OPER - eine unnatürliche, monströse, aber ERNST ZU NEHMENDE KUNSTGATTUNG

  • Lieber Bertarido,
    dein Gedankengang ist durchaus nachvollziehbar. Du vergisst aber, dass es auch eine Rückseite der Medaille gibt.


    Die These "Alles ist verhandelbar" gibt sich sehr demokratisch, verschweigt aber das, was alle Kunst wesentlich ausmacht: Sie wird von besonders begabten Menschen hervorgebracht, die wir Genies nennen. Und die dürften wohl ausnahmslos empört sein, wenn wir ihre Erzeugnisse auf dem Bazar den "Argumenten" der Masse vorwerfen. Sie würden eher mit Schiller sagen: "Ihr müsst die Stimmen WÄGEN und NICHT ZÄHLEN !"


    Was auf dem Bazar der Meinungen verhandelt wird, ist ein Schacher, bei dem nicht der Wert, sondern allenfalls sein Preis heraus kommt. Und dabei geht allemal der Gartenzwerg vor dem David durchs Ziel - oder höchstens der gartenzwergische Gipsabguss des David.
    Deshalb, und nicht aus opportunistischen Gründen, bleibe ich dabei: Die Partitur ist für mich nicht verhandelbar, und ich weiß mich damit in guter Gesellschaft. Den Schacher überlasse ich gern den Händlern und der Prostitution - Verzeihung: dem Kulturbetrieb.


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Ich möchte hier auf ein noch nicht genanntes wichtiges Detail aufmerksam machen, auf das sich nach meiner Sicht beide Parteien einigen können. Ich bin darauf gekommen, als ich die CD-Fassung und die DVD-Version von Cavallis "La Calisto" unter René Jacobs verglichen habe. Ich muss dazu sagen, dass ich dieses Werk so gut kenne, dass ich auch wichtige Unterschiede erkennen kann. Ich habe die CD gut gekannt, als ich mir die DVD dann angesehen habe. Mir fiel auf, dass fast alle Sänger außer Maria Bayo (Calisto) auf der DVD ungewöhnlich viel schlechter sangen als auf der CD. Besonders galt das für Giove (Marcello Lippi, Bass). Als ich dann die Zugabe (making of) gesehen habe, war mir klar, warum das so war. Der Regisseur (Herbert Wernicke) hatte die Welt der Calisto in drei Ebenen aufgeteilt: Hölle (unten), Erde, Himmel (oben). Man konnte anhand der Kamera sehen, wie alle Figuren ständig auf die verschiedenen Ebenen rasten, kletterten, liefen, dabei sangen. Im Interview machte Lippi ganz deutlich, dass er sich physisch überanstrengt fühlte. Das Fazit würde ich so ziehen:
    Der Regisseur (Wernicke) hat sich nur für seine Produktion interessiert, dabei aber die Grundbedürfnisse der Sänger missachtet. Auch der Dirigent (Jacobs) ist zu tadeln. Ein Dirigent muss die Sänger in ihren Haltungen unterstützen und muss sich massiv wehren gegen einen Regisseur, der Sänger singen lässt in Haltungen, die der Physis des Sängers abträglich sind.
    Ich denke, dass von hier aus viele Ideen des RT hinfällig sind, aber sicher auch herkömmliche Produktionen.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Zitat

    Zitat von Michael Schenk: dass mein Zugang zur Oper ein fundamental anderer ist, als z.B. der von Gerhard.

