Stockhausen - Gruppen

  • Karlheinz Stockhausen, der Name dieses Gottvaters der Neuen Musik wirkt auf viele Klassikhörer noch immer wie ein rotes Tuch. Wohl deshalb versah der Kurzstückmeister seinen „Alle sprechen über“-Vorschlag mit einem scheuen :untertauch:. Das Werk selbst gibt für diese Scheu keinen Anlass. Genau ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Stockhausen Gruppen komponierte („wie die Zeit vergeht!“, möchte man ausrufen). Das Musterbeispiel für serielle Orchesterpolyphonie ist Gruppen geworden, ein Erfolgsstück, eine Eintrittskarte in die Welt der Neuen Musik, ein Dauerhit, der noch immer auf den Festspielprogrammen steht, so Mirko Weber in seinem Beitrag „Ins Schwarze“ für „Die Zeit“ in der Reihe „Klassiker der Moderne“ (Nr. 65). Denn, ja, auch ein Klassiker der Moderne ist Gruppen inzwischen.


    Hört der unvorbereitete Hörer dieses Stück von CD wird er zunächst nur eine Vielzahl unzusammenhängender Geräusche und Klänge wahrnehmen. Nach den gut zwanzig Minuten, die das Stück dauert, wird sich ihm die Frage aufgedrängt haben: „Was soll das?“


    Diese Frage zu beantworten, ist nicht leicht, da die Antwort die Mitbeantwortung der Fragen „Wozu Neue Musik?“ und speziell „Wozu serielle Musik?“ verlangt. Ich selbst, der ich diesen Eröffnungsbeitrag an Kurzstückmeisters Stelle schreibe – er hat von seinem Losglück offenbar noch immer nicht erfahren –, bin zudem mit meinen bescheidenen Kenntnissen der Neuen Musik viel weniger als dieser in der Lage, angemessen in das Thema einzuführen. Dennoch von mir einige Worte (Vereinfachungen bitte ich mir nachzusehen, Fehler zu korrigieren):


    Wie viele andere sah Stockhausen nach dem zweiten Weltkrieg die Chance für einen Neuanfang. Er frohlockte, die Städte seien radiert, man könne von Grund auf neu anfangen, ohne Rücksicht auf Ruinen und geschmacklose Überreste. Er – natürlich auch andere – begann, das musikalische Material neu zu entdecken und zu organisieren. Die Komposition in Reihen war das Gebot der Stunde, wobei die Reihen auf alle möglichen Parameter bezogen wurden, u. a. auf die Dauern. Die Vierteilung der Töne nach Dauer, Lautstärke, Tonhöhe und Klangfarbe verwarf er als unzureichend. In seiner theoretischen Schrift „…wie die Zeit vergeht…“ aus dem Jahre 1957, ein Jahr also vor Gruppen entstanden, legte er u. a. die Wichtigkeit des Verständnisses von Tönen als Schwingungen dar, woraus sich ergibt, dass Tonhöhe und Rhythmus dasselbe seien. Es sei nur eine Frage der Schnelligkeit der Schwingungen. Beispielhaft erläutert wird diese Erkenntnis gern mithilfe eines fallen gelassenen Tischtennisballes. Zunächst werden die verschiedenen Aufpralle getrennt voneinander und somit als Rhythmus wahrgenommen. Irgendwann aber wird die Dauer zwischen den Aufprallen so kurz, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen und dann nicht mehr einen Rhythmus, sondern einen Ton in bestimmter Tonhöhe hören. Stockhausen, der seit 1953 ständiger Mitarbeiter des Studios für Elektronische Musik des WDR Kölns war, hat sich mithilfe der Elektronik intensiv mit der Dekomposition von Klängen befasst. Die Zergliederung von Tönen in seinen Schwingungsbestandteile, das Hinausschicken dieser Bestandteile in den Klangraum, die Beeinflussung bzw. Erkundung dieser Klänge durch die Veränderung der Schwingungsschnelligkeit, das Umschlagen von Tönen in Geräusche, die musikalische Organisation der relevanten Parameter in Reihen, all das beschäftigte Stockhausen damals maßgeblich.


    Die Organisation der relevanten Parameter in Reihen hatte Stockhausen zuletzt auf einzelne Töne bezogen – punktueller Serialismus: jedem Ton wurde eine bestimmte Dauer, Lautstärke, Anschlagsart usw. zugewiesen. In Gruppen bezog er die Reihen nunmehr auf größere Einheiten, wurden die Strukturprinzipien auf Gruppen von Tönen angewandt. Insbesondere legte Stockhausen nun in Anknüpfung an seinen oben genannten theoretischen Aufsatz praktisch dar, wie sich Tondauern systematisieren lassen. So überträgt er z. B. eine herkömmliche Zwölftonreihe auf Tonlängen drückt diese wiederum als Temporelationen aus, so dass Rhythmus und sogar das Tempo selbst zu Ordnungsgrößen werden.


    Wesentlich für Gruppen ist zudem die Räumlichkeit des Klanges. Später noch viel intensiver hat Stockhause mit Raummusik experimentiert. In Gruppen findet Raummusik bereits insofern statt, dass die Musik von drei Orchestern gespielt wird, die hufeisenförmig um den Hörer angeordnet sind, d. h. sich links, vorn und rechts befinden. Zwischen den Orchestern, die jeweils von einem Dirigenten dirigiert werden, huschen die Klänge auf vielfältige Weise hin und her.


    Die Orchester bestehen aus insgesamt 109 Musikern, die einzelnen Orchester sind wiederum in einzelne Musikergruppen unterteilt. Diverse Klangerzeugungsmittel werden benutzt.

    Somit steht fest: Der volle Genuss des Werkes ist nur live möglich. Die CD gibt die Musik nur sehr begrenzt, den Raumeindruck, die überwältigende Erfahrung eines allumfassenden Klangraums nicht wieder.


