Christian Thielemann - Hoffnungsträger der Tonträgerbranche?

  • Letztlich soll es dem hörer gefallen.


    Super, dann können wir ja hier dicht machen, wenn's gar nicht mehr um die Musik, um das Kunstwerk geht, sondern nur noch um's Amusement des Plebs. :thumbup:

    Wenn man allerdings von Dirigenten verlangt, dass sie sich immer brav an die Vorgaben halten und nicht eigene Wege beschreiten


    Ist ja auch völlig abwegig, dass der Wille des Komponisten irgendeine tiefere Bedeutung haben soll bei der Interpretation, selbst wenn dieser Wille nicht nur unterstellt wird, sondern ausdrücklich notiert ist ... Notentext? Völlig überflüssig das ... 8)


    Wenn jede Diskussion mit der Feststellung beendet wird, es sei ja letztlich doch alles Geschmackssache - was für einen Sinn haben die hiesigen vielfältigen Überlegungen dann eigentlich?

  • Super, dann können wir ja hier dicht machen, wenn's gar nicht mehr um die Musik, um das Kunstwerk geht, sondern nur noch um's Amusement des Plebs. :thumbup:


    Wenn jede Diskussion mit der Feststellung beendet wird, es sei ja letztlich doch alles Geschmackssache - was für einen Sinn haben die hiesigen vielfältigen Überlegungen dann eigentlich?


    Musik und kunst allgemein sind u.a. auch dazu da, die menschen (und dazu zähle ich auch den plebs - oder kann/darf der klassik nicht hören und mögen wollen?) zu unterhalten. Und unterschiedliche menschen fühlen, interpretieren und sehen dinge unterschiedlich. Egal ob musik, literatur, theater - jeder wird sich seine eigene meinung bildung und sich "unterhalten" fühlen oder auch nicht. Und bei der beurteilung von musik geht´s eben nicht nur stets rational zu - das wäre auch zu fad ;)

    "It´s not how many years we live but what we do with them" (C. Boothe)

  • Ist ja auch völlig abwegig, dass der Wille des Komponisten irgendeine tiefere Bedeutung haben soll bei der Interpretation, selbst wenn dieser Wille nicht nur unterstellt wird, sondern ausdrücklich notiert ist ... Notentext? Völlig überflüssig das ... 8)
    Wenn jede Diskussion mit der Feststellung beendet wird, es sei ja letztlich doch alles Geschmackssache - was für einen Sinn haben die hiesigen vielfältigen Überlegungen dann eigentlich?


    Gäbe es im keinerlei Deutungsspielraum für den Interpreten, so wäre wohl die Sorge um den Sinn der "hiesigen vielfältigen Überlegungen" eine völlig überflüssige. Es gäbe nämlich schlicht und einfach keine Vielfalt. Alle wären sich über die einzige Wiedergabe des jeweiligen Musikstücks einig, da sie ja alternativlos ist. Steht schließlich alles im Notentext und ist der völlig eindeutige Wille des Komponisten. Es wäre müßig, über solch ünverückbare Fakten zu diskutieren. Super, dann können wir ja hier dichtmachen!


    "Das Wichtigste in der Musik steht nicht in den Noten."
    Waren Mahlers Beethoven-Dirigate vermutlich völlig verunglückt, da subjektiv?


    Sollte die sklavische Texttreue wirkliche oberste Maxime bei der Aufführung von Musik sein, so wäre es an der Zeit, endlich die Möglichkeiten heutiger Technik zu nutzen, um die größte Fehlerquelle - den stets als Subjekt agierenden Menschen - auzumerzen.
    Ein virtuelles Orchester erfüllt mittlerweile ja höchste Ansprüche, und ein passender Algorithmus würde, mit programmgerecht transkribierten Beethoven-Partituren versorgt, nur jene Befehle an die einzelnen Instrumente weitergeben, die er aus dem Notentext erhält. Im Live-Konzert vielleicht etwas problematisch umzusetzen, aber für CD's, die ja Hauptquell für unsere "vielfältigen Überlegungen" sind, die perfekte Lösung...


    ;)

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • gerade z.B. Furwänglers Lesart bildet oft exemplarisch verfehlten Beethoven, im Gegensatz zu Toscanini.


    Dass Furtwängler im Gegensatz zu Toscanini steht, ist sicher allgemeiner Konsens.
    Dass Furtwängler im Gegensatz zu Toscanini "verfehlten" Beethoven darbietet, ist sicher Nonsens.


    Beide verfolgten sehr extreme, diametral verschiedene Ansätze. Bei beiden ist vieles singulär, großartig, begeisternd, manchmal aber auch eher daneben. Bei welchem der Beiden Letzteres überwiegt, ist sicherlich Geschmackssache. Es kommt eben darauf an, ob man einen sehr sehr flotten Beethoven oder einen hochemotionalen mit dementsprechend starken Temposchwankungen haben will.


    Überspitzt gesagt (es stammt nicht von mir, auf die schnelle ist mir korrektes Zitieren leider nicht möglich):
    Bei Furtwängler klingt Beethoven wie Wagner, bei Tosacanini wie eine Rossini-Ouvertüre.


    Was ist denn davon nun eher verfehlt...?

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • "Das Wichtigste in der Musik steht nicht in den Noten."
    Waren Mahlers Beethoven-Dirigate vermutlich völlig verunglückt, da subjektiv?