    Lieber Michael,


    diesen Zugang will dir ja niemand streitig machen, solange du nicht versuchst, deine Meinung anderen aufschwatzen zu wollen, wie es - glücklicherweise - hier nur einer tut, der andere Meinungen für dämlich (und mit ähnlichen Ausdrücken) betitelt. Aber ich denke, dass hier viele Mitglieder, darunter weit jüngere als ich, z.B. Figaroo, der etwa ein Drittel meines Alters hat, ebenso diese Inszenierungen verabscheuen und manche davon in ihren Ansichten noch weit radikaler sind als ich. Sie melden sich allerdings seltener als ich, wohl deshalb werde ich hier wohl häufig von den Verteidigern des Verunstaltungstheaters immer wieder als einziger abschreckender Verfechter werkgerechter Inszenierungen genannt, was mich aber auch nicht juckt (du wenigstens nennst mich nur als Beispiel, d.h. dass , wie du richtig siehst, weit mehr ebenso wie ich denken) Vielleicht ist es in deinen Kreisen anders, aber ich kenne persönlich, auch auch unter Experten (und ich habe viele davon kennengelernt, und hier sind auch schon eine Reihe echter Kenner zitiert worden) niemand, der diesen Verunstaltungen der Handlung und den schlimmen Auswüchsen, die heute daraus entstehen (Beispiele sind hier schon zur Genüge aufgeführt worden) auch nur das Geringste abgewinnen kann.
    Wir hatten uns in anderen Themen ja schon einmal darüber unterhalten, dass es wohl weniger Auseinandersetzungen um diesen Schrott geben würde, wenn eine der Zahl der Opernliebhaber, die die echte Oper sehen wollen, angepasste Anzahl von Inszenierungen ohne Verhunzung der Handlung angeboten würde und nicht fast nur noch Inszenierungen für Liebhaber der entstellten Opern. Außerdem wäre eine Forderung, dass die in der Handlung entstellten Inszenierungen entsprechend gekennzeichnet wären(z.B. frei nach der Oper von....) Damit wüßte man im Voraus Bescheid und es wäre allen gedient. Damit könntest du durchaus jeden Monat einmal live in die Oper gehen. Ich wäre z.B. schon froh, wenn ich sechsmal im Jahr mit meiner Frau in eine vernünftige Oper gehen könnte. Mehr konnte ich mir früher, als ich noch in die Oper ging, auch nicht leisten (Seit ein paar Jahren könnte ich es jetzt schon). Und ich habe dabei auch vieles aus dem nicht gängigen Repertoire besucht. Heute muss ich mich mit DVDs und ab und zu, falls erträglich, mit Fernsehübertragungen begnügen, habe aber dadurch
    1. Kosten gespart, obwohl ich mir im Moment mehr leisten könnte
    2. Noch weit mehr aus dem nicht gängigen Repertoire kennengelernt, weil ich mir für den Preis mehrere DVDs kaufen kann
    Du schreibst von einem einem Vierteljahrhundert der Beschäftigung mit der Materie. Da kann ich mindestens 65 Jahre Erfahrung aufweisen und es gab nichts wobei ich (und später wir) uns gelangweilt hätten, außer in den letzen Jahren einzelne entstellte Opern im Abonnement, von denen wir das im Voraus nicht erfahren haben. Das habe ich zwei Jahre mitgemacht, dann habe ich vorsichtshalber mein Abonnement gekündigt, habe noch vereinzelt Karten gekauft und als das immer mehr grassierte, den Gang ins Opernhaus aufgegeben. Wenn ich es schaffe, werden wir vielleicht diesen Winter einmal nach Köln fahren, wo es seit langem einmal eine vernünftige Inszenierung der "Bohème" in der Regie von Michael Hampe gibt, einem Regisseur, der noch das Werk und damit seinen Schöpfer achtet.


    Liebe Grüße
    Gerhard



    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Dr.Pingel,
    das Problem ist nicht neu. Welser-Möst hat es einmal erklärt: Der Dirigent kommt erst ca 6 Wochen vor der Premiere dazu, aber der Regisseur hat das Regiekonzept schon mehrere Monat vorher fertig. Deshalb kann der Dirigent oft nur kleine Korrekturen durchsetzen.


    (Leider!)

  • Was lehrt uns das: Wer nur sagt, "Brecht Theater und Romantik geht nicht zusammen, das ist unverhandelbar", der kann sich einfach auf eine solche konkret-sachliche Ebene nicht mehr herunter begeben. Ich glaube, wenn man dem Regie-Team in Münster (das sehr publikumsfreundlich ist!) gegenüber so eine sachliche Kritik äußert, wird man sehr wohl Ernst genommen, kaum aber mit Tiraden der Ablehnung gegen das angeblich so intellektualistische Brecht-Theater, wie sie hier zu lesen sind. Das ist schade, wenns dazu nicht kommt - aber seis drum, wer dazu nicht bereit ist, dem ist einfach leider nicht zu helfen!


