Der RING in der Inszenierung von Patrice Chereau

  • wollte ich noch eingehen.
    Ich liebe sie, auch bei deutschsprachigen Opern, vor allem bei Wagner mit dem Worteschwall.
    Beim Fidelio, als einzige Oper brauche ich sie nicht, da kenne ich den Text wirklich auswendig.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Zitat

    Original von Theophilus


    Und bitte nicht den "Scheinwerfer" Heinz Zednik vergessen! ;)



    :hello:


    ...wobei mich Zednik äußerlich als Mime verblüffend an Otto Waalkes aus den 70ern erinnert ("Jodelahüdiiih"...). :D


    Ansonsten ist McIntyre sicher kein Hotter oder Adam, wobei er an den Hotter der frühen 50er weder vokal noch interpretatorisch heranreicht.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    ...wobei mich Zednik äußerlich als Mime verblüffend an Otto Waalkes aus den 70ern erinnert


    :yes:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    ...McIntyre sicher kein Hotter oder Adam...


    Es gibt Leute (wie mich), die das durchaus als Vorteil erachten.
    Ein Wotan, der wortdeutlich ist und der weiß, was er singt, kann durchaus gewisse Mängel der Stimmqualität wettmachen.

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Es gibt Leute (wie mich), die das durchaus als Vorteil erachten.
    Ein Wotan, der wortdeutlich ist und der weiß, was er singt, kann durchaus gewisse Mängel der Stimmqualität wettmachen.


    Hallo Edwin!


    Habe ich Dich richtig verstanden, daß Du Hotter und Adam unterstellst, nicht zu wissen, was sie singen? Bezüglich der Wortdeutlichkeit würde ich Dir nicht mit derselben Vehemenz widersprechen; beide hatten so ihre "Macken" - Hotter als "Konsonantenspucker" und Adam mit der (sächsischen?) Endung ..er. Aber ich habe beide immer als sehr textverständlich empfunden.


    McIntyre habe ich sehr oft live gehört, ob in Bayreuth oder in Hamburg. Ich habe ihn nie als übermäßig bedeutend empfunden; am besten fand ich ihn in dem unbequem hoch notierten Telramund. Ich muß gestehen, daß ich mit seiner "knorrigen" Stimme wenig anfangen konnte, ihn auch von der Persönlichkeit her (nicht von dem, was Chérau daraus gemacht hat) nicht auf eine Stufe mit Hotter und Adam stellen würde. Zu beiden möchte ich behaupten, daß man sie auf der Bühne gesehen, erlebt haben muß. Der Höreindruck via CD gibt ihre Bedeutung nur unvollkommen wieder.


    Sune

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  • Hallo Sune!
    Ich muss zugeben, dass ich Hotter nie in natura als Wotan gehört habe. "Zu meiner Zeit" sang er noch den "Lulu"-Schigolch, laut Personenverzeichnis "ein asthmatischer Greis". Was ich von Hotter kenne, sind die Aufnahmen, und klingt er für mich schön, aber auch sehr glatt und wortundeutlich.
    Adam habe ich live als Wotan erlebt - wortdeutlich war er. Aber als einen Sänger der Nuancen habe ich ihn nicht empfunden.
    McIntyre erschien mir stets als ein differenzierenderer Sänger. Er hatte weder Hotters schöne Stimme noch Adams Begabung, so zu disponieren, dass die Puste nie ausgeht. Aber McIntyres Wotan zwischen Noblesse, Menschlichkeit und Ohnmacht hat mich immer mehr berührt als die Rollengestaltung durch Adam.


    A propos Adam - Anekdote am Rande: Im ORF-Fernsehen wurde einmal "Hänsel und Gretel" gezeigt. Die Sprecherin, eine gewisse Jenny Pippal, sagte die Sendung an: "Und jetzt sehen und hören Sie Hänsel und Gretel, eine Märchenoper von Engelbört Hamperdinck. In den Hauptrollen singen und spielen Sio Ädäm...." Es war dieselbe Sprecherin, die auch die Buddenbrook-Serie als die "Baddenbruks" ankündigte.

    ...

  • Zitat

    McIntyre erschien mir stets als ein differenzierenderer Sänger. Er hatte weder Hotters schöne Stimme noch Adams Begabung, so zu disponieren, dass die Puste nie ausgeht. Aber McIntyres Wotan zwischen Noblesse, Menschlichkeit und Ohnmacht hat mich immer mehr berührt als die Rollengestaltung durch Adam.


    Es ist immer das alte Lied beim Singen. Was man nicht in der Stimme hat, muss man durch andere Qualitäten zu kompensieren suchen...



    Zitat

    Die Sprecherin, eine gewisse Jenny Pippal, sagte die Sendung an: "Und jetzt sehen und hören Sie Hänsel und Gretel, eine Märchenoper von Engelbört Hamperdinck. In den Hauptrollen singen und spielen Sio Ädäm...." Es war dieselbe Sprecherin, die auch die Buddenbrook-Serie als die "Baddenbruks" ankündigte.