    Davon gehe ich mal aus. Davon abgesehen hat er aber nicht die Noten geleugnet: zunächst mal gibt es nach der Aussage den Notentext, nur wenn dort etwas nicht steht, kann es darüber hinaus weisende Überlegungen geben. Und Du hast die ausdrücklich in die Noten hineingeschriebenen Anweisungen - z. B. zum Tempo - als bloße Hilfestellung bezeichnet: bei welchem Typ Notenbestandteil endet denn die Hilfsfunktion? Gibt es nach Deiner Vorstellung Notenbestandteile,
    a) die schon befolgt werden sollten, wenn es sich irgendwie machen lässt,
    b) solche, die befolgt werden dürfen, wenn es dem Dirigenten in den Kram passt, und
    c) solche, wo es nun so was von egal ist, ob sie befolgt werden?
    Oder differenzierst Du überhaupt nicht und gibst das komponierte Werk vollends zum Abschuss frei - ist ja doch alles bloß Anregung für genialische Dirigenten?

    Und unterschiedliche menschen fühlen, interpretieren und sehen dinge unterschiedlich.

    Klar, aber auf Basis welcher Werkbestandteile? Welchen Anteil darf der Komponist noch haben, nachdem er sich seines Werks einmal entäußert hat?

    Nonsens


    Nonsens ist sicherlich dieses immer wieder auftauchende Rekurrieren auf den dummen Musikautomaten. Seriöse Auseinandersetzung mit den Quellen gibt es - das mag denjenigen, der den Notentext für überflüssig hält, verblüffen - auch, und sie führt zu einer nach wie vor erstaunlichen und immer noch nicht enden wollenden Vielfalt (vergleiche nur die wunderbaren Überlegungen, die Glockenton hier zu Bachs h-moll-Messe angestellt hat).

  • Zitat

    Yep, da schliesse ich mich dir voll an (bin nämlich zugegebernmaßen auch
    jazz-fan und höre, zwar seltener aber manchmal doch auch free-jazz) :pfeif:

    habe mich mit Jazz noch nicht intensiv beschäftigt, doch wenns mal so weit ist, dann sicherlich auch besonders mit dem Free Jazz...

    Zitat

    Bei Furtwängler klingt Beethoven wie Wagner, bei Tosacanini wie eine Rossini-Ouvertüre. Was ist denn davon nun eher verfehlt...?

    der Vergleich hat einen gewissen Charme, ist im metaphorischen Sinn nachvollziehbar
    ... verfehlt ist sicherlich der verwagnerte neoromatische Mehltau um Beethovens Sinfonik mit dickflüssigem Klangbild, "Rossini" käme also dem Gegenstand näher, vor allem was die Deutlichkeit betrifft und die gelungensten Toscanini-Beethoven-Wiedergaben erschöpfen sich dann auch nicht als sog. "Rossini-Ouvertüre".
    Ausnahme: Ich schätze allerdings sehr die große Fuge, orchestriert und dirigiert von Furtwängler, nur das Original gespielt vom Emerson Quartet oder auch Hagen ist mir noch näher.....
    Innerhalb der Orchester bzw. Musiker, die anstreben sich an den Tempovorschriften zu orientieren ist die Spannweite groß genung für differenzierte Lesarten, also um "automatische" Schmalspur- bzw. Stromlinienwiedergaben zu vermeiden. z.B. bei der Erioca:
    Savall, die sehr an den Holbläsern orientiert ist (etwas sehr, gefält mir aber auch) ...
    Rylund, der vor allem durch grandiose Deutlichkeit hervorsticht..
    Järvi (lRadio-live-Miitschnitt) , dessen aggressiver, widerborstiger Zugriff den Hörer begeistern kann...

    Zitat

    Musik und kunst allgemein sind u.a. auch dazu da, die menschen (und dazu zähle ich auch den plebs - oder kann/darf der klassik nicht hören und mögen wollen?) zu unterhalten. Und unterschiedliche menschen fühlen, interpretieren und sehen dinge unterschiedlich. Egal ob musik, literatur, theater - jeder wird sich seine eigene meinung bildung und sich "unterhalten" fühlen oder auch nicht. Und bei der beurteilung von musik geht´s eben nicht nur stets rational zu - das wäre auch zu fad ;)

    Unterhalten , ja auf alle Fälle !!! + nicht zu knapp !!!! , aber die Werke erschöpfen sich nicht in bloßer Unterhaltung. Beethoven selbst beharrte auf den Wahrheitsgehalt seiner Kunst.


    Das Werke oft verschieden, ja sogar auch ganz unterschiedlich erlebt werden, hat weniger Ursache bein Hörer sondern ist durch die Komplexität, die vielen Schichten der Werke und damit durch die Objektivität der Werke geprägt. ...

    Zitat

    Und bei der beurteilung von musik geht´s eben nicht nur stets rational zu - das wäre auch zu fad ;)

    nicht nur, aber doch viel stärker als es uns eigentlich klar ist. Das Rationale begint ja bereits damit, z.B. wenn der Hörer instinktiv und emotional gebannt z.B. vom Fugato des 2. Satzes der 7. Sinfonie gepackt wird oder den Rythmus des Haupthemas des 1. Satzes der 5. Sinfonie während der ganzen Dauer quasi affektiv + passioniert "mitspührt", wie auch immer etc etc.... Und das ist - da sind wir uns sicherlich hoffentlich alle einig - nun gar keine fade Musik und kein fades Erlebnis...


