlich gemacht hat) ist das nicht.


    Also wie ich schon sagte: Man sollte einen solchen Interpretationsansatz zumindest dulden!


    :hello:


    Peter

  • Hallo Peter,


    höchst interessant, dass Schubert selbst Gitarre gespielt hat.
    Es verwundert mich, dass die "Wiener" im forum das offensichtlich nicht gewusst haben.
    Ist das Schubert-Haus denn zu besichtigen?


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Lieber Bernward,
    es sind sogar zwei Schuberthäuser in Wien zu besichtigen:
    Das Geburtshaus, Nußdorfer Straße 54 - wenn man mit der Straßenbahn nach Grinzing raus fährt, führt der Weg daran vorbei. Etwas weiter kann man auch Gustav Mahler auf dem Friedhof in Grinzing besuchen.


    Schuberts Sterbewohnung ist in der Kettenbrückengasse 6 - da fährt man mit der U4 zum Naschmarkt, Haltestelle Kettenbrückengasse.
    Gegenüber der Sterbewohnung ist ein Hinweis, dass in diesem Haus 1890 Erich Kleiber geboren wurde.


    Ich war erst im März dieses Jahres mal wieder dort, beide Objekte sind zu besichtigen, falls man nicht ausreichend Zeit zur Verfügung hat - das Geburtshaus bietet mehr als die Sterbewohnung.


    Was ich nur aus Pressemitteilungen kenne:
    Eine Art "Volksaufstand" wegen des Schubertturms, Erdberger Straße 17, am 11. Juli 2009 wurde dort als Abgesang das "Ave Maria" gesungen...

  • Zu den "Interpreten" des Schubertliedes gehören ja nicht nur die Sänger und Sängerinnen desselben, sodern auch die Pianisten. Von denen ist hier erstaunlich wenig die Rede. Eigentlich gar nicht! Dabei handelt es sich beim Kunstlied doch eigentlich um Kammermusik, und spätestens seit Schubert kommt dem Klaviersatz dabei eine der melodischen Linie der Singstimme gleichrangige musikalische Bedeutung zu.


    Nun habe ich bei Hartmut Höll eine Bemerkung gefunden, die ich so interessant finde, dass ich sie hier zitieren möchte. Er meint, ein Liedpianist müsse jeweils entscheiden "wann er melodisch führend zu spielen" habe, "wann er die Liedszene beleuchtet oder um die Stimme Atmosphäre baut". Dann heißt es weiter:


    "Ein rein instrumental denkender Pianist kann dies nicht leisten. Seine Liedbegleitung wird sich in schönem Klavierklang und gutem Zusammenspiel erschöpfen. Ganz selbstverständlich ergibt sich aus all dem, dass es unerlässlich für jeden deutsche Lieder begleitenden Partner ist, Deutsch zu sprechen und in Strom und Nuancen zu erfassen. Sänger und Liedpianisten atmen, denken und fühlen gleich. Gerald Moore sprach nicht Deutsch. Das ist seinem Spiel anzuhören." ("WortMusik, S.33)


    Die allgemeine Hochschätzung des Lied-Begleiters Gerald Moore vermochte ich nie so ganz zu teilen. Und meine Vorbehalte schienen sich zu bestätigen, seitdem ich Schubert-Lieder von Fischer-Dieskau mit Alfred Brendel als Begleiter zum ersten Mal gehört habe. Nun ist für mich interessant, dieses Urteil von Hartmut Höll über Gerald Moore zu lesen. Leider sagt er nicht, was denn nun genau bei diesem in der Art, wie er als Begleiter agiert, zu hören ist.

  • ...und Du auch nicht.


    Müssen die Interpreten Muttersprachler sein?


    Gilt das auch z. B. für die Interpreten der h-Moll-Messe von Bach?

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hier wird die Frage gestellt, ob "die Interpreten Muttersprachler sein" müssten. Hierzu ist anzumerken:


    Es ist von Interpreten des deutschsprachlichen Kunstliedes die Rede, - nicht von Interpreten sonstiger musikalischer Werke, denen ein deutscher Text zugrundeliegt. Und zweitens geht es nicht um "Muttersprachlichkeit", sondern darum, dass die Interpreten der deutschen Sprache so mächtig sind, dass sie die Lieder in ihrer Aussage verstehen.


    Es ist für Sänger und Sängerinnen des deutschsprachigen Kunstliedes eine Selbstverständlichkeit, dass sie den zugrundeliegenden lyrischen Text verstehen, - in dem Sinne, dass sie die lyrische Aussage begreifen. Es geht also um mehr als nur um ein vordergründiges Erfassen und sauberes Artikulieren dessen, was da in deutscher Sprache formuliert wurde.


