Richard Wagner: Parsifal

  • Mal angenommen, man könnte die Frage "Was will uns der Künstler mit seinem Kunstwerk sagen?" erschöpfend beantworten, dann würde sich (mir zumindest) gleich die nächste Frage anschließen: Warum hat er das dann nicht einfach gesagt sondern statt dessen den ganzen Aufwand mit dem Kunstwerk getrieben?


    Diese Frage finde ich sehr berechtigt. Ich würde es ein wenig anders formulieren: Selbst wenn in einem Kunstwerk eine Art "Botschaft" oder "Mitteilung" steckt, so bleibt immer noch die Frage, warum eine Ästhetisierung dieses Inhalts vorgenommen worden ist. Man kann sich dieser Problematik entziehen, wenn man die Haltung des von mir sehr verehrten David Lynch einnimmt, der einst zur "Botschaft" von Kunstwerken gesagt hat: "If you want to send a message, go to Western Union." :)


    Um auf La Roches Probleme mit dem Stück zurückzukommen: Im Falle des "Parsifal" gibt es m. E. sicherlich (mindestens) zwei Themen, die sich durch das Stück ziehen und die mit der Handlung verwoben sind, nämlich "Erlösung" und "Sünde" (Helmut Hofmann hat Überlegungen zum Thema der "Erlösung" im Stück weiter oben sehr viel eloquenter formuliert, als ich es könnte). Ob Wagner uns zu diesen beiden Themen etwas "sagen" oder sie mit seinem Kunstwerk schlicht in mehreren Facetten beleuchten wollte, dürfte nicht ganz trivial zu beantworten sein...


    Als nicht einmal getaufter Atheist vermag ich mich schwer in religiöse Themen einzufühlen, das ist eine fremde Welt für mich.


    Mal eine direkte Rückfrage hierzu: Geht Dir das z. B. mit Bachs h-moll-Messe oder seinen Passionsmusiken ebenso, oder ist dieses Problem für Dich beim '"Parsifal" stärker ausgeprägt?


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Eine ernstgemeinte (!!) Frage an Helmut Hofmann, dessen Antwort mir sehr klar gezeigt hat, was Wagner wollte.

    Zunächst aber zum Katholizismus! Hier ist es unerheblich, ob eine Messe gut gelesen, gesungen, also exektutiert wird im Sinne einer guten Ausführung oder ob sie im schlechten Sinne exekutiert wird. Sind die notwendigen "Utensilien" vorhanden, gilt die Messe als legal, egal wie erbarmungswürdig die Ausführenden sind (singende Priester!).

    Nun aber Parsifal: 1. Wenn eine Aufführung unzulängliche Sänger, eine konfuse Regie, grässliche Kostüme und ein erbarmungswürdiges Bühnenbild hat und nur das Orchester gut spielt... 2. Wenn der Parsifal rundum RT ist...

    Ist das nicht verwerflich, weil es die Erlösung nur in der Perfektion der Aufführung gibt und alles andere die Menschen sogar in die Verzweiflung führten kann?

    Und zuletzt ein natürlich wahnwitziger Gedanke:

    So wie es im Katholizismus einen Canon für Kirchenrecht gibt, brauchen wir das dann auch in Bayreuth, um die Wagner-Ketzer zu sanktionieren, wobei Ausschluss von Vorstellungen ja kaum jemanden heutzutage schrecken wird?

    Bei diesen Prozessen darf natürlich auch gesungen werden. Wenn ich z.B. für die Lästerung des Lohengrin belangt würde, könnte ich dies hier singen: "Nie sollst du mich befragen..." Am Schluss, wenn ich freigesprochen würde und der Richter "Schwan" heißt: "Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!"

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • So wie es im Katholizismus einen Canon für Kirchenrecht gibt

    Einen? Das sind 900 m.W. (ab Nr. 800 folgen die gesellschaftlich interessanten und tatsächlich oft verhandelten wie etwa Ehescheidung).


    Aber im Ernst: ich habe den Parsifal einige Male gesehen und gehört (am bemerkenswertesten Schlingensief und Herheim, beide Bayreuth), kann aber mit Wagners schwülstigem Textgesumse wenig anfangen. Bereits das christliche Original mit Lebenshingabe für Gott und umgekehrt die immer wieder auftauchende Sohnesopferung, das mag arabischem Denken der Zeitenwende entsprechen, das indes religiös und somit politisch (denn nichts weiter ist Religion: ein Form gesellschaftlich-politischer Steuerung) nicht nur als zu Glauben festzuschreiben, sondern das auch noch munter weitere auszubauen (ich erinnere an ein schwachsinniges Kirchenlied mit der Textzeile "Lass rein uns vor Dir ste-he-hen, von Deinem Blut geweiht") ist, gelinde gesprochen, schon starker Tobak. Das brauchts den drolligen frauenverachtenden Herrenclub im "Parsifal" bestimmt nicht. Ist aber nicht typisch für den Parsifal: mir fällt nicht ein einziges Wagner-Libretto ein, das ohne die Musik sprachlich und inhaltlich heute noch Bestand haben würde. Manchmal ist's immerhin spannend, wie im "Ring", oder, je nach Inszenierung, im "Tannhäuser" (die Katzer-Inszenierung finde ich sensationell).


