Richard Wagner - Zeitlose Kunstwerke oder Kitsch pur ?

  • Es ist ja wohl - auch unter Anhängern des Meisters unbestritten, daß sich seine Werke optimal zur Parodie eignen, schon Johnn Nestroy wusste das und nutzte es weidlich aus. In einem Boulevardfilm der dreissiger Jahre verkörperte die Schauspielerin Annie Rosar eine Kammersängerin, die auf Wagner spezialisiert war -so war als komische Figur gezeichnet mit dem berühmten "Wikingerhelm" und immer wenn sie ihren Schlachtruf übte - begann ein Hund zu bellen.......(oder zu jaulen - ich erinnere mich nicht mehr so genau...)


    Desungeachtet haben Wagners Opern an die 150 Jahre überdauert - ohne nennenswert Schaden genommen zu haben. Was Macht den Reiz dieser Werke aus. die IMO so zwischen Kitsch und Kunst pendeln - letztlich aber viele Modetrends überdauert haben. Ist es "nur" die Musik - oder sind die Textvorlagen "zeitlos" ?
    Warum hat sich eine "Wagnergemeinde" etabliert - aber beispielsweise keine für Bellini - oder Verdi ??


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich möchte mal vorausschicken, dass ich in die Wagner Threads nie reingeschaut habe, obwohl ich Wagner seit meiner Kindheit kenne. Sehr individuell gesagt, mochte ich Wagner bis zu meinem 18. Lebensjahr nicht, bis ich dann die meisten seiner Opern sah, und mich sein Schaffen völlig vereinnahmt hat.
    Abgesehen von der Polemik, die sich Wagner aus anderen Gründen zugezogen hat, würde ich persönlich mal die ganze Fragestellung umdrehen: wie kann es sein, dass die Werke eines Komponisten auf mehr oder weniger allen Operhäusern dieser Welt zum Standardrepertoire gehören, also in etwa von Sydney über Tokio bis S. Francisco, von Kapstadt bis Oslo? Kann sich die Menschheit irren?


    LG Michael : :hello:

  • Ich kann es nicht wissenschaftlich begründen, sondern nur aus dem Bauch raus - es gibt Stellen in seinen Werken, die einfach so ins Unterbewusste und unter die Haut gehen, wie es - zumindest bei mir - nur ganz selten andere Komponisten schaffen. Sei es jetzt die Gralserzählung, die Schmiedelieder, Vorspiel Meistersinge, Parsifal...


    Wenn man das Glück hat, wie in Wien ein Repertoiresystem zu haben, ist es recht einfach, den Unterschied zu bemerken. Da ist man sicherlich gerührt, wenn eine Cio-Cio-San oder eine Violetta im letzten Akt ihr Leben aushaucht, aber wenn dann am nächsten Tag ein Wagner kommt, bemerkt man, dass da - für mich - in einer anderen, tieferen und "menschlicheren" Kategorie gespielt wird. Und diese unterbewussten Grundwahrheiten sind für alle Menschen gleich.

    Hear Me Roar!

  • Hallo Alfred,
    meinst Du mit "Wagnergemeinde"den "Richard Wagner-Verein"?
    Oder die "Wagnerianer"? Oder die Wagnerfreunde im Forum?
    In Italien gibt es allerdings auch"Verdi,Vereine"z.B.in Busseto.
    "Wagnerianer" sind für mich eigentlich etwas negatives. Bei
    "Wagnergemeinde"denke ich an eine Religion.
    Der"Richard Wagner-Verein"ist, soviel ich weiß, ein Förderverein
    der Festspiele. Ich selber liebe die Musik Wagners, ohne die Musik
    fast aller anderen bedeutenden Komponisten weniger zu lieben.
    Von Kitsch kann, meiner Meinung nach bei Wagner absolut
    keine Rede sein.Ich plädiere eher für zeitlose Kunstwerke.



