Liebe Freunde,
wenn man sich mal eine Woche Ferien in New York gönnt, kommt man nicht umhin, auch die Met zu besuchen. Und wenn es dann ein Abend wird, wie ich im Folgenden beschreiben werde, kann man einfach nur zutiefst dankbar sein!
Wie heißt das Hassobjekt Nummer eins der Regietheater-Mafia? Richtig, Maestro Franco Zeffirelli! Und warum wird dieser Regisseur aller Regisseure von den RTlern so verachtet und gar lächerlich gemacht? Weil er ihnen gefährlich wird. Weil sie wissen, dass sie niemals so erfolgreich sein werden, wie seine Inszenierungen, welche sich zum Teil Jahrzehnte oder sogar ein halbes Jahrhundert im Repertoire verschiedene Opernhäuser gehalten haben und sich immer noch größter Beliebtheit beim Publikum erfreuen, wie am ersten Tag. Und das ist für die mafiösen Strukturen die das Regietheater in Europa etabliert hat, eben gefährlich. Man will, das was einem gefährlich wird, auslöschen, es vergessen machen, das Publikum soll sich an den Schmutz gewöhnen, den es von den Machern des RTs vorgesetzt bekommt. Deswegen versucht die Regie-Mafia überall dort, wo sie das Sagen hat, die Inszenierungen von Franco Zeffirelli abzusetzen, denn sie fürchtet, dass die übermächtige Erinnerung an diese Meisterwerke der Regie ihr eigenes Nicht-Können in den Schatten stellen wird und in Bedeutungslosigkeit verkommen lassen wird. Die Jugend soll diese richtige Form der Oper niemals kennenlernen und stramm linientreu im Sinne des Regietheaters erzogen werden. Wenn man jedoch einmal eine so großartige Inszenierung, wie die von Turandot durch Franco Zeffirelli an der Metropolitan Opera erlebt hat, oder gar das Glück hatte, so wie ich, mehrere seiner Inszenierungen an verschiedenen Spielorten live mitzuerleben, wird man gegen die Indoktrinierungen des Regietheaters immun, und erkennt darin des Kaisers neue Kleider.
Ich hatte Mitte November das Glück Franco Zeffirellis Turandot live auf der Bühne der Metropolitan Opera in New York miterleben zu dürfen, und muss nun für mich sagen, dass es nun schwierig wird, eine andere Inszenierung dieser Oper jemals zu akzeptieren, da die an der Met so mustergültig war, dass ich diese Erinnerung nur ungern überschreiben würde. Schon beim Betreten des Opernhauses viel einem die festliche Atmosphäre auf, zu der das internationale Publikum pilgerte. Alles schien in der frohen Erwartung, dass an diesem Abend etwas ganz Besonderes stattfinden würde. Freudig nahm man in dem grosszügigen Zuschauerraum Platz und bestaunte als Einstimmung den prunkvollen goldenen Vorhang der noch die Bühne bedeckte. Als es kurz nach 8 Uhr im Saal dunkel wurde und der Dirigent unter Applaus ans Pult trat hielt man in gespannter Erwartung den Atem an. Majestätisch dirigierte Carlo Rizzi die einleitenden Akkorde, während denen der goldene Vorhang kunstvoll nach seitlich und oben gezogen wurde. Die Bühne war eine wahre Augenweide. Man sah einen klassisch gemalten Prospekt im Hintergrund, während sich an den Seiten die Hütten der Armen chinesischen Bevölkerung befanden. Der Chor befand sich als düstere gesichtslose Masse auf der Bühne, blieb jedoch dank der ausgezeichneten Chor-Regie Zeffirellis immer in Bewegung. So wurden ganz im Einklang mit der Musik immer wieder zahlreiche kleine individuelle Geschichten erzählt. Ein wahres Heer aus Statisten und Akrobaten brachte immer wieder Farbe in die dunkle, monumentale Szenerie und setzte so immer wieder optische Akzente und Überraschungen. Die Protagonisten waren auf beeindruckende Weise immer von den Chor-Massen und Statisten abgrenzbar und für den Zuschauer klar im Fokus. Zeffirelli tat nichts anderes als das auf die Bühne zu bringen wozu ihn Partitur und Libretto verpflichtet haben, wenn er eingewilligt hat, diese Oper zu inszenieren. Er hat nämlich im Gegensatz zu manch pseudointellektueller Pappnase begriffen, dass die Regieanweisungen genauso Teil der Partitur sind, wie auch die Noten. Schade dass man eine Selbstverständlichkeit wie diese, hier extra erwähnen muss. Die Personenregie war immer ganz genau im Einklang der Musik und äußerst sensibel gezeichnet. Es war beeindruckend mit anzusehen, wie beim stummen Auftritt des Prinzen von Persien der Palast der Turandot plötzlich im Bühnenhintergrund aus dem Nebel quasi aus dem Nichts auftauchte und man darin die eiskalte Prinzessin umgeben von ihren Dienerinnen auf einem Diwan liegen sah, von wo aus sie das Zeichen zur Hinrichtung gab. Wenn Calaf am Ende des ersten Aktes den Gong schlägt, um die Rätsel der Prinzessin zu lösen, wird der in der Zwischenzeit wieder dunkel gewordene Palast plötzlich wieder strahlend hell, während der alte Timur sich verzweifelt an die Sklavin Liu klammert, während der Vorhang fällt. Timur und Liu stehen dabei genau an der Stelle welche zuletzt vom Vorhang bedeckt wird. Was für ein Akt-Ende!
Nach einer längeren Pause begann der zweite Akt: das Bühnenbild stellte nun Libretto gemäß einen Pavillon dar, welche dreigeteilt war und in jedem Teil des Pavillons befanden sich die drei Minister Ping, Pang und Pong. Jeder Teil des Pavillons war dabei in einer anderen Farbe gehalten, das Dach war durch Bambus angedeutet, durch das man den Himmel sah. Auf kostbaren Polstern saßen die drei Minister und philosophierten über die jüngsten Geschehnisse in China. Die Kostüme waren bunt und vermittelten eine chinesisch angehauchte Form der Commedia dell’arte, was sich auch in der durchaus augenzwinkernd gehaltenen Personenregie dieser Szene niederschlug. Am Ende der Szene schloss sich der Pavillon mittels gemalter Stofftransparente, als Diener verkleidete Statisten räumten die Requisiten zur Seite, das Bühnenlicht wurde für einen Augenblick dunkel, während der gesamte Pavillon in einer Sekunde in den Bühnenhimmel gehoben wurde. Dahinter da man nun den Kaiserpalast in strahlendem Gold und von goldenen gemalten Prospekten umgeben. Zahlreiche Statuen und chinesisch anmutende Säulen säumten diese Szenerie. Das Bild dieser Szene ist wohl vielen aus den Plakaten der Metropolitan Opera wohlbekannt. Regie Theater-Jünger haben an ihr immer wieder ausgesetzt, dass Zeffirelli ja in dieser Szene den Vorgaben des Librettos nicht gefolgt sei, da die dort verlangte Treppe, welche Turandot herab steigt ja so nicht vorkomme. Aber: Liebe Regietheater - Pappnasen, Ellerbätsch! Wer Augen in der Birne hat, ist klar im Vorteil, denn die Treppe gibt es - genauso wie im Libretto gefordert. Der Kaiserpalast steht nämlich gegenüber dem Bühnenboden stark erhöht auf einem Sockel und die Treppe führt von hinten oben schräg nach vorne unten. Und Prinzessin Turandot darf sie bei ihren Fragen genauso hinunter schreiten, wie es sein soll. Also, haltet doch die Klappe und akzeptiert, dass es andere besser können als ihr. Kommt Kunst nicht vom Können? Muss man noch erwähnen, wie begeisterter Applaus spontan aufbrandete als diese wunderbare goldene Szenerie zum ersten Mal auf der Bühne sichtbar wurde? Chorsänger und Statisten waren in prächtiger fantasievolle märchenhafte und historische Kostüme gekleidet, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam. Zeffirellis langjährige Kostümbildnerin, die 2011 verstorbene Anna Anni hatte gemeinsam mit Dada Saligeri wirklich ganze Arbeit geleistet. In dieser Rätselszene war der Chor des einfachen Volkes vorne an der Bühne positioniert und man konnte mitansehen, wie das einfache Volk mit der Rätsel Szene regelrecht mitlitt und den siegreichen Calaf am Ende frenetisch bejubelte.
Nach einer weiteren Pause begann der dritte Akt. Wie im Libretto gefordert befand man sich nun in einem nächtlichen chinesischen Garten. In diesem sang Calaf die berühmteste Arie des Stücks „Nessun dorma“. Abermals ergänzten sich traditionell gemalte Prospekte und gebaute Elemente des Bühnenbildes perfekt, auch die Ausleuchtung der Szene war optimal gelungen. In diesem wunderschönen Rahmen kam es dann zur schicksalhaften Begegnung von Liu und Turandot. Hierin ereignete sich der tragische und berührend umgesetzte Suizid der Liu. Und in diesem wunderschönen Bühnenbild gelang es Calaf dann auch während des Alfano Schlusses Turandot zu küssen und ihr seinen Namen zu offenbaren, um sein Schicksal in ihre Hand zu legen. Anschließend verwandelte sich die Szenerie erneut binnen Sekunden in den Kaiserpalast, mit dem über allen thronenden Kaiser Altoum. Als die Prinzessin bekannt gab, dass der Name des Fremden Liebe sei, brach das umstehende Volk in Jubel aus, Glitter viel von oben herab und der Vorhang fiel unter dem überwältigenden Jubel des Publikums. Wann hat man in Regietheater-kontaminierten Zeiten so etwas zuletzt gesehen?