    Pro Akt eine Flasche Kölsch? Das passt, wenn noch ein Jabiko dazu kommt.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Überhaupt nicht klar komme ich mit Mendelssohns kirchlichen Werken. Einmal habe ich beim "Elias" sogar fast die Vorstellung verlassen, obwohl sie in der Dresdener Frauenkirche stattfand und mein Geraer "Hausorchester" spielte.


    Das erstaunt mich, denn der "Elias" quillt geradezu über von wunderschöner und zugleich hochdramatischer Musik, für die man m. E. nicht unbedingt eine starke spirituelle Verbindung zum alttestamentarischen Inhalt benötigt, um sie schätzen zu können. Ich habe das Stück vor etwa 20 Jahren im Chor gesungen - eines der großartigsten Erlebnisse meiner Laienchoristen-Tätigkeit!


    Bereits das christliche Original mit Lebenshingabe für Gott und umgekehrt die immer wieder auftauchende Sohnesopferung, das mag arabischem Denken der Zeitenwende entsprechen


    Wenn dem so wäre, würden sich ca. 2000 Jahre später nicht ca. zweieinhalb Milliarden Menschen zu diesem Glauben bekennen. Mir ist klar, dass wir hier akut OT-gefährdet sind - andererseits gehört das Christlich-Religiöse natürlich untrennbar zum "Parsifal" als Gegenstand der Diskussion.


    denn nichts weiter ist Religion: ein Form gesellschaftlich-politischer Steuerung


    Das klingt jetzt aber sehr nach dem diskursiven Stand eines SDS-Treffens in den späten 60er Jahren... ^^;)


    ich erinnere an ein schwachsinniges Kirchenlied mit der Textzeile "Lass rein uns vor Dir ste-he-hen, von Deinem Blut geweiht"


    Ich kenne dieses Kirchenlied nicht, aber innerhalb des christlichen Glaubenssystems ist diese Textzeile natürlich alles andere als "schwachsinnig".


    mir fällt nicht ein einziges Wagner-Libretto ein, das ohne die Musik sprachlich und inhaltlich heute noch Bestand haben würde


    Das ist auch nicht weiter schlimm, weil es nicht die Aufgabe eines Opern-Librettos ist, ohne die Musik sprachlich und inhaltlich Bestand zu haben. ;)


    LG :hello:

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  • Mir ist klar, dass wir hier akut OT-gefährdet sind - andererseits gehört das Christlich-Religiöse natürlich untrennbar zum "Parsifal" als Gegenstand der Diskussion.

    Ich wollte das Religiöse auch nicht weiter vertiefen, lediglich auf LaRoches Frage antworten, was einem der Komponist sagen will resp. ob man das verstehen muss. Es ist halt die Crux mit der Oper grundsätzlich, dass mich die Musik anlockt. Wenn man in Bayreuth sitzt und die ersten Klänge des Parsifal-Vorspiels schweben aus dem überdeckelten Orchestergraben in den Raum ist das ein unglaubliches Erlebnis. Das gilt auch für weite Teile der Oper, musikalisch betrachtet, unabhängig vom Text. Ich halte es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Oper in dem Sinne etwas bewirkt, daß aus einem ungläubigen ein gläubiger Mensch wird. Am ehesten mag sich ein Gefühl von Bewegtheit und Erhabenheit einstellen. Ansonsten ist Parsifal inhaltlich weit weit weg von unserer Welt, gibt weder den Entwurf einer idealen noch gar einer wünschenswerten Welt. Insofern kann ich LaRoche gut verstehen und merke antwortend an, ja, sagt mir auch nichts, aber die Musik ist schön.


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  • – Ist das noch deutsch?
    Aus deutschen Herzen kam dies schwüle Kreischen?
    Und deutschen Leibs ist dies Sich-selbst-Zerfleischen?
    Deutsch ist dies Priester-Hände-Spreizen,
    Dies weihrauchdüftelnde Sinne-Reizen?
    Und deutsch dies Stürzen, Stocken, Taumeln,
    Dies zuckersüße Bimbambaumeln?
    Dies Nonnen-Äugeln, Ave-Glockenbimmeln,
    Dies ganze falsch verzückte Himmel-Überhimmeln? ...

    Ist das noch deutsch?
    Erwägt! Noch steht ihr an der Pforte ...
    Denn was ihr hört, ist Rom, – Roms Glaube ohne Worte!


    (Nietzsche kontra Wagner: "Wagner als Apostel der Keuschheit") ^^

  • Wenn man in Bayreuth sitzt und die ersten Klänge des Parsifal-Vorspiels schweben aus dem überdeckelten Orchestergraben in den Raum ist das ein unglaubliches Erlebnis.

    Das Gefühl hat man selbst, wenn man vor dem TV sitzt oder eine CD einschiebt.

    Am ehesten mag sich ein Gefühl von Bewegtheit und Erhabenheit einstellen. Ansonsten ist Parsifal inhaltlich weit weit weg von unserer Welt, gibt weder den Entwurf einer idealen noch gar einer wünschenswerten Welt.

    Treffend ausgesagt. Ich liebe die Musik von Wagner, aber seine Texte weniger. Ich liebe auch Tristan, obwohl die Oper eigentlich keine Handlung hat - wegen der wahnsinnigen Musik!

    Was wäre wohl herausgekommen, wenn Wagner mit Hofmannsthal hätte zusammenarbeiten können?!