    Gleichwohl ist das Hören von Gruppen auch nur von CD sehr lohnenswert. Persönlich kannte ich Gruppen nur aus einer gelungenen TV-Dokumentation einer Aufführung von Rattle u. a. mit seinem alten Sinfonieorchester Birmingham. Seit vorgestern besitze ich die Abbado-CD. Mehrfach habe ich das Werk seither gehört, mit Lautsprechern zu Hause im Sessel, mit Kopfhörern und ausgeschalteten Licht nachts zu Hause im Sessel, mit dem MP3-Player in der U-Bahn – und das Stück als immer interessanter werdend erlebt. Der sich einem öffnende Klangkosmos kann großartig wirken, wenn man sich denn einlässt und den Klängen wirklich lauscht. Noch nicht hinreichend geklärt ist für mich die Frage, ob die Zusammenfassung der zu hörenden Klangereignisse in ein Werk Sinn macht. Anders formuliert: könnte das Werk auch noch zehn Minuten länger oder auch kürzer dauern und würde sich etwas ändern?


    Erwähnt werden sollte, dass Stockhausen sein Musik nicht als Kopfmusik, als theoretisches Konstrukt verstand, sondern als mystisches Erlebnis, als ganzkörperliche Bewusstseinserweiterung, als Flugschiff zum Göttlichen


    Soweit von mir zur Einführung.


    Zur Vertiefung weise ich auf folgende Links hin, insbesondere der erstgenannte Link stellt das musiktheoretische Konzept von Gruppen sehr viel fundierter dar, als ich es vermochte:


    Hans Peter Reutter: Gruppen für drei Orchester
    Stockhausen über die Vier Kriterien der Elektronischen Musik
    Die Zeit - Gruppen als Klassiker der Moderne


    Gespannt auf weitere Erfahrungen, Meinungen und Beiträge zu Gruppen ist
    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    Hört der unvorbereitete Hörer dieses Stück von CD wird er zunächst nur eine Vielzahl unzusammenhängender Geräusche und Klänge wahrnehmen. Nach den gut zwanzig Minuten, die das Stück dauert, wird sich ihm die Frage aufgedrängt haben: „Was soll das?“
    Thomas


    Genau so erging es mir beim ersten Hören, obwohl es nicht mein erster Stockhausen-Kontakt war. Zugegebenermaßen war ich auch nicht der Verfassung für die Gruppen. Konzentration, innere Ruhe, Öffnung - das sind m.E. die Voraussetzung um das Werk nicht nur als Konglomerat zuammenhangsloser Klänge erfahren zu können.


    Beim zweiten Hören wesentlich entspannter, konnte ich mich viel eher auf diesen Klangkosmos einlassen und die Ereignisse genießen. Seitdem habe ich das Werk jedoch nicht mehr gehört.


    :hello:
    Wulf


    P.S. Der bzw. ein weiterer Gottvater (gibt es mehrere?) der Neuen Musik ist John Cage :D

  • Zitat

    Zitat Wulf
    Der bzw. ein weiterer Gottvater (gibt es mehrere?) der Neuen Musik ist John Cage


    Der Übergottvater ist natürlich Messiaen, bei dem alles begonnen hat. Er ist sozusagen das A ohne O.... :D
    :hello:

    ...

  • Meine Zuordnung wäre:


    Vater: Olivier Messiaen


    Großvater: Anton Webern


    Übervater: Gustav Mahler



    Zwar steht Messiaen nicht eigentlich in der Webern-Linie, doch die alles entscheidende Klavieretude setzt bekanntlich bei Anton Webern an, auf den Karlheinz sel. selbst einmal das Wort anwandte: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, siehe, er ist zum Eckstein geworden.


    Mahler aber ist in seiner ganzen inneren Widersprüchlichkeit, insbesondere in seiner radikalen Hinwendung zum Subjektiven die Schlüsselfigur am Beginn des 20. Jahrhunderts. Er hat die Tür geöffnet!


    Stockhausens Gruppen sind für mich das Ende einer Straße. Weiter geht's nicht mehr. Man könnte daher auch von einer Sackgasse sprechen. Aber interessant ist es allemal.


    (Andere solcher Sackgassen-Endpunkte wären z.B. Pendereckis Threnos, Ligetis Aventures, Cages 4'33 u.a.)

    Musik: Atem der Statuen. Vielleicht: Stille der Bilder. Du Sprache wo Sprachen enden. Du Zeit, die senkrecht steht auf der Richtung vergehender Herzen. (Rilke)

  • Zitat

    Original von jubal
    Stockhausens Gruppen sind für mich das Ende einer Straße. Weiter geht's nicht mehr. Man könnte daher auch von einer Sackgasse sprechen. Aber interessant ist es allemal.


    Das war ungefähr auch der Tenor vieler zeitgenössischer Besprechungen der Uraufführung 1958: Interessant, aber mehr komplexes, sich überlagerndes Klanggeschehen könnten Menschen nicht aufnehmen. Dann werde alles zu grauem Rauschen, wenn es nicht sogar hier schon der Fall sei.


    50 Jahre später ist eine solche Aussage ignorant, von keiner Kenntnis getrübt. Denn es ging weiter: Stockhausen schrieb nach Gruppen noch Carré für vier Orchester und Chöre, Uraufführung 1960, dirigiert von Stockhausen, Michael Gielen, Mauricio Kagel und Andrzej Markowski und entstanden unter der Mitarbeit von Cornelius Cardew. Während Gruppen sich inzwischen schon als moderner Klassiker durchgesetzt hat und immer mal wieder aufgeführt wird, bekommt man das ebenso interessante und mitreissende Carré leider nie zu hören.
    Die ersten Aufführungen beider Werke wurden, neben den bei den Aufführungen mitwirkenden Komponisten, von den meisten bedeutenden Komponisten der Zeit besucht und heiß diskutiert. Kurtag und Ligeti haben sich explizit dazu geäussert, was sie Gruppen verdanken, dass ihr eigenes Komponieren grundlegend verändert hätte. Penderecki, der erst bei Carré im Publikum saß, äusserte sich ähnlich über die Bedeutung dieses Werks. Der Einfluß beider Werke ist aber auch bei Boulez vor allem in Figures, Doubles, Prismes (1964, aufbauend auf Doubles1958 direkt nach der Einstudierung von Gruppen geschrieben und in Dialogue de L´ombre double (1982-85) recht deutlich, in anderen Werken mittelbarer herauszuhören. Auch bei Nono, Berio (z.B. in Coro), Maderna, Pousseur, Cardew, Carter, Earl Brown, Xenakis haben beide Werke deutlich Spuren hinterlassen, auch wenn sich Boulez und Nono im Übergang zu Carré mit Stockhausen über die Frage seiner Einbeziehung von aleatorischen Momenten und anderen nicht-seriellen "Einschüben" anlegten, was sie zu dieser Zeit völlig ablehnten.


    Später sehe ich neben dem Werk von Xenakis und seiner Schüler vor allem bei den Komponisten der "Neuen Komplexität" um Brian Ferneyhough die Dichte und mehrdimensionale Mehrschichtigkeit noch gesteigert. Der israelische, in Schweden lebende Komponist Dror Feiler, ein Ferneyhough-Schüler, der auch mit elektronischer Musik experimentiert und außerdem ein vorzüglicher Free-Jazz-Saxophonist und -Band-Leader ist, bringt gegenwärtig Dichte, Aggressivität und "Lärm"überlagerungen an neue Hörgrenzen, gegen die Gruppen
    transparent und einfach hübsch sind. Feiler schafft es sogar wieder, richtige Skandalaufführungen zu produzieren. So wurde ein Werk von ihm Anfang dieses Jahres in Bamberg sogar noch vor der Aufführung abgesetzt, dabei hätte ich gedacht, dass heute in der weitverbreiteten Indifferenz alles möglich, aber nichts mehr aufrüttelnd ist. Seine Werke sind dennoch ebenso wenig reines Spektakel, wie es Gruppen 1958 waren.


    Von einer "Sackgasse" bei Gruppen zu reden, erscheint mir also völlig absurd, denn dieser musikalische Weg wurde weiterbegangen und von anderen über Gruppen auf vielfältige Weise noch hinausgeführt. Und es gibt sogar einige, die auch in diesen Steigerungen noch mehr und anderes, als "Lärm" herauszuhören vermögen.


    Aber zugegeben sind solche Werke, wie Gruppen schwierig. Ich höre sie auch nicht gerade zum Frühstück.


    Zitat

    Dror Feiler: "Die Musik ist "schwierig", ...nicht, weil sie prätentiös oder undurchsichtig ist, sondern weil sie vom Hörer aktive Beteiligung fordert. Als organisierter Klang verlangt diese Musik von Anfang an aktives und konzentriertes Zuhören, eine geschärfte Aufmerksamkeit für gleichzeitige Vielfalt, den Verzicht auf gewöhnte Krücken eine Hörens, das immer weiß, was zu erwarten ist, und die intensive Wahrnehmung des Einmaligen und Besonderen. Je mehr sie dem Hörer gibt, desto weniger bietet sie ihnen an. Sieforert der Hörer heraus, spontan die innere Bewegung der Musik zu komponieren, und verlangt von ihm nicht bloße Besinnlichkeit, sondern Praxis."


    Was Feiler hier über seine eigene Musik sagt, trifft sicher auch auf Stockhausens Gruppen zu. Es würde mich freuen, wenn dazu noch eine Debatte zustande käme und werde demnächst auf das Werk selbst eingehen. Thomas hat dankenswerterweise als Einspringer ja schon eine Einleitung gegeben, die viel besser als nur "Notbehelf" ist und lesenswerte links angegeben.


    :hello: Matthias

  • Zitat

    ThomasNorderstedt:
    Noch nicht hinreichend geklärt ist für mich die Frage, ob die Zusammenfassung der zu hörenden Klangereignisse in ein Werk Sinn macht. Anders formuliert: könnte das Werk auch noch zehn Minuten länger oder auch kürzer dauern und würde sich etwas ändern?


    Das ist doch eine sehr gute Frage, die Ausgangspunkt einer Diskussion sein könnte, und für die man nicht unbedingt alle Feinheiten der Kompositionstechnik kennen muß; - ich könnte da auch nur Zusammengelesenes leidlich reproduzieren.


    Zu Thomas Frage:


    Zum Kontrast will ich mit der Beschreibung einer Erfahrung einsteigen: Wenn man in großer Gruppe frei improvisiert, entsteht nicht nur fürchterlich leicht Tonbrei, sondern man erwischt sich auch schnell dabei, sich dauernd zu wiederholen und alles wird recht öde.


    Stockhausens serielle Kompositionsweise verbietet aber strikt Wiederholungen derselben Tonfolgen oder Patterns. Nun kann sicherlich auch immer Neues langweilig werden, wenn es beliebig aneinandergereiht erscheint. Gruppen find ich aber gar nicht langweilig. Stattdessen werde ich immer wieder überrascht, was jetzt noch kommt. Dafür muß man schon Spannungsbögen entwickeln können, was hier m.E. gelungen ist. Braucht man nicht dafür mindestens einen Einstieg, der neugierig macht? Ein Anfang ist in Gruppen doch sehr sinnvoll gestaltet: Es beginnt fast impressionistisch zart, noch eher kammermusikalisch klingend, bevor im darauffolgenden Teil ein forte aller drei Orchester einsetzt und sie sich dann teils abwechseln, teils überlagern. Dadurch und durch die Aufteilung und Raumverteilung der Orchestergruppen sowie, dadurch, dass die 3 Orchester meistens jeweils unterschiedliche Klangfarbengruppen in ihren jeweiligen Einsätzen zum Hören bringen, kann man sich allmählich einhören und wird vermieden, dass alles zu Klangbrei wird, in dem noch so schön ausgedachte Spannungsbögen im allgemeinen grauen Rauschen verschwänden.


    Übrigens ergab sich die Beschäftigung mit der Raum-Dimension bei Stockhausen aus anderen Gründen als vorher etwa bei Ives. Es mußte eine Lösung her, wie bei der Übertragung von zunächst elektroakustischen Experimenten auf das Orchester unterschiedliche und sich überlagernde Zeitschichten dirigierbar werden, also Klangruppen teilweise völlig unterschiedlich voneinander und in unterschiedlichen Tempi gespielt werden können. Das war nur mit mehreren Dirigenten zu machen, die jeweils ihre Orchestergruppe im Unterschied zu den anderen Gruppen zu hören in der Lage sind. So konnten bei unterschiedlichen Tempi mehrere Zeiträume erlebbar und zu einem neuen, gemeinsamen Zeitraum verbunden werden. Weitere Beschäftigungen mit der Raum-Dimension, bzw dem Raum-Zeit-Verhältnis ergaben sich erst daraus.


    Trotzdem bleibt dies praktisch schwer auszuführen. Stockhausen hat mit seinen Co-Dirigenten Maderna und Boulez vor der Uraufführung lange erst einmal in Trockenübungen geprobt, bevor sie sich vor die Orchester wagten.


    Auch ein Ende höre ich in Gruppen und zwar, wenn nach dem Klaviersolo eine Schlagzeugpartie aller drei Orchester einsetzt zu der dann die Blechbläser hinzukommen. Was nach dieser Steigerung noch kommt, hat für mich Epilogcharakter.
    Aber könnte es zwischen diesem Anfang und Ende noch länger gehen oder nach der letzten Steigerung und dem "Epilog" wieder neu einsetzen? Nach meinem reinen Höreindruck würde ich vermuten: ja.


    Zwei Äusserungen Stockhausens finde ich in dem Zusammenhang interessant:


    Zitat

    Karlheinz Stockhausen:" Jeder Moment, ob Zustand oder Prozeß, ist ein persönliches, zentriertes, das für sich bestehen kann: Das musikalische Geschehen nimmt nicht von einem bestimmten Anfang bis zu einem unausweichlichen Ende seinen determinierten Verlauf, ein Moment ist nicht bloß Folge des Voraufgegangenen und Ursache des Kommenden; vielmehr macht die Konzentration auf das Jetzt, auf jedes Jetzt gleichsam vertikale Schnitte, die eine horizontale Zeitvorstellung quer durchdringen bis in die Zeitlosigkeit, die ich Ewigkeit nenne: Eine Ewigkeit, die nicht am Ende der Zeit beginnt, sondern die in jedem Moment erreichbar ist." zitiert nach Martin Demmler: Komponisten des 20. Jahrhunderts, Stuttgard 1999


    Auch wenn man ihm nicht in die theologische und mystische Überhöhung seiner Kompositionserfahrungen folgen will, ein wichtiger Hinweis.


    Dennoch sieht er sich explizit in einer deutschen Komponistentradition von Bach, Beethoven, Wagner, Mahler und Schönberg, in welcher der innere Werkzusammenhang durch große, übergreiffende Bögen gestiftet werde, im Unterschied zur französischen Tradition über Debussy bis zu Messiaen, über die er sagt:


    Zitat

    Karlheinz Stockhausen: "Die Franzosen sind dem Prinzip der Reihung und der Suite, der auf Kontrast und Wechsel basierenden Aneinanderreihung, immer verbunden geblieben. - Ich muß jetzt einmal sagen ( und will damit niemandem wehe tun), dass ich solche Organismen in der Natur als eine tiefere Stufe von Organisation betrachte; also die Bandwürmer zum Beispiel sind so gemacht, dass man Glieder abschneiden oder noch welche dranhängen könnte, ohne dass es viel Unterschied ausmachte." zitiert nach Rudolf Frisius: Stockhausen Einführung in das Gesamtwerk. Gespräche, Mainz 1996


    Hm, na das wir Edwin überzeugen, wie das mit "Gottvater" ist :yes: :D


    Beide Ausführungen stehen zwar in einer gewissen Spannung zueinander, widersprechen sich nach Stockhausen aber nicht.


    Jedenfalls kann ich nachlesen, dass die übergreiffende, den Bogen stiftende Grundformel von Gruppen eine aufgespreizte Allintervallreihe sei. Die aufgespreizten Teile dieser Reihe sind verbunden durch "Brücken", die selbst nicht zur übergreiffenden Intervallreihe gehören. Bis zur jeweiligen Brücke hört man nur einige Intervalle, die aus der übergreiffenden Intervallreihe stammen in Bewegungen nach oben oder nach unten, aber in den Brücken hört man die vollständige Intervallreihe, aber in den drei Brücken auf jeweils sehr unterschiedliche Weise.
    Wenn ich das richtig verstehe, wären aber weitere Variationen in zusätzlichen Brücken möglich, die übergreiffende Intervallreihe müßte dafür eben noch weiter aufgespreizt werden. Dies ist aber nicht beliebig und nur begrenzt möglich, ohne die übergreiffende Allintervallreihe zu sprengen.


    Es gibt also einen Bogen mit Anfang und Ende und einen Prozeß mit Variationsmöglichkeiten durch die übergreiffende Intervallreihe, aber für Stockhausen gleichzeitig auch Kontinuität duch die variierten Wiederholungen der übergreiffenden Intervallreihe in den "Brücken".


    Dies überhöht er dann, in dem er annimmt, dass alle möglichen Intervallreihen Variationen einer alles übergreiffenden kosmischen Ur-Formel sind, insofern sind alle einzelnen Momente sozusagen gleich nah zu Gott und in Ewigkeit. :wacky:


    Nun kann ich zwar solche Reihen durch reines Hören nicht heraushören, aber so etwas wie ein übergreiffender Spannungsbogen zwischen dem, was ich für mich als Anfang und Ende ausgemacht habe, ist für mich schon zu hören.


    :hello: Matthias

  • Zitat

    Original von Matthias Oberg
    Feiler schafft es sogar wieder, richtige Skandalaufführungen zu produzieren. So wurde ein Werk von ihm Anfang dieses Jahres in Bamberg sogar noch vor der Aufführung abgesetzt, dabei hätte ich gedacht, dass heute in der weitverbreiteten Indifferenz alles möglich, aber nichts mehr aufrüttelnd ist.


    Zwei kleine Korrekturen, lieber Matthias: Das Ganze spielte sich nicht in Bamberg ab, sondern in München. Und der Grund für die Absetzung des Stücks war ein sehr spezifischer, der allgemein und in diesem Forum in letzter Zeit öfter diskutiert wurde: der Lärmpegel. Im entsprechenden Thread findest Du drei Beiträge zum Münchner Vorfall; ich habe dort auch versucht, anhand von Medienberichten die Umstände näher zu erläutern.


    (Wie ich gerade beim Googlen sah, hat Feiler sein Stück inzwischen lautstärkemäßig entschärft; es soll demnächst aufgeführt werden.)



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    danke für die Korrektur. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht in Deutschland und bin dann offensichtlich einer Zeitungsente aufgesessen, die ich so einer schwedischen Zeitung entnahm. Passte denen wohl ins Deutschlandbild. Man sollte halt immer nachrecherchieren, bevor man etwas ungeprüft übernimmt :pfeif:


    Für die Vermeidung von Hörschäden habe ich schon Verständnis, da ich mir leider in jungen Jahren selbst auf dem linken Ohr einen leichten Hörschaden zugezogen habe: Wenn schon der Schlagzeuger und der Saxophonist sich nicht mehr hören, weil E-Gitarren und Keyboards sich gegenseitig immer lauter hochschaukeln..... Jedenfalls spiel ich heute selber manchmal mit Ohrstöpseln.


    Aber bei der Aufführung eines anderen Feiler-Werks konnte ich selbst die Buhs und demonstratives lautes verlassen des Saals von gut einem Drittel des Publikums miterleben.


    :hello: Matthias

  • Lieber Matthias,


    das Interesse an Gruppen ist offenbar nicht groß. Umso mehr freue ich mich über deine sehr lesenswerten Beiträge.


    Gerade gestern habe ich Gruppen erneut gehört und dabei erlebt, dass das Werk auch für mich inzwischen zu einem zusammengehörigen Ganzen, zu einer runden Sache geworden ist. Die von dir genannten kompositionstechnischen Kunstgriffe – Stichwort: Intervallreihen – mögen dem Werk ein Gerüst geben, jedoch nehme ich sie nicht einmal ansatzweise wahr, so dass sie mir keine Orientierung zu bieten vermögen. Mir scheint vielmehr, dass meine Empfindung der Zusammengehörigkeit schlicht das Ergebnis des wiederholten Hörens und des damit verbundenen, noch lange nicht abgeschlossenen Entdeckens der von Stockhausen zweifellos bewusst gesetzten Orientierungspunkte ist. Das prominenteste Beispiel für solch einen Punkt ist sicher die von dir genannte gemeinsame Schlagzeugpartie aller drei Orchester. Es gibt aber noch viel mehr solcher Punkte, die ich mir mit Freude erhöre. Je öfter ich höre, desto mehr Punkte entdecke ich. Davon, dass hier gute 20 Minuten lang nicht zusammenhängende Töne und Geräusche aneinander gereiht werden, kann jedenfalls nach meinem jetzigen Eindruck nicht mehr die Rede sein.


    Für wichtig halte ich, was Wulf oben zur erforderlichen Hör-Stimmung/-Haltung geschrieben hat. Offene Ohren und die Bereitschaft sich einzulassen, sind in der Tat vonnöten, um Gruppen genießen zu können. Wenn man sich aber eingelassen hat, mag man so schnell nicht mehr herkömmliche Klassik hören. Ein Beispiel: Als ich Gruppen gestern zu Ende genossen hatte, machte ich den Fehler, anschließend eine CD mit Verdi-Arien einzulegen. Das Ergebnis: „La donna è mobile“ klang geradezu vulgär, die Melodienseligkeit langweilig – wohlgemerkt, normalerweise höre ich Verdi-Opern sehr gern, aber nach Gruppen?


    Der Neuen Musik wird oft vorgeworfen, dass man sie sich durch einfaches Hören nicht erschließen könne, dass es vielmehr für das Verständnis dieser Musik erforderlich sei, sich mit den Hintergründen zu beschäftigen, dem Wie und Warum. Gerade Gruppen halte ich für ein gutes Gegenbeispiel. Selbst wenn man nichts von Stockhausens Zwecken wüsste, böte Gruppen für neugierige Ohren immenses Futter.


    Tja und die Sache mit dem Gottvater, da lass ich lieber meine Finger davon, abgesehen von der Bemerkung, dass die Angelegenheit einfacher wird, wenn man die Existenz mehrerer Götter annimmt.


    Vielleicht mag der eine oder andere ja noch berichten, wie es ihm mit Gruppen ergangen ist. Interessieren würde es mich.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt



    Für wichtig halte ich, was Wulf oben zur erforderlichen Hör-Stimmung/-Haltung geschrieben hat. Offene Ohren und die Bereitschaft sich einzulassen, sind in der Tat vonnöten, um Gruppen genießen zu können. Wenn man sich aber eingelassen hat, mag man so schnell nicht mehr herkömmliche Klassik hören. Ein Beispiel: Als ich Gruppen gestern zu Ende genossen hatte, machte ich den Fehler, anschließend eine CD mit Verdi-Arien einzulegen. Das Ergebnis: „La donna è mobile“ klang geradezu vulgär, die Melodienseligkeit langweilig – wohlgemerkt, normalerweise höre ich Verdi-Opern sehr gern, aber nach Gruppen?
    Thomas


    Och, für die Erkenntnis der Vulgarität brauche ich keine Gruppen als Vorspiel. :D Scherz beiseite: den Kontrast hätte ich auch als befremdlich empfunden, vielleicht danach eher etwas von Bach oder Debussy, aber Verdi? Das ist für "andere" Stunden, was ganz und gar nicht wertend gemeint ist. Musik ist Stimmungssache ist ein häufig, manchmal zu häufig hörender, Satz. Denn ich kann auch versuchen, meine eigene Stimmung, die Umgebung zu abstrahieren und mich voll auf das Werk einzulassen. Hat man sich dann aber auf ein Werk bestimmter Ästhetik eingelassen, so wirkt jeder unmittelbar folgende deutlich anderer Ästhetik sehr befremdlich. Vermutlich wäre es Dir andersherum nicht viel anders gegangen - den Verdi hättest Du vielleicht nicht als vulgär, den Stockhausen dafür aber für lebensfern oder saftlos gehalten, wer weiß ;)


    :hello:
    Wulf

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  • Veranlaßt durch die Hinweise hier, habe ich mir die Abbado-Aufnahme besorgt, das Stück jetzt 4 - 5 mal gehört, gerade eben wieder - was soll ich sagen?


    Als zusammenhanglos habe ich Gruppen schon beim ersten Hören nicht empfunden, im Gegenteil: So wär's mir eher gegangen, wenn ich plötzlich tonale Einsprengsel bemerkt hätte, vielleicht gar Verdi-Zitate o. ä.


    Das serielle Verfahren höre ich nicht heraus, aber so etwas wie sinnvolle Verläufe, wobei ich mich am ehesten an den Klangfarben orientiere - das klingt nämlich für mich alles andere als durcheinander!


    Mich fasziniert diese wild-zerklüftete Tonwelt, ich mag Dissonanzen!


    Als untrügliches Zeichen dafür, daß Gruppen ein Werk von besonderem Rang sein dürfte (wie man lesen kann), nehme ich für mich persönlich, daß wiederholtes Hören mich nicht vom Werk entfernt, sondern auf eine kaum merkliche Weise näherbringt - ich werde es nicht leid, immer wieder zu hören.


    Eine Stelle wird mir von Mal zu Mal vertrauter: wenn die verschiedenen Blechbläser immer mehr miteinander ins Plappern geraten, mit viel Staccato in kurzen Motiven, und dann alles schließlich in höllischen Lärm ausbricht... das hat etwas Kurios-Scherzohaftes. Ob es Passagen in Gruppen gibt, die witzig gemeint sein könnten? Oder ironisch?


    So weit ein paar subjektive Eindrücke. Werde es gleich noch einmal hören.


  • Lieber Gurnemanz,


    Keine Frage, ich doch auch - und wie!! :yes:


    Dennoch: in "falscher" Verfassung kann einem das Werk wie ein Konglomerat aus unorganisierten Klängen vorkommen: hier mal ein kurzer Ton, da ein anderer - Schlagzeugeinsatz, abrupter Wechsel in Klangfarbe und Dynamik. Das hat bei mir beim ersten Hören - wie gesagt in nicht guter Verfassung - eher zur Irritierung geführt als zur Erhellung.


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Wulf


    Keine Frage, ich doch auch - und wie!! :yes:


    Dennoch: in "falscher" Verfassung kann einem das Werk wie ein Konglomerat aus unorganisierten Klängen vorkommen: hier mal ein kurzer Ton, da ein anderer - Schlagzeugeinsatz, abrupter Wechsel in Klangfarbe und Dynamik. Das hat bei mir beim ersten Hören - wie gesagt in nicht guter Verfassung - eher zur Irritierung geführt als zur Erhellung.


    Stimmt schon: Auch ich habe mich zunächst irritieren lassen; das Gewusel des Beginns läßt es erstmal ziemlich unklar erscheinen, worauf es hinauslaufen soll. Dabei habe ich nach mehrmaligem Hören den Eindruck, daß alles auf den Höhepunkt, wo es so herrlich höllisch lärmt, zielt.


    Den musikalischen Verlauf ab 13'20 (Abbado-Aufnahme) empfinde ich als recht stringent: Es beginnt mit einer Art Fuge in den Blechbläsern, mit einem ganz merkwürdigen Choralfragment mit an- und abschwellenden Bläsern (14'26), höchst eindrucksvoll! Dann die Klavierkaskaden (ab 14'45), und nach dem Eingreifen des Schlagzeugs (15'13) schließlich eine ungeheure Steigerung zu einem alles verdichtenden Lärm-Plateau (ab 16'25), das dann ab etwa 16'58 wieder zerbröselt. Ich höre da mehrere Anläufe, Ordnung zu stiften, heraus, immer neue Anstrengungen, das Material zu konzentrieren, die am Ende scheitern (??). Dies mal als eine subjektive Beschreibung, die natürlich nicht den Rang einer Analyse beansprucht.


    Vielleicht aber läßt sich ausgehend von dieser Passage das ganze Stück besser erschließen?

  • Im Stockhausen-Thread im Komponistenforum bin ich heute noch einmal auf die Frage des Anfangs und Endes eingegangen im Vergleich zu "Kontakten" von 1960. Dort ist jetzt auch ein Zitat Stockhausens u.a. zu "Höhepunkten" nachlesbar.


    Dennoch stimme ich Gurnemanz zu, in "Gruppen" gibt es Höhepunkte, sogar einen besonders Herausgehobenen beim "alles verdichtenden Lärm-Plateau (ab 16'25)" - Danke, Gurnemanz, für Deine vorzügliche Verlaufsbeschreibung mit den Zeitangaben!


    Ich glaube jedoch nicht, dass "alles auf diesen Höhepunkt .... zielt". Die übergreiffende Gesamtstruktur des Stücks ist m.E. wirklich nur die kompositorisch den Bogen stiftende Allintervallreihe. Hörbar ist die aber nicht. Eine privilegierte, hörbare Gesamtlinie gibt es m.E. nicht. Vieles, was vor dem "Lärm-Plateau" passiert, scheint mir sehr unabhängig, alles selbst beim erneuten Hören überraschend. So könnte das "Lärm-Plateau" - ein hier guter, sehr passender Begriff - auch an einer anderen Stelle stehen. Insofern kann man wohl auch nicht von einem Scheitern einer Konzentrationsbemühung, jedenfalls nicht zu einer dramatischen Linie, sprechen, weil die von Stockhausen, glaubt man seinen eigenen Erläuterungen, nicht intendiert war.


    Aber vielleicht könnte man es so sehen, dass man als Hörer aufgefordert ist, beim Wiederhören sich selbst "Linien" durch den dichten Klangjungle zu schlagen, also als kreativer Rezipient seine eigenen, auch hörbaren Ordnungen zu erfinden, ohne dass das Stück selbst von seinem Material her eine bestimmte privilegieren würde.


    :hello: Matthias

  • Die von mir oben kurz erwähnte, empfehlenswerte TV-Dokumentation über Gruppen ist heute, am 22.08.08, um 21:20 Uhr auf Premiere-Classica zu sehen. Auf der Classica-Homepage heißt es hierzu:


    "Stockhausen, Gruppen
    Zum 80. Geburtstag von Karlheinz Stockhausen

    Das City of Birmingham Symphony Orchestra spielt unter der Leitung der Dirigenten Simon Rattle, John Carewe und Daniel Harding das Stück für 3 Orchester "Gruppen" von Karlheinz Stockhausen (22.8.1928 - 5.12.2007). Mit einer dokumentarischen Einführung.


    Als Karlheinz Stockhausen 1955 bis 1957 das Stück für drei Orchester "Gruppen" schrieb, gehörte er bereits zur musikalischen Avantgarde. Auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten entwarf der Endzwanziger dieses spektakuläre Stück für den Konzertsaal der Zukunft, in dem Musik und Raum ineinander aufgehen: Drei Orchester, die gleichzeitig unterschiedliche Musik spielen, sind um die Zuhörer placiert. Die Schichten der seriellen Musik sind durch die räumliche Verteilung simultan wahrnehmbar.


    Länge des Programms: 0:52:06

    Simon Rattle
    John Carewe
    Daniel Harding
    City of Birmingham Symphony Orchestra

    Großbritannien 1997, Regie: Barrie Gavin"

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Wer hat denn in Rhein-Main eine Surround-Anlage? Dort machen wir dann das nächste Treffen und hören Gruppen :D
    JR


    Am Freitag, dem 7. November 2008, 19:30 Uhr gibt es wieder die Gelegenheit, Stockhausens Gruppen live zu erleben, und zwar im Konzerthaus in Wien mit dem Radio-Symphonieorchester Wien!


    Ebenso wie beim letzten Mal (vor ca. 10 Jahren unter Rattle) wird das Stück 2x gespielt, wobei ich annehme, dass wieder die Gelegenheit besteht, den Platz dazwischen zu wechseln.


    Ich erinnere mich noch, dass damals beim zweiten Durchgang Wolfgang Rihm ganz in der Mitte des Saales seinen Platz auf dem Fußboden nahm.
    :hello:

  • Die "Gruppen" sind für mich bis jetzt der fetzigste Stockhausen. Und mir gefällt die Abbado-Wiedergabe auch sehr; noch mehr als die mit Eötvös und die mit Maderna. Leider hatte ich bisher keine Gelegenheit mir es echt live reinzuziehen. Ich möchte auf folgende Radioübertragung hinweisen:


    RBB Kulturradio Samstag 25.10.08


    20:04 DAS KONZERT
    Karlheinz Stockhausen: Gruppen für drei Orchester


    Michael Boder, Dirigent (Orchester Nr. 3)
    Daniel Harding, Dirigent (Orchester Nr. 1)
    Simon Rattle, Dirigent (Orchester Nr. 2)


    Berliner Philharmoniker
    Aufnahme vom 20.9.2008 im Rahmen des Musikfestes Berlin vom Hangar 2 des
    Flughafens Berlin Tempelhof


    :hello:

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    Die "Gruppen" sind für mich bis jetzt der fetzigste Stockhausen.


    Nachdem ich sie länger nicht gehört habe, und nun 3x am selben Tag (zuerst die Abbado-Aufnahme, später im Konzert zweimal mit Sitzplatzwechsel dazwischen) muss ich sagen: Bei mir bleibt es auch dabei, dass das mein Lieblings-Stockhausen ist (und gemeinsam mit Cages Klavierkonzert Lieblingsorchesterstück der 50er Jahre).


    Früher habe ich mich bisweilen fadisiert und habe auf die Blechstelle (die hier schon mehrfach angesprochen wurde) und die Lärmstelle gewartet. Am Freitag war ich von Anfang an dreimal ganz dabei und habe eigentlich immer die "herbe Schönheit" der Musik bewundert, nichts als abgenutzt und nicht mehr aufregend empfunden. Auch habe ich früher ab der Lärmstelle in größer zusammenhängender Portion gehört, jetzt sehe ich die Lärmstelle als kurzen Mosaikstein unter vielen, freilich ein besonders wirkungsvoller aber nicht als die Hauptsache. Ich empfinde die Gruppen als ein sehr reiches Stück und die Unterschiedlichkeit des wirkungsvoll-klangsinnlichen Weiterreichens der effektvoll akzentuierten Blechakkorde einerseits und anderen abstrakt-gemischten Partien, in denen man sogar mal drei Töne vom Fagott irgendwo herumkrabbeln hört, ist ein großer Reiz, der das Werk aber nicht in seinem Zusammenhalt gefährdet.


    Übrigens war der große Konzerthaussaal brechend voll und der Applaus keineswegs höflich oder flau. Ein Klassiker, bei dem die Freude über die Qualität der Aufführung leider mit der Freude über die Tatsache der Aufführung noch Hand in Hand geht - ähnlich etwa bei Besuchen von Moses und Aron in der Staatsoper. In beiden Fällen hat man das Gefühl, großes altes Kulturgut zu erleben, unmittelbar packend, aber freilich keineswegs aktuell.

  • Lieber KSM,
    ja, sie sind ein tolles Werk, die "Gruppen". Und doch...
    Ich steh' halt auf "Kreuzspiel". Das hat fast etwas wie Swing für mich. Natürlich sind die "Gruppen" größer, bedeutender, gewichtiger. Aber dieses "Kreuzspiel"... - ist mir ganz einfach lieber.
    :hello:

    ...

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  • also über die Abbado-CD bin ich zu den Gruppen gekommen. Die finde ich besser als die mit Maderna/Gielen und besser als mit Eötvös & CO.
    Den Mitschnitt aus Berlin (vor ein paar vom RBB mit boder & Co ) fand ich auch fetzig. Den vom Oe1 (letzten Freitag) habe ich mir noch nicht reingezogen...
    also mit Abbado &Co ist man sehr gut bedient.....


    unbedingt kaufen und reinziehen


    :hello:

  • Lieber Gralskönig,


    ich liebäugle auch schon lange mit dieser Aufnahme, zögere jedoch weil ich nicht weiß, ob nicht irgendwas aus dem Wergo (oder ähnliches) Lager vielleicht nicht doch besser ist.


    Ich kann mir vorstellen, dass die Gruppen ein Werk sind, das man sich von einer "inkompetenten" Aufnahme womöglich für immer verderben lassen kann.
    Nicht das ich es Abbado per se nicht zutraue. Aber wo sonst kann man schonmal nach Stockhausen fragen?


    Daher immer meine Skepsis. Wenn hier jedoch fast von allen Abbado genannt wird, mache ich wohl nichts falsch.


    Danke

  • Klawirr bezeichnete anderswo die Abbado- Aufnahme als "geradezu sinnliche Einspielung" und im Vergleich dazu Eötvös/Tamayo als zwar auch sehr gut, aber als "kälter". Meinem Höreindruck entspricht das auch. Insofern kann ich Abbado wirklich guten Gewissens empfehlen. Insbesondere da sie auch an Transparenz mindestens so gut ist, wie die, des langjährigen Stockhausen-Mitarbeiters Eötvös, die schon auch wirklich alles andere als schlecht ist. Die im allgemeinen von mir sehr geschätzten Gielen/Maderna fallen da deutlich ab, aber mag sein, dass dies auch an Tonqualität und zur Verfügung stehender Probenzeit lag. Ich habe auch einen Mitschnitt der Uraufführung mit Stockhausen, Maderna, Boulez, aber auch die ist nicht so gut, wie Abbado, ungeachtet der natürlich schlechteren Tonqualität dieses Mitschnitts. Die hatten bei der Uraufführung auch noch mit Unverständnis und Widerständen in Teilen der Orchester zu tun.


    Im übrigen lohnt auch Kurtags "Stele" auf der Abbado-CD das Kennenlernen. Gleichfalls eine sehr gelungene Aufnahme!


    :hello: Matthias

  • Zitat

    Original von Matthias Oberg
    Im übrigen lohnt auch Kurtags "Stele" auf der Abbado-CD das Kennenlernen. Gleichfalls eine sehr gelungene Aufnahme!


    Das unterstreiche ich gern. Ohne Alternativen zu kennen, glaube ich wie meine Vorredner, daß man mit Abbado hier gut bedient wird.


    Also: Nicht zögern noch zaudern, sondern: Zugreifen!

  • Ich habe in Köln Stockhausen selbst erlebt, wie er die Gruppen in der Messe mit dirigiert hat, einer der anderen beiden Dirigenten war Eötvös. Ein unvergeßlicher Abend! Neben den Gruppen spielte Ellen Corver, die Stockhausen sehr schätzte, das Klavierstück 9. Die Aufführung wurde wiederholt - es gab also zwei Konzerte direkt nacheinander, die Karte war selbstverständlich nur für eines von beiden. Stockhausen bestand darauf, daß meine Frau und ich unbedingt beide Konzerte hören müßten - und hat uns zwei ohne Karte eigenmächtig durch das Künstlerzimmer in den Saal geschleust! :angel: Auf die Aufnahme von Abbado (die ich auf CD besitze!) war er übrigens gar nicht gut zu sprechen - zu ungenau und unpräzise. Noch schlimmer für ihn: Simon Rattle, der hätte überhaupt nicht geprobt! :yes:


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitat

    Original von Dr. Holger Kaletha
    Auf die Aufnahme von Abbado (die ich auf CD besitze!) war er übrigens gar nicht gut zu sprechen - zu ungenau und unpräzise. Noch schlimmer für ihn: Simon Rattle, der hätte überhaupt nicht geprobt!


    Also bei allem Respekt vor den Toten: der Mensch Karlheinz Stockhausen war so dermaßen gaga, dass man zum einen zwischen Werk und Person auf das Deutlichste differenzieren muss. Und zum anderen auf das irrlichternde Geschwätz Stockhausens über andere Musiker wie Abbado oder Rattle nichts geben darf.


    Im September 2008 war ich in Berlin bei den "Gruppen"-Aufführungen mit Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern im Hangar 2 des Flughafens Tempelhof (es wirkten Daniel Harding und Michael Boder als weitere Dirigenten mit). Rattle dirigierte einfach grandios, wie auch die Berliner Philharmoniker fulminant spielten. Ich erlebte alle vier Aufführungen des Werks mit - es gab zwei Konzerte à zwei Aufführungen; in der Pause musste man sich jeweils umsetzen, um die Klangflächen aus einer anderen Hörperspektive zu erleben. Rattles Aufführungen waren ein riesiger Erfolg, es gab standing ovations. Auch ich war sehr begeistert (und kaufte mir übrigens im Anschluss ebenfalls die Abbado-CD-Einspielung der "Gruppen"). Wenn nun ausgerechnet Stockhausen, für den sich Rattle so einsetzt, zu Lebzeiten irgendeinen geistigen Sondermüll über dieses Phänomen von einem Dirigenten abgesondert hat - dann interessiert mich das nicht die Bohne. Gleichwohl sollte so etwas hier, in einem so viel beachteten Forum wie Tamino, richtiggestellt werden.

    Einmal editiert, zuletzt von Swjatoslaw ()

  • Nun, das einzige, das wir, die wir die Noten weder im Kopf noch die Partitur während der Aufführung vor der Nase haben, sagen können, ist, dass es auch so beeindruckend ist. Über die Ungenauigkeit steht uns kein Urteil zu, da müssen wir dem Komponisten schon glauben.


    Die Politik lassen wir lieber beiseite ...

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Über die Ungenauigkeit steht uns kein Urteil zu, da müssen wir dem Komponisten schon glauben.


    Es ging mir auch mehr um die von Holger referierte Bemerkung Stockhausens, Simon Rattle würde sich mit solch einem komplexen Werk vor ein zahlendes Publikum stellen, obwohl er "überhaupt nicht geprobt" habe. Und da wage ich mal zu sagen, dass eine solche Behauptung über Rattle Unfug ist.

  • Zitat


    Die Politik lassen wir lieber beiseite ...


    Ganz kurz: Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was der Normalverbraucher Verbindliches über Stockhausen erfährt, kann ich Swjatoslaw nicht so richtig widersprechen.


    Aber ... und was den 9. September anbelangt: Hätte Stockhausen seine pseudopolitische Aussage etwas weniger absonderlich hingebogen, man könnte auch da ein Körnchen Wahrheit entdecken ... Es mag den unschuldigen Opfern des Attentats nichts nützen, aber es schadet ihnen auch nicht mehr, wenn wir wissen, dass diejeinigen, denen diese Morde galten, kaum unschuldiger sind als diejenigen, die sie begingen.


    Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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