Carlos Kleiber - sein Vermächtnis

  • "Ich fürchte, daß ich in meinem Leben nicht noch einmal einen solchen Tristan hören werde.


    Das war der wahre "Tristan".


    Carlos Kleiber hat die Musik zum Sieden gebracht, den ganzen Abend lang (was einen endlosen Beifall auslöste).


    Er ist ohne Zweifel der größte Dirigent unserer Zeit ... Alle Sänger waren ebenfalls auf Wagnerscher Höhe und haben uns begeistert.


    Eine "Sternstunde" im vollen Sinne des Wortes.


    Inszenierung und Bühnenbild waren für meinen Geschmack ein bisschen klischeehaft und mittelmäßig, aber das störte mich überhaupt nicht.


    Nach der Vorstellung überredete mich Kosta Metaxas, meine Eindrücke dem Dirigenten mitzuteilen. Der sah ziemlich deprimiert und mit sich unzufrieden aus.


    Ich sagte meine Meinung und plötzlich sprang er wie ein Kind vor Freude fast in die Luft: "Also wirklich gut?" Ein solcher Titan und so unsicher!"


    Svjatoslav Richter, Tagebucheintrag vom 11.8.1976



    "Endlich eine "Traviata" wie sie sein muß (wenn auch mit einigen skandalösen Strichen).


    Carlos Kleiber hat entdeckt, wie sie wirklich ist. Zum ersten Mal macht es mir ein echtes Vergnügen, diese Oper zu hören, für die ich bisher eher zwiespältige Gefühle hegte (...).


    Svjatoslav Richter, Tagebucheintrag 27.2.1976


    Beste Grüße
    Holger

  • Wenn du schreibst, dass zu Reiners Zeiten der Einfluss eines Interpreten nicht in erster Linie über Schallplatten wirkte, so muss ich widersprechen - allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass damals die Rundfunktübertragungen wegen des teuren Artikels LP noch einen höheren Stellenwert hatten als heute. Aber Interpreten wirken immer nur über ihre Wiedergabe und daher direkt oder über Medien.


    Generell habe ich keine Vorbehalte gegenüber Reiners Beethoven-Interpretationen, ich bin einfach nur der Meinung, dass die "entscheidende Prägung" dieser Einspielungen auf die Musikwelt ein Märchen ist. Das mag bis zu einem gewissen Grad in Amerika der Fall gewesen sein, wo die Konkurrenz nicht so zahlreich war und auch etwas später einspielte, aber für Europa gilt das meines Erachtens überhaupt nicht.


    o.k., das mag alles so sein. Ich meinte ohnehin etwas anderes mit "prägend". Nämlich nicht in erster Linie, dass viele Funk- oder Plattenhörer diese als "Standardinterpretationen" kennen gelernt haben. Sondern: "andere Dirigenten oder Interpretationshaltungen prägend". Denn das geschah ziemlich sicher bis über die Mitte des 20. Jhds. hauptsächlich durch persönlichen Kontakt, Ausbildung, Assistenzen, Erleben im Konzert usw. So etwas wie Schlagtechnik und auch viele andere Subtilitäten der Interpretation wird man kaum von Schellackplatten gelernt haben.


    Und auch der Publikumsruhm dürfte bis in die 1930er (also etwa bis zur Halbzeit der professionellen Karriere Reiners) hauptsächlich durch live-Erlebnisse bestimmt gewesen sein.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Man könnte zu Sj. Richters Tagebucheinträgen anmerken, daß Claudio Arrau 30 Jahre vorher z.B. ganz ähnlich über Furtwänglers (damals sehr ungewöhnlichen) Studio-Tristan geurteilt hat.


    Es steht also zu fürchten, daß jede Generation aufs neue ihre one tristan to end all tristan-Epiphanie durchläuft - wobei die ungerechte Verabsolutierung der einen zur einzig gültigen Aufnahme mehr mit der momentanen Verfassung des Hörers als der Einspielung selbst zu tun hat.


    Noch deutlich wird das bei Richters Traviata-Eloge. Denn es wäre ja barer Unsinn, würde man an Kleibers Dirigat zu beweisen versuchen, daß hier die Überwindung eines grundsätzlichen Zwiespalts gelänge, der dem Werk gegenüber im Hörer besteht. - In der Tat ist Kleibers Traviata mustergültig unoriginell, bis in die Haarspitzen werkgerecht, sozusagen das akustische Gegenbild einer risikolos konventionellen Inszenierung (übrigens teilt sich die Traviata mit dem Tristan eine gewisse Glätte der Politur, was aber dem emphatischen Hörgenuß offenbar keinen Abbruch tut).


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich habe die Kleibersche Traviata zwar, kenne mich jedoch zu schlecht bei Verdi-Opern aus, um das beurteilen zu können.
    Allerdings gibt es auch Stimmen, die sie keineswegs für konventionell für sehr unidiomatisch (u.a. zu schnell, unflexibel und forciert) halten. In der englischsprachigen Gruppe rec.music.classical.recordings etwa lässt David Gable (der bei Rosen in Chicago über Verdi promoviert wurde und sich in der Diskographie ganz gut auszukennen scheint) seit Jahren kein gutes Haar an dieser Einspielung (über eine Google-Suche leicht rauszufinden). Das mag natürlich letztlich ebenso ein persönlich geprägtes Urteil sein wie Richters. (Letzterer ist übrigens nur gut 10 Jahre jünger als Arrau, insofern nicht unbedingt eine andere Generation.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Theophilus,


    bei Reiner gehören vor allem seine Beethoven 5 und 7 zur absoluten Top-Kategorie. Als Reiners Aufnahmen erschienen sind, da wuselte man mit Karajan und Klemperer noch im bescheidenen Mono herum, während Reiner sie schon (aber nicht nur) klangtechnisch überragte.

    Das stimmt ja gar nicht! Für den Konsumenten gab es keine hörbaren Unterschiede, denn es gab ja nur Mono-Schallplatten zu kaufen! Während die RCA im März 1954 begann, Studio-Aufnahmen auch in Stereo zu machen, blieb das der Musikwelt weitgehend verborgen, da es ja noch keine Möglichkeit gab, diese Aufnahmen außerhalb des Tonstudios in Stereo zu hören.


    Bei den Schallplatten sollte es noch Jahre dauern! 1958 brachte die Western Electric Company den legendären und bahnbrechenden Westrex Stereo Disc Cutter auf den Markt. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte die Produktion von Stereoplatten in Angriff genommen werden. Die ersten kamen Ende 1958 auf den Markt, so richtig ging es dann 1959 los - aber da hatten natürlich schon alle Majors ausreichend Erfahrung mit Stereoaufnahmen. Der Konsument bekam damals den technologischen Vorsprung von RCA praktisch überhaupt nicht mit. Die Ausnahme davon bildete eine kleine Gruppe potenter Musikhörer in den USA. Denn dort kamen 1955 die ersten Stereo-Tonbandgeräte auf den Markt. Um den Verkauf dieser teuren Geräte etwas anzukurbeln, veröffentlichte die RCA einige ihrer Stereo-Schätze als bespielte Tonbänder. Das war allerdings insgesamt ein ziemlich teurer Spass, der einem entsprechend kleinen Publikum vorbehalten blieb.


    Unabhängig von deiner (und anderer) heutigen Meinung hatte Fritz Reiner mit seinem Beethoven in den 60ern und 70ern in Mitteleuropa keinerlei Bedeutung. In dem von JR gerne zitierten Werk von Ulrich Schreiber, das eine recht gute Bestandsaufnahme der 70er darstellt, wird er nicht einmal erwähnt!


    Es ist nicht ohne Ironie, dass Fritz Reiner mit seinen Aufnahmen über eine Hintertür wieder ins Bewusstsein der Musikliebhaber schlüpfte. Als nämlich im Laufe der 70er der HiFi-Boom seinem Höhepunkt entgegenstrebte und sich die Kategorie der Audiophilen etablierte, begann die explizite Suche nach klanglich hochwertigen Tonaufzeichnungen. Und beim Plündern der Flohmärkte stellte man verblüfft fest, dass es uralte Platten der ersten Stereo-Stunde gab, die erstaunlich besser klangen als das Gros der aktuellen Multimikrophonie-Produkte. Reihen wie RCA Living Stereo, Mercury Living Presence und vieles von Decca hatten um 1960 eine Klangqualität, die zwanzig Jahre später bei der Massenproduktion in den Studios irgendwie verloren gegangen war. Und da tauchte plötzlich sehr häufig der Name Fritz Reiner auf. Platten wie Schehezerade, Also sprach Zarathustra, The Reiner Sound und andere wurden geradezu zu Kultobjekten, die am Gebrauchtmarkt phantastische Preise erzielten. Das führte sogar dazu, dass im Zeitalter der CD viele dieser Platten in möglichst originaler Ausstattung mit höchstem Aufwand wieder in Vinyl produziert wurden und sich sehr teuer recht gut verkauften.


    Um noch einmal auf Reiners Beethoven zurück zu kommen. Könntest du mir erläutern, was deiner Meinung nach bei Reiner besser ist als es zum Beispiel etwas vorher bereits von Erich Kleiber vorgezeigt wurde?



    Zitat

    zu Mahler:


    Dann frag mal die Wiener Philharmoniker, wie sie Mahler vor Bernstein komplett aufführen konnten!

    Diese Frage stellte sich überhaupt nicht! Die Wiener haben sich vor Bernstein grundsätzlich nicht um eine komplette Mahler-Aufführung gekümmert. Mahler war für sie spezielles Programm mit ausgesuchten Dirigenten (Walter, Mitropoulos, später Mehta). Sie haben ihn generell sehr wenig gespielt. Als dann Mahler so richtig in Mode kam und mehrere Plattenfirmen die Zeit für eine Gesamtaufnahme gekommen sahen (und Bernstein war lediglich der erste im Quartett mit Haitink, Kubelik und Solti, der seinen Zyklus finalisieren konnte), gab es vorerst für die Wiener überhaupt keine Möglichkeit für einen Mahler-Zyklus. Denn sie waren Exklusiv-Partner der Decca, und dort bastelte Solti bereits an seinem Mahler-Zyklus mit anderen Orchestern...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Carlos Kleiber, zu dessen heutigem Geburtstag ich diese Box ausgesucht habe, wurde am 3. Juli 1930 geboren und starb am 13. Juli 2004:



    Er wäre heute 85 Jahre alt geworden.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Den Tag abgeschlossen habe ich mit einer meiner Lieblingsaufnahmen von Carlos Kleiber:



    Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 36 C-dur KV 425, "Linzer"
    Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-dur op. 73
    Wiener Philharmoniker
    Dirigent: Carlos Kleiber
    AD: Oktober 1991, live


    In diesem herrlichen Konzert wurde nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar, wie Carlos Kleiber dirigierte, wie er mit seinen Armen, teilweise auch mit seinen Fingern, den Verlauf, den Rhythmus und auch die Dynamik des musikalischen Ablaufs in die Luft zeichneete, für jedermann sichtbar und von den Musikern begierig aufgesogen. Auch wenn er viel weniger aufgenommen hat als Andere, zu ihm pilgerten sie wie zu Celibidache in München und ungefähr zur gleichen Zeit zu Günter Wand in Hamburg, Lübeck, Berlin und ebenfalls München. Jedes seiner Konzerte war ein singuläres Ereignis. Er war ein Pultmagier im besten Sinne.
    Um bei diesem Konzert zu bleiben. Er dirigierte das groß besetzte Wiener Orchester in der Linzer Sinfonie leicht und präzise wie ein Kammerorchester und zeigte doch gleichzeitig, wie groß Mozarts sinfonische Musik schon war. Wie armselig klingen dagegen doch heute manche Aufnahmen von Kammerorchestern, in tradtionerller oder in Originalklangphilosophier.
    Die Zwiete Brahms war ein wahrer Genuss, und ich wüsste nicht, wer das toppen sollte, auch nicht aus meiner eigenen reichhaltigen Sammlung.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Vor zehn Tagen war sein Geburtstag. Heute ist sein Todestag. Dazu habe ich diese Aufnahme ausgesucht, die ich gleich hören und sehen werde:



    Heute ist sein 11. Todestag.



    Liebe Grüße


    Willi :)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Die o. a. DVD habe ich soeben gehört und gesehen:



    Ludwig van Beethoven: Ouvertüre "Coriolan" op. 62
    Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 33 B-dur KV 319
    Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 4 e-moll op. 98

    Bayerisches Staatsorchester
    Dirigent: Carlos Kleiber
    AD: Oktober 1996, Herkulessaal München, live


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Heute habe ich zu Tagesbeginn aus einer Neuerwerbung den ersten Akt gehören und gesehen:



    Richard Strauss: Der Rosenkavalier


    Die Feldmarschallin: Felicity Lott
    Ochs auf Lerchenau: Kurt Moll
    Octavian: Anne Sofie von Otter


    Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
    Dirigent: Carlos Kleiber
    Regie: Otto Schenk
    AD: März 1994


    Es ist mir aufgegangen,, wie lange ich den Rosenkavalier nicht mehr gehört habe, und vor vielen Jahren habe ich ihn einmal im Fernsehen gehört und gesehen. Dabei habe ich seit Jahren Böhm und Bernstein mit dem Rosenkavalier in meiner Sammlung, doch nun habe ich die erste Aufnahme auf DVD und dann mit Kleiber, und die zweite DVD ist unterwegs, von der Bayerischen Staatsoper, ebenfalls mit Kleiber. Herz, was willst du mehr?


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Ich sehe in Kleiber einen selbstgefälligen, zerrissenen, sich selbst Inszenierenden Dirigenten, der es schaffte Aufmerksamkeit auf sich zu fokussieren, durch seine Launen, seine Absagen, sein sich "rar" machend.

    Anlässlich der Besprechung des Neujahrskonzertes unter Thielemann hat Alfred auf diesen Thread verwiesen, in dem sich lange Zeit nichts mehr getan hat. Allerdings gab es seitdem auch keine Veröffentlichungen mehr, die dazu einen Anlass gegeben hätten. Ich habe mir jetzt mal wieder Kleibers Aufnahme von Beethoven 4. Sinfonie angehört und muss sagen, dass diese nichts von ihrer Funken sprühenden Energie verloren hat. Ich verstehe gar nicht, warum Alfred diese Aufnahmen lächerlich nennt? Auch klanglich finde ich sie ganz wunderbar.


    Für mich persönlich ist sein Repertoire allerdings zu begrenzt.


  • Carlos Kleiber, dessen Todestag sich am 13. Juli 2024 zum 20. Mal jähren wird, hinterließ tatsächlich lediglich neun Studioeinspielungen, die im relativ kurzen Zeitraum zwischen 1973 und 1982 entstanden. Die letzte Studioproduktion war der "Tristan" von Wagner. Es gab noch einige spätere Live-Mitschnitte, die berühmtesten fraglos die beiden Wiener Neujahrskonzerte 1989 und 1992. Die letzte professionell festgehaltene Kleiber-Aufnahme dürfte ein auf Video gebanntes Konzert mit dem Bayerischen Staatsorchester vom 21. Oktober 1996 sein (bei DG auf DVD erschienen, s. u.). Im selben Jahr gab es "Audi 8 gegen Opus 98", wie "Der Spiegel" berichtete. Sein letztes Konzert überhaupt dirigierte Kleiber am 26. Februar 1999 in Cagliari, Sardinien (als mediokrer "Piratenmitschnitt" im Umlauf).


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eigentlich unfassbar, dass es ihm mit nur neun (!) Studioeinspielungen gelungen ist, so einen Ruf aufzubauen. Im Vergleich dazu hat ABM ja am Fließband produziert ;-)


    Es gab auch kaum Kleiber-Konzerte, in die man gehen konnte, ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass ich in den 90er Jahren in München irgendwo mal eine Ankündigung gesehen hätte. Das wäre mir aufgefallen. Ich habe nur immer mal wieder in der Zeitung von sehr abgelegenen Konzerten gelesen, die Kleiber irgendwo am Ende der Welt dirigiert hat. Zum Beispiel auf Las Palmas! Was oder wer auch immer ihn dorthin eingeladen hat. Das Konzert soll toll gewesen sein, so damals die FAZ. Es wurde auch gemunkelt, dass ihn der Medienmogul Leo Kirch für ein Konzert zu seinem Geburtstag engagiert hat. Kirch war wohl ein Liebhaber klassischer Musik, viele Aufzeichnungen klassischer Musik sind in einer seiner Firmen entstanden und werden heute noch von der Unitel GmbH vertrieben, die aus der Insolvenzmasse hervorging.


    Der oben verlinkte Spiegel-Artikel ist ja ganz wunderbar, vielen Dank! Den kannte ich noch nicht.

  • Ich kann mich noch ziemlich genau an den Hype erinnern, mit dem Kleibers Wirken bekleidet wurde. Einen Hype, der auch in Kreisen um sich griff, die Beethovens Vierte nicht von der Sechsten unterscheiden konnten. Kleiber hätte "Hänschen klein" dirigieren können und wäre dafür gefeiert worden. Auch die bunten Blätter bedienten sich bei ihm. Es wurden phantsitische Geschichten über seine exorbitanten Gageforderungen verbreitet. Dabei geriet seine außerordentliche künstlerische Bedeutung auch schon mal in den Hintergrund. War ich auch angesteckt? Vielleicht. Mich interessierten vor allem seine Opernproduktionen. Der Dresdener Platten-"Freischütz" war wie einst die Uraufführung wirklich in aller Munde. Er später ging mir auf, dass nicht alles hielt, was es versprach. Er agierte teils so extren, dass man gut beraten war - und ist - immer auch Alternativen zur Seite zu haben. Das würde ich so auch von der "Fledermaus" oder dem "Tristan" sagen. Leider habe ich ihn nie live gehört. Ich müsste mir wieder mal Aufnahmen vornehmen. Ein Magier war er.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Carlos Kleibers Perfektionismus trieb mitunter kuriose Blüten. Im Oktober 1978 wurde er vom renommierten Chicago Symphony Orchestra für ein Gastkonzert eingeladen. Es gab "das Übliche": Webers "Freischütz"-Ouvertüre, Schuberts Dritte (zu der er eine interessante Beziehung hatte) und Beethovens Fünfte. Der Dirigent ließ sich versichern, dass das Konzert im Rundfunk lediglich innerhalb der USA ausgestrahlt würde. Offenbar fürchtete er ungünstige Kritiken in der Heimat. Jedenfalls gelangte der Radiomitschnitt bereits damals auf undurchsichtigen Wegen dennoch bis nach Europa und kursierte in Sammlerkreisen. Bei einer späteren Rückkehr nach Chicago (1983) soll Kleiber deshalb höchstpersönlich das Abmontieren der Mikrophone überwacht haben. Die Zusicherung, es würde diesmal ohnehin nicht mitgeschnitten, reichte ihm nicht aus. Der Schubert und der Beethoven vom 1978er Konzert kamen später übrigens (erstaunlich gut klingend) auf CD heraus (die "Freischütz"-Ouvertüre steuerte man aus Wien bei). Diese Rarität liegt mir seit zig Jahren vor. Es ist wohl an der Zeit, einmal wieder hineinzuhören.


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    – Luís de Camões

  • Immer die gleichen Werke, das erinnert an ein Gefängnis ohne Fluchtmöglichkeit. Es gibt wohl noch Mitschnitte der zweiten Brahms-Symphonie und 2014 ist eine Aufführung von Mahlers Lied von der Erde aufgetaucht.


    Auf Wikipedia habe ich soeben gelesen, dass die Berliner ihn als Nachfolger Karajans haben wollten, was er jedoch ablehnte.

  • Kleiber hätte "Hänschen klein" dirigieren können und wäre dafür gefeiert worden.


    Ich habe nur immer mal wieder in der Zeitung von sehr abgelegenen Konzerten gelesen, die Kleiber irgendwo am Ende der Welt dirigiert hat.


    Auch die bunten Blätter bedienten sich bei ihm. Es wurden phantsitische Geschichten über seine exorbitanten Gageforderungen verbreitet.


    Er später ging mir auf, dass nicht alles hielt, was es versprach.


    Der Dirigent ließ sich versichern, dass das Konzert im Rundfunk lediglich innerhalb der USA ausgestrahlt würde. Offenbar fürchtete er ungünstige Kritiken in der Heimat.


    Bei einer späteren Rückkehr nach Chicago (1983) soll Kleiber deshalb höchstpersönlich das Abmontieren der Mikrophone überwacht haben. Die Zusicherung, es würde diesmal ohnehin nicht mitgeschnitten, reichte ihm nicht aus.

    Nach all diesen Zitaten ist es wohl nicht nötig ein eigenes Statement hinzuzufügen, über die offensichtliche Tatsache hinaus, daß er ein Spinner und Blender war und er mich deshalb anwiderte. Ich besitze dennoch drei Aufnahmen von ihm: Den Freischütz (heute gestrichen), dessen Kritiken eher durchwachsen waren und die "Traviata"

    Beides OK - aber ein Ausnahmestatus wäre angesichts der guten Konkurrenz eher übertrieben. Und dann noch Beethovens Sinfonie Nr 5 - weger der Lobeshymnen hier im Forum, die ich allerdings nicht nachvollziehen konnte. Durchwegs gute Aufnahmen - nicht mehr und nicht weniger.......


    mfg

    aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Nach all diesen Zitaten ist es wohl nicht nötig ein eigenes Statement hinzuzufügen, über die offensichtliche Tatsache hinaus, daß er ein Spinner und Blender war

    Ich finde, dass sich aus den Zitaten auch ganz andere Schlüsse ziehen lassen. Offensichtlich ist diese Folgerung keineswegs.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich finde, dass sich aus den Zitaten auch ganz andere Schlüsse ziehen lassen.

    Wenn man nur will - lassen sich so ziemlich aus allem , jene Schlüsse ziehen, die man ziehen will....

    Karajan wäre hier übrigens ein gutes Beispiel .....

    (gutes Thema im Karajan Thread....)


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Vielleicht wurde diese sehenswerte Doku hier noch nicht eingestellt, man sollte sie kennen, bevor man ihn einen Blender nennt. Das ist natürlich Unsinn:



    Man kann das Video offenbar nur direkt auf youtube ansehen. Vor allem die legendären Stuttgarter Proben sind sehr sehenswert und auch was Kollegen wie M. Gielen und Manfred Honeck über ihn sagen.

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  • Auf Wikipedia habe ich soeben gelesen, dass die Berliner ihn als Nachfolger Karajans haben wollten, was er jedoch ablehnte.

    Das, lieber Christian, höre ich tatsächlich zum ersten Mal. Da ist ein Kelch an den Berliner Philharmonikern vorübergegangen, um es mal etwas pathetisch zu formulieren. Wie hätte das funktionieren sollen? Dagegen wäre Celibidache ja geradezu handzahm gewesen. :pfeif:

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    – Luís de Camões

  • Wie hätte das funktionieren sollen?

    Auf Wikipedia werden zwei Biografien als Quelle genannt. Schwer vorstellbar bei seinem schmalen Repertoire. Viel interessanter als diese Frage - ich war selber erstaunt davon zu lesen - ist aber die oben eingestellte Doku von Eric Schulz, die hier direkt noch nicht verlinkt war. Absolut sehenswert!

  • Hier noch die komplette Probe 1970, das ist von der sprachlichen Visualisierung schon ziemlich einmalig, er findet immer neue Bilder („etwas mehr Nikotin“…) um seine Vorstellungen dem Orchester nahe zu bringen.


  • Schwer vorstellbar bei seinem schmalen Repertoire.

    Man sollte da vielleicht etwas genauer sein: Im Laufe seines Lebens hat er eine Unmenge an Opern, Operetten, Balletten und Konzertprogrammen dirigiert, vom Barock bis zur Gegenwartsmusik (z.B. Henze). In der Biographie von Alexander Werner wird vieles davon genannt, leider nicht als Übersichtsliste. Wie bekannt hat er allerdings erstens nur wenige Aufnahmen hinterlassen und sich zweitens mit zunehmendem Alter sowohl bei der Anzahl der Konzerte als auch bei der Auswahl der Werke immer mehr eingeschränkt. Die Tragik lag im Kern wohl darin, dass er Vorstellungen von der Musik gehabt haben muss, die jenseits alles Realisierbaren lagen, und dass ihn diese Diskrepanz gequält und zutiefst unglücklich gemacht haben muss, bis er sich schließlich völlig zurückzog und anscheinend seinem Leben bewusst ein Ende setzte.

  • Im Laufe seines Lebens hat er eine Unmenge an Opern, Operetten, Balletten und Konzertprogrammen dirigiert, vom Barock bis zur Gegenwartsmusik (z.B. Henze).

    Der eben schon erwähnte Alexander Werner schreibt auf jpc.de: ''Nie wieder sollte C. K. ein solch reiches Repertoire dirigieren wie ab 1960 als Kapellmeister an der 'Dt. Oper am Rhein'''


    Die erste dort von ihm betreute Premiere sind drei Offenbach-Einakter gewesen (die sich dann c. 25 J. lang im Repertoire gehalten haben!), und die Aufführung v. 01.12.1962 ist mitgeschnitten worden. Was davon für uns heute auf dieser Doppel-CD



    zu hören ist, ist klanglich zwar einigermaßen bescheiden (aus Gründen, die ich beizeiten auf Nachfrage gerne erläutere) - was die Musik angeht, allerdings auch nicht derart schwach, dass dieser Mangel allen, die auch nur halbwegs ernsthaft an seltenen Offenbach- oder Kleiber-Aufnahmen interessiert sind, vom Kauf abhalten sollte. Den gesprochenen Texten zu lauschen, dürfte dann tatsächlich auf Dauer zu anstrengend sein, aber damit müsste zu leben sein . . .


    :hello:

    Unvernünftige Klugheit, unkluge Vernunft. Energie ohne Grundsäze, Grundsäze ohne Energie. Strenge ohne Menschlichkeit, Menschlichkeit ohne Strenge. Heuchlerische Gefälligkeit, schaamlose Unverschämtheit, altkluge Jungen, läppische Männer. Man könnte fortsezen von Sonnenaufgang bis Mitternacht und hätte kaum ein Tausendtheil des menschlichen Chaos genannt (Hölderlin, Brief an J. G. Ebel, 10.01.1797)

  • Ich habe von ihm Schubert 3+8, Brahms 4, Beethoven 5+7 ( DGG SACD ) Beethoven 5 ( Orfeo SACD ) und natürlich die Taviata ( SACD ). Vom Freischütz nur einen Querschnitt.


    Alle nehmen bei mir Spitzenpositionen ein. Kleiber mit dem CSO - das ist ja interessant, aber tatsächlich wohl kaum erhältlich.

  • Auf Wikipedia habe ich soeben gelesen, dass die Berliner ihn als Nachfolger Karajans haben wollten, was er jedoch ablehnte.

    Lieber Christian,


    dass Carlos Kleiber zum Nachfolger Herbert von Karajans nominiert worden war, ist für mich auch neu, aber dass sein Name als Nachfolgekandidat des Öfteren fiel, ist mir noch in Erinnerung. Ich kann mich an einen Kommentar erinnern in einer Zeitschrift, in der klassische Musik einen großen Raum einnahm (könnte "Fono Forum" gewesen sein), in der es hieß "bitte nicht Kleiber" wegen seines eingeschränkten Repertoires und wegen seines "schwierigen Charakters".


    In dem Zusammenhang eine kleine Anekdote am Rande: Unter anderem sahen sich Lorin Maazel und James Levine wohl als potenzielle Nachfolgekandidaten und reagierten auf die Wahl von Claudio Abbado mit der Ankündigung, dass sie die Berliner Philharmoniker künftig nicht mehr dirigieren wollten (was beide nicht einhielten...).

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Kleiber mit dem CSO - das ist ja interessant

    Ist es auch. Auf dem Papier sogar großartig. Nachdem ich mir diese Aufnahme gestern Abend nach vielen Jahren abermals zu Gemüte führte, würde ich gleichwohl Einschränkungen machen wollen. Das Chicagoer Orchester (auf dem Höhepunkt der Solti-Ära) spielt natürlich famos und brilliert mit messerscharfer Attacke. Insgesamt ließ mich Kleibers Lesart aber merkwürdig ungerührt zurück. Technische Perfektion en masse, aber wenig Seele, mir persönlich zu unterkühlt und leichtgewichtig. Wer titanenhafte Erdenschwere sucht, ist hier definitiv fehlt am Platz. Im Finale gibt es tontechnisch einige Balanceprobleme der beiden Kanäle (zumindest in der Ausgabe beim Label Artists). In der Summe also ähnlich meinem Eindruck von der gehypten Studioeinspielung aus Wien, der sich mit Alfreds Einschätzung deckt:

    Und dann noch Beethovens Sinfonie Nr 5 - weger der Lobeshymnen hier im Forum, die ich allerdings nicht nachvollziehen konnte. Durchwegs gute Aufnahmen - nicht mehr und nicht weniger.......

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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