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Wenn man in Bayreuth sitzt und die ersten Klänge des Parsifal-Vorspiels schweben aus dem überdeckelten Orchestergraben in den Raum ist das ein unglaubliches Erlebnis. Das gilt auch für weite Teile der Oper, musikalisch betrachtet, unabhängig vom Text.


    Ganz ohne Frage ist der "Parsifal" unabhängig vom Inhalt ein musikalisch überwältigendes Stück. Aber: wenn man ihm wirklich umfangreich gerecht werden möchte, dann wird diese Beschränkung auf das Musikalische nicht ausreichen. Anders formuliert: es ist natürlich vollkommen legitim, sich nur ein Aspekt eines Kunstwerkes von Rang herauszusuchen und diesen - andere Aspekte ignorierend - zu genießen. Allerdings wird man damit dem betreffenden Kunstwerk nicht umfänglich gerecht werden können. Es mag hinkommen, dass man bei einem Popsong einen bescheuerten Inhalt ignoriert und sich nur an der Melodie erfreut - bei Opern wird das bereits etwas schwieriger, bei Wagner m. E. nahezu unmöglich, weil seine Stücke inhaltlich sehr dicht sind und sie halt in einer Art Einheit von Musik und Text konzipiert worden sind.


    Ich halte es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Oper in dem Sinne etwas bewirkt, daß aus einem ungläubigen ein gläubiger Mensch wird.


    Das halte ich auch für sehr unwahrscheinlich. Dennoch würde ich die These aufstellen wollen, dass man den "Parsifal" nicht in all seinen Facetten wird erfassen können, wenn man die inhaltliche Dimension des Christlich-Religiösen beiseite schiebt. Man muss ihr ja nicht selbst folgen, um sich mit diesem Aspekt des Stücks zu befassen.


    Ansonsten ist Parsifal inhaltlich weit weit weg von unserer Welt, gibt weder den Entwurf einer idealen noch gar einer wünschenswerten Welt.


    Dem zweiten Halbsatz stimme ich zu, dem ersten nicht. Tatsächlich präsentiert Wagner im "Parsifal" kein elysisches Paradies, und der im Stück enthaltene Erlösungsgedanke ist auch vom Eingang in ein solches Paradies erheblich entfernt. Das bedeutet aber gerade nicht, dass das Stück damit "weit weg von unserer Welt" wäre, sondern vielleicht sogar näher an ihr dran ist, als man dies zunächst vermuten würde. Das Streben nach Formen der Erlösung, die Auseinandersetzung mit Sünde, spirituelle Leere, all dies sind doch gerade auch Themen, die uns in unserer Zeit beschäftigen (würde ich zumindest meinen).


    LG :hello:

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  • Zu dem Beitrag 32 von Dr. Holger Kaletha:


    Nietzsche, der sich zur Parsifal-Zeit von dem früher bewunderten und verehrten Richard Wagner längst abgewendet hatte, schrieb, als er 1887 in Monte Carlo das Vorspiel zu "Parsifal" gehört hatte, an Peter Gast:

    "(...) ein außerordentliches Gefühl, Erlebnis, Ereignis der Seele im Grunde der Musik, das Wagner die höchste Ehre macht, eine Synthesis von Zuständen, die vielen Menschen, auch >Höheren Menschen<, als unvereinbar gelten werden, von richtender Strenge, von >Höhe< im erschreckenden Sinne des Wortes, von einem Mitwissen und Durchschauen, das eine Seele wie mit Messern durchschneidet - und von Mitleiden mit dem, was da geschaut und gerichtet wird."

  • wenn man die inhaltliche Dimension des Christlich-Religiösen beiseite schiebt. Man muss ihr ja nicht selbst folgen, um sich mit diesem Aspekt des Stücks zu befassen.

    Ich will das nicht in Abrede stellen. Sie sind mir qua Sozialisation und persönlicher Interessenlage durchaus vertraut. Allerdings scheint mir Parsifal eher Wagners krudes Welt- und Religionsbild widerzuspiegeln, Wagner war da ein ausgesprochen oportunistischer Wendehals. In dem von Dr. Holger Kaletha zitierten Text nimmt Nitzsche auch Abschied von Wagner. Und schreibt: "Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in Deutschland war, kondeszendierte er Schritt für Schritt zu allem, was ich verachte – selbst zum Antisemitismus ... Es war in der Tat damals die höchste Zeit, Abschied zu nehmen: alsbald schon bekam ich den Beweis dafür. Richard Wagner, scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit ein morsch gewordner, verzweifelnder décadent, sank plötzlich, hilflos und zerbrochen, vor dem christlichen Kreuze nieder... Hat denn kein Deutscher für dies jämmerliche Schauspiel damals Augen im Kopfe, Mitgefühl in seinem Gewissen gehabt?"

    Und zum Religiösen: auch in den 1960er Jahren war das religiöse Empfinden der Menschen nicht kongruent mit den religösen Vorstellungen des Parsifal. Womit wir dann hierbei sind:

    Tatsächlich präsentiert Wagner im "Parsifal" kein elysisches Paradies, und der im Stück enthaltene Erlösungsgedanke ist auch vom Eingang in ein solches Paradies erheblich entfernt.

    Doch doch, der Parsifal ist weit weg von heute. Wenn man von Ereignissen wie dem Jonestown-Massaker oder der Barbarei der Charles-Manson-Gruppe absieht, dann ist die Erlösung durch Opfertod heute religiös nicht mehr gegenwärtig. Wozu auch? Galubeist die Abwesenheit von Wissen. Je mehr Wissen, desto weniger Glaube nötig. Die Menschen, da gebe ich Dir recht, sind auf Heilssuche, weil die Kirchen derzeit wenig glaubhaft darstehen, weil die Angebote vielfältiger geworden sind, auch und gerade jenseits des Religiösen. Ein reiner Männerverein, der überdies mit Blick auf Kundry doppelt frauenverachtend ist, wem will man das heute vermitteln?


    Wagners letzte Oper ist schon -inhaltlich- schwere Kost, die bestenfalls durch Inszenierungen wie jene von Schlingensief oder Herheim genießbar wird.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Lieber Helmut Hofmann , ich ehe, das Nitzsche ein ergiebiger Steinbruch beim Nachdenken über Wagner und den Parsifal ist.


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  • Ein reiner Männerverein, der überdies mit Blick auf Kundry doppelt frauenverachtend ist, wem will man das heute vermitteln?

    Jetzt wird mir echt schlecht. Beim Parsifal geht's doch nicht um Mann vs. Frau. Es geht um Mitleid, und dann um Erlösung durch Mitleid.


    Männer und Frauen bekommen da gleichermaßen ihr Fett weg. Die Männer wollen die Welt retten, aber am Ende geht es ihnen nur um Ruhm. Sie wollen "Helden" sein, sind aber doch nur eitel. Sie meinen, durch viel Beterei kommt man dem Ziel näher. Aber sobald sie einen Frauenrock sehen, denken sie nur noch an das eine. Da vergessen sie alle "Heldentaten". Klingsor hat das durchschaut. Er tickt ja am Ende auch nicht anders.


    Kundry hat einen bösen Fehler gemacht: Kein Mitleid gezeigt. Das will sie durch blinden Aktionismus wieder gutmachen. Bringt aber nix. Du kannst das nicht mehr wieder gutmachen. Du kannst nur hoffen, dass dir jemand verzeiht. Und dir vornehmen, diesen Fehler (kein Mitleid zu haben) nicht mehr zu machen.


    Parsifal ist der einzige, der das verstanden hat (wofür er Jahrzehnte brauchte). Daher ist er der einizige, der diese Fehlgeleiteten (beiderlei Geschlechts) erlösen kann.


    Die Parallelen zum Christentum sind eher zufällig. Da geht es zwar auch um Mitleid. Aber auch um Frömmigkeit. Also möglichst viel beten. Dadurch wird aber keiner erlöst. Eigentlich kann man das Werk auch als Kritik am real existierenden Christentum interpretieren.


    Frauenverachtend???


    Kundry ist die zentrale Figur, also Rolle sogar wichtiger als Parsifal. Normalerweise bekommen Männer solche Rollen. Der tragische Held. Frauen sind nur dazu da, sein Schicksal zu lindern oder ihn gar zu "erlösen". Also Beiwerk. Beim "Parsifal" ist es umgekehrt, da steht eine Frau im Mittelpunkt. Ja, sie macht nicht immer "bella figura". Aber das kann nur jemand kritisieren, der Frauen generell darauf reduziert, schön, elegant und "würdevoll" zu sein.



    Man kann sich fragen, wie Wagner zu dieser späten Einsicht kam. In früheren Opern ging es ja um Heldentum, Selbstverwirklichung.

    Wagner hatte offensichtlich dazugelernt. Er war inzwischen fast 70...

  • Nietzsche, der sich zur Parsifal-Zeit von dem früher bewunderten und verehrten Richard Wagner längst abgewendet hatte, schrieb, als er 1887 in Monte Carlo das Vorspiel zu "Parsifal" gehört hatte, an Peter Gast:

    "(...) ein außerordentliches Gefühl, Erlebnis, Ereignis der Seele im Grunde der Musik, das Wagner die höchste Ehre macht, eine Synthesis von Zuständen, die vielen Menschen, auch >Höheren Menschen<, als unvereinbar gelten werden, von richtender Strenge, von >Höhe< im erschreckenden Sinne des Wortes, von einem Mitwissen und Durchschauen, das eine Seele wie mit Messern durchschneidet - und von Mitleiden mit dem, was da geschaut und gerichtet wird."

    Ja, lieber Helmut Hofmann. Nietzsche nahm Anstoß am Text, war von der Musik aber tief beeindruckt - es gibt noch eine andere Äußerung, wo er das explizit sagt. Die habe ich jetzt aber nicht im Kopf... :) :hello:

    Allerdings scheint mir Parsifal eher Wagners krudes Welt- und Religionsbild widerzuspiegeln, Wagner war da ein ausgesprochen oportunistischer Wendehals. In dem von Dr. Holger Kaletha zitierten Text nimmt Nitzsche auch Abschied von Wagner. Und schreibt: "Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in Deutschland war, kondeszendierte er Schritt für Schritt zu allem, was ich verachte – selbst zum Antisemitismus ... Es war in der Tat damals die höchste Zeit, Abschied zu nehmen: alsbald schon bekam ich den Beweis dafür. Richard Wagner, scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit ein morsch gewordner, verzweifelnder décadent, sank plötzlich, hilflos und zerbrochen, vor dem christlichen Kreuze nieder... Hat denn kein Deutscher für dies jämmerliche Schauspiel damals Augen im Kopfe, Mitgefühl in seinem Gewissen gehabt?"

