Schuberts Winterreise in liedanalytischer Betrachtung

  • Zit: „Oder doch?“


    Dieses zweifelnde „Oder doch?“ von Dir, lieber hami, verstehe ich nun meinerseits nicht so recht. Ich lese Deine Worte „Mein Sprachgefühl, fürchte ich, hat in meinem Exil sehr gelitten“ als rein rhetorische Äußerung und nehme sie Dir nicht wirklich ab. Deshalb habe ich auch einige Zeit mit einer Antwort darauf gezögert. Nun denke ich aber doch, dass ich Dir antworten sollte. Du hast ja nicht ohne Grund diesen Beitrag hier eingestellt. Also denn!


    Der Text Müllers in diesem Vers ist in seiner Aussage völlig eindeutig, vor allem, wenn man ihn im Kontext des ganzen Gedichts und insbesondere in dem des nachfolgenden Verses liest.
    „Was fragen sie nach meinen Schmerzen?
    Ihr Kind ist eine reiche Braut.“
    „Sie“, - das sind die Bewohner in des „schönen Liebchens Haus“, auf dem sich gerade die Wetterfahne dreht, die den daraus Vertriebenen zu allerlei tiefsinnigen, depressiven aber auch kritischen Betrachtungen anregt.
    Eine dieser reflexiven Betrachtungen weist nicht nur eine existenzielle, sondern zusätzlich eine gesellschaftkritische Dimension auf. Die Bewohner dieses Hauses, und damit sind ja wohl die Eltern der intendierten „Braut“ gemeint, fragen nicht nach all dem, was sich im Innern des aus diesem Haus Vertriebenen ereignet, nach seinen seelischen Schmerzen also, die ihn nun bedrücken. Sie tun das nicht, weil sie einer bürgerlichen Welt angehören, in der Menschen nach ihrem gesellschaftlichen Stand und ihrem Potential an materieller Wertschöpfung beurteilt werden, - und nicht nach ihrem genuin menschlichen Wert. Der in die Winter-Wanderschaft Getriebene empfindet in diesem Augenblick eine abgrundtiefe Kluft zwischen dieser Welt und seiner eigenen, und die „Wetterfahne“ wird ihm zum Symbol für diese existenzielle Erfahrung.


    Das ist – das nebenbei, und das Zitat, das Du bringst, nimmt ja Bezug darauf – eine existenzielle Erfahrung, die Schubert mit diesem Protagonisten seiner „Winterreise“ teilt.
    Wer diesen Vers aus der Übertragung ins Englische mit den Worten „"Warum fragen sie nach meinen Schmerzen?" rückübersetzt, hat ganz einfach nichts kapiert.
    Es erscheint mir müßig, sich über derlei dummes Zeug Gedanken zu machen.
    Übrigens, dieser Vers wird von einem Übersetzer, der lyrisches Deutsch wirklich zu lesen und ins Englische zu übertragen versteht, etwa so übersetzt, wie in dem Text-Heft zur DG-Aufnahme mit Fischer-Dieskau und Gerald Moore:
    „What should they care how much it smarts?”

  • Wer diesen Vers aus der Übertragung ins Englische mit den Worten „"Warum fragen sie nach meinen Schmerzen?" rückübersetzt, hat ganz einfach nichts kapiert.


    Könnte man meinen, lieber Helmut, doch frage ich mich, wie ein Schubert-Kenner wie Ian Bostridge die englische, ebenfalls falsche Übersetzung sanktionieren konnte.

  • Zit.: "Könnte man meinen,"
    Sei mir nicht böse, lieber hami, aber in diesem Konjunktiv kann ich Dir nicht folgen. Dieser Vers ist so zu lesen, wie ich ihn interpretiert habe. Das ist keine Rechthaberei, sondern die Feststellung eines schlichten sprachlich-semantischen Sachverhalts.
    Was immer die Gründe sein mögen, warum diese seltsame und sachlich völlig unzutreffende Übersetzung von Müllers Vers in das Buch von Ian Bostridge geraten ist, - ich mag darüber nicht spekulieren. Dass er die Rückübersetzung "sanktioniert" haben könnte, mag ich ihm gar nicht zuschreiben. Er kennt und singt doch Schuberts Lied in interpretatorisch schlüssiger Weise im Original-Text und muss ihn aus diesem Grund auch verstanden haben. Also liegt vermutlich ein Fall von redaktioneller Nachlässigkeit vor.
    Noch einmal: Wer die genus-spezifische und objektorientierte deutsche Fragepartikel "was" mit dem englischen "why" übersetzt, dokumentiert damit seine Unkenntnis deutscher Sprache.
    (Ich mag hier nicht als Lehrmeister in Sachen deutscher Syntax auftreten. Aber wenn es Dir wichtig ist, lieber hami, lasse ich mich gern darüber etwas detaillierter aus . Aber auch hier noch einmal: Ich mag Dir deine Zweifel nicht abnehmen. Du betätigst Dich hier im Forum in zu perfektem Deutsch, als dass es Dir in Deinem Schweden da oben abhanden gekommen sein könnte!)

