Karajan vs. Harnoncourt - die Unvergleichlichen

  • Zitat

    Original von Loge
    Aber Du deutest auch gleich zweimal an, Karajan habe wie Harnoncourt (nur auf andere Weise) bei seinen Interpretationen "Bearbeitungen" (wie Du es nennst) geboten. Das ist sehr daneben, denn Karajan war ein sehr texttreuer Dirigent.


    Lieber Loge,


    dann muß Du mich grob mißverstanden haben - ich habe Karajan in diesem Thread noch nicht ein einziges Mal kritisiert.


    Wenn ich Parallelen von Harnoncourt zu Karajan suche, entdecke ich die Selbstinszenierung, die hier jetzt doch zum Thema gemacht wurde. Selbstinszenierung ist aber nicht gleichbedeutend mit fehlerhaften Ausführungen - das ist der Unterschied zwischen Harnoncourt [dem ich letzteres anhefte] und Karajan.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von georgius1988
    Ich entschuldige mich ausdrücklich für die "Selbstdarstellung". Da sind die Emotionen mit mir durchgegangen.


    Angenommen.



    Zitat

    Warum - und darauf hätte ich gerne eine Antwort, weil mich das wirklich interessiert - fühlst du dich ausgerechnet von Harnoncourt so "beleidigt" und nicht von grundsätzlich jedem Interpreten, der deinen Vorstellungen nicht entspricht? Macht Harnoncourt alles was er tut nur um dir persönlich eins auszuwischen? Warum provoziert er dich persönlich?


    Das habe ich zwar m. E. w.o. dargelegt, aber zum besseren Verständnis nochmals in Kurzform: Ich halte Harnoncourt für einen sehr fähigen und leistungsstarken Musiker und Interpreten. Da er aber bewußt ganz eindeutige Notentexte anders interpretiert [nachzulesen im Figaro-Thread], kann ich seine Arbeiten leider nicht [mehr] für bare Münze nehmen. Und das ist für die ohnehin sehr labile Kunst extrem schade. Eigentlich hasse ich ihn, weil er aus seinen Fähigkeiten nichts macht! Und wenn er dann noch darauf besteht, mit dieser "Interpretation" Recht zu haben, geht bei mir der Gaul durch...


    Daß es sich bei seiner großen Idomeneo-Entdeckung um einen noch größeren Irrtum handelt, möchte er offenbar nicht einsehen, denn darauf baut schließlich sein ganzes Tun und Lassen auf. Ich werde dies gerne bei Gelegenheit nochmals präzisieren - im Moment fehlt mir die Zeit [ich muß (darf!) zu einem wichtigen Date :] ].


    Mir kommt Harnoncourt [man beachte, wie behutsam ich den Namen ausschreibe!] mittlerweile vor wie ein Rechtsverdreher - und solche Personen hasse ich per se: Es wird ausgelegt, wie einem grad der Sinn danach ist...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Ich sehe Karajan auch als "aus der Sache heraus" arbeitenden Musiker, gar keine Frage. Hier steht er tatsächlich, merkwürdig zu sehen, im Gegensatz zum Philologen Harnoncourt, der sich seine "Notentexttreue" mit umso größerer Ellenbogenfreiheit beim Interpolieren, äh, Interpretieren hat bezahlen lassen.


    Man muß aber auch anmerken, daß Karajan sehr wohl retuschieren konnte. Er hat selten Wiederholungen spielen lassen (Platte wie Aufführung), hat in der Missa Solemnis munter schwere Stellen transponiert und sein schon früh beginnendes Auswendiglernen der Partituren mag dazu geführt haben, daß er später errungene "Erkenntisse" neuerer Ausgaben nicht mehr in wünschenswertem Maße hinzugezogen hat.


    Herangezogen hat er aber durchaus, so z. B. bei seinem zweiten "Figaro" von 1978, bei dem die Version der Neuen Mozart Ausgabe (1973) zugrunde gelegt wurde.


    Außerdem: Ein fehlendes Päuschen oder Pünktchen hier, eine andere Wendung in einem Arpeggio dort, was bedeutet das schon gegenüber einer bezwingenden, ganzheitlichen, sternstündigen Interpretation eines großen Dirigenten. :D


    Loge

  • Zitat

    Herangezogen hat er aber durchaus, so z. B. bei seinem zweiten "Figaro" von 1978, bei dem die Version der Neuen Mozart Ausgabe (1973) zugrunde gelegt wurde.


    Er hat hier sogar eine besondere, weil umgemodelte Abfolge des dritten Aufzugs reingenommen, die Stimmen aus England ihm bei Vollmond zugeraunt zu haben scheinen... (die Britischen Musikologen, zur Freiheit geboren!)


    Aber er wird´s schon nach der letzten Wiener Sitzung wieder vergessen haben, nehme ich mal an.


    Zitat

    Außerdem: Ein fehlendes Päuschen oder Pünktchen hier, eine andere Wendung in einem Arpeggio dort, was bedeutet das schon gegenüber einer bezwingenden, ganzheitlichen, sternstündigen Interpretation eines großen Dirigenten.


    Freut mich, daß das mal jemand ohne Pathos festhält!


    Alex.

  • Ging's beim letzten Hagiographie-Contest eigentlich um den 78er Figaro? Der ist wirklich vor allem eins: Sahne, aber crème double!
    Immerhin nicht so ein rumpelndes pseudorevolutionäres Machwerk wie Harnoncourts Salzburger Figaro, aber wenn das der Maßstab wird...


