Igor Strawinsky: Pulcinella - Ballett in einem Akt

  • Liebe Forianer,


    In meiner Jugend hatte ich so meine Probleme mit Strawinsky, ähnlich wie das Pariser Publikum bei der Uraufführung des "Sacre" :D


    Wenngleich mir Mozart doch noch immer entscheidend näher steht, so hat sich im Laufe der Jahre dennoch Strawinsky zu einem meiner Lieblingskomponisten der Klassischen Moderne entwickelt, vielleicht aus dem Grund, weil er eigentlich dem Neoklassizissmus zugerechnet werden muß.


    Entgegen dem Einleitungssatz, habe ich auch in der Jugend Strawinsky gehört, mir aber die hämische Bermerkung nicht verkneifen können, daß jene Passagen, die bei Strawinsky anhörbar seien, gar nicht von ihm komponiert wurden.


    Heute liebe ich gerade die Verquickung von Rückblick und Verfremdung.



    Am meisten Material aus der Vergangenheit hat Strawinsky im Ballett "Pulcinella" verwendet, und zwar von (wie er glaubte) Pergolesi.
    In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, daß nur etwa die Hälfte der verwendeten Musik wirklich von Pergolesi stammt, aber das tut der Qualität des Werkes nun wirklich keinen Abruch. Strawinsky nimmt die Originale und verfremdet sie auf seine Weise.


    Pulcinella ist die Hauptfigur jenes, der Commedia dell arte nachempfundenen Balletts....


    Die Zusammenarbeit war wieder mit Diaghilew, diesmal aber auch mit Picasso, der das Bühnenbild schuf.
    Das Ballett wurd am 15. Mai 1929 in Paris unter Ernest Ansermet uraufgeführt.
    1922 verfertigte Stravinsky alternativ dazu eine Suite, wo die im Ballett enthaltenen Gesangsnummern gestrichen wurden.


    Ich besitze das Werk (die Ballletfassung) lediglich in einer Version



    nämlich jener von Naxos, die aber immerhin mit Ian Bostridge in der Besetzungsliste aufwarten kann. Wenngleich mir sein Schubert nie gefiel, hier ist er IMO hervorragend. Alledings könnte ich mir das Orchester bei Stravinsky aggressiver vorstellen. Nach einer Zweitversion wird also Ausschau gehalten...


    Freundliche Grüße


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich finde leider davon kein Bild, es gibt aber eine sehr gute Aufnahme von mehreren Stravinsky-Werken ( u.a. Pulcinella in der Gesamt-Version ) von Abbado mit dem ( ich glaube, weiss es aber nicht Auswendig ) LSO, kann es dir erst in 2 Wochen definitiv sagen da ich dann erst wieder zu Hause bin und nachschauen kann.

  • Hallo Strawinsky-Freunde,


    dieser Thread ist im April einfach hängen gebliegen. So geht es leider vielen Threads mit interessanter Musik --- ein paar Antworten und das war es dann, obwohl es noch so viel zu sagen gäbe.


    Auch hier:


    Mir liegt die Version als Pulinella-Ballettsuite (ohne Gesang) mehr, als die Ballett-Version, denn da geht an Inhalt kaum etwas verloren. In anderen Fällen ziehe ich die Gesamtversionen immer vor - hier nicht. Das Ballett ist auch in Sätze eingeteilt und so kann man die "Gesangssätze"(nerven mich halt), per Fernbedienung überspringen.

    :) Eine sehr schöne CD-Aufnahme des Pulcinella-Balletts, ist die CBS-Aufnahme mit Strawinsky selbst als Dirigent und dem Columbia SO.
    Hier sollte man doch meinen, das man das Werk aus direkter Hand so hört, wie es sein sollte und die Stereo-Klangtechnik aus den 60er-Jahren ist ebenfalls gut.
    Das Pulcinella-Ballett mit Strawinsky ist in dieser SONY-Version heute greifbar:


    Doch gerade bei Strawinsky´s Werken stelle ich immer wieder fest, das andere Dirigenten noch mehr aus seinen Werken herausholen könne als Strawinsky selbst. Man hat ihm ja mal nachgesagt er sei ein unbequemer und nicht so geschickter Dirigent.


