Puccini - Kitschfabrikant oder verkanntes Genie?

  • Lieber Edwin,
    ich weiß ja schon, daß Du immer einen Ausweg findest, wenn es um Deine Lieblinge geht. Was bei Verdi oder Puccini Kitsch ist, würdest Du bei Wagner als hehr oder erhaben bezeichnen. Nach meinem Empfinden wird z.B.im Tristan ganz schön auf die Tränendrüsen gedrückt. Wie ich mal gelesen habe, sollen sich ja nach den ersten Aufführungen viele Töchter aus gutem Hause gar umgebracht haben. Das sind echte Gefühle.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.


  • Leider habe ich gerade viel zu wenig Zeit, um mich wirklich ausführlich in diese hochinteressante und komplexe Diskussion zu mischen.


    Deshalb nur drei kurze Bemerkungen:


    1. Wenn man die Differenz von »echten« und »falschen« bzw. »authentischen« und »vorgetäuschten« Gefühlen zum Kriterium einer Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch macht, kommt das Barock IMO überhaupt nicht in den Verdacht des Kitsches, da es dort diese Differenz schlicht gar nicht gibt. Die barocke Ästhetik folgt der Affektenlehre, dem Gesetz von Rhetorik und Affekt, gewissermaßen also einer Grammatologie der Affekte (und nicht der Gefühle). Die Frage von »echten« und »falschen« Gefühlen stellt sich schlicht nicht, weil jeder Affekt einem grammatologischen Gesetz folgt. Die Barocke Logik wäre eher: jedes Gefühl ist vorgetäuscht und deshalb echt. Für uns vielleicht Paradox - aber wir sind halt echt weit weg von der Vormoderne.


    2. Wenn überhaupt könnte dieses »Gefühlskriterium« zur Unterscheidung von Kunst und Kitsch folglich ausschließlich für die Ästhetik der Moderne nutzbar gemacht werden. Allerdings bin ich mir nicht sicher inweifern dieses Kriterium objektivierbar und damit tatsächlich auch operationalisierbar ist.
    Peter hat ja schlicht recht: Die »Gefühle« stehen nicht in der Partitur, sondern entstehen erst in der Performanz. So gesehen kann der Interpret jedes Werk verkitschen, indem er es emotional überlädt. »Kitsch« ist das Werk selbst dadurch aber noch lange nicht sondern nur seine konkrete situationale Präsentation. Inwiefern ist dieses »Gefühlskriterium« zu Differenzierung von Kunst und Kitsch dann aber überhaupt zuträglich?


    3. Derowegen sollte man vielleicht eher an Vilem Flussers informationstheoretisch argumentierende Definition von »Kitsch« denken, in der Kitsch gerade als Moment ästhetischer Desinformation gefaßt wird - »Kunst« als Moment ästhetischer Information. »Kitsch« (aber auch »Kunst«) ist damit eben nicht eine zeitlose Eigenschaft von etwas, sondern je ein Zustand im Kontext von historisch und sozial bedingter ästhetischer Kommunikation.


    Soviel zunächst!
    Herzlichst,
    Medard

  • Lieber Edwin,


    zunächst möchte ich meiner Verwunderung und meiner Freude Ausdruck geben: Du kennst (und ihn kennen, heißt ihn lieben!) Hans Henny Jahnn? Ich habe mit 18 seinen Perrudja gelesen, verschlungen und wieder gelesen - und seither hat er mich begleitet. Da können wir uns in aller Ruhe in einer stillen Ecke über den Komponisten Gustav Anias Horn unterhalten, mal bei Gelegenheit.


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Weber meiner Meinung nach nicht. Es besteht für mich ein Unterschied zwischen Naturschilderung, wobei der Natur ein Kontext des Unheimlichen beigemischt wird, und dem absichtsvollen Darstellen einer Gefühlsregung.