    LG,


    Christian

  • Zitat

    Ging's beim letzten Hagiographie-Contest eigentlich um den 78er Figaro? Der ist wirklich vor allem eins: Sahne, aber crème double!


    ich denke mal, hier gibt es keinen letzten, sondern einen "immerwährenden Hagiographie-Contest, ein wenig dem 100jährigen Kalender vergleichbar,wenn alles genannt wurde und die Chose vorbei ist, fängts einfach von vorne an ! :jubel:


    Aber Sahne und Crème double find ich immer gut, selbst dann, wenn hinterher
    die Personenwaage crasht....


    Aber für "die grösste Dirigenten-Sensation des 20. Jahrhunderts ist man doch gewillt, auch mal Opfer zu bringen, oder ? :pfeif:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von teleton
    warum sollte man sich gegen Karajan-Threads wehren.
    Jeder neue Karajan-Thread fördert doch sehr interessante Informationen und Neuigkeiten zu Tage. Und auch die zur Zeit von Alfred ins Leben gerufenen Vergleiche mit anderen Dirigentenkollegen (Karajan vs XXX) sind doch sehr belebende Threads für das Tamino-Forum.
    :yes: Ich lese diese Karajan-Beiträge immer sehr gerne, wenn ich selber auch nicht mehr so viel zu Karajan zu sagen habe (ich habe mich oft genug positiv geäußert).


    :baeh01: Wenn Dich Karajan nicht interessiert, dann klicke diese Threads doch eínfach nicht an.


    :beatnik: :no: :motz: Ich weiss das Du kein Karajan-Fan bist, aber im Zusammenhang mit Karajan über Pestbakterien zu schreiben, finde ich stark verfehlt !


    Lieber Wolfgang,


    Erstens bin ich weder Karajanhasser noch -Fan. Ich finde ihn aber überschätzt.


    Zweitens bin ich Mozartliebhaber, aber die enorme Menge Mozartthreads von Padre über alles und nichts haben mich schrecklich irritiert.


    Drittens ist das um so mehr bei Karajan den Fall. Karajan vs. Dirigent A, B, C, usw. Karajan dirigiert Komponist X, Y, Z, usw. Karajan mit Oper P, Q, R, usw.
    Nur fehlten noch Threads wie "Wer weigerte Karajan zu fordern", "Welcher Komponist konnte Karajan nicht dirigieren", "Wie haben persönliche Problemen Karajans Dirigieren beeinflußt", " Karajan forderte Musiker N, M, O, usw." und mehr Threads als ich bedenken kann.


    Viertens war die Rede von Pest versus Cholera, auch wenn Ulli bewußt überspitzt formulierte. Dann ist hier nicht mehr Rede von einen normalen Pest.


    Ich habe versucht die Mozartfülle damals zu negieren. Ebenso gilt das für Karajan. Aber man ist nicht blind für Unruhen und Streit. Das sickert immer im Forum durch. Und dann schaue ich jedenfalls nach, was es gab, worum es sich handelte.


    Diese ewigen Versuchen einer herunterzumachen, mit m.E. gemeinen Schreibereien finde ich zum kotzen.
    Trotz Alfreds Vermittlungen ist dies nur ein Waffenstillstand.
    Ich fragte Edwin, zu bleiben. Und sagte ihm auch, daß dies mich sehr ärgert. Denn für ein solches Benehmen, schäme ich mich.
    Dieses Forum ist nicht da um ein billiges Gewinn zu erreichen. Aber um sowohl ernsthaft als humorvoll über Musik zu reden.
    Und das geschah in den Karajanthreads nicht. Auch wenn sie wimmeln von Smilies.


    LG, Paul

  • Zitat

    Zitate Loge
    Insofern sind die vielen begleitenden Erläuterungen durch Dirigenten wie Harnoncourt oder Boulez ansich bedenklich.


    Bedenklich wären sie, wenn es Erläuterungen zur Interpretation wären. Gerade im Fall Boulez sind sie das aber nicht: Es handelt sich bei ihm durchwegs um Analysen, was für den unterscheidenden Kanner etwas Anderes ist. Bei Harnoncourt hingegen gibt es diese Interpretationsbegründungen durchaus. Ich hätte solches auch gerne von Karajan, dann müßte ich mich bei seinen Ansätzen nicht auf wenig glaubwürdige Hagiographen verlassen, sondern könnte, sozusagen im O-Ton, erfahren, ob und was er gedacht hat.



    Zitat

    Das ist sehr daneben, denn Karajan war ein sehr texttreuer Dirigent.


    Zitat

    Außerdem: Ein fehlendes Päuschen oder Pünktchen hier, eine andere Wendung in einem Arpeggio dort, was bedeutet das schon gegenüber einer bezwingenden, ganzheitlichen, sternstündigen Interpretation eines großen Dirigenten.


    Kommentar meinerseits überflüssig, das kommentiert sich quasi von selbst.


    :hello:

    ...

  • Lieber Ulli,

    Zitat

    Selbstverständlich muß jeder Künster überzeugt sein von dem, was er tut und wie er es tut. Eine Interpretation aber bedarf m. E. nämlich keiner Erklärungen. Wenn sie schlüssig und für das empfangende Publikum "richtig" ist, hat sie Geltung. Andernfalls nicht. Wenn Harnoncourt ganz bewußt anders [um nicht zu sagen: fehl-] interpretiert [und die Fehler lassen sich im Figarothread nachlesen], so provoziert er.


