Der Thread ist mir eingefallen aufgrund einer Diskussion mit GiselherHH über Gunther Schuller, in deren Verlauf der Kurzstueckmeister meinte, es gäbe gar nicht so viele US-Komponisten, die in den 20er-Jahren geboren wären.
Ich will mich in diesem Thread nun mit Euch unterhalten über die E-Musik in den USA - bei uns ist sie ja nahezu unbekannt, wenn man von ein paar Minimalisten absieht. Und natürlich von den beiden großen Gestalten der Neuen Musik John Cage und Morton Feldman.
Charakteristisch für die Musik der USA ist, daß sie cum grano salis aus zwei Richtungen besteht: Einer experimentellen, die sich auf Charles Ives als Urvater beruft, und einer am Publikumsgeschmack orientierten, die sich auf Charles Ives als Urvater beruft.
Moment, da stimmt was nicht...
Nein, es stimmt: Ives deckt mit seinem Werk eine derartige Breite an Möglichkeiten ab, daß sich jeder das heraussuchen kann, was ihm am besten paßt.
Nur, daß zahlreiche Komponisten, deren Werk in den von mir abgesteckten Zeitraum fällt, wirklich rein amerikanisch ausgebildet sind. Sehr viele gingen nach Paris und ließen sich dort von Nadia Boulanger im Neoklassizismus indoktrinieren.
Dadurch entstand, in Verbindung mit pathetischer Klanggestik fast etwas wie ein Einheitsstil - gar nicht weit entfernt von jenem Stil, den die Sowjetbehörden ihren Komponisten vorschrieben.
Vertreter dieser Richtung sind unter sehr vielen anderen
- Aaron Copland (der in seinen letzten Werken aber auch mit Reihen experimentierte)
- Roy Harris
- William Schuman
- David Diamond
- Samuel Barber
Eine Zwischenposition nimmt Leonard Bernstein ein, der sowohl kommerzielle Musicals schreiben konnte als auch Symphonien mit komplexer Tonsprache ("Kaddish") - und so flotte wie intelligente Musik für den Konzertsaal ebenso ("Divertimento").
Ebefalls in die "Zwischengruppe" gehören Ned Rorem, der nicht nur zahlreiche Lieder komponierte und mitunter mit Tonreihen arbeitet, und Dominick Argento, ein Schüler von Luigi Dallapiccola, der aus Zwölftonreihen weit ausschwingende Melodien destilliert, aber keineswegs immer auf zwölftöniger Basis schreibt.
Die Facetten der amerikanischen Avantgarde sind so mannigfaltig, daß man sie gar nicht aufzählen kann: John Cages Aleatorik gehört hierher, Forton Feldmans Minimalismus, der sich vom Minimalismus eines Steve Reich ebenso unterscheidet, wie dieser vom Minimalismus eines Philip Glass.
Dazu kommt George Crumb, der eine "magische Musik" anstrebt und Klangzeichen setzt im Versuch, kosmische Ereignisse klangsymbolisch zu erfassen.
John Eaton wiederum komponiert mikrotonal und wirft Klangballungen gegeneinander.
Henry Brant komponiert denkt Ives konsequent weiter und komponiert "Raummusik" mit Orchestergruppen in räumlicher Verteilung mit genauen Spielanweisungen, innerhalb derer es Wahlmöglichkeiten gibt.
Und dann wären da noch die beiden großen alten Herren der Avantgarde: Der Serialist Milton Babbitt, der fast nur Kammermusik komponiert hat, und Elliot Carter mit seinen ausgefeilten rhythmischen Verwandlungssystemen, die er mit einer frei angewendeten Zwölftontechnik kombiniert.
Und dann gäbe es da noch die amerikanische Oper, für die der sehr erfolgreiche Menotti mit italianisierender Kantilene und eingeschrägter tonaler Harmonik das Modell abgibt. Carlisle Floyd, Robert Ward und zahlreiche andere folgen dem Modell, eine Handlung in der Nähe des Thrillers mit einer amerikanisierten Italianità zu verbrämen.
Leonard Bernsteins Traum, eine Amerikanische Oper auf der Basis des stilisierten Jazz zu schaffen, hat sich nach Gershwins "Porgy and Bess" nie wirklich realisiert - sieht man von Bernsteins eigenem "Quiet Place" einmal ab. Schule gemacht hat dieses Werk allerdings nicht.
Womit ich jetzt einmal auf Eure "amerikanischen Erfahrungen" gespannt bin.