    Köstlich. Der Lapsus "Engelbört" ist natürlich unverzeilich, wenn auch erklärbar. Jenny Pippal gehört einer Generation an, die den Popsänger Engelbert noch als "Engelbert Humperdinck" kennenlernte (natürlich mit englischer Aussprache). Nachdem er auch in unseren Breitengraden (=Mitteleuropa) berühmt geworden war, strengten die Erben des Opernkomponisten einen Rechtsstreit an, der mit dem Ergebnis endete, dass sich der Pop-Barde weiterhin nur mehr "Engelbert" nennen durfte.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Es ist immer das alte Lied beim Singen. Was man nicht in der Stimme hat, muss man durch andere Qualitäten zu kompensieren suchen...


    Je nun, aber zum Zeitpunkt etwa des Solti-Studio-Rings war Hotters Stimme auch schon massiv eingeschränkt und Adams Wotan habe ich zwar noch nicht gehört, aber dass er eine schöne Stimme hätte, hat wohl nie jemand behauptet, oder? Für die gilt alsso genau das gleiche... (Sein Caspar ist einer der dicken Wermutstropfen des Kleiber-Freischützes, fies klingt er ja, aber das ist es auch schon)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Christian H.


    Das „Making of“ ist eher ein „Making money“: eine einstündige Dokumentation, weitgehend in englisch, aber mit deutschen Untertiteln und wenn deutsch gesprochen wird Gott sei Dank ohne englischen Sprecher drüber. Ganz nett in der Box dabei zu haben, aber wenn ich mir die einzeln für 20-25 Euro gekauft hätte, wäre ich doch etwas enttäuscht.


    Ich habe mir auch die DG-Box zugelegt, zumal sie jetzt plötzlich billiger zu haben ist (amazon, jpc). Den Ring habe ich vor langer Zeit mal vom Fernsehen aufgenommen und eine Zeit lang immer wieder angeschaut. Da Videobänder mit der Zeit schlecht werden - als erstes hapert's immer beim HiFi-Ton - habe ich große Lust bekommen, diesen Ring auf DVD zu haben.


    Ich finde das "Making of" ganz ok. Der Brian Large interessiert mich ja weniger, aber die Probenausschnitte sind sehens- und hörenswert, und manche (historische) Stellungnahme, z. B. von Gwyneth Jones, ist ja schon seeeehr nett =) und die geschichtliche Dokumentation finde ich recht gelungen.


    Den Sound kann ich bisher nicht viel beurteilen, aber was während der Ausschnitte aus meinen Lautsprechern kommt, ist 1A.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • So, am Wochenende hab ich mir nun mit meiner Holden in Ruhe die Walküre aus dem "Jahrhundertring" angeschaut.
    (Sie konnte sich nicht vorstellen, dass das damals ein Skandal gewesen sein soll, ich schon: Tamino lesen bildet :D)



    Spontaneindruck: Toll, aber eine aus vokaler Sicht sehr heterogene Besetzung dürfte die DVD zum Pflichtkauf gegenüber der CD machen, sonst ist die Konkurrenz trotz des mir sehr zusagenden Dirigats von Boulez doch zu groß.
    Ich muss gestehen, ich empfinde den guten Pierre gar nicht als so radikal anders, was aber daran liegen mag, dass nun mittlerweile knapp 30 Jahre vergangen sind und auch niemand mehr aufschreit, wenn der Name Boulez zusammen mit Wagner auf dem Spielplan steht.
    Das am immer wieder beschworenen, unbestechlichen Gehör des Franzosen was dran sein muss, fällt mir vor allem immer wieder bei den Tutti-Stellen auf: Wo es beispielsweise bei Solti schnell mal ein bisschen sehr laut scheppert, klingt es bei Boulez einfach traumhaft, das ist mir schon in einem Querschnitt der Götterdämmerung aufgefallen. Es ist teilweise so klangschön, dass der kühle Analytiker Boulez mal wieder als reines Klischee erscheint. Dennoch Theatermusik im besten Sinne, die Musik scheint mir geradezu die Darsteller zum Handeln zu zwingen. Kleiner Wermutstropfen: Mir ist das bei Wotans Abschied angeschlagene Tempo etwas zu fix. Sehr störend auch, dass es bei "Der Augen leuchtendes Paar" ein Paar Takte braucht, bis sich Wotan und Dirigent auf ein Tempo einigen können. Damit wird mir doch einer der unbestreitbaren Höhepunkte des Werkes versaut (was live leider oft vorkommt. :( )


    Über die Inszenierung und die Personenregie ist ja hier schon viel positives gesagt worden. Ich will deshalb auf Details verzichten und nur darauf hinweisen, dass mich die Art und Weise fasziniert, wie Chéreau psychologische Hintergründe visualisiert. Schlicht, nachvollziehbar, und dennoch auch optisch ansprechend.


    Die schauspielerischen Leistungen sind eigentlich alle gut bis herausragend, vokal tritt allerdings nur Salminens Hunding aus dem Rahmen. Was war das damals noch für eine Stimme, vor allem singt er die Partie, statt zu deklamieren oder gar zu bellen, wie man es sonst so oft hört. Die Altmeyer als Sieglinde (trotz leichtem Akzent) und Hanna Schwarz als Fricka gefallen mir auch noch gut.