    Lieber Holger,


    darf ich Dir wieder mit Paul Watzlawick antworten, und zwar mit einem seiner köstlichsten Bonmots: "Wer nur einen Hammer hat, dem wird alles zum Nagel"! Könnte es sein, dass Bert Brecht und seine Theater-Philosophie für Dich zum Hammer geworden ist, den Du in allen Variationen schwingst?
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Die Partitur ist für mich nicht verhandelbar, und ich weiß mich damit in guter Gesellschaft. Den Schacher überlasse ich gern den Händlern und der Prostitution - Verzeihung: dem Kulturbetrieb.


    Herzliche Grüße von Sixtus


    Lieber Sixtus,
    meiner Meinung nach geht es nicht um Handel und Schacher. Es geht um diie Analyse, Duskussion, Klärung, Annäherung und dem Suchen nach möglichen Schnittstellen, also Übereinstimmung. Dieser ganze Prozess ist kaum möglich, wenn Extrempositionen eingenommen werden, die nicht verhandelbar sind. Diese können nur zur Kenntnis genommen werden und dann akzeptiert oder abgelehnt werden. ENDE!
    Aber danke, dass Du weitergedacht hast.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Wie war das doch?
    "Und zum Brecht-Theater sage ich nichts mehr."


    Er kann's nicht lassen!

    Und das war gut so.
    Schade, dass auch dann, wenn Holger oder ich einmal etwas – wie gefordert – ganz konkret und differenziert zu einer ganz konkreten Inszenierung sagen, das das entweder übergangen wird oder es kommt ein Kommentar, der überhaupt nicht auf den Inhalt eingeht.

  • Einmal am Tag sollte der Mensch schlafen. Das ist bei mir meistens zwischen 23 Uhr und 7 Uhr. So kann ich die inzwischen angesammelten neuen Beiträge nicht alle würdigen. Aber was mir besonders wichtig scheint, soll nicht verloren gehen:


    Lieber Dr.Pingel,
    da hast du etwas entdeckt, was schon viele vor dir entdeckt haben. (Aber das kann nicht schaden - das Porzellan ist ja auch mehrmals erfunden worden.) In diesem Fall deckt sich die Aussage von René Jacobs mit der von Marek Janowski, der in einem Interview gesagt hat, er habe bei den Bayreuther Proben Herrn Castorf mehrmals daran erinnern müssen, dass manche Bewegungen auf der Bühne bei Sängern anders ablaufen müssen als bei Schauspielern, weil sie ja auch noch SINGEN müssen. Offenbar hat das sogar Castorf eingesehen (und das will etwas heißen). Und genau solche Sachen,
    lieber Operus,
    sind NICHT VERHANDELBAR ! Sonst können wir die Garttung Oper abschaffen. Und das willst du doch sicher zuallerletzt, wenn ich mich nicht sehr täusche. (Aber ich bin schon wieder versöhnt durch deinen Watzlawiick-Hammer.)
    Ich glaube, wir brauchen mehr Dirigenten, die etwas vom Singen verstehen. Das sind AUCH ARGUMENTE !
    Apropos singen:
    Mir fällt auf, dass meine Versuche, euch auf das glatte Eis des Gesangs zu locken, sehr verhalten aufgenommen werden. (Unsicherheit?) Aber ohne ein Minimum davon geht es nun mal nicht bei der Oper. Ich drohe deshalb an, nicht lockerzulassen! "Nur jetzt nicht!" (Otello 2.Akt)


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Spätestens wenn der Regisseur weg ist, dann fangen Dirigenten an, ihre Ideen umzusetzen. Und spätestens , wenn die Abend Spielleiter für die Inszenierung verantwortlich sind, wird sowieso einiges geändert. Das hab ich an der Rhein Oper schon so häufig erlebt, z.B. beim Rosenkavalier beim Auftritt des Baron Ochs im ersten oder zweiten Akt. Frei nach den Sprichwort: Ist die Katze aus dem Haus, dann tanzen die Mäuse

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  • Dem Mann kann geholfen werden!


    Lieber Johannes, ich fühle mich da direkt angesprochen, weil ich auch einer von denen bin, die du, wie du sagst, noch nie verstansen hast. Hier also meine Erklärung dieses Rätsels:
    Wenn ich Humperdincks Oper (und vor allem ihre Musik) liebe, dann will ich sie in einer Aufführung nicht so gern in grellen poppigen Farben verpackt präsentiert bekommen, weil dazu für mich ihre ganze spätromantische Atmosphäre, von den Kinderliedern über die Waldidylle bis zum Hexenzauber, in schreiendem Kontrast steht. Da ist jeder Grund zur ungetrübten Freude blockiert. So ging es mir grade bei diesem Stück


    O.k. dann stimmt aber einfach die immer wieder vorgebrachte Behauptung nicht, die ich als Ausgangspunkt genommen habe, nämlich dass die Musik und besonders die Sänger das Wichtigste seien. Dann sagt doch bitte gleich ausdrücklich, dass ihr eine relativ genaue Vorstellung von der optischen/szenischen Umsetzung habt und empfindlich gegen Änderungen seit, nicht dass Oper "eigentlich" ein Sängerfest, eine Plattform für große Stimmen wäre. Dann ist das "Rätsel" natürlich gar keins.


    Ich kann das, als jemand, der seit seiner Kindheit Abweichungen, etwa bei Buchverfilmungen fast immer gehasst hat (eine meiner größten Enttäuschungen als Kind war der an sich ganz hübsch gemachte erste Film zur "Unendlichen Geschichte") und bis heute von den meisten Buch/Literaturverfilmungen enttäuscht ist (bzw. sie erst gar nicht anschaut), im Grunde gut nachvollziehen.


    Nur sehe ich zum einen inzwischen ein, dass das eine sehr enge, um nicht zu sagen kindische, Haltung sein kann, zum anderen sehe ich Oper/Theater (aus "theoretischen" Gründen, kurz der Priorität des tatsächlichen Bühnengeschehens gegenüber "Vorlagen") als grundsätzlich von Literatur und Film (wo jeweils ein fertiges Werk vorliegt, nicht jedesmal ein neues geschaffen werden muss) verschieden an und schließlich auch eine deutlichere Priorität der Musik in der Oper, so dass ich viel offener ggü. optisch/szenisch unterschiedlichen Umsetzungen sein kann.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Man kann auch die eifrigen Versuche, aus dem Alten etwas Neues zu machen, kindisch finden - z.B. wenn im Konzerthaus im großen Saal an einem Abend alle 15 Streichquartette von Schostakowitsch simultan gespielt werden. Ist für mich auch "nicht verhandelbar" aber natürlich auch nicht verboten.

  • Damit wir vielleicht auf etwas andere Gedanken kommen und die sich ewig drehende Spirale der Eskalation unterbrechen werde ich versuchen, mal einen humorvollen Beitrag zu schaffen. Den stelle ich allerdings nicht in diesem bierernsten Thread ein sondern bei "Allen Taminofreunden zur Freude und Erheiterung". Diese Lebensweisheiten und Anekkdoten sollten wir öfters lesen.


    Hezrlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zum Glück wird nicht alles so heiß gegessen wie gekocht, sodass sich im Theateralltag manche extremen Einfälle abschleifen.
    Und was die Änderungen am Original anbetrifft, so kann man tatsächlich Operninszenierungen und Romanverfilmungen nicht vergleichen. Bei letzteren ist auch deutlich ausgewiesen, dass es sich um eine Verfilmung NACH XY handelt, und das ist künstlerisch seriös - niemand wird getäuscht. Wenn das bei Inszenierungen auch üblich wäre, gäbe es weniger Proteste bei den Premieren.


    Ich komme jetzt auf meine Drohung zurück: Ein wenig Gesangskunde kann in einem Opernforum nicht schaden!