    Nun, ich dachte nicht nur an den Komponisten von "Leise, leise", auch in der Euryanthe und im Oberon gibt es rührende Stellen, die auch so gemeint sind. Auch in seinen leider zu wenig bekannten geistlichen Werken findet man Momente dieser Art. Webers Kommentar zu seiner Messe Es-Dur: ""Wenn ihr meine Meße hört, so gedenkt meiner in Liebe, denn sie kam ganz aus meinem Herzen, und ist des Besten, was ich geben kann. Könnte mancherley drüber sagen, bin aber zu faul, hört sie." (8.7.1818 )


    -------------------------


    Zitat

    Zitate Herbert
    Es ist doch selbstverständlich, daß ein Komponist, oder ein Dichter, oder ein Schriftsteller überlegen muß, wie er bestimmte Emotionen beim Poblikum erreichen kann, wie er bestimmte Effekte einsetzt,etc.


    Nein. Es ist nur bei Groschenromanschreibern so. Wenn ein Groschenromanschreiber den Chirurgen Doktor Herbert Hofstädter in Liebe zur Krankenschwester Anni Traxel entbrennen läßt, diese bei einem tragischen Autounfall nebst ihrem Kind aber auch alle vier Gliedmaßen verliert, der Doktor sie aber am Ende doch heiratet und sie Flitterwochen auf der Alm verbringen, wo die Sennerin Resli in Doktor Hofstädter zufällig ihren Bruder erkennt, dann ist das natürlich mit voller Absicht so auf eine Klischee-Gefühlswelt zugeschrieben. Es ist somit Kitsch.
    Wenn Autoren wie Dostojewskij, Thomas Mann oder Hanns Henny Jahnn ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen, und diese Gesetzmäßigkeiten beim Leser eine Emotion hervorrufen, ist es jedoch kein Kitsch, weil nicht die Emotion des Lesers in der Absicht des Autors lag, sondern die Mitteilung einer vom Autor empfundenen Wahrheit.[/quote]


    Ich kann Dir da leider nicht ganz folgen. Die Wirkung beim Leser ist keineswegs eine nebensächliche Überlegung beim Verfassen eines Kunstwerks, ob es nun ein literarisches oder ein musikalisches ist. Groschenromane sind ohnedies noch eine ganz eigene Spezies. Immerhin kann man auch von ihnen ausgehen: Personen werden typisiert, nicht charakterisiert, es sind immer dieselben Typen, nur in unterschiedlicher Ausstattung, Entwicklungen sind voraussehbar, Spannung wird nur auf der Handlungsebene erreicht durch das Wecken von Wünschen bei den Lesern und das Einbauen aller Komplikationen bis das Erwünschte erreicht ist. Sprache spielt nur eine Rolle beim Transport der Handlung, über Sprache vorgenommene Charakterisierungen sind stereotyp. Sobald aber etwa die Sprache "stimmt", können sogar mit simplen Mittel Kunstwerke geschrieben werden, wie etwa die Romane von Dumas, Balzac oder Scott. Am Ende ist es immer das Wie, nicht das Was ;)


    Dass Autoren Wahrheiten mitteilen wollen, ist Ausdruck einer bestimmten Ästhetik, der ich zwar nahe stehe, aber die ich doch nicht ganz teile. Als Autor interessieren mich Wörter, nicht Wahrheiten. Dass diese Wörter am Ende Wahrheiten transportieren, ergibt sich, wenn ich wahrhaftig mit den Wörtern umgehe. Je mehr ich mit ihnen experimentiere, umso unerbittlicher lassen sie Unwahrhaftigkeiten erkennen. Ich denke, das geht einem Komponisten ähnlich.


    Mein Kriterium ist, ob Werke gelingen, gelingen sie nicht, ergibt sich (vielleicht) Kitsch (das wäre Adornos Position hinsichtlich Tschaikowskys Fünfter). Puccini, denke ich, sind die Werke gelungen.


    Viele Grüße :hello:


    Peter

  • Hallo Herbert,
    Du verstehst mich falsch: Wenn ein Künstler nach seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten und Normen etwas schafft, das vom Rezipienten übersteigert emotional aufgenommen wird, ist das keineswegs Kitsch. Nur, wenn beim Künstler die Absicht besteht, beim Rezipienten eine bestimmte emotionale Reaktion auszulösen, ist es Kitsch. Fairy Queen versteht mich ganz genau, wenn sie das "Manipulation der Gefühle des Rezipienten" nennt.
    Der Alpenland-Familienroman ist also Kitsch, Thomas Manns "Buddenrooks" hingegen nicht.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Liebestraum
    dann müsste nach deiner Definition Siegfrieds Tod mit anschließendem Trauermarsch in Wagners "Götterdämmerung" ja auch Kitsch sein.