    Gwyneth Jones beginnt im zweiten Akt mit toller Stimme, ist aber dann doch gegen Ende sehr müde, die Höhe wird strähnig und sie tremoliert. Aber was für ein darstellerischer Ausdruck. Mit Donald McIntyre habe ich da mehr Probleme. Er muss offenbar sehr mit seinem Material haushalten, singt eigentlich jeweils in der ersten Hälfte der Partie im 2. und 3. Akt mit angezogener Handbremse, um die Power für die wichtigen Momente zu haben. Und ist dennoch zum Schluss so erschöpft, dass vieles, was er unzweifelhaft subtil umsetzen möchte, als gesangliche Geste nicht deutlich wird. Bei "Zum letzten Mal letz es mich heut" kann er auch kein Mezza Voce mehr korrekt stützen, sondern rettet sich in heiseres Flüstern, im Forte wird’s zunehmend farblich eindimensional. Gewiss ein eloquenter Darsteller, der auch wirklich gute Momente hat, aber ohne Optik als reine Gesangleistung angesichts der Konkurrenz nicht beeindruckend.


    Ein sehr zweischneidiges Schwert ist Hofmann. Einerseits singt er sehr engagiert, hat eine schöne Stimmfärbung und passt natürlich als Typ gut auf die Rolle. Die technischen Mängel seines Singens sind aber eklatant. Er muss im Prinzip jeden Ton, der länger ausgehalten wird, irgendwann in der Lautstärke deutlich anschwellen lassen (bar jedes musikalischen Sinns!), um Ihn korrekt stützen zu können. Und was passiert, wenn sich diese (Dauer)-Notlösung absolut verbietet, weil er eigentlich dynamisch genau in die andere Richtung gehen will, hört man bei "Nun weißt Du, fragende Frau...: da flackert die Stimme zum Gotterbarmen.
    Schade, den Zoll hat er wenig später dafür gezahlt.


    Also zusammengefasst: Als DVD für mich ein absolutes must-have, aber auch nur als solche, denn den Boulez kann man auch so genießen und die Sänger muss man sehen.


    :hello:
    Sascha

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  • Gut beobachtet, Sascha, denselben Eindruck hatte ich bei Peter Hofmann damals auch.
    1981 im Stuttgarter Ponelle-Ring hat er dagegen den Sigmund sehr ebenmässig und sogar auch schön gesungen. :jubel:
    Ob er sich auf seiner damaligen Hausbühne wohler gefühlt hat?
    Das Bayreuther Festspielhaus hat zwar eine hervorragende und sängerfreundliche Akustik, aber der auf den Künstlern lastende immense Erwartungsdruck beeinträchtigt doch manche Aufführung. :(

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Hallo Antracis,
    ich unterschreibe jeden einzelnen von Dir angesprochenen Punkt.
    Für einige Mitwirkende kam diese "Ring"-Aufnahme leider einen Hauch zu spät - für die Jones etwa, auch für McIntyre und für Hofmann, der am Anfang stimmlich wesentlich besser war und von Jahr zu Jahr schwächer wurde.


    Weshalb seinerzeit gegen Boulez gehetzt wurde, war sein tempo-Halten. Man war ein permanentes Temporücken gewohnt und empfand Boulez extrem rhythmischen Wagner als Sakrileg gegen wabernde Klangwogen. Auch goutierte ein Großteil des Publikums nicht, daß Boulez das Stimmgeflecht durchhörbar machte und Nebenstimmen quasi als unerlässlichen Kommentar zu den Hauptstimmen auffasste. Statt Hauptstimme mit Begleitung hört man bei Boulez eben ein polyphones Wunderwerk - und begreift umso mehr, welch ungeheures Genie dieser Wagner war.


    Und szenisch? - Nun, wie man bei Tamino nachlesen kann, ist an diesem "Ring" alles falsch, ein Wahnsinn geradezu von der "Rheingold"-Staumauer bis zum "Götterdämmerung"-Arbeiterheer.
    Ich mag diese falschen Inszenierungen!
    Weil diese falschen Inszenierungen bewirken, daß etwa die ja ohnedies nicht unspannende "Walküre" überhaupt wie ein Thriller abläuft und die Länge nicht einmal im zweiten Akt ins Gewicht fällt!
    Ich behaupte nach wie vor: Man kann zu dieser Inszenierung stehen, wie man will; aber wer sie nicht zumindest einmal gesehen hat, dem fehlt ein Grundstein des modernen Musiktheaters.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Und szenisch? - Nun, wie man bei Tamino nachlesen kann, ist an diesem "Ring" alles falsch, ein Wahnsinn geradezu von der "Rheingold"-Staumauer bis zum "Götterdämmerung"-Arbeiterheer.
    Ich mag diese falschen Inszenierungen!
    Weil diese falschen Inszenierungen bewirken, daß etwa die ja ohnedies nicht unspannende "Walküre" überhaupt wie ein Thriller abläuft und die Länge nicht einmal im zweiten Akt ins Gewicht fällt!
    Ich behaupte nach wie vor: Man kann zu dieser Inszenierung stehen, wie man will; aber wer sie nicht zumindest einmal gesehen hat, dem fehlt ein Grundstein des modernen Musiktheaters.


    Das ist schon richtig. Für die Generation, zu der Edwin und auch ich gehören, hat der Bayreuther "Ring" von 1976 Meilensteincharakter. Der Bruch zum "Ring" von 1975 (Regie: Wolfgang Wagner, Dirigat: Horst Stein) ist enorm gewesen. Das Festspielpublikum war 1976 so empört, wie selten zuvor: im "Siegfried" trillerte ein Spassvogel mit einer Trillerpfeife in die Szene hinein, in der Siegfried eine Flöte schnitzt und diese immer wieder ausprobiert. Beim Wiedererscheinen des Stauwerks am Rhein im dritten "Götterdämmerungs"-Akt ist wegen des Gepöbels der Zuschauer sekundenlang nichts von der Musik zu hören.


