Schach dem Regietheater !!!

  • Einen mangelnden Respkt (1) vor der Musik kann ich im RT nicht erkennen - eine mangelnde Demut (2) vor Komponisten und Werken schon gar nicht. Was ist Demut? Sie beginnt für mich dann, wenn die Bemühungen um neue Deutungsansätze versagen. Demut, wie sie hier gemeint, ist eine Flucht in die Anbetung. Sie gehört nichts auf das Theater. Die Feststellung mangelnder Werkkenntniss und mangelnder Allgemeinbildung - als Todsünden 3 und 4 - halte ich für schlichte Unterstellungen, die nicht belegbar sind. Um auf die Berghaus zurückzukommen, die ich bei Vorträgen und Gesprächen erlebte. Ich staune heute noch darber, wie literarisch, musikliisch und philosophisch gebildet und des Wortes mächtig sie war.

    Diese Ausführungen von Rheingold kann ich nur unterstreichen! - Man mag den von Herrmann genannten Regisseuren Berghaus, Konwitschny oder Neuenfels ja vieles vorwerfen, aber mangelnden Respekt vor dem Werk oder gar mangelnde Werkkenntnis und Allgemeinbildung? - Ich würde sogar behaupten, dass die genannten Regisseure mehr, sogar viel mehr über die von ihnen inszenierten Werke wissen dürften, als die allermeisten von uns oder eben Dr. Herrmann es tun. Selbiges dürfte, um hier nicht allein in der Vergangenheit bleiben zu müssen (wobei insbesondere Konwitschny, der inzwischen auch schon 74 Jahre alt ist, weiterhin tolle Arbeiten abliefert), für z.B. Stefan Herheim oder einen Barry Kosky gelten.


    Um sich ein Bild über die frappante Werkkenntnis einer Ruth Berghaus zu machen, schaue man sie folgende Dokumentation an:


  • Leider kann ich das Dülberg-Szenenbild aus dem zweiten Akt Fidelio nicht hier einstellen.

    Anscheinend kann man hier (Link zuletzt aufgerufen am 14.02.2019) direkt in einem Buch des Wienand-Verlages Dülberg meets Wagner TheaterErkundungen #1, ISBN 978-3-86832-161-6 blättern und ganz am Ende findet sich ein Bild zur vermutlich gemeinten Fidelio-Inszenierung.

  • Da muss ich gerade an Bayreuth denken. Da stand man 1934 vor der Frage, ob man die mittlerweile 50 Jahre alte Parsifal-Inszenierung des Meisters selbst in der Form bewahren oder eine Neuinszenierung wagen solle. Die Bühnenbilder waren nämlich mittlerweile in einem solch desaströsen Zustand, dass die Verantwortlichen keine Garantie mehr dafür übernehmen wollten, ob sie überhaupt noch eine weitere Spielzeit überstünden. Winifred Wagner, seit kurzem Herrin des Grünen Hügels, entschied sich nach langem Für und Wider für eine Neuinszenierung. Der restliche Wagner-Clan lief Sturm und reichte beim neuen Reichskanzler Adolf Hitler eine Petition zur Erhaltung der alten Inszenierung ein. Der wies dies entrüstet zurück und war sich mit Winifred einig, dass Wagner selbst dies nie und nimmer befürwortet hätte, mit einer Inszenierung, die ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hatte, weiterzumachen. So kam es also zu einer Aktualisierung durch Heinz Tietjen, die man freilich kaum unter modernes Regietheater laufen ließe.

    Genau! Und vor diesem Hintergrund inszenierte dann ein Stefan Herheim seinen Parsifal und rezipierte dabei praktisch die komplette bayreuther Werkgeschichte angefangen bei der ersten Inszenierung über Wieland Wagners Arbeit bis hin zu Schlingensief. - Ist das dann mangelnder Respekt, mangelnde Werk- und Werkgeschichtskenntnis oder mangelnde Allgemeinbildung?

  • Anscheinend kann man hier (Link zuletzt aufgerufen am 14.02.2019) direkt in einem Buch des Wienand-Verlages Dülberg meets Wagner TheaterErkundungen #1, ISBN 978-3-86832-161-6 blättern und ganz am Ende findet sich ein Bild zur vermutlich gemeinten Fidelio-Inszenierung.