    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Lieber Alfred, ich picke mir mal besonders die Frage heraus: Warum hat sich eine Wagner-Gemeinde etbliert und keine für Verdi oder Bellini?
    Was meinst du mit Wagner-Gemeinde?????
    Willst du damit sagen, dass mehr Menschen Wagner als Verdi oder Bellini verehren?
    Wo ist das überprüft?????
    Ich kenne zumindest genug Menschen, die Wagner verabscheuen und Verdi und Bellini lieben und möchte eine solche Aussage nciht unwidersprochen stehen lassen. :no:
    Dass derjenige, der den grössten Rummel veranstaltet, auch letztlich der Beliebtere oder gar Bessere sein soll, bleibt noch zu beweisen!
    Siehe Tagespolitik......


    Ich bestreite nciht, dass Wagner ein unverrückbarer Meilenstein der Musikgeschichte ist und diesen Platz gestehe ich ihm auch mit allem Respekt zu. Das, damit bitte keine Miss-Verständnisse hier aufkommen!!!!!Ein Meilenstein war Bellini eher nicht, zumal er auch sehr jung gestorben ist und kein Megalomane und Ob(p)ernarziss war.
    Er hat einfach wunderschöne melodie lunghe komponiert und bei Wagner gibt es zwar auch molto lunghe aber aber das "wunder-" würde ich da zumindest nicht im mehrheitlichen Fall mit schön in Verbindung bringen..........
    Dass Verdi ebenfalls die Operngeschichte revolutioniert hat und mindestens soviele Fans wie Wagner hat, will doch wohl niemand ernsthaft bestreiten??????? :boese2:


    Wagner aber polarisiert in extremer Weise und das macht schon einen Gutteil der obsessiven und hysterischen Begeisterung und Publicity aus, die ihm zuteil wird.
    Jede Sorte von Guru-Tum schlägt viel höhere und heftigere Wellen als das "Normalere", "Bescheidenere" es je tun kann.
    Ein selbstverliebter Narziss weiss sich einfach anders in den Mittelpunkt zu setzen als ein zurückhaltender Mensch und so ergeht es der Musik des Herrn Wagner im Vergleich zu anderen Musiken dann auch.


    Die Leute lassen sich allzugerne von Getöse und Gedonnere in den Bann ziehen und leise Töne werden leider oft genug überhört.(Das heisst nciht, dass es bei Wagnr nciht AUCH leisere Töne gibt!!!) Die Schönheit von Bellinis Musik zu verstehen, verlangt aber viel subtilere Ohren als auf eine Tannhäuserouvertüre "reinzufallen."
    Nochmal: ich spreche dem Herrn nicht die musikalische Qualität ab, aber die demagogische Quantität steht dem in NICHTS nach.


    Ich habe in einem anderen Thread bereits zugegeben, dass ich ein äusserst ambivalentes Verhältnis zu Wagner habe.(Richard Strauss fuer Anfaenger) und will das hier jetzt nciht im Einzelnen wiederholen. Nur noch soviel: mir ist seine Musik in jeder Hinsciht zu MEGALO und sein persönlcihes Umwelt, seinen Kult, seine politischen Wirkungen, das gesamte Bayreuth-Umfeld und seine unsäglcihe Gattin nebst Schwiegertochter kann ich leider auch nciht von ihm selbst als Musiker trennen.
    All das zusammengenommen erzeugt leider in mir einen solchen Ekel, dass ich die positiven Seiten, die seine Musik auch für mich hat, nicht mehr unvorbelastet geniessen kann. X(
    Ab und an mal eine Arie oder eine Ouvertüre und dass reicht dann wieder für mindestens ein halbes Jahr.
    Dieser Gemeinde werde ich jedenfalls niemals beitreten und weder Verdi noch Bellini haben eine solche Guru-Kirmes nötig!
    So nun gibt es genug provokatives Material um auf mch einzuprügeln und ich ziehe schonmal prophylaktisch meine geharnischte Walkûrenuniform über. :untertauch:
    Leider ist auch die mir sehr viel zu gross, die gibts nämlich auch erst ab Grösse 44, ........ :baeh01:
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    Bei Wagnerallergie Typ I darf ich eine Hyposensibilisierungstherapie (intrakutan, sublingual, oder am besten intraaurikulär) empfehlen.