    Sänger weigerten sich, in dieser Produktion im zweiten Jahr nochmals aufzutreten (Ridderbusch, Jess Thomas), im Orchestergraben nahmen teilweise andere Musiker Platz.


    Der Protest konservativer Bayreuther Kreise richtete sich pikanterweise auch gegen ein rein französisches Team dieses "Jahrhundert-Rings"...


    Wenn ich bei der "Walküre" bleibe: da gibt es Bilder, die mir auch heute noch, 30 Jahre später, sehr präsent sind: z. B. dieser Moment, wenn Wotan die sich drehende Kugel anhält oder die Ermordung des Siegmunds durch Hunding (auch an dieser Stelle wurde es im Premierenjahr 1976 im Zuschauerraum unruhig).


    Die Sänger überzeugten durch die Bank weg vor allem auch als Darsteller - und sie waren 1976 insgesamt noch in besserer stimmlicher Verfassung als in späteren Jahren. Klar, Donald McIntyre mit seinem etwas unruhigem, engen und nicht sehr farbstarken Bass mag Wünsche offen lassen. Aber seine interpretatorische Kraft hat mich immer überzeugt.


    Und Gwyneth Jones? Man höre sich die aktuelle Brünnhilde der Festspiele an...


    Peter Hofmann habe ich 1974 oder 1975 am Staatstheater in Wiesbaden als Siegmund gehört (er kam damals als Gast vom Opernhaus Dortmund, glaube ich jedenfalls, wo er u. a. als Loge auffiel), den kannte damals noch niemand richtig. Und der war eine echte Entdeckung: nicht nur, dass hier Sänger auch optischen Ansprüchen genügte, auch die Stimme war bemerkenswert. Leider war auch diese Karriere sehr schnell zu Ende. Schon Anfang der 80er wurden die stimmlichen Probleme von Hofmann so gravierend, dass er immer mehr zu einer Zumutung wurde.


    Vermutlich hat Pierre Boulez einen gehörigen Anteil daran, dass mir gerade auch Wagner-Interpretationen von Furtwängler bis Thielemann nicht gefallen. Solche Eindrücke, wie der "Ring" von 1976 sind für mich stark prägend gewesen, szenisch, wie musikalisch.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich behaupte nach wie vor: Man kann zu dieser Inszenierung stehen, wie man will; aber wer sie nicht zumindest einmal gesehen hat, dem fehlt ein Grundstein des modernen Musiktheaters.
    :hello:


    Stimmt! Chéreau und Boulez haben RING - Geschichte geschrieben.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Alviano trifft die Gefühle sehr genau.
    Für mich war Bayreuth geradezu definiert durch den Kampf um diesen "Ring".
    Dabei ging es gar nicht so sehr um pro oder kontra Regietheater. Es ging um die Ausrichtung Bayreuths.
    Auf der einen Seite standen die, die in Wagner den patriotischen Großmeister zu erkennen glaubten, dessen Andenken man kritiklos bewahren muß. Auf der anderen Seite standen diejenigen, die (wie ich) in Wagner den modernen Komponisten erkannten, dessen Werk man unbedingt mit der Gegenwart konfrontieren muß - bzw. eher die Gegenwart mit seinem Werk.
    Es war also ein Kampf ums Wagner-Verständnis.
    Wahrscheinlich wird man dadurch so geprägt, daß man in meiner Generation für sich Musiktheater allgemein neu zu definieren begonnen hat.
    :hello:

    ...

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  • Hallo zusammen,


    dieser Thread ist eigentlich eine gute Gelegenheit als Neuling meinen musikalischen Werdegang ausserhalb des "neue Mitglieder stellen sich vor" Threads näher zu erläutern, da diese Inszenierung sehr prägend für meine persönliche Musikgeschichte wurde. Ausserdem ist es Zeit für eine Liebeserklärung.


    1976 war ich gerade 10 Jahre alt und habe von diesem Ring nichts mitbekommen. 1978 fing meine Opernleidenschaft zunächst mit den Mozartopern an (das wäre ein Thema für eine andere Liebeserklärung). Sehr bald habe ich angefangen alle Opern-Übertragungen im Radio auf einem miserablen Kassettenrekorder aufzuzeichnen. Dabei war dann auch im Sommer 1979 oder 80 die Übertragungen des Rings aus Bayreuth. Ich habe diese Kassetten buchstäblich kaputt gehört und als die Übertragungen der Aufführung im Fernsehen kamen, habe ich quasi keine verpasst. Wir konnten damals die Sender WDR, SWF, HR und die belgischen Programme empfangen, die alle die einzelnen Teile des Rings an unterschiedlichen Tagen sendeten. Ich erinnere mich durchaus an lautstarke Streitereinen mit meinen Eltern, die der Meinung waren, dass dreimal Götterdämmerung innerhalb von zwei Wochen vollständig ausreichend sind - ich war natürlich vollständig anderer Meinung...


    Die von Edwin und Alviano angesprochenen Diskussionen um die Ausrichtung von Bayreuth waren mir vollkommen fremd, auch Diskussionen um den Wert von Regietheater sind mir seit diesem Ring vollständig unverständlich. Chéreau hatte doch eigentlich nur das "Wagner-Brevier" von Bernard Shaw überzeugend auf die Bühne gebracht...


    Ich glaube daher auch nicht, dass man Oper als Jugendlicher nur in "konservativen" Inszenierungen schätzen lernen kann, wie teilweise in diesem Forum behauptet. Gute Aufführungen ist das, was nötig ist (und ja, ich weiss dass es auch unter dem Namen Regietheater Mist gibt).


    Seitdem habe ich die beiden Hauptverantwortlichen immer mehr schätzen gelernt. Boulez ist bei mir immer ein sehr positiv besetzter Name. Ich schätze ihn als Dirigenten und vor allem auch als Komponisten sehr - obwohl er leider nur ein relativ kleines Werk komponiert hat. Von Chéreau kaufe ich jeden Film, der auf DVD erscheint.


    Und seit ca. 1 Jahr habe ich endlich auch den Ring auf DVD. Trotz aller teilweise berechtigten Kritik an den Sängern finde ich, dass dieser Ring in keiner Weise gealtert ist. Möglicherweise bin ich hier nicht wirklich objektiv, aber ich finde diese Inszenierung in Bezug auf überzeugendes Konzept und gutes Schauspiel immer noch Maßstäbe setzend. Daher würde ich diese DVDs als absolutes Muss einer Sammlung von Opern auf DVD bezeichnen.


    Aber wer ist schon objektiv gegenüber der ersten großen Liebe :rolleyes:


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Für Technik-Freaks: Beinahe wäre es der erste digitale "Ring" geworden. Bis zum "Siegfried" hat's geklappt. Doch in der "Götterdämmerung" fuhr eine Kamera über ein Kabel - und aus war's. Eine Reparatur hätte zu lange gedauert und die Aufnahmezeit war extrem knapp bemessen, also wurde die "Götterdämmerung" analog aufgenommen. Auf den Philips-CDs hat man das bei genauem Hinhören gemerkt, bei den neuen DG-DVDs fällt zumindest mir nichts auf, da hat man wirklich perfekt nachgebessert.


    Ich habe nachgesehen, wann der Ring aufgenommen wurde.
    Bei Rheingold, Walküre und Siegfried steht jeweils Juni/Juli 1980. Bei Götterdämmerung steht Juli 1979 - das verwirrt mich jetzt. Götterdämmerung hat man ja demnach zuerst aufgenommen. Oder ist das jetzt nur ein Soundtrack aus 1979, den man zur Filmaufnahme verwendet hat?

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Hallo Melot,
    nein, es stimmt schon. Es wurde glücklicherweise schon vor der Aufzeichnung (analog) mitgeschnitten. Als dann die Aufzeichnung erfolgen sollte, fuhr ein Kamerawagen über ein spezielles Kabel, das nicht in der erforderlichen Zeit ersetzt werden konnte. Deshalb nahm man den analogen Mitschnitt des Vorjahrs.
    :hello:

    ...

  • Danke, Edwin.


    Sag, weißt du mehr über die Aufnahmegewohnheiten in Bayreuth? Es kam schon öfter die Frage, ob es sich generell bei diesen Bayreuth-Filmen um Playback mit Mundbewegungen handelte.


    Zumindest kann man Dank der DVD nun konstante Ton- und Bildqualität genießen, wenn auch letztere nie ganz erstklassig ist. Das gilt auch für den Ponnelle-Tristan. Die Videokassetten waren ja ein Jammer.


    Liebe Grüße
    Gerald

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Auf die Gefahr hin, ähnlichen Reaktionen ausgesetzt zu sein wie die Premiere des Chereau-Rings 1976, möchte ich mich, nachdem ich zumindest Teile dieser Inszenierung gesehen habe, auch mit kritischen Tönen dazu äußern (im ganzen Thread hagelte es ja bisher beinahe ausschließlich positive bis überschwängliche).


    Natürlich war dieser "Jahrhundert-Ring" ein Meilenstein für das Regietheater, das will wohl keiner bestreiten. Genauso ist es aus heutiger Sicht z.T. unverständlich, wieso diese Inszenierung einer solch massiven Kritik ausgesetzt war, erscheint sie doch beinah brav gegen das, was einem heutzutage zugemutet wird.


    Aber man muß eben auch die Gegenpartei verstehen, und dazu muß man eben nicht unbedingt ein "fanatisch-ewiggestriger-engstirniger Wagnerianer" sein, wie es ThomasBernhard anfangs nannte. Die - nennen wir sie mal Altwagnerianer - sahen eben durch derartige Eingriffe in die Inszenierung den Willen Richard Wagners - m.E. zu Recht - bedroht. Deswegen erkläre ich mich dennoch noch längst nicht mit solchen Leuten solidarisch, wie sie der verehrte Edwin Baumgartner eingangs aus eigener Erfahrung beschrieb.


    Ich zitiere mal eine Passage aus dem Beiheft des Solti-Siegfried:


    Zitat

    "Wagner nahm seinen Drachen sehr ernst - zu Recht, denn Fafner ist ein wichtiger Bestandteil der Sage. 1876 ließ der Komponist mit vielen Mühen in England einen passenden Drachen herstellen und nach Bayreuth schicken; aber leider kam der Wurm stückweise an: zuerst der Schwanz, dann der Rumpf, und dann der Kopf, aber ohne Hals. Ob der Komponist mit der modernen Lösung, den Drachen eher anzudeuten als darzustellen, einverstanden gewesen wäre, ist zweifelhaft: er schrieb eine Partie für einen Drachen und wollte ihn ebenso hörbar wie sichtbar zur Geltung bringen."


    Genauso das Ende der Götterdämmerung, das ich in der Chereau-Inszenierung ziemlich mißlungen fand.
    Zitieren wir doch Wagner persönlich:


    Zitat

    Der Ring des Nibelungen. Dritter Tag: Götterdämmerung. Libretto: Richard Wagner
    Sie hat sich auf das Roß geschwungen und sprengt mit einem Satze in den brennenden Scheiterhaufen. Sogleich steigt prasselnd der Brand hoch auf, so daß das Feuer den ganzen Raum vor der Halle erfüllt und diese selbst schon zu ergreifen scheint. Entsetzt drängen sich die Männer und Frauen nach dem äußeren Vordergrunde. Als der ganze Bühnenraum nur noch von Feuer erfüllt erscheint, verlischt plötzlich der Glutschein, so daß bald bloß ein Dampfgewölk zurückbleibt, welches sich dem Hintergrunde zu verzieht und dort am Horizont sich als finstere Wolkenschicht lagert. Zugleich ist vom Ufer her der Rhein mächtig angeschwollen und hat seine Flut über die Brandstätte gewälzt. Auf den Wogen sind die drei Rheintöchter herbeigeschwommen und erscheinen jetzt über der Brandstätte.Hagen, der seit dem Vorgange mit dem Ringe Brünnhildes Benehmen mit wachsender Angst beobachtet hat, gerät beim Anblick der Rheintöchter in höchsten Schreck. Er wirft hastig Speer, Schild und Helm von sich und stürzt wie wahnsinnig sich in die Flut.
    [...]
    Woglinde und Wellgunde umschlingen mit ihren Armen seinen Nacken und ziehen ihn so, zurückschwimmend, mit sich in die Tiefe. Floßhilde, den anderen voran dem Hintergrunde zuschwimmend, hält jubelnd den gewonnenen Ring in die Höhe. Durch die Wolkenschicht, welche sich am Horizont gelagert, bricht ein rötlicher Glutschein mit wachsender Helligkeit aus. Von dieser Helligkeit beleuchtet, sieht man die drei Rheintöchter auf den ruhigeren Wellen des allmählich wieder in sein Bett zurückgetrenen Rheines, lustig mit dem Ringe spielend, im Reigen schwimmen. Aus den Trümmern der zusammengestürzten Halle sehen die Männer und Frauen in höchster Ergriffenheit dem wachsenenden Feuerschein am Himmel zu. Als dieser endlich in lichtester Helligkeit leuchtet, erblickt man darin den Saal Walhalls, in welchem die Götter und Helden, ganz nach der Schilderung Waltrautes im ersten Aufzuge, versammelt sitzen. Helle Flammen scheinen in dem Saal der Götter aufzuschlagen. Als die Götter von den Flammen gänzlich verhüllt sind, fällt der Vorhang.


    Also ich vermisse hier das Roß und v.a. die Götter (selbst die Oper heißt schließlich Götterdämmerung). Das Dahinscheiden von Brünnhilde und Hagen sind in dieser Inszenierung völlig undramatisch; ich mußte mir diese Stelle zweimal anschauen, weil ich meinen Augen nicht traute.


    Ganz zu schweigen vom Boulez-Dirigat, über das ich mich hier nicht weiter auslassen will. Nur soviel: Die Kritik der Orchestermusiker ist mir absolut begreiflich. Er dirigiert das Ganze m.E. seltsam schlank. Das Finale der Götterdämmerung etwa finde ich auch musikalisch merkwürdig wenig mitreißend - ganz anders als bei Solti oder Knappertsbusch, der sich sicher geweigert hätte, diese Inszenierung zu dirigieren.


    Nichtdestotrotz finde ich einzelne Sängerleistungen dieses Rings ausgezeichnet, v.a. Heinz Zednik als wohl bester Mime der letzten dreißig Jahre.


    Summa summarum spricht aber dennoch einiges dafür, daß Richard Wagner höchstselbst mit der Chereau-Inszenierung (und nicht nur mit der, das will betont sein) nicht einverstanden gewesen wäre - und das ist zumindest für mich eben nicht unwichtig.


    Abschließend möchte ich noch auf das Phänomen eingehen, wieso diese Inszenierung 1980 fast nur noch Begeisterungsstürme entfachte - gerade vier Jahre nach dem Debakel von 1976. Es dürfte wohl in der Tag weniger darin begründet liegen, daß eine allgemeine Akzeptanz dieser Inszenierung einkehrte, als vielmehr die Altwagnerianer dieser Inszenierung überdrüßig wurden und sie schlichtweg vermehrt mieden. Selbst ich kenne noch heute aus meiner Generation viele, die diese Inszenierung nicht nur kritisieren, sondern hassen - vielleicht weniger diese Inszenierung für sich genommen, als die Revolution, die sie auslöste. Nach Bayreuth 1976 war ja praktisch alles erlaubt. Wenn selbst im Allerheiligsten der Wagnerianer (die ja sowieso im Rufe der Konservatismus stehen - besonders damals) sowas möglich war, dann auch überall anders.


    Liebe Grüße :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Hallo Felipe,


    Gesanglich eher zweitklassig und orchestral sehr gewöhnungsbedürftig ist gerade das In-Szene-Setzen des "Rings" durch Chereau für uns heute noch interessant.


    1976 war die ganze Theaterlandschaft im Regie-Bereich noch sehr traditionell. Daher ist es sehr verständlich, dass der Protest-Ansturm gegen diese Deutung losbrach.


    Seitdem sind 30 Jahre vergangen!!!


    Nichts ist den Regisseuren seitdem heilig - und nicht nur in Bayreuth.


    Regieanweisungen in den Librettis - wer hält sich heute überhaupt noch daran?



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Hallo,


    Heiliges gehört in die Kirche, nicht auf die Bühne. Wagner ist keine Religion, das Bayreuther Festspielhaus ist weder eine Kirche, noch ein Tempel oder sonstwas Sakrales, sondern ein Ort zur Aufführung eines bestimmten Werkkanons. Da hat´s eine gewisse Atmosphäre, vielleicht so etwas wie den genius loci. Aber mehr auch nicht. Die eigentliche Lebensleistung Wolfgang Wagners neben seinen unbestrittenen Managementfähigkeiten bestand darin, dass er nach dem Tode seines künstlerisch ungleich begabteren Bruders Wieland nicht seine eigenen szenischen Laubsägearbeiten zum Maßstab erhob, sondern Bayreuth zur "Werkstatt" machte und für Regisseure von außerhalb öffnete. Das sicherte Bayreuth zumindest bis in die 90er Jahre hinein noch so etwas wie künstlerischen Führungsanspruch, den es heute nicht mehr besitzt. Chéreaus Inszenierung ist sicher nicht "perfekt" und gerade beim Gesang kann man Einiges aussetzen. Aber sie ist eine kluge und durchdachte Aufführung aus einem bestimmten interpretatorischen Blickwinkel. Und das ist mehr, als man von den meisten Aufführungen des Rumsteh- und Rampentheaters älterer und neuerer Prägung sagen kann.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von Felipe II.
    Abschließend möchte ich noch auf das Phänomen eingehen, wieso diese Inszenierung 1980 fast nur noch Begeisterungsstürme entfachte - gerade vier Jahre nach dem Debakel von 1976. Es dürfte wohl in der Tag weniger darin begründet liegen, daß eine allgemeine Akzeptanz dieser Inszenierung einkehrte, als vielmehr die Altwagnerianer dieser Inszenierung überdrüßig wurden und sie schlichtweg vermehrt mieden. Selbst ich kenne noch heute aus meiner Generation viele, die diese Inszenierung nicht nur kritisieren, sondern hassen - vielleicht weniger diese Inszenierung für sich genommen, als die Revolution, die sie auslöste. Nach Bayreuth 1976 war ja praktisch alles erlaubt. Wenn selbst im Allerheiligsten der Wagnerianer (die ja sowieso im Rufe der Konservatismus stehen - besonders damals) sowas möglich war, dann auch überall anders.


    Dieser ganze Absatz ist für mich fragwürdig. Es hat sicher auch eine Veränderung im Publikum gegeben - und das ist absolut notwendig gewesen. Diese, wenn ich den Begriff übernehmen darf, "Altwagnerianer" haben der Enwicklung von Bayreuth eher geschadet. Wenn ich solche Begrifflichkeiten wie "Allerheiligstes" lese, dann fällt mir das, mit Verlaub, schon schwer, den Text ernst zu nehmen. Wagner hat tolle Opern geschrieben, Religionsgründer war er keiner - und als Prophet eines faschistischen Staates haben ihn ganz andere nach seinem Tod gemacht.


    An Boulez angelehnt würde ich sagen, dass man Wagner auch vor den "Altwagnerianern" in Schutz nehmen muss. Da gibt es eine Menge an Klitterungen und Irrtümern.


    Was mich durchaus nachdenklilch stimmt - und das sollte man dieser Stelle durchaus nochmal erwähnen: der Protest 1976 war organisiert, das war keine - oder zumindest nicht nur - spontane Missfallensbekundung. Von soewtas würde ich mich auch dann distanzieren, wenn mir das künstlerische Ergebnis der Aufführung gleichfalls nicht gefiele.


    Ich persönlich denke, es wäre an der Zeit, auch in Bayreuth die frühen Werke "Rienzi", "Liebesverbot" und "Feen" zu spielen und (meinethalben im Markgräflichen Opernhaus) einmal einen Versuch mit einer zyklischen Aufführung der Siegfried-Wagner-Opern zu versuchen.


    Tradition ist nicht immer was positives - machmal erweist sie sich auch als schwerer Balast.

  • Meine Lieben,


    ich will dieser Inszenierung nicht absprechen, daß sie ein absoluter Meilenstein war für das Regietheater und mittlerweile auch schon sowas wie ein Heiligtum für die Freunde des Regietheaters.


    Für die Befürworter von Inszenierungen konservativer Prägung stellt sie einen großen Bruch dar zum Vorherigen.


    Was ich mich frage, ist: Wollten die Herren Chereau und Boulez - sich im Klaren, welche Reaktionen es auslösen würde - dadurch schnell berühmt werden? Wenn das ihre Absicht war, so ist ihnen das jedenfalls vortrefflich gelungen. Wer erinnert sich heute schon noch an die Ring-Inszenierungen von 1975 oder 1981?


