Wie einem das Regietheater die Freude an der Oper nimmt

  • Was ist der Unterschied zwischen diesem RT-thread und der Titanic? Nun, als die Titanic gebaut und vom Stapel gelassen wurde, wusste man noch nichts von jenem Eisberg, der sie erwartete. Das ist hier wohl anders. Ich bin nur darauf gespannt, wer den Eisberg spielen wird oder ob es gar eine Eisberg-Flotte geben wird! Ich habe jedenfalls mein Ticket weitergegeben und diese Position hier bezogen: :untertauch:

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Keine Angst, lieber Dr.Pingel, ich spiele nicht den Eiberg! Du kannst wieder unter dem Stuhl hervor kommen. Aber ich gebe zu bedenken, dass manches Stück (nicht jedes) Ort und Zeit des Schauplatzes dringend benötigt, wenn es sich erschließen soll.


    Was wäre z.B. Don Carlos (bei Schiller wie bei Verdi) ohne das Spanien der Inquisition? Solche brutalen Zwänge hat es nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort gegeben. Vieles bliebe unverständlich, wenn diese gespenstische Ruhe in ein anderes Land, in eine andere Zeit verlegt würde. Ich würde die Aufführung meiden, und wenn ich sie zu rezensieren hätte, wäre ein Verriss der Regie fast vorprogrammiert.


    Ähnlich ist es mit Aida. Man stelle sich vor, statt der alten ägyptischen Hochkultur bekäme man die heutigen dort lebenden Fellachen vorgesetzt. Die Handlung geriete völlig aus den Fugen, die Motivationen würden sinnlos. Der Triumphakt wäre eine Operettenfarce. Auch in Stalins Sibirien stimmte nichts mehr, was Verdi wollte und mit seiner subtropischen Nacht des 3. und 4.Akts musikalisch beschworen hat.


    Dass die Zauberflöte auch im alten Ägypten spielt, ist dagegen vergleichsweise belanglos. Sie ist auch unter Calvinisten oder anderen Puritanern denkbar. Schikaneder kam es eher auf effektvolle Dekorationen an, und Mozart brauchte dringend Geld. Dass es trotzdem ein Meisterwerk wurde, ist ein kleines Wunder - eben Mozart! Schauplätze haben nicht immer den gleichen Stellenwert in einem Stück,


    meint, mit herzlichen Grüßen, Sixtus.

  • Hab mir gestern den Livestream aus München angesehen und ich fand die Inszenierung von Herrn Bieto einfach nur belanglos. Eine Personenregie gab es überhaupt nicht , so daß die wunderschöne Musik verpuffte und es im ersten Akt fast gar keinen Zwisvhenapplaus gab.

  • Lieber Figarooo,


    das wäre ein wirklicher Erfolg, wenn ein Herr Bieito endlich die Quittung bekäme für das, was er an der Oper schon alles verbrochen hat. Ich kann mir aber bei der Einstellung des Herrn Bachler zur Oper kaum feststellen, dass er zur Einsicht kommt und auf ihn oder ähnliche Regisseure verzichtet. Zu wünschen wäre es dir.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Für wen wird Theater eigentlich noch gemacht????


    Nun setzt auch das Bolshoi gleich mehrere Produktionen auf den Index. Die Neuinszenierungen von Carmen, Rosenkavalier, Rigoletto u. v. a. mehr sind nur noch für Erwachsene!!!!! Es ist unglaublich, noch vor zehn Jahren war das Bolshoi ein stets ausverkauftes Repertoiretheater. Seitdem mit dem neuen Intenanten auch dort die Regietheaterpest ausgebrochen ist, erlebte man dort im Turbogang das, was bei uns seit drei Jahrzehnten wütet. Das traurige Resultat hier wie dort: Ein ausgedünntes Repertoire, Einheitsbühnenbildner und Rezensionen, die sich in Superlativen überbieten wie für die neue Attraktion eines Freizeitparks. http://www.bolshoi.ru/en/performances/opera/

  • Nun setzt auch das Bolshoi gleich mehrere Produktionen auf den Index. Die Neuinszenierungen von Carmen, Rosenkavalier, Rigoletto u. v. a. mehr sind nur noch für Erwachsene!!!!!


    Verstehe ich nicht!!!!!!!!!!! - Wenn ich es richtig lese, ist z.B. Der Rosenkavalier schon länger im Reperetoire. Und auch die gezeigten Bilder sehen bei den hier genannten Produktionen wenig nach Regietheater aus!? Eventuell hat die Altersfreigabe, die ich z.B. bei der Katerina Izmailova rein aus der Handlung heraus sofort unterschreiben würde, andere Gründe? Kann jemand vielleicht valide Informationen insbesondere mit weniger "!" liefern, bevor hier wieder die üblichen Beisreflexe greifen?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Es tut mir leid, dass Du das nicht verstehst. For adults only bedeutet, dass diese Produktionen nur für Erwachsene sind. Offensichtlich sind in Russland die Maßstäbe noch ein wenig anders als in Deutschland. Was bei uns mittlerweile als Regie Theater Light gilt hat in Russland eine Altersfreigabe zur Folge. Wer regt sich hier noch auf über Nackte auf der Bühne auf, über Zeitverschiebungen, oder eindeutig Zweideutiges bzw. darüber, dass das Werk nicht so dargestellt wird, wir es Librettist und Komponist wollten. Dafür sind doch die meisten viel zu abgestumpft, eingeschworen auf die Vokabeln der Rezensionen und in Unkenntnis über das Libretto. Den Rosenkavalier des Bolschoi würde man hier doch glatt als werktreu bezeichnen, und völlig außer acht lassen, dass er eben nicht im Jugendstil spielt. übrigens waren die vorherigen Produktionen, z. B. der Carmen, nicht nur für Erwachsene. Diesen Zusatz gibt es erst seit Neuestem.


    Außerdem empfehle ich euch beiden mal die Produktionsvielfalt und die Bühnenbilder des Bolschoi von vor 15 Jahren mit denen im heutigen Repertoire zu vergleichen. Keine der alten Produktionen, die teilweise über 50 Jahre im Spielplan geblieben sind haben den eisernen Besendes neuen Intendanten überlebt. Waren es früher mindestens 60 Stücke, die im Repertoire waren, so wird uns heute ein immens ausgedünnter Spielplan präsentiert,der die üblichen Regie Theater Mätzchen abbildet: Zeitverschiebungen, Aktualisierungen, und so weiter. Das Besondere des Hauses waren bis dato die immens aufwendigen und liebevoll gestalteten Bühnenbilder und Kostüme. Davon ist leider nichts mehr geblieben. Allein dieser neue Onegin... Ich durfte die alte Produktion noch live erleben und sie war ein Traum. Zum Glück gibt es eine DVD davon.

  • Den Rosenkavalier des Bolschoi würde man hier doch glatt als werktreu bezeichnen, und völlig außer acht lassen, dass er eben nicht im Jugendstil spielt.

    Ich bin wirklich zu blöd! - Ich dachte immer, Jugendstil sieht anders aus, als das hier. Da würde ich mit meinen Kindern natürlich auch nicht hingehen wollen ... :untertauch:


    Mit Verlaub, verehrte Knusperhexe, aber ich habe den Eindruck, dass Du hier aus Prinzipienreiterei einen ziemlichen "Türken baust".

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Was unterstellst du mir da?? ich bin leider wirklich zu blöd um den Ausdruck einen Türken bauen zu kennen. Aber Gott sei Dank kenne ich die Libretti viele Opern in und auswendig und so kann ich sehr gut beurteilen, dass der dritte Akt Rosenkavalier nicht in einem Höllen- Kabarett spielt, dass Johann Strauss dort nichts zu suchen hat und der Jugendstil ebenfalls nicht.. wenn dich diese Diskrepanzen nicht stören, dann ist doch alles wunderbar und die Intendanten haben ihr Ziel erreicht.

  • Was unterstellst du mir da?? ich bin leider wirklich zu blöd um den Ausdruck einen Türken bauen zu kennen.

    Siehe Einen Türken bauen (Wiktionary, zuletzt aufgerufen am 14.07.2016). Im übrigen qualitativ keine wesentlich andere "Unterstellung", als die der Abstumpfung.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Sorry, das hast Du in den falschen Hals gekriegt. Ich fand deine Formulierung einfach nur witzig und musste sie wirklich erst nachschlagen. Wollte Dir persönlich aber nicht unterstellen oberflächlich oder abgestumpft zu sein.tut mir leid, wenn du das so verstanden haben solltest.Dass du die Fakten am Bolschoi nicht erkennen möchtest, das ist Deine Sache.

  • Sorry, das hast Du in den falschen Hals gekriegt. Ich fand deine Formulierung einfach nur witzig und musste sie wirklich erst nachschlagen. Wollte Dir persönlich aber nicht unterstellen oberflächlich oder abgestumpft zu sein.tut mir leid, wenn du das so verstanden haben solltest.Dass du die Fakten am Bolschoi nicht erkennen möchtest, das ist Deine Sache.


    Ist tatsächlich anders bei mir angekommen, aber damit geklärt. Was allerdings die Fakten angeht, so habe ich zumindest bzgl. des ominösen "adults only" eigentlich keine. Wie gesagt, die Bilder mögen nicht 100%ig den Libretto-Vorgaben entsprechen, aber "adults only" heißt im Zweifel "ab 18" und das erscheint mir wenig glaubwürdig. Andererseits schlägt Rußland zur Zeit viele interessante Volten, die mit meiner Demokratieauffassung herzlich wenig zu tun haben. Insofern schließe ich eine freundlich gesagt kultur-reaktionäre Motivation nicht aus. Jedenfalls wäre ich dankbar für eine belastbare Begründung, die über reine Vermutungen unsererseits hinaus geht.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Es wird immer wieder betont, dass man den schönen Gesang in der Oper genießen wolle, in schöner historischer Kulisse und mit üppigen Kostümen, und dass man in der Oper mit politischen oder sozialen Anspielungen auf die Gegenwart verschont werden möchte. Das Leben / die gegenwärtigen Verhältnisse etc. seien schon schlimm genug, da wolle man wenigstens in der Oper etwas Schönes hören und sehen. Ich nenne das Eskapismus und kann Regisseure sehr gut verstehen, die sich dieser Rezeptionshaltung bewusst verweigern.


    Eskapismus? Wer ist denn hier nun intolerant?


    Ich möchte doch zu gerne wissen, was an Rheingolds lesenswertem Beitrag falsch sein sollte.
    Oder glaubt einer im Ernst, dass jemand, der tagaus, tagein mit allen Scheußlichkeiten des Lebens zu tun hat, es nicht verdient hätte, wenigstens für ein paar Stunden davon los zu kommen?
    Im Übrigen gehört guter Gesang zu einer Oper des 18. Oder 19. Jahrhunderts wie die Lichtgeschwindigkeit zur Relativitätstheorie, sie ist geradezu die Voraussetzung.
    An dem Satz: „Es wird immer wieder betont, dass man den schönen Gesang in der Oper genießen wolle, in schöner historischer Kulisse und mit üppigen Kostümen, und dass man in der Oper mit politischen oder sozialen Anspielungen auf die Gegenwart verschont werden möchte.“
    habe ich ebenfalls einiges auszusetzen: nicht um schöne, historische Kulisse geht es, sondern um historische Kulisse und nicht um üppige Kostüme sondern um zeitgerechte Kostüme.
    Und Anspielungen auf Geschehnisse der Gegenwart?


    Die kann sich doch jeder selber aussuchen, es passen meistens eine ganze Menge und wenn nicht, sollte wenigstens kein Schmieren-Regisseur dem Publikums solche einzubilden versuchen.
    Dass Operetten oder Lortzing-Opern sich textlich oft leicht an zeitnahe Satire anpassen können, steht auf einem anderen Blatt.
    Wenn einer jeoch bei Lortzing die Lösung seiner Lebensprobleme sucht, sitzt er in der falschen Oper.


    Die Grundhaltung des Regisseurs Rodrigo García wird von seinem Marketingbeauftragten in – wie ich finde höchst bemerkenswerter und verräterischer Weise – mit den Worten beschrieben: „Seit nunmehr zwanzig Jahren legt Rodrigo García genüsslich den Finger in die Wunde“.


    Wir mögen da unterschiedlicher Meinung sein, aber ich empfinde es es als eine der vornehmsten Aufgaben von Theater, den Finger in Wunden zu legen.


    Genüsslich!!!? Na ja.
    Diese vermeintlichen Wunden, an denen du so hängst, lieber Bertarido, sind doch meist nur Hirngespinste.
    Welche Wunde weist denn die „Cosí“ auf? Dass die menschliche Natur im Laufe der Geschichte sich nicht nennenswert verändert hat? Ist das Alles?
    Was gibt es denn zu berichtigen, wenn Meister Mozart hier sein breitestes Grinsen aufsetzt um sie mit seinem ihm eigenen, deftigen Humor zu schildern?


    Was die Aida betrifft, ist Holgers Behauptung, dass Ägypten den Menschen des 18. Jahrhundert näher wäre als denen des 21., ebenfalls falsch.
    Von den Pharaonen weiß auch ein moderner Opernbesucher mindestens genaus so viel wie unsere Vorfahren, wenn nicht mehr. Das beweist schon die Unmenge an Mumien-Horrorfilmen.


    Dass das Regietheater von einer Mehrheit der Opernliebhaber akzeptiert ist, nehme ich dir ebenfalls nicht ab, ein zwingender Beweis für das Gegenteil liegt mir allerdings auch nicht vor..
    Ich jedenfalls kann auf moralische Erbauung sehr gerne verzichten. Wie weit es mit ihr her ist, hat die Geschichte immer wieder gelehrt. Nicht umsonst sind die meisten Kriege,
    dazu noch die brutalsten, von Moralisten und religiösen Eiferern angezettelt und heute lehrt uns unter anderen das fromme, christ-katholische Polen,
    wie man effektiv mit Flüchtlingen umspringt.


    Bleibt mir also bitte vom Leibe mit Erbauung. Ich hole mir meinen Moralkodex nicht aus der Oper und Heuchelei ist mir zutiefst zuwider.
    Große Mode under den Leichtathleten sind ja zur Zeit religiöse Bezeugungen sowohl vor wie auch nach dem Rennen. Da wird also von der aparten Annahme ausgegangen,
    dass es in einer gewissen Höhe, die auf die Erdrotation und die Dimensionen des Weltalls nicht die geringste Rücksicht nimmt,
    ein Wesen gibt, das ungerührt dem bestialischen Tod von Tausenden von Frauen und Kindern zusieht,
    während es gleichzeitig damit beschäftigt (oder dadurch abgelenkt??) ist, irgend einem Egomanen einen unverdienten Sieg zu schenken.


    Wie gesagt, Rheingold spricht mir aus der Seele und es bleibt mir nur, darauf hinzuweisen, dass es genug Opern gibt, die auch ohne tiefgreifende Veränderungen existenzielle Probleme ansprechen.


    Zum Schluß: mehrmals schon hatte ich den Sinn oder Unsinn des Stockholmer Lohengrin angesprochen. Doch noch nie habe ich irgend eine plausible Erklärung dafür gelesen.
    Ich wage mal zu behaupten: diesen Schmarren hätte jeder normalbegabte Abiturient in 3 Stunden sich aus den Fingern saugen können.


    Generelle Einwände gegen die Modernisierung von gewissen Opern kann es natürlich nicht geben, dagegen aber generelle Einwände gegen pathologisch-krampfhaftige Versuche eines mittelmäßigen Regisseurs,
    mit dümmlichen und vulgären Einfällen sich auf Kosten des Komponisten einen Namen machen zu wollen.

  • Zitat

    Zitat von Hami: Dass das Regietheater von einer Mehrheit der Opernliebhaber akzeptiert ist, nehme ich dir ebenfalls nicht ab, ein zwingender Beweis für das Gegenteil liegt mir allerdings auch nicht vor..

    Lieber Hami,


    dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, deren Ergebnisse hier auch schon vor längerer Zeit einmal angesprochen und veröffentlicht wurden. (Ich weiß allerdings nicht mehr unter welchem Thema und habe keine Zeit, das in dem ganzen Wust noch einmal herauszusuchen). Diese Befragungen fanden allerdings nur bei Opernbesuchern statt, die heute noch in die Oper gehen. Schon hieraus ergab sich, dass die bei weitem überwiegende Anzahl lieber die Oper so sehen würde, wie sie Librettist und Komponist verfasst haben. Würde man die Opernfreunde hinzuzählen, die inzwischen diese leider allgegenwärtigen Fälschungen nicht mehr besuchen (zu denen auch ich gehöre und von denen ich viele - auch hier im Forum - kenne), wäre die Anzahl der Befürworter dagegen nur noch verschwindend klein. Über diese Statistik sind die Befürworter damals geflissentlich hinweg gegangen.

    Zitat

    Zitat von Hami: Zum Schluß: mehrmals schon hatte ich den Sinn oder Unsinn des Stockholmer Lohengrin angesprochen. Doch noch nie habe ich irgend eine plausible Erklärung dafür gelesen. Ich wage mal zu behaupten: diesen Schmarren hätte jeder normalbegabte Abiturient in 3 Stunden sich aus den Fingern saugen können. Generelle Einwände gegen die Modernisierung von gewissen Opern kann es natürlich nicht geben, dagegen aber generelle Einwände gegen pathologisch-krampfhaftige Versuche eines mittelmäßigen Regisseurs, mit dümmlichen und vulgären Einfällen sich auf Kosten des Komponisten einen Namen machen zu wollen.

    Dein ganzer Beitrag spricht mir und - ich glaube vielen hier - aus der Seele. Was die Erklärungen für diesen Unsinn betrifft, warte ich schon seit Jahren auf eine plausible Antwort, vor allem von denen, die hier große theoretische Abhandlungen schrieben oder noch schreiben (inzwischen ignoriere ich diese ja längst), aber von Oper keine Ahnung haben bzw. in keiner Beziehung zu ihr stehen. Ich habe sehr viele Beispiele, die jeder im Fernsehen sehen konnte, und die ich mir, um mitreden zu können, angetan habe, angesprochen und nach dem Sinn dieses Unsinns gefragt. Nur einmal gab es einen Versuch von MSchenk (den ich ihm hoch anrechne, auch wenn ich nicht seiner Meinung sein konnte), mir den Epilepsiegrin aus Mailand zu erklären. Von den meisten höre ich nur, dass es ihnen gefallen hat, dass sie die Inszenierung gut fanden, aber nie, worin der Mehrwert dieser Fälschungen im Einzelnen lag. Die blassen Theoretiker jedoch hüllten sich meist sorgsam in Schweigen (mit der Ausrede, dass sie keine Zeit hatten, sich das anzusehen).
    Wir werden wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag auf eine plausible Erklärung warten, warum Opern unbedingt umgestrickt und das Originalwerk für heutige Zuschauer nicht mehr verständlich ist. Wie du schon sagst, geht es nicht um schöne Kulissen, sondern um Kulissen, die den Originalspielplatz zu erkennen geben, und nicht um prächtige Kostüme, sondern um Kostüme, die der Zeit entsprechen, in der das Originalstück spielt. Vor allem aber bleibt für mich jede Veränderung der Originalhandlung, jedes Hinzufügen von unnötigen Personen oder Aktionen ein Vergehen am Werk und deshalb verurteilungswürdig.
    Auch ich halte diese krampfhaften Versuche für Auswüchse mittelmäßiger bis schwacher Regisseure, die mit der Werk nicht mehr umzugehen verstehen. Ich kann mir nicht denken, dass das Niveau der meisten Opernbesucher schon soweit gesunken ist, dass nur noch dieser Schwachsinn zieht.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Was die Aida betrifft, ist Holgers Behauptung, dass Ägypten den Menschen des 18. Jahrhundert näher wäre als denen des 21., ebenfalls falsch.

    Habe ich das behauptet? :P Das Ägypten von Aida ist letztlich das Ägypten - das Ägypten-Bild - des 19. Jhd. und nicht das der Pharaonen. Wenn man wirklich historisch treu sein wollte, dürfte man Aida nur noch am originalen historischen Ort - in Ägypten - aufführen, und zwar ausschließlich für Ägypter, für deren sehr spezifische Bedürfnisse die Oper ursprünglich geschaffen wurde. :D


    Von den Pharaonen weiß auch ein moderner Opernbesucher mindestens genaus so viel wie unsere Vorfahren, wenn nicht mehr. Das beweist schon die Unmenge an Mumien-Horrorfilmen.

    Also Aida soll heute rezipiert werden im Kontext von "Mumien-Horrofilmen"? Allein daran sieht man doch eigentlich, das es um das "Historische" schon längst mehr geht. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


  • Eskapismus? Wer ist denn hier nun intolerant?


    Eine Rezeptionshaltung zu benennen sehe ich nicht als intolerant an. Intolerant wäre es, sie verbieten oder ausmerzen zu wollen, so wie es die "Regietheater"-Gegner mit diesem am liebsten täten. Ich habe allerdings Verständnis dafür, wenn Regisseure ihre Rolle nicht darin sehen, diesen Eskapismus zu bedienen.



    Ich möchte doch zu gerne wissen, was an Rheingolds lesenswertem Beitrag falsch sein sollte.
    Oder glaubt einer im Ernst, dass jemand, der tagaus, tagein mit allen Scheußlichkeiten des Lebens zu tun hat, es nicht verdient hätte, wenigstens für ein paar Stunden davon los zu kommen?


    Ich wusste gar nicht, dass sich das typische Opernpublikum - und ganz besonders der konservative Teil davon - zum größten Teil aus Sozialarbeitern, Flüchtlingshelfern, Polizisten u.ä. Berufsgruppen rekrutiert, die "tagaus, tagein mit allen Scheußlichkeiten des Lebens zu tun" haben. :D Mit Verlaub: Wer von uns wird denn wirklich hautnah damit konfrontiert? Die Meldungen der Tageschau oder die Punks, die einen in Berlin anbetteln, lasse ich hier nicht gelten.



    Im Übrigen gehört guter Gesang zu einer Oper des 18. Oder 19. Jahrhunderts wie die Lichtgeschwindigkeit zur Relativitätstheorie, sie ist geradezu die Voraussetzung.


    Wer hat das bestritten? Ich habe bestimmt nichts gegen schönen Gesang, ich finde nur nicht, dass sich Oper darin erschöpft.



    An dem Satz: „Es wird immer wieder betont, dass man den schönen Gesang in der Oper genießen wolle, in schöner historischer Kulisse und mit üppigen Kostümen, und dass man in der Oper mit politischen oder sozialen Anspielungen auf die Gegenwart verschont werden möchte.“
    habe ich ebenfalls einiges auszusetzen: nicht um schöne, historische Kulisse geht es, sondern um historische Kulisse und nicht um üppige Kostüme sondern um zeitgerechte Kostüme.


    Erstens trifft das nach meiner Wahrnehmung nicht auf alle hier Schreibenden zu, und zweitens bin ich in der Tat anderer Meinung: darum geht es eben nicht.



    Und Anspielungen auf Geschehnisse der Gegenwart?


    Die kann sich doch jeder selber aussuchen, es passen meistens eine ganze Menge und wenn nicht, sollte wenigstens kein Schmieren-Regisseur dem Publikums solche einzubilden
    versuchen.


    Der "Schmieren-Regisseur" ist ein arger Ausrutscher, das entspricht eigentlich nicht Deinem Niveau . :no: Ansonsten liegt der Unterschied zwischen uns darin, dass ich es sehr wohl für die Aufgabe eines Regisseurs halte, solche Bezüge herauszuarbeiten. Das Argument, das Publikum könne die doch selber erkennen, halte ich für unzutreffend. Ich habe jedenfalls schon oft Aspekte von Stücken durch kluge Inszenierungen kennengelernt, die mir vorher nicht bewusst waren.


    Genüsslich!!!? Na ja.
    Diese vermeintlichen Wunden, an denen du so hängst, lieber Bertarido, sind doch meist nur Hirngespinste.
    Welche Wunde weist denn die „Cosí“ auf? Dass die menschliche Natur im Laufe der Geschichte sich nicht nennenswert verändert hat? Ist das Alles?
    Was gibt es denn zu berichtigen, wenn Meister Mozart hier sein breitestes Grinsen aufsetzt um sie mit seinem ihm eigenen, deftigen Humor zu schildern?


    "Cosi" enthält doch nun wirklich viele Themen, die heute noch mindestens so aktuell sind wie zu Mozarts Zeiten: Geschlechterverhältnisse, Verführbarkeit, Liebe und Treue... Ob man die nun Wunden nennen will oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Einen "Finger in die Wunde zu legen" könnte hier bedeuten: deutlich machen, dass es sich nicht um eine etwas hergeholte Komödie aus alten Zeiten handelt, über die man lacht, die aber keine besondere Relevanz für unser Leben hat.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • "Cosi" enthält doch nun wirklich viele Themen, die heute noch mindestens so aktuell sind wie zu Mozarts Zeiten: Geschlechterverhältnisse, Verführbarkeit, Liebe und Treue.


    Da hast du sicherlich recht, lieber Bertarido, aber bisher hat mir noch niemand erklärt, inwiefern die Auswüchse der italienischen Kolonialismus, wie sie neulich in der Übertragung der "Cosi" aus Aix-en-Provence zu besichtigen waren, die Aussage der Stücks vertiefen. Wenn ich solche "Neudeutungen" sehe, beschleicht mich unweigerlich der Verdacht, dass es dem Regisseur gar nicht so sehr um das Freilegen bislang unentdeckter "Subtexte" geht, sondern dass ihn nur die Frage umtreibt:" Was hatten wir denn bis jetzt noch nicht?", denn andernfalls ist man ja nicht kreativ bzw. innovativ. Dann noch ein paar pseudointellektuelle Ausführungen im Programmheft, die dann von den Kritikern gern gewissenhaft abgeschrieben werden, nach Möglichkeit noch ein wenig Provokation, und man ist als Regisseur "gemacht".



    Das Ägypten von Aida ist letztlich das Ägypten - das Ägypten-Bild - des 19. Jhd. und nicht das der Pharaonen. Wenn man wirklich historisch treu sein wollte, dürfte man Aida nur noch am originalen historischen Ort - in Ägypten - aufführen, und zwar ausschließlich für Ägypter, für deren sehr spezifische Bedürfnisse die Oper ursprünglich geschaffen wurde.


    Na, die Mode "Oper am Originalschauplatz" hatten wir ja vor einigen Jahren schon mal- "Aida" in Gizeh, "Otello" in Zypern" usw. Dann darf natürlich "Anna Bolena" nur im Tower und "Don Carlos" nur im Escorial aufgeführt werden. Und dass "Aida" für die "spezifischen Bedürfnisse der Ägypter" geschrieben worden sein soll, ist ja nun wirklich abwegig. Den damaligen Ägyptern war diese Oper sicherlich herzlich egal, die waren bestenfalls froh, dass die Plackerei am Suezkanal endlich ein Ende hatte. Die Oper wurde bestenfalls für die dort herrschende Klasse sowie die Engländer und Franzosen geschrieben die den Kanal finanziert hatten. Jedenfalls ist mir nicht bekannt, dass Verdi sich gegen die Aufführung der Oper im folgenden Jahr in Mailand und die darauf folgenden Aufführungen in allen europäischen Ländern gesträubt hätte.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Der "Schmieren-Regisseur" ist ein arger Ausrutscher, das entspricht eigentlich nicht Deinem Niveau .


    Es geht hier aber nicht um mein Niveau, sondern um das des Regisseurs.
    Wenn mir jemand die Jacobiner in der Oper Andrea Chénier in die Nähe von Hitlers brauner Schlägereinheit oder der SS bringt, sehe ich daran einen Sinn, denn die Ähnlichkeiten drängen sich geradezu auf.


    Was eine ähnliche Sicht im Lohengrin bringen soll, werde ich allerdings nie begreifen. Schließlich hat nicht Heinrich der Vogler die Ungarn überfallen, sondern diese sind in das ostfränkische Reich eingefallen.
    Elsa als Gefangene auf die Bühne zu führen, ihr die Fingerabdrücke abzunehmen (ein besonders schlauer Einfallt) und sie dann under einen Galgen zu stellen ist möglicherweise als Kritik am Gottesgericht aufzufassen, doch fragt man sich, ob das jemand so sieht. Weit hergeholt ist es jedenfalls.
    Am Übelsten fand ich jedoch das Spielchen mit den Buchstabenwürfeln und Vorhängen mit dem Spruch "Nie sollst du mich befragen". Wie dämlich ist der durchschnittliche Opernbesucher eigentlich.
    Und wenn er schon dämlich ist, kann er sich kein Programmheft leisten?


    Wahrlich, ich habe mich von diesem berühmten Regisseur einfach veräppelt gefühlt, weil ich eben nichts, rein gar nichts entdecken konnte, was mit den Text oder der Musik überein stimmte oder etwa dem Besucher das griechische Semele-Mythos nahe brachte. Hätte man Schillers "Das verschleierte Bild zu Sais" dabei thematisiert, wäre man ebenfalls nicht daneben gelegen, weil es die Unvereinbarkeit des menschlichen Strebens mit dem objektiven Wissen berührt.


    Übrigens, die Scheußlichkeiten des Lebens treffen nicht nur Sozialarbeiter, sondern jeden, der die Tagesschau sieht und noch menschliche Gefühle hat.

  • Für mich kann jeder einigermaßen denkende Mensch selbst Bezüge zur Handlung herstellen. Wer sich zumindest gedanklich mit dem Werk beschäftigt, kann die Analogien zur Gegenwart erkennen und braucht keinen "Skandalregisseur", der mit Holzhammerschlägen die Freude an der Oper zerstört.


    Wer allerdings (meist)ungebildet und uninteressiert in die Oper geht, der kann leicht über den Einfallsreichtum des Regisseurs staunen und jubeln.


    Erich

  • Da hast du sicherlich recht, lieber Bertarido, aber bisher hat mir noch niemand erklärt, inwiefern die Auswüchse der italienischen Kolonialismus, wie sie neulich in der Übertragung der "Cosi" aus Aix-en-Provence zu besichtigen waren, die Aussage der Stücks vertiefen. Wenn ich solche "Neudeutungen" sehe, beschleicht mich unweigerlich der Verdacht, dass es dem Regisseur gar nicht so sehr um das Freilegen bislang unentdeckter "Subtexte" geht, sondern dass ihn nur die Frage umtreibt:" Was hatten wir denn bis jetzt noch nicht?", denn andernfalls ist man ja nicht kreativ bzw. innovativ. Dann noch ein paar pseudointellektuelle Ausführungen im Programmheft, die dann von den Kritikern gern gewissenhaft abgeschrieben werden, nach Möglichkeit noch ein wenig Provokation, und man ist als Regisseur "gemacht".


    Liebe Mme. Cortese, ich will ja gar nicht bestreiten, dass es diese von Dir beschriebenen Fälle gibt, die ich genauso ablehne wie Du. Aber es gibt eben auch andere, kluge und erhellende Inszenierungen. Ich bin sehr dafür, dass man sich - durchaus kritisch - mit jedem einzelnen Fall auseinandersetzt und eine Aufführung nicht schon deswegen als "Verunstaltungstheater" verunglimpft, weil die Handlung in eine andere Zeit verlegt wurde oder die Figuren nicht in historischen Kostümen auftreten. Zu der "Cosi" aus Aix kann ich leider ebensowenig sagen wie zu dem von hami erwähnten "Lohengrin" aus Stockholm, weil ich beide nicht gesehen habe.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Die Oper wurde bestenfalls für die dort herrschende Klasse sowie die Engländer und Franzosen geschrieben die den Kanal finanziert hatten.

    Und genau das ist der kritische Punkt. Die Wahl von Ort und Zeit der Handlung erfolgte wegen ziemlich kontingenter historischer Umstände des Entstehens dieser Oper, wo man eben nicht einfach als Generalregel unterstellen darf, dass sie mit dem eigentlichen Inhalt des Stückes und dem, was da ausgedrückt werden soll, wirklich essentiell und mehr als nur zufällig verbunden sind.


    Schöne Grüße
    Holger


  • Ist tatsächlich anders bei mir angekommen, aber damit geklärt. Was allerdings die Fakten angeht, so habe ich zumindest bzgl. des ominösen "adults only" eigentlich keine. Wie gesagt, die Bilder mögen nicht 100%ig den Libretto-Vorgaben entsprechen, aber "adults only" heißt im Zweifel "ab 18" und das erscheint mir wenig glaubwürdig. Andererseits schlägt Rußland zur Zeit viele interessante Volten, die mit meiner Demokratieauffassung herzlich wenig zu tun haben. Insofern schließe ich eine freundlich gesagt kultur-reaktionäre Motivation nicht aus. Jedenfalls wäre ich dankbar für eine belastbare Begründung, die über reine Vermutungen unsererseits hinaus geht.


    Da wendest Du Dich am besten direkt an das Bolschoi und fragst, warum sie derart viele Stücke auf den Index setzen.

  • Wieso braucht man für so etwas Abitur?


    Lieber Hart,
    jetzt hast du mich kalt erwischt. Habe eine ganze böse Nacht darüber nachgedacht und weiß es immer noch nicht. Muss dir wohl oder übel die Antwort schuldig bleiben.

  • Zitat

    Zitat von Hart: Wieso braucht man für so etwas Abitur?

    Lieber Hart,


    an dem Abitur dieser Leute zweifle ich ohnehin seit langem. Die Allgemeinbildung, die ein Abitur vermitteln sollte, fehlt diesen Ergüssen in der Regel.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Da wendest Du Dich am besten direkt an das Bolschoi und fragst, warum sie derart viele Stücke auf den Index setzen.


    Habe ich gemacht und folgende Antwort erhalten:


    "Due to the new regulations imposed in Russia we have to indicate each production with suggested age from which one can watch it. So theater does it. It is a suggestion. Still parents can decide, but they an not complain later, because we worn them. So basically we were obliged to do so."


    Das mag nun jeder interpretieren, wie er möchte, aber nach einem "Regietheater-Problem" hört sich das für mich nicht an.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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