    :] Meine zweite Aufnahme von Pulcinella ist die Pulcinella - Suite mit Marriner / Academy OTMIDF auf Decca (1972ADD).
    Hier merkt man gleich, das das zuvor Erwähnte schon zutrifft. Marriner läßt äußerst präzise und klangvoll musizieren und macht diese Musik einfach sympatisch (mehr als Strawinsky selbst).
    Ich höre diese Aufnahme von allen Pulcinella-Fassungen am liebsten - mein Favorit.


    Diese TOP-Aufnahme der Pulcinella-Suite befindet sich gekoppelt mit dem schnellsten Feuervogel unter Dorati auf dieser Decca-CD:



    :) Meine dritte CD von der Pulcinella-Suite habe ich wegen der Kopplung anderer Strawinsky-Werke mit Bernstein / NewYorker PH (Aufnahme aus den 70er Jahren) auf SONY/CBS in der hervorragenen dunkelblauen SONY-Royal-Edition (leider gestrichen).
    Auch diese Aufnahme ist sehr gut gelungen und ebenfalls weitaus sympatischer als die erstgenannte Strawinsky-Version. Erreicht aber nicht ganz die federnde Leichtigkeit und Luftigkeit der Marriner-Decca-Aufnahme.


    PS.: Die Marriner Decca-Aufnahme gibt es auch in der Zusammenstellung
    Strawinsky: Pulcinella Suite / Prokofieff: Sinfonie Classique / Bizet: Sinfonie Nr.1
    :hello: Sehr empfehlenswert !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Im Gegensatz zu teleton ziehe ich die Gesamtversion (also mit Gesang) den Suiten vor. Ursprünglich hatte ich die von Alfred genannte Naxos-Aufnahme unter Stefan Sanderling, die ihre Meriten zweifellos hat, inzwischen für mich aber ersetzt wurde durch die knackigerer Aufnahme mit dem Saint Paul Chamber Orchestra unter Hugh Wolff: Gut möglich, dass Alfred hier den von ihm gewünschten aggressiveren Orchesterton eher findet:



    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Hallo,


    von diesem eines meiner Strawinsky-Lieblingswerke habe ich eine wunderbare Aufnahme:

    Diese Aufnahme von Boulez offenbart mir eine Pulcinella, die auf den ersten Blick sachlich, diszipliniert und unspektakulär klingt, genauso mag ich dieses Werk am liebsten. Ich weiß nicht, ob es meine Einbildung ist, aber diese Interpretation ist mehr als andere mir bekannte in der Sprache und Atmosphäre vorklassischer Zeiten (Pergolesi?) gehalten. Die anderen von mir gehörten Aufnahmen sind mir für dieses Werk dagegen etwas zu emotional, zu beweglich.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat


    In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, daß nur etwa die Hälfte der verwendeten Musik wirklich von Pergolesi stammt, aber das tut der Qualität des Werkes nun wirklich keinen Abruch. Strawinsky nimmt die Originale und verfremdet sie auf seine Weise.


    Stimmt genau. Sieben Sätze entnahm Stravinsky aus sechs Triosonaten eines gewissen Domenico Gallo. Überzeugen kann man sich davon auf dieser schönen CD:



    Ich tat mich bisher immer etwas schwer mit diesem Ballett. Ziehe dann doch Petruschka vor. Aber ich habe es lange nicht mehr gehört. Zeit, mein Urteil auf eine harte Probe zu stellen. :)


    LG
    Wulf

  • hallo, mir sagt pulcinella, wie das meiste von strawinsky, auch nur sehr wenig. denn ich HASSE neoklassizismus :angry: :motz: :kotz: :stumm:
    irgendwann werde ichs vielleicht mal wieder versuchen... :wacky:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Hallo klingsor,


    über Deinen Beitrag bin ich schon einigermaßen verwundert.


    Ist nicht der von Dir angeregte Thread zum Ravel-Werk Daphnis und Chloe auch in die gleiche Zeit einzuordnen, wie die Strawinsky-Werke ?


    Ich finde da keinen großen epochalen Unterschied zu Ravel und Strawinsky, die ich Beide gleichermaßen hoch einschätze.
    Zudem finde ich das der Neoklassizissmus ein passendes Mittel dem Hörer ist alte Werke näher zu bringen, die er sonst nie hören wollte.


    :) Zu Strawinsky´s Pulcinella möchte ich nochmal auf die hervorragende und gesangsfreie Pulcinella-Aufnahme mit Marriner / AOTMIDF auf Decca (siehe Thread weiter oben) hinweisen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Ist nicht der von Dir angeregte Thread zum Ravel-Werk Daphnis und Chloe auch in die gleiche Zeit einzuordnen, wie die Strawinsky-Werke ?


    Hmmmm.....
    Strawinskijs Neoklassizismus und der Ravels sind doch zwei paar sehr verschiedene Schuhe, sozusagen Pantoffel und Skischuhe. Bei Ravel ist (zumindest in "Daphnis") keine Spur von der ironischen Distanz und Verfremdung, wie sie für die meisten Werke von Strawinskijs neoklassizistischer Phase typisch ist.


    Was mich betrifft: "Pulcinella" ist IMO Strawinskijs beste neoklassizistische Partitur: Voll von Charme und Witz, funkelnd instrumentiert, frei von den für mich ärgerlichen Verkrampfungen und Stilimitationen, die in vielen anderen seiner neoklassizistischen Werke mein Vergnügen trüben.


    Die Aufnahme mit Boulez ist fabelhaft, flott, frisch, mit schönen klaren Farben. Wer es kräftiger und eine Spur derber mag, kann zu der fulminanten Aufnahme von Robert Craft greifen, die ich, ebenso wie die unter Boulez, unbedingt empfehle:


    ...

  • Mir geht es etwas seltsam mit den Balletten von Strawinsky. Ausgenommen Le Sacre und Feuervogel, die für sich bereits stark genug sind, gewinne ich ihnen zumeist erst dann wirklich etwas ab, wenn ich sie als Ballett gesehen habe - TV genügt.


    So ist es mir nun auch mit Pulcinella gegangen. Bevor ich das Ballett vor ca. einer Woche im Fernsehen (auf Classica) gesehen hatte, hatte mir die Musik nicht sonderlich zugesagt: Ganz nett, fand ich, durchaus auch zeitweise interessant, mehr aber nicht.


    Während ich nun aber parallel zu den Bildern der Musik lauschte - Abbado dirigierte das LSO - stellte ich erfreut fest, wie schön die Musik ist!


    Mein Versuch, diese Schönheit nur lauschend mit Hilfe der von Strawinsky dirigierten Aufnahme erneut zu erleben, missglückte. Von Abbado hatte ich das deutlich besser im Ohr. Eine neue Aufnahme musste her.


    Heute habe ich mir dann die oben von Uwe Schoff empfohlene sehr günstige Boulez-Aufnahme gekauft. Ich höre sie momentan zum zweiten Mal und bin sehr zufrieden.


    Vielen Dank also für die Empfehlung sagt
    Thomas

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Igor Strawinsky hat mit dem Neoklassizistischen Stil überrascht.


    Das Basler Ballett tanzt Igor Strawinskys Pulcinella in der Choreographie von Heinz Spoerli.

    (Version 1980)


    Die Academy of St. Martin in the Fields spielt unter der Leitung von Sir Neville Marriner.


    Auf You Tube findet man die Fernsehaufzeichnung, falls der Link nicht funktioniert.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • 1. Pulcinella nur mit Gesang.