    Zitat

    mir ist seine Musik in jeder Hinsciht zu MEGALO und sein persönlcihes Umwelt, seinen Kult, seine politischen Wirkungen, das gesamte Bayreuth-Umfeld und seine unsäglcihe Gattin nebst Schwiegertochter kann ich leider auch nciht von ihm selbst als Musiker trennen.


    Du scheinst die Familie gut zu kennen, nehme ich an, oder?


    Zitat

    All das zusammengenommen erzeugt leider in mir einen solchen Ekel, dass ich die positiven Seiten, die seine Musik auch für mich hat, nicht mehr unvorbelastet geniessen kann.

    Sag, was hat er Dir angetan- ich werde Dich rächen!


    Zitat

    So nun gibt es genug provokatives Material um auf mch einzuprügeln und ich ziehe schonmal prophylaktisch meine geharnischte Walkûrenuniform über.

    Na alsdann,geht ja eh!

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Was Macht den Reiz dieser Werke aus. die IMO so zwischen Kitsch und Kunst pendeln - letztlich aber viele Modetrends überdauert haben. Ist es "nur" die Musik - oder sind die Textvorlagen "zeitlos" ?
    Alfred


    Für mich ist es "nur" die Musik, weil sie m.E. nichts künstlich-intellektuelles an sich hat - sie spricht direkt den Bauch an, weniger Kopf, Herz und Seele.


    Die Handlungen sind teils historisch angehaucht, teils zeitlos, der Text selbst grenzt oft ans Lächerliche.


    Ich habe - wohl oder übel - gelernt, den Komponisten Wagner vom Menschen Wagner zu trennen.


    Austria


    PS: zur Verdeutlichung meiner Einteilung: z.B. Bach = Kopf, Mozart = Herz, Mahler = Seele. Bruckner ist eine Mischung zwischen Bauch+Seele ;-)

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Lieber Alfred,


    pünktlich zu Wagners Geburtstag startest Du einen Thread zu einer Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe.


    Antwort habe ich keine, schon deswegen, weil ich nicht weiß, was denn die Wagner-Gemeinde nun so besonders schätzt. Die Musik oder den weltenweisen Weihrauchduft? Wobei ich mir denken kann, dass Wagners verschwurbelter neogermanischer Mystizismus bei entsprechender Disposition "philosphischer" und "tiefer" 'rüberkommen kann als zB der Trovatore - jedem das Seine, kann ich da nur sagen.


    Mein persönliches Verhältnis zu Wagner ist völlig entspannt: ich liebe seinen Kitsch (einige Brocken aus Lohengrin, Tannhäuser Ouvertüre und 2. Akt, natürlich auch Wolframs große Schmalzlocke am Schluss), anderes geht mir weiträumig auf die Nerven (Holländer, Ring mit Ausnahme von Walküre Akt 1 und Götterdämmerung Nornenszene, Tristan) oder stößt mich völlig ab (Parsifal), nicht anders als bei anderen Komponisten auch.


    Aber weder auf seine Musik noch auf seine Texte reagiere ich anders als bei anderen Komponisten: weder kann ich Austrias Differenzierungen persönlich nachvollziehen, noch habe ich mit seinen Texten mehr oder andere Probleme als bei anderen Komponisten.


    Der Mensch Wagner interessiert mich kaum - höchstens wenn ich mal wieder schmökere:



    Wer zündende Anti-Wagner-Formulierungen sucht wird hier von Friedrich Nietzsche bestens bedient...


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Zitat

    Zitat Austria
    sie spricht direkt den Bauch an, weniger Kopf, Herz und Seele.