    Das glaube ich nicht so recht. Meiner Meinung nach ist das eher psychologisch zu erklären: Er ist überzeugt, es richtig zu machen, erntet aber viel Widerspruch. Und das treibt ihn dazu, sich sozusagen zu legitimieren. Dieser Legitimierungs-Versuch geht zwangsläufig daneben, denn statt aus der Summe der Erkenntnissen ein Fazit zu ziehen, kennt Harnoncourt, wie manche Karajan-Apologeten, das erwünschte Fazit und folgert daraus die Erkenntnisse.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner



    Kommentar meinerseits überflüssig, das kommentiert sich quasi von selbst.


    Im 1. Zitat geht es um die Texttreue gegenüber einer vorliegenden Partitur, im 2. um die Frage, ob es unbedingt immer die Neueste Kritische Ausgabe sein muss.


    Da haben wir uns alle in der Diskussion wohl wieder einmal missverständlich ausgedrückt. ;)


    Loge

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Sowohl bei Karajan als auch bei Harnoncourt handelt(e) es sich um zwei herausragende Musikerpersönlichkeiten, deren Inputs für meine eigene musikalische Entwicklung von großer Bedeutung waren, und –besonders im Falle Harnoncourts- auch noch sind.
    In diesem Zusammenhang mit Ausdrücken wie Pest oder Cholera zu hantieren, ist mehr als abwegig und fällt in vollem Umfang auf den Autor zurück.


    Wenn ich mir den Diskussionsverlauf ansehe, so entdecke ich zwei Ebenen, die man wohl am besten auseinander halten sollte:


    1. Die in der Tat lächerliche, geradezu krankhafte Feindschaft eines Tamino-Mitglieds gegen Harnoncourt, vor allem gegen Harnoncourts Mozart-Sicht.
    Wenn man weiß, dass der Auslöser hierfür wahrscheinlich eine subjektiv missliebige Figaro-Aufführung war, dann kommt einem der ganze sich schon über Jahre hinziehende Vorgang noch lächerlicher vor. Und wenn dann andere Taminos zu Recht öffentlich Einspruch erheben, dann werden deren Einlassungen vom Threadstarter mit Hilfe von unzähligen Zitaten „auseinandergenommen“. Ob es diesem Beitrag ebenso ergehen wird, bleibt abzuwarten.
    Hier von einer schlimmen Form öffentlich ausgebreiteter Rechthaberei zu sprechen, dürfte wohl keine Übertreibung sein. Eigentlich sollte niemand mehr auf diesen kindischen Unsinn eingehen; nur die Tatsache, dass diesem Autor immer noch eine öffentliche Plattform für seine Ausfälle zur Verfügung steht, zwingt leider ab und an zur Stellungnahme, auch wenn es einen schon längst anödet. Ich habe dem nichts weiter hinzuzufügen und bin für die entsprechenden Beiträge von Gerald, Edwin, georgius1988 und anderen dankbar.


    2. Die inhaltlich-sachliche Ebene, aus der sich sicher sehr interessante und bereichernde Gespräche entwickeln können.


    Hierzu ein paar Gedanken:


    Oft werden beide Musiker als Gegenpole dargestellt.
    In manchen Bereichen mag das stimmen, in anderen wieder nicht. Es ist unmöglich, die Unterschiede in wenige Worte zu fassen. Je allgemeiner man es fasst, desto falscher kann es in gewissen Fällen werden. ..


    Trotzdem ein kleiner Versuch eines sicher unzulässigen Vergleichs:
    Während Harnoncourt das Sprechende, Atmende, das Kontrastreiche und Vielschichtige sucht und findet, ging es Karajan eher um eine vollmundig beeindruckende Schönklangästhetik, um eine vollendetes flächiges Legato, bei dem ein Ton in den nächsten hinübergleitet. Die Dramatik sollten sich in großen Bögen entfalten und die Klangflächen „aus der Tiefe des Raumes“ aufsteigen und wieder versinken.
    Auch die privaten Persönlichkeiten sind sehr unterschiedlich, z. B. im Hinblick auf die Haltung zur Technik: Karajan war von der modernsten Technik sehr begeistert, während Harnoncourt ungern telefoniert, der Zerlegung von Musik in digitalen Informationen genauso skeptisch gegenübersteht wie dem Siegeszug des Internets, etc…


    Fest steht für mich: Man kann als Musiker von beiden Musikern sehr viel lernen, sowohl im positiven als auch in dem Sinne, dass man manches besser nicht so nachmachen sollte, und deren Aufführungen/ Aufnahmen können bzw. konnten zu großartigen musikalischen Erlebnissen werden, bzw. auch manchmal Anlass zum Ärgern geben.
    Mit anderen Worten: Ich kann mich für Harnoncourts Klangrede und auch für Karajans süffigen Klang begeistern. Es kommt dabei auf das geeignete Stück an.


    Biographisch kreuzten sich die Wege dieser beiden Interpreten:
    Während Harnoncourts Zeit bei den Wiener Symphonikern haben sich die beiden kennen- und schätzen, bzw. zu respektieren gelernt. Spätere Ausgrenzungen gehen wohl vor allem auf einen Schreiberling im „Spiegel“ zurück, der Harnoncourt despektierliche Äußerungen über Karajan fälschlicherweise in den Mund legte. Harnoncourt versuchte die Sache per Brief aufzuklären, Karajan hat freundlich geantwortet, doch seine ausgrenzenden Handlungsweisen legen die Vermutung nahe, dass er seitdem auf die Person Harnoncourts nicht sehr gut zu sprechen war.