    Und zum Religiösen: auch in den 1960er Jahren war das religiöse Empfinden der Menschen nicht kongruent mit den religösen Vorstellungen des Parsifal. Womit wir dann hierbei sind:

    Lieber Thomas,


    Nietzsches - natürlich satirisch überspitzte - Kritik spießt Wagner am entscheidenden Punkt auf: Wagner hat zuerst Feuerbach und dann Schopenhauer gelesen. Der junge Wagner war ein Revolutionär, Anhänger des "Jungen Deutschland", religionskritisch aufgeklärt (in einem Text sagt er ganz offen mit Auguste Comte, dass das Zeitalter der Religion vorbei ist und durch Aufklärung und Wissenschaft endgültig abgelöst!), gegen christliche Leibfeindlichkeit. Und dann hat er später Schopenhauers Metaphysik in sein Weltbild "eingearbeitet" - eigentlich ist das Feuer und Wasser. Da gibt es ganz sicher viele Brüche und Widersprüche. Letztlich habe ich aber damit weniger Probleme als Du :D , weil ich dies als Ausdruck seiner (und unserer) Zeit nehme, die letztlich eine sehr widersprüchlichen Epoche ist. Denn man kann sich ja doch fragen: Sind viele der Widersprüche bei Wagner nicht immer noch die unseren? Das Erlösungsbedürfnis, ist es nicht Ausdruck davon, dass Religionen ihre Kraft verloren haben und die Menschen nach einem Ersatz dafür suchen? Nietzsche nannte das - durchaus selbstironisch - "Artistenmetaphysik". Feuerbachs Humanismus wollte die Religion ja nicht einfach killen, sondern Religion in Anthropologie, was er für ihren wahren Kern hielt, verwandeln. Man kann Wagner deshalb auch so verstehen, dass dieses - boshaft gesprochen - "Pseudo"-Religiöse mit Feuerbach Ausdruck davon ist, dass zwar die Religion verschwinden kann, aber nicht das anthropologische Urbedürfnis nach Religiosität, das sie speist. Ich glaube, wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, all das, was wir bei Wagner mitunter als peinlich empfinden, hätten wir überwunden. Ich finde Wagners Texte schon faszinierend, weil sie eine Komplexität zeigen, die viel über die Doppelbödigkeiten unserer Kultur mit ihren Verdrängungsmechanismen verrät.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Jetzt wird mir echt schlecht. Beim Parsifal geht's doch nicht um Mann vs. Frau. Es geht um Mitleid, und dann um Erlösung durch Mitleid.

    Das eben das im Parsifal verhandelt wird ist völlig unstreitig, die Frage ist nur, auf welches Tableau das gespannt wird. Und da bleibe ich dann doch dabei, dass bei der Verwendung eines mittelalterlichen Versepos als Grundlage für die Oper die in der ritterlichen Welt geltenden Geschlechterrollen auch bei Wagner so angenommen werden dürfen, so daß neben dem "Was", der Erlösung durch Mitleid eben auch das "Wie" -Adaption eines mittelalterlichen Versepos steht. Ich gestehe offen, dass ichmich mit Wolframs Roman noch nie beschäftigt habe, so daß ich auch nicht beirteilen kann, wie Wagner in Themen und Handlungsstränge eingegriffen hat. Aber das wäre auch in einem eigenen Thread zum "Parsifal zu erörtern. Hier geht's ja um Bayreuth 2023.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Letztlich habe ich aber damit weniger Probleme als Du :D , weil ich dies als Ausdruck seiner (und unserer) Zeit nehme, die letztlich eine sehr widersprüchlichen Epoche ist. Denn man kann sich ja doch fragen: Sind viele der Widersprüche bei Wagner nicht immer noch die unseren? Das Erlösungsbedürfnis, ist es nicht Ausdruck davon, dass Religionen ihre Kraft verloren haben und die Menschen nach einem Ersatz dafür suchen?


    So in etwa sehe ich das auch. Wagners weltanschaulicher Eklektizismus ist ein Aspekt, der ihn m. E. ziemlich modern macht - Sagenwelten und Ritterbünde hin oder her. Wagners privatreligiöse Zusammenstellungen, die zum "Parsifal" geführt haben, nehmen den spirituellen Individualismus unserer Zeit geradezu vorweg. In gewisser Hinsicht war Wagner weltanschaulich bereits postmodern. ^^


    LG :hello:

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  • Ich bin weit davon entfernt ein Opern-Kenner zu sein. Die Meriten dieser Aufnahmen zu beurteilen sind andere Tamino-Mitglieder berufener.


    Ich habe mir eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1952 beschafft, nämlich diese:



    Das Ensemble sei das gleiche wie ein Jahr zuvor in dieser Einspielung aus dem Jahr 1951, die im Thread bereits lobend erwähnt wurde.