    Vielen Dank, lieber Michael, für den Link. Ich möchte Dir zustimmen in der Vermutung, dass das veröffentlichte Bild zu jener Fidelio-Aufführung in der Berliner Krolloper gehört. Es ist zwar nicht das, was ich als Bildvorlage im Buch sehe, doch unterstreicht es auch - wenn auch nicht so drastisch wie meine Vorlage, die, wie ich nochmals nachgeschlagen habe, aus dem Finale des ersten Aktes stammt und nicht aus dem zweiten - die Düsternis des Raumes durch kubistische Formen. Eine solche Inszenierung würde ich auch nicht als RT einstufen, hätte insofern auch keine Probleme damit, in eine derartige Aufführung zu gehen. Ich will mangels Interesse an einer weiteren Teilnahme an diesem Thema nur noch darauf hinweisen, dass die RT-Gegner das von mir erwähnte Beispiel als eine "gelungene, moderne Regiearbeit" betrachten könnten (womit ich zugegebenermaßen eine Interpretation von Ansichten eben jener Gegener versuche, die nicht stimmen muss). Ich zitiere jetzt mal Hape, den Kerkeling, und sage "Ich bin dann mal weg".

    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Zeitgemäß ja, unter Verwendung zeitgemäßer Mittel. Das bedeutet für mich aber nicht, dass der Regisseur die ursprüngliche Handlung zertrümmern und durch eine neue Handlung ersetzen muss, auch nicht, dass er Vorgänge mit historischen Hintergrund an andere Orte und in die Klamotten unserer Zeit verlegen muss. Nichts gegen die Schaffung neuer zeitgemäßer Werke (ob man sie mag oder nicht, ist eine andere Frage), aber alles gegen die Verunstaltung älterer Werke!!

    Ob der Ursprung dieser Krankheit des Theaters aus der DDR stammt, kann man sicherlich bestreiten. Das ändert aber nichts daran, dass für mich an den modischen Regisseuren - wenn auch nicht immer alle - so doch ein oder mehrere der genannten Kriterien (Todsünden) erfüllt sind.


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Hallo,


    Frau Berghaus spricht es ja an:


    ...muss sinnlich begreifbar und erlebbar sein......


    Daran scheitert es ja nicht selten, wenn selbst aufgeschlossene Zuschauer die Sinnfrage umsonst stellen.


    Karl

  • Ich hätte beim Berghaus-Zitat eher an die "Sinnenfrage" gedacht.

    Ich erwarte übrigens im (Opern-)Theater gar nicht, dass alles kopflastig und erklärbar sein muss. Es darf auch gerne einfach mal ganz sinnlos, - äh: sinnLICH sein. :)

  • Ich meine, sinnliches Begreifen und Erleben setzt irgendwie Sinnhaftigkeit voraus.

    Ich glaube, beides kann tatsächlich vollkommen unabhängig voneinander sein: Eine sinnhafte, wenngleich abstrakte Idee ist nicht unbedingt sinnlich begreif und/oder erlebbar, während ein Stein zwar durchaus sinnlich begreif- und erlebbar ist, jedoch zumeist ohne eine wirklich faßbare Sinnhaftigkeit existiert.

  • Hallo Michael,


    Mensch und Stein ist Materie, warte mal ab, wenn sie deine Überreste in 1000 Jahren ausgraben und dann sagen, ach nur so ein völlig sinnloser Brocken.


    Es grüßt


    Karl

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  • Kurzkommentar.


    Zu 1. Mangelnder Respekt vor der Musik.


    Worin soll der bestehen ganz konkret? Ich verstehe den Einwand schlicht nicht. Wenn es um sinnentstellende Kürzungen geht, dann hat es die immer schon gegeben. Das ist kein RT-spezifisches Problem. Und gerade RT-Regisseure wie Konwitschny haben sich dagegen gewehrt - sogar gegen den Dirigenten. Der Einwand ist nicht nachvollziehbar.


    Zu 2. Mangelnde Demut vor Komponist und Werk. Selbst ein Alfred Brendel hat es entschieden abgelehnt, "demütig" gegenüber Werk und Komponist zu sein. Auch Werke und Komponisten haben Schwächen und es ist dann Aufgabe des Interpreten, den Werken dazu zu verhelfen, besser zu sein als sie sind. So dem Sinne nach Brendel. Respekt gegenüber dem Werk ja, Demut qua Kadavergehorsam nein. Auch das ist eine pure Unterstellung. Woran soll sich das zeigen konkret?