    Es gibt noch eine musikalische Gemeinsamkeit:
    Harnoncourt ist ein Musiker mit brennendem Temperament, der den musikalischen Ausdrucks so extrem wie möglich intensivieren möchte. Ich beziehe mich hier insbesondere auf seine Barockinterpretationen mit dem Concentus musicus Wien ( etwa ab den 70er Jahren wird es immer deutlicher). Vor einiger Zeit habe ich mich beim Anhören einer Bachinterpretation („Freue Dich erlöste Schar“ , ORF-Livemitschnitt von der Styriarte) dabei erwischt zu sagen:


    „ Diese Leute spielen ihre Klangrede so emphatisch und genussvoll, dass ich mich schon selbst frage, ob ich mich beim Zuhören nicht an diesen ausgekosteten Leittönen, an den „ziehenden“ und „drückenden“ Artikulationen und Dynamikdetails schon regelrecht besaufe. ..“


    Er kostet seinen eigenen „Slang“ beim „Klangreden“ derart unbedingt aus, dass es sicher unvergleichlich und einzigartig ist. Wenn es toll ist, was er macht, dann macht er es zu 150% toll. Wenn er sich in Irrtümern verstrickt (ob es ein Irrtum oder nicht ist, wird natürlich oft sehr subjektiv beurteilt), dann kostet er auch diese in vollen Zügen aus. Für manche mögen solche Dinge verstörend wirken, für die, die bereit sind mehrfach und genau hinzuhören, kann es zur Offenbarung werden. Wie gesagt, hierbei rede ich vor allem über seine Barock-Interpretationen, mit gewissen Abstrichen auch über seine Sicht der Komponisten Mozart, Haydn, Beethoven. Über seine „Aida“ kann ich dagegen überhaupt nichts sagen, da mir diese Art von Musik überhaupt nichts zu sagen hat. Leider entdeckte auch ich in letzter Zeit bei einigen Live-Mitschnitten Harnoncourts ( Messiah, WO) einige mir bei aller Liebe doch ziemlich unverständliche Subjektivismen, bei denen sogar ich als bekennender Harnoncourt-Fan nicht anders konnte, als mit dem Kopf zu schütteln. Doch auch solche Aufnahmen finde ich immer noch besser als viele andere ( wenn sie nicht gerade Koopman oder Herreweghe heißen) Wer hierzu mehr lesen will, der sehe sich im Thread zum Weihnachtsoratorium um, auch wenn wir uns momentan nicht in der Weihnachtszeit befinden.



    Bei Karajan beobachte ich einen ähnlichen Extremismus, wenn ich es so vereinfachen ausdrücken darf:
    Auch er probte und dirigierte (jedenfalls in seinen jüngeren Jahren) mit bohrender Intensität und trieb bis zum Ende seines Schaffens die füllige „Legato-Sostenuto-Ästhetik“ bis auf die Spitze. Wie Edwin schon bemerkte, gibt es auch bei ihm fantastische Momente, leider wesentlich mehr schwache (hier=langweilig-phantasielos- geglättete) Aufnahmen als bei Harnoncourt, und zwischendurch auch richtig grottenschlechte Einspielungen. Seine Aufnahme der Brandenburgischen Konzerte Bachs ist mir da noch in lebhafter Erinnerung. Besonders gut finde ich seinen Beethoven aus früheren Jahren, einige Wagner-Ouvertüren und einiges Neueres von Sibelius (z.B. Finlandia, Schwan von Tuonela)
    Gerade seine Finlandia-Aufnahme geht mir jedesmal sehr unter die Haut. Man vergisst beim Hören sehr schnell, dass dieses Stück leider so eine Art Evergreen für schlechte Kurorchester geworden ist. Irgendwo meine ich gelesen zu haben, dass Sibelius gesagt haben soll, dass er sich von Karajan besonders gut verstanden fühlte. Diese herrliche, überhaupt nicht sprechende Musik ist ja für Karajans ästhetischen Grundansatz wesentlich besser geeignet, als etwa Bach oder gar Monteverdi…


    Ich bin froh, dass es beide gibt, bzw. gegeben hat. Harnoncourt halte ich von der Interpretationsgeschichte her allerdings für den wichtigeren Dirigenten, den ich mir in vielen Fällen wesentlich lieber anhöre.
    Dabei muss ich zugeben, dass meine persönlichen Vorlieben bei der Alten Musik ( vor allem Barock) bis Beethoven liegen. Aber auch Harnoncourts Schumann ( mit dem COE) höre ich lieber als den völlig anders klingenden (frühen) Karajan.


    Wenn man sich nun fragt, wer denn nun von beiden "Recht" hat, so kann ich nur sagen: Beide, und zwar jeder auf seine Art. Vielleicht haben auch beide ab und zu "Unrecht", aber das ist manchmal eine Frage des Standpunkts.


    Man sollte jedoch beide kennen und ihnen gut zuhören, vor allem Harnoncourt.


    Gruß :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ein Bericht mit dem putzigen Titel "Die seltsamsten Wiener der Welt" über den Concentus Musicus Wien, den ich am Wochenende auf 3sat sah, ist mir Veranlassung, meine einzige Äußerung zu dem hier heiß umstrittenen vielblätterigen Thema Karajan abzugeben.


    Harnoncourt und Karajan, ihnen ist aus meiner Sicht gemeinsam, dass sie starke Medienmenschen sind. Das sagt über ihre musikalischen Qualitäten zunächst kaum etwas. Dieser zunächst einmal außermusikalische Faktor ist aber für meine primäre persönliche Rezeption beider letztlich ausschlaggebend.