  • Sei mir nicht böse, lieber hami, aber in diesem Konjunktiv kann ich Dir nicht folgen.


    Womit Du natürlich Recht hast. Der Konjunktiv hat sich eingeschlichen, weil ich mich auf die etwas merkwürdige Tatsache konzentriert hatte, dass hier ein Fehler wiederholt wurde und zwar in der Übersetzung ins Niederländische, das dem Deutschen doch so nahe ist, dass ein Übersetzer auch das deutsche Original hätte heran ziehen können, um Fehler zu vermeiden.
    Allerdings hat die deutsche Sprache viele Tücken und selbst die besten Übersetzer können straucheln. Unser "was" gehört dazu und der Gebrauch des Artikels oder dessen Abwesenheit noch mehr. "Suche netten Riesen" habe ich oft an ausländischen Opfern getestet, die ausgezeichnet deutsch sprachen. Meistens lief es auf einen Plural hinaus,
    vermutlich mit der Assoziation: die netten Riesen.
    Wollen wir also Nachsicht üben und annehmen, dass unter den Mühen des Übersetzens die Frage nach der Logik für einen Augenblick vergessen wurde.

  • Was fragen sie nach meinen Schmerzen?“


    Bemerkenswert ist, wie Schubert seinen Winterreisenden diese Frage melodisch vorbringen lässt. Die melodische Linie bewegt sich nach einem Sekundsprung wie bohrend auf nur einer tonalen Ebene um eine kleine Sekunde auf und ab und geht am Ende in einen Terzfall über. Dabei bleibt es aber nicht. Diese Bewegung wird noch zwei Mal wiederholt, beim zweiten Mal um eine Sekunde in der tonalen Ebene angehoben und mit einer harmonischen Rückung verbunden.
    Das will vernommen werden als ein drängender Ruf aus einer tief verletzten Seele, mehr schmerzerfüllter Klageruf denn eine Frage. Und eigentlich richtet er sich auch nur vordergründig an die, die da drinnen im Haus wohnen, vor dem dieser Mensch gerade steht. Im Grunde ist es ein Ruf, der aus der seelischen Innenwelt nach draußen dringt und der existenziellen Situation geschuldet ist, in der er sich wiederfindet und in der sich nun seine Wanderschaft ereignet.
    Diese melodische Linie, ihre Harmonisierung und ihre Begleitung, die sich hier auf die Deklamation akzentuierende Akkorde beschränkt, zeigt wieder einmal, wie tief Schubert mit seiner Liedmusik in die lyrische Sprache Müllers vorgedrungen ist. Denn diese fragt ja nicht „Warum fragen sie nicht nach meinen Schmerzen?“ Das „Was“ mit dem dieser Vers einsetzt, ist die sprachliche Eröffnung einer Frage, die Klage und Anklage zugleich ist. Und so hat Schubert diesen Vers auch vertont.

  • Hallo,
    was irgendwelche Hin- und Her-/Rückübersetzer falsch gemacht haben ist völlig nebensächlich - Bostridge singt und interpretiert den von Schubert komponierten Originaltext von Müller und das macht er ganz überragend, incl. einer fast tadellosen, fehlerfreien Aussprache; schließlich ist er ein auf vielen Gebieten hochgebildeter Mensch und Sänger, dem viele seiner Kollegen "das Wasser nicht reichen können" (ganz unabhängig davon ob seine Stimme gemocht wird oder nicht).


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zit.: "was irgendwelche Hin- und Her-/Rückübersetzer falsch gemacht haben ist völlig nebensächlich"


    Darin ist Dir - aus meiner Sicht - gewiss zuzustimmen, lieber zweiterbass. Dass wir in bezug auf Bostridges "Winterreise"-Interpretation unterschiedlicher Meinung sind, dürfte Dir bekannt sein. Also kein Wort darüber. Wäre hier auch fehl am Platz.


  • Im englischen Original des Buches wird immer der deutsche Text des Liedes vorangestellt, gefolgt von einer Übersetzung, die hier lautet: "Why do they ask about my sorrows?"; diese Zeile wird dann im Text wiederum zitiert. Wenn der deutsche Übersetzer dies zurückübersetzt mit "Warum fragen sie nach meinen Schmerzen?", dann ist das zumindest fragwürdig. Ob nun allerdings "was" oder "warum", der Sinn ist sicherlich der von Dir gemeinte: was kümmern sie meine Schmerzen, warum interessieren sie sich dafür, wo doch ihr Kind einen reichen Bräutigam gefunden hat.

