Sollte ich den entsprechenden Thread übersehen haben, bitte ich um Verzeihung. Aber ich möchte diese Gelegenheit benützen, auf Carl Orff hinzuweisen.
Und um es gleich vorwegzunehmen: Nicht auf den Orff der "Carmina burana", die einer der ganz wenigen Publikumserfolge auf längere Dauer sind, die die Musik des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat.
Kurz zur Person: Orff wurde 1895 in München geboren und begann schon in jungen Jahren zu komponieren. Der prägendste Einfluss war wohl der Heinrich Kaminskis, der Orff auf die sogenannten Alten Meister als Ausgangspunkt für die Neue Musik aufmerksam machte.
1924 gründete Orff mit Dorothee Günther die Güntherschule für Gymnastik, Rhythmik und künstlerischen Tanz. Als deren musikalische Grundlage erarbeitete er sukzessive das Schulwerk.
Von 1950 bis 1960 leitete Orff eine Meisterklasse an der Hochschule für Musik in München. 1961 folgte die Leitung des Orff-Instituts in Salzburg.
Orff starb 1982 in München. Sein Grab befindet sich in der „Schmerzhaften Kapelle“ der Klosterkirche Andechs, wo jährlich ein Festspiel in seinem Namen stattfindet. In Dießen am Ammersee, wo Orff gelebt hatte, erinnert das Carl-Orff-Museum an ihn.
Orffs Frühwerke orientieren sich an Debussy, Ravel, aber auch an der Harmonik des Schönbergkreises. Die Beschäftigung mit der Alten Musik führte ihn zu einer zeichenhaft eingesetzten Musik, die fast immer Teil einer Einheit von Sprache und Bewegung ist.
Orff komponierte Werke, die zwei Kulturkreisen angehören: Dem Bayerischen und dem Antik-mediterranen. Sonderstellungen nehmen die "Carmina burana" und "Die Kluge" ein, deren Musik stellenweise mit stilisierter bayerischer Volksmusik zu tun hat, die aber beide thematisch und über weite Strecken auch musikalisch nicht "typisch bayerisch" sind und auch nicht zum Kreis der antiken Stücke gehören.
Die bayerischen Werke sind:
Der Mond (1933; mehrere Fassungen)
Die Bernauerin (1947)
Astutuli (1953)
Comoedia de Christi Resurrectione (1956)
Ludus de nato Infante mirificus (1961)
Die Werke des Antik-mediterranen Kulturkreises sind:
Catulli Carmina (1943)
Antigone (1949)
Trionfo di Afrodite (1953)
Oedipus der Tyrann (1959)
Prometheus (1968 )
De temporum fine comoedia (1973)
"Carmina burana", "Catulli carmina" und "Trionfo di Afrodite" hat Orff zu "Trionfi" zusammengefasst, wobei sich der Bogen vom Liebeswerben ("burana") über Liebesprobleme ("Catulli") bis hin zum antiken Hochzeitsfest ("Trionfo") spannt.
Die Musik Orffs ist dabei scheinbar simpel: Basis sind Ostinati, als unveränderte Wiederholungen einer rhythmischen Figut, die Singstimmenführung ist vom Gregorianischen Choral beeinflußt, d.h., daß Orff Rezitationstöne verwendet, die er über Einschwing-Figuren erreicht und mit einer spezifischen Schlußwendung verläßt (oder bestätigt).
Bei genauerem Hinsehen ist Orffs Harmonik vor allem in den Spätwerken nicht ansatzweise so simpel, wie man vermuten würde. Schon im "Trionfo" gibt es Cluster und Wendungen, die sich von jeder herkömmlichen Tonart lösen.
Den Höhepunkt dieser Schreibweise erreicht Orff in seinem für mich radikalsten und besten Werk, "Prometheus", in dem er des altgriechischen Text durchgehend rhythmisiert, aber zumeist sprechen lässt; das Orchester mit vielen Bläsern, einem Arsenal an Schlagzeugen (in der Percussion gibt sich die ganze Welt symbolisch ein Stelldichein, um an der Passion des Feuerbringers teilzunehmen) und einer elektronischen Orgel sekundiert mit liegenden oder schwirrenden Klängen, auch mit peitschenden Akzenten und vorantreibenden Ostinati. Und nur an ganz wenigen Stellen erheben sich die Stimmen zum deklamierenden Gesang.
Eine grandiose Vision vom Ende der Welt verfaßte Orff dann in seinem letzten großen Werk, "De temporum fine comoedia" - "Spiel vom Ende der Zeiten": Die Prophezeihungen vom Ende der Welt gehen in Erfüllung, Satan bittet Gott um Vergebung, die gewährt wird - ein endloser Kanon suggeriert einen Zustand ohne Emotion, gleichsam ein Nirwana. Herbert von Karajan hat das Werk bei den Salzburger Festspielen ur- und leider auch alleinaufgeführt. Gerüchten zufolge soll sich Karajans Begeisterung über das Werk in ebenso engen Grenzen gehalten haben wie Orffs Begeisterung über Karajans Dirigat. Dennoch beweist die (derzeit leider nicht erhältliche) Aufnahme, dass es sich um ein sehr starkes Werk von nahezu ritueller Kraft handelt, das Karajan mit gewohnter Exaktheit und für ihn ungewöhnlicher Klangschärfe umsetzt.
Welche Erfahrungen habt Ihr mit dem Orff jenseits der "Carmina burana" - und habt Ihr auch das Gefühl, dass die "Carmina burana" Orffs bekanntestes, nicht aber Orffs bestes Werk sind?