    Sozusagen notgedrungen habe ich eine nicht zählbare Vielzahl von Aufnahmen Karajans in den Jahrzehnten zur Kenntnis genommen. Paul hat an anderer Stelle schon darauf hingewiesen: es gab Zeiten, da man marketinggesteuert den Eindruck haben musste, Karajan sei der einziglebende maßgebliche Dirigent. So war meine erste LP "natürlich" von Karajan dirigiert - Dvoráks Neunte. Wenn ich den Überblick über meine derzeit vorhandenen CDs nicht verloren habe , habe ich derzeit zwei Karajan-Aufnahmen: Bruckners Siebente = Karajans sagenumwobene letzte Aufnahme mit den Wienern, und jüngst seine Berliner Mono-Aufnahme des dritten Beethoven-KK mit Glenn Gould.


    Zu Bruckner kann ich nur Harnoncourts Aufnahme der Neunten dagegensetzen, und muss sagen, sein sehr viel luziderer, für mich verständlicherer, nachvollziehbarerer Zugang zu Bruckner kommt mir deutlich weiter entgegen, als Karajans sagenhaft klingendes Versinken in den Brucknerschen Strukturen.


    Karajans Aufnahme des 3. KK von Beethoven steht derjenigen mit Harnoncourt und Aimard gegenüber. Ich empfinde diese Aufnahme Harnoncourt/Aimard als die schwächste des Gesamtzyklus, aber dennoch: Karajan Umgang mit Tempo rubato, seine Agogik empfinde ich als schwer erträglich. Nun habe ich sehr wohl mitbekommen, dass manche hier im Forum anzunehmen scheinen, ohne Rubato und ausgeprägte Agogik sei eine Interpretation nicht Interpretation zu nennen. Aber bisher konnte mir noch niemand erklären, was das Erstrebenswerte dahinter sei, wenn im ersten Satz des 3. KK die ersten Bläsertakte frisch und froh das Tempo con brio markieren und der sich anschließende Streichereinsatz sich unversehens zu einem kaugummiartigen Lindwurm dahinkriechend entpuppt - nur um einmal diese eine Stelle etwas überzeichnet herauszugreifen. Aber auch von dieser Agogik abgesehen, ergibt sich für mich bei dieser Interpretation kein Grund, sie - orchester- und dirigentenseits - als im positiven Sinne besonders gelungen anzusehen; es ist in meinen Ohren von Dirigent und Orchester nicht mehr als eine Durchschnittsinterpretation. Nur um dies nicht zu vergessen: Was Gould dort aus dem gesamten Konzert macht, findet meine Bewunderung in jeder Hinsicht, und vor allem der langsame Satz ist selten in dieser blühenden Schlichtheit zu hören, ganz wundervoll aus sich heraus entwickelt - Goulds Spiel ziehe ich demjenigen Aimards bei diesem Konzert deutlich vor. Aber zurück zum Dirigenten: Wie völlig anders als Karajans ist dagegen Harnoncourts Ansatz. Mit Liebe widmet er sich jedem einzelnen Takt, besorgt um seine Ausführung und sein Wachsen wie ein Gärtner um seine Pflänzchen. Das was ich suche und bei ihm finde ist - bei allen Punkten, über die bei seiner Interpretation zu diskutieren wäre - der Dienst am Komponisten und seinem Werk die Frage nach dem Willen des Komponisten zu der Zeit, in der eben dieser Kompnist lebte und arbeitete. (Fern liegt es mir, an dieser Stelle die Diskussion über HIP wieder aufzunehmen!)


    Karajan wie Harnoncourt, habe ich oben gesagt, sind starke Medienmenschen, und damit auf den außermusikalischen Gesichtspunkt hingewiesen. Warum habe ich heute so wenige Aufnahmen mit Karajan? Weil ich mit der Medienpräsenz, die Karajan um sich und "sein" Deutsche Grammophon-Konzern um ihn aufbauten, nicht nur so wenig anfangen kann und konnte, sondern vor allem, weil mir dies so herzlich unsympathisch war und immer unsympathischer wurde, je öfter ich dem ausgesetzt war. Dieses Gesicht mit den geschlossenen Augen strahlte für mich einen über den Musikstücken schwebenden Geist der Leblosigkeit aus, der bei rein musikalischer Betrachtung des Dirigierergebnisses lautererweise vielfach gar nicht so leblos war. Heißt aber: Meine persönliche Befremdung darüber, wie Karajan sich mir im Lauf der Jahre präsentierte, blockierte meine Fähigkeit, mir seine Interpretationen überhaupt anhören zu wollen: Ich hatte das Gefühl, er wolle mir vermitteln: Was ich Dir hier zu Gehör bringe, ist mein Werk; Du sollst nicht hören, was andere dirigieren, denn mein Werk ist das einzig richtige Werk. Dass es auch auf den Komponisten ankommen könnte, vor allem aber, warum sein Werk das einzig richtige Werk sein solle, hat Karajan mir nie begründet.


    Und dies ist vielleicht der Punkt, an dem ich Harnoncourt so sehr vorziehe. Er erklärt mir, warum das, was ich von ihm höre eine Sichtweise sein könnte, die diesem Komponisten und seinem Werk gerecht wird. Und dann kommt eben noch hinzu, dass sowohl seine Erklärungen als auch die musikalischen Ergebnisse, die er daraus entwickelt, vor dem Hintergrund meiner persönlichen musikalischen Sozialisation meinen eigenen Vorstellungen und Erwartungen entsprechen. Ich gestehe, ich kann mich nicht davon distanzieren, wie sympathisch mir der Mensch ist, der mir da etwas von sich erzählt: von der Art, wie er mit seinen Musikern umgeht, wie er sie leitet, von der Art, wie er seine musikalischen Ideen umsetzt und wie er sie begründet. Diese Sendung auf 3sat über den Concentus Musicus, seine Geschichte, die die Geschichte seiner Arbeit mit Harnoncourt als Dirigent und als Cellist ist, hat genau dieses Bild in seinen verschiedenen Facetten wieder bestätigt: Harnoncourt, der Medienmensch - aber in seiner Art der medialen Darstellung der mir sympathische, erklärende, vermittelnde Führer durch die Musik und zum Komponisten und seinem Werk. Weil er erklärt, was er wie tut, macht er sich in hohem Maße angreifbar. Das beweist seine große persönliche Stärke und stellt eine der entscheidenden Abgrenzungen dar zwischen Harnoncourt, dem Medienmenschen, und der medialen Darstellung, deren Karajan sich für seine Person bemächtigte: dass persönliche Angreifbarkeit des Letzteren Teil seines medialen Konzepts war, wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Wer nun sagt, dies sei auch nicht Job eines Dirigenten, dem will ich gar nicht erst widersprechen. Dass Harnoncourt aber seinen Dirigenten-Job erledigte, obwohl er durch sein mediales Eigenkonzept seine Angreifbarkeit herbeiführte, scheint mir ein gelungenes Beispiel dafür, dass es auch anders geht.


    Karajan als Feindbild habe ich mir inzwischen abgewöhnt. Ich kann jemanden, der sich persönlich in der Art zelebriert, wie er es getan hat, nicht als wichtig genug empfinden, um meine Energie an ihm aufzureiben. So gibt mir auch das gegenwärtige Jubiläum keinen Anlass, weitere Aufnahmen von ihm zu erwerben. So wie aber Karajan als Medienmensch sich und seine Interpretationen mir verlitten hat, ist es Harnoncourt auch und gerade als Medienmensch, der mir Harnoncourts Interpretationen so gut verständlich und erstrebbar macht.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Ohne diesen uralten Thread in Gänze nochmal studiert zu haben, finde ich die Fragestellung von vor zwölf Jahren doch aus heutiger Sicht interessant. Mittlerweile ist neben Herbert von Karajan auch Nikolaus Harnoncourt nicht mehr unter uns, was uns beide im Rückblick, gleichsam abschließend betrachten lässt.

    Bei allen unbestreitbaren, teils frappierenden Unterschieden zwischen diesen beiden Dirigenten wird man vermutlich sagen können, dass Harnoncourt Karajan als international bekanntester und wohl auch bedeutendster österreichischer Dirigent 1989 beerbt hat (Karajan musste sich diesen Platz bis 1981 allerdings mehr oder weniger mit dem 14 Jahre älteren Karl Böhm teilen).

    Fragt sich nur, wer nun Harnoncourt als wichtigster österreichischer Dirigent beerbt hat. Weder Franz Welser-Möst noch Manfred Honeck dürften dessen Popularität haben. Leopold Hager ist wohl gar nicht mehr aktiv, Gustav Kuhn sowieso aus dem Rennen. Wen gibt es sonst überhaupt noch?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Fragt sich nur, wer nun Harnoncourt als wichtigster österreichischer Dirigent beerbt hat.

    Aus meiner Sicht glaube ich sagen zu können: NIEMAND


    Es gibt weder einen österreichischen dirigenten, der einen prägenden BEETHOVEN-ZYKLUS hervorgebracht hat, noch einen, der als international angesehener MOZART-DIRIGENT aufgefallen wäre. Das gilt auch für Haydn und Schubert.

    Das liegt vermutlich TEILWEISE anden Österreichern selbst, welche je so gerne "international anerkannt" sein möchten und all ihre Institutionen mit Ausländern zumüllen - ich wollte natürlich sagen "besetzen" Es mag sein, daß die Corona-Krise ein Umdenken erforedert, weil die Reiselust die nächsten Jahre vermutlich etwas gedämpft sein dürfte, vor allem bei Berühmtheit, die ihre Schäflein bereits im Trockenen haben.

    Die Wiener Philharmoniker haben keinen Chfdirigenten (wie eh und je) aber sie hatten zwei Lieblingsdirigenten, Böhm und Karajan, was schon fast diesem Status gleichkam. Heute haben sie auch einen Lieblingsdirigenten, und der heist Thielemann ist aber (noch ? :P) kein Österreicher....

    Es ist ja so, daß man irgendwann an neuen Gesichtern das Interesse verliert (Joachim Kaiser hat das auch in der letzten Auflage seines Buches geschrieben, das Interesse sei nicht mehr vorhanden) aber ich werde in den nächsten Tagen recherchieren, werr den in Österreich derzeit welches Orchester dirigiert.

    Aber egal zu welchem Schluss wir kommen - GENERELL - und nicht nur in Österreich ist es ja IMO so, daß pflegeleichte Dirigentenaus den exotischeten Gegenden der Welt

    eher bevorzugt weden, als jene Pulttyrannen der Vergangegnheit, die es aber - auf Grund ihrer dogmatischen Sichtweise - (Der Dirigent ist der General, das Genie, der Oberbefehlshaber, der Mann der weiß wie mans macht - Das Orchester ist lediglich sein Werkzeug, das zu funktionieren hat)zu hervorragenden Ergebnissen brachten.

    Es gab allerdimngs auch Orchester, die ihrem geliebten Chefdirigenten durch dick und dünn folgten...


    Der nächste Punkt ist das Publikum.

    Abgesehen von der Pop-Szene ist der Bedarf nach "charismatischen Erscheinungen" eigentlich nicht mehr vorhanden. Das geht bis hin zur katholischen Kirche, die allerdings Ressaurcen in Lateinamerika und Schwarzafrike hat, sie aber auch ausschöpfen muß.

    Eine ähnliche Tendenz, wenngelich etwas abgeschwächt gibt es auich in der Klassischen Musik - nicht immer vom Publikum bejubelt. Wer will schon CDs kaufen von Dirigenten, deren Namen man weder korrekt aussprechen noch sich merken kann, - und es oft gar nicht will.


    So meine ich - die Zeit der "Stars" ist (fürs erste) mal vorbei.....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • ich werde in den nächsten Tagen recherchieren, werr den in Österreich derzeit welches Orchester dirigiert.

    Das ist recht schnell aufgelistet:


    - Wiener Staatsoper: Philippe Jordan (seit 2020; zuvor bei den Wiener Symphonikern)

    - Wiener Philharmoniker: bekanntlich keiner

    - Wiener Symphoniker: Andrés Orozco-Estrada (desigiert, ab 2021; zuvor schon bei den Tonkünstlern)

    - ORF Radio-Symphonieorchester Wien: Marin Alsop (seit 2019)

    - Tonkünstler-Orchester Niederösterreich: Yutaka Sado (seit 2015)

    - Bruckner Orchester Linz: Markus Poschner (seit 2017)

    - Grazer Philharmonisches Orchester: Roland Kluttig (seit 2020)

    - Tiroler Symphonieorchester Innsbruck: Kerem Hasan (seit 2019)

    - Concentus Musicus Wien: Stefan Gottfried (seit 2016)

    - Mozarteumorchester Salzburg: Riccardo Minasi (seit 2017)

    - Österreichisch-Ungarische Haydn-Philharmonie: Nicolas Altstaedt (seit 2015)

    - Gustav Mahler Jugendorchester: kein Chefdirigent seit Abbados Tod 2014

    - Orchester Wiener Akademie: Martin Haselböck (seit 1985)

    - Camerata Salzburg: kein Chefdirigent seit Louis Langrées Abgang 2016

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich will mich als Preuße ja nicht einmischen, aber frage doch mal:
    Hat man denn den Österreicher Manfred Honeck in Österreich überhaupt nicht im Blick! Unter den gegenwärtig in Österreich verpflichteten Dirigentinnen und Dirigenten, die Joseph II aufgelistet hat, sehe ich zumindest keinen, der den Rang Honecks hätte.
    Ich habe gerade seine neueste CD-Einspielung der monumentalen Symphonie Nr. 9 d-moll von Anton Bruckner gehört. Die englischsprachigen Musikzeitungen sind voll der Begeisterung. Das ist wirklich eine grandiose, packende Aufnahme! Und sie hat etwas, das man bei Aufnahmen von amerikanischen Orchestern selten findet: Honeck erschließt die spirituellen Dimensionen der Komposition.


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ein Unbekannter ist Manfred Honeck in Wien nicht. Ich erwähnte ihn oben ja bereits. Gleichwohl hat er in seinem dirigentischen Wirken offenkundig andere Schwerpunkte gesetzt. So trat er mit den Wiener Philharmonikern bisher nur dreimal überhaupt auf, und dies immer in Salzburg (Mozartwoche 1994 und 2006 sowie Salzburger Festspiele 2006). Deutlicher enger ist seine Beziehung zu den Wiener Symphonikern, die er 1988 zum ersten Mal dirigierte. Immerhin zwei CDs mit Wiener Musik sind mit Honeck eingespielt worden.


    Allerdings ist mein Eindruck, dass Honeck in Wien keine genuine Stellung eines "Homo Austriacus" innehat. Er wurde kein einziges Mal für ein Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker in Betracht gezogen, was einigermaßen verwundert. Vielleicht können beide nicht so gut miteinander. Gerade sah ich, dass er dafür eigentlich das heurige Silvesterkonzert der Wiener Symphoniker im Konzerthaus hätte dirigieren sollen. Dieses wird aber ohne Publikum stattfinden müssen, sofern es überhaupt zustande kommt.


    In Pittsburgh hat sich Honeck dagegen, wie Caruso schon zurecht schreibt, einen hervorragenden Ruf erarbeitet und gilt längst mehr als nur ein Geheimtipp in der US-amerikanischen Orchesterlandschaft. Das ist ja auch ein ganz tolles Orchester, wie man schon seit der Steinberg-Ära weiß.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Abgesehen davon, daß ich Harnincourt niemals den Status "wichtigster österreichischer Dirigent" zugebilligt hätte, meine ich, daß man Karajan und Harnoncourt sehr wohl vergleichen kann:


    Karajan war der Meister der Perfektion und des polierten Schönklangs, aber er konnte auch die Dynamig effektiv herausarbeiten (Beethoven Sinfonien 5 und 6)


    Harnoncourt konnte über viele Werke geistvoll und überzeugend referieren - aber sobald er einen Takstock in die Hand nahm, war der Zauber vorbei.

    Er setzte Ausdruck vor Schönheit - und damit hat er bei mir verspielt - zumindest als "wichtigster österreichischer Dirigent":hahahaha::untertauch::stumm:


    Dennoch habe ich eine Menge Cds mit ihm - Gott weiß warum


    Indes gibt es ein Zitat von ihm, wo sich seine Meinung mit der meinen zu 100% deckt:


    Zitat

    ...... Weil Optimismus setzt immer einen gewissen Grad an Blödheit voraus.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Einen Unterschied sehe ich doch, allerdings erst zu der Zeit, da ich schon länger Chorsänger war. Karajan hatte nicht immer die Chöre, die seinem Qualitätsanspruch genügt haben müssten (Brahms Requiem:untertauch:).

    Was mich an Harnoncourt auch gestört hat, war sein "eckiges" Dirigieren. Damit reihte er sich ein in die Phalanx von Masur, Thielemann und noch ein paar, die mir im Moment nicht einfallen. Auch Herreweghe gehört dazu, aber der dirigiert nicht, sondern leitet seine Schäfchen an. Diese sind so gut, dass sie ihn auch nicht brauchen. Überhaupt habe ich festgestellt, dass oft die Chordirigenten eine gute Mischung von Präzision und Emotion haben. Hier möchte ich Hengelbrock, Gardiner, Ralf Otto und Vaclav Luks (das tschechische Ensemble 1704) nennen. Besonders gelungen scheint mir die Mischung von Präzision und Feuer bei der Chefin Jeannette Sorrell von "Apollo´s Fire" zu sein (mein Schreibtisch, HörBar).

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Wenn ich mal von Alter Musik absehe, könnte ich auf Harnoncourt gut verzichten, auf Karajan aber niemals!


    Eine Ausnahme möchte ich machen, und zwar diese:

    Klavierkonzert 23 und 26 - Gulda, Harnoncourt, Cgo, Mozart, Wolfgang  Amadeus: Amazon.de: Musik

    Das ist eine CD für die Insel! (Das gute Einvernehmen zwischen den beiden dauerte allerdings nicht lange, schade!).


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich persönlich möchte weder ohne Karajan noch ohne Harnoncourt auskommen. Beide waren sie Giganten, so verschieden sie auch gewesen sind. Ich sehe in der aktuellen österreichischen Dirigentenlandschaft niemanden, der diese Lücke auch nur ansatzweise ausfüllen könnte.


    Harnoncourt war zwar immer Spezialist für Alte Musik, aber sein musikalischer Horizont ging doch viel weiter, bis in die Spätromantik hinein. Er hat sich z. B. sehr für Smetana und Dvorák eingesetzt und ein einziges Mal sogar den ihm eigentlich nicht geheueren Wagner aufs Programm gesetzt (es gibt auch einen Mitschnitt von diesem Styriarte-Konzert). Gerade in Sachen Mozart schätze ich Harnoncourt ungemein, da er einer der ersten war, der auch die in Frage kommenden frühen Mozart-Symphonien vollwertig mit Pauken spielen ließ, was das Hörerlebnis m. E. beträchtlich steigert. Interessant aus meiner Sicht auch seine späten Beethoven-Interpretationen, die sehr eigenwillig daherkommen. Wer in der Zeit nach Karajan hat Österreich musikalisch denn in der Welt so omnipräsent repräsentiert, wenn nicht Harnoncourt. Wohl kaum Carlos Kleiber mit seinem "Eine-Handvoll-Werke-Repertoire".


    Wie großartig Karajan und Harnoncourt waren, die Unvergleichbaren, zeigt sich auch bei ihren Neujahrskonzerten. Man höre vergleichsweise in die urfaden Versuche von Welser-Möst, ebenfalls Österreicher, dann merkt man, was wir an den beiden erstgenannten hatten.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Karajan hatte nicht immer die Chöre, die seinem Qualitätsanspruch genügt haben müssten (Brahms Requiem :untertauch: ).

    Ich habe schon öfter hier gelesen, daß am Wiener Singverein gemäkelt wurde.

    Da aber meien Eltern mit einem Ehpaar befrejundet waren (und somit ich auch) weißich auch WARUM Karajan gerne mit diesem Chor arbeitete:

    Im Gegensatz zu zu den "Profichören" waren Proben und oft eklatante Zeitüberschreitung kein Thema;: Geprobt wurde- solange der Maestro es für notwendig hielt - und Mehrkosten kamen keine zustande - auch kein Zoff mit den Gewerkschaften.

    Wie das heute ist, das weiß ich natürlich nicht...


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Ich habe schon öfter hier gelesen, daß am Wiener Singverein gemäkelt wurde.

    Da aber meien Eltern mit einem Ehpaar befrejundet waren (und somit ich auch) weißich auch WARUM Karajan gerne mit diesem Chor arbeitete:

    Im Gegensatz zu zu den "Profichören" waren Proben und oft eklatante Zeitüberschreitung kein Thema;: Geprobt wurde- solange der Maestro es für notwendig hielt - und Mehrkosten kamen keine zustande - auch kein Zoff mit den

    Der Irrtum ist hier, dass bei einem Chor, der nur begrenzte sängerische Mittel hatte, die Zeitausdehnung nicht der richtige Weg war, um die Qualität zu erreichen.

    In meinem Vokalensemble gab es das manchmal auch. Da wurde, sogar vor einer Aufführung, stundenlang die letzten Einzelheiten geprobt. Der einzige Effekt war der, dass wir alle so kaputt waren, dass die Aufführung der letzte Atem vor dem Herzstillstand war. Ich habe das immer als entproben bezeichnet ("...als sie das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten sie ihre Anstrengungen", Mark Twain)

    Ein anderes Beispiel: mein Bezirksligaverein lädt (nein, nicht Schalke) den BVB zum Spiel ein. Um das zu bestehen, wird drei Monate lang jeden Tag 5 Stunden lang trainiert.....

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)