Anton Webern (1883 - 1945) gilt heute unbestritten als einer der wichtigsten Komponisten der Musikgeschichte, gemeinsam mit seinem Lehrer Arnold Schönberg und seinem Mitschüler Alban Berg.
Seine außerordentliche Strenge offenbart sich nicht nur in Photographien seines Gesichtes sondern auch in der Tatsache, dass er nur ca. 30 kurze Werke für niveauvoll genug gehalten hat, als Bestandteile seines Gesamtwerks gültig zu sein.
Nach seiner Passacaglia op. 1, die wegen ihrer leicht nachvollziehbaren Form und der Verwurzelung in der erweiterten Tonalität nach wie vor sein beliebtestes Werk ist, folgt er Schönberg rasch in die Atonalität, wo er gleich seinem Lehrer als bevorzugte Form die Sammlung von "Stücken" pflegt, deren Ausdrucksgehalt vorzugsweise im Bereich von Katastrophe, Trauer und Resignation beheimatet ist, wobei Harmonik, Form und Ausdruck eine perfekte Einheit bilden. Webern gelingt dabei ein Ausmaß der Verdichtung, das jede Note als unbedingt notwendig und essentiell erscheinen läßt und den Hörer unmittelbar in den Bann der Musik zieht. Die Höhepunkte dieser Verknappung sind die Bagatellen für Streichquartett op. 9 (eine davon als Notenbeispiel unten) und die 3 Stücke für Violoncello und Klavier op. 11.
Es ist von Webern überliefert, dass er bei diesen frei atonalen Stücken sich alle 12 Töne aufgeschrieben hatte, um die bereits verwendeten zu streichen, die Reduktion der musikalischen Ereignisse geht also Hand in Hand mit dem Bedürfnis nach dem chromatischen Total auf engem Raum. Im Gegensatz zu anderen Komponisten ergibt also die Übernahme von Schönbergs 1924 erfundenen Zwölftontechnik bei Webern keinen Bruch in seinem Oeuvre. Sie erfolgte innerhalb einer längeren Folge von Vokalwerken, da Webern zu jener Zeit den Text als Orientierungshilfe in der Freiheit atonalen Komponierens zu schätzen wußte.
Im zwölftönigen Spätwerk Weberns sind die Binnengliederung der Reihen, welche die zwölftönigen Verfahrensweisen des Krebses und der Umkehrung in ihren Teilen wiederholen (also ein Teil ist Krebs eines andren Teils der Reihe) und die Liebe zu strengen Formen (Kanon) auffällig. Diese Maximierung des Zusammenhangs geht aber nicht auf Kosten des Ausdrucks, der vielleicht etwas verklärter sein mag, der dem Interpreten aber stets ein Anliegen sein muss (es gibt eine sehr aufschlußreiche Ausgabe seiner Klaviervariationen op. 27, in der alle Anmerkungen Weberns anläßlich des Einstudierens mit dem Uraufführenden eingetragen sind). Präsentiert sich der Notentext auch in lakonischer Strenge - die Musik glüht oder schmachtet, jeder Einzelton ist als "espressivo" zu nehmen.
Nachdem die Seriellen der 50er diesen letztgenannten Aspekt übersehen haben und Webern produktiv mißverstanden haben, wird man heute wohl den Ausdrucksgehalt der Aufführungen auch als Beurteilungskriterium berücksichtigen müssen. Ob da Boulez wirklich immer erste Wahl bleibt?