Zit: „Oder doch?“
Dieses zweifelnde „Oder doch?“ von Dir, lieber hami, verstehe ich nun meinerseits nicht so recht. Ich lese Deine Worte „Mein Sprachgefühl, fürchte ich, hat in meinem Exil sehr gelitten“ als rein rhetorische Äußerung und nehme sie Dir nicht wirklich ab. Deshalb habe ich auch einige Zeit mit einer Antwort darauf gezögert. Nun denke ich aber doch, dass ich Dir antworten sollte. Du hast ja nicht ohne Grund diesen Beitrag hier eingestellt. Also denn!
Der Text Müllers in diesem Vers ist in seiner Aussage völlig eindeutig, vor allem, wenn man ihn im Kontext des ganzen Gedichts und insbesondere in dem des nachfolgenden Verses liest.
„Was fragen sie nach meinen Schmerzen?
Ihr Kind ist eine reiche Braut.“
„Sie“, - das sind die Bewohner in des „schönen Liebchens Haus“, auf dem sich gerade die Wetterfahne dreht, die den daraus Vertriebenen zu allerlei tiefsinnigen, depressiven aber auch kritischen Betrachtungen anregt.
Eine dieser reflexiven Betrachtungen weist nicht nur eine existenzielle, sondern zusätzlich eine gesellschaftkritische Dimension auf. Die Bewohner dieses Hauses, und damit sind ja wohl die Eltern der intendierten „Braut“ gemeint, fragen nicht nach all dem, was sich im Innern des aus diesem Haus Vertriebenen ereignet, nach seinen seelischen Schmerzen also, die ihn nun bedrücken. Sie tun das nicht, weil sie einer bürgerlichen Welt angehören, in der Menschen nach ihrem gesellschaftlichen Stand und ihrem Potential an materieller Wertschöpfung beurteilt werden, - und nicht nach ihrem genuin menschlichen Wert. Der in die Winter-Wanderschaft Getriebene empfindet in diesem Augenblick eine abgrundtiefe Kluft zwischen dieser Welt und seiner eigenen, und die „Wetterfahne“ wird ihm zum Symbol für diese existenzielle Erfahrung.
Das ist – das nebenbei, und das Zitat, das Du bringst, nimmt ja Bezug darauf – eine existenzielle Erfahrung, die Schubert mit diesem Protagonisten seiner „Winterreise“ teilt.
Wer diesen Vers aus der Übertragung ins Englische mit den Worten „"Warum fragen sie nach meinen Schmerzen?" rückübersetzt, hat ganz einfach nichts kapiert.
Es erscheint mir müßig, sich über derlei dummes Zeug Gedanken zu machen.
Übrigens, dieser Vers wird von einem Übersetzer, der lyrisches Deutsch wirklich zu lesen und ins Englische zu übertragen versteht, etwa so übersetzt, wie in dem Text-Heft zur DG-Aufnahme mit Fischer-Dieskau und Gerald Moore:
„What should they care how much it smarts?”