    Wagner drückt ja schon mit Siegfrieds Abgesang bewusst mächtig auf die Tränendrüse und der Trauermarsch ist eine bewusste kitschig-pompöse Unterstreichung dieser ganzen Szenerie.


    Ich wusste gar nicht, dass man das auch so seltsam interpretieren kann...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Carl
    Victoria de los Angeles war wohl sehr beliebt
    Greets, Carl


    Ist sie immer noch. Ihre Mimi mit Jussi Björling als Rodolfo sind bei mir noch eine Etage höher als Freni/Pavarotti angesiedelt, die als die Bohème-Aufnahme schlechthin gilt.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Nur, wenn beim Künstler die Absicht besteht, beim Rezipienten eine bestimmte emotionale Reaktion auszulösen, ist es Kitsch.


    Hallo Edwin,
    dadurch dass Du das dauernd wiederholst wird es nicht überzeugender. Außerdem unterstellst Du den Komponisten nach persönlichem Belieben, Gefühle erzeugen zu wollen oder nicht - oder gibt es da Briefstellen, die belegen, dass Puccini sich mehr Gedanken machte, wie er jemanden zum Weinen bringe, als Bernd Alois Zimmermann, Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart oder Luigi Nono.
    :hello:

  • So schwer, es mir fällt:


    Ich hatte bei Puccini häufig dasselbe Empfinden wie Edwin - Uh, das stößt mir aber bitter auf. ;)


    Mit Ausnahme der Bohème konnte ich mich nie des Eindrucks erwehren, dass Puccini genau wusste, wie er die Gefühlsklaviatur seines Publikums antippen musste, um diese in Schwingung zu bringen. Ich habe mich häufig von seiner Musik manipuliert gefühlt. Die entstehenden Gefühle hinterlassen bei mir manchmal einen etwas unangenehmen Nachgeschmack. Ich fühle mich dann so benutzt. Alles ist so ausgeklügelt, dass man - wie bei einem Hollywoodschinken - genaue Hinweise erhält: "Jetzt gilt's die Taschentücher zu zücken. Die Geigen wimmern."


    Dass es funktioniert - anders als bei vielen neueren Hollywoodmelodramen - beweist natürlich auch die Meisterschaft Puccinis. Und ein wenig schaler Nachgeschmack ist so schlimm auch nicht. Ein Spielplan ohne Puccini wäre für mich jedenfalls nicht denkbar.


    LG,


    Knuspi


  • Veto! Die ergreifendste Szene im Musiktheater schlechthin!

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Hallo Peter,

    Zitat

    Sprache spielt nur eine Rolle beim Transport der Handlung, über Sprache vorgenommene Charakterisierungen sind stereotyp. Sobald aber etwa die Sprache "stimmt", können sogar mit simplen Mittel Kunstwerke geschrieben werden, wie etwa die Romane von Dumas, Balzac oder Scott.


    Wir bewegen uns jetzt ein wenig weit weg von unserem Sado-Kitschier, aber die Annäherung kommt sicher wieder.


    Ich gebe Dir in vollem Umfang recht: Sobald die Sprache stimmt. Die Sprache also ist es, die eine alltägliche oder banale Handlung aus dem Kitsch in den Bereich von Kunst führt. Wäre also die von mir überspitzt improvisierte Arztroman-Handlung von einem Thomas Mann behandelt worden, dann wäre daraus Kunst geworden, und zwar durch die Sprache von Thomas Mann, die nicht auf die emotionale Manipulation der Gefühlswelt des Rezipienten zielt, sondern ihrer eigenen poetischen Gesetzmäßigkeit folgt. Mann zielt ja nicht darauf ab, den Leser zu Tränen zu rühren, sondern auf die Darstellung einer Geschichte mit adäquaten sprachlichen Mitteln.