    Wenn man 1976 mit dem Erwartungshorizont hineinging, eine werkgetreue (d.h. für mich librettogetreue) Inszenierung zu sehen, wurde man maßlos enttäuscht und erlitt einen Schock.


    Für mich - und viele andere - ist ein Opernbesuch etwas Feierliches. Ich möchte darin gerne das sehen, was im Libretto auch steht, keine Eigeninterpretationen wildgewordener Regisseure, die sich gern profilieren wollen - im Übrigen denke ich, daß man heutzutage eher provoziert und ins Rampenlicht kommt, wenn man eine besonders konservative Inszenierung abliefert. Vielleicht dringt diese Erkenntnis ja irgendwann auch bis zu den Regisseuren durch.


    Interessant finde ich übrigens, daß so eine revolutionäre Inszenierung noch zu Lebzeiten von Winifred Wagner zustande kam. Ihre Reaktion darauf kenne ich zwar nicht, kann sie mir aber gut vorstellen ...

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Alviano
    Ich persönlich denke, es wäre an der Zeit, auch in Bayreuth die frühen Werke "Rienzi", "Liebesverbot" und "Feen" zu spielen und (meinethalben im Markgräflichen Opernhaus) einmal einen Versuch mit einer zyklischen Aufführung der Siegfried-Wagner-Opern zu versuchen.


    Lieber Alviano,


    ich stimme Dir hier absolut zu!
    Die drei frühen R. Wagner-Opern - die so schlecht ja gar nicht sind - und die S. Wagner-Opern würden dadurch wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit kommen, andere Opernhäuser würden sie vielleicht auch wieder ins Repertoire aufnehmen.


    Liebe Grüße :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Original von Felipe II.
    Ich will dieser Inszenierung nicht absprechen, daß sie ein absoluter Meilenstein war für das Regietheater und mittlerweile auch schon sowas wie ein Heiligtum für die Freunde des Regietheaters.


    Für die Befürworter von Inszenierungen konservativer Prägung stellt sie einen großen Bruch dar zum Vorherigen.


    Da muss man schon genauer Hinschauen: für Bayreuth war diese Inszenierung, zumal im Jubiläumsjahr 1976, tatsächlich eine wichtige Produktion mit Signalwirkung. Sie war, zweifelsfrei, ein Bruch zur Bildwelt eines Wolfgang Wagner, aber vielleicht ähnlich verstörend, wie das die Inszenierungen von Wieland Wagner schon Jahre vorher für seine Zeit gewesen sind.


    An anderen Orten gab es schon länger Inszenierungen, die anders ausfielen, als man das gewohnt war: Ulrich Melchingers Kasseler "Ring" kam z. B. dort zwischen 1970 und 1974 auf die Bühne...


    Dinge entwicklen sich, die kommen nicht plötzlich aus heiterem Himmel und sind dann irgendwie da.

  • Montag, 15. November 2010 um 22.55 Uhr -arteTV.de


    Patrice Chéreau, Leidenschaft für den Körper
    Ob Theater, Oper oder Film - Patrice Chéreau ist unermüdlich und einer der vielseitigsten Regisseure unserer Zeit.
    (Frankreich, 2009, 75mn)
    ARTE F
    Regie: Stéphane Metge



    Wiederholungen:
    29.11.2010 um 10:05
    05.12.2010 um 09:50


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Erstaunlicher Weise (ja, warum eigentlich) war der Chereau/Boulez-Ring die erste Opernaufführung, die ich jemals gesehen habe - im TV wohlgemerkt, zu allem anderen bin ich doch zu jung bzw. wäre zu arm gewesen.
    Man könnte vielleicht sagen, dass er mich auf eine gewisse Weise geprägt hat. Ich fand ich damals sehr faszinierend. Da ich gar keinen Vergleich hatte, war ich auch mit den Sängerleistungen bis dato sehr zufrieden. Heute bewegt sich der Eindruck eher zum Mittelmaß, was der Inszenierung für mich aber keinen Abbruch tut.
    Dieser "Ring" ist für mich DIE Adresse, wenn ich dieses Werk SEHEN will, will ich dagegen HÖREN, greife ich zu CD-Aufnahmen, die mir gesanglich deutlich mehr zusagen.


    Dass diese Inszenierung an heutigen gemessen schon fast traditionell oder wenigstens gemäßigt anmutet, finde ich sehr gut, sie ist ein Bindeglied. Davon abgesehen ist die Deutung Chereaus für mich bis heute die intelligenteste und durchdachteste, die es in modernen Inszenierungen je gegeben hat.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Der Chereau-Ring war vor allem auch der Boulez-Ring. Und ich kann es an der Stelle nur mal wieder betonen: Akustisch sind die Mitschnitte aus dem Premierenjahr 1976 eindeutig besser. Die Sängerbesetzung ist frischer und tlw. ganz anders (Kollo, Thomas, Ridderbusch usw.), und das Orchester spielt manchmal wie ums Überleben, als wollte es dem (wegen der Inszenierung) empörten Publikum es grad mit Absicht beweisen. Selten habe ich das Bayreuther Festspielorchester so glutvoll gehört wie hier, z. B. bei Siegfrieds Trauermarsch.





    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mir gefällt es nach wie vor nicht. Und das Gewese um die so sensible Personenregie erschließt sich mir nicht. lediglich die Toteninsel finde ich stimmig, ansonsten: Mein Jahrhundert-Ring ist DAS nicht!

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