    3. Mangelnde Werkkenntnis. Die Sophistik besteht darin, dass einfach die Doppeldeutigkeit stehen gelassen wird: Ist das die Kennzeichnung von RT qua RT, also konstitutiv für RT überhaupt? Dann muss man unterstellen, alle RT-Regisseure hätten keine Werkkenntnis. Das ist aber schlicht unwahr und eine Unverschämtheit. Oder man projiziert die Schwächen einzelner (schlechter) Regisseure auf RT als solches. Dann ist das verlogen und dämagogisch. Hier gilt immer noch der scholastische Grundsatz abusus usum non tollit.


    4. Mangelnde Allgemeinbildung. In dieser Allgemeinheit ist eine solche Unterstellung eine Unverschämtheit und schlicht die Unwahrheit. Mit demselben Recht kann Jedermann behaupten, Dirigenten seien ungebildete Leute, die außer buchstäbliches Notenlesen nichts können.


    5. Zur Schau gestellte Befindlichkeit. Wenn man das ablehnt, dann muss man so ziemlich jeden Klavierabend und Liederabend als narzistische Nabelschau ablehnen. Der Regisseur steht nun mal nicht auf der Bühne und präsentiert sich nicht selbst. Auch das ist nicht konkret ausgewiesen.


    6. Verteufelung der Oper als Museum. Das ist einfach eine falsche Übertragung. Kunst, zu der eine Aufführung oder Aufführungspraxis gehört, ist mit einem Bild, das man ins Museum stellt, schlicht nicht vergleichbar. Eine "museale" Aufführung wäre eine Mumifizierung und nichts als Muff und Mief.


    7. Anders sein um jeden Preis. Dieses Laster gibt es selbstverständlich - nicht nur bei Regisseuren. So etwas mag ich gar nicht und wohl kaum jemand. Nur auch hier fragt sich, mit welchem Recht das verallgemeinert wird. Wiederum haben wir die Sophistik, dass nicht gesagt wird: Betrifft diese "Totsünde" die "Institution" RT, also die Regiekonzeption oder nur einzelne Regisseure? Die Tatsache, dass das so unbestimmt offen gelassen wird ist aber typisch für Polemik, die eben solche Unbestimmtheiten ausnutzt um populistisch "Stimmung" zu machen.


    Fazit: Das ist ungenießbar und schlicht induskutabel. Gehört in den Mülleimer oder die Löschtaste gedrückt. ^^


    Schöne Grüße

    Holger


  • Mir scheint, dieses Werk von Herrmann erweist dem "Anti-Regietheater" einen Bärendienst, denn wenn schon so Grundsätzliches wie der Ursprung dessen, was man heute modernes Regietheater nennt, falsch verortet wird und dann noch ein Rundumschlag gegen die DDR deutlich wird, dann wirft das nicht unbedingt das beste Licht auf die Güte dieser Veröffentlichung. Wieso wird Ruth Berghaus bitte als Musterrepräsentantin der DDR hingestellt, was so nicht stimmt? Wie man in der seriösen Literatur nachlesen kann, hatte sie vielmehr starke Widerstände innerhalb der SED gegen sich. Soll mit dem Buch etwa Ostdeutschland an den Pranger gestellt werden? Mir tut sich dieser Eindruck zumindest unweigerlich auf.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Soll mit dem Buch etwa Ostdeutschland an den Pranger gestellt werden? Mir tut sich dieser Eindruck zumindest unweigerlich auf.

    Lieber Joseph II.


    ich will und muss Dr. Herrmann nicht verteidigen. Der Germanist und Historiker ist bekannt als Opernexperte und Autor einschlägiger Literatur. Zum Thema Musiktheater hält er regelmäßig Vorträge im In- und Ausland. Er gestaltete zahlreiche Rundfunk- und Fernsehsendungen zum Thema Musiktheater. Seine bekanntesten Veröffentlichungen sind:

    "Die Wiener Staatsoper im Exil 1945-55"

    "75Jahre Salzburger Festspiele"

    "Musik ist eine heilige Kunst"

    "Auf den Spuren von Richard Wagner in Italien"

    "Faszination Oper"

    "Legenden und Stars der Oper"

    sein" Klingender Opernführer" war über eine bestimmte Zeit sehr beliebt und gefragt.