    Martha Mödl, Wolfgang Windgassen, George London, Ludwig Weber, Kurt Böhme, Hermann Uhde,

    Orchester der Bayreuther Festspiele, Hans Knappertsbusch


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Das Ensemble sei das gleiche wie ein Jahr zuvor

    Nicht ganz, lieber moderato. Arnold van Mill sang 1951 den Titurel, im Jahr darauf war es Kurt Böhme. Die Blumenmädchen wurden 1952 von Rita Streich angeführt. Im Jahr zuvor war es Lore Wissmann, die Frau von Wolfgang Windgassen, der den Parsifal gab. Unter den Gralsrittern findest Du in beiden Jahren Werner Faulhaber aus Dresden. Der war eine große Bariton-Hoffnung, konnte aber 1953 nicht wiederkommen, weil er im Mai tödlich verunglückte.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber rheingold1876


    Ich staune, was du über die Besetzung und Hintergründe der Parsifal-Aufführungen aus den Jahren 1951 und 1952 in Bayreuth alles weisst. Das zeigt, wie kundig du als Opernliebhaber bist. Es gehört Leidenschaft dazu.


    es grüsst dich


    moderato

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Das eben das im Parsifal verhandelt wird ist völlig unstreitig, die Frage ist nur, auf welches Tableau das gespannt wird.

    "Mitleid", da sind wir uns einig. Der Künstler (Wagner) legt also das Grundthema fest und sucht dann nach einer adäquanten Umsetzung. Und da sind halt christliche Elemente nicht ganz abwegig. Zentral beim Christentum (jedenfalls dem usprünglichen) ist: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Das ist schon ziemlich nah am Thema "Mitleid". Aber im 19. Jahrhundert war schon längst klar, dass diverse real existierende Rituale des Christentums in eine Sackgasse führen. Durch vieles Beten wird die Welt nicht besser. Aber die Sehnsucht nach "Erlösung" bleibt.


    Fazit:

    Es ist durchaus naheliegend, die Grundthematik (Mitleid) anhand christlicher Motive abzuarbeiten. Daher dann auch die "Männerbünde". Aber die Frauen kommen ja nicht zu kurz, bei weitem nicht. Sie werden nur anders dargestellt. Komplexer, um es genau zu sagen. Kundry ist eine der größten Frauenrollen in der Operngeschichte. In einer Reihe mit Brünhilde und Elektra. Aber komplexer als beiden zusammen.

  • Ich staune, was du über die Besetzung und Hintergründe der Parsifal-Aufführungen aus den Jahren 1951 und 1952 in Bayreuth alles weisst. Das zeigt, wie kundig du als Opernliebhaber bist. Es gehört Leidenschaft dazu.

    Lieber moderato, die Bayreuther Besetzungspolitik hat mich schon immer interessiert. Sie hat ihre Eigenarten und Besonderheiten - in den Nachkriegsjahren mehr als zu jeder anderen Zeit. Ziel war es, die jeweils bestmöglichsten musikalischen Ergebnisse zu erzielen. Es gab aber auch die Erbhöfe. Nicht jede Entscheidung ist auch im Nachhinein nachzuvollziehen, die Absicht aber umso mehr. Es wurde ständig etwas geändert. Da einst alle Mitwirkenden sozusagen Residenzplicht hatten, konnte man aus einem unglaublichen Reservoire schöpfen. Wenn es darauf ankam, musste jeder/jede alles singen. Nicht selten bestand das Walküren-Ensemble gleich aus mehreren Brünnhilden. Die Nachkriegszeit ist mit den Premieren nahezu komplett dokumentiert - auch, weil auf die Radioübertragungen zurückgegriffen werden konnte. Mit dem jüngst bei Hänssler erschienenen "Parsifal" von 1955 liegen nun sämtliche Knappertsbusch-Deutungen dieses Werkes bei den Bayreuther Festspielen vor. Mit Ausnahme von 1953 dirigierte er zwischen 1951 und 1964 alle Vorstellungen.



    Diese Datenbank gibt bis in alle Details Auskunft über Aufführungen und ihre Mitwirkenden:


    https://www.bayreuther-festspiele.de/fsdb/mitwirkende/

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • bis heute mein' ich einigermaßen unbekannt geblieben ist dieser Live-Mitschnitt aus Paris vom März 1954 (Gastspiel der Oper Stuttgart, seinerzeit ja nicht zu Unrecht 'Winter-Bayreuth' geheißen) WAGNER: Parsifal - Mödl, Windgassen, Chor der Württemberg.Staatsoper Stuttg., Richard Wagner, Leitner, Orchestre de l' Opéra de Paris: Amazon.de: Musik


    - wieder mit Mödl und Windgassen (erstere lt. Bayreuther 'Aufführungsdatenbank' die Kundry in sämtlichen Vorstellungen 1951 - 55, letzterer der alleinige Titelheld 1951, 52 u. 54); interessant v. a. aufgrund des Dirigenten Ferdinand Leitner (Stuttgarter GMD v. 47 - 69(!!)), der ja wohl, zumal im Vergleich zu 'Kna', für eine deutlich 'sachlichere' Lesart steht.


    Der Mitschnitt stammt Gerüchten vermutl. aus dem Privatarchiv der Mödl, ist jedenfalls erste einige J. nach ihrem Tod (2001) erstmals veröffentlicht worden....

    Egoismus in der Wolfshaut, Egoismus im Schaafpelz. Unvernünftige Klugheit, unkluge Vernunft. Energie ohne Grundsäze, Grundsäze ohne Energie. Strenge ohne Menschlichkeit, Menschlichkeit ohne Strenge. Heuchlerische Gefälligkeit, schaamlose Unverschämtheit, altkluge Jungen, läppische Männer. Man könnte die Litanei fortsezen von Sonnenaufgang bis Mitternacht und hätte kaum ein Tausendtheil des menschlichen Chaos genannt! (Hölderlin, Brief an J. G. Ebel, 10.01.1797)

  • Off topic: tolle Signatur von Hölderlin. Offensichtlich bin ich hier einer der wenigen, die die Signaturen sorgfältig lesen; immer mit Gewinn. Diese hier ist noch besser als meine!:untertauch:

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ich würde sagen, nicht das Christentum hat versagt, sondern das von Menschen geschaffene Denkmodell, was sich kirchliche Lehre nennt.


    Der religiöse Kerngehalt der christlichen Lehre beinhaltet lediglich zwei Grundaussagen:


    1. Es gibt einen lebendigen Gott, der sich dem Menschen in Liebe zugewandt hat

    2. Es gibt ein Reich Gottes.


    Meine Gedanken dazu:


    Da der Messias nicht zurückgekommen ist, hat Paulus die früheren Geschehnisse neu gedeutet, da der einsetzende Spott über die wartende Urchristenheit dies notwendig machte.


    Mit der Erhebung zur Staatsreligion und der späteren Einmischung in das politische Geschehen der Zeit wurde die Urbotschaft von unterschiedlichsten innerkirchlichen Machtinteressen verdrängt.


    Bei Wagner wird die Suche nach Gott zu einer privaten Angelegenheit des Einzelnen, es braucht keine Kirche.


    Ob man im Heiligen Gral das persönliche Gotteserlebnis sehen kann und darf, bleibt offen.

  • Du hast noch einen Punkt vergessen:


    3. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.


    Allerdings war zu Wagners Zeiten das Christentum längst "Staatsreligion", und der durchschnittliche Christ war auch nicht netter zu seinen Mitmenschen als ein Nichtchrist. Und es gab die flächendeckende Einstellung: Möglichst viel Beten und in die Kirche gehen. Was die Welt logischerweise nicht besser gemacht hat.


    Es war also durchaus naheliegend, der Idee "Erlösung durch Mitleid" die Verkrustung des real existierenden Christentums gegenüberzustellen. Und da brauchst du nun mal alte Männer. Die dürfen sogar "keusch" sein. Das Christentum sollte ja nicht als "dekadent" verunglimpft werden, sondern nur als ungeeignet, die Welt zu erlösen. Nach fast 2000 Jahren vergeblichen Bemühens recht nachvollziehbar...

  • Zitat

    Möglichst viel Beten und in die Kirche gehen. Was die Welt logischerweise nicht besser gemacht hat.

    Das öffentlich zur Schau gestellte - oft wortreiche - Gebet kann durchaus heuchlerisch sein.


    Auch dem Ritualgebet kann ich nicht viel abgewinnen.


    Das stille, freie Gebet des Einzelnen ist allerdings Kernbestandteil des gelebten Glaubens.

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  • Auf die Probleme religiöser Menschen kann ich als Außenstehender nur milde lächeln und meinen Eltern dafür danken, nicht so erzogen worden zu sein.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Das stille, freie Gebet des Einzelnen ist allerdings Kernbestandteil des gelebten Glaubens.

    Hat Jesus übrigens so ähnlich gesagt.


    Ich, als Nicht-Christ, interpretiere das Gebet als "Kommunikation mit Gott". Du betest also nicht, um irgendwelche Fleißpunkte zu bekommen. Sondern um mit deinem Gott zu kommunizieren. Der hat nämlich ziemlich viel Ahnung.


    Atheistisch ausgedrückt: Man sollte sein Leben regelmäßig auf den Prüfstand stellen, also von neutraler Seite (hier: Gott) begutachten lassen. Diese "neutrale Seite" ist jederzeit ansprechbar und hilft dir auch, Dinge zu verarbeiten, die sich in der real existierenden Welt leider nicht verhindern lassen (Krankheit, Tod, etc.). Andere Religionen nennen das "Meditation". Atheisten nennen das "Nachdenken", "Insichgehen". Falls es Gott gibt, wird er diese genauso unterstützen. Der ist da vöiig schmerzfrei.


    Aber: Die Konsequenzen nach dem vielen Beten oder Nachdenken muss der Mensch dann schon selber ziehen. Für das Handeln ist der Mensch zuständig. Und da haben unsere Ritter beim "Parsifal" leider nur mäßige Erfolge erzielt...

  • Gott kann man ja nicht besitzen oder für sich in Beschlag nehmen, es geht allein um die existenzielle Erfahrung, ob er da ist.


    Gut beschrieben hat das Hape in seinem Buch über den Jakobsweg:


    Zitat

    Es war am 3. Juli auf der Etappe von León nach Astorga. Hape schreibt: „Das was ich gestern erleben durfte, kann ich weder erzählen noch aufschreiben. Es bleibt unsagbar. (...) Ich habe Gott getroffen !“

    Nein, das ist nicht der billige Gag eines Komödianten. Kerkeling war aufgebrochen, um sich selbst zu finden. „Wer bist du ?“, hatte er sich gefragt. Nun glaubt er es zu wissen. „Eigentlich ist mein Camino hier beendet, denn meine Frage ist eindeutig beantwortet. Aber jetzt kann der Weg mir (...) nur noch Freude bereiten.“

    Natürlich möchte man als Leser erfahren, wie das ist, Gott zu begegnen. Aber Hape Kerkeling behält das für sich. „Yo y Tú“ – „Ich und Du“.