    Liebe Freunde,


    hier scheint mir das Problem auf Seiten der Rückübersetzung ins Deutsche zu liegen.


    Im Englischen kommt dem "Why" zumal als Eröffnung einer Phrase, sei sie zum Schein oder tatsächlich fragend formuliert, eine Nebenbedeutung zum wörtlichen kontextuellen "Warum" zu. In Shakespeare´s Sonnet Nr. 130 wird:


    If snow be white, why then her breasts are dun


    nicht etwa übersetzt durch:


    Wenn Schnee weiß ist, warum sind ihre Brüste dann falb?


    sondern wie folgt:


    Wenn schnee weiß ist so ist ihr busen fahl (George)


    "Why" könnte man hier beinahe durch "well" ersetzen, eine ganz allgemein einräumende Anknüpfung an Gesagtes oder Gedachtes, das man gleichsam im Stillen voraussetzt, ohne es zu billigen, also dem Sinne nach zwischen "na gut!" oder "und wenn schon!" changierend, um bloß zwei Beispiele zu nennen.

    Wenn, wie ich vermute, im englischen Originaltext dieses wegwerfende "why" Verwendung findet, so ist der Sinn der Übersetzung:


    "Fragen sie etwa nach meinen Schmerzen?"


    Da auch diese Auslegung durch Müllers Vers abgedeckt wird, geht es mir hier vor allem darum, diesen weitaus trotzigeren Gestus hervorzuheben, den Schubert den Worten ja musikalisch unterlegt - auch die Wiederholung der Phrase hat dieses Persistierende; "Was kümmert sie usw." läßt, für mein Sprachgefühl wenigstens, die Nuance der Provokation vermissen, klingt allzu resignierend und selbstbezogen. Gleichwohl wäre zu diskutieren, inwiefern das ganze Lied die Ohnmacht ungehaltener Schmähreden reflektiert, die jede betrogene Liebe kennt.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber Farinelli,


    lese ich richtig, dass Du heute einen Beitrag gepostet hast. Wenn das stimmt wärst Du wieder im Forum aktiv. Eine große Freude, wenn Du wieder regelmäßig bei uns mitmachen würdest.

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Eine große Freude, wenn Du wieder regelmäßig bei uns mitmachen würdest.

    O ja!

    Hocherfreut bin ich - und das aus gleich mehreren Gründen - , unser geschätztes Mitglied farinelli nach so langer Anwesenheit endlich wieder hier im Forum anzutreffen.

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  • ELISABETH

    Dich, teure Halle, grüss' ich wieder,
    froh grüss' ich dich, geliebter Raum!
    In dir erwachen seine Lieder,
    und wecken mich aus düstrem Traum. -
    Da er aus dir geschieden,
    wie öd' erschienst du mir!
    Aus mir entfloh der Frieden,
    die Freude zog aus dir. -
    Wie jetzt mein Busen hoch sich hebet,
    so scheinst du jetzt mir stolz und hehr;
    der dich und mich so neu belebet,
    nicht länger weilt er ferne mehr.
    Sei mir gegrüsst! sei mir gegrüsst!
    Du, teure Halle, sei mir gegrüsst!


    Liebe Freunde,


    ich empfinde eine große Freude und Rührung, alle, zumal die betagteren unter uns, hier weiterhin rege und engagiert zu finden. Das ist zumal heutigentags nicht selbstverständlich. Bleibt mir nur alle gesund und erhalten!

    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • . . . alle, zumal die betagteren unter uns, hier weiterhin rege und engagiert zu finden. :hello:

    Das täuscht, lieber farinelli. Jedenfalls was mich betrifft, der ich zu diesen Betagten, nicht "Betagteren" gehöre. "Engagiert" ja, aber mit mit dem "rege" ist es nicht mehr weit her.


    Mit einem kurzen Blick in diesen Thread ist mir bewusst geworden, dass ich das nicht mehr könnte: So spontan, aus dem Handgelenk heraus mich auf einen Dialog mit Anderen, Dir zum Beispiel, einzulassen. So "rege" ist mein Geist nicht mehr. Ich brauchte Tage, um mich auf diesen von Dir oben eingebrachten Gedanken:

    "Gleichwohl wäre zu diskutieren, inwiefern das ganze Lied die Ohnmacht ungehaltener Schmähreden reflektiert, die jede betrogene Liebe kennt."

    auf detaillierte und sachlich fundierte Weise einlassen zu können. Und selbst dann erreichte ich damit nicht die gedankliche Tiefe, zu der ich in diesem Thread zum Beispiel noch in der Lage war.