    Ich hatte 2 persönliche Begegnungen mit dem Opernenthusiasten Dr. Herrmann. Er ist ein Ur-Wiener, deshalb beziehen sich seine Erlebnisse und Erfahrungen ganz schwerpunktmäßig auf das Österreichische Opernleben. Diese Begrenzung und deshalb eine eventuelle Einseitigkeit könnte eine Schwäche seiner Veröffentlichungen darstellen. Er ist ein engagierter Kämpfer gegen die Auswüchse des Regietheaters. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er politisch etwas gegen die DDR aussagen wollte. Er hat ohne Rücksicht auf frührere Modernisierungen der Oper - Du hast mit Recht auf die Kroll-Oper hingewiesen - halt den Beginn des Inszenierungsstils innerhalb des Musiktheaters, den er für kritikwürdig hält, mit Ruth Berghaus verbunden. Dieser Regie-Ikone Fachkenntnisse abzusprechen ist absurd. Das ist es jedoch auch bei Dr. Herrmann den Status eines ausgewiesenen, anerkannten Opernfachmanns kann man ihm wahrlich nicht absprechen. Vielleicht sollten wir uns nicht so sehr mit seiner fachlichen Kompetenz auseinandersetzen, sondern mit seinen Aussagen, Thesen und den daraus erkennbaren Einstellungen.

    Wiederum zeigt es sich, wie schwer, ja fast unmöglich es ist, aus einem Buch nur auszugsweise zu zitieren. Der Autor belegt jede der 7 Todsünden mit konkreten Inszenierungs-Beispielen, selbstverstverständlich solchen, die seinen Zielen dienen. Zum Beispiel ist in dem Buch noch eine Festansprache von René Kollo zu der These: "Die Verteufelung der Oper als Museum", dies ist ein glühendes Plädoyer für die Tradition der Oper. Vielleicht stelle ich diese Rede noch ein. Ich möchte die Auseinanderstzung allerdings nicht noch mehr anheizen, zumal aus meiner Sicht offensichtlich mehr von bedeutenden Repräsentanten der Opernszene gegen die Auswüchse des Regietheaters geäussert und geschrieben wurde. Auch hier im Forum setzten sich die Regietheaterfreunde rasch und mit meist gut bergründeter eigener Meinung mit den 7 Todsünden der Regietheaters auseinander. Von grundsätzlichen Beiträgen für das Regietheater konnte ich bis jetzt noch wenig oder nichts lesen. Vielleicht werden Expertenbeiträge dafür noch geliefert, das wäre interessant und würde über die Darstellung eigener Standpunkte und Meinungen hinausgehen.

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Von grundsätzlichen Beiträgen für das Regietheater konnte ich bis jetzt noch wenig oder nichts lesen. Vielleicht werden Expertenbeiträge dafür noch geliefert, das wäre interessant und würde über die Darstellung eigener Standpunkte und Meinungen hinausgehen.

    Herzlichst

    Operus

    (Hervorhebung durch mich)


    Lieber Hans,


    die Begründung, warum man traditionelles Theater einfach "über den Haufen werfen" darf, indem man es überschmiert, ist mir hier auch noch nicht untergekommen. Es sind einseitige Meinungen, aber keine plausiblen Begründungen. Da wird alles Mögliche herangezogen bis hin zur Verfilmung guter Romane. Das lässt ich in meinen Augen überhaupt nicht vergleichen.

    Ein Drehbuch für einen zweistündigen oder auch längeren Film wird die Feinheiten eines guten Romans niemals erfassen können (man kann ein solches Buch auch kaum in einigen Stunden lesen). Ein Film wird deshalb immer "frei nach" zu sehen sein. Für die Oper aber gibt es ein fertiges "Drehbuch", das Libretto, über das sich "Drehbuchautor" und Komponist wohl einige Gedanken gemacht haben und auf das der Komponist seine Musik geschrieben hat. Man kann also erwarten, dass, besonders da wir heutzutage noch weit bessere technische Möglichkeiten haben, das auf die Laufzeit der Komposition zugeschnittene "Drehbuch" auch verwirklicht werden kann. Wenn ein Regisseur das nicht in passende Bilder umzusetzen weiß, fehlt ihm an ein oder mehreren Stellen die Eignung (er begeht eben eine oder mehrere der genannten Todsünden). Einige mögen so etwas "Kunst" nennen, ich habe dafür nur den Ausdruck Dilettantismus.

