Technische Ausdrücke und die Berufung auf Technik kann ja eigentlich ganz mißleitend wirken, denn letztendlich was versteht man unter Gesangstechnik?
Das ist doch keine esoterische, geheime Lehre, die irgendwo im Himmel steht und vom Sänger angeeignet werden muss. Gesangstechnik meint natürlich allgemeine Regeln und Hinweise für ein gutes körperliches Gelingen der Sache Gesang, aber in erster Linie ist Technik für mich das intime Wissen des Sängers um seine eigenen körperlichen Bedingungen, wie sie auszuarbeiten und wie sie einzusetzen. Man lese "Meine Gesangsmethode" von dem großen Tenor Hipolito Lazaro. Die "Einweihung" in die Gesangskunst beginnt mit einer Aufforderung an den Anfänger, sich selber kennenzulernen, nicht mit einer Aufzwingung allgemeingültiger Regel. Die allgemeinste Regel ist nichts anderes, als diese Forderung, seine eigenen Fähigkeiten adäquat messen zu können.
Die Gioconda hatte früher an einem anderen Ort das Problem angesprochen, dass heutzutage die jungen Sänger zu schnell in die Opernindustrie hineingezogen werden und dass sie gar keine Zeit haben, ihre eigenen Fähigkeiten zu befragen und sich mit ihrem eigenen Körper zu familiarisieren. Das ist ein Grundstück der Technik. Auch wenn ich von Atemtechnik spreche. Es gibt natürlich allgemeingültige Regeln, wie man darauf hinarbeitet, aber in erster Linie ist es eine innere Komplizität des Sängers mit sich selbst, ein festes Bewusstsein und Vertrauen in seinen eigenen Fähigkeiten. Gerade das machte die Solidität der früheren Sänger aus, die ich so schätze, oder auch die einer Gruberova, die ich wegen ihres Stils und der nun altersbedingten Detonierung schwer erträglich finde, aber sie für ihre Ausdauerkraft und... Technik (!) bewundere. Die Schwäche der meisten der jungen Sänger liegt für mich nicht im Faktum, dass sie irgendwelchen orthodoxen und absolut wahren Regeln der Gesangstechnik entsprechen, sondern dass es ihnen gerade an diesem Vertrauen und dem intim-individuellen Wissen ihrer eigenen körperlichen und psychischen Bestimmungen und Ressourcen fehlt. Deshalb auch der Mangel an Persönlichkeit, Individualität und Willen. Deshalb so viel Abhängigkeit von Agenturen und Dritten.
Das ist für mich das ganz allgemeine Problem mit dem Technikmangel.
Im konkreten Fall der Wiener Bolena finde ich aber auch noch den Mangel an Komptenz und Verständnis für die Stilistik des Werkes problematisch.
Dessen bin ich mir durchaus bewusst, lieber Luca, aber mir ging es diesmal nicht um die Technik der Sänger sondern um das Urteilsvermögen und die Urteilsart von uns "Kritkern" hier im Forum.