Gänsehautstellen

  • Eine einzige Aneinanderreihung von 'Gänsehautstellen' ist die unten abgebildete CD, auf der der Bariton Olaf Bär (am Klavier von Helmut Deutsch begleitet) Lieder, Romanzen und Balladen von Robert Schumann singt. Mit Blick auf das ganze Feld der Klassik ist der Liedgesang eigentlich keine meiner Lieblingsecken; da gibt es noch viel für mich zu entdecken. Aber diese CD, die ich bereits vor vielen Jahren gekauft habe, ist, schlicht gesagt, der 'Hammer'. Die Interpretation von 'Belsazar' op. 57 (nach Heinrich Heine) ist für mich die Interpretation dieser Ballade schlechthin geworden. Auch 'Die beiden Grenadiere' aus op. 49 (ebenfalls nach Heinrich Heine) haben es hier so in sich, dass es mich regelrecht erschauern lässt. Die 'Gänsehaut-Krönung' dieser CD aber ist für mich 'Der Soldat' aus op. 40 (nach Hans Christian Andersen).



    Hier zunächst der Text:


    Der Soldat (Text H.C. Andersen)


    Musik: Robert Schumann, Op. 40


    Es geht bei gedämpfter Trommeln Klang;
    Wie weit noch die Stätte ! der Weg wie lang!
    O wär’ er zur ruh’ und alles vorbei!
    Ich glaub’, es bricht mir das
    Herz entzwei!


    Ich hab’ in der Welt nur ihn geliebt,
    Nur ihn, dem jetzt man den
    Tod doch gibt!
    Bei klingendem Spiele wird paradiert,
    Dazu, dazu bin auch ich kommandiert.


    Nun schaut er auf zum letzten Mal
    In
    GottesSonne freudigen Strahl;
    Nun binden sie ihm die
    Augen zu –
    Dir schenke Gott die ewige Ruh’!


    Es haben dann neun wohl angelegt ;
    Acht
    Kugeln haben vorbeigefegt.
    Sie zitterten alle vor Jammer und
    Schmerz
    Ich aber, ich traf ihn mitten in das Herz.

    (Unterstreichungen nicht von mir)



    Die Situation dieses unausweichlich vor Augen stehenden Endes ist sowieso schon von existentieller Tragik. Die Perspektive, die hier eingenommen wird - und auch das ist so besonders für mich - ist nicht die des bald Exekutierten, sondern die eines dem Exekutionskommando angehörenden Soldaten. Der Weg zur Hinrichtungsstätte, begleitet von dumpfem Trommelwirbel, die Verzweiflung des Soldaten über das, was er nun gleich wird tun müssen - all' das wird von Olaf Bär in so düsterer, von dem Grundton resignativer Unausweichlichkeit geprägter Atmosphäre dargestellt, dass ich bereits am Ende der ersten Strophe stets zutiefst ergriffen bin. Endgültig 'hinüber' bin ich dann regelmäßig bei: "Bei klingendem Spiele wird paradiert / dazu, dazu bin auch ich kommandiert" (Vers 7 und 8 ). Und dabei ist der 'Handlungshöhepunkt' - die Hinrichtung selbst - hier noch gar nicht erreicht..


    Leider gibt es wohl diese Aufnahmen Olaf Bärs zur Zeit nur für ziemlich viele Euros. Aber das Geld wäre gut angelegt - soviel kann ich definitiv behaupten, ohne mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen.


    Grüße,


    Garaguly


  • Ja, das ist ein außerordentliches Lied, so "schauerlich" wie irgendetwas von Schubert oder Mahler (und dessen "Soldatenlieder" wie "Revelge" oder "Der Tamboursg'sell" vorwegnehmend). Diese Handvoll Lieder op.40 nach Chamisso/Andersen ist leider kaum bekannt, aber sehr lohnend. Mein anderer Favorit ist "Der Spielmann"?, sozusagen eine intensivierte Version von "Das ist ein Flöten und Geigen" aus Dichterliebe.
    Ich kenne Bärs Aufnahme nicht; kennengelernt habe ich das Lied mit Hampson, der ist ordentlich, auch wenn mir seine Stimme nicht besonders zusagt. Anscheinend habe ich noch immer keine andre Einspielung.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich kenne den Schumann von Olaf Bär auch nicht, kann aber aus nebenstehender Masterworks-Edition auch eine hörenswerte Aufnahme empfehlen mit Christian Gerhaher und seinem Begleiter Gerold Huber.