    Diese Worte hatte er am Morgen des Tages auf der Mauer einer Dorfschule entdeckt, von Kinderhand mit Kreide gemalt. „Yo y Tú“ – das ist für Kerkeling der Schlüssel seiner Gotteserfahrung. „Was passiert ist, betrifft nur mich und ihn. Die Verbindung zwischen ihm und mir ist nämlich etwas Eigenständiges“.

    Ereignen aber, so erzählt der Pilger, konnte sich diese Begegnung mit Gott nur in Stille und Gelassenheit. Kerkeling fühlte sich leer. Er schreibt: „Total gelassene Leere ist der Zustand, der ein Vakuum entstehen lässt, das Gott dann entspannt ausfüllen kann. Also Achtung: Wer sich leer fühlt, hat eine einmalige Chance im Leben.“

  • Atheismus, gibt es das? Man kann sicher den Begriff "Gott" und die menschgemachte Vorstellung davon ablehnen. Da wäre ich dann allerdings wieder bei der politischen Ordnungsfunktion von Religion. Irgendeine Erfahrung, die über das Menschdenkbare hinausgeht, wie eben jene, die Hape oben schildert hat wohl jeder schon einmal gemacht. Oder jener von Blaise Pascal aus dem Jahre 1654, die er zwar aufschrieb, aber stets für sich behielt und immer die die Tasche seine Rockes einnähte:


    „Jahr der Gnade 1654
    Montag, den 23. November, Tag des heiligen Klemens Papst und Märtyrer, und anderer im Martyrologium.
    Vorabend des Tages des heiligen Chrysogonos, Märtyrer, und anderer.
    Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht Feuer
    Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten.
    Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Der Gott Jesu Christi.
    Deum meum et Deum vestrum.
    Dein Gott ist mein Gott.
    Vergessen der Welt und aller, nur Gottes nicht.
    Er ist allein auf den Wegen zu finden, die das Evangelium lehrt.
    Größe der menschlichen Seele Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich.
    Freude, Freude, Freude, Freudentränen.
    Ich habe mich von ihm getrennt.
    Dereliquerunt me fontem aquae vivae.
    Mein Gott, wirst du mich verlassen?
    Möge ich nicht auf ewig von ihm getrennt sein.
    Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.
    Jesus Christus!
    Jesus Christus!
    Ich habe mich von ihm getrennt, ich habe mich ihm entzogen, habe ihn geleugnet und gekreuzigt.
    Möge ich niemals von ihm getrennt sein.
    Er ist allein auf den Wegen zu bewahren, die im Evangelium gelehrt werden.
    Vollkommene Unterwerfung unter Jesus Christus und meinen geistlichen Führer.
    Ewige Freude für einen Tag der Mühe auf Erden.
    Non obliviscar sermones tuos. Amen.


    Eine ähnliche Nahtoderfahung ist das Kernstück der Erzählung "Nachtflug" von Eric Emanuel Schmitt.


    "Durch Mitleid wissend der reine Tor, harre sein, den ich erkor". Das steht Parsifal schon im Namen geschrieben, den Wagner wilderte dafür im Persischen: "Parsi-Fal", der reine Tor. Diese Arabesquen war zur Zeit Wagners nicht ungewöhnlich, der Dichter Friedrich Rückert etwa sprach fließend persisch und übersetzte den "Koran" (womit er leider nicht fertig wurde), sowie Hadithe und sonst einiges Persisches. Wolframs Held jedenfalls hieß "Parceval", oder, noch früher bei Chretien de Troyes "Perceval". Sollte Wagner -was ich ihm eher nicht zutraue- die Idee einer übernatürlichen Geborgenheits- und daraus resultierenden Mitleiderfahrung vorgeschwebt haben? Ich gestehe, dass ich mich so noch nicht in den "Parsifal" vertieft habe, angesichts der musikalischen Mystik des Beginns (ich bleibe dabei: das Bayreuth-Erlebnis bei geschlossenem Orchesterdeckel ist ein ganz anderes die Wiedergabe einer Platte oder meinetwegen auch CD).


    Da der Thread "Bayreuth 2023 - Parsifal" heißt, sollte es hier wohl hauptsächlich um die Inszenierung gehen. Die davon abweichenden Beiträge ab LaRoches Frage, was uns der Dichter denn sagen wolle, werde ich in den eigentlichen Thread zum "Parsifal" verschieben.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    PS: Da ich, wie ich bereits schrieb, mich mit mittelalterlicher Epik nicht auskenne, habe ich die Anmerkung zu Wolframs Epos nachgeschlagen. Der (für mich glaubhafte) Verweis auf das Persische entstammt einem Beirag des Berliner Tagesspiegel. Blaise Pascal ist mir untergekommen im Rahmen meiner Lektüre des genannten Buches von Eric Emmanuel Schmitt; in der Ausgabe seiner "Pensees" ist der kleine Text ärgelicherweise nicht eingeflossen (jedenfalls nicht in meine Ausgabe), deswegen musste ich mich für das Zitat der Wikipedia bedienen, ärgerlich genug.

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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