Was versteht Ihr eigentlich unter "Zugang" ?

  • Hallo rappy!


    deine Regel ist mir zu einfach und damit m.E. falsch.


    Ich kenne beides:


    a) Spontaner Zugang und spontane Begeisterung mit (lebens-) langer Wirkung nach dem Motto" der Beginn einer wunderbaren Freundschaft"


    b) Erkämpfte Zuneigung und Liebe, die ebenso lange und intensiv vorhält
    (bei mir waren es die Sinfonien von Bruckner und Mahler, die ich mir erarbeiten musste)


    Je nach Werk und Einzelfall dürften alle erdenklichen Zwischenwerte möglich und auch üblich sein.


    edit: sehe gerade deine Nachlieferung. Darum nehmt mein Posting als allgemeines Statement.

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.

  • Hallo,


    die Regel gilt natürlich nicht immer (hab auch "meistens" geschrieben), aber doch ziemlich oft.
    Werke die die kleine Nachtmusik oder die Peer Gynt Suite gefallen fast jedem auf Anhieb sehr gut, doch man hat sie sich schnell leid gehört.


    Ok, das waren jetzt krasse Beispiele.
    Ich hab aus persönlicher Erfahrung den Vergleich Tschaikowsky <-> Brahms gewählt.
    Fast alle Stücke (und wirklich fast alle, euch ergeht es wahrscheinlich anders) von Tschaikowsky gefallen mir beim ersten Hören wunderbar und kaum ein Werk von Brahms finde ich nach dem allerersten Reinhören genauso schön. Doch nach vielem Hören habe ich nun absolut keine Lust mehr auf z.b. Tschaikowskys Violinkonzert oder (1.) Klavierkonzert, die Hauptthemen kann ich kaum mehr hören. Die Konzerte von Brahms sind für mich nun die absolute Spitze, sein Violinkonzert ist für mich eindeutiger Spitzenreiter in diesem Genre geworden, sodass ich mich manchmal frage, warum nur Brahms (& evtl. Beethoven) es geschafft hat, ein Violinkonzert zu komponieren, was in der höchsten Liga sinfonischen Schaffens spielt (bekannterweise sind viele Leute, das habe ich auch hier schon gelesen, von den meisten Violinkonzerten nicht sonderlich beeindruckt). Wie gesagt, nur mein persönliches Empfinden (ich will nicht wieder auf zu harte Kritik stoßen ;) )


    Woran liegt das? In vielen Werken (komplexe Werke) steckt viel Inhalt - z.B. bei Brahms, Bruckner, Mahler, etc. -, in anderen weniger (dafür genauso hochwertiger). In letzteren sticht der Inhalt stark heraus und wird leicht wahrgenommen. Werke mit viel Inhalt, z.B. starke Polyphonie oder außergewöhnliche Harmonien und Rhythmen, sind oft schwerer zugänglich, weil auf Anhieb nicht etwas bestimmtes "heraussticht", was sofort als angenehm empfunden wird, oft kommen einem die Stücke zu Beginn chaotisch vor (was sie natürlich nicht sind). Hört man sie dann aber öfters, hat man eher die Chance, immer Neues zu entdecken, und man kann sie dadurch immer wieder hören.
    Persönliche Interpretation :)

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo, Markus!


    Zitat

    BEETHOVEN OPUS 133 "GROSSE FUGE"


    Eine kleine Umfrage:


    Wer hat´s schon mal gehört?
    Wie war der erste Eindruck?
    Gab es etwa jemandem, dem dieses Werk bei ersten hören sofort gut gefallen hat?


    Ja, mir! Ich war sofort beim ersten Hören fasziniert, war starr und regungslos vor meinem CD-Player ob der "unerhörten" Töne, die mich in ihren Bann zogen! (in Smilies ausgedrückt: :jubel:8o:yes:?(:jubel: )


    Um bei Beethoven zu bleiben: Mein Verhältnis zu seiner Violinsonate op. 47 war sehr wechselhaft. Es war mit das erste, das ich von Beethoven gehört hatte, und ich konnte das Werk sofort nicht ausstehen. Jahre später haben meine reifer gewordenen Ohren dann begeistert reagiert und die Sonate zum Über-Werk erhoben. Von diesem Throne ist sie aber inzwischen längst wieder hinunter. Meine Einstellung zu dieser Sonate schwankt nicht mehr so extrem, aber sie schwankt.


    Hallo, Johannes!


    Zitat

    Ich empfehle 1. die Fuge als Finale zu hören, nicht isoliert, oder jedenfalls den Rest des Quartetts einigermaßen zu kennen.


    Ich bin da ganz der anderen Meinung. Für mich ist die Große Fuge ein singuläres Werk, das nachkomponierte Finale ist für op. 130 wesentlich angemessener.


    Zitat

    Als Finale ist es das Analogon zu dem der 9. Sinfonie, eben der Gipfel :jubel: :jubel: :jubel:


    Das sehe ich auch so, allerdings gibt es mindestens noch einen Gipfel - der Schlußsatz von op. 111 (von ganz anderer Art) - der hat mich übrigens auch sofort begeistert!


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Und dann nehmen wir noch die Missa, das Adagio aus der Hammerklaviersonate, die Kreutzersonate.....
    Und schon wird aus dem Gipfel ein ganzes Gebirge aus Achttausendern.

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.

  • Meiner Erfahrung nach steckt in Rappys Aussage zwar ein Fünkchen Wahrheit (und ich hätte das mit 18 vermutlich genauso vertreten :D), dennoch stimme ich CRC zu, dass es viele Zwischenstufen gibt. Ich möchte nur eine ergänzen:
    Dass man nämlich Musik, der man überdrüssig war, die man jahrelang nicht mehr hören konnte, wieder entdeckt und in ihr neue (oder vielleicht doch diesselben) Qualitäten findet wie damals.
    Man darf IMO nicht vergessen, dass Komplexität überhaupt kein Wert an sich ist und "geniale Einfachheit" kein reines Klischee. Man gerät sonst leicht in die Falle z.B. der Wagnerianer, für die der mittlere Verdi sich in jodelnden Tenören mit um-tata-Begleitung erschöpft u.ä.


    Ich konnte etliches von Tschaikowsky auch nicht mehr hören, inzwischen wieder (und bin mehr oder minder der Ansicht, dass er oft am besten ist, wenn er gar nicht versucht "tiefgründig" zu sein" wie in der 5. Sinfonie, sondern eben brillant, farbig, melodienreich usw. wie in den Balletten)
    Schwanensee hat einfach Qualitäten, die die Kunst der Fuge beim besten Willen nicht hat, und man kann nicht einfach so behaupten, dass das automatisch weniger wichtige oder kunstvolle Qualitäten sind, nur weil man ihre Wirkung sofort verspürt und nicht nach jahrelangem Studium.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Volle Zustimmung, JR!


    Beethovens Fünfte hatte ich mir "über" gehört. Seit kurzem mag ich sie wieder.


    Zur Zeit ist mir Bachs Weihnachtsoratorium entglitten. Seit ein paar Jahren schon will ich es nicht mehr hören.
    Aber auch das wird sich geben.