    Übrigens hat auch für mich, wie du es in dem Auszug aus dem Buch des Autors eingestellt hast, der Begriff "Regietheater" keine schlüssige Definition, denn Regie wird bei jeden Theaterstück, bei jeder Oper geführt (wenn auch manchmal nur scheinbar). Deshalb verwende ich lieber den (wohl noch nicht so verbreiteten) Begriff "Regisseurstheater" für Inszenierungen, in denen der Regisseur willkürlich die Handlung ganz oder in Teilen gegenüber dem Libretto entstellt, Dinge vorführt, die absolut nicht zum Text passen, oder zusätzlich unnötige Mätzchen hineinschiebt, die der unbeeinflusste Zuschauer nicht versteht. Beispiele für solche Verunstaltungen sind hier schon genug angeführt und eindringlich wiederholt worden, so dass ich hier darauf verzichten will.


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Einige mögen so etwas "Kunst" nennen, ich habe dafür nur den Ausdruck Dilettantismus.

    Vielleicht auch einfach nur "Anmaßung" oder "Überheblichkeit"? Der Komponist/Librettist hat sich ja auch etwas gedacht, als er sein Werk schuf.

    In meinen Augen sehe ich, daß ein Regisseur zwei Möglichkeiten einer Inszenierung hat.

    Entweder er läßt das Werk da spielen und handeln, wo es angesiedelt ist und überläßt es dem Zuschauer, eigene Gedanken dazu zu entwickeln, z.B. Parallelen zur Gegenwart herzustellen. Damit wird es möglich, sowohl dem Original in seine Zeit zu folgen oder aber seine eigenen Gedanken zu entwickeln. Im Falle z.B. des Rigoletto geht es zurück auf Victor Hugo und "Der König amüsiert sich" bis zum Triboulet. Über die Zensur damit aus dem königlichen Frankreich ins italienische herzogliche Mantua. Und wer will, kann sich dann seine Gedanken machen über gegenwärtige Praktiken, sowohl im sexuellen Bereich, zur Behandlung von Behinderten oder zur Rechtssprechung. Er hat beide Möglichkeiten

    Oder er verlegt es in die Gegenwart und läßt den Blick in die Entstehungsgeschichte fallen. Damit geht der historische Konsens verloren. Der Erstbesucher dieser Oper kennt den vielleicht gar nicht und sieht die zeitgemäße Anklage eines "Wüstlings", die Tragik eines Behinderten oder die Ungerechtigkeit willkürlicher Urteile. Selbst bei einer dem Original nachempfundenen Inszenierung wie dem Dresdener Rigoletto bleiben dann mehr oder weniger komische oder skurrile Momente. Z.B. im 2. Bild mit der Darstellung von Gildas Wohnraum mit einer schiefen Ebene und nur einem Bett darauf. Die Protagonisten hatten zu tun, nicht herunterzufallen, der Herzog versteckt sich in einem leeren Zimmer so, daß ihn jeder sehen muß.....Eine neue Aussage wird nicht getroffen, auch keine neue Handlung erfunden. Aber der Tutch ins Lächerliche ist in meiner Erinnerung geblieben. Ich gehe nicht so weit, diesem Regisseur Dilettantismus vorzuwerfen. Seinen Ideen vermochte ich nichts abzugewinnen, außer einer brillianten Darstellung des Gewitters im letzten Akt.

    Ich glaube, die meisten Zuschauer sind selbst in der Lage, aus einer historischen Inszenierung eigene Gedanken abzuleiten, in jede Richtung.

    Überhaupt nichts anzufangen vermag ich mit einer Ansiedlung auf dem "Planet der Affen" oder ähnlichen Einfällen.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Von grundsätzlichen Beiträgen für das Regietheater konnte ich bis jetzt noch wenig oder nichts lesen. Vielleicht werden Expertenbeiträge dafür noch geliefert, das wäre interessant und würde über die Darstellung eigener Standpunkte und Meinungen hinausgehen.

    Lieber operus, irgendwie ärgert mich das jetzt! - Es gibt hier im Forum zuhauf Erklärungen zum sogenannten Regietheater angefangen bei den historischen Entwicklungen und den theoretischen Grundlagen bis hin zu durchaus konkreten Beschreibungen und Interpretationsversuchen verschiedenster Inszenierungen. Allein, den Herren ist dies dann entweder zu theoretisch oder einfach zu "Nein! Verstehe ich nicht und will ich nicht verstehen!". Und jetzt war die Aufgabe doch, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, die Herr Dr. Herrmann geschrieben hat, aber das ist dann auch wieder nicht gut genug, oder was?

    Bei allen Meriten, die Dr. Herrmann haben mag, was soll ich denn bitteschön tun, wenn die Abneigung gegen das Regietheater so offensichtlich ist, dass eine Diskussion auch mit diesem Herren vermutlich wenig fruchtbar sein würde. Es bleibt doch nicht viel anderes, als auf Unsauberkeiten und Widersprüche der von Dir zitierten Inhalte aufmerksam zu machen und entsprechende Argumente und Fragen dagegen zu stellen.

  • die Begründung, warum man traditionelles Theater einfach "über den Haufen werfen" darf, indem man es überschmiert, ist mir hier auch noch nicht untergekommen. Es sind einseitige Meinungen, aber keine plausiblen Begründungen. Da wird alles Mögliche herangezogen bis hin zur Verfilmung guter Romane. Das lässt ich in meinen Augen überhaupt nicht vergleichen.

    Die Begründung liegt weiterhin in erster Linie in der Freiheit der Kunst! - Uns man darf dies ungestraft tun, weil hier nichts unwiederherstellbar "überschmiert" wird. Und warum bitteschön ist ein von anderen herangezogener Vergleich beispielsweise bzgl. der Verfilmung von Romanen unzulässig, während der von Dir permanent wiederholte Vergleich des Überschmierens von Bilder zulässig sein soll?

    Man kann also erwarten, dass, besonders da wir heutzutage noch weit bessere technische Möglichkeiten haben, das auf die Laufzeit der Komposition zugeschnittene "Drehbuch" auch verwirklicht werden kann.

    Ich bin grad echt gut drauf, deshalb auch hierzu einmal grundsätzlich: Dieses ewige Lamento, der Regisseur möge doch bitte die heute viel besseren technischen Möglichkeiten nutzen, führt doch kein Stück weiter. Man könnte den wildesten Bühnenzauber veranstalten, solange die Inszenierung nicht trotzdem so ist, wie ihr es Euch vorstellt, spielt das doch überhaupt keine Rolle. Einzig zeigt dieses "Argument" den wie eine Monstranz vor sich herhgetragenen Unwillen oder vielleicht sogar die schlichte Unfähigkeit, sich auf einer irgend gearteten inhaltlichen Ebene mit einer Inszenierung auseinanderzusetzen.

  • Von grundsätzlichen Beiträgen für das Regietheater konnte ich bis jetzt noch wenig oder nichts lesen. Vielleicht werden Expertenbeiträge dafür noch geliefert, das wäre interessant und würde über die Darstellung eigener Standpunkte und Meinungen hinausgehen.

    Das ist zahlreich nachzulesen am konkreten Gegenstand in „Gestern in der Oper“ und unterscheidet sich im Niveau doch erheblich von RT-Phoben manisch repetierten sinnleeren Phrasen wie z.B. „überschmiert“, „Entstellung“, „Verunstaltungstheater“, „Opernzerstörer“ etc.
    Zumal kritische Feedbacks über RT-Inszenierungen auch seitens RT-Philer rüberkommen.

    Du zeigtest dich auch selbst in einem Beitrag beeindruckt über eine Konwitschny-Inszenierung (Parsifal ?).
    Das RT braucht keine Apologie.

    Ich glaube, die meisten Zuschauer sind selbst in der Lage, aus einer historischen Inszenierung eigene Gedanken abzuleiten, in jede Richtung.

    Genau. Jeder Besucher ist in der Lage, den im Libretto verankerten historischen Stoffgehalt selbst nachzuvollziehen. Es bedarf daher keiner Verdoppelung durch „historische“ bzw. „mythische“ Bühnenbilder/Kostüme“ in z.B. Aida, Palestrina, Gezeichneten, Ring, Moses und Aron, Lear....

    Eine rein konzertante Wiedergabe reicht völlig aus.

  • Oder er verlegt es in die Gegenwart und läßt den Blick in die Entstehungsgeschichte fallen. Damit geht der historische Konsens verloren. Der Erstbesucher dieser Oper kennt den vielleicht gar nicht und sieht die zeitgemäße Anklage eines "Wüstlings", die Tragik eines Behinderten oder die Ungerechtigkeit willkürlicher Urteile.

    Ich glaube, die meisten Zuschauer sind selbst in der Lage, aus einer historischen Inszenierung eigene Gedanken abzuleiten, in jede Richtung.

    Es heißt "Kontext" und nicht "Konsens", aber das nur nebenbei. - Ich bin immer wieder erstaunt über Eure Sicht auf den "durchschnittlichen" Opernbesucher. Entweder ist es der tumbe Premierenbesucher, der seine schicken Klunker und Klamotten ausführt, oder der ebenso tumbe Erstbesucher, der sich im Vorfeld weder über das Stück, die Handlung oder Musik informiert. Aber alle sind sie intelligent genug, quasi aus dem Stand heraus die Tiefen eines so komplexes Werkes, wie z.B. des Parsifal auszuloten. - Mal ehrlich: Wovon träumt ihr eigentlich nachts?

    Aber der Tutch ins Lächerliche ist in meiner Erinnerung geblieben.

    "Touch", lieber La Roche, es heißt "touch"!

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  • Bei allen Meriten, die Dr. Herrmann haben mag, was soll ich denn bitteschön tun, wenn die Abneigung gegen das Regietheater so offensichtlich ist, dass eine Diskussion auch mit diesem Herren vermutlich wenig fruchtbar sein würde

    Lieber M. Schenk,


    hier hast Du wahrscheinlich recht. Dr Herrmann ist offensichtlich ein Überzeugungstäter,der aufgrund seiner Einstellungen, Erfahrungen und des jahrzehntelangen Lernprozesses im Bereich der Oper zu seiner Überzeugung gelangt ist, sie äußert, untermauert und für sie kämpferisch eintritt.


    Herzlichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich kann jedenfalls in all den Berichten keine handfeste Begründung finden, warum das Originalwerk unbedingt zerschlagen und daraus eine absurde Handlung entwickelt werden muss. Für mich sind und bleiben das alles nur Meinungen Einzelner, aber keine Bewilligung, ein vorhandenes "Drehbuch" zu dem Werk einfach zu ignorieren. Für mich ist und bleibt das einfach dasselbe wie das Überschmieren eines fremden Kunstwerks für die es überhaupt keinen Grund gibt. Und das werde ich immer und immer wieder betonen, auch wenn es zum Aufstand Einiger hier führt. "Kunst"ist für mich etwas Eigenständiges, aber nicht der Missbrauch der Kunst anderer und dazu noch der Betrug am Konsumenten, indem man es als das Originalwerk deklariert.


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich kann jedenfalls in all den Berichten keine handfeste Begründung finden, warum das Originalwerk unbedingt zerschlagen und daraus eine absurde Handlung entwickelt werden muss.

    Natürlich findest Du dafür keine Begründung, da praktisch niemand hier je behauptet hat, dass soetwas unbedingt passieren muss. - Aber ob es Dir und anderen nun passt oder nicht, es gibt die verfassungsrechtlich zugesicherte Freiheit der Kunst, und die eröglicht ganz offensichtlich Dinge, die Dir und anderen nicht gefallen :pfeif:

  • Aber ob es Dir und anderen nun passt oder nicht, es gibt die verfassungsrechtlich zugesicherte Freiheit der Kunst, und die eröglicht ganz offensichtlich Dinge, die Dir und anderen nicht gefallen :pfeif:

    Ich habe es schon mehrfach betont: Wie soll denn geschützt werden, was überhaupt keine Kunst ist, sondern das Gegenteil, die Zerstörung fremder Kunstwerke. Damit jetzt nicht wieder jemand die unsinnige Behauptung aufstellt, dass das eigentliche Kunstwerk doch nicht zerstört sei, nein generell natürlich nicht, aber in jeder einzelnen Inszenierung des Regisseurstheater ist es jedenfalls zerstört!