    Genau das macht die Größe von Wagners Musik aus: Beim einen spricht sie direkt den Bauch an, beim anderen doch eher den Kopf. Denn was man bei einem flüchtigen Hören für uferloses Wabern hält, ist genau besehen fabelhaft konstruiert.
    In der riesigen "Götterdämmerung" etwa gibt es nicht einen Takt, der sich nicht auf eines der in den Werken zuvor exponierten Leitmotive bezöge. Aber die Strukturen gehen, gerade im "Ring", noch viel tiefer: Der Entwurf Vorspiel und drei Abende spiegelt sich in der Anlage der "Götterdämmerung": Vorspiel und drei Akte. Immer wieder sind die Makrostrukturen Ausdruck der Mikrostrukturen und umgekehrt. Das fängt übrigens schon im "Holländer" an, in dem jeder Akt einer Strophe der zentralen Ballade entspricht.
    Gerade diese völlige Durchdringung von Konstruktion und Emotion macht Wagners Musik für mich zu einem der allerhöchsten Gipfel der gesamten Musikgeschichte.


    Daß er eine "Gemeinde" gebildet hat, ist ein Resultat der Angriffe: Alle dermaßen umkäpften Komponisten haben "Gemeinden" gebildet: Bruckner, Schönberg, Stockhausen etc. etc.


    Daß Wagner ein widerlicher Knochen war, höchst unsympathische Ansichten vertrat und von einer Frau quasi gemanagt wurde, die ich ebenfalls nicht als Sympathieträgerin bezeichnen würde, steht für mich auf einem anderen Blatt. Natürlich wäre es mir lieber, ich könnte Wagner als gesamte Erscheinung mögen - geht leider nicht. Aber Wagner als Komponist gehört meine uneingeschränkte Bewunderung.


    :hello:

    ...