    :hello:

  • Seit gut einem Jahr ist die Rede von diesem ominösen Beethoven-Zyklus unter Christian Thielemann, entstanden mit den Wiener Philharmonikern. Vom Totalverriß bis zur Hochpreisung in den Himmel war so ziemliche jede Reaktion dabei. Nun endlich bot sich mir die Gelegenheit, dies mal selbst nachzuprüfen, was am Thielemann dran ist – oder eben nicht.


    Ich habe mir jetzt die 4. und 5. Symphonie angehört, stellenweise mehrfach, um zu einem Urteil zu kommen. Eins ist sicher: Das ist ein geradezu "unzeitgemäßer" Beethoven. Das mag man jetzt positiv oder negativ sehen, Geschmackssache. Thielemann beschwört den Geist Furtwänglers herauf. Zumindest versucht er dies. Teilweise, muß ich gestehen, gelingt ihm dies auch gar nicht mal schlecht. Freilich, das Orchesterspiel der Wiener, welches auf höchstem Niveau ist, unterstützt ihn dabei so gut wie irgend möglich.


    Etwas Vergleichbares mit Thielemanns Beethoven wird man gegenwärtig vermutlich nicht im Konzertsaal finden. Järvis etwa zeitgleiche Aufnahmen mit den Bremern sind der krasse Gegenentwurf dazu, ein Beethoven fürs 21. Jahrhundert. Thielemann jedoch versucht den Sprung zurück ins 19. Jahrhundert. Ein heikles Unterfangen, zumal der Gegenwind heutzutage sehr viel stärker ist als noch vor etwa fünfzig Jahren, als Leibowitz erstmals versuchte, die neun Symphonien von Beethoven HIP-artig einzuspielen. Von HIP nämlich ist bei Thielemann nichts zu spüren. Es ist ein Beethoven, gegen den selbst derjenige Karajans modern anmutet.


    Zurück zu den konkreten Aufnahmen:


    Die Vierte wertet Thielemann gleichsam ziemlich auf, indem er ihr den vollen Orchesterklang zuteil werden läßt, gleich ihrer berühmteren Nachfolgerin. Die Vierte erscheint bei Thielemann nicht als eher früheres Werk, sondern als vollwertige Beethoven-Komposition, die keineswegs im Schatten der späteren steht. Dick streicht er mit dem romantischen Pinsel über die klassische Symphonie. Das kann man als Verfehlung auf hohem Niveau bezeichnen, aber diesen Vorwurf mußten sich auch andere Dirigenten der Vergangenheit gefallen lassen. Speziell der 1. Satz gelingt den Wienern ausnehmend schön. Vergleicht man direkt mit Furtwängler, dem großen Idol, speziell mit seiner letzten Wiener Aufnahme von 1953, so unterliegt Thielemann dennoch.


    Was die Fünfte angeht, so hat Thielemann hier einen viel größeren Erwartungshorizont zu erfüllen. Vielen gilt sie als "die" Beethoven-Symphonie, und entsprechend groß ist die Konkurrenz. Ein Vergleich mit HIP-Aufnahmen führt zu wenig, an den "großen Alten" muß man sie folglich messen. Und da zieht die Aufnahme im direkten Vergleich den Kürzeren. Gewiß, es gibt einige umwerfen Momente. Das Andante etwa ist von geradezu feinster Zartheit. Doch der Kopfsatz wirkt wenig inspiriert. Das große Pathos eines Furtwängler, Klemperer, Knappertsbusch wird gesucht, zugegeben. Gefunden aber wird es nur sehr bedingt. Sehr schön heruntergespielt, wie vom Fließband, könnte man vielleicht sagen. Auf höchstem orchestralen Niveau, und doch: Es fehlt irgendwie das gewisse Etwas. Kritischer betrachtet könnte man vielleicht sagen: Eine Aufnahme der Wiener Philharmoniker wird niemals schlechter sein als "gut". Doch das genügt nicht angesichts der unüberschaubaren Konkurrenz, damals wie heute. Das Scherzo wird zwar beinahe auf Furtwänglersches Ausmaß gedehnt, doch die berühmte Attaca zum Allegro hin läßt den genialen Spannungsbogen des Vorbildes vermissen (vgl. insbes. die Aufnahme Furtwänglers mit den Berliner Philharmonikern vom 25. Mai 1947). Im letzten Satz freilich bietet Thielemann noch einmal alles auf, um seinem Ruf als größter Beethoven-Interpret der Gegenwart gerecht zu werden. Um ihr Leben spielen die Wiener aber nicht. Auch hier ist Furtwängler mal wieder unerreichbar. Vielleicht brauchte es dazu aber auch die Zeitumstände von damals, um derartige Interpretationen zu liefern.


    Insgesamt bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Thielemann versucht, den Furtwängler des 21. Jahrhunderts zu geben. Vieles wirkt wie kopiert, leider stets nicht auf demselben Niveau. Die Heraufbeschwörung eines Beethoven-Ideals des vorletzten Jahrhunderts gelingt nur in Teilen, eher oberflächlich also. Daß dies live vor Ort seine Wirkung tun mag, will ich nicht bestreiten. Der Beifall nach beiden Aufnahmen ist gigantisch. Doch bleibt die Frage im Raum stehen: Wegen Thielemann oder weil man in ihm Furtwänglers kongeniale Reinkarnation erkennen will, die er nicht ist?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat


    Zitat: Joseph II:


    Etwas Vergleichbares mit Thielemanns Beethoven wird man gegenwärtig vermutlich nicht im Konzertsaal finden.



    Ich finde es sehr bedauerlich, dass du die Interpreten von Beethoven-Sinfonien von denen man gegenwärtig spricht auf Thielemann und Järvi beschränkst.


    Sehr erfreulich finde ich hingegen, dass du Thielmanns Rückwärtsgwandheit herausgearbeitet hast. Furtwängler als non plus ultra hinzustellen, habe ich schon an anderer Stelle als sehr bedenklich angemahnt. Das teutonisch-weihevolle, oder marschhaft-aggressive in den Interpretationen Furtwänglers (denn nur zwischen diesen beiden Varianten schwankt er hin und her) hat wenig mit Beethoven zu tun.


    Somit ist Thielemanns Beethoven nicht nur rückwärtsgewand, sondern auch an Beethoven vorbeidirigiert eben weil er in Furtwänglers Fahrwasser geraten ist.


    Toscanini hat mit dieser Altlast endlich aufgeräumt. Zwar schoss er etwas über das Ziel hinaus, aber seine Interpretationen ziehe ich denen Furtwänglers jederzeit vor.


    Der erste, der einen Mittelweg zwischen Furtwängler und Toscanini suchte und fand, war nicht Karajan, sondern bereits in den 50er Jahren Fritz Reiner mit seinen Chicagoern. Seine Interpretationen gelten für viele als eigentliche Zäsur in der Beethoven-Interpretation.




    :hello: LT

  • Die Ankündigung der Intendantin der Sächsischen Staatsoper Dresden, künftig nicht mehr so viel Wagner und Strauss zu spielen, dürfte bei Thielemann auf wenig Gegenliebe gestoßen sein.


    Da er für das andere Repertoire wenig brauchbar ist (einige Versuche etwas anderes zu dirigieren ist stets schief gegangen), dürften erste Spannungen schon vorprogrammiert sein.


    Na ja, und die Staatskapelle hat sich mit seiner Eindimensionalität nach dem zweitklassigen Luisi das nächste Kuckucksei ins Nest gelegt.



    :hello: LT


  • Hallo LT,


    ich meinte mit "Etwas Vergleichbares mit Thielemanns Beethoven wird man gegenwärtig vermutlich nicht im Konzertsaal finden", daß mir kein anderer Dirigent bekannt wäre, der so "rückwärtsgewandt" heutzutage Beethoven dirigiert. Das sollte man jetzt nicht als Beweihräucherung verstehen.


    Natürlich gibt es neben Thielemann und Järvi heute noch viele andere erwähnenswerte Beethoven-Dirigenten, da will ich nur mal nennen: Barenboim, Hogwood, Goodman, Harnoncourt usw. (werten will ich an der Stelle ausdrücklich nicht).


    Furtwängler kann man schon kritisch sehen. Du wirst vermutlich aber auch zugeben, daß Furtwängler zumindest das drauf hatte, was Thielemann nur teilweise gelingt (akzeptiert man diese Beethoven-Sicht).


    Toscanini ist auf eine Art bewundernswert. "Mein" Beethoven ist das aber nicht wirklich.


    LG
    Joseph
    :hello:

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    ...
    Der erste, der einen Mittelweg zwischen Furtwängler und Toscanini suchte und fand, war nicht Karajan, sondern bereits in den 50er Jahren Fritz Reiner mit seinen Chicagoern. Seine Interpretationen gelten für viele als eigentliche Zäsur in der Beethoven-Interpretation.


    Das ist eine recht seltsame Aussage, denn Karajans erster Beethovenzyklus entstand vor den Reiner-Aufnahmen...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Furtwängler als non plus ultra hinzustellen, habe ich schon an anderer Stelle als sehr bedenklich angemahnt. Das teutonisch-weihevolle, oder marschhaft-aggressive in den Interpretationen Furtwänglers (denn nur zwischen diesen beiden Varianten schwankt er hin und her) hat wenig mit Beethoven zu tun.

    Nun weiß ich auch, warum ich mit Furtwängler nur eine Beethoven-Sinfonie habe, die Neunte, den Tenorpart mit Peter Anders. Aufnahme mit Dirigenten, die ins 19. Jahrhundert weisen, gibt es zu Hauf. Wir brauchen Aufnahmen, die ins 21. Jahrhundert hinweisen, also weiter mit Järvi, Herreweghe, Hogwood, Dausgaard usw. Wir sind schließlich ein vorwärts gerichtetes forum, rückwärts gerichtet ist aut.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Wir sind schließlich ein vorwärts gerichtetes forum, rückwärts gerichtet ist aut.

    Dass wir ein "vorwärts gerichtetes Forum" sind, beschließt Du einfach mal so? Ich jedenfalls bin nicht "vorwärts gerichtet", was klassische Musik angeht. Das Sich-Befassen mit der Musik vergangener Jahrhunderte (Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner etc.) ist im Übrigen von vornherein etwas, das den Blick rückwärts richtet.


    Übrigens: was ist "aut"?

  • Dass wir ein "vorwärts gerichtetes Forum" sind, beschließt Du einfach mal so? Ich jedenfalls bin nicht "vorwärts gerichtet", was klassische Musik angeht. Das Sich-Befassen mit der Musik vergangener Jahrhunderte (Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner etc.) ist im Übrigen von vornherein etwas, das den Blick rückwärts richtet.


    Übrigens: was ist "aut"?