    Was bislang noch keiner so deutlich ausgedrückt und auch begründet(!) hat, ist, dass auch der Begleiter den lyrischen Text verstehen muss. Er kann den Interpreten nicht wirklich "begleiten" - in dem Sinne, dass er nicht nur den Notentext spielt, sondern den Interpreten unterstützt, akzentuiert oder in kontrastiver Weise ergänzt - , wenn er nicht weiß, was dieser gerade singt.


    Im Grunde ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Schließlich ist der Klaviersatz ja Bestandteil der kompositorischen Gesamtaussage. Und diese reflektiert die Aussage und die sprachliche Struktur des lyrischen Textes.
    Es hat nur - soweit ich weiß - bislang keiner so deutlich gesagt.

  • Ich erinnere mich,daß ich seinerzeit die frisch gestartete Hyperion Edition zu sammeln begann. Spiritus rector des Projects war damals der englische Pianist Grahm Johnsonm, der dem Hyperion Chef den Vorschlag machte, eine Schubert-Liededition zu starte, wo die Lieder themenmäßig zusammengefasst wurden - und jede Veröffentlichung von einem anderen Liedinterpreten gestaltet werden sollte.
    "OK - wir machen es " soll der damalige Hyperion Chef geantwortet haben - "Aber wer wird um Himmels Willen "Die Winterreise" und wer "Die schöne Müllerin " singen? Johnson meinte daraufin: Bis unser Projekt soweit gediehen ist, werden Sänger auf der Bildfläche erscheinen, deren Namen heute noch niemand kennt - und sie werden die Aufgabe meistern"
    Er sollte recht behalten. Allerdings dauerte die Realisierung des Gesamtprojekt an die 10 Jahre...

    Indes wurdeb durch Leute, denen ich die Aufnahmen vorspiele immer wieder Einwände, wegen der - wenn auch oft marginalen fremdländischen Akzente geäussert.


    Die Problemkinder Winterreise und Schöne Müllerin hat man Matthias Goerne und Ian Bostridge anvertraut. Im letzteren Falle wollte man aber gerne noch den Namen "Dietrich Fischer Dieskau" am Cover haben - und ließ ihn die unvertonten Gedichte des Zyklus rezitieren....



    Wie dem auch sei - die Serie scheint - zumindest bei jpc - ohnedies nicht mehr lückenlos lieferbar zu sein......




    mit freundlichen Grüßen aus Wein
    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Alfred Schmidt meint: "Indes wurde durch Leute, denen ich die Aufnahmen vorspiele immer wieder Einwände, wegen der - wenn auch oft marginalen fremdländischen Akzente geäussert."

    Es sind nicht nur die "fremdländischen Akzente", die manche Aufnahmen aus der Hyperion-Edition der Schubertlieder zum Problem werden lassen. Dieses Projekt ist - um das vorab klarzustellen - ungeheuer verdienstvoll. Nicht nur, weil es sehr viele überaus gelungene und kunstvolle sängerische Interpretationen beinhaltet, sondern vor allem auch deshalb, weil der am Schubertlied Interessierte nun wirklich alles greif- und hörbar hat.


    Aber wenn man sich ein wenig näher darauf einlässt, kann man doch in vielen Fällen zeigen, dass der Mangel an einem wirklichen Verstehen des lyrischen Textes - über die artikulatorischen Schwächen hinaus - auch Auswirkungen auf die Qualität der Interpretation hat.


    Gleichwohl!
    Das war aber gar nicht das Thema meines ersten Beitrages in einem Thread, der in einem wohligen Tamino-Schlaf lag. Es ging mir nicht um die Sänger, sondern um die Begleiter der Interpretationen des Schubertliedes. Diese, nicht nur die Sänger und Sängerinnen, müssen den lyrischen Text in einem tieferen Sinne verstehen.
    Der Versuchung, diesen sofortigen Umschlag der Perspektive auf die Sänger zu kommentieren, widerstehe ich. Hab mich - wie man dem schroffen, fast feindselig klingenden "... Und Du auch nicht" von zweiterbass entnehmen kann - hier schon unbeliebt genug gemacht.


    Hartmut Höll kennt diese Fixierung auf den Sänger und die Stimme beim Kunstlied aus eigener (leidvoller) Erfahrung auch sehr wohl. Er findet sie - ja wie? Betrüblich? Bedenklich?
    Er tröstet sich mit folgender Bemerkung:


    "Doch hat wohl gerade die Stimme für viele Menschen etwas so Faszinierendes, dass den Sängern die Herzen oftmals blind entgegenschlagen. Ein Pianist wird nie für einen Liederabend engagiert und gefragt, wen er denn >am Gesang< mitbringen wolle."