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.

  • Zitat

    Original von Pius


    Um bei Beethoven zu bleiben: Mein Verhältnis zu seiner Violinsonate op. 47 war sehr wechselhaft. Es war mit das erste, das ich von Beethoven gehört hatte, und ich konnte das Werk sofort nicht ausstehen. Jahre später haben meine reifer gewordenen Ohren dann begeistert reagiert und die Sonate zum Über-Werk erhoben. Von diesem Throne ist sie aber inzwischen längst wieder hinunter. Meine Einstellung zu dieser Sonate schwankt nicht mehr so extrem, aber sie schwankt.


    Ein Stück, zu dem ich nie eine besonders emotionale Einstellung hatte. Witzigerweise gibt es hier in der Literatur sehr unterschiedliche Positionen: Rosen hält den Kopfsatz für mit das Beste, was Beethoven bis dahin geschaffen hatte, die Folgesätze für stilistisch unpassend und leichtgewichtig, das Ganze für keinerlei Einheit (das Finale war ja zuerst für eine andere Sonate bestimmt): "Beethoven hat nie wieder so einen Zwitter als ein Werk ausgegeben.", Riezler nennt sie "die Krönung des gesamten bisherigen Sonatenwerks"...


    Ähnliche (recht unterhaltsame Sachen) sind mit im Sommer auch bei der Lektüre von Bekker aufgefallen: Seine Einschätzung der Ouverturen Leonore II vs. III ist exakt diametral der von Tovey (Bekker zieht II vor). Ebenso die Egmont-Ouverture, über die ich mehrfach recht kritische Kommentare las, etwa (nachvollziehbar), dass das triumphale Finale angehängt wirke und nicht aus dem Vorhergehenden entwickelt und nur verständlich sei, wenn man das Theaterstück kenne; Bekker scheint das nicht zu stören, er hält sie für ganz großartig.


    Zitat

    Ich bin da ganz der anderen Meinung. Für mich ist die Große Fuge ein singuläres Werk, das nachkomponierte Finale ist für op. 130 wesentlich angemessener.



    Das sehe ich auch so, allerdings gibt es mindestens noch einen Gipfel - der Schlußsatz von op. 111 (von ganz anderer Art) - der hat mich übrigens auch sofort begeistert!


    Unter den Variationsfinali bevozuge ich op. 109. Von der Konzeption ist das von op. 106 natürlich der Großen Fuge am ähnlichsten. Parallel dazu gehört sie IMO auch als Finale zum Quartett. Wirklich balanciert ist das gesamte Quartett in keinem der beiden Fälle (Rondo zu "leicht", Fuge zu massiv). Die Fuge ist aber wenigstens eine Krönung und Zusammenfassung, während das Stück mit dem Rondo-Finale eher einer Suite ähnelt, die so dahinplätschert....


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Zugang habe ich noch nicht gefunden - nur das Gefühl: Muss was Großes sein! (Oder habe ich das nur zu empfinden, weil alle Welt es behauptet?)


    Danke an CRC für diese ehrlichen Worte...


    Ich denke, die "Weltmeinung" macht einen Großteil des Problems aus...


    Wieso sollte ich es ebenso toll finden wie eine Mehrheit der Hörer?


    Was Beethoven betrifft, bin ich sicher, daß seine Musik z.T: ganz weit von jedem "Gefallen-wollen" entfernt ist.


    IMO gibt es Musik, die komponiert ist, um zu gefallen...
    das betrifft 99% von Barock und Klassik - die Komponisten waren finanziell von ihren Arbeitgebern abhängig und schrieben deshalb gefällige Werke...


    das ist natürlich wieder polemisch... bei Mozart gibt es ja auch große Unterschiede in der Beliebtheit z.B: zwischen den Klavierkonzerten und den Streichquartetten



    davon ausgenommen ist die Kirchenmusik, die andere Zwecke verfolgt - allerdings im Falle von Mozart eindeutig sich nach den Wünschen des Auftraggebers richtet. (vielleicht wurde nur deswegen die c-Moll Messe nicht fertig, weil kein Auftraggeber drängte...)



    im 19.Jh hat sich das Verhältnis zwischen Komponist und Geldgeber umgedreht - wie hätte Wagners Musik ohne Subvention ausgesehen? hätte er derartige Projekte verfolgt?


    die Frühromantiker rechne ich ohnehin zu den Salonkomponisten - machten sich mit Klavierspiel bei den Damen der Gesellschaft beliebt...


    heute scheint es mir, daß man beim Erteilen eines Kompositionsauftrags "mit dem Schlimmsten" rechnet, um dem Künstler seine Freiheit zu gewährleisten...



    Bei den Werken, die sich der Gefälligkeit verweigern, versuche ich verschiedene Anläufe, irgendwann laß ichs bleiben, der Verlust wird schon nicht so groß sein...
    mit Ausnahme der Werke, die ich berufsbedingt spielen muß (Wagner), da quäl ich mich eben durch.


    für Musiker gibts eine beliebte Falle: das, was ich nicht spielen kann, gefällt mir nicht... (in vielen Fällen Liszt oder Rachmaninow...bei mir Beethoven - ich will das nicht üben...)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Salut,



    Zitat

    Original von tastenwolf


    vielleicht wurde nur deswegen die c-Moll Messe nicht fertig, weil kein Auftraggeber drängte...


    Vielleicht...? Sicher!


    Zitat

    Original von tastenwolf


    für Musiker gibts eine beliebte Falle: das, was ich nicht spielen kann, gefällt mir nicht... (in vielen Fällen Liszt oder Rachmaninow...bei mir Beethoven - ich will das nicht üben...)


    Erinnert mich an die Fabel vom Fuchs und den Trauben...


    :hello:


    Trés...
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Es ist natürlich wie so oft im Leben alles eine Frage der Erwartungshaltung und der Definition.


    Beethoven - was auch immer er empfunden haben mag während er komponierte - was immer seine Intentionen waren - hat Musik geschrieben zu zu Recht als "Klassik" bezeichnet wird - sie folgt dem
    vorgegebenen Ideal - lässt aber genug Raum für "Individualität"


    Dies Musik würde ich nicht als "gefällig" bezeichnen, aber sie ist, bei aller Wildheit, allen Ausbrüchen - immer formal gebunden. Und diesen Widerspruch aufzulösen - das sehe ich als eine Facette der Kunst an. Es ist aus meiner Sicht keine Kunst Tabus zu brechen - wenn man sich dann im "gesetzlosen" Raum befindet und die Gesetze der Ästethik einfach leugnet oder außer Kraft setzt.


    Solche Werke gibt es heute.
    Um deren Zugung bemühe ich mich nicht, genausowenig wie ich freiwillig frittierte Maden (es gibt Restaurants dafür !!!) essen würde - obwohl immer wieder behauptet wird - sie wären köstlich.


    Ich erlaube mir persönlich - zuzugeben, daß ich zu gewissen Werken keinen Zugang habe - ja ihn nicht einmal suche.


    Es gibt genug "schöne, angenehme, erhabene, majestätische, formvollendete" Musik - Ich muß nicht im Morast wühlen, oder, milder ausgedrückt, ein langweiliges Werk 10 mal hören um auszuprobieren ob es dann weniger langweilig klingt.
    :baeh01:


    Sofort ist dann das Argument parat, vom Bildungsbürger, der immer nur die selben 20 Werke hören will. Davon fühle ich mich eigentlich nicht getroffen, denn mein ganzes Leben ist eine musikalische Entdeckungsreise in Sachen klassischer Musik (und seit 3 Jahren auch Jazz). Jetzt höre ich mal die ersten 100 Jahre jene Werke zu denen ich "Zugang" habe - dann werde ich weitersehen..... :D



    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Das Thema hat - vor allem, wenn man nicht mehr 20 ist - auch einen ganz praktischen und sehr nüchternen Aspekt: Musik braucht Zeit. Eine Bruckner-Sinfonie ist lang, eine Wagner-Oper noch länger.


    Wieviel Zeit in meinem vollen Leben kann und will ich mir abzweigen fürs Musikhören? Wieviele Stunden bleiben mir dafür noch? Ein paar tausend? Einige zehntausend? In jedem Fall sind das überschaubare und begrenzte Größenordnungen.


    Was mache ich mit dieser Zeit?
    Die Werke, die ich liebe, möchte ich noch sehr, sehr oft hören. Das heißt: Dafür geht schonmal ein großes Stück vom Kuchen weg.
    In den Stunden, die dann noch übrig bleiben, will ich zwar gerne auch noch etwas Neues lernen.
    Aber muss ich mich da mit Stücken quälen, zu denen ich nicht recht bald Zugang finde?


    Selbst wenn man sich auf das "Standardrepertoire" der klassischen Musik beschränkt, ist ein Menschenleben eigentlich schon viel zu kurz.

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.


  • Eben. Daher finde ich die Formulierung 99% von Barock und Klassik seien komponiert, "um zu gefallen", extrem mißverständlich, daher lieber zu vermeiden. Warum?
    1. "um zu gefallen" legt nahe, es gäbe Musik, etwa von Beethoven oder bösen Neutönern, die komponiert würde, um möglichst nicht zu gefallen oder zu "mißfallen" (das halte ich für Unsinn)
    2. "Gefällig" bedeutet nicht wie im 20. Jhd. massenkompatibel, d.h. nach 8 Stunden Büro von möglichst allen musikalischen Laien problemlos konsumierbar, sondern für ein Publikum, dass häufig sehr musikverständig war und meistens gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen mußte.
    3. ein Großteil der Kammermusik wurde zum Musizieren komponiert, nicht zum Hören. Und zwar wiederum für adlige Liebhaber mit beträchtlichen musikalischen Fähigkeiten. Sie mußte also v.a. zum Selberspielen interessant und reizvoll sein. Ferner gab es Werke, die ganz klar zur Demonstration kompositorischer Fähigkeiten oder als exemplarische Vorbilder bestimmter Gattungen komponiert wurden. Das trifft auf viele von Bachs Instrumentalwerken zu; sie sollten der klavieristischen und kompositorischen Ausbildung dienen. Eine Sammlung wie Mozarts Haydn gewidmete Quartette richtet sich m.E. nicht zuletzt an den Widmungsträger, den berühmtesten Instrumentalkomponisten Europas und sagt etwa "Schau her, ich kann's auch."
    4. Kirchenmusik wurde zumindest teilweise ad maiorem Dei gloriam komponiert, oder um bestimmte Glaubensaussagen möglichst deutlich zu machen, nicht um der Gemeinde zu gefallen. Selbst Händel sagte angeblich zum König, es täte ihm leid, wenn er mit dem Messias sein Publikum nur unterhalten hätte, er zielte darauf ab, es zu verbessern oder zu erbauen.
    (3 und 4 zeigen wieder, dass es keineswegs um marktgängige Gefälligkeit ging; die Anstellung bei Kirche oder Fürst war für jemanden wie Bach gerade die Gelegenheit, auf Mode und aktuellen Geschmack zu pfeifen. Vgl. auch Haydns Aussage, dass er auf Schloß Eszterhazy von der Welt isoliert war und daher "original" werden mußte.


    5. Seinerzeitige musiktheoretische Schriften sprechen eher selten von Gefallen, sondern vom Ausdrücken von Affekten, der Verdeutlichung von Stimmungen, dem Rühren der Zuhörer usw.


    Speziell bei Beethoven wird man schon zur 2. Sinfonie (der um sich schlagende Lindwurm), spätestens zur Eroica und den Quartetten op. 59 zeitgenössische Kritiken finden, die diesen Stücken ähnlich verständnislos begegnen wie später der "chinesischen" Fuge...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Hallo JR


    Da bin ich jetzt mit vielem nicht einverstanden. ;)


    Zitat

    Eben. Daher finde ich die Formulierung 99% von Barock und Klassik seien komponiert, "um zu gefallen", extrem mißverständlich, daher lieber zu vermeiden.


    99% sind viel zu hoch gegriffen, aber "überwiegend" hätte die Sache getroffen.



    Zitat

    1. "um zu gefallen" legt nahe, es gäbe Musik, etwa von Beethoven oder bösen Neutönern, die komponiert würde, um möglichst nicht zu gefallen oder zu "mißfallen" (das halte ich für Unsinn)


    Dieser Umkehrschluss ist völlig unzulässig (und du solltest das am besten wissen).


    In der Zeit, in der die Komponisten bei weltlichen oder geistlichen Stellen fix angestellt waren, mussten sie so komponieren, dass es ihrem Publikum und/oder ihren Brotherren gefiel. Das war aber für sie eine Selbstverständlichkeit und keinerlei Einschränkung ihres künstlerischen Anspruchs!
    Komponisten, die zumindest teilweise auf eigenen Füßen standen, waren noch stärker mit dem Problem befasst. Wenn Mozart den Figaro für Joseph II. komponiert, weiß er genau, was er seinem Kunden und dem restlichen Publikum zu bieten hat, damit er auf einen weiteren Auftrag zu einer Oper hoffen kann (notfalls kann dich Ulli sicherlich mit den passenden Zitaten aus seinem Briefverkehr eindecken). Das hindert ihn aber keineswegs, ein unvergängliches Kunstwerk höchsten Niveaus jenseits jeder Norm von "Gefälligkeit" zu schaffen.
    Das Ganze ändert sich im Wesentlichen mit der Französischen Revolution, und der wichtigste Repräsentant ist wieder einmal Beethoven. Er komponiert im Auftrag (z.B. Fidelio; und da hat es lange genug gedauert, bis er "gefallen" hat), er komponiert für die eigene Brieftasche (Symphonien; und da war er sehr an der Grenze dessen, was er seinem Publikum zumuten konnte) und er komponiert aus eigenem Antrieb fast für sich allein. Seine Klaviersonaten und Streichquartette sind teilweise gar nicht primär für die Öffentlichkeit gedacht, sondern Ergebnisse eines genialen schöpferischen Geists, der musikalische Formen bis zum Letzten auslotet. Das ist nicht mehr Musik, die gefallen soll, das ist Musik um die gerungen werden will. Aber es ist natürlich nie Musik, die mißfallen soll!



    Zitat

    2. "Gefällig" bedeutet nicht wie im 20. Jhd. massenkompatibel, d.h. nach 8 Stunden Büro von möglichst allen musikalischen Laien problemlos konsumierbar, sondern für ein Publikum, dass häufig sehr musikverständig war und meistens gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen mußte.


    Im Prinzip ja. Jedoch gibt es eine gehörige Bandbreite. Wenn Bach für jeden Sonntag eine neue Messe schreibt, ist es für ein breites Publikum, und er schreibt die Messen so, dass sie gefallen. Hätten sie auf Dauer mißfallen, wäre das Gemurre der Gemeinde sehr schnell bis zu seinen Brotherren durchgedrungen und wäre seiner Position sicherlich nicht förderlich gewesen. Hat er aber einen kunstverständigen Kunden, so schaltet er einige Gänge höher, wenn er z.B. die Goldberg-Variationen komponiert und damit auf einem ganz anderen Niveau gefallen kann. Und wenn er gelegentlich ganz für sich alleine zu komponieren scheint, dann ist es mit der Gefälligkeit ohnehin vorbei (Partiten, Cello-Suiten, Kunst der Fuge).
    Wenn Lully seine prunkvollen Inszenierungen am Hof des Sonnenkönigs gestaltet, weiß er ganz genau, was er dem König und dem Hofstaat zu bieten hat, kann aber auch locker sowohl ästhetische als auch künstlerische Ansprüche befriedigen und dennoch auch einfach "gefallen".



    Zitat

    (3 und 4 zeigen wieder, dass es keineswegs um marktgängige Gefälligkeit ging; die Anstellung bei Kirche oder Fürst war für jemanden wie Bach gerade die Gelegenheit, auf Mode und aktuellen Geschmack zu pfeifen. Vgl. auch Haydns Aussage, dass er auf Schloß Eszterhazy von der Welt isoliert war und daher "original" werden mußte.


    Nein. Die Musik war auch ein wichtiges Kriterium, die Leute in großer Zahl in die Kirche zu bringen. Eine Gemeinde, die beim Gottesdienst mit für sie gefälliger Musik versorgt wurde, war außerdem spendenfreudiger, womit wir schon wieder am Grundübel angelangt wären. Ein Bach, der nicht gefallen hätte, wäre seinen Job sehr schnell los gewesen.
    Bei Haydn war es nicht viel anders. Er hatte einen tollen Posten und hat seinem Fürsten musikalisch alles gegeben, was dieser sich nur wünschen konnte. Es war für ihn kein Problem, einerseits seinem Fürsten zu gefallen und andererseits ganze Teile der Musikgeschichte neu zu erfinden. Seine außergewöhnliche Position kann man sehr schön an seiner Abschiedssymphonie erkennen. So etwas hätten sich nur sehr wenige ihrem Boss gegenüber erlauben können.
    Gerade bei Haydn könnte man auch untersuchen, wie deutlich sich seine Musik ändert, nachdem er sich vom fürstlichen Dienst zurückzieht. Ich glaube, man könnte direkt einen Knick in dem feststellen, was Haydn danach vom Zuhörer seiner Musik abverlangt. Er ist deutlich weniger gefällig, weiß aber gleichwohl zu gefallen.



    Zitat

    5. Seinerzeitige musiktheoretische Schriften sprechen eher selten von Gefallen, sondern vom Ausdrücken von Affekten, der Verdeutlichung von Stimmungen, dem Rühren der Zuhörer usw.


    Richtig, das ist aber kein Widerspruch, denn die Komponisten wussten genau, wie sie ihr Publikum emotional packen konnten. Und was ist "gefallen" denn anderes?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich behaupte jetzt mal, dass Musik einem (Intellektuellen) gerade dann gefällt, wenn sie die (ich zitiere) "Ergebnisse eines genialen schöpferischen Geists" sind. Denn was jeder machen kann, ist wertlos. Zumindest in der Kunst.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Salut,


    in Ergänzung zu Theophilus Ausführungen aus dem Konservationsheft L. v. Beethovens [Beethoven äußerte sich mündlich, Schuppanzigh, der gerade mit großem Mißerfolg das Quartett Es-Dur op. 127 uraufgeführt hatte verantwortet sich schriftlich]:


    Schuppanzigh: Ich habe gesagt, dasz ich es nicht eher gebe, bis es recht vollkommen geht..


    [...]


    Es ist wahr, dasz wir es zu bald gemacht haben und es nicht so gelungen ist, wie es sein sollte...


    [...]


    Man hat mich nicht recht verstanden; ich habe gesagt, dasz ich es noch nicht folgenden Sonntag geben lasse, weil es für uns noch zu neu und zu schwer ist...


    Mechanische Schwierigkeiten sind ja nicht darin, nur die Originalität macht es schwer, welche man im ersten Augsenblick nicht fassen kann.


    [abgedruckt in: Wilhelm Kerst, Die Erinnerungen an Beethoven, 2. Band, S. 255-331]


    LG
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Theophilus schrieb:

    Zitat

    Im Prinzip ja. Jedoch gibt es eine gehörige Bandbreite. Wenn Bach für jeden Sonntag eine neue Messe schreibt, ist es für ein breites Publikum, und er schreibt die Messen so, dass sie gefallen. Hätten sie auf Dauer mißfallen, wäre das Gemurre der Gemeinde sehr schnell bis zu seinen Brotherren durchgedrungen und wäre seiner Position sicherlich nicht förderlich gewesen. Hat er aber einen kunstverständigen Kunden, so schaltet er einige Gänge höher, wenn er z.B. die Goldberg-Variationen komponiert und damit auf einem ganz anderen Niveau gefallen kann. Und wenn er gelegentlich ganz für sich alleine zu komponieren scheint, dann ist es mit der Gefälligkeit ohnehin vorbei (Partiten, Cello-Suiten, Kunst der Fuge).
    Wenn Lully seine prunkvollen Inszenierungen am Hof des Sonnenkönigs gestaltet, weiß er ganz genau, was er dem König und dem Hofstaat zu bieten hat, kann aber auch locker sowohl ästhetische als auch künstlerische Ansprüche befriedigen und dennoch auch einfach "gefallen".



    Das Beispiel Bach, welches du hier in´s Feld führst, ziehen meines Erachtens nicht in deinem Sinne. Bach hatte immer wieder mit seinen Brötchengebern in Leipzig Streit, weil er eben häufig NICHT nach deren Gusto komponierte. Und trotzdem hat er sich über ein viertel Jahrhundert auf dieser Stelle halten können. (BTW: Messen gibt es von Bach nur eine Hand voll. Vermutlich meinst du die allsonntäglichen Kantaten).


    Ein ihm ergebenes Publikum wird Bach auch nicht gehabt haben. Er schreibt z.B. 1730 in einem Brief an Erdmann, "daß dieser Dienst bey weitem nicht so erklecklich als mann mir Ihn beschrieben" und "wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit". Vom Rat der Stadt Leipzig ist zu lesen, dass Bach "uncorrigibel" sei und man faßte den Beschluß ihm die "Besoldung zu verkümmern". Bach hat mehrfach versucht, eine andere Stelle zu bekommen, am liebsten wollte er nach Dresden. Was daraus geworden ist, wissen wir ja...


    Bei Lully sieht die Sache etwas anders aus. Er hat sich seinen Markt selbst geschaffen. Nicht er hat sich nach des Königs Geschmack richten müssen, sondern er hat des Königs Geschmack nach seinen Vorstellungen geprägt.



    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Zitat

    Original von Theophilus


    99% sind viel zu hoch gegriffen, aber "überwiegend" hätte die Sache getroffen.


    ja und der überwiegende Teil der Musik dieser Zeit ist auch auf Nimmerwiedersehen dahin, daran werden ein paar "Contemporaries of Mozart" CDs nichts drehen. Ob das fair ist, ist eine andere Sache, aber der Schluß liegt nahe, dass es auch mit der großen Menge von gefälliger Gebrauchsmusik zu tun hat...


    Zitat


    Dieser Umkehrschluss ist völlig unzulässig (und du solltest das am besten wissen).


    Daher schrieb ich auch nur "legt nahe", es ist eine Assoziation, keine logische Implikation.


    Zitat


    In der Zeit, in der die Komponisten bei weltlichen oder geistlichen Stellen fix angestellt waren, mussten sie so komponieren, dass es ihrem Publikum und/oder ihren Brotherren gefiel. Das war aber für sie eine Selbstverständlichkeit und keinerlei Einschränkung ihres künstlerischen Anspruchs!


    Es ist ein feiner Unterschied, ob etwas gefällt, oder ob das wesentliche Ziel ist zu gefallen! Mein Eindruck z.B. von Bach ist ein anderer: die Leipziger konnten nicht einfach nach Halle in die Kirche gehen, wenn ihnen seine Kantaten mal nicht gefielen. In der Tat beschwerten sich in seinen jungen Jahren (Weimar oder Arnstadt) mehrmals welche über "Modulationen" bei der Choralbegleitung.


    Zitat


    Komponisten, die zumindest teilweise auf eigenen Füßen standen, waren noch stärker mit dem Problem befasst. Wenn Mozart den Figaro für Joseph II. komponiert, weiß er genau, was er seinem Kunden und dem restlichen Publikum zu bieten hat, damit er auf einen weiteren Auftrag zu einer Oper hoffen kann (notfalls kann dich Ulli sicherlich mit den passenden Zitaten aus seinem Briefverkehr eindecken). Das hindert ihn aber keineswegs, ein unvergängliches Kunstwerk höchsten Niveaus jenseits jeder Norm von "Gefälligkeit" zu schaffen.


    es hindert ihn inbesondere nicht daran, Stücke zu schaffen, die als viel zu schwierig, "zu viele Noten", empfunden werden, die oft massiv gekürzt wurden, die verglichen mit denen der Zeitgenossen recht schnell wieder abgesetzt wurden usw.
    Natürlich haben diese Künstler es immer geschafft, ihr Publikum zu begeistern, das gilt aber auch für Beethoven und Wagner, die von mancher Seite für wahnwitzig gehalten wurden, dennoch Sponsoren fanden, die sie fast bedingungslos unterstützten. Der Unterschied scheint mir graduell.
    Mozarts Situation, populär ohne künstlerischen Substanzverlust sein zu können ist aber eine historisch eher seltene Situation, die auf Verdi vielleicht auch noch zutrifft, auf Wagner oder Monteverdi aber nur sehr bedingt.


    Zitat

    Im Prinzip ja. Jedoch gibt es eine gehörige Bandbreite. Wenn Bach für jeden Sonntag eine neue Messe schreibt, ist es für ein breites Publikum, und er schreibt die Messen so, dass sie gefallen. Hätten sie auf Dauer mißfallen, wäre das Gemurre der Gemeinde sehr schnell bis zu seinen Brotherren durchgedrungen und wäre seiner Position sicherlich nicht förderlich gewesen. Hat er aber einen kunstverständigen Kunden, so schaltet er einige Gänge höher, wenn er z.B. die Goldberg-Variationen komponiert und damit auf einem ganz anderen Niveau gefallen kann. Und wenn er gelegentlich ganz für sich alleine zu komponieren scheint, dann ist es mit der Gefälligkeit ohnehin vorbei (Partiten, Cello-Suiten, Kunst der Fuge).


    Also ich höre keinen Unterschied in der "Gefälligkeit" zwischen den Cellosuiten und einer beliebigen Kantate, in der Tat finde ich die Kantaten viel schwerer zugänglich, aber das dürfte mit der historischen Distanz zu tun haben.
    Die Bandbreite bestreite ich nicht! Genau die scheint mir aber aus dem Blick zu geraten, wenn man sagt, "99% wurde komponiert, um zu gefallen".
    "Gefallen" ist m.E. eben auch jeweils etwas anderes, ob damit Unterhaltung im heutigen Sinnne, Zerstreuung auf meinethalben hohen Niveau oder (religiös konnotierte?) "Gemüths-Ergötzung" gemeint ist. Oder ob sich das "Gefallen" an Experten, d.h. an Musiker und Komponisten richtet. Und diese Bandbreite gab es in der gesamten Musikgeschichte, behaupte ich und ein wesentlicher Teil der Musik älterer Zeiten, die wir heute noch hören, gehört in die letzte Gruppe, u.a. weil die wohlhabenden "Kenner und Liebhaber" aus heutiger Perspektive oft fähige Musiker waren; diese waren die Adressaten fast aller Klavier- und Kammermusik.


    Zitat


    Nein. Die Musik war auch ein wichtiges Kriterium, die Leute in großer Zahl in die Kirche zu bringen. Eine Gemeinde, die beim Gottesdienst mit für sie gefälliger Musik versorgt wurde, war außerdem spendenfreudiger, womit wir schon wieder am Grundübel angelangt wären. Ein Bach, der nicht gefallen hätte, wäre seinen Job sehr schnell los gewesen.


    Das glaube ich nicht bis zum Beweis des Gegenteils. Wurde Bach von Spenden bezahlt? Gab es keinen festen Zehnt oder so? Ich hätte die seinerzeitige Kirchenstruktur für weniger demokratisch gehalten. Bachs Musik wurde in den 1730ern u.a. von seinen eigenen Söhnen als altmodisch empfunden, sie hat natürlich nicht mißfallen, er mußte sich aber keineswegs an Moden oder Geschmäcke anpassen, was natürlich auch mit dem tendenziell konservativen Charakter der Kirchenmusik zu tun haben kann.
    Was hätte es denn für eine Konkurrenz gegeben? Es gab doch nur einen Hauptkantor in Leipzig und die Leute konnten nicht woanders hin in die Kirche gehen; das ist eine völlig andere Situation als zwei direkt konkurrierenden Operngesellschaften (und da kam es schon bei Händel weniger auf die Qualität der Musik als auf die der Starsänger an). War es gesellschaftlich möglich einfach nicht in die Kirche zu gehen, weil man die Kantaten fad oder altmodisch fand? Ich glaube eher nicht...Bach hatte ständig Ärger mit seinen Vorgesetzten in Leipzig, so leicht zu kündigen war der offenbar nicht.


    Zitat


    Bei Haydn war es nicht viel anders. Er hatte einen tollen Posten und hat seinem Fürsten musikalisch alles gegeben, was dieser sich nur wünschen konnte. Es war für ihn kein Problem, einerseits seinem Fürsten zu gefallen und andererseits ganze Teile der Musikgeschichte neu zu erfinden. Seine außergewöhnliche Position kann man sehr schön an seiner Abschiedssymphonie erkennen. So etwas hätten sich nur sehr wenige ihrem Boss gegenüber erlauben können.


    (Die Abschiedsgeschichte ist wohl eine Legende, allerdings schön erfunden)
    Der Fürst wußte eben auch, was er an ihm hatte, er war ja selber Musiker. Jeder vernünftige Mäzen wußte vermutlich auch damals, dass er Künstlern Freiheiten einräumen muß. Und die Barytontrios für den Fürsten gehören ja auch heute noch zu Haydns populärsten Stücken...


    Zitat


    Gerade bei Haydn könnte man auch untersuchen, wie deutlich sich seine Musik ändert, nachdem er sich vom fürstlichen Dienst zurückzieht. Ich glaube, man könnte direkt einen Knick in dem feststellen, was Haydn danach vom Zuhörer seiner Musik abverlangt. Er ist deutlich weniger gefällig, weiß aber gleichwohl zu gefallen.


    Das scheint mir nicht haltbar. An welchem Stück z.B. könnte man das festmachen? Zu der am wenigsten gefälligen Musik Haydns gehören m.E. die Quartette op. 20 und die um 1770 entstandenen "Sturm&Drang-Sinfonien", letztere müssen für Eszterhazy bestimmt gewesen sein. Zwar war er als er nach London kam, so berühmt, dass er wohl alles hätte machen können, aber hier finde ich eher auch Zugeständnisse ans sehr Populäre wie die Kinderliedchenmelodien in einigen langsamen Sätzen.


    Zitat


    Richtig, das ist aber kein Widerspruch, denn die Komponisten wussten genau, wie sie ihr Publikum emotional packen konnten. Und was ist "gefallen" denn anderes?


    Bei mir hat "Gefallen" einen subjektiven geschmäcklerischen Beiklang, besonders "gefällig" klingt geradewegs einschleimend. Als ich vor ein paar Wochen ein Aristoteles-Zitat über die Furcht und Mitleid erweckende Funktion der Tragödie postete, wurde behauptet, dass könne man nicht auf andere Künste verallgemeinern, Musik solle nicht aufrütteln oder verstören, sondern angenehm unterhalten usw.


    viel Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von salisburgensis
    Bei Lully sieht die Sache etwas anders aus. Er hat sich seinen Markt selbst geschaffen. Nicht er hat sich nach des Königs Geschmack richten müssen, sondern er hat des Königs Geschmack nach seinen Vorstellungen geprägt.


    Das finde ich einen sehr wichtigen Hinweis!
    Ich frage mich, ob das so ähnlich vielleicht auch anderswo galt (z.B. bei Haydn)...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Salut,


    ich kenne kaum einen Komponisten des 18. Jahrhunderts, der mit seinen diversen Dienstherren wirklich zufrieden war. Davon abgesehen - wo kann ein Unterschied zwischen "Auftragswerk" = Deutsche Tänze KV 509 und "Privatwerk" = Rondo für Klaver a-moll KV 511, beides komponiert im Frühjahr 1787, größer erkennbar sein?


    Die Deutschen Tänze [jeder kennt sie wenigstens als Klavierfassung] sind "leicht, verständlich, ansprechend", das Rondò für das Klavier allein, wie Mozart es nennt, ist einsam, tiefgründig, aufbegehrend, sehnsüchtig... und es folgen eine ganze Reihe solcher "Privatwerke": Die Quintette KV 515 C-Dur, 516 g-moll und 516b c-moll sowie Lieder, dann erst Don Giovanni, der sicher auch nicht in jeder Hinsicht gefällig war.


    Zitat

    Original von Johannes Roehl


    ja und der überwiegende Teil der Musik dieser Zeit ist auch auf Nimmerwiedersehen dahin, daran werden ein paar "Contemporaries of Mozart" CDs nichts drehen. Ob das fair ist, ist eine andere Sache, aber der Schluß liegt nahe, dass es auch mit der großen Menge von gefälliger Gebrauchsmusik zu tun hat...


    Ich bin mir da nicht so sicher... schließlich handelt es sich bei den Werken in der oberen Ebene der Beliebtheitsskala von Mozarts Werken mit wenigen Ausnahmen ebenfalls "nur" um gefällige Gebrauchsmusik. Ich denke z.B. an die "Salzburger Sinfonien" KV 136-138 [Quartett-Divertimenti], die "Krönungsmesse" KV 317, die "Posthorn-" und "Haffnerserenade", ebenso die "Linzer" oder die "Pariser" Sinfonie... alles gefällige Gebrauchsmusik [?] Ich bin, wie erwähnt, nicht so sicher und nicht so glücklich über diese Begriffsverwendung.


    Um ein Urteil über solche Musik wagen zu können, muss man zwangsläufig Vergleiche mit Zeitgenossen Mozarts anstellen und dabei feststellen, dass eben doch [aus meinem bescheidenen Bestand] bereits eine ganze Hand voll Werken Rosettis, Deviennes, Kraus', Michael Haydns, Martín y Solers und Paisiellos dabei sind, die so manches gefällige Mozartwerk in den Schatten stellen.


    Das aber hat alles für mich mit "Zugang" überhaupt nichts zu tun...


    Oder hat "zugänglich" jetzt doch etwas mit "gefällig" zu tun?


    Bien cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    1. "um zu gefallen" legt nahe, es gäbe Musik, etwa von Beethoven oder bösen Neutönern, die komponiert würde, um möglichst nicht zu gefallen oder zu "mißfallen" (das halte ich für Unsinn)


    8)
    klar, daß ich dazu Stellung nehmen muß...


    IMO gibt es nämlich eine dritte Möglichkeit, die JR übersieht...
    Wenn Beethoven nicht komponiert, um zu gefallen, bedeutet das nicht, daß er komponiert, um möglichst nicht zu gefallen, sondern, daß es ihm - und zahllosen Komponisten nach ihm - gleichgültig war, ob es gefällt, oder nicht, da er


    - den Wert seiner Musik anders definierte
    - vor allem aber - sich leisten konnte, von der Publikumszustimmung unabhängig zu sein.


    dieser Standpunkt wurde später zur allgemeinen Kunstauffassung, die auf der "künstlerischen Freiheit des Schaffenden" basiert - die Idee, daß ein Künstler finanziell unabhängig sein müsse, um wahre Kunst zu schaffen...


    Vielleicht kann dieser IMO fragwürdige Begriff diskutiert werden... die Auswirkungen sind uns allen bekannt...


    Schönberg berichtet von der Notwendigkeit seines Schrittes in die Auflösung des tonalen Systems - auf eine ähnliche Notwendigkeit berufen sich viele Komponisten, die (zu Recht) behaupten, daß man künstlerische Errungenschaften nicht ignorieren kann.
    IMO gibt es keinen Weg "zurück in ein Paradies der tonalen Musik"


    daher mein Schluß, daß Barockmusik deshalb heutzutage so beliebt ist, weil sie:
    innerhalb strenger Regeln komponiert wurde. ( Experimentieren war nur innerhalb dieser Regeln denkbar)


    und
    weil sie dem Geschmack der Auftraggeber unterworfen war.
    (der Hinweis auf die musikalische Bildung bedeutet IMO nur, daß die Adeligen die Kompositionsregeln kannten und die Werke kontrollieren konnten.)


    Ich finde, daß es Übereinstimmungen zwischen den Gesellschafts- und den Kompositionssystemen gibt - das erklärt für mich auch den "zusammenbruch des tonalen Systems in den 20er Jahren" analog zum Zusammenbruch der Monarchien in D und Ö - ein Ausdruck von Verlorenheit, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, - wen wunderts, daß diese Musik unbeliebt ist?


    Eine Ähnlichkeit zwischen Popmusik und Barock besteht IMo darin, daß die Regeln beim Pop klar vorgegeben sind:
    der Produzent (hatte mal ein interessantes Erlebnis) ist derjenige, dessen Vorstellungen verwirklicht werden (unabhängig davon, ob er "eine Ahnung hat", oder nicht) , der Künstler ist auch als Komponist nur Ausführender, der dem Geschmack zu entsprechen hat. Was mit Werken passiert, die nicht gefallen, dürfte klar sein.
    Ich sehe keinen Grund, den meisten Barockfürsten nicht dieselbe Einstellung zu unterstellen.
    Selbst wenn es die "musikliebenden und -verständigen" unter ihnen gegeben haben mag, die Möglichkeiten absolutistischer Machtausübung haben zwar auf die Künste einen enormen Einfluß gehabt - es wurde bezahlt!! - aber von den Umständen, unter denen die Werke entstanden sind, wissen wir ja sehr wenig.


    Zitat aus G.Hoffmann: das Orgelwerk J.S.Bachs, Reclam


    Im Falle der Sechs Konzerte, BWV 592-597 im damals modischen Stil des italienischen Orchesterkonzerts gab es dazu neben dem Grund "sich den Genuß von besonders beliebten Stücken [...] am Clavichord oder an der Orgel zu verschaffen" *, in den Jahren 1713/14 besondere Veranlassung für Bach durch den elf Jahre jüngeren Freund Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar, den Neffen des regierenden Herzogs Wilhelm Ernst.


    *A.Schering: Zur Bach-Forschung II 1903-04


    Also war kein geringerer als Bach sowohl dem modischen Stil der Zeit als auch den Wünschen der Regierenden unterworfen...wie freiwillig hat er diese (hervorragende) Arbeit gemacht?


    Daß solche Werke, um nicht den Begriff Wunschkonzerte zu verwenden, auch heute leichten Zugang finden, ist selbstverständlich.
    die Beliebtheit der italienischen Barockmusik hat IMo auch mehr mit dem Charakter der Musik zu tun, als mit kompositorischer Qualität.*
    Ähnlich das Problem der romantischen Oper - ich finde, Rossini hat damit begonnen, den Geist Mozarts in der italienischen Musik zu verankern - diese Zusammenhänge sind IMO eine Erklärung für die ungeheure Popularität dieses Bereichs.



    Umgekehrt: daß Werke, die ein Komponist zu "höheren" Zwecken schreibt, sich dem Zugang des Publikums entziehen können, ist nachvollziehbar, wenn man die Absichten des Komponisten berücksichtigt.


    Das gilt IMO für die Kunst der Fuge - die nun mal kein Klavierbüchlein für adelige Fräulein ist..


    -für die Spätwerke von Beethoven, der es sich leisten konnte, seinen innersten Wünschen und Gedanken musikalisch Ausdruck zu verleihen ohne Rücksicht auf Verständlichkeit (andererseits hat sich doch auch Beethoven über den Erfolg Rossinis geärgert?)
    Die neunte Symphonie ist nur wegen des Schlußliedchens, das jeder kennt, so berühmt geworden - und wegen der "außermusikalischen" Botschaft (an die Freude...)... nicht als Musikstück - die Achte kennt keiner - und richtig populär sind dritte und fünfte - eigentlich nur das Thema der fünften!


    für alle Nachfolger Beethovens galten bereits andere gesellschaftliche Voraussetzungen, die mußten sich im bürgerlichen Musikbetrieb behaupten und waren finanziell abhängig.
    Gegenbeispiele sind: das Spätwerk von Brahms und Richard Strauss (Frau ohne Schatten, ...Capriccio) - zwei arrivierte Künstler, die es sich (wieder) leisten konnten, "für die Kunst allein" zu schreiben...wer kann schon sagen, problemlos den Zugang zu solchen Werken zu finden?



    *die Streitfrage, ob Popularität und künstlerische Qualität sich vereinen lassen, möchte ich nicht weiter berühren.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

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  • Zitat

    Original von tastenwolf


    IMO gibt es nämlich eine dritte Möglichkeit, die JR übersieht...
    Wenn Beethoven nicht komponiert, um zu gefallen, bedeutet das nicht, daß er komponiert, um möglichst nicht zu gefallen, sondern, daß es ihm - und zahllosen Komponisten nach ihm - gleichgültig war, ob es gefällt, oder nicht, da er


    - den Wert seiner Musik anders definierte
    - vor allem aber - sich leisten konnte, von der Publikumszustimmung unabhängig zu sein.


    Salut,


    um es genauer zu sagen: Er hat [rücksichtslos] komponiert, was ihm gefällt.


    :hello:


    LG
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Und er hat bei Chorwerken auch keine Rücksicht darauf genommen, ob seine Musik singbar ist.
    Für einen Chorsänger gibt es kaum etwas Undankbareres als die Neunte.
    Einfach nur anstrengend!

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.

  • Zitat

    Original von CRC
    Und er hat bei Chorwerken auch keine Rücksicht darauf genommen, ob seine Musik singbar ist.
    Für einen Chorsänger gibt es kaum etwas Undankbareres als die Neunte.
    Einfach nur anstrengend!



    Salut,


    das wurde bereits Mozart bei seinem Requiem nachgesagt:


    So würde es mir z.B. wehe thun, glauben zu müssen, Mozart sei es gewesen, der den Chor-Singstimmen Gurgeleien der Art wie folgende aufbürden mögen [Notenbeispiel]. Zetter und Mordjo würden alle Sänger und Beurtheiler schreien, wenn unter einem anderen als Mozarts ehrfurchtgebietenden Namen, etwa unter eines Rossini oder ähnlichen Namen, solche gorgheggj, und noch gar in einem Kyrie, ausgeboten werden.


    [Weber 1825, S. 216-218]


    :hello:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Salut,


    das mit dem "Zugang zur Musik" habe ich trotz der vielen interessanten Antworten noch immer nicht kapiert. Bei mir scheint es irgendwie anders herum zu sein: Nicht ich habe Zugang zur Musik, sondern die Musik zu mir.


    :rolleyes:


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Ich setze den sgn. Zugang zur Musik mit einem Seelenzustand gleich. Die Seele oder der für Musik zuständige Empfangs- und Verarbeitungsmechanismus ist dabei selten in einem Idealzustand (eine gewisse Transzendenz - nichts steht idealerweise zwischen Ton und Erkenntnis). Dies ist wie ein Buch mit sieben Siegeln. Mal ist das eine offen und damit erfahre ich bestimmte Aspekte einer Musik, beim nächsten Mal ganz andere. Ein bestimmter Aspekt, der "durchommt" kann schon Anreiz sein, ein Werk zu lieben und es zu erforschen. Es kommt dann immer wieder zu den Momenten, in dem ich dann Zugang zu bestimmten Facetten einer Musik habe. Eine Musik erschließt sich so Stück für Stück - selten umfassend.


    Im Umkehrschluss hüte ich mich stets davor Musik, zu der ich in dem Moment keinen Zugang habe, als mir nicht gefällig zu betrachten und ad acta zu legen, sondern dies eher auf einen ungünstigen Moment - eine Blokade - zu schieben. Man muss das ganze halt sehr ungezwungen angehen.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Ulli
    Nicht ich habe Zugang zur Musik, sondern die Musik zu mir.


    :rolleyes:


    Viele Grüße
    Ulli


    so kann man es vielleicht auch ausdrücken. Damit sind wir aber wieder bei der Möglichkeit, dass ich mich weiterentwickle, ändere, mehr Hörerfahrung gewinne usw., so das ein Stück, das zunächst keinen Zugang zu mir gefunden hat, mich auf einmal "bereit" findet. Ich habe ähnliches oft genug erlebt und hatte am Anfang mit so mancher Musik, die ich jetzt sehr schätze, meine Schwierigkeiten. Ich gehe auch davon aus, dass der Prozess keineswegs beendet ist. Im Grunde empfinde ich dies auch nicht als mühevoll, wie das Wort "erarbeiten" suggerieren könnte, sondern als ungemein lustvollen Prozess. Ich empfinde das als ständige Erweiterung meines eigenen Horizonts.


    Letztendlich hängt das vermutlich alles mit der Frage zusammen, warum man überhaupt Musik hört. Auf diese Frage habe ich für mich eigentlich noch keine Antwort gefunden, aber etwas muss wohl dran sein, bei all der Zeit und Geld, die ich hierin investiere ?(


    Für mich kann ich die "Anfangsschwierigkeiten" auch keineswegs auf die Moderne einschränken. Ich habe zum Beispiel immer noch Schwierigkeiten bei Werken wie der "Kunst der Fuge" oder auch der oben schon angesprochenen "Großen Fuge" op. 133 von Beethoven, während ich vieles von z.B. Kurtag, Messiaen, Boulez und Nono unmittelbar ansprechend finde. Allerdings muss ich hier zwischen "ansprechend finden", "gerne hören" und "verstehen" unterscheiden, denn analysieren kann ich diese Musik nicht.


    Viele Grüße,


    Melanie


  • Ulli, was verstehst du denn nicht?


    Du kannst mir doch nicht erzählen, dass dir zum Beispiel Mozarts Linzer oder die 39er sofort beim ersten mal hören gefallen hat und du sofort alle musikalischen Zusammenhänge verstanden hast, oder?


    Musik wortwörtlich "erarbeiten" musste ich mir neulich Beethovens Eroica.
    Was war das beim ersten mal hören für ein Durcheinander, für ein Lärm ...
    Nun jedoch, nach dem fünften mal hören, gefällt sie mir richtig gut, ich verstehe nun warum Beethoven gerade hier diese Überleitung oder diesen Übergang setzt, warum er gerade hier die Pauken zum Einsatz bringt usw. alles Dinge, die ich beim ersten mal hören einfach nicht kapiert habe, vorallem auch weil man einfach zu überfordert ist.
    Hätte ich mir nach dem ersten mal nicht die Mühe gemacht mir das Werk noch ein paar mal anzuhören, beginnend mit den kürzeren Sätzen, dann würde es jetzt wohl für alle Zukunft im Schrank verstauben.
    Gleiches gilt für Mahlers Fünfte und etliche andere Werke wie die Linzer Symphonie oder die Hammerklaviersonate.


    Was ich herausgefunden habe ist, dass es sehr nützlich ist wenn man sich ein neues, komplexes Werk ein- zweimal anhört, es dann für ein paar Tage zur Seite legt und dann wieder zu hören anfängt.
    In der Zwischenzeit findet glaube ich sowas ähnliches wie ein Bearbeitungsprozess im Gehirn statt der das Wahrgenommene verarbeitet, vorallem das Gehörte.
    Wenn man dann die Musik die man schon einmal gehört hat ein paar Tage später wieder hört, dann kommt dieses "Ah, das kenn ich doch!"- Gefühl.
    Ich mag das :D


    Jetzt habe ich aber folgende Frage:
    Wenn das mit dem "überfordert sein" und "erst erarbeiten müssen" wirklich stimmt, müssten doch eigentlich damals die Leute (18.Jh.19.Jh oder auch heute) bei der Uraufführung einer großen Symphonie (egal von wem), auch total überfordert gewesen sein, genau wie wir heute, oder nicht?
    Dann müsste aber fast jedes Werk bei der Uraufführung durchgefallen sein, eben weil das musikalische im Kopf von den Zuhörern so bald nicht aufgenommen und verstanden werden kann.
    Erst nach der zweiten oder dritten Aufführung dürfte das Publikum zufrieden oder gar enthusastisch gewesen sein.
    Oder waren die Menschen damals allgemein musikalisch viel trainierter und gebildeter als wir heute?


    mit Grüßen
    Christoph

  • Zitat

    Original von Hayate
    Wenn das mit dem "überfordert sein" und "erst erarbeiten müssen" wirklich stimmt, müssten doch eigentlich damals die Leute (18.Jh.19.Jh oder auch heute) bei der Uraufführung einer großen Symphonie (egal von wem), auch total überfordert gewesen sein, genau wie wir heute, oder nicht?
    Dann müsste aber fast jedes Werk bei der Uraufführung durchgefallen sein, eben weil das musikalische im Kopf von den Zuhörern so bald nicht aufgenommen und verstanden werden kann.


    Nun, manchmal begeistert man sich auch beim ersten Mal Hören für irgendetwas in der Musik - so kommt es dann zu erfolgreichen Uraufführungen (damals und heute).


    Ist diese Antwort zu einfach?
    ?(

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