    Ich spreche aber bei Kitsch von den Autoren, die sich einer mit Gefühlsschablonen durchsetzten Sprache bedienen, die, eben durch die vorgegebenen Schablonen, das Gefühl im Rezipienten wachrufen soll. Wenn also in einem Roman etwa steht Almut seufzte tief. Robert blickte ihr geradewegs in ihre meerblauen Augen. "Ich liebe Dich", seufzte Robert. Da jubelte es aus Almas Herz: Ach Robert, endlich sagst Du es. Ja, auch ich liebe Dich. Robert umarmte Almut und küßte sie sanft auf ihre bebenden Lippen. Über den Bergen leuchtete die Sonne heller als je zuvor. , so ist das Kitsch pur, weil es lediglich eine Ansammlung von Klischees ist, die ein klischiertes Gefühl erwecken soll. Wenn man dagegen eine Liebesszene bei Jahnn stellt, so folgt diese Szene wohl einem erwarteten Handlungsablauf (weil Liebesszenen nun einmal so sind), dieser aber wird durch die Sprache gleichsam in ein neues Licht gestellt. Dadurch ist Jahnns Liebesszene Kunst (unabhängig davon, ob der eine oder andere Leser davon emotional berührt ist), meine obige hingegen ist und bleibt Kitsch.


    :hello:

    ...

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Hallo Edwin,
    dadurch dass Du das dauernd wiederholst wird es nicht überzeugender. Außerdem unterstellst Du den Komponisten nach persönlichem Belieben, Gefühle erzeugen zu wollen oder nicht - oder gibt es da Briefstellen, die belegen, dass Puccini sich mehr Gedanken machte, wie er jemanden zum Weinen bringe, als Bernd Alois Zimmermann, Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart oder Luigi Nono.
    :hello:


    Hallo KSM,
    leider muß ich wiederholen, denn wenn ich nicht unterstelle, daß man mich falsch verstehen will, muß ich zum Schluß kommen, daß ich mich unklar ausgedrückt habe.
    Ich nehme aber gerne zur Kenntnis, daß Du dem Tod der Liu und Nonos "Como una ola de fuerza y luz" gleiche Aufrichtigkeit der Emotionalität zubilligst. Zwar nicht meine Meinung, aber ich will Dir Deine Überzeugung nicht streitig machen. :D


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Hallo KSM,
    da missverstehst Du vielleicht, was Autonomie in der ästhetischen Diskussion bedeutet. Sie hat weder mit der Größe des Kunstwerkes zu tun, noch damit, dass es auch Teil eines anderen Kunstwerkes sein kann, auch nicht, dass es gegen Entgeld oder im Auftrag oder nach gewissen Vorgaben angefertigt wird. All das berührt die innere Freiheit des Künstlers beim Schaffen eines Kunstwerks nicht. Wird aber ein Kunstprodukt hergestellt allein unter dem Gesichtspunkt der Verkäuflichkeit oder des Verwertungsinteresses, ist das eine ganz andere Sache.


    Stimmt, ich habe Autonomie als Unabhängigkeit versucht, irgendwie zu fassen - unabhängig vom materiellen Aspekt.
    :D
    Kunsthandwerk wurde natürlich nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Verkäuflichkeit und des Verwertungsinteresses hergestellt. Damit wir von denselben Dingen sprechen: z.B. Wiener Werkstätten-Entwürfe von Josef Hoffmann, arts-and-crafts-Tapeten von William Morris.


    Andererseits handelten die Niederländer im 17. Jahrhundert mit ihren Ölbildern ebenso wie mit ihren Tulpen und Jan van Goyen, einer der größten Landschaftsmaler seiner Zeit, handelte meines Wissens mit Bildern und Tulpen.
    :D

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Hallo KSM,
    leider muß ich wiederholen, denn wenn ich nicht unterstelle, daß man mich falsch verstehen will, muß ich zum Schluß kommen, daß ich mich unklar ausgedrückt habe.
    Ich nehme aber gerne zur Kenntnis, daß Du dem Tod der Liu und Nonos "Como una ola de fuerza y luz" gleiche Aufrichtigkeit der Emotionalität zubilligst. Zwar nicht meine Meinung, aber ich will Dir Deine Überzeugung nicht streitig machen. :D


    :hello:


    "Gezieltes Hervorrufen von Gefühlen" und "Mangel an Aufrichtigkeit der Emotionalität" hätte ich mal nicht als synonym angenommen.