    "Freiheit der Kunst", dass ich nicht lache. Dieser Deckmantel zieht für mich nicht.:pfeif::pfeif::pfeif::pfeif::pfeif::pfeif::pfeif:


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich habe es schon mehrfach betont: Wie soll denn geschützt werden, was überhaupt keine Kunst ist, sondern das Gegenteil, die Zerstörung fremder Kunstwerke.

    Was Kunst ist und was nicht, wird glücklicherweise nicht von dir festgelegt. Nur so viel: Der Gesetzgeber hat dazu eine andere Meinung als du und so lange es dir und den anderen Freunden der echten Werke nicht gelungen ist, den Gesetzgeber von eurer Kunstauffassung zu überzeugen, wäre es zumindest mir persönlich sehr angenehm, wenn du darauf verzichten würdest, hier Fake News zu verbreiten, indem du behauptest, von dir nicht geschätzte Inszenierungen seien keine Kunst und würden somit nicht unter den Schutz der Kunstfreiheit fallen. Du kannst dir mal die Mühe machen, die entsprechenden Rechtsprechungen nachzulesen, dann würdest du nämlich sehr schnell merken, dass du mit dieser Aussage gewaltig auf dem Holzweg bist. Ich persönlich bin zumindest sehr glücklich darüber, in einem Land zu leben, in dem der Gesetzgeber das letzte Wort hat und nicht der User "Gerhard Wischniewski" und die Freunde der echten Werke.

  • Lieber Michael,


    da sind wir eben verschiedener Auffassung. Ich definiere Kunst als vollständig eigenständige Schöpfung, du ordnest unter Kunst auch die Entstellung und damit den Missbrauch fremder Werke ein. Und da ist jede Diskussion eben nur Zeitverschwendung. Es lohnt sich also nicht, dass wir zwei weiter darüber diskutieren, denn deinem Kunstbegriff kann ich mich absolut nicht anschließen.

    Das hindert mich aber nicht daran, meine Meinung - und da weiß ich viele hinter mir stehen - weiterhin offen und deutlich zu sagen. Mir ist es egal, ob sich ein paar Verfechter des Missbrauchs fremder Kunstwerke darüber aufregen.


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Michael, [...] du ordnest unter Kunst auch die Entstellung und damit den Missbrauch fremder Werke ein.

    Ja, so wird es sein! - Vermutlich ertränke ich auch junge Katzen und schlage kleine Kinder ... pass schon, solange es in Dein (kleines) Weltbild passt.

  • Ja, vieles zieht für Dich nicht, weshalb sich auch jegliche Diskussion zumeist als zweck- und sinnlos erweist.

    810 Beiträge für eine sinnlose Diskussion! Was hätte man in dieser Zeit nicht alles für wunderbare Musik einsetzen können.

    Warum sind Obamas Memoiren so dick (700 S.). Damit Trump sie nicht liest.

  • Zum wiederholten mal:


    Das "Werk" bei einer Opernaufführung ist die Aufführung selbst. Der Regisseur kann also gar nichts zerstören, weil er grundsätzlich etwas Neues schafft, und zwar schafft er "Theater", genauer: Musiktheater.


    Es gibt die Oper als "Werk", das heißt als Idee, niedergeschrieben als Partitur mit Libretto.


    Und es gibt unendlich viele Inszenierungen bzw. Aufführungen, von denen jede einzelne ein neues - mehr oder weniger gelungenes - Kunstwerk ist.


    Die Kunstform nennt sich, wie gesagt: Theater. Musiktheater.


    Die Werke dieser Kunstform sind immer neu. Das war schon zu Mozarts Zeiten so, und vorher auch schon.



    Wir können also nur über gute oder schlechte Aufführungen diskutieren. Wir können nicht über "werktreue" Aufführungen diskutieren. Weil die Aufführung das Werk ist.



    Wobei: Gerade die Regisseure des Regietheaters versuchen, irgendwelche im "Werk" (also in der Partitur und im Libretto) enthaltenen "Wahrheiten" zu finden und auf die Bühne zu bringen. Das dürfen sie gerne. Aber gemessen wird ihr Ergebnis nicht an irgendeiner "Werktreue", sondern an der Qualität des Kunstwerks "Theateraufführung".



    Thomas

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