  • Hallo zusammen,
    eines dürfte an den bisherigen Postings in jedem Fall deutlich geworden sein: Wagner polarisiert – und dies in einem Maße, wie es wohl kein anderer Komponist der Musikgeschichte mit einer vergleichbaren Nachhaltigkeit getan hat. Zudem polarisiert Wagner auf ganz unterschiedlichen Ebenen: natürlich zunächst einmal auf der Ebene seiner Musik, insbesondere der seiner Nach-Rienzi-Zeit, spätestens aber mit dem »Tristan«, dem »Ring« und dem »Parsifal«. Dann sicherlich mit dem seinem (späten) Werk zugrundeliegenden Konzept des Gesamtkunstwerks, das er selbst (zumindest im Ring) zu einem explizit politischen Weltgleichnis monumentalisiert hat. Drittens mit der säkular-religiösen (ist kein Paradox!) Aufladung seines Werkes, für das auch noch zu Lebzeiten des Komponisten eine heilige Stätte (eben das Bayreuther Festspielhaus) erreichtet wurde. Allein dieser Aspekt ist schon geeignet, als Grundlage eines Wagner-Kults und der Etablierung einer Gemeinde zu dienen – und zugleich sorgt dieser Aspekt für Skepsis und Ablehnung (zum Beispiel bei mir).
    Dann polarisiert der Gute sicherlich auch durch seine tendenzös intrigrante »Politik«, die mit seinem heftigen Antisemitismus eine unheilige Allianz eingegangen ist und der Rezeption mancher brillanter Komponisten nachhaltig geschadet hat. Im Falle Mendelssohns sind wir glücklicherweise inzwischen darüber hinweg, aber die Meyerbeer-Rezeption leidet bis heute unter Wagners von antisemitischen Ressentiments programmierten völlig indiskutablen Diffamierungen.
    Eine Rolle spielt drittens natürlich die Rezeptionsgeschichte, die (wie ich meine: absolut Zurecht) nicht vom Werk des Herrn Wagner getrennt werden kann und getrennt werden darf. Man kann Wagner nach 1945 nicht einfach so rezipieren (und vor allem nicht inszenieren) als habe die 12 Jahre zwischen 1933 und 1945 und den Holocaust nicht gegeben. Nun könnte man argumentieren: Wagner kann nichts dafür, daß er der Held des deutschen Musiktheaters im Dritten Reich gewesen ist – aber mal ganz ehrlich: er war dies keineswegs zufällig und hat einige Voraussetzungen dafür geschaffen, daß man ihn in jener Zeit genau so rezipieren konnte, wie man ihn rezipiert hat.
    Also: Wagner ist ein von Grund auf politischer Musikdramatiker gewesen und dieser politische Aspekt (auf den hier sehr treffend der Begriff des »Politischen« paßt, wie Carl Schmitt ihn um 1930 konzipiert hat, nämlich als die diskrete Entscheidung zwischen »Freund« und »Feind«) trägt wohl auch nicht zuletzt zu jener Polarisierung in der Einschätzung Wagners bei.
    Ich selbst habe entsprechend ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu Wagners Musikdramen; nur »Lohengrin«. der »Ring« und (dann schon mit Abstrichen) der »Parsifal« haben für mich persönlich dauerhafte Bedeutung, wobei der »Ring« deutlich heraussticht. Warum: weil mich hier das Konzept des politischen Weltmythos und seine musikdramatische Umsetzung fasziniert. Dabei hinterläßt das Libretto bei mir erneut einen zweispältigen Eindruck: während ich den dramatisches Gesamtentwurf und die Storyline als höchst kohärent und überzeugend empfinde (abgesehen von den ständigen Wieder- und Wiedererzählungen dessen »was bisher geschah«), ist die Dichtung selbst IMO keine besondere Glanzleistung. Wagners grundsätzliches Mißverständnis des germanischen Stabreims als bloße Alliteration macht den Text für mich unlesbar (nur zwei Beispiele aus dem Siegfried die doch (wahrscheinlich unfreiwillig) lächerlich sind: »In der Erde Tiefe tagen die Nibelungen« [Siegfried I, 2 – ist damit eine Parlamentssitzung gemeint oder brauchte Herr Wagner nur ein auf »t« anlautendes Prädikat??] ; »Eine zierliche Fresse zeigst du mir da, / lachende Zähne im Leckermaul!« [Siegfried II, 2]). Und selbst im gesungenen Text tragen die ständigen Alliterationen eher dazu bei mich vom Wortlaut abzulenken als auf die besondere Bedeutung der alliterierenden Worte zu achten – aber genau dies wäre der Sinn den germanischen Stabreims: nicht einfach irgendwelche Gleichklänge im Anlaut zu produzieren, weil es so schön ist, sondern die sinntragenden Wörter des Verses zu akzentuieren. Das gelingt Wagner in seiner Dichtung IMO kaum - und wahrscheinlich ist es auch kaum möglich eine seit beinahe 1000 Jahren nicht praktizierte Form gebundener Rede einigermaßen gelungen zu aktualisieren (Gustav Frenssen ist das in seinem Bismarck-Versepos auch nicht gelungen).
    Musikalisch finde ich den Ring dagegen in seiner Gesamtheit überaus überzeugend – hier sind Weltentwurf und Storyline im Ganzen überaus suggestiv und schlüssig umgesetzt. Dabei finde ich es auch wirklich folgelogisch, daß Wagner (zumindest weitestgehend) auf vordergründige Bravourpassagen verzichtet, sondern alles dem Gesamtkonzept unterordnet, d.h. bis auf wenige Ausnahmen eigentlich keine auskoppelbaren »Schlager« integriert hat.


    Soviel dazu im Augenblick ...


    Herzlichst,
    Medard

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Genau das macht die Größe von Wagners Musik aus: Beim einen spricht sie direkt den Bauch an, beim anderen doch eher den Kopf. Denn was man bei einem flüchtigen Hören für uferloses Wabern hält, ist genau besehen fabelhaft konstruiert.


    Gerade diese völlige Durchdringung von Konstruktion und Emotion macht Wagners Musik für mich zu einem der allerhöchsten Gipfel der gesamten Musikgeschichte.


    Natürlich muß man diese Konstruktionen erstmal durcharbeiten, gerade bei Wagner. Aber das widerspricht sich m.E. nicht mit dem Bauchgefühl.


    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Dann polarisiert der Gute sicherlich auch durch seine tendenzös intrigrante »Politik«, die mit seinem heftigen Antisemitismus eine unheilige Allianz eingegangen ist und der Rezeption mancher brillanter Komponisten nachhaltig geschadet hat. Im Falle Mendelssohns sind wir glücklicherweise inzwischen darüber hinweg, aber die Meyerbeer-Rezeption leidet bis heute unter Wagners von antisemitischen Ressentiments programmierten völlig indiskutablen Diffamierungen.
    Drittens spielt natürlich die Rezeptionsgeschichte eine Rolle, die (wie ich meine: absolut Zurecht) nicht vom Werk des Herrn Wagner getrennt werden kann und getrennt werden darf. Man kann Wagner nach 1945 nicht einfach so rezipieren (und vor allem nicht inszenieren) als habe die 12 Jahre zwischen 1933 und 1945 und den Holocaust nicht gegeben. Nun könnte man argumentieren: Wagner kann nichts dafür, daß er der Held des deutschen Musiktheaters im Dritten Reich gewesen ist – aber mal ganz ehrlich: er war dies keineswegs zufällig und hat einige Voraussetzungen dafür geschaffen, daß man ihn in jener Zeit genau so rezipieren konnte, wie man ihn rezipiert hat.


    Hallo Medard,


    zu diesen Passagen meine volle Zustimmung. Diese Problematik, insbesondere Wagners Antisemitismus und seine Folgen, ist bereits in einem anderen Thread ausführlich diskutiert worden.


    Obwohl ich gelernt habe, Künstler und Werk sorgfältig auseinanderzuhalten (und allenfalls auf einer höheren Ebene wieder zusammenzufügen), fällt mir das bei Wagner sehr schwer. Ich habe auch vollstes Verständnis für alle, die Wagner aus den genannten Gründen ablehnen.


    Davon abgesehen: Ich bewundere Wagners Opern - Ring, Tristan, Meistersinger und Parsifal gehören für mich zu den vielschichtigsten und innovativsten Werken des Musiktheaters des 19. Jahrhunderts (allenfalls einiges von Berlioz, Mussorgsky und dem späten Verdi kommt ihnen gleich).
    Wagners zentrale Stellung in der Musikgeschichte kann wohl kaum angezweifelt werden.


    Zitat

    Ich selbst habe entsprechend ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu Wagners Musikdramen; nur »Lohengrin«. der »Ring« und (dann schon mit Abstrichen) der »Parsifal« haben für mich persönlich dauerhafte Bedeutung, wobei der »Ring« deutlich heraussticht. Warum: weil mich hier das Konzept des politischen Weltmythos und seine musikdramatische Umsetzung fasziniert. Dabei hinterläßt das Libretto bei mir erneut einen zweispältigen Eindruck: während ich den dramatisches Gesamtentwurf und die Storyline als höchst kohärent und überzeugend empfinde (abgesehen von den ständigen Wieder- und Wiedererzählungen dessen »was bisher geschah«), ist die Dichtung selbst IMO keine besondere Glanzleistung. Wagners grundsätzliches Mißverständnis des germanischen Stabreims als bloße Alliteration macht den Text für mich unlesbar (nur zwei Beispiele aus dem Siegfried die doch (wahrscheinlich unfreiwillig) lächerlich sind: »In der Erde Tiefe tagen die Nibelungen« [Siegfried I, 2 – ist damit eine Parlamentssitzung gemeint oder brauchte Herr Wagner nur ein auf »t« anlautendes Prädikat??] ; »Eine zierliche Fresse zeigst du mir da, / lachende Zähne im Leckermaul!« [Siegfrid II, 2]). Und selbst im gesungenen Text tragen die ständigen Alliterationen eher dazu bei mich vom Wortlaut abzulenken als auf die besondere Bedeutung der alliterierenden Worte zu achten – aber genau dies wäre der Sinn den germanischen Stabreims: nicht einfach irgendwelche Gleichklänge im Anlaut zu produzieren, weil es so schön ist, sondern die sinntragenden Wörter des Verses zu akzentuieren. Das gelingt Wagner in seiner Dichtung IMO kaum.


    Hier aber melde ich Widerspruch an - Wagner als Dichter ist für mich immer noch eine unterschätzte Figur. Er ist wegweisend in der Verwandlung von Sprache in Klang, wobei man immer berücksichtigen muss, dass die Texte immer im Zusammenhang mit ihrer Vertonung gesehen werden müssen (deshalb scheint mir das Messen von Wagners Alliterationen an den Maßstäben des mittelalterlichen Stabreims in die Leere zu gehen).


    Trotz oder gerade auch vielleicht WEGEN der schmalen Grenze zwischen sprachlicher Genialität und Banalität sind Wagners Texte wegweisend für die Moderne gewesen (Joyce, Eliot).


    Und Deine beiden Beispiele reizen auch zum Widerspruch: Dass die Nibelungen ausgerechnet in der düsteren Tiefe "tagen", ist wohl als ein ironischer Seitenhieb des Wanderers auf den NACHTalben Alberich zu verstehen. Und "Fresse" sowie "Leckermaul" bezeichnen doch wunderbar das infantil-regressive Sprachniveau Siegfrieds, dem die kultivierte Hochsprache der Dichtung des 19. Jahrhunderts schnurzegal ist - ein bewusster Mut zur Banalität (mit zweifellos barbarischen Nebenklängen), den man bei fast allen Autoren des 19. Jahrhunderts vergeblich suchen wird.


    Viele Grüße


    Bernd


  • Hallo Bernd,
    D'ACCORD! Allerdings hat meine Wagner-Begeisterung immer einen schalen Beigeschmack...



    Ja Bernd, hier muß ich wiederum Einspruch erheben. Das Allitartionsgeklapper ist selbstverständlich der Germanentümelei des Dichters Wagner gezollt - und explizit gegen die »welsche« Tradition des Endreims gestellt. Wie gesagt, leider hat der Gute das Staben nicht gelern sondern nur das Alliterieren. Man spürt die Absicht und ist verstimmt...
    Dies wird eben auch an den beiden von mir zitierten Versen deutlich, die ich nicht aufgrund ihrer semantischen Dimension für lächerlich halte, sondern aufgrund ihr rhetorischen Struktur: mag sein, daß die tagenden Nibelungen ein ironischer Seitenhieb des Wanderers auf den Nachtalben Alberich sind - dazu könnten sie aber auch dort »wohnen«, »leben«, »vor sich hin vegetieren« oder sonst was. Daß die Nachtalben aber »tagen« ist IMO nicht ironisch, sondern einfach nur mißlungen, weil schlicht der Notwenigkeit gezollt, daß Herr W. ein auf »Tiefe« alliterierendens Wort benötigte. Noch deutlicher wird dies an dem zweiten Beispiel. Auch hier magst Du recht haben, daß der Vers zur Charakterisierung »Siegfrieds« geeignet ist. Daran entzündet sich auch nicht meine Kritik, sondern allein daran, daß hier mißlungen gestabt wird: denn genau die beiden Worte, die Du aus dem Zitat herausgepickt hast (»Fresse« und »Leckermaul«) müßten genaugenommen in einem Stabreim akzentuiert werden - leider alliterieren sie nicht. Statt dessen alliterieren »zierliche« und »Zähne«. »Bleckend« und »Leckermaul«, die wohl als weitere Alliteration fungierend sollten, tragen zudem zur Lächerlichkeit bei, weil sie als Schüttelreim wahrgenommen werden (was sie aber eigentlich nicht sind...). Naja, vielleicht ist das auch alles Humbug und Wagner hat hier wirklich absichtsvoll Sprachkomik praktiziert... ;)
    Andererseits ist es ihm ja in einigen Fällen durchaus gelungen, die Alliterationen im Sinne des Stabreims adäqut zu verwenden. Nochmals Siegfried: »Erb' und Eigen, ein und all: / leuchtende Liebe, lachender Tod!«
    Herzlichst,
    Medard

  • Auch wenn es im Falle Wagner gewiß durch seine Persönlichkeit geradezu herausgefordert wird, bin ich doch immer dafür, die Wirkung eines Künstlers zunächst in Qualitäten seines Werks zu suchen. Natürlich gab und gibt es PR und schillernde Personen haben es vielleicht ein wenig einfacher, berühmt zu werden (es kann aber auch ebensoschnell wieder verpuffen), aber Wagners Faszination und sein Einfluß hat über Jahrzehnte ganz unterschiedliche andere Künstler aus diversen Bereichen (unter den Nichtmusikern z.B. Th. Mann) geprägt, dass es einfach eine zu billige und unplausible Erklärung wäre, die seien alle auf ein narzißtisches Selbstvermarktungsgenie "hereingefallen".


    Kitschig ist m.E. bei Wagner eher wenig (alle mir bekannten Opernkomponisten des 19. Jhd. haben mindestens so viele kitschgefährdete Stellen, oder mehr) und diese Werke (besonders Tannhäuser, Lohengrin) mag ich selbst auch nicht besonders (Dieser Erlösungsschmonzes, bei dem sich immer irgendwelche Frauen opfern müssen, geht mir auch etwas auf den Keks).
    Der Ring ist nur kitschig, wenn man ihn als germanizistischen Bombast inszeniert. Er ist über weite Strecken auch keineswegs laut (mir kommt im Zweifel Verdis Tschingderassa lärmiger vor) oder gar undifferenziert.
    Selbst die Texte sind m.E. besser als ihr Ruf. Natürlich funktionieren sie nur im Zusammenhang mit der Musik. Ich finde selbst einen Alliterationenrausch wie Alberichs Fluch wirklich ausdruckstark.
    Das Faszinierende ist letztlich einfach die Musik. Die finde ich sowohl emotional sehr packend als auch durch die Leitmotivtechnik intellektuell fesselnd. Die Möglichkeit, eine Oper schlüssig "durchzukomponieren", wurde vielleicht erst so möglich.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Daß er eine "Gemeinde" gebildet hat, ist ein Resultat der Angriffe: Alle dermaßen umkäpften Komponisten haben "Gemeinden" gebildet: Bruckner, Schönberg, Stockhausen etc. etc.


    Dass Wagner eine Gemeinde gebildet hat, liegt meines Erachtens hauptsächlich daran, dass "Parsifal" keine Oper mehr ist, sondern ein Bühnenweihrauchspiel (o.ä.), dass er sich seinen Vatikan in Bayreuth gebaut hat, dass man stundenlang auf harten Stühlen nichts anderes als Wagner zu hören bekommt, bis der Schmerz der Bandscheibe cerebrale Visionen auslöst, die von der Musik unterstützt werden. Kann ja auch Spaß machen...

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  • Zitat

    Original von Klawirr
    »Bleckend« und »Leckermaul«, die wohl als weitere Alliteration fungierend sollten, tragen zudem zur Lächerlichkeit bei, weil sie als Schüttelreim wahrgenommen werden (was sie aber eigentlich nicht sind...). Naja, vielleicht ist das auch alles Humbug und Wagner hat hier wirklich absichtsvoll Sprachkomik praktiziert... ;)
    Herzlichst,
    Medard


    Hm, jetzt war wohl bei mir der Wunsch Vater des Gedankens :( - im »Leckermaul« sind keine »bleckenden« sondern »lachende Zähne«. Damit ist meine Schüttereimtheorei hinfällig. Die Verdoppelung der Alliteration bleibt aber, wird sogar arg übercodiert...
    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr


    Ja Bernd, hier muß ich wiederum Einspruch erheben. Das Allitartionsgeklapper ist selbstverständlich der Germanentümelei des Dichters Wagner gezollt - und explizit gegen die »welsche« Tradition des Endreims gestellt. Wie gesagt, leider hat der Gute das Staben nicht gelern sondern nur das Alliterieren. Man