Warum überlebt das Regietheater so lange ? - Versuch einer Analyse

  • Da ich ein Faible für absurde Komik habe, muss ich sagen, dass mir der Beitrag des Users "La Roche" sehr große Freude bereitet hat. Aus diesem Grund ein herzliches Dankeschön dafür!

    Lieber LaRoche, jetzt sind wir schon zu zweit. Ich denke, du wirst das betrachten wie ich: ein Ritterschlag.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Die Spielwiese war mir bislang nicht bekannt. Hat etwa Frau Gilles ein eigenes Opernforum eröffnet? :hahahaha:

    Die gibt es schon eine ganze Zeit. Du würdest staunen, wie viele ehemalige Taminos dort sind. Frau Gilles kommt da auch nur selten vor.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Du würdest staunen, wie viele ehemalige Taminos dort sind.

    Wenn es die Taminos sind, die im Zuge der "Holzwurm-Affäre" das Forum verlassen haben, dann bin ich froh, dass sie dort sind und nicht mehr hier (operus ausdrücklich ausgenommen). Veröffentlicht operus übrigens nun dort seine Gedichte?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Die Ironie an der ganzen Geschichte besteht ja darin, dass Holger früher zusammen mit Dir, mir und einigen wenigen anderen Aufrechten gegen die dumpfen "Verunstaltungs"-Schreier in diesem Forum (der schlimmste ist inzwischen inaktiv, wie ich gerade mit Freude bemerkt habe) für ein modernes, zeitgemäßes und für die künstlerische Auseinandsetzung offenes Theater eingetreten ist. Und dementsprechend von der "RT-Gegner"-Seite gehasst und beschimpft wurde. Dass er nun die Fronten gewechselt hat und sich teils der gleichen Argumente bedient, die er früher abgelehnt hat (z.B. der Verweis auf die Reaktionen des Publikums), finde ich sehr lustig.

    Das ist das missliche an einer Debatte, die in Polemik ausartet, dass es nur noch Schwarz-Weiß gibt und keine Graustufen mehr. Differenzierte Positionen einzunehmen ist dann nicht mehr möglich. Z. B. kommt Helmut Hofmann von der Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer her, was aus seinen Beiträgen ersichtlich ist. Gadamer kritisiert die Hermeneutik von Friedrich Schleiermacher von Heidegger aus, dass es kein rein reproduktives Sinnverstehen geben kann und spricht vom "Primat der Anwendung" - d.h. das Verstehen des Vergangenen muss immer an den historischen Kontext "angepasst" werden, aus dem heraus es geschieht, vereinfacht ausgedrückt. Das bedeutet faktisch, dass auch "Bearbeitungen" von Stücken von daher legitim sein können. Ich habe - ebenfalls Gadamer im Hintergrund - davon gesprochen, dass der Sinn der Aufführung eines Theaterstücks nicht nur die Aufführung eines Werks ist, sondern darüber hinaus die Aufführung den Sinn hat, die Aufführungsfähigkeit herzustellen. Weiter habe ich ausgeführt mit Blick auf die Unterscheidung von moderner Kunst und Gegenwartskunst (darstellender Kunst und Reflexionskunst) im Anschluß an Juliane Rebentisch, dass eine Theateraufführung Reflexionsebenen einführen kann, die über die Darstellung des werkimmanenten Sinnes hinausgehen. Als Beispiel hatte ich Kosskys Inszenierung der "Meistersinger" in Bayreuth genannt. Ich teile also weder die Auffassung von buchstäblicher "Werktreue" (ich vertrete keine orthodoxe Werktheorie, sondern eine Theorie ästhetischer Erfahrung, Kenner der Ästhetik wissen, was das bedeutet) des "harten Kerns" der RT-Gegner noch die postmoderne Beliebigkeit und die konstruktivistische Unverbindlichkeitsmasche von RT-Künstlern. Meine Auffassung ist, dass auch Kossky, der Theater über das Theater macht, Wagners Werk sehr wohl "verbindlich" nimmt. Wie man das Werk verbindlich nimmt, kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen, aber es geht eben nicht, die Verbindlichkeiten in der Sache, wie sie Helmut Hofmann so treffend benannt hat, einfach zu leugnen. Das führt zur Maßstablosigkeit und Willkür. Des weiteren bin ich ein Phänomenologe, der erst einmal das Phänomen "vor aller Theorie" unvoreingenommen beschreibt. Und da bin ich auf Seiten der RT-Gegner, wenn sie sich an den Widersprüchen von Regietheater stören - die Handlung passt nicht zum Text und nicht zur Musik. Es ist da einfach ein Armutszeugnis, dass hierauf RT-Künstler keine Antwort geben können und wollen. Wo ist da der Sinn, wieso soll man solche Sinn-Widrigkeiten einfach hinnehmen? Genau hier scheitert der Konstruktivismus des autonomen "Theaterkunstwerks". Ästhetik hat nicht die Aufgabe, Künstlern Vorschriften zu machen. Sie stellt aber die Frage nach der ästhetischen Sinnhaftigkeit und wodurch sie sich ausweist und ausweisen kann. Bei diesen Widersprüchen ist die Ausweisung von Sinn eben nicht "gegeben". Und darauf bezieht sich dann die ästhetische Kritik. Auf solche kritischen Fragen wollen sich aber die Künstler nicht einlassen - sie ignorieren sie. Das ist letztlich der Ausdruck der Maßstablosigkeit von Regietheater - Hauptsache Theater ist "interessant", auf die inneren Widersprüche kommt es so nicht mehr an. Das ist aber nicht nur fragwürdig, sondern sehr fragwürdig.

    Der menschliche Undank und die für mich auch etwas seltsam anmutende Tatsache, dass ein paar alberne Holzwurm-Gedichte offensichtlich wichtiger sind als die großen weltanschaulichen Fragen - damit war beim besten Willen nicht zu rechnen...


    Wenn es die Taminos sind, die im Zuge der "Holzwurm-Affäre" das Forum verlassen haben, dann bin ich froh, dass sie dort sind und nicht mehr hier (operus ausdrücklich ausgenommen). Veröffentlicht operus übrigens nun dort seine Gedichte?

    Ich finde es nicht fair, über ehemalige Taminos in dieser Weise herzuziehen, wenn sie hier nicht antworten können.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich finde es nicht fair, über ehemalige Taminos in dieser Weise herzuziehen, wenn sie hier nicht antworten können.

    Dass gerade du dich hier für die Rechte des ehemaligen Users "Gerhard Wischniewski" einsetzt, wird ihn sicher sehr rühren... Da er auf beinahe jeden Beitrag jedoch mit mehr oder weniger dem gleichen Wortlaut geantwortet hat, kann sich der geübte Leser dieses Forums sehr gut vorstellen, wie seine Antwort ausgefallen wäre...

  • Ich lese das meiste hier (bis auf die persönliche Anwürfe) mit Interesse. Die Anregung wie die Brecht‘schen Texte werde ich gern aufnehmen. Man wird ja nicht dümmer. Wenn es zu philosophisch wird, gerate ich eher an meine Grenzen. Ich oller Simpel kann schon sehr gut nachvollziehen, was der hier offenbar allgemein abgelehnt Axel Brüggemann formulierte.


    Warum das „Regietheater“ so lange überlebt? Weil es für Veränderung steht. Für ein Übersetzen in unserer Zeit. Nur die Allerwenigsten würden doch heute eine Inszenierung nach Wagner‘schen Maßstäben überstehen. Mit einer statischen Personenführung und Darstellern, die wie in Zeitlupe eine Liste an Gesten durcharbeiten, um so - der damaligen Zeit entsprechend - eine Darstellung anzubieten.


    Und nehmen wir Emil Preetorius, der ja schon qua Geburtsdatum nicht zum Regietheater zu zählen sein dürfte. Im 3. Band des Diskurs Bayreuth „Szenenmacher“ zur Wagner-Regie heißt es, dass Preetorius davon ausging, dass Wagner kein Augenmensch, sondern als Szeniker im „Zeitgeschmack“ verhaftet gewesen sei, und seine Bühnenbilder gar nicht selbst entworfen habe. Von daher seien zeitgemäße Erneuerungen und eine gewisse bildnerische Freiheit nicht nur legitim, sondern die Hauptaufgabe einer modernen Wagner-Produktion. Es gehe darum, das „geschmacklich Veraltete sinnvoll zu übersetzen“. Wie ich als Laie mir denke, geschieht das alles, um die jeweilige Oper verständlich zu machen. Insofern ist eine dauernde Anpassung an die jeweils aktuelle Zeit ein wirklich alter Gedanke. Von Leuten, die gegen Neuerungen sind, wurde das mit dem despektierlich gemeinten Begriff Regietheater belegt. Von mir aus.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • die Rechte des ehemaligen Users "Gerhard Wischniewski"

    Dieser und seine robuste, wenn auch streitbare Art gehen hier zuweilen sehr ab.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Vielleicht wäre ja auch die Frau Kammersängerin Gilles fürs Forum zu gewinnen. Das könnte diesem festgefahrenen Thread neuen Schwung bescheren.:!:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Oder Herr Weikl oder Herr Rydl. Diese Herren haben ja jetzt auf einmal auch eine Abneigung gegen das RT

    Kurt Rydl hat in einem langen Interview, das hier auch bereits verlinkt wurde, glaubhaft geschildert, dass er seit langem mit einigen Entwicklungen des RTs alles andere als glücklich war und ist, wenn nötig, dann auch aus besonders argen Produktionen ausgestiegen. Zudem darf man doch auch einem Sänger zugestehen, seine Meinung über die Jahre zu verändern. Auch das RT wurde in den letzten Jahrzehnten doch eher noch absurder, als es um 1980 herum bereits war.

    Sicherlich wäre aber das Mitwirken einer honorigen und RT-kritischen Sängerpersönlichkeit, die aus einem eigenen reichen Erfahrungsschatz schöpfen kann, ganz grundsätzlich sehr zu begrüßen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Kurt Rydl hat in einem langen Interview, das hier auch bereits verlinkt wurde, glaubhaft geschildert, dass er seit langem mit einigen Entwicklungen des RTs alles andere als glücklich war und ist, wenn nötig, dann auch aus besonders argen Produktionen ausgestiegen.

    Das würde ich mir von ihm mal zeigen lassen, wo er ausgestiegen ist und auch nur auf einen Dollar oder Euro freiwillig verzichtet hätte. Das würde so gar nicht zu seinem Geschäftsgebaren passen, für das er in der Branche jahrzehntelang bekannt war...

  • Ihr könnt davon ausgehen, dass User wie Gerhard und einige andere hier mitlesen und sich ins Fäustchen lachen über die Grabenkämpfe, die hier abgehen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Was soll es da zu lachen geben? Diese Kämpfe hat es im Tamino-Forum immer gegeben, und Herr Wischniewski hat früher eifrigst mitgemischt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Er ist deswegen inaktiv, weil er woanders eine neue Spielwiese gefunden hat...

    Ich war neugierig und habe gesucht - und die neue Spielwiese gefunden :). Die Zahl der spielenden Mitglieder scheint dort aber sehr begrenzt zu sein.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich war neugierig und habe gesucht - und die neue Spielwiese gefunden :). Die Zahl der spielenden Mitglieder scheint dort aber sehr begrenzt zu sein.

    Mag sein. Ich habe auch noch weitere Dinge dort auszusetzen, aber die Grabenkämpfe werden dort nicht toleriert. So hat es schon einen ersten Ausschluss gegeben, weil die Tamino-Kampftechnik dort rigoros bekämpft wird, obwohl dort einige Ex-Taminos in ihrer Zeit hier darin große Könner waren. Aus Schaden wird man klug...

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Alfred schätzt es für gewöhnlich nicht, wenn die Konkurrenz hier namentlich genannt wird…

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Dass gerade du dich hier für die Rechte des ehemaligen Users "Gerhard Wischniewski" einsetzt, wird ihn sicher sehr rühren... Da er auf beinahe jeden Beitrag jedoch mit mehr oder weniger dem gleichen Wortlaut geantwortet hat, kann sich der geübte Leser dieses Forums sehr gut vorstellen, wie seine Antwort ausgefallen wäre...

    Es geht nicht um Wischniewski und auch nicht um "Operus", den hier viele für ein sehr verdientes Tamino-Mitglied gehalten haben. Es geht um den Stil. Das Nachkarten gegenüber Ex-Taminos ist einfach ein schlechter Stil.

  • Es geht um den Stil. Das Nachkarten gegenüber Ex-Taminos ist einfach ein schlechter Stil.

    Lass dir gesagt sein: Ausgerechnet du, der kürzlich einen User hier mit einem SS-Mann verglichen hat und Andersdenkende als "Pöbel" bezeichnet, bist der letzte, von dem ich in Stilfragen Nachhilfe haben will. Nichts für Ungut!

  • Lass dir gesagt sein: Ausgerechnet du, der kürzlich einen User hier mit einem SS-Mann verglichen hat und Andersdenkende als "Pöbel" bezeichnet, bist der letzte, von dem ich in Stilfragen Nachhilfe haben will. Nichts für Ungut!

    Toll, Du bist natürlich in dieser Frage "Partei" und Parteigänger und verteidigst Deine Leute. Ich habe Niemanden hier mit einem SS-Mann verglichen (nur wenn man dreist ist und sich dumm stellt, kann man das so verstehen), und wenn man mich übelst anpöbelt, kassiert man vielleicht auch mal, wenn mir der Kragen platzt, dafür die entsprechende Bezeichnung.

  • Toll, Du bist natürlich in dieser Frage "Partei" und Parteigänger und verteidigst Deine Leute. Ich habe Niemanden hier mit einem SS-Mann verglichen (nur wenn man dreist ist und sich dumm stellt, kann man das so verstehen), und wenn man mich übelst anpöbelt, kassiert man vielleicht auch mal, wenn mir der Kragen platzt, dafür die entsprechende Bezeichnung.

    Diese - freundlich gesagt - höchst eigenwillige Interpretation der Ereignisse lasse ich einfach mal so stehen und überlasse jedem geneigten Leser das Urteil, über die angemahnten "Stilfragen"...

  • Ich habe Niemanden hier mit einem SS-Mann verglichen

    Doch, Du hast genau das getan. Außerdem hast Du über mich eine Lüge verbreitet und bis heute unkorrigiert stehen gelassen. Dein weinerliches und selbstgerechtes Gejammere ist einfach nur peinlich.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ich finde es nicht fair, über ehemalige Taminos in dieser Weise herzuziehen, wenn sie hier nicht antworten können.

    Die Herren haben dieses Forum freiwillig verlassen und teilen jetzt im gleichen Stil wie früher hier ihre unveränderte Meinung allen "Freunden der Oper und des Gesangs" in einem anderen "diskussionsfreudigen und meinungsbildenden" Forum mit. Die Resonanz dort hält sich aber wegen der niedrigen Mitgliederzahl in Grenzen.

    Wieso ist es unfair, dass sie hier nicht mehr antworten können? Die Abwanderung war doch ihre eigene Entscheidung.


    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Die Herren haben dieses Forum freiwillig verlassen und teilen jetzt im gleichen Stil wie früher hier ihre unveränderte Meinung allen "Freunden der Oper und des Gesangs" in einem anderen "diskussionsfreudigen und meinungsbildenden" Forum mit. Die Resonanz dort hält sich aber wegen der niedrigen Mitgliederzahl in Grenzen.

    Wieso ist es unfair, dass sie hier nicht mehr antworten können? Die Abwanderung war doch ihre eigene Entscheidung.



    Ich habe von der Existenz dieses Forums bis zu diesem Thread überhaupt nichts gewusst... :untertauch:


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Das ist das missliche an einer Debatte, die in Polemik ausartet, dass es nur noch Schwarz-Weiß gibt und keine Graustufen mehr. Differenzierte Positionen einzunehmen ist dann nicht mehr möglich. Z. B. kommt Helmut Hofmann von der Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer her, was aus seinen Beiträgen ersichtlich ist. Gadamer kritisiert die Hermeneutik von Friedrich Schleiermacher von Heidegger aus, dass es kein rein reproduktives Sinnverstehen geben kann und spricht vom "Primat der Anwendung" - d.h. das Verstehen des Vergangenen muss immer an den historischen Kontext "angepasst" werden, aus dem heraus es geschieht, vereinfacht ausgedrückt. Das bedeutet faktisch, dass auch "Bearbeitungen" von Stücken von daher legitim sein können. Ich habe - ebenfalls Gadamer im Hintergrund - davon gesprochen, dass der Sinn der Aufführung eines Theaterstücks nicht nur die Aufführung eines Werks ist, sondern darüber hinaus die Aufführung den Sinn hat, die Aufführungsfähigkeit herzustellen. Weiter habe ich ausgeführt mit Blick auf die Unterscheidung von moderner Kunst und Gegenwartskunst (darstellender Kunst und Reflexionskunst) im Anschluß an Juliane Rebentisch, dass eine Theateraufführung Reflexionsebenen einführen kann, die über die Darstellung des werkimmanenten Sinnes hinausgehen. Als Beispiel hatte ich Kosskys Inszenierung der "Meistersinger" in Bayreuth genannt. Ich teile also weder die Auffassung von buchstäblicher "Werktreue" (ich vertrete keine orthodoxe Werktheorie, sondern eine Theorie ästhetischer Erfahrung, Kenner der Ästhetik wissen, was das bedeutet) des "harten Kerns" der RT-Gegner noch die postmoderne Beliebigkeit und die konstruktivistische Unverbindlichkeitsmasche von RT-Künstlern. Meine Auffassung ist, dass auch Kossky, der Theater über das Theater macht, Wagners Werk sehr wohl "verbindlich" nimmt. Wie man das Werk verbindlich nimmt, kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen, aber es geht eben nicht, die Verbindlichkeiten in der Sache, wie sie Helmut Hofmann so treffend benannt hat, einfach zu leugnen. Das führt zur Maßstablosigkeit und Willkür. Des weiteren bin ich ein Phänomenologe, der erst einmal das Phänomen "vor aller Theorie" unvoreingenommen beschreibt. Und da bin ich auf Seiten der RT-Gegner, wenn sie sich an den Widersprüchen von Regietheater stören - die Handlung passt nicht zum Text und nicht zur Musik. Es ist da einfach ein Armutszeugnis, dass hierauf RT-Künstler keine Antwort geben können und wollen. Wo ist da der Sinn, wieso soll man solche Sinn-Widrigkeiten einfach hinnehmen? Genau hier scheitert der Konstruktivismus des autonomen "Theaterkunstwerks". Ästhetik hat nicht die Aufgabe, Künstlern Vorschriften zu machen. Sie stellt aber die Frage nach der ästhetischen Sinnhaftigkeit und wodurch sie sich ausweist und ausweisen kann. Bei diesen Widersprüchen ist die Ausweisung von Sinn eben nicht "gegeben". Und darauf bezieht sich dann die ästhetische Kritik. Auf solche kritischen Fragen wollen sich aber die Künstler nicht einlassen - sie ignorieren sie. Das ist letztlich der Ausdruck der Maßstablosigkeit von Regietheater - Hauptsache Theater ist "interessant", auf die inneren Widersprüche kommt es so nicht mehr an. Das ist aber nicht nur fragwürdig, sondern sehr fragwürdig.


    Diese Argumentation von Holger ist in mehrerer Hinsicht problematisch.


    1) Er wiederholt seine Behauptung, dass die Alternative zur "Werkgerechtigkeit" (bzw. die wesentliche Konsequenz aus ihrer Abwesenheit) eine "Beliebigkeit" und "Unverbindlichkeitsmasche" sei. Diese Behauptung wird aber (erneut) nicht belegt, sondern bleibt einfach so stehen. Was jetzt hinzukommt: sie widerspricht eigentlich anderen Ausführungen von ihm. Etwas weiter oben hat Holger nämlich gemeint, dass es doch eigentlich egal sei, was ein Regisseur denkt, zählen würde das Ergebnis auf der Bühne. Damit negiert er aber einen Zusammenhang zwischen Haltung/Herangehensweise des Regisseurs und dem künstlerischen Ergebnis, dem er nun wieder "postmoderne Beliebigkeit" vorwirft, wenn es nicht einer bestimmten Haltung/Herangehensweise entspringt.


    2) Es wird als irgendwie schlimm angesehen, wenn die "Handlung" (gemeint ist wohl das Bühnengeschehen) nicht zu Musik und Text passt. Das kann man aber so pauschal nicht sagen. Es können auch sehr reizvolle Effekte daraus entstehen, wenn die Regie in der Gestaltung des Bühnengeschehens gegen Musik oder Text geht und diese bricht. Das Ergebnis dieser Gestaltung wäre dann im Einzelfall zu beurteilen. Deswegen kann man hierauf auch keine (von Holger eingeforderte) Antwort geben, weil bereits die Prämisse (dass die Bühnenhandlung zu Musik und Text passen muss) in pauschaler Form keinen Sinn ergibt.


    3) Die wiederholte Verwendung des Begriffs vom "autonomen" Theaterkunstwerk. Das Wort "autonom" haben in diesem Zuammenhang m. E. Holger und Helmut in die Diskussion eingebracht, von Werner Hintze stammt es nicht (wenn ich mich nicht irre - man möge mir ggf. bitte das Gegenteil belegen). Wenn das Theaterkunstwerk ein Stück verwendet (was es bekanntlich nicht muss), dann ist es von diesem Stück natürlich nicht "autonom", weil der Text des Stücks ja Teil des Theaterkunstwerks wird. Daraus folgt aber nicht, dass man dem Stück gegenüber eine Art von Treue- oder Gerechtigkeitspflicht hat. Es ist wie mit einem Nachbarn. Ich bin von meinem Nachbarn im Mietshaus nicht autonom - wenn er wenig heizt, steigen meine Heizkosten, wenn er Krach macht, kann ich kein Nickerchen halten etc. Das bedeutet aber nicht, dass wir einander in einer Treuepflicht verbunden wären. Wir müssen uns beide an geltende Gesetze und die Hausordnung halten, mehr nicht. Ob wir uns ignorieren oder beste Kumpels werden, bleibt uns überlassen. Autonomie und Nicht-Verpflichtung (oder Nicht-Verbindlichkeit) sind zwei verschiedene Dinge.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Mir ist zwischenzeitlich überhaupt nicht mehr klar, warum und worüber gestritten wird.


    Der Begriff "Regietheater" greift nicht bei der bestehende Problematik, das dürfte ja jeder verstanden haben.


    Die eine Partei macht Theater mit Musikbegleitung, die andere Partei liebt Oper und Musikdrama.


    Da unser Rechtsstaat die künstlerische Freiheit in den Grundrechten verankerte, hat man die unterschiedlichen Wege in der Gestaltung zu akzeptieren.


    Man muss es nicht mögen, man kann dagegen sein, man kann es als "krank" empfinden, alles zulässig.


    Aber selbst in den monotheistischen Religionen gibt es Pluralismus.


    Warum also streiten und sich persönlich kränken, unser Alltag wird von anderen Themen bestimmt!

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