    "Blind" , - auf diese kleine sprachliche Partikel erlaube ich mir doch die Aufmerksamkeit zu lenken.

  • Wirklich eine äußerst interessante Fragestellung bzw. Feststellung (?) von dir.
    Auch ich muss zugeben (Asche auf mein Haupt), dass ich über den Begleiter (das Wort sagt selbst schon genug aus) bei Liedern bisher wenig Gedanken gemacht habe, würde fast sagen, sie werden sehr oft von vielen Leuten beinah etwas "vergessen".
    Aber jetzt, wo ich deine Ausführungen dazu gelesen habe, erscheint es mir doch einmal in einem ganz anderen Licht.
    Ein Pianist, der (Muttersprachler oder nicht), den lyrischen Text, den er begleitet in all seinem Sinngehalt versteht, hat das Werk natürlich viel mehr durchdrungen, und was mir, nach längerer Überlegung, fast noch wichtiger scheint, ist, dass er nicht nur Verständnis für die Worte erhält, sonder viel mehr die Sprachmelodie (in dem Fall des Deutsches) kennt, denn dass sich der Sprachfluss, die Betonungen usw. in den Sprachen unterscheiden ist ja klar.
    Die sog. Gesangslinie kann so viel besser unterstützt/begleitet werden.
    Wie du sagst, das Spiel als Liedbegleiter verlangt vom Pianisten ja ganz andere Kriterien als z.B. ein Solokonzert o.ä. Ich sehe es so, dass das Klavier quasi wie eine zweite, erklärende Stimme wirken soll, die zwar nicht eins zu eins, den gleichen Text wiedergibt, wie der Sänger, aber einen ähnlich überlappenden.


    Zu Gerald Moore...ich habe zwei Aufnahmen mit ihm und Hans Hotter, und muss auch sagen, dass er, obwohl so viel gelobt, mich nicht so sehr überzeugt, wie manch anderen.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Zu den "Interpreten" des Schubertliedes gehören ja nicht nur die Sänger und Sängerinnen desselben, sodern auch die Pianisten. Von denen ist hier erstaunlich wenig die Rede. Eigentlich gar nicht! Dabei handelt es sich beim Kunstlied doch eigentlich um Kammermusik, und spätestens seit Schubert kommt dem Klaviersatz dabei eine der melodischen Linie der Singstimme gleichrangige musikalische Bedeutung zu.

    Er meint, ein Liedpianist müsse jeweils entscheiden "wann er melodisch führend zu spielen" habe, "wann er die Liedszene beleuchtet oder um die Stimme Atmosphäre baut".

    Die Annahme, der Sänger bzw. die Sängerin wären die einzigen Träger der Interpretation und der Pianist bzw. die Pianistin würde lediglich seinen Notentext möglichst ungefärbt referieren ist natürlich genauso absurd wie die Annahme, in der Oper würden nur die Sängerinnen und Sänger interpretieren und der Dirigent hätte lediglich koordinierende Aufgaben.



    "Ein rein instrumental denkender Pianist kann dies nicht leisten. Seine Liedbegleitung wird sich in schönem Klavierklang und gutem Zusammenspiel erschöpfen. Ganz selbstverständlich ergibt sich aus all dem, dass es unerlässlich für jeden deutsche Lieder begleitenden Partner ist, Deutsch zu sprechen und in Strom und Nuancen zu erfassen. Sänger und Liedpianisten atmen, denken und fühlen gleich. Gerald Moore sprach nicht Deutsch. Das ist seinem Spiel anzuhören." ("WortMusik, S.33)

    Ich gebe Hartmut Höll vollkommen recht bis auf die letzten beiden Sätze. Auch mir geht es so, dass ich Moore's Spiel teilweise sehr zurückhaltend, äußerst subtil nuanciert fand. Aber die suggerierte Behauptung, Moore spräche nicht hinreichend viel Deutsch, um sein Textverständnis in seine Wiedergabe einfließen zu lassen, ist absurd. Angeblich ist es ja auch Sängern gelungen, Lieder in Sprachen, die nicht ihre Muttersprache waren, gültig zu interpretieren. Warum soll dies Pianisten nicht möglich sein?



    Im Grunde ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Schließlich ist der Klaviersatz ja Bestandteil der kompositorischen Gesamtaussage. Und diese reflektiert die Aussage und die sprachliche Struktur des lyrischen Textes.

    Zustimmung mit folgendem Vorbehalt: ich sehe nicht bei allen Komponisten und nicht bei jedem Lied den Text als den alles determinierenden Ausgangspunkt. Zum Beispiel kann es bei Strophenliedern (Brahms) schwierig werden, die spezifische Aussage jeder Strophe in einer einzigen Vertonung als kongruent abgebildet zu postulieren.