    2. Ein wunderbares Stück, auch ohne Ballett.

    3. Vor Jahren habe ich mal bei einem Freund eine Oper von Pergolesi gehört, wobei dieser blöde Sender (classica) zu dem Werk überhaupt keine Angaben machte.

    4. Strawinskis neoklassische Werke ziehe ich seinen 12-tönigen absolut vor.

    5. Prokofiews erste Sinfonie ist ja ebenfalls, schon im Titel, neoklassisch.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Pulcinella nur mit Gesang.

    Ich habe 3 Aufnahmen der Pulcinella - Suite, die ich auch sehr schätze:

    Es handelt sich um die Pulcinella Suite ohne Gesang, die ich für mich als gerne hörbares Orchesterwerk einstufe und so schätze.


    1. Academy Of St. Martin-in-the-Fields / Neville Marriner (Decca, 1968) - die Klangbeste im Decca-Sound

    2. New Yorker PH / Pierre Boulez (CBS, 1975) - wirkt sehr ausgefeilt

    3. Version 1947 --- New Yorker PH / Leonard Bernstein (SONY, 1960) - wirkt auf mich am spielfreudigsten


    Irgendwo habe ich auch die Pucinella Ballettversion mit Gesang: Das müsste die in der dicken Strawinsky-SONY- Box mit dem komplette Pulcinella - Ballett sein ... höre ich aber wegen des für mich unsympathischen Gesanges nicht !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • da habe ich nun was zum "pingeln" ^^ ... Strawinsky ein Zwölftöner?


    So weit mir bekannt ist, ist z. B. "Agon" aus den 1950er Jahren im Wesentlichen mit Zwölftontechnik gearbeitet. Auch in anderen Werken aus dieser Zeit finden sich wohl ganz klar Reihentechniken. Eine strikte Zwölftontechnik, die im orthodoxen Sinne vollständig Schönberg folgt, liegt in diesen Stücken aber wohl eher nicht vor.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Eine strikte Zwölftontechnik, die im orthodoxen Sinne vollständig Schönberg folgt, liegt in diesen Stücken aber wohl eher nicht vor.

    Auch eine solche "strikte" Zwölftontechnik gibt es bei Strawinsky, z.B. in der "Elegy for JFK":



    Wichtiger als Schönberg war aber für Strawinsky Anton Webern, dessen Werke er in den USA durch Robert Craft kennenlernte, und den er als "Heiligen der Musik" bezeichnete. Der Verzicht auf alles Ornamentale, die Betonung der strengen Konstruktivität bei gleichzeitiger Negierung des Ausdruckshaften, so muss er Webern verstanden und das muss ihn fasziniert haben. Als er in die USA übersiedelte, musste er fast seine gesamte Musikbibliothek zurücklassen und in der Folge mühsam wieder neu aufbauen. Aus seiner Korrespondenz mit Musikalienhändlern und Verlagen weiß man daher, welche musikalischen Schwerpunkte ihn in dieser Zeit besonders beschäftigten: Es waren auf der einen Seite die alten Meister wie Machaut, Binchois, Couperin, Byrd, Schütz, Purcell, Palestrina, Ockeghem usw., auf der anderen Seite die Vertreter der zweiten Wiener Schule. In deren Sinne verwendete er die Erscheinungsformen der Reihe (Original, Umkehrung, Krebs, Krebsumkehrung sowie deren Transpositionen), kombinierte sie aber oft mit der eigenen "Schablonentechnik" oder "Baukastentechnik". Noch als 80Jähriger nannte er Machaut und Webern als die Komponisten, die sowohl ihm als auch einander nahestünden.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Auch eine solche "strikte" Zwölftontechnik gibt es bei Strawinsky, z.B. in der "Elegy for JFK"


    Vielen Dank, das wusste ich noch nicht (so hat man wieder etwas gelernt)! "Agon" zählt zu meinen persönlichen Lieblingsstücken von Strawinsky, aber die "Elegy" kannte ich bisher tatsächlich noch nicht.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler