Hallo, Loge, und miteinander!
Ich halte Deine Definitionen und Kategorisierungen für eine ausgesprochen hübsche scholastische Spielerei. Es gibt und gab viel derlei Buchhaltereiversuche. Vielleicht - und das meine ich jetzt gar nicht böse und fast ernst - solltest Du eine Dissertation damit bestreiten. Ich weiß, wovon ich rede - bei mir war es der Versuch, ein Spezialwörterbuch für Verben des Fragens zu erstellen.
Als moderner Beurteilungsmaßstab ist es dennoch meines Erachtens nicht geeignet. Viele Aspekte wurden bereits genannt. Ich möchte noch einen wesentlichen hinzufügen, nämlich dass quasi strukturalistisch der rezeptive Bezug - des Hörers und des Materials, auf das ein Komponist sich rückwirkend beziehen kann - außen vor bleibt. Die vielen Nur-"Meister" und "Kleinmeister", die das 20. Jahrhundert Deiner Kategorisierung zufolge hervorgebracht hätte (du hast die meisten ja nicht genannt), stehen uns aufgrund ihrer differenzierten Klangsprache doch näher als manche "Großmeister" Jahrhunderte zuvor - vorausgesetzt, man ist offen in seinen Hörerwartungen und man ist nicht radikal spezialisiert auf bestimmte vergangene Strömungen und Epochen.
Mit der Vorstellung, dass Stockhausen so ziemlich das einzige Genie der letzten hundert Jahre sein soll, kann ich mich jedenfalls nicht anfreunden.
Unabhängig davon besteht der Reiz offenen Hörens gerade für den Erfahrenen doch darin, immer wieder von den "Genies" wegzukommen und neue "Kleinmeister" für sich zu entdecken --- um dann festzustellen, dass der Begriff einfach herabwürdigend ist.
Gut, ich gestehe Dir zu, dass es Dir darum nicht ging.
Damit wir uns nicht falsch verstehen (siehe auch oben unter Stichwort: Dissertation): Ich finde Deine Idee theoretisch höchst interessant. Man sollte nur keine praktischen Schlüsse und Anwendungen daraus ziehen und folgen lassen.
Aber auch darum ging es Dir vermutlich nicht.
Dennoch: Ich würde den Genie-Begriff als Museumsgegenstand gelten lassen - etwa als ein Selbstbestimmungskriterium der emotionalen Aufklärer im 18. Jahrhundert. Darüber hinaus würde ich auf ihn verzichten.
Besten Gruß, Wolfgang