    Da kann ich nur zustimmen. Auch ich denke, dass musik vergangener dekaden oder vergangener jahrhunderte nicht (nur) vorwärts gerichtet betrachtet und gehört werden kann. Offen in alle richtungen - das ist meines erachtens der richtige zugang. Ob´s einem gefällt, ist eine andere frage. Aber daraus ein doktrin zu machen, scheint mir zu drastisch.
    lg
    Max

    "It´s not how many years we live but what we do with them" (C. Boothe)

  • Ich meinte ein klassik-forum, das für die Zukunft gewappnet ist, mit allen Überraschungen, die da kommen mögen. Auf Inhalte bezog sich das eigentlich weniger, und auf Lieblingskomponisten und -dirigenten selbstverständlich auch nicht. Sich Neuem gegenüber aufgeschlossen zeigen und mindestens eine Chance einräumen. Musik des 19. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert zu Gehör bringen. Das doch möglich sein, Musik vergangener Jahrhunderte neu entdeckt und erlebt unter Einhaltung der Partitur und der Metronomangaben. Nur Mut. Mit "aut" war eigentlich gemeint, kein Mut, etwas Neues zu versuchen, besser: "Offen in alle Richtungen", das wärs.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Auch wenn Thielemann Furtwängler und Co. m. E. nicht erreicht, so begrüße ich es trotzdem, daß es mit ihm wieder einen (Star-)Dirigenten (unbekanntere "Kapellmeister" [nicht abwertend gemeint] gibt es vielleicht einige mehr) gibt, der Beethoven gegen den heutigen Trend spielen läßt. Wem's nicht gefällt, der soll sich eben die Newcomer P. Järvi usw. anhören. Seien wir doch froh, daß wir eine breitere Auswahl haben.


    LG
    Joseph
    :hello:

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Insgesamt bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Thielemann versucht, den Furtwängler des 21. Jahrhunderts zu geben. Vieles wirkt wie kopiert, leider stets nicht auf demselben Niveau.


    Ich kann diesen Eindruck bei den Symphonien, die ich gesehen habe, nicht teilen. Mag sein, dass Furtwängler der nächste Verwandte ist, wenn man Thielemann in die bestehende Beethoven-Diskographie einordnen will. Aber Thielemann bringt im Detail so viel Eigenständiges, dass der Vorwurf der versuchten und nicht erreichten Kopie ins Leere geht. Thielemanns Interpretationen sind gut genug, um als sie selbst mit anderen Ansätzen verglichen zu werden. Den ständigen, auf Furtwängler gerichteten Zeigefinger kann man sich dabei getrost ersparen.


    Außerdem befremdet mich die unterschwellig postulierte Forderung, dass das Orchester gefälligst hörbar "um sein Leben" zu spielen habe, um überhaupt als Interpreten auf höchstem Niveau akzeptiert zu werden. Das ist ein seltsames Verständnis von Musizieren. Dem kann ich überhaupt nichts abgewinnen. Das kann sich in einer Live-Aufführung schon einmal ergeben und große Wirkung zeigen. Aber grundsätzlich bedeutet es, über die Verhältnisse zu spielen, was praktisch zwangsläufig mit Qualitätsverlust einhergeht. Thielemann vermeidet das grundsätzlich, die Philharmoniker spielen außerordentlich klangschön auf sehr hohem Niveau. Ich finde jeden bedauernswert, für den das nicht mehr ausreichend ist. Seine Maßstäbe müssen in außergewöhnliche Regionen gewandert sein...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Lieber Theophilus,


    ich möchte voranstellen, daß ich zum Zeitpunkt des Postings Nr. 307 erst Thielemanns Interpretation der 4. und 5. kannte. Mittlerweile kenne ich auch die 1., 3., 7., 8. und 9.


    Gut, das mit der Furtwängler-Kopie ist nur meine Sichtweise. Kennt man Furtwänglers Beethoven nicht, geht man vermutlich unvoreingenommener an die Sache heran. Es ist womöglich auch ein Fehler, stets den direkten Vergleich mit Furtwängler zu machen. Es kam mir nur beim Hören so vor, als würde ich stellenweise einen Furtwängler im digitalen Stereo hören. Ich will gar nicht bestreiten, daß Thielemann einige Momente "außerordentlich klangschön", wie du richtig schreibst, gelingen. Daß die Wiener Philharmoniker auf "sehr hohem Niveau" spielen, stelle ich zu keiner Zeit in Frage. Mir gefallen auch seine oft langen Generalpausen, die man so selten hört.


    Kommen wir also mal zu den Punkten, die mir nicht so gefielen: Das wären zum einen die teilweise völlig unterrepräsentierten Pauken. Ich denke speziell an den 1. Satz sowohl der 3. (Coda) und 5. Ich kann nicht beurteilen, inwieweit das mit der Tontechnik zusammenhängt, aber wenn selbst in alten Monoaufnahmen die Pauken besser herauskommen, dann sollte das in aktuellsten Digitalaufnahmen auch möglich sein. Vielleicht ist das Thielemanns Idealklang. Meiner jedenfalls nicht. Ich habe was vermißt, ja. Zum anderen gibt es, speziell in der 3. und 9., einige Durchhänger. Zumindest habe ich das so empfunden. Der Chorsatz leidet unter nicht ganz optimalen Solisten (wofür Thielemann ausdrücklich nichts kann).


    Komischerweise gefallen mir bei Thielemann insgesamt die "kleinen" Symphonien wie die 1., 4. und 8. besser als die "großen". Besonders die 3., 5. und 9. fallen m. E. ab.