    Im Anschluss an die Äußerungen von R.Jacobs bzw. M.Janowski: Viele wundern sich über die angeblich steife Haltung von Sängern auf der Bühne. Die ist aber bei näherem Hinschauen meist bedingt durch die Tonproduktion. Ein lang gehaltener hoher Ton z.B. erfordert oft, dass vorher eingeatmet wird, damit während des Singens nicht die Luft ausgeht.
    Osmin muss vor seinen koloraturschweren Wutausbrüchen viel Luft einpumpen, um die folgende Passage nicht zu oft unterbrechen zu müssen. Erst recht Belmonte: Bevor er sein "liebevolles Herz" klopfen lässt, braucht er große Luftreserven, die durch Zwischenatmen viel von ihrem Ausdruckswert verlieren würden. Von Konstanzes Martern-Arie nicht zu reden. Das alles lässt sich nicht mit choreographischer Brillanz vereinbaren.
    Es gibt auch wenige Wotane, die beim Walküre-Schluss nur beim Komma atmen. Die meisten singen "Wer meines Speeres Spitze / fürchtet, / durchschreite das Feuer / nie!" Das geht fast nur im Stehen. Und das kundige Publikum hält das aus, weil es das oft genug gehört hat - und weiß, wie schwer es ist. Das hat sogar Wagner selbst eingesehen, dass er hier den Sänger an seine Grenzen führt. Wenn es einer perfekt kann, umso besser!


    Ein andermal mehr; erst mal herzliche Grüße von Sixtus

  • darf ich Dir wieder mit Paul Watzlawick antworten, und zwar mit einem seiner köstlichsten Bonmots: "Wer nur einen Hammer hat, dem wird alles zum Nagel"! Könnte es sein, dass Bert Brecht und seine Theater-Philosophie für Dich zum Hammer geworden ist, den Du in allen Variationen schwingst?

    Das verstehe ich nun gar nicht, lieber Operus. Im Falle des "Freischütz" in Saarbrücken wurde mit Elementen des Brecht-Theaters inszeniert (die Schilder). Hier an meinem Wohnort in Münster wird an der Oper vom Regieteam Brecht-Theater praktiziert - und das mit Erfolg und zufriedenem Publikum. Dass man damit sehr gut leben kann und hier geäußerte Animositäten angesichts dieser Realität einfach nur befremdlich sind, darauf darf man doch wohl hinweisen, oder?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Operus,
    ich wusste gar nicht, dass du diesen von mir eingefädelten Thread als bierernst einstufst. Wenn das so ist, kann ich ja meinem Affen, den ich manchmal um des lieben Friedens Willen sehr an die kurze Leine nehme, etwas mehr Zucker geben. Du sagst mir ja dann, wenn es zu viel wird. Versprochen?


    Übrigens: Wer sich mit Samiel einlässt, kann in Teufels Küche kommen, wie wir wissen. Ich halte inzwischen die Tatsache, dass das Publikum bei einer Freischütz-Premiere das Theater nicht mehr füllt, für viel schlimmer als alle Regie-Untaten. (Ich kann mir nicht vorstellen, dass so viele zu Hause geblieben sind, weil sie gewarnt wurden. So viele Kenner gibt es in dieser Region nicht, das weiß ich.)


    Der Publikumsschwund ist das Schlimmste, was einem Theater passieren kann. Und der kommt leider nicht nur von schlechten Erfahrungen (daraus ließen sich ja noch Lehren ziehen), sondern auch vom flächendeckenden Vormarsch der Pop-(Un)Kultur, die ihren Erfolg den gut lancierten Events verdankt. Und die Kenner in unserem Sektor werden auch nicht jünger. Es schreitet eben alles fort. Aber wohin - in Teufels Küche? Uns bleibt nur der Glaube an das Gute. Aber das ist (ich wiederhole mich) ein scheues Reh.


    Uns bleibt das gegenseitige aufmunternde Schulterklopfen - und dein unerschütterlicher Optimismus!
    (Ich verspreche dir: Mein nächster Gruß wird positiv bis zum Umfallen)


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Zitat

    Sixtus: Uns bleibt nur der Glaube an das Gute. Aber das ist (ich wiederhole mich) ein scheues Reh.


    Lieber Hannes!


    Glaube und Hoffnung auf Aufführungen, die ich viele Jahre in Bonn und Köln (zu meiner Bundeswehrzeit auch in Hannover) erleben durfte, habe ich längst aufgegeben. Durch dämliche Inszenierungen, die ich nur unter Protest durchgestanden habe, bin ich aus den Opernhäusern vertrieben worden. Da bleiben mir nur noch Vinyl, CD und als Ersatz für werkgerechte Aufführungen die DVD.


    Liebe Grüße
    Wolfgang

    W.S.

  • Zitat

    Zitat von Sixtus: Und was die Änderungen am Original anbetrifft, so kann man tatsächlich Operninszenierungen und Romanverfilmungen nicht vergleichen. Bei letzteren ist auch deutlich ausgewiesen, dass es sich um eine Verfilmung NACH XY handelt, und das ist künstlerisch seriös - niemand wird getäuscht. Wenn das bei Inszenierungen auch üblich wäre, gäbe es weniger Proteste bei den Premieren.

    Lieber Sixtus,


    das muss ganz einfach Pflicht werden. Diese Forderung stelle ich schon seit Jahren.Dann weiß der Zuschauer wenigstens, woran er ist und meidet Vorstellungen, die verzerrt sind. Nun weiß man bei Romanverfilmungen ja in der Regel, dass man in fast allen Fällen enttäuscht sein wird, wenn man den Roman gelesen hat. Ich meide daher jede Verfilmung, wenn ich vorher das Buch gelesen habe. Bei der Oper aber ist das noch etwas anderes und der Vergleich mit Romanverfilmungen ist völlig absurd, so absurd, wie man behaupten kann, das Brecht Theater einfach jeder Oper überstülpen zu können, die vor Brecht entstanden ist.
    Und noch lebende Komponisten würden sich wohl in den meisten Fällen wehren, wenn man ihr Werk auf diese Weise verschandeln würde. Die toten können es ja leider nicht mehr!
    Bei Romanverfilmungen ist wenigstens noch häufig etwas von der Substanz des Romans - wenn auch manchmal nur sehr schwer - zu erkennen.
    Bei der Oper geht das einfach überhaupt nicht. Handlung, zugehöriger Text und die Musik, die darauf geschrieben wurde, sind ganz einfach eine Einheit, die kein Regisseur willkürlich durch eine neue übergestülpte Handlung zerstören darf. Außerdem hat er auch die Zeit, in der das Werk entstanden ist, zu berücksichtigen. Wenn Romantik nicht mehr Romantik ist, ist die Inszenierung völlig am Werk vorbeigedacht.
    Wenn ein Regisseur diese Kriterien nicht begreift, ist er unfähig und in der Oper fehl am Platz.
    Ich habe auch schon mehrfach erklärt, dass ich den Fortschrittsfanatikern und Anhängern der - wie du sehr richtig sagst - Pop-(Un)kultur (die unter bewussten Opernfreunden - d.h. diejenigen, denen es gleichgültig ist, ob ein Werk verdreht oder nicht verdreht gezeigt wird, einmal abgezogen - , sowohl hier im Forum, wie auch sonst überall, deutlich erkennbar in der Minderheit sind) gerne die ihrer Anzahl entsprechende Inszenierungen lasse, wenn die Mehrheit der anders Denkenden die ihrem Anteil entsprechende jährliche Zahl an Inszenierungen bekäme und die nicht für die Freunde der echten Werke gedachten Inszenierungen eben, wie oben gesagt, deutlich mit "frei nach ....." gekennzeichnet werden. Alles andere ist, wie schon öfter gesagt, Betrug am Kunden.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Kleines Einsprengsel von mir, oder vielmehr ein Lektürehinweis:



    Nicht, dass ich es schon gelesen hätte, dem Vernehmen nach geht es in dem Essay gegen das Regietheater zu Felde.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,


    danke für den Hinweis.
    Gerhard Stadelmaier ist Journalist und Theaterkritiker bei der FAZ. Der Essay dürfte sicherlich sehr interessant sein und ich werde ihn mir besorgen. Hier eine kurze Übersicht zum Inhalt des Essays

    Zitat

    Das Theater arbeitet daran, sich selbst abzuschaffen. Berserkerhaft werden literarische Vorlagen zertrümmert und dem Publikum dann brockenweise hingeworfen. »Wirklichkeitsnah« will man sein und spricht damit dem Zuschauer jegliches Abstraktionsvermögen ab. »Regisseurstheater« nennt Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier solche Versuche, das Stück dem kurzlebigen Einfall, dem Zeitgeist zu opfern. Während das Theatralische sich auf der Bühne verflüchtigt, dominiert es zunehmend Politik und Medien, wo Betroffenheit inszeniert und das Denken durch (Mit-)Fühlen ersetzt wird. Seit vier Jahrzehnten begleitet und kommentiert der Autor das Treiben auf deutschsprachigen Bühnen. Wie so viele verzweifelt er regelmäßig daran. Aber wie kaum ein anderer lässt er sich auch vom Zauber, den das Theater zu entfalten vermag, mitreißen und spart in diesem Essay folglich keinesfalls jene Glücksmomente aus, die ihm seine Begeisterungsfähigkeit erhalten.

    Gleichzeitig empfehle ich hier auch den Essay von Bernd Weikl "Kunst und Pressefreiheit in Deutschland", den ich kürzlich erhielt. Auch hier gibt es interessante Einblicke in das Regisseurstheater


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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  • Zit.: "Der Essay dürfte sicherlich sehr interessant sein"


    Er "dürfte" nicht, er ist es. Alle FAZ-Kritiken Stadelmaiers habe ich gelesen. Und schon lange wundere ich mich, dass dessen hochgescheite und sachlich fundierte Kritik am "Regisseurstheater" - der Begriff stammt von ihm - hier im Forum keine Berücksichtigung, ja noch nicht einmal Aufmerksamkeit fand.

  • Zit.: "Der Essay dürfte sicherlich sehr interessant sein"


    Er "dürfte" nicht, er ist es. Alle FAZ-Kritiken Stadelmaiers habe ich gelesen. Und schon lange wundere ich mich, dass dessen hochgescheite und sachlich fundierte Kritik am "Regisseurstheater" - der Begriff stammt von ihm - hier im Forum keine Berücksichtigung, ja noch nicht einmal Aufmerksamkeit fand.


    Den Begriff "Regisseurstheater" habe ich hier schon vor etlichen Jahren gebraucht, er hat sich aber nicht durchgesetzt. Offensichtlich ist es die alte Geschichte, dass mehrere Leute unabhängig von einander auf eine bestimmte Idee kommen.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Das trifft sich gut: Heute vor einem Jahr trat ich in diesen edlen Kreis ein, und dieser Thread, von mir eingeläutet, wurde gestern (oder heute?) voreilig totgesagt.
    In Wahrheit haben wir eine neue Qualität erreicht: Eine Handvoll Teilnehmer sind im Besitz von Stadelmaiers Buch "Regisseurstheater", das auch ich schon gelesen und hier empfohlen habe. Es gehört in die Hände jedes Theaterfreundes!


    Ich hatte mit diesem Thread eigentlich etwas anderes vor. Aber es hat sich so ergeben, dass wir wieder beim alten Thema gelandet sind. Doch zumindest als Zwischenbilanz stelle ich fest: Es könnte so etwas wie ein Etappensieg der Werkgerechtigkeit herauskommen - vorausgesetzt, dass Gerhard seine oft vorgetragene Forderung nach Kennzeichnung durchsetzt: alle Veränderungen durch die Regie zu kennzeichnen mit dem Vermerk "frei nach der Oper X von YZ".


    Wer schafft eine Lobby dafür? Ich stehe für publizistische Hillfe bereit. Aber zu zweit schaffen wir das nicht. Also Freiwillige vor!


    Lieber Operus, habe ich dir zuviel versprochen mit einem positiven Beitrag? Es fehlt nur noch eine zahlenmäßig große Unterstützung - und jemand, der die Botschaft in die Briefkästen der Theater einwirft - und noch einer, der sie als Gesetzentwurf im Bundestag einbringt.


    Also an die Arbeit - meine guten Wünsche begleiten alle Helfer.
    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Danke, lieber M.Joho für den Hinweis auf Kindle. Da komme ich ja noch heute Abend dran.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Da habe ich doch gestern zu nächtlicher Zeit im Eifer das Datum um eine Stunde vorgestellt. Apropos Zeit:
    Lieber Gerhard, ich schlage dich als Alterspräsident der Initiative zur Kennzeichnung werkfremder Inszenierungen vor. Oder haben wir unter uns noch Ältere? Aber die Zeit drängt, wenn wir das Resultat noch zu Lebzeiten erfahren wollen!
    Inzwischen bemühe ich mich, noch einige Lücken in der Grammatik des Singens zu schließen (nur für Bedürftige und Anfänger!).


    Es ist auffällig, dass man bei Sängern die Damen meistens schlechter versteht als die Herren. Und hohe Stimmen schlechter als tiefere. Das ist kein Verschulden der Sänger(innen), sondern es hängt mit der Schwierigkeit zusammen, in hohen Lagen reine Vokale zu bilden. (Siehe Agathes Himmel, der zu Hammel wird). Da hilft auch gute Artikulation wenig. Kommt dann ein großes Volumen hinzu, verstärkt sich der Effekt. Deshalb versteht man Wotan besser als Brünnhilde, Calaf besser als Turandot.
    Bei italienischen Opern versteht man außerdem den Text selten gut, weil die Sänger da mehr im Zentrum stehen und deshalb dem Klang im Zweifel mehr Aufmerksamkeit widmen als dem Text.


    Wer dies bezweifelt, der besuche einen italienischen Wochenmarkt und achte besonders auf die Stimmen der Marktfrauen. Oder, noch besser: eine Vorstellung in der Arena von Verona, besonders zu Beginn und in den Pausen.


    Viel Vergnügen - und herzliche Grüße von Sixtus

  • Ich höre gerade die schon ältere Aufnahme der Winterreise mit Georg Jelden. In den 60ern war Jelden noch Tenor und gehörte zur Stammbesetzung der geistlichen Musik des WDR (Hans Joachim Rotzsch war auch dabei). Dann wechselte er ins Baritonfach. Hier kenne ich nur die Winterreise. Diese Aufnahme hat zwei Vorzüge: sie ist schlicht und nicht so überinterpretiert. Vor allem aber: es ist die Winterreise, bei der man den Text nicht mitlesen muss, weil man jedes Wort versteht.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Zitat

    Zitat von Sixtus: Lieber Gerhard, ich schlage dich als Alterspräsident der Initiative zur Kennzeichnung werkfremder Inszenierungen vor

    Lieber Sixtus,


    na ja, es gibt schon noch Ältere unter uns (z.B. Operus). Ich kann zu dem Vorschlag nur sagen: Mit Worten haben es außer mir schon viele bisher versucht. Aber ich fürchte, wir werden wohl einen Fachmann (Exorzisten) bemühen müssen, um die vom Zeitgeist Besessenen zu kurieren, denn Besessene zu heilen habe ich leider nicht gelernt. Ich bin doch selbst froh, dass ich es bisher noch geschafft habe, nicht jedem Zeitgeist zu huldigen. Aber diejenigen, die dieser Geist einmal erfasst hat, sind nur schwer zu heilen. Sie versinken immer mehr in diesem Sog. Wie heißt es doch beim Zauberlehrling: "Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los"


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard,


    schade, dass wir hierzulande so wenig Exorzisten haben. Aber der Vatikan hilft sicher aus. Oder noch besser: In Polen soll es neuerdings viele geben, und die sind sicher billiger. Aber sie sind mehr auf gefallene Mädchen spezialisiert, das ist appetitlicher. So bleibt uns nur die Suche in heimischen Klöstern, die noch in Betrieb sind. Da kommen wir deiner Wohngegend ziemlich nahe.
    Ja, an Operus habe ich auch schon gedacht als Alterspräsident. Aber der ist doch schon Ehrenpräsident und vieles mehr - da gibt´s vielleicht Ärger wegen Ämterhäufung. Du bleibst also in der engeren Wahl.


    Wie treibt man übrigens den Zeitgeist aus? Am ehesten mit arbeitslosen altmodischen Opernregisseuren, die wir in die Schauspielhäuser einschleusen, als Retourkutschen. (Ja, ich bin ja schon still, wollte nur den Bierernst aus dem Thread vertreiben.)
    Die übrigen Forumsfreunde bitte ich um Nachsicht. Jeder hat mal einen Durchhänger. Das kommt vom Zeitgeist!


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Lieber Sixtus,


    ich bitte um mehr so ungeistige Durchhänger. Lockerheit im Umgang, in den Formulierungen, im Sprachstil tun uns alle gut. Ein wenig Humor würzt das Ganze noch und schon wird es eine für fast alle verträgliche Speise.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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