    Was letzteres sein soll, ist mir aber nicht ganz klar. Es müßte heißen: Ich darf nur ein trauriges Stück schreiben, wenn ich gerade traurig bin. Daran hat sich aber niemand gehalten.


    Ich weiß, dass ich Dich im letzten Absatz absichtlich mißverstanden habe. Aber "Aufrichtigkeit der Emotionalität" riecht mir nach inhaltsloser Worthülse.:stumm:

    (dieses Wikipedia Kitsch-Beispiel wär doch ein tolles Avatarbildchen)

  • Vor allem glaube icht nicht, daß man den Schöpfer von Gianni Schicchi, oder Turandot mit einem Groschenromanautor vergleichen sollte. Außerdem, wenn man auch einmal an die Interpreten denkt, glaube ich, daß fast jede dramatische Sopranistin lieber eine Tosca singt, als die Marie im Wozzeck, oder eine der namenlosen Damen bei Nono. Puccini hat viele seiner Operngestalten wie Verdi auch, für bestimmte Sängerinnen und Sänger geschrieben. Die Frauenrollen hat er meistens bevorzugt behandelt, und viele der bedeutensten Sopranistinnen hatten ihre größten Erfolge oft ihren Puccinirollen zu verdanken (E.Destinn, M.Jeritza, M.Cebotari, M.Callas, R.Tebaldi, u.v.a.).
    Für Opernkomponisten und für Operninterpreten kommt es ja auch ein wenig auf den Erfolg an.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ich bin leicht verwirrt - sprecht Ihr nun von Puccini's Musik? oder von der Sprache = Libretti? Puccini hat kein einziges seiner Libretti selbst geschrieben, sie basieren auf literarischen Vorlagen. Wird ihm nun vorgeworfen, daß er kitschige Musik geschrieben hat? oder daß er sich kitschige Themen ausgesucht hat?


    ?(


    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    So schwer, es mir fällt:
    Ich hatte bei Puccini häufig dasselbe Empfinden wie Edwin - Uh, das stößt mir aber bitter auf. ;)
    Ich fühle mich dann so benutzt. Alles ist so ausgeklügelt, dass man - wie bei einem Hollywoodschinken - genaue Hinweise erhält: "Jetzt gilt's die Taschentücher zu zücken. Die Geigen wimmern."
    LG,
    Knuspi


    Hallo Knuspi,
    ich hatte dich bisher für sensibler gehalten. Woher kommt deine Verrohung?

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Die wohlanständige Bürgerlichkeit dieses Forums, das genau zwischen "hoher" und "niederer" Kunst unterscheiden zu können glaubt, überrascht mich immer wieder... :D


    Es sei deshalb auch darauf hingewiesen, dass in den letzten 40-50 Jahren in Praxis und Theorie eine Neubewertung von "Trivialkunst" und "Kitsch" und eine Vermischung "trivialer" und "hoher" Kunstformen stattgefunden hat.


    Was Puccini betrifft: Da gibt's doch eine schöne Passage in Heinrich Manns "Ein Zeitalter wird besichtigt", in der er Melodien aus "La Bohème" auf dem Leierkasten gespielt hört und darin die "Signatur einer Epoche" (oder so ähnlich) erkennt... das passt nicht schlecht zum Thema: gerade durch die zusätzliche Trivialisierung wird der "Zeitkern" enthüllt.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Die wohlanständige Bürgerlichkeit dieses Forums, das genau zwischen "hoher" und "niederer" Kunst unterscheiden zu können glaubt, überrascht mich immer wieder... :D
    Es sei deshalb auch darauf hingewiesen, dass in den letzten 40-50 Jahren in Praxis und Theorie eine Neubewertung von "Trivialkunst" und "Kitsch" und eine Vermischung "trivialer" und "hoher" Kunstformen stattgefunden hat.


    Hallo Bernd,
    recht hast Du - und deshalb habe ich weiter oben auch auf eine informationstheoretisch programmierte Unterscheidung von »Kunst« und »Kitsch« hingewiesen, die nicht essenzialistisch und statisch hierarchisierend verfährt, sondern die Differenz Kunst/Kitsch als dynamische Variable in Prozessen ästhetischer Kommunikation versteht.



    Zitat

    Original von Zwielicht
    Was Puccini betrifft: Da gibt's doch eine schöne Passage in Heinrich Manns "Ein Zeitalter wird besichtigt", in der er Melodien aus "La Bohème" auf dem Leierkasten gespielt hört und darin die "Signatur einer Epoche" (oder so ähnlich) erkennt... das passt nicht schlecht zum Thema: gerade durch die zusätzliche Trivialisierung wird der "Zeitkern" enthüllt.


    Viele Grüße


    Bernd


    Schönes Beispiel, das genau zeigt, daß einiges für den oben angesprochenen Zugriff Flussers spricht...


    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Austria
    Ich bin leicht verwirrt - sprecht Ihr nun von Puccini's Musik? oder von der Sprache = Libretti? Puccini hat kein einziges seiner Libretti selbst geschrieben, sie basieren auf literarischen Vorlagen. Wird ihm nun vorgeworfen, daß er kitschige Musik geschrieben hat? oder daß er sich kitschige Themen ausgesucht hat?


    ?(


    Austria


    Das ist nicht ganz richtig. Die Stoffe basieren auf literarischen Vorlagen. Puccini hat jedoch ganz arg bei seinen Libretti mitgemischt und z.B. Illica und Giacosa ein ums andere Mal fast in den Wahnsinn getrieben. Bei Manon Lescaut haben neben Puccini selbst soviele mitgemischt u.a. Leoncavallo, dass am Ende kein Autor des Libretto genannt wird.


    LG,
    calaf

    Without deviation from the norm, progress is not possible.
    (Frank Zappa)

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Hallo Bernd,
    recht hast Du - und deshalb habe ich weiter oben auch auf eine informationstheoretisch programmierte Unterscheidung von »Kunst« und »Kitsch« hingewiesen, die nicht essenzialistisch und statisch hierarchisierend verfährt, sondern die Differenz Kunst/Kitsch als dynamische Variable in Prozessen ästhetischer Kommunikation versteht.


    z.B. dieses hier:

    War mal Kunst, dann Kitsch, jetzt weiß es keiner mehr, was es ist ...

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo KSM,
    auf die Gefahr hin, mir noch einen Verweis wegen einer Wiederholung einzuhandeln:

    Zitat

    Was letzteres sein soll, ist mir aber nicht ganz klar. Es müßte heißen: Ich darf nur ein trauriges Stück schreiben, wenn ich gerade traurig bin. Daran hat sich aber niemand gehalten.


    Es geht nicht um Synonyme, sondern um Zusammenhänge. Und vor allem (oh weh, ich wiederhole es schon wieder) geht es mir um die Absicht, beim Rezipienten eine bestimmte emotionale Reaktion hervorzurufen. Damit übersetzt der Künstler nicht seine eigene Gefühlswelt in die Kunst, sondern es steckt ein Kalkül dahinter. Eine kalkulierte Emotion ist aber nicht möglich, ergo ist die so zustande gekommene Emotion nur deren Vortäuschung, damit unecht und somit Kitsch.


    Oder - flapsig gesgt: Dein Gartenzwerg soll das Gefühl einer Niedlichkeit, Lieblichkeit etc. hervorrufen, ist ergo Kitsch.


    Übrigens: Ich weiß, daß ich subjektiv argumentiere, aber ich kapiere nicht, was bei meiner Argumentation die Verständnisschwierigkeit hervorruft.


    -------------------


    Zitat

    Zitat Austria,
    Ich bin leicht verwirrt - sprecht Ihr nun von Puccini's Musik?


    Ich versuche es - und zwar, indem ich erkläre, weshalb ich sie für Kitsch halte. Nämlich wegen ihrer berechnenden Wirkung auf den Zuhörer.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Damit übersetzt der Künstler nicht seine eigene Gefühlswelt in die Kunst, sondern es steckt ein Kalkül dahinter.


    Danke für die neue Formulierung.
    ;)
    Jetzt kann ich mal eine Weile sinnieren, ob ein Künstler seine Gefühlswelt in die Kunst umsetzt (so eine Denkweise ist mir in den letzten Jahren sowas von fremd geworden - trotz Rihm und Schubert).
    :hello:

  • Zitat

    Original von Klawirr


    Hallo Bernd,
    recht hast Du - und deshalb habe ich weiter oben auch auf eine informationstheoretisch programmierte Unterscheidung von »Kunst« und »Kitsch« hingewiesen, die nicht essenzialistisch und statisch hierarchisierend verfährt, sondern die Differenz Kunst/Kitsch als dynamische Variable in Prozessen ästhetischer Kommunikation versteht.


    ...was ich hiermit ausdrücklich unterstütze, lieber Medard. All die vergeblichen Versuche, "Kitsch" präzise (=statisch) zu definieren oder von "Kunst" abzugrenzen, zeigen doch nur, dass der Essenzialismus gerade die Probleme schafft, die er zu lösen vorgibt.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Edwin,


    ich glaube schon, dass Wagner aus berechnender Wirkung nach Siegfrieds Tod den Trauermarsch angefügt hat, der auf das Publikum nicht ohne Wirkun bleibt. Wirklich Sinn macht dieses Musikstük nicht. Da ist völlig unerhblich, wer am Pult des Orchesters steht. Denn der eigentlich tragischste Tod des "Rings" ist keinesfalls Siegfried, sondern der Siegmunds.


    Hallo Siegfried,


    ich meinte damit nicht, dass es mir nicht gefiele, Aber wenn Edwin hier bestimmte Komponisten mit ihrer Musik abwertet, dann muss man ihm mit von ihm gelobtem Opern-Repertoire auf die Sprünge helfen...



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Ich bin wahrscheinlich etwas schwer von Begriff.


    Also, wenn ein Komponist absichtlich etwas komponiert, was beim


    Zuhörer bestimmte Gefühle(z.B.Rührung) auslöst, ist das Kitsch.


    Wenn er etwas ohne Absicht komponiert, was bestimmte Gefühle


    auslöst,ist es Kunst.


    Ich hoffe,ich habe das nun endlich richtig verstanden. :D


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Lieber Edwin, wie du ja so nett festgestellt hast, fühlst du dich von mir immerhin in Deiner Argumentation verstanden. ;) Allerdingss stimme ich Deinem letzten Schluss des Ganzen nciht zu. :no:
    Etwas, das vom Künstler in seiner emotionalen Wirkung berechnet ist, muss nicht zwangsläufig KITSCH sein. Wenn der Künstler intelligent genug ist, umschifft er diese Klippe sogar sehr geschickt.. Z.B. mit ironischen Brechungen. Siehe Thomans Mann!!! Glaubst du, dieser eitle Herr sei sich etwa der Wirkung seiner Worte nciht jede Sekunde nur allzu bewusst gewesen und habe ncith "berechnend" auf der ganzen Klaviatur gespielt? Seien Tagebücher und Briefe zumindest beweisen das Gegenteil.
    Herausgekommen ist aber kein Kitsch sondern hohe Kunst.


    Ich glaube viel eher zu spüren, dass Du den Eindruck den die Authentizität des Gefühls in eienm Werk auf DICH subjektiv macht, mit der Authetizität des Künstlers-Gefühls im Moment seiner Schöpfung verwechselst.
    Für erstere hast Du sciher einen sehr guten Instinkt, zumindest kann ICH Deine Paradigmen da bestens miteimpfinden. Aber was letztere angeht, können doch nur biographisch-telepathische Argumente den Beweis liefern? ?(
    Kitsch ist nicht dasselbe wie raffinierte Vermarktung. Auch etwas, das kein Kitsch ist sondern eher wie Kunst daherkommt kann verlogen und berechnend und un-authentisch sein in Deienm Sinne. Viele Werke "zeitgenôssciher" Kunst , die sich hervoragend verkaufen, kommen nciht als Kitsch sondern im Gegeteil absichtlich elitär und "un-kitschig" daher um dem Betrachter ien Gefühl "echter Kunst" zu vermitteln. Die ihn nciht berührt, und frei von Kitschverdacht daher unangreifbar ist.-hehre Kunst eben...... :boese2:..............
    Man braucht wohl eine ganze Menge Instinkt, emotionale Intelligenz und siebten Sinn sprich: Empathie, um das wirklcih und ehrlcih schlagende Schöpfer-Herz in einem Werk herauszuspûren. Ich unterstelle erstmal weder Wagner noch Puccini, das sie das nciht hatten, auch wenn mir in manchen Passagen die Zweifel dann doch überhand nehmen...... :D
    Am einfachsten sind immer noch Künstler zu handeln, die von vorneherein auf Gegenkurs gegangen sind, wie etwa Brecht. Das sind dann die Bevorzugten der emotional ängstlichen Analytiker und Hyperintellektuellen, die sich nur ja keinem Kitschverdacht auszusetzen wagen Ich bin eher dafür, den Mut zur Grauzone zwischen Kitsch und Kunst zu haben..Aber das ist nun schon wieder ien anderes Thema.
    Fairy Queen :angel:


    .

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Damit übersetzt der Künstler nicht seine eigene Gefühlswelt in die Kunst, sondern es steckt ein Kalkül dahinter. Eine kalkulierte Emotion ist aber nicht möglich, ergo ist die so zustande gekommene Emotion nur deren Vortäuschung, damit unecht und somit Kitsch.


    Hallo Edwin,


    woher willst Du wissen, dass das bei Puccini der Fall ist? Hörst Du das der Musik an (ich höre es ganz anders) oder weißt Du das anhand der Entstehungsgeschichten seiner Opern?


    Ich finde es schwierig, bei musikalischen Dingen mit vermeintlichen Absichten der Interpreten bzw. Komponisten zu argumentieren die man nur vermuten kann, es sei denn, sie haben sich explizit geäußert.


    LG,
    calaf

    Without deviation from the norm, progress is not possible.
    (Frank Zappa)

  • Mal ein paar Beispiele:


    Da gibt es Komponisten, die sagen, den Hörer gehe ihre Gefühlswelt einen Dreck an, die Musik machen und dabei sorgfältig bedacht sind, ihre Gefühle nicht zu berücksichtigen. Ihre Werke sind von großer emotionaler Kraft: Kälte (Jakob Ullmann), Gewalt (Iannis Xenakis).


    Othmar Schoeck war während der Komposition seines düster-verhangenen Liederzyklus "Elegie" in der glücklichsten Phase seines Lebens.


    Offenbar hindert einen die eigene Gefühlswelt nicht daran, starke Werke in total anderer Gefühlswelt zu schaffen.
    :baby:

  • Puccini war - trotz einer großen Anhängerschaft - unter Musikern und Musikwissenschaftlern wohl nie unumstritten.


    Paul Dukas merkte nicht zu Unrecht an, daß die "Modernismen" eines Puccinis mehr oder weniger wahllos in das Werk einflössen ohne einer inneren Dramatik zu gehorchen. Es gebe immer wieder Stellen, Orchsterpassagen, die sich nicht ins aktuelle Bild fügen.


    In Goldbecks Buch "Die Musik des 20. Jhd. - Italien, Spanien, Frankreich - gibt es ein fiktives Zwiegespräch ziwschen Advocatus und Adversarius um Puccini - der Autor läßt den Ankläger letztendlich die besseren Argumente auffahren.


    Goldbeck lässt Puccinis Musick mit einer Art Leperello vergleichen. Oder wie eine Hotelvorhalle, in der einem per Wandbild ägyptische un d andere Denkmäler präsentiert werden. Und die Leute sitzen davor und staunen über die vermeintliche Schönheit. Es kommt also schon deutlich der Aspekt der "Unechtheit" ans Licht...



    :hello:
    Wulf


  • Edwin hat schon recht. Puccini hat mehrmals ganz genau gesagt, daß das einzige, worauf es ihm ankommt, der Effekt ist. Er wollte, daß "kein Auge trocken bleibt". Das hat er in vielen Briefen zu Adami, Simoni und Illica immer wieder unterstrichen. Puccinis Angriff auf die Tränendrüse war also durchaus berechnet.
    Ich finde das allerdings nicht kitschig, sondern meistens höchst raffiniert gemacht (ich rede jetzt von der Musik) und daher eben einzigartig und ganz und gar nicht einfach reproduzierbar. Letzteres ist, wenn es zutrifft, für mich eínes der essentiellen Kitsch-Merkmale. Puccini wurde da ein bißchen kitschig, wo er sich selbst kopiert hat und eigene Motive in Liedern wieder aufgewärmt hat.


    :hello:
    M.

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