    Müde bin ich geworden, - in all den Tausenden von Seiten, die ich in Gestalt von Sachbeiträgen zum Thema "Kunstlied" dieses Forums beigetragen habe.

    (Diesen Beitrag bitte nicht kommentieren. Er wird, da rein persönlich, alsbald wieder gelöscht)

    (Ich sehe (nach 22 Stunden): Das Löschen würde die nachfolgende Antwort von farinelli nicht mehr voll verständlich machen. Also lasse ich´s)

  • Verehrter, geschätzter Helmut Hofmann,


    ich denke doch, daß deine Sorgfalt, stehe sie der Spontaneität auch entgegen, deinen Beiträgen allererst zu ihrer Qualität verhilft. Ich sehe da eine Kontinuität bis zu deinem gegenwärtigen Schubert-Thread. Die Fülle deiner Beiträge verstellt dir vielleicht die Sicht darauf. Oder der naturgemäß begrenzte Austausch über diese spezielle Materie verstärkt den Eindruck einsamen Wirkens.

    Meine ausgedehntere Abszenz hienieden hat damit gar nichts zu tun, hatte sehr persönliche Gründe. Aber ich habe nie aufgehört, über deine Thesen nachzudenken; im Grunde wollte ich mich immer nur mit dir auseinandersetzen, denn im Leben habe ich niemanden, der solche Interessen teilt. Nimm dies als Ausdruck meiner tief verpflichteten Dankbarkeit für alles, was du ersinnst und zu Papier bringst, wenn ich so sagen darf.


    Um zur Wetterfahne zurückzukommen: Es ging mir in meinem letzten Beitrag um die Aggression, die Schuberts Vertonung der letzten Strophe herausbringt. So wenig schmeichelhaft, wie das ganze Stück in den Ohren der jungen Dame klingen muß - der Wanderer exkulpiert sich gewissermaßen: Das "nur nicht so laut" präludiert dem kalkulierten Ausbruch, bei dem es auch musikalisch laut wird. Hier setzt sich der Dichter, man überliest es leicht in den kalenderspruchhaften Versen, über das konventionelle Gebot, gewisse Dinge nicht auszusprechen, vehement hinweg. "Fragen sie vielleicht nach meinen Schmerzen?" "Die Tochter wird ja teuer genug verkauft!"


    Die Deutung mancher Interpreten von der Wetterfahne als "aufgestecktes" Bordellschild hat erst hier, als Assoziationsmoment, ihre Berechtigung; sie unterfüttert die Ungeheuerlichkeit aller im Lied erhobenen Vorwürfe, nicht deren sachliche Seite. Daraus folgt aber zugleich, daß das lyrische Ich die Ungerechtigkeit seiner Rede zum Teil einholt. "Nun gut, ich werde ihr jetzt weh tun. Kümmert die da denn, wie es mir ergeht?"


    So oder ähnlich meinte ich das.


    :hello:

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  • Kleiner Nachtrag zu Nr. 19, Täuschung


    Liebe Freunde,


    es bleibt nicht ohne Ironie, sich ausgerechnet angelegentlich dieses Liedes getäuscht zu haben.


    Es lag ja stets nahe, Nr. 9 und Nr. 19, Irrlicht und Täuschung in einen Zusammenhang zu stellen. Bestimmen landschaftliche Bestimmtheit und Allegorik das erstere, so hat das zweite, hier betrachtete Stück schon textlich den Vorzug, in wenigen Worten vielsagend zu sein.


    Nun habe ich, um mit der Tür ins Haus zu fallen, beim gestrigen Querhören von "Alfonso und Estrella" zu Beginn der zweiten Aktes die Ballade vom Wolkenmädchen kennengelernt. Innerhalb dieser Erzählung bildet unser Lied Nr. 19 - musikalisch, nicht textlich - bloß eine Episode.


    Schubert zitiert sich hier also selbst. Ich behaupte einmal, ganz stark, daß der Anfang des zweiten Aktes insgesamt eine poetische Meisterleistung darstellt, deren wenige Bekanntheit mich wundert. Es handelt sich in toto um eine wunderbar atmosphärische Evokation des Unirdischen, wie wir es bei Brahms (Ihr wandelt droben im Licht), im Vorspiel zum zweiten Rheingold-Bild, vielleicht im Sanctus des Fauréschen Requiems und anderswo finden. Die schillernde, romantisch-erotische Begebenheit, nach der ein schlummernder Jägersmann im Traume gleichsam von einem Feenwesen ins Wolkenreich entführt wird und dort, im Begriff, das Mädchen zu ergreifen, ins Leere und in den Tod stürzt, spielt nicht, wie Müllers Gedicht, mit dem eingeweihten Wissen des Getäuschten. Dafür wird das Locken der zauberischen Wolkenwelt und ihrer zweideutigen Numinosität erlesen ausgemalt.


    Ich behaupte hier, auch ganz stark, daß Winterreise Nr. 19 ohne Kenntnis dieses immanenten Bezugs gar nicht adaequat zu verstehen sei. Immer schon kam es mir zitathaft und aphoristisch vor. Das warme Haus mit einer lieben Seele drin mag an des schönen Liebchens Haus von Nr. 2 denken lassen, oder an Rilkes "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr" - ich habe im Deutschunterricht gelernt, daß es dabei um das Haus eines Glaubens geht, nicht um die selbst errichtete Immobilie. Müllers knapper Text läßt verschiedene Ausdeutungen zu - die halb bewußt eingestandene Selbsttäuschung kann gar nicht radikal genug begriffen werden. Wie ja die Obdachlosigkeit des Winterreisenden eine umfassende ist.


    :hello:

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    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Heute hat Helmut Hofmann in einem anderen Thread geschrieben, dass er den langen Diskussionen über die "Winterreise" regelrecht nachweine.

    Angesichts der vielen gehaltvollen Einträge (vor allem von ihm selbst aber nicht nur), kann ich das gut verstehen.

    Ich habe von den Diskussionen, die sich hier über Jahre zogen, sehr profitiert, als ich mir diesen Thread vor einiger Zeit durchgelesen habe. Danke.

    In gut zwei Wochen werde ich das Vergnügen haben, in einem Salon in privatem Rahmen (vielleicht ähnlich wie zu Schuberts Zeiten) von Profimusikern (Klavier und Tenor) diesen Liedzyklus hören zu dürfen. Ich bin gebeten worden, eine kurze Einführung zu geben. Wie soll man all das nur zusammenfassen?

  • Lieber Helmut Hofmann,


    ich habe deinen mittlerweile gelöschten Beitrag sehr wohl gelesen und ich danke dir sehr dafür, dass du extra noch einmal einen so langen Text verfasst hattest. Es waren durchaus noch einmal Anregungen enthalten und ich bin nun mit meiner Einführung quasi fertig.

    Man muss so etwas ja immer dem Anlass entsprechend machen.


    Die Einführung wird aus zwei Teilen bestehen:


    Einem kurzen Vortrag von mir - höchstens zehn Minuten (Entstehungsgeschichte, Inhalt, Literarische Qualität, Musik).


    Einem Handout von zwei Seiten, auf dem die nummerierten Lieder und die Angangszeile angeführt sind. Und dann

    Hinweise zur Musiksprache Franz Schuberts und sonstigen Besonderheiten in den einzelnen Liedern. Alles nur andeutungsweise, sodass die Zuhörer während des Vortrags kurz und schnell informiert sind, worauf sie ihre besondere Aufmerksamkeit richten können.


    Noch einmal Danke. Auch, wenn du alles wieder gelöscht hast, ich weiß deine Antwort zu schätzen. Der Wille steht für das Werk und inhaltlich hast du in diesem Thread wahrhaftig genug gesagt, von dem ich lernen kann.

  • Hä, wieso gelöscht, ich habe es auch gelesen und wollte gerade was posten! ;(


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Hatte es leider noch nicht komplett gelesen. Schade, daß der Beitrag nun weg ist. Meine Hoffnung war ja, in dieser quasi Zuammenfassung einen Anreiz zu finden, mir den Thread genauer vorzunehmen..

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)


  • Hatte es leider noch nicht komplett gelesen. Schade, daß der Beitrag nun weg ist.


    Ich dachte plötzlich:

    Es war ein Fehler, greghauser über mein Verständnis der "Winterreise" zu informieren. Das hat er doch gar nicht nötig, in dieser Weise von mir "belehrt" zu werden. Und seine Frage "Wie soll man das zusammenfassen?" war ja doch überdies gar nicht an mich gerichtet. Also habe ich gelöscht und war regelrecht erleichtert danach, dass diese Anmaßung meinerseits aus der Welt war.


    Aber wenn ich nun sehe, dass es doch ein Interesse daran gibt, stelle ich den Text, den ich ja noch habe, weil er von mir wie üblich erst verfasst und dann eingestellt wurde, wieder ein:

    ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

    Hier eine Skizze, wie man - aus meiner Sicht - Schuberts "Winterreise" in ihrer Kernaussage verstehen und interpretieren kann.

    Das Thema der Winterreise ist nicht das ziellose Herumirren in winterlicher Landschaft aus enttäuschter Liebe. Der zentrale Inhalt des Werkes ist die musikalische Gestaltung einer existentiellen Grenzerfahrung.
    Ich verwende diesen Begriff im Sinne der Existenzphilosophie von Karl Jaspers: In "Grenzsituationen" begegnet der Mensch der unüberholbaren Endlichkeit seiner Existenz und erfährt dabei eine fundamentale Erschütterung seines bisherigen Lebens.


    Das Schlüsselwort des Liederzyklus wird gleich am Anfang geliefert. "Fremd" ("bin ich eingezogen"). Die Erfahrung, von der das lyrische Ich im ersten Lied berichtet, ist die eines Fremdlings in einer bürgerlichen Welt, die sich ihm als Ehe in der Geborgenheit eines Hauses darstellte. Nicht um enttäuschte Liebe geht es also, sondern um das Scheitern der Hoffnungen auf die existentielle Sicherheit und Geborgenheit eines bürgerlichen Lebens.


    Das lyrische Ich sieht sich in diesem Augenblick in die Heimatlosigkeit verstoßen. Die Rolle der Frau in diesem Zyklus ist allein auf diesen Akt beschränkt. Das zweite Lied ("Die Wetterfahne") beschreibt in eindrucksvollen Bildern genau diese Erfahrung des Ausgestoßen-Seins aus der bürgerlichen Existenzform. Diese wird jetzt in ihrer Fragwürdigkeit gesehen: Auf dem Dach des Hauses das Symbol der wetterwendischen Metallfahne, und drinnen keine "Treue" (Bindung, Halt, Geborgenheit), sondern die Orientierung an rein materiellen Werten ("Ihr Kind ist eine reiche Braut"):

    Nicht-aufgenommen-Werden in diese Welt bedeutet Wanderschaft. Diese Wanderschaft ereignet sich in der Gegenwelt, der Antithese zur bürgerlich-häuslichen Geborgenheit: In der eisig-winterlichen, menschenfeindlichen Natur. Das Wort "Winter" im Namen dieses Liederzyklus ist also als Metapher zu verstehen. Es geht Müller und Schubert also nicht(!) um die Beschreibung einer realen Winterlandschaft, sondern um die Schilderung von Stationen einer existenziellen Grenzerfahrung in der Begegnung mit Eis und Schnee, das heißt letzten Endes: mit dem Tod.

    Alle Bilder, die in der Folge der Lieder in lyrischer und musikalischer Sprache entworfen werden, sind also eigentlich Chiffren. Sie handeln von der Begegnung mit dem Tod in Form einer winterlich erstarrten Natur (Lied 4: "Erstarrung"). Tränen können nicht mehr rinnen, weil sie zu Eis geworden sind, der Fluss kann unter seiner Eisdecke nicht mehr rauschen, der Baum ist im Begriff, das letzte Blatt abzuwerfen. Es ist eigentlich auch schon tot.


    Begleiter des Wanderers ist die Krähe, der Vogel des Todes, und am Himmel steht eine Sonne, die nicht mehr wärmen und Leben spenden kann. Wie ein Schemen taucht am Rande des Wegs noch einmal die Verheißung von Geborgenheit in einer bäuerlichen Welt auf. Aber im nächtlichen Dorf rasseln die Hunde mit ihren Ketten und die Bewohner sind in teilnahmslosen tiefen Schlaf versunken.

    Die Kulmination dieser existentiellen Grenzerfahrung ereignet sich, als der Wanderer auf einen "Totenacker" gerät. Müller nennt ihn nicht "Friedhof", weil das Wort "Friede" nicht mehr zur Lebenswelt dieses Wanderers gehört. Der Tod ist sein Wandergeselle. Die lyrischen Bilder dieses Liedes ("Das Wirtshaus") sind von einer erschreckenden Direktheit in ihrer Wirkung. Ein seltsam matter, müder Ton beherrscht die Verse und auch Schuberts Musik. Der Wanderer weiß ja längst, dass er Geborgenheit nicht mehr finden kann. Die Assoziation "Wirtshaus - Totenacker" stellt sich nicht als Schreckenserlebnis ein, sondern entspringt einer abgrundtiefen Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit.

    Fast möchte der Wanderer das stumme Angebot dieser Herberge annehmen, aber sie ist besetzt. Er wird selbst an diesem Ort noch abgewiesen, und es bleibt ihm nichts anderes, als sich noch einmal aufzuraffen: "Nur weiter denn, nur weiter ...!" Wohin? Zum Leiermann.