    Die Gesamtbox (25 CD's) mit Klaviergrößen wie Arthur Rubinstein, Evgeny Kissin, Vladimir Horowitz, Michael Endres, Robert Casadesus, Arcadi Volodos und Charles Rosen, namhaften Orchestern und Dirigenten, enthält auch vier Lieder-CD's, den Liederkreis op. 24 und die Kernerlieder op. 35 mit Christoph Prégardien und Michael Gees, die hier vorgestellten Lieder op. 40 und die sechs Gedichte aus dem Liederbuch eines Malers op. 36 sowie Belsazar op. 57 mit dem o.a. Duo Gerhaher/Huber, die Dichterliebe op. 48 mit Dietrich Fischer-Dieskau/Vladimir Horowitz!!, den Liederkreis op. 39 mit Thomas Quasthoff/Robert Szidon, Frauenliebe op. 42 mit Waltraud Meier/Gerhard Oppitz, Lieder op. 30 mit Nathalie Stutzmann/Inger Södergren, Minnespiel op. 101, dito, 12 Rückertlieder op. 37, dito, Liederalbum für die Jugend op. 79, dito, sowie Myrten op. 25 mit Marjana Lipovsek/Graham Johnson.


    Die o.a. Lieder op. 40 habe ich ebenfalls noch von Thomas Hampson und Peter Schreier(Norman Shetler).


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eine richtige Gänsehautstelle ist für mich die Coda im Finale von Bruckners 4. Symphonie, der "Romantischen".
    So sehr ich hier die Aufnahmen von Günter Wand, Knappertsbusch, Furtwängler usw. hoch schätze (bei der partiturgenauen Herangehensweise ist Wand Nr. 1), ist die extrem subjektive letzte Aufnahme Celibidaches von diesem Werk vom 20. April 1993 hier doch auch irgendwie die intensivste: Geschlagene fünfeinhalb Minunten dauert die Finalcoda hier und übertrifft somit auch die EMI-Aufnahme von 1988 nochmal. Das ist wirklich nicht mehr von dieser Welt, auch wenn es kaum mehr "Bewegt, doch nicht zu schnell" ist.


    P.S.: Die Aufnahme dauert insgesamt 86 Minuten (sic!) und paßt somit nicht mal auf eine CD.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Lieber Joseph II.


    Es ist, wie Du schreibst: Wenn es eine so genannte Gänsehautstelle gibt, dann diese Coda. Nur, welche Aufnahme hörst Du? Ich habe die Box mit den Münchener Mitschnitten, und da stammt Bruckners Vierte von 1988. Wie erst muss die von Dir bevorzugte klingen, in der diese Coda kein Ende zu nehmen scheint? Mir kommt sie schon endlos auf meiner CD vor. Und genau das ist ein Teil der ungeheuren Wirkung. Die Musik steigert sich zur Ewigkeit, wo Zeit keine Kategorie mehr ist. Dieses drängende, schiebende, dann fast gnadenlose Pochen, dem die Melodie nicht entfliehen kann, ist für mich eine der größten und zugleich unheimlichsten Erfindungen, die einzig Celibidache richtig erkennt und zum Klingen bringt.


    Bei dieser Coda muss ich immer auch an den Übergang von dritten zum vierten Satz der 4. Sinfonie von Schumann unter Furtwängler denken.


    Gruß Rüdiger

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rüdiger,


    bei abruckner.com kann man die Spielzeiten der beiden Aufnahmen vergleichen:


    16.10.1988: 78:28 21:56 17:35 11:04 27:53
    20.04.1993: 86:00 23:52 19:35 11:46 30:39


    Die letztere Aufnahme ist ein Mitschnitt aus München, der es nie auf ein großes Label geschafft hat (mir unverständlich, da im direkten Vergleich noch besser) und offenbar von Celibidache-Freunden herausgebracht wurde.


    Um dich nicht auf die Folter zu spannen: Zu haben ist er u. a. hier.


    Ich weiß gar nicht, wo man den käuflich erwerben könnte. abruckner.com listet einige Mini-Labels wie "0""0""0" Classics und Karna Musik.


    Liebe Grüße von Bruckner-Freund zu Bruckner-Freund
    Joseph
    :hello:


    P.S.: Oh ja! Die Überleitung vom 3. zum 4. Satz in Schumanns 4. ist auch so eine Stelle! Da kann ich auch noch Wand und Knappertsbusch empfehlen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph, von Herzen Dank. Ich war schon in der Früh unterwegs, um diese Vierte heruntzerzuladen - und habe sie auch gehört, nicht nur einmal. Wunderbar! Nur bin ich noch zu sehr in "meiner" Aufnahme gefangen, so dass mir ein vergleichendes Urteil noch nicht möglich ist.


    Auch die abruckner.com-Seite habe ich bereits besucht. Die ist nun wirklich ein Gewinn, und ich wundere mich, dass ich nicht längst darauf gekommen bin. Großen Dank also auch für diesen Tipp.


    Mir ist gelegentlich unseres kleinen, nachhaltigen Austausches wieder deutlich geworden, wie sehr mich der Tod von Celibidache traf. Er war schon hier in Berlin mit Bruckners 4. Sinfonie angekündigt, als uns die Nachricht von seinem Unfall erreichte, von dem er sich nicht wieder erholen sollte.


    Mit bestem Gruß verbleibt Rüdiger

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hallo zusammen,


    allen Puristen sei hilfsweise schon vorab zugestimmt - Wiegenlieder sind keine Klassik im reinen Sinne. Das interssiert mich aber nicht, die beiden tollen Carus- Scheiben sind längst in meine musikalische Hausapotheke aufgenommen, in großzügigen Dosen zu nehmen, wenn das Herz schwer ist...

    Die Aufnahmen sind voller warm funkelnder Preziosen, ich möchte heute auf das grandiose " Nachtwächterlied" ( Vol. 1) hinweisen, grandios interpretiert von Kurt Moll - atemlos folge ich seiner Stimme zu zwei ganz besonderen Gänsehäuten: Strophe 2: ,,...hilf das wir im Tohn ohn' Reu" und im Refrain: ,, Herr, durch Deine Güt und Macht, schenk uns eine gute Nacht" :yes:




    ... und das Herz wird leichter!


    Gruß


    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Hallo Oolong,


    da stimme ich Dir vorbehaltlos zu, denn ich hatte gerade gestern diese CD aufgelegt, weil sie auch so ein bisschen in diese vorweihnachtliche Zeit passt und gerade beim Anhören des Nachtwächterliedes von Kurt Moll ging es mir auch so wie Dir.
    Inzwischen hat der Carusverlag auch zwei Volkslieder-CDs herausgebracht, die man auch nur empfehlen kann.
    :hello:
    Jolanthe

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  • Der deutsche Bassist Cornelius Hauptmann hat eine Initiative zur Verbreitung von vergessenen Kinderliedern in den Medien ins Leben gerufen. Daraus resultiert auch die Besprochene CD. Schaut mal in Google rein:



    W.S.

  • Hallo Jolanthe,




    bei den Volksliedern sind es sogar 3 Volumes geworden, die sich auch schön in meinem Schrank tummeln... :D




    Gruß


    Stefan



    P.S. zu meinem Wiegenliederposting: Es muss natürlich heißen:,,...hilf, das wir im TOD ohn' Reu!" Elende Schusseligkeit! X(

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Und ich dachte schon, Du hättest "Tun" in Seele-Fant-Sprech (öm töfen Köllör sötz öch hör..) wiedergegeben...


    "http://www.youtube.com/watch?v=1zlFg_B5oVI"

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    (Bob Dylan)

  • Zu der Bemerkung von Oolong: "Wiegenlieder sind keine Klassik im reinen Sinne."...


    ...nur eine kleine Anmerkung. Ich habe in diese CD (die ich nicht besitze) mal reingehört. Bei dem Lied "Aber heidschi bumbeidschi" ist mir etwas aufgefallen, das ich hier einfach mal als Frage hinstellen möchte:


    Sind diese Lieder - eben weil sie größtenteils musikalisch anspruchslos und teilweise volksliedhaft sind - nicht dadurch ein wenig musikalisch überzeichnet und ins allzu Gefühlvolle gesteigert, dass große Interpreten sich ihrer annehmen und daraus mehr machen, als sie eigentlich sein wollen?


    Was hat mich zu dieser Frage gebracht?


    Nun, - ich habe dieses Lied als kleiner Junge mit meiner Mutter zusammen gesungen, - zweistimmig natürlich! (Bitte nicht lachen! Damals war Krieg, und uns war es sehr ernst!). Irgendwie klingt mir das aus der Erinnerung ehrlicher, echter und weniger süßlich als das, was ich da von Jonas Kaufmann höre.


    Diese kleine Bemerkung ist nicht als Kritik an dem liebe- und genussvollen Hören der Musik dieser CD hier vorgebracht! War nur so ein Gedanke!

  • Gänsehautstellen in positivem Sinne bekomme ich bei dem Lied " Cantique de Noel" von Adolphe Adam, gesungen von Jussi Björling. Da bekomme ich wirklich eine Gänsehaut. So schön und ergreifend habe ich das noch von keinem anderen Sänger gehört.

    Hallo, lieber Wolfgang
    Da bin ich jetzt auf Deine Meinung gespannt, was Du nun zu Pavarotti sagst. Dazu noch "Gesu bambino"... Du hast ja jetzt die CD.
    Ich freue mich auch schon, daß ich ab Sonntag endlich wieder diese Musik hören kann, denn vor dem 1. Advent gibt es bei mir traditionell keine Weihnachtsmusik.
    Herzliche Grüße und ein schönes WE
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Wenn ein dörflicher Gesangsverein (mit dem Bierkrug unter dem Stuhl der Männer!) einen Schubert- oder Brahmschor "interpretieren" würde, wäre das Ergebnis genauso inakzeptabel, wie wenn hochprofessionelle Sänger/innen Kinderlieder "darbringen".


    "Schuster, bleib' bei deinen Leisten"

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Das stimmt so nicht lieber 2erbass. Höre Dir bitte mal Lucia Popp an. Sie ist/war ein Profi und singt/sang toll.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • wenn hochprofessionelle Sänger/innen Kinderlieder "darbringen".


    "Cantique de Noel, Gesu bambino, Pieta Signore" = Kinderlieder ??????
    (Bevor man solch unsinnige Behauptungen aufstellt, empfiehlt es sich erst mal reinzuhören!!!)

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Hallo Helmut,


    ich bin bereit, Dir sofort zuzustimmen,dass für Dich das schlicht selbst gesungene " Heidschi Bumbeidschi" eine wesentlich höheres Maß an Echtheit und Ehrlichkeit haben muß - ist es doch verwoben mit Deinem Leben und mit Deiner Mutter - da kann kein noch so kunstvoller Vortrag heranreichen.
    Bei mir war es gerade umgekehrt - ich fand " Heidschi Bumbeidschi" früher immer sehr süßlich und verbinde kein eigenes Erleben mit diesem Lied, ich muß aber sagen, in der hier genannten Einspielung gefällt es mir gut und erstmals habe ich erkannt, der Text hat - trotz allem unbestreitbaren Sentiments- auch eine tröstende Kernsubstanz. Und wenn Menschen von Musik BERÜHRT werden, hat das für mich in Zeiten von Klangtapete und Dudelfunk schon per se einen großen Wert.


    Herzliche Grüße


    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • ich fand " Heidschi Bumbeidschi" früher immer sehr süßlich


    Wer Heidschi sagt, muß als Deutscher auch Heintje sagen; und das ist nun wirklich prekär - ein Niederländer, der ein österreichisches Wiegenlied schmettert.


    Ich bin ausgesprochen allergisch gegen diese crossovers; Elisabeth Schwarzkopf, die "Och Moder" singt, ohne das wesentliche Manko, nicht plattdeutsch zu sprechen, mit aller vokalen Deftigkeit ausgleichen zu können. "In stiller Nacht", gesungen von Brigitte Faßbaender oder Hermann Prey -


    Der schöne Mon'
    will untergon,
    für Leid nicht mehr mag scheinen,
    die Sterne lan
    ihr Glitzen stahn,
    mit mir sie wollen weinen.


    auch das ist ein Volksdialekt-Artefakt, auf Hochdeutsch unsingbar. Verwandt sind die New Yorker Slang-Flüche im Film, von heimischen Synchronsprechern in prononciertem Schauspielerdeutsch wiedergegeben, oder Opernsänger, die im Jazzfach dilettieren und ihre Mühe haben, die Stimme für Gershwin lässig klingen zu lassen. Auf Youtube findet sich neben Heintjes Version von Aba Heidischi Bumbeidschi auch eine von Esther Offarim, schon ergreifender, aber auch viel zu ausgearbeitet im Melodischen - sehr dicht liegen hier Schmelz und Schmalz beisammen.


    Auf dem Hackbrett gespielt, zeigt sich, wie sehr die melodischen Floskeln hier, auch ohne Gesang, den Dialektton spiegeln und daß nur eine äußerste Schlichtheit diesem gar nicht kitschigen, sondern doch sehr nachdenklichen Wiegenlied gerecht wird. Manchmal ist Hansi Hinterseer eben besser ... Leider entgleitet auch die an sich sehr stilvolle Interpretation durch das Kamke-Trio (Harfe, Violione und Zither) ins Süßliche, wie auch der unerträgliche Hammond-Sound unserer heutigen "Volkstümlichen" Musik aus dem Carmen-Nebel.


    Daß manche es anders sehen, zeigt Placido Domingos (Abschuß-) Version:


    Aber Heidschi Bum Beidschi, nun träume
    Der Mond küßt im Garten die Bäume


    Eine Youtuberin bemerkt dazu:


    Schön, dass PD nicht den traurigen Originaltext singt - der für ein Kinderlied völlig ungeeignet ist. Eine Mutter, die ihr krankes Kind sterbend zurücklässt ... Prädikat "Wertvoll" für diesen wunderschönen und kindgerechten Text. Er sollte das Original als Wiegenlied ersetzen und Liederbücher bereichern.


    Das darf man sich einrahmen.



    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

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  • Du sagst, lieber Oolong: i"ch fand " Heidschi Bumbeidschi" früher immer sehr süßlich "



    ...und ich stimme Dir darin ohne jede Einschränkung zu. Mein gedanklicher Einwurf zu Deinem beitrag zielte ja darauf ab, ob solche Volksliedformen von der Ebene, auf die sie gehören, in den Bereich des Artifiziellen gehoben werden sollten, was ja fast mit einem gewissen Automatismus geschieht, wenn aus der klassischen Musik kommende Künstler sich ihrer annehmen.


    Ein anderer Fall liegt bei dem von farinelli zitierten "Volkslied" "In stiller Nacht" vor. Da war bereits ein großer Liedkomponist am Werk. Zwar nicht fundamental, aber dennoch in einem Maß, dass man von einem substantiell relevanten Einfgriff in den musikalischen Körper des Ursprungsliedes reden kann. Ich habe es hier u.a. mit E. Schwarzkopf. Und in deren Interpretation rührt es mich stets aufs neue.

  • Zitat von »zweiterbass« wenn hochprofessionelle Sänger/innen Kinderlieder "darbringen".


    "Cantique de Noel, Gesu bambino, Pieta Signore" = Kinderlieder ??????
    (Bevor man solch unsinnige Behauptungen aufstellt, empfiehlt es sich erst mal reinzuhören!!!)


    Deine unsinnige Bemerkung kannst Du Dir sparen - ich habe das nie behauptet - genau lesen, dann schreiben!

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Helmut,


    ich hab schon verstanden, was Du meinst und in einer Reihe von Fällen hast Du unbedingt recht. Doch wenn ich auf das Ganze schaue, bin ich manchmal auch mit ästhetischen " Rückungen" einverstanden - um der Sache willen. Und die Sache in diesem Fall, den Schatz der Wiegenlieder wieder neu zu erschließen ( Gleiches gilt für das Volkslied, Kinderlied, Gemeindechoral etc.) unterstütze ich ausdrücklich - denn wieviel von unserer Hochkultur hat hier ihre Basis, wieviel Erdung kann ich als Einzelner in unserer wurzellosen Zeit hier finden. Und um dieses kulturelle Erbe LEBENDIG zu erhalten, finde ich es legitim, die großen Namen für diese Sache einzusetzen, auch wenn sie das Einfache mal ins Artifizielle überhöhen. Denn gerade diese Musik schwindet ansonsten aus dem Bewußtsein der jungen Generation und landet auf dem Schrottplatz von Musikantenstadl und Klingelton oder im Ein- Zeilen- Erinnern, das eigentlich Vergessen heißt.


    Sei herzlich gegrüßt von


    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Hallo Olong,


    Deine Unterstützung kann ich grundsätzlich nur unterstützen, aber ich gebe zu bedenken:
    "Wenn (die großen Namen) das Einfache ins Artifizielle überhöhen" - dann erreichen diese die Hörer vom "Schrottplatz" nicht und die Hörer, die sie erreichen, also z. B. Dich und mich, erreichen sie, zumindest mich, auch nicht, weil ihr Vortrag dem vorgetragenen Lied nicht artgemäß ist; siehe auch div. - nicht alle - vorgestellten CDs im Thread "Weihnachtsmusik".


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Eine Gänsehautstelle gibt es auch in der 2. Symphonie von Sibelius, nämlich in der gewaltigen Coda des Finalsatzes. Ob dabei Gänsehaut aufkommt, liegt natürlich nicht zuletzt an der jeweiligen Aufnahme. Am vielleicht wirkungsvollsten ist es bei Barbirolli (Hallé Orchestra), Bernstein (Wiener Philharmoniker), Szell (Cleveland Orchestra) und auch P. Järvi (mit dem Orchestre de Paris 2010; kam auf Arte damals).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat Oolong: "Und um dieses kulturelle Erbe LEBENDIG zu erhalten, finde ich es legitim, die großen Namen für diese Sache einzusetzen, auch wenn sie das Einfache mal ins Artifizielle überhöhen."


    Wenn Du das, worum es hier geht, so siehst, kann ich Dir ohne jegliche Einschränkung zustimmen, lieber Oolong. Das ist in der Tat ein bedenkenswerter Aspekt, den ich bei meinen Überlegungen hier außer Betracht gelassen habe.


    Vielleicht muss man, um das kulturelle Erbe bewahren zu können - was ich für ungeheuer wichtig halte! - , auch mal da und dort Zugeständnisse in Sachen musikalischer Ästhetik machen.

  • Und um dieses kulturelle Erbe LEBENDIG zu erhalten, finde ich es legitim, die großen Namen für diese Sache einzusetzen, auch wenn sie das Einfache mal ins Artifizielle überhöhen.


    Ist das wirklich so? In fast allen Diskographien bedeutender Sängerinnen und Sänger finden sich Lieder, die in die hier bezeichnete Kategorie fallen. Mein Eindruck ist, sie hatten einfach nur Spaß daran, diese Lieder zu singen und aufzunehmen. Sonst nichts. Um die Erhaltung eines kulturellen Erbes dürfte es zuletzt gegangen sein. Mein Vorschlag: Wer diese Lieder gern hört, höre sie mit Freude, wer nicht, meide sie. Immer gleich dieser kulturelle Überbau...


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Gestern habe ich nach einem halben Jahr Abstinenz den 3.Akt der Königskinder gehört und war völlig berauscht. Was für eine Musik! Ich war so überwältigt, dass ich es gleich noch mal gehört habe.

  • Hallo Rheingold,


    nun, das Projekt " Wiegenlieder", ebenso die Volks- und Kinderlieder des Carus- Verlages fühlt sich nun mal dem kulturellen Überbau verpflichtet. Die Beihilfe zur Erhaltung dieses Kulturgutes ist erklärtes Ziel dieser Projekte. Darin, in der Auswahl der Lieder und in dem Anspruch möglichst viele von den großen Namen und Stimmen deutscher Sprache zu versammeln ( und dabei auch Ikonen wie Kurt Moll und Peter Schreier nochmal vor das Mikrophon zu locken) gehen diese Projekte schon deutlich über von persönlichen Interessen inspirierte Volksliedprojekte einzelner Sänger hinaus.


    Um es klarzustellen - ich höre die Platten natürlich nicht wegen des kulturellen Überbaus, sondern weil sie mir sehr gefallen. Um so besser, dass ich damit ein auch mir wichtiges Ziel unterstützen kann.


    Gruß


    Oolong

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Mein Vorschlag: Wer diese Lieder gern hört, höre sie mit Freude, wer nicht, meide sie. Immer gleich dieser kulturelle Überbau...


    Meinungen dürfen aber schon noch ausgetauscht werden, oder? (Zumindest was den Interpretationsansatz betrifft - ich mag diese Lieder sehr, adäquat vorgetragen.)
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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