Kommen wir nun zu den wunderbaren Sängern, die dieser wunderbaren Inszenierung erst zur vollen Wirkung verhalfen.
In der kurzen, aber ungemein anspruchsvollen Titelrolle bewies die Ukrainerin Oksana Dyka vom ersten Ton an ganz großes Format. Auch optisch entsprach sie genau dem, was man sich unter der Turandot vorstellt. So schleuderte sie mit ihrer riesigen Stimme und scheinbar grenzenlosem Tonumfang die gefürchtete Auftrittsarie „In questa reggia“ mit eisiger Kälte ins Auditorium. Man folgte ihrem Vortrag mit angehaltenem Atem. Im Verlauf des Abends bewies Dyka jedoch auch, dass sie zu wärmeren Farben und wunderschön im Piano ausgesungenen Phrasen wie in dem von Franco Alfanos komplettierten Finale fähig war. So gelang die Wandlung der Prinzessin aus Eis zu liebenden Frau musikalisch bestens. Mit dem lettischen Tenor Aleksandrs Antonenko hatte ich bisher keine guten Erfahrungen gemacht. Ich habe ihn des öfteren in München und Zürich erlebt und erinnerte mich an eine belegte, angestrengte Stimme. Entsprechend skeptisch, war ich als ich seinen Name in der Besetzungsliste sah. Aber wie man sich täuschen kann! Als Calaf wirkte dieser Tenor wie verwandelt und begeisterte fast uneingeschränkt. Hatte ihn die grandiose Inszenierung zu dieser Höchstleistung animiert und inspiriert? Die Stimme Antonenkos war voller Strahlkraft mit ihrem metallischen Timbre, die fast alle hohen Anforderungen seiner schwierigen Rolle mühelos meisterte. Auch die leiseren, lyrischen Passagen seiner Rolle wie das „Non piangere Liu“ waren gefühlvoll und sensibel interpretiert; das berühmte „Nessun Dorma“ klang strahlend heldisch und mühelos. Dankenswerterweise hatte man an der Met nicht die Unsitte übernommen, für diese Arie den Konzertschluss zu verwenden, um dem Publikum die Möglichkeit für störenden Applaus zu geben. Wir sind ja schliesslich an der Met und nicht bei Paul Potts! Dass man den Calaf insgesamt vielleicht etwas kultivierter singen könnte, bleibt bei einer so mitreissenden Interpretation Kritik auf sehr hohem Niveau. Sehr zart und berührend gestalte Hei-Kyung Hong, Urgestein an der Metropolitan Opera, die treue Sklavin Liu. Ihre Arie im ersten Akt, sowie ihre Todesszene „Tu, che di gel sei cinta“ wurden wahrlich herzergreifend mit warmem lyrisch strömendem Sopran gesungen. Luxuriös besetzt war auch Calafs Vater, der blinde Tataren-König Timur mit Giorgi Kirof, der mit balsamischem warmem Bass auf bewegende Weise um Liu trauerte. Stimmlich ausgezeichnet und spielfreudig-komödiantisch präsentierte sich das Minister-Trio aus Ping, Pang und Pong mit Alexey Lavrov, Toni Stevenson und Eduardo Valdes. In ihren kurzen Rollen als düsterer Mandarin und Imperatore Altoum, konnten Jeongcheol Cha und Ronald Naldi nachhaltig auf sich aufmerksam machen. Der Chor der Metropolitan Opera war phantastisch von Donald Palumbo einstudiert, ich habe den Chorpart dieser Oper selten so textverständlich gehört. Als er am Ende des Trauermarsches „Oblia! Liù...Poesia!“, den letzten von Puccini komponierten Worten, hauchte, war das ein absoluter Gänsehautmoment, die von Carlo Rizzi lange ausgekostete Generalpause danach, ein wahrer Moment des Innehaltens. Am Pult des Orchesters der Metropolitan Opera sorgte Rizzi für eine spannende, vorwärtsdrängende Interpretation, das einem schier der Atem stockte. Am Ende stehende Ovationen und viele Blumensträusse für ebenfalls berührten und glücklichen Sänger. Was für ein Abend! Leider waren meine Ferien bereits am Tag darauf beendet und ich musste die Heimreise nach Europa antreten.
PS: Ich habe im Sommer 2012 bereits Franco Zeffirellis Inszenierung von Turandot in Verona gesehen. Auch diese Version war inszenatorisch toll, aber aufgrund der dortigen Einschränkungen der Bühnentechnik in gewisser Weise abgespeckt. Über die damaligen Sänger hülle ich besser den Mantel des Schweigens, denn diese haben mir damals den Abend gehörig verdorben...