    LG
    Joseph
    :hello:

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    – Luís de Camões

  • Komischerweise gefallen mir bei Thielemann insgesamt die "kleinen" Symphonien wie die 1., 4. und 8. besser als die "großen". Besonders die 3., 5. und 9. fallen m. E. ab.


    Das mit 1., 4. und 8. deckt sich gut mit meinem Eindruck. Die 9. habe ich nicht gesehen, man hört aber von mehreren Seiten, dass sie ein relativer Schwachpunkt des Zyklusses sei. Nur - welcher Zyklus hat nicht seine besseren und weniger guten Momente?


    Was aber generell bleibt, ist Thielemanns vielleicht etwas antiquierte Sicht, die aber zumeist sehr homogen und überzeugend vermittelt wird und den hohen Wiedererkennungswert seiner Interpretationen. Letzteres erachte ich grundsätzlich als Pluspunkt, und wenn man Gefallen am Interpretationsstil findet (deine Einwände sind doch relativ kleine Geschmacksdetails), hat man in Verbindung mit dem Luxusklang der Philahrmoniker und dem HD-Bild eine in summe hörens- und sehenswerte Beethoveninterpretation.


    :hello:

    Ciao


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  • Zitat

    Das kann sich in einer Live-Aufführung schon einmal ergeben und große Wirkung zeigen. Aber grundsätzlich bedeutet es, über die Verhältnisse zu spielen, was praktisch zwangsläufig mit Qualitätsverlust einhergeht. Thielemann vermeidet das grundsätzlich, die Philharmoniker spielen außerordentlich klangschön auf sehr hohem Niveau. Ich finde jeden bedauernswert, für den das nicht mehr ausreichend ist.

    der Qualitätsverlust von manchen Auffführungen z.B. Beethoven, Mozart, Tschaikowski, Janacek, Mahler, Schönberg, Berg, Webern sowie viele andere Werke des 20 und 21. Jahrhunderts liegt nicht zuletzt auch darin, dass sich Wiedergaben zu sehr in Klangschönheit erschöpfen. Um es überspitzt zu sagen: Tendenz zur gepflegten Langeweile.. das ist bedauernswert...
    :hello:

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  • Man mag zu Thielemann stehen, wie man will. Ob eines neuen Artikels der "Welt" vermag ich jedoch nur zu schmunzeln:


    "http://www.welt.de/kultur/musik/article13361719/Thielemann-irritiert-mit-fragwuerdigen-Strauss-Werken.html"

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    – Luís de Camões

  • Schon Thielemanns erste CD für DG mit Werken von R. Strauss und Pfitzner wurde durch die politische Brille rezensiert und abqualifiziert.


    Natürlich hat es ein Geschmäckle, wenn man die "Festmusik der Stadt Wien" programmiert. Und ein Programmheft sollte dann klarstellen, warum man dieses Werk spielt - das würde ich schon erwarten. Wenn es wahr ist, dass da nur steht: Äußerste Virtuosität fordert die Festmusik mit ihren brillanten Sechzehntelkaskaden den Interpreten in jedem Falle ab, weshalb es dem Werk nutzen und frommen wird, einmal in den heiligen Hallen der Philharmonie zu erklingen, dann fände ich das in der Tat sehr dürftig. Nutzen und frommen ... was soll denn damit ausgesagt werden?


    Ich finde es ok, wenn die Berliner mal anderen Strauss spielen als die fünf oder sechs abgenudelten bekannten Werke (Don Juan, Tod + Verkl, Till, Zarathustra, Heldenleben, Alpensinfonie - was noch?) Die Burleske wäre noch interessant, Don Quixote braucht starke Protagonisten, "Italien" und "Macbeth" sind sehr wohl hörenswert, die "Domestica" hat an Anziehungskraft wohl eher verloren. Insofern ist es ok, die beiden rahmenden Werke "Festmusik" und "Sinfonisches Präludium" mal zu spielen. Aber es bedarf durchaus eines Kommentars zur "Festmusik".


    Den Artikel finde ich geistig arm.

  • Der Redakteur der WELT irrt sich, wenn er von Buhrufen am Endes des Konzertes spricht. Ich habe zumindest am Sonnabend keine vernommen. Im Gegenteil, das Publikum jubelte Thielemann und dem Orchester zu, was keine politische Demonstration darstellte. Es war auch nicht so, daß die "lauten" Stellen des Stückes im Vordergrund standen; eher achtete Thielemann darauf, daß das Orchester sehr durchsichtig klang und die vielen leisen Abschnitte sehr differenziert phrasiert wurden. Man kann sich streiten, ob dieses Werk aufgrund seiner Vergangenheit gespielt werden muss. Aber darf man dann z.B. die Neunte von Beethoven oder Die Meistersinger von Nürnberg bedankenlos spielen?


    Ich kannte das einleitende und das abschließende Stück nicht. Für mich aber war es eine interessante Erfahrung, sie zu hören. Auch wenn sie sicherlich nicht mit den "großen" Werken von Strauss zu vergleichen sind, was die Qualität betrifft.

  • Was die Bedenklichkeit der 'Festmusik' betrifft, stimme ich dem Welt-Artikel schon zu - obgleich ich, das bekenne ich freimütig, das Stück als Solches gar nicht soooo schlecht finde. Die Parademärsche für den Kaiser finde ich schwächer.


    Aber ich stimme den Schreibern hier zu: So ein Programmpunkt muss erklärt werden, der politische Kontext des Stücks gehört im Programm offengelegt und angeprangert. Ich möchte hier, wenn auch leicht off-topic, zu Bedenken geben, dass Strauss immer auch persönlicher Opportunist war, aber spätestens 1943 kein Freund des Regimes mehr. Schirach hatte aus Sympathie zu Strauss seine Hand über dessen (jüdische) Schwiegertochter, die ihrerseits ihre ganze Famile verlor, soweit ich informiert bin, und seine (halb-)jüdischen, geliebten Enkelkinder gehalten und u.a. verhindert, dass diese mit einem gelben Stern herumlaufen mussten. Das wird Strauss ein paar Notenzeilen wert gewesen sein. Aber solche Erläuterungen und Einordnungen erwarte ich von einem Programmheft.


    Die Ouvertüre C-dur sehe ich nicht so kritisch - immerhin ist sie wirklich von 1913. Liszts "Les Preludes" sind auch missbraucht worden, bleiben aber dennoch großartige und per se unpolitische Musik.


    Der eigentliche Ausfall des Programms ist die Festmusik, weil sie nicht begründet wird.

  • Hallo,


    kurz möchte ich auch noch in den Reigen einstimmen. Leider konnte mich die Einspielung auch nicht richtig erwärmen. Ich empfand vieles als befremdlich und vor allem zu statisch und steril; wäre man auf der Suche nach einer eher technischen oder histologischen Untersuchung oder analytischen Sektion könnte mir diese Aufführung zusagen, aber von einer Jahrhundertaufnahme ist es für mich weit entfernt. Aber dies ist natürlich nur meine völlig subjektive Meinung.

    Beste Grüße, KFB


    _____________________________________________


    Being individual is more important than being popular

  • Hallo!


    Verstehe ich es richtig, daß die gestern von 3sat ausgestrahlte Neunte Beethoven mit Thielemann und den WP aus der hier so oft genannten Gesamteinspielung der Beethoven-Sinfonien stammt?


    Wenn das so sein sollte, habe ich an der Deutung durch Thielemann nichts auszusetzen. Auch das vorher ausgestrahlte Gespräch mit Prof. Kaiser fand ich interessant, zumal die Einspielungen von anderen Dirigenten durchaus erhellend war. Leider war das Gespräch zu sehr von Kaiser dominiert, als von Thielemanns Antworten geprägt.


    Also: die Neunte hat mir gefallen...

    .


    MUSIKWANDERER

  • Mir auch. Auch die Solisten im Schlußsatz (Beczala und Zeppenfeld hervorragend).


    Ingteressant auch das Gespräch zwischen Kaiser und und dem Orchestervorstand (Helmesberger) nach der Sinfonie und der Hinweis auf den Gründer der WP Nicolai sowie der hervorragende Orchestersaal in der Hofburg (Vorgänger vom Musikvereinssaal) sowie der Hinweis von Kaiser, dass er zusammen mit dem Konzertmeister der Berliner Brandis in Wien Bruckner gehört habe und Brandis nach der Vorstellung gesagt habe, so bekommen wir das nicht hin. Sehr aufschlussreiche Informationen.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)



  • Ich hab´s zwar nicht gesehen, doch was ich darüber gelesen habe, dürfte es sich dabei um die Gesamteinspielung handeln (die ich übrigens als 3er Blue Ray -Set besitze).
    LG
    Max

    "It´s not how many years we live but what we do with them" (C. Boothe)

  • Die Münchner Abendzeitung, ein Boulevardblatt mit ambitioniertem Feuilleton-Teil, hat gestern folgenden Bericht gestellt. Recht erhellend, wie ich finde:


    Der Egomane geht.


    "Bei Bruckner und Richard Strauss ist er der Beste. Auch bei Brahms,
    wenn er sich nicht gerade fahrig in Einzelheiten verliert. Sein
    pathetischer Beethoven ist aus der Zeit gefallen, wirkt aber dennoch in
    sich stimmig. Instrumentalsolisten und Sänger trägt er wie auf Händen.


    Christian Thielemann ist einer der aufregendsten Dirigenten unserer
    Zeit. Er lässt niemanden gleichgültig und spaltet Konzertgänger in
    entschiedene Anhänger und wütende Verächter. Sein Repertoire ist auch
    längst nicht so beschränkt, wie seine Gegner glauben: Richtig aufregend
    wurde es, wenn er Tschaikowskys „Pathétique”, Schönbergs „Pelleas” oder
    „Verklärte Nacht”, Schreker oder zuletzt Mahler dirigierte.


    Dass er München verlässt, um Musikchef der Dresdner Staatskapelle und
    Oper zu werden, ist künstlerisch ein Verlust. Allerdings hat er hier
    nicht nur dirigiert: Er war auch städtischer Generalmusikdirektor mit
    Letztverantwortung über die Münchner Philharmoniker. In dieser Rolle war
    Thielemann eine Katastrophe.


    Weil er Brahms, Bruckner, Beethoven und Richard Strauss für sich
    vorbehielt, wurde es zunehmend schwer, angesehene Gastdirigenten zu
    finden. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist hier
    mittlerweile viel besser aufgestellt, weil Mariss Jansons von seinen
    Musikern nicht bedingungslose Gefolgschaft fordert, sondern jenen
    Freiraum gewährt, den ein Orchester zur künstlerischen Weiterentwicklung
    braucht.


    Thielemann riss alles an sich, übernahm aber andererseits auch keine
    Verantwortung im mühevollen Tagesgeschäft. Er verirrte sich auf
    Seitenpfaden wie szenischen Opern mit dem Orchester in Baden-Baden, die
    vor allem seiner Karriereplanung dienten. Auf Reisen mit den
    Philharmonikern hatte er wenig Lust, obwohl gerade dieses Orchester
    Gastspiele braucht, um wieder die internationale Reputation zu erlangen,
    die seiner Qualität entspricht.


    Auch in die für die Zukunft der Musikstadt München entscheidende
    Konzertsaal-Frage mischte sich Thielemann kaum ein. Er hat es versäumt,
    den Verantwortlichen im Rathaus Zunder zu geben und die fälligen
    Verbesserungen der Gasteig-Akustik einzufordern. Er allein hätte die
    nötige Unabhängigkeit dazu bessesen, aber es war ihm in seiner Egomanie
    letztlich gleichgültig. Und so halten viele Stadträte und potenzielle
    OB-Kandidaten die Gasteig-Akustik nach wie vor für ein bürgerliches
    Luxusproblem.


    Der länger schwelende Machtkampf zwischen den Musikern und dem
    Dirigenten führte im Juni 2009 zum Bruch, als der Stadtrat auf Betreiben
    des Orchesters eine Vertragsverlängerung zu Thielemanns Bedingungen
    ablehnte. Es ist allerdings ungewiss, ob der es nicht absichtlich zum
    Eklat kommen ließ, weil ihn die von Fabio Luisi plötzlich im Stich
    gelassene Staatskapelle Dresden lockte. Es ist bezeichnend für
    Thielemanns seltsamen Stil, dass er erst nach dem Bruch mit dem
    Orchester allerlei philharmonische Missstände anprangerte, deren
    Beseitigung eigentlich seine Pflicht als Generalmusikdirektor gewesen
    wäre.


    Im nächsten Jahr sind die Philharmoniker ohne Chefdirigent. Dann
    folgen drei Jahre unter Lorin Maazel. Wenn dann der Werbespruch vom
    „Orchester der Stadt” endlich mit Leben erfüllt und nicht jeder Wunsch
    nach Erneuerung mit dem selbstgefälligen Hinweis auf hohe
    Abonnentenzahlen abgebürstet wird, war die Thielemann-Krise nicht
    vergebens.


    Hinterher wurden vor den Gasteig-Türen Autogrammkarten verteilt, den
    Sterbebildchen einer oberbayerischen Beerdigung nicht unähnlich. Dabei
    endete Thielemanns letztes Programm in schmetterndem C-Dur: Als Zugabe
    gab es die „Meistersinger“-Ouvertüre, aufgebretzelt mit ein paar mehr
    Trompeten als nötig, trotz sattem Klang durchsichtig und natürlich
    zuletzt bombastisch abgebremst, wie der scheidende Generalmusikdirektor
    es nun einmal liebt.


    Da kam im sonst zurückhaltenden Gasteig noch Jubelstimmung auf. Im
    Hauptprogramm dirigierte Thielemann Musik des Impressionismus. Die
    Riesenbesetzung mit16 ersten Geigen erzeugte beim „Nachmittag eines
    Faun“ eine seidige Weichheit, die zwar nicht jedermann mit französischer
    Musik verbinden würde, aber trotzdem zwingend wirkte, weil dem
    Flötisten und den übrigen Bläser-Solisten Luft zum Atmen blieb. In „La
    Mer“ steuerte der Dirigent allerdings etwas zu selbstverständlich auf
    die Fortissimo-Steigerungen zu, „La Valse“ tanzte rhythmisch ein wenig
    zu derb auf dem Weltuntergangs-Parkett.


    In den von Thielemann geliebten Burgunderklang wurde auch Mozarts
    Klavierkonzert KV 488 konserviert, ohne das dramatische Barrique-Note
    der Musik zu unterschlagen. Dem Solisten Radu Lupu war dies jedoch noch
    nicht altmodisch genug. Er ließ sich überhaupt nicht auf die vom
    Orchester ausgehende Innenspannung ein und ließ die Musik behaglich vor
    sich hinplätschern. Der Rumäne kann Schuberts oder Brahms’
    Einsamkeitsmonologe ganz wunderbar mit Melancholie erfüllen, aber er ist
    kein Teamspieler, weshalb sich sein Auftritt in erlesener Langeweile
    erfüllte."

  • Werte Leser,


    ich habe mir nur die Eingangsbesprechung mit Kaiser und Thielemann angeschaut. Das Beste war der Schlußsatz von Thielemann:" Aus dieser Symphonie spricht der Lebenswille und die Kraft iBeethovens". So ungefähr. Vorher, besonders von Kaiser, subjektives Eindenken in Beethoven`s Gefühlswelt. Na klar, die Neunte ist "herausgefallen", die vorherigen acht Symphonien bilden einen geschlossenen Zyklus. Als hätte Beethoven nie eine Zehnte geplant.


    Hier wurde wiedermal eine große Chance vertan. So kann man ein großes Werk keinem jüngerem Publikum schmackhaft machen. Thielemann spürt natürlich "den Atem der großen Alten im Musiksaal und läßt sich dadurch beeinflussen".


    Was soll`s. Die Aufführung habe ich mir nur bis zur ersten, künstlichen Innehalten in der Interpretation angetan. Obwohl die Schnipsel, besonders für den Vocalsatz, viel versprachen!


    Viele Grüße Thomas

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner