‚Du Zähre meines Herzens’ – die Welt der Bachkantaten

  • (auch wenn die beiden Threads zusammengeführt werden sollten, antworte ich jetzt einfach an dieser Stelle...)


    Hallo Sagitt, Hallo Taminos,


    Von den über 200 noch existierenden Bach-Kantaten habe ich rund die Hälfte gehört, bin aber gerade mal mit vielleicht 30-40 wirklich gut vertraut. Daher ist es es gut möglich, dass ich meine wirklichen Favoritan noch gar nicht kenne. Beim derzeitigen Stand der Dinge fallen mir spontan aber folgende Beispiele für besonders kostbare Bach-Kantatenperlen ein:


    Zitat

    Zitat sagitt:
    Ich fange an mit dem Duett aus BWV 78:Wir eilen mit schwachen,doch emsigen Schritten... ein herrliches Stück Musik.


    ... dem schließe ich mich sofort an, allerdings in der solistisch besetzten Aufnahme von Joshua Rifkin.


    Zitat

    Zitat reklov29:
    gesanglich sowie wunderschön instrumentiert die Alt-Arie "Widerstehe doch der Sünde" BWV 54.


    ... nehme ich auch, allerdings mit Philippe Herreweghe und Andreas Scholl.


    Und drei weiter Schätzchen:


    - Der erst flehentliche, dann beschwingte Tonfall des Eingangschors aus der Kante BWV 131 "Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir"


    - Der Schwung und Glanz des Eingangschors aus der Kantate BWV 62 "Christen, ätzet diesen Tag"


    -- Die Duoarie "Die Armut, so Gott auf sich nimmt" aus der Kantate BWV 91 "Gelobet seist du, Jesu Christ"


    Man könnte natürlich noch viel, viel mehr aufzählen - aber das werden die anderen Taminos sicher tun.


    Schöne Grüße!
    :hello: Daniel :hello:

  • Sagitt meint:
    Ich weise auf eine kleine Box mit Kantaten hin: BWV 6,41,49,68,85,180,183,199 hin. Der Cellist Christoph Coin hat mit dem ensemble baroque Limoges, dem Concerto Vocale Leipzig, dem Chor accentus diese Kantaten sehr transparent, musikantisch eingespielt. Bis auf die schwer erträgliche Barbara Schlick hat er gute Solisten, Scholl,Pregardien,Gotthold Schwarz.
    Auch in diesen Kantaten finden sich Perlen.Man weiss gar nicht, wo anfangen ? Die Orgel Sinfonia von BWV 49 oder die hoch virtuose Tenorarie in BWV 180...das Duett zum Beschluss in BWV 49 und und und...wo kann man hier aufhören ?

  • Hallo Sagitt,
    habe mit Coin BWV 49, 115 & 180 auf einer CD. Es ist wirklich eine wunderschöne Aufnahme. Barbara Schlick war in früheren Jahren (80er) allerdings exzellent. Sie hat später ein eigentümlich inkonsistentes Flackern und eine beträchtliche Schärfe in der Stimme bekommen. Inzwischen klingt sie wie eine alternde Gemse - leider... Auf der Coin-Aufnahme sind diese Einbußen jedenfalls schon hörbar, obwohl ich's vermutlich nicht gar so schlimm finde wie du.


    Bezüglich der chorischen Perfektion sind übrigens die Kantaten-Einspielungen des Bach Collegium Japans unter Masaaki Suzuki hervorzuheben. Gardiner ist mir -entgegen der Meinung vieler Forianer- oftmals zu "rumsig", irgendwie zu vordergründig. Da werde ich mit dem Koopman-Zyklus, von dem ich aber nur einige Volumes habe, deutlich glücklicher. Herreweghe liegt in aller Regl sowieso auf meiner Linie.
    Komplett habe ich die Bach-Kantaten nur mit Rilling (diese fette Bach-Gesamtbox, die man eine Zeit lang für einen Hunderter hinterher geschmissen bekam) - das sind größtenteils fürchterlich biedere, breit getrampelte Aufnahmen. Die weltlichen Kantaten hat Rilling sehr viel später
    gemacht. Hier hat sich seine Auffassung deutlich hörbar verändert, "modernisiert"- das kann man sich durchaus mit Genuss anhören. Bezüglich seiner Gesangssolisten hat Rilling ohnehin zu jeder Zeit ein exzellentes Händchen bewiesen.
    Schöne Grüße :hello:
    Daniel

  • Zitat

    Original von Daniel Behrendt


    Gardiner ist mir -entgegen der Meinung vieler Forianer- oftmals zu "rumsig", irgendwie zu vordergründig.



    ... eben sehr sportiv!


    Offensichtlich fehlt vielen Interpreten der Mut zu langsamen Tempi (insbesondere die englischen Interpreten?).


    Da lob ich mir, was die geistlichen Kantaten betrifft, die gesammelten Werke, leider nicht "gesamt", von Karl Richter.

  • Bin wahrlich kein Kantatenexperte, längst nicht alle gehört (obwohl ich einige der beigen und sogar der alten braunen Harnoncourt/Leonhardt-Klötze hier stehen habe), aber ein sehr schöner Satz, der noch nicht genant wurde, ist gleich der Anfang von BWV 1 "Wie schön leuchtet der Morgenstern", im Strahlenkranz von Violinen und Hörnern. Ebenso finde ich die wohl erste Kantate, die ich kennenlernte immer noch außerordentlich 140 "Wachet auf, ruft uns die Stimme" (und nicht vergessen die Wendy Carlos Version des Satzes mit c.f. im Tenor :D )
    Zuletzt noch eine Solo-Kantate 199 "Mein Herze schwimmt in Blut"


    Die Kantaten systematisch zu hören wäre wieder so ein guter Vorsatz, den ich doch nicht heinhalten würde... :wacky:


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich habe mir vor kurzem ein Bach-Lexikon zugelegt, in dem unter anderem die Zuordnung sämtlicher geistlicher Kantaten zum jeweiligen Sonn- oder Feiertag im Kirchenjahr aufgelistet ist. Wenn das den einen oder die andere interessiert, könnte ich diese Aufzählung regelmäßig ein oder zwei Tage vorher hier einstellen.


    Für morgen den 8. Januar - 1. Sonntag nach Epiphanias - sind folgende Kantaten vorgesehen: bzw. komponiert worden


    BWV 32 Liebster Jesu, mein Verlangen
    BWV 124 Meinen Jesum laß ich nicht
    BWV 154 Mein liebster Jesus ist verloren
    BWV 217 Gedenke, Herr, wie es uns gehet
    (Echtheit angezweifelt)


    Leider besitze ich keine dieser Kantaten - insgesamt habe ich bisher nur etwa 60.. Da ich beschlossen habe, keine Aufnahme mit Altus/Countertenor mehr zu kaufen wird es auch schwierig mit Neuerwerbungen - zumal mir Rilling nicht gefällt.


    Mit Gruß von Carola :hello:

  • Sagitt meint:


    Bevor es gleich Sonntag ist, der Eingangschor von Lobe der Herrn meine Seele, BWB 143. Ludwig Güttler bläst das corno da caccia.
    Rotzsch macht seine Sache mit dem Bachischen collegium äußerst munter.Die Thomaner singen.Der Schlusschor, Halleluja, wird prächtig von drei Hörner gekrönt.


    Nachtrag: es ist einer meiner ältesten CDs. 1984. Wann löst sie sich auf ?

  • ... Und noch so ein Edelstein - gerade eben gehört: "Alles was von Gott geboren" aus BWV 80 "Ein feste Burg ist unser Gott" - Schöne Herreweghe-Einspielung im munteren, aber keineswegs gehuddeltem Tempo. LG!
    Daniel

  • Hallo,


    eine für mich sehr ansprechende Kantate:


    Das BWV 56; ("Ich will den Kreuzstab gern tragen")
    ist eines der meist aufgeführten Kantatenwerke von Bach.


    Hervorheben möchte ich hier den 3. Satz, die Bass-Arie
    (Endlich, endlich wird mein Joch von mir weichen müssen) vom Bassisten und der Barock-Oboe stimmlich
    und rythmisch, sowie sinnlich überzeugend umgesetzt durch Gardiner.



    Grüsse
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

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  • Hallo tom,
    Zitat:
    Da lob ich mir, was die geistlichen Kantaten betrifft, die gesammelten Werke, leider nicht "gesamt", von Karl Richter.
    --------------------------------------


    Meinem Kenntnisstand nach wurden von Karl Richter ca. 70 Bachkantaten veröffentlicht.



    Grüsse
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • 49 -ich geh und suche mit verlangen/6.,s, b arie"dich hab ich je und je"
    50 -nun ist das heil und die kraft(fragment)
    79 -gott der herr ist sonn und schild/5., s, b arie "gott ach gott"
    85 -ich bin ein guter hirt/2., a arie "jesus ist ein guter"
    87 -bisher habt ihr nichts gebeten in meinem namen/2., a arie"vergib
    o vater", 6., t arie "ich will leiden"
    103 -ihr werdet weinen und heulen/1., chor/5., t arie "erholet euch"
    117 -sei lob und ehr dem höchsten gut/7., a arie "ich will dich all"
    146 -wir müssen durch viel trübsal/1., sinfonia/2., chor
    149 -man singet mit freuden vom sieg/6., a, t arie "seid wachsam"
    174 -ich liebe den höchsten von ganzem gemüte/4., b arie"greifet zu"
    182 -himmelskönig, sei willkommen/1., sonata/2., chor/5., a arie"leget
    euch dem heiland unter"/6., t arie "jesus lass durch"
    188 -ich habe meine zuversicht/1., sinfonia


    und abgesehen davon:
    ist bwv106 zu toppen?! und zwar vom anfang bis zum ende...


    :hello:

  • Sagitt meint:


    Für den Sänger in jedem Fall. BWV 106 ist durchaus gut zu bewältigen, etwa im Gegensatz zu BWV 4 Christ lag in Todesbanden oder BWV 21 Ich hatte viel Bekümmernis und manche andere.


    Vielen Dank für die Anregung. Ich werde die angebenen Sätze mal durchhören.

  • Gemeinsam mit "Wir müssen durch viel Trübsal" (BWV 146) sind auch noch "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen" (BWV 12) und "Ihr werdet weinen und heulen" (BWV 103) zu nennen, die alle drei für denselben Anlass bestimmt sind.


    Aus dem Chor von "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen" ist das Crucifixus von BWV 232 geworden.

  • Sehr schön ist auch die Kantate Herz und Mund und Tat und Leben, BWV 147.


    Besonders prachtvoll der Eingangschor (ohne Pauken aber mit Trompeten) und auch der Choral am Schluss: Jesus bleibet meine Freude.


    Nicht zu vergessen die innig-meditative Sopranarie "Bereite dir Jesu, noch itzo die Bahn", die mich immer ein wenig an "Ich will nur Dir zu Ehren leben" aus dem Weihnachtsoratorium erinnert, auch wegen der eingesetzten Solovioline. Womöglich ist das auch eine Fugen-Arie? Ich bin nicht sicher....


    Mit Gruß von Carola :hello:

  • Zitat

    Original von Carola
    ...die mich immer ein wenig an "Ich will nur Dir zu Ehren leben" aus dem Weihnachtsoratorium erinnert, auch wegen der eingesetzten Solovioline. Womöglich ist das auch eine Fugen-Arie? Ich bin nicht sicher....


    Hallo Carola,


    genau an "Ich will nur Dir zu Ehren leben" aus dem WO musste ich auch denken, als ich den "Fugen-Arien"-Thread sah...


    :hello:


  • Ich habe vor einem Jahr diese Sammlung bekommen und werde nur
    in den nächsten Wochen versuchen, mir jede Kantate anzuhören.
    Bis jetzt kann ich nur sagen, dass die Sänger alle hervorragend sind.
    Die Tempi sagen mir aber nur teilweise zu.
    Alles ist aber sehr schön sauber und modern dezent.
    Absolut kein donnernder Rilling.

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • Das ist mal wieder ein richtig gutes Thema!!
    Auch ich arbeite mich hindurch durch die Welt der Bachkantaten aber im "wörtlichen sinne", da ich damit beschäftigt bin möglichst viele und irgendwann einmal alle Bass-Arien aus den Kantaten zu studieren bzw.studiert zu haben.
    Von daher gefallen mir natürlich die beiden großen Bass-Solo Kantaten "Ich habe genug"(an der ich auch zur Zeit arbeite) BWV 82 und die legendäre "Kreuzstabkantate" BWV 56.
    Aber auch die etwas unbekanntere Bass-Solo Kantate "Der Friede sei mit dir" BWV 158 ist absolut zum empfehlen.Sie gefällt mir teilweise besser wie die beiden großen, da sie mich auf eine andere Art und Weise berührt, das liegt wohl an thematischen und auch musikalischen Gründen in denen sie sich von BWV 82 & 56 unterscheidet, zudem ist sie halt nur halb so lang.
    Dann noch zwei meiner absoluten Lieblingskantaten "Sehet wir gehn hinauf gen Jersualem" (BWV 159) und "Man singet mit Freuden vom Sieg" (BWV 149).


    Ich besitze die gesamten Rillingaufnahmen und viele verschiedene andere und kann dort absolut die Quasthoff Aufnahme empfehlen auf der er die frei angesprochenen Bass-Solo Kantaten singt.
    Abschließend ist zu sagen das Bach einfach eine Offenbarung ist und mir ist er durch meine Kreuzchorzeit schon früh ans Herz gewachsen.


    Mit musikalischen Grüßen,
    Richard

  • BWV 72, "Alles nur nach Gottes Willen": der Eingangschor ist zum Gloria der kleinen Messe in g-Moll BWV 235 geworden

  • BWV 29, "Wir danken dir, Gott, wir danken dir": die Sinfonia ist das Präludium der E-Dur-Partita BWV 1006 mit Orgel, der Eingangschor zum "Gratias agimus" und "Dona nobis pacem" der h-Moll-Messe geworden
    BWV 120, "Gott, man lobet dich in der Stille", der Chor "Jauchzet ihr erfreuten" taucht ebenfalls in der h-Moll-Messe auf
    BWV 11, Himmelfahrtsoratorium, die Alt-Arie "Ach bleibe doch, mein liebstes Leben" ist zum Agnus Dei der h-Moll-Messe geworden

    2 Mal editiert, zuletzt von qwer ()

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  • Meine derzeitigen Lieblingskantaten:


    - BWV 137
    - BWV 214

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Bachfreunde,


    ich möchte auf eine Aufnahme hinweisen, die sehr viel Interessantes in Sachen Instrumente bietet.




    BWV 85 Ich bin ein guter Hirt
    BWV 183 Sie werden euch in den Bann tun
    BWV 199 Mein Herze schwimmt im Blut
    BWV 175 Er rufet seinen Schafen mit Namen


    Barbara Schlick, Andreas Scholl, Christoph Prégardien, Gotthold Schwarz
    Concerto Vocale Leipzig, Limoges Baroque Ensemble
    Christophe Coin



    Christophe Coin hat noch zwei weitere CDs eingespielt. Ihm ging es darum, sämtliche Kantaten aufzunehmen, in denen Bach ein Violoncello piccolo fordert. Dieses Instrument spielt Coin in den Aufnahmen selbst. Klanglich kann ich kaum einen Unterschied zum normalen Cello feststellen, aber es ist schon auffällig, dass Bach die Stimme sehr oft in recht hohe Tonlagen geführt hat.


    Eine weitere Besonderheit ist die Trompete in BWV 175. Jean-François Madeuf spielte beide Stimmen dieser Kantate. Der Grund dafür liegt in der Art des verwendeten Instrumentes. Es handelt sich dabei um eine sog. lochlose Trompete, wie sie im Barock üblich war. Etwa um 1760 herum kamen erst Instrumente mit Grifflöchern auf. Diese Grifflöcher, es sind üblicherweise drei oder vier, helfen dem Spieler, weil durch das Öffnen eines Loches bestimmte Töne deutlich besser ansprechen. So wird kann der Trompeter leichter sauber intonieren. Auf einer Trompete ohne diese Löcher geht das auch, aber es erfordert vom Spieler einen höheren Kraftaufwand. Die entsprechende Technik wird "Treiben" genannt, was damit zu tun hat, dass Töne der Naturtonskala, die nicht sauber klingen, durch die Änderung der Lippenspannung und Zungenstellung in die richtige Richtung "getrieben" werden können.


    Heute sind die Trompeten mit Grifflöchern unter den Barocktrompetern sehr weit verbreitet, obwohl, wie gesagt, die Löcher erst bei Instrumenten in der zweiten Hälfte des 18. Jh. auftauchen. Kaum einer erreicht die gleiche Qualität auch auf einem lochlosen Instrument. Einer der es ganz gut kann, ist Jean-François Madeuf; er lehrt Naturtrompete an der Schola Cantorum Basiliensis. Weil er offenbar zur Zeit der Aufnahme (1994) der einzige war, der das beherrschte, hat er beide Trompetenstimmen der Kantate 175 spielen müssen.


    Klanglich ist das Ergebnis schon noch ein Stück entfernt von der Perfektion, die mit Grifflöchern möglich wäre. Hin und wieder gibt es leichte Intonationstrübungen und in der Höhe wirkt der Klang etwas brüchig. Aber die Erforschung des historischen Instrumentariums und der zugehörigen Spieltechniken ist eben noch längst nicht abgeschlossen. Ich vermute ganz stark, dass da in den letzten 10 Jahren noch etliches erreicht wurde.



    Eine weitere klangliche Kuriosität sind die beiden Oboe da caccia, die in der Kantate 183 zu hören sind. Der Klang erinnert mit seiner fülligen Tiefe sehr an ein Englisch Horn. Diese Instrumente liefern für das einleitende Rezitativ den zum Text passenden bedrohlichen Hintergrund.


    Es handelt sich bei der Oboe da caccia um eine Tenoroboe mit einem gebogenen Corpus. Zu Bach´s Zeiten war in Leipzig der Instrumentenbauer Johann Eichentopf tätig. Von ihm haben sich zwei Oboe da caccia erhalten, die im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Instrumenten ein Schallstück aus Messing haben. Bach hat diese Instrumente offenbar sehr geschätzt, denn er verlangt sie in etlichen seiner Kantaten.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Die Oboe da caccia ist der barocke Vorläufer des Englischhorns, es handelt sich um eine Oboe in Altlage (F-Stimmung), die sich zur "normalen" Oboe so verhält wie die Sopran- zur Altblockföte.


    Das Instrument wird bei Bach in der Tat recht häufig verwendet, man findet es in Passionen, im WO und in verschiedenen Kantaten. In 4 Stunden spiele ich bei zwei Kantaten mit, in denen die da caccia besetzt ist (119 und 197). Bei Aufführungen mit modernem Instrumentarium bläst man die Stimme auf dem Englischhorn.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    danke für die Ergänzung. :jubel:


    Die Einordnung der Oboe da caccia als Tenorinstrument habe ich dem aktuellen MGG entnommen. Du schreibst, dass es der Altlage entspricht. Egal was es nun tatsächlich ist, mich hat der tiefe Klang der Instrumente in der oben genannten Aufnahme sehr beeindruckt.


    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo Thomas,


    tut mir leid, daß ich schon vorhin im Besserwissermodus unterwegs war und jetzt auf einem ähnlichen Gleis weitermache, aber die Konfusion bezüglich der Stimmlagen ist gerade in Bezug auf Oboeninstrumente ziemlich groß. Auch bei Wikipedia kann man leider den Unsinn von der da caccia als Tenoroboe lesen. Das eine Quinte tiefer als die normale Barockoboe klingende Instrument ist aber vom Ambitus fast mit dem Englischhorn (welches auf niederländisch völlig zu Recht "Althobo" heißt) identisch.


    Hier noch mal die Lagen der verschiedenen Oboeninstrumente:


    (Barock)Oboe in C = Sopran
    (Barock)Oboe d´amore in A = Mezzo
    Oboe da caccia bzw. Englischhorn in F = Alt
    Bariton(! :D )oboe bzw. Heckelphon in C = Tenor


    Vertan habe ich mich vorhin in Bezug auf BWV 197. Original ist da keine da caccia (bzw. kein Englischhorn) besetzt - ich habe mir lediglich eine tief liegende d´amore-Stimme fürs Englischhorn umgeschrieben, um für die Kombi 119/197 nicht drei Instrumente mitschleppen zu müssen. Das funktioniert in diesem Fall nur an der zweiten Stimme. Die erste Oboe kam heute nicht um den Wechsel Oboe - Oboe d´amore - Englischhorn herum.
    Das Hantieren mit drei verschiedenen Tröten ist ungemein stressig.....


    Ach so, noch ein Tipp im Hinblick auf das eigentlich Threadthema: Die Alt-Arie Nr.3 "Schläfert allen Sorgenkummer" aus 197 (mit d´amore) gehört für mich zu den absoluten melodischen Highlights der Bachkantaten.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    In MP-Ausführungen live sah ich als Oboe da caccia immer eine Oboe benützt, die am Ende eine kleine Kurve hatte.
    Aber ich mein Begleitheft zu der MP unter Harnoncourt (auf LPs damals, denn ich habe nicht das CD-Heft geprüft), zeigte er einen Oboe die ein Horn glich. Also eine Kurve von 360 Grad.
    Meinst Du diese horngleichende Oboe, oder die mit der Kurve am Ende?


    Harnoncourt hatte diese bizarre Oboe in einem Schwedischen Museum gefunden, glaube ich. Und das Ding kam aus Deutschland und wurde um 1700 gemacht.


    Kannst Du mich bitte aufklären? Oder muß ich mal das Bild einscannen?


    LG, Paul

  • Hallo Paul,


    in seinem Buch "Der musikalische Dialog" beschreibt Harnoncourt die Entdeckung der Oboe da caccia.
    Leider liegt mir das Buch jetzt nicht vor, so dass ich aus dem Gedächtnis berichte:
    Während der Gesamtaufnahme der Bachkantaten ist man immer wieder auf diese Instrumentenbezeichnung gestossen, ohne genau zu wissen, was Bach damit meinte. Bachs Partien für Oboe da caccia passten von ihrem Charakter her überhaupt nicht zum Instrumentennamen, zu dem man sich eher forsche Jagedmotive vorstellen konnte.
    Die ersten Aufnahmen wurden dann auch mit einer Tenoroboe eingespielt.
    Durch einen Museumsbesuch entdeckten die Musiker ein Instrument des aus Leipzig stammenden Instrumentenbauers J.H. Eichentopf.
    Es ist hornartig gebogen und hat am Ende einen Trichter aus Metall.
    Dieses Instrument wurde vom damaligen Concentus-Mitglied und jetzigen Instrumentenbauer Paul Hailperin so genau wie möglich vermessen und nachgebaut.
    Es klingt weicher, schmeichelnder als eine normale Barockoboe und soll erstaunlicherweise sogar leichter zu spielen sein, als diese.
    Das einem Waldhorn ähnelnde Aussehen des Instruments ist also der Grund für den Namen "da caccia".
    Harnoncourt war mit seinen Concentus-Musikern überzeugt, das von Bach geforderte Instrument gefunden zu haben.
    In der Erstaufnahme des Weihnachtsoratoriums ist es m.E. bereits zu hören.


    Meines Wissens werden Kopien dieses Instruments heutzutage i.d.R. von Ensembles mit alten Instrumenten für deren Bachaufführungen verwendet.
    Kürzlich sah ich es auch auf einer DVD-Produktion der Bachschen Matthäuspassion mit den Musikern des Brandenburg Consorts unter Stephen Cleobury.


    Einschränkend möchte ich erwähnen, dass ich frei aus dem Gedächtnis berichte. Genauer ist es z.B. in dem oben erwähnten Buch nachzulesen.



    Gruss :hello:
    Bernd

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Das, was der andere Bernd schreibt, ist richtig, wobei die da caccia nach Eichentopf heute nicht nur von Hailperin, sondern auch von anderen Instrumentenbauern hergestellt wird und zum Instrumentarium jedes Barockoboisten gehört.
    Die gebogene Form der da caccia findet sich übrigens auch noch bei Englischhörnern des (frühen) 19. Jahrhunderts, nur weisen diese statt des Metalltrichters am Ende ein birnenförmiges Schallstück aus Holz ("Liebesfuß") auf - ebenso wie das moderne Emglischhorn. Pauls, diese Birne meintest du mit "der Kurve am Ende", oder?


    Viele Grüße


    Bernd

  • Wie schon im anderen Thread geschrieben:
    Meine Bachkantate: BWV 82
    Ich könnte sie wieder und wieder und wieder hören.


    Allerdings könnte sich dass auch wieder ändern, in dem Sinne, dass weitere "Lieblingskantaten" dazukommen, auch ich möchte nämlich alle durcharbeiten und wie Richard hoffentlich auch singen. Halt die Alt-, nicht die Bassarien ;)


    Zunächst habe ich an eine Gesamtaufnahme gedacht, aber verschiedene Posts haben mich dazu bewogen, doch lieber verschiedene Interpreten zu nehmen. Doppelte Aufnahmen möchte ich nicht nur nicht vermeiden, sie sind durchaus erwünscht!!


    Apropos Altarie, auf der Compilation, die beim Fonoforum (vorletzte Nummer) dabei war, ist eine herrliche Altarie drauf, ich weiss aber nicht auswendig, welche. Werde nachschauen und morgen ergänzen.


    Ps: eine Gesangspädagogin meinte mal: Mozart und Bach sind die besten Lehrmeister. Ich denke, sie hatte recht...

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Die gebogene Form der da caccia findet sich übrigens auch noch bei Englischhörnern des (frühen) 19. Jahrhunderts, nur weisen diese statt des Metalltrichters am Ende ein birnenförmiges Schallstück aus Holz ("Liebesfuß") auf - ebenso wie das moderne Emglischhorn. Pauls, diese Birne meintest du mit "der Kurve am Ende", oder?


    Bernd und Bernd,


    Danke. :jubel: Ja, dies meinte ich mit "Kurve am Ende".


    LG, Paul

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