    Dem Lied „Der Leiermann“ kommt ein besonderes Gewicht im Sinne eines das Werk beschließenden Epilogs zu. Es ist ja doch – einmal abgesehen von seiner kompositorischen Faktur – allein schon dadurch ein unter den anderen herausragendes Lied, dass der Wanderer hier erstmals einer zwar höchst wunderlichen und befremdlichen, aber doch menschlichen Gestalt begegnet. Mutter und Geliebte spielen nur in der Retrospektive eine Rolle, und der „Köhler“ nur als Eigentümer des „engen Hauses“, in dem der Wanderer vorübergehend Obdach fand. Man kann das Lied also durchaus als gleichsam „vor dem Vorhang“ eines zuvor abgelaufenen seelischen Dramas gesungen verstehen.


    Was aber hieße das nun für sein Verständnis?

    Man darf mit guten Gründen davon ausgehen, dass Schubert sich mit der Figur seines „Winterreisenden“ in existenziell fundamentaler Weise identifiziert hat. Schubert aber war Musiker, Komponist, kreativer Künstler. Wenn nun der Protagonist seiner „Winterreise“ in der Begegnung mit dieser befremdlichen Gestalt des „Leiermanns“ nach all den Stationen seiner Wanderschaft zum ersten Mal von „meinen Liedern“ spricht, indem er an diesen die Frage richtet: „Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn?“ - wie ist das dann zu verstehen?

    Vielleicht so. Hier begegnet der die Einsamkeit der gesellschaftlichen Exorbitanz, in eine existenzielle Grenzsituation also geratene Protagonist der „Winterreise“ erstmals einer Figur, mit der er sich in eben dieser existenziellen Grundsituation zu identifizieren vermag. Denn es heißt ja von dieser: „Keiner mag ihn hören, keiner sieht ihn an“. Alle anderen Versuche des Wanderers, einen Ort des Zu-Hause-sein-Könnens zu finden, sind ja doch gescheitert. Selbst das „unter den Schläfern säumen“ ist ihm verwehrt. Am Ende von „Das Wirtshaus“ muss sich der Wanderer die Parole seines Lebensweges regelrecht einhämmern: „Nur weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab.“


    Und da taucht mit einem Mal diese Figur des Leiermanns auf, dieser „wunderliche Alte“. Schubert hat ihn ja doch im Grunde als einen Doppelgänger des Wanderers komponiert. Die melodische Linie, die er vor sich hin leiert, weist in ihrer Struktur eine auffällige Ähnlichkeit mit der des Wanderers auf. Und indem der Wanderer diesen seinen Doppelgänger anspricht und ihn fragt, ob er mit ihm sein künftiges Leben teilen möchte, indem er zu „seinen Liedern“ die Leier dreht, vollzieht er den entscheidenden Akt in seiner „Winterreise“:
    Er identifiziert sich in diesem Augenblick mit seiner Existenz als gesellschaftlich exorbitanter Mensch und rafft sich auf diese Weise zu einem Entwurf von existenzieller Zukunft auf.
    Dass der „Leiermann“ auf seine Frage nicht wirklich antwortet, sondern, nach einer nur ganz kleinen Geste des Reagierens auf diese, in seinem befremdlich mechanischen Leiern fortfährt, hat für diese Entscheidung des Wanderers keinerlei Bedeutung. Er hat sie in seiner Einsamkeit subjektiv souverän getroffen.


    Schubert hatte persönlich allen Grund, seine "Winterreise" einen "Zyklus schauerlicher Lieder" zu nennen. Diese Lieder sind - wie auch das Lied "Der Wanderer"! - Ausdruck seiner ganz eigenen existenziellen Grundbefindlichkeit.

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  • Lieber Helmut Hofmann vielen Dank für das Wiedereinstellen des Textes!

    Dem schließe ich mich gerne an! :)


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Dem schließe ich mich gerne an! :)

    Ich auch. Danke, Helmut.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Ich habe Deinen Text ebenfalls mit Gewinn gelesen, lieber Helmut, und freue mich auch und bedanke mich, dass Du ihn wieder eingestellt hast.

  • Danke Dir, werter Helmut, für diese Überblicksinterpretation. Sie würde jeglichem Konzertführer Ehre machen!


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Die kleine Sekunde spielt in diesem Lied eine große Rolle. Nicht nur am Anfang zeigt sich das, sondern noch einmal in der letzten Strophe. Durchweg herrscht ja in den ersten drei Strophen die Tonart d-Moll vor. Mit Beginn der vierten Strophe aber ("Will dich im Traum nicht stören...") treten Dur-Klänge an die Stelle des Molls: A-Dur-Harmonien erklingen.


    Der Grund: Der Wanderer verlässt in einer Vision seine "reale" Situation, in der er in den vorangegangenen Strophen gefangen war. Er stellt sich vor, er könne noch einmal mit seiner ehemaligen Geliebten sprechen, und er tut das auch. Dieses Ansprechen der Geliebten ist eine Art visionärer Ausbruch aus der vom d-Moll geprägten Realsituation, und deshalb setzt Schubert hier die neue, helle Tonart A-Dur ein.

    Auch wenn der Beitrag schon älter ist: Das Tonartenverhältnis ist hier falsch beschrieben. Die vierte Strophe wechselt nicht von d-Moll nach A-Dur sondern nach D-Dur. Der Grundton bleibt also gleich.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • (...) Das Tonartenverhältnis ist hier falsch beschrieben. Die vierte Strophe wechselt nicht von d-Moll nach A-Dur sondern nach D-Dur. Der Grundton bleibt also gleich.

    Richtig! Danke für den Hinweis!

    Hab mich wohl verlesen, was ich eigentlich nicht verstehe, denn die zwei Kreuze vor dem Einsatz der melodischen Linie auf diesen Worten sind ja nicht zu übersehen. Könnte also ein Tippfehler sein.

    An der Interpretation der liedmusikalischen Aussage ändert das aber nichts, denn dafür ist der Umschlag von Moll- in Dur-Harmonisierung der Melodik maßgeblich.

  • Richtig! Danke für den Hinweis!

    Hab mich wohl verlesen, was ich eigentlich nicht verstehe, denn die zwei Kreuze vor dem Einsatz der melodischen Linie auf diesen Worten sind ja nicht zu übersehen. Könnte also ein Tippfehler sein.

    An der Interpretation der liedmusikalischen Aussage ändert das aber nichts, denn dafür ist der Umschlag von Moll- in Dur-Harmonisierung der Melodik maßgeblich.

    Das stimmt, und diese Stelle ist ein besonders intensives Beispiel dafür, dass Durwendungen in Mollkontexten bei Schubert meist keine "Aufhellung" darstellen sondern im Gegenteil noch tiefer in Schmerz, Trauer, Einsamkeit führen oder Todesnähe ausdrücken. Andere Beispiele wären etwa der Schluss von "Der Tod und das Mädchen", das Ende des Andante sostenuto aus der B-Dur-Sonate und viele mehr. Jürgen Uhde hat deshalb zu Recht geschrieben, dass das Dur bei Schubert oft ein "potenziertes Moll" ist.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Jürgen Uhde hat deshalb zu Recht geschrieben, dass das Dur bei Schubert oft ein "potenziertes Moll" ist.

    Ja, richtig! Aber ich weiß nicht, ob man diese Stelle im Lied "Gute Nacht" in diesem Sinne zu verstehen hat.

    Ich interpretiere sie so:

    Grundsätzlich, und das ist ein Wesensmerkmal der „Winterreise“, benutzt Schubert den Wechsel der Tonart ganz bewusst, um einen Perspektivwechsel in den Äußerungen des Wanderers hörend nachvollziehbar und -fühlbar werden zu lassen.

    Wenn er nun hier in der Harmonisierung nicht, wie ich fälschlicherweise schrieb, eine Rückung von d-Moll nach A-Dur vornahm, also keinen Wechsel der Tonart, sondern nur einen Wechsel im Tongeschlecht in der Tonart „D“, dann will er wohl deutlich machen, dass sich im lyrischen Ich an dieser Stelle kein tiefgreifender Perspektivwechsel ereignet, sondern ein Wandel in der der lyrischen Aussage zugrundeliegenden Haltung, - in der Haltung der schlafenden Frau gegenüber, von der er gerade Abschied nimmt.

    Es ist eine tongeschlechtlich bedingte Anmutung von Zärtlichkeit in der nun in Dur harmonisierten Melodik zu vernehmen, darin auch die Worte "will dich im Traum nicht stören" reflektierend.

    Vielleicht ein Nachklang der Empfindungen, die er dieser Frau gegenüber hegte.


    Aber natürlich ist das meine ganz subjektive Deutung dieser Stelle. Auf keinen Fall würde ich dafür eine Allgemeingültigkeit in Anspruch nehmen.

  • Es ist eine Anmutung von Zärtlichkeit in der nun in Dur harmonisierten Melodik zu vernehmen, darin auch die Worte "will dich im Schlaf nicht stören" reflektierend.

    Vielleicht ein Nachklang der Empfindungen, die er dieser Frau gegenüber hegte.

    Sicherlich, aber doch auch der Schmerz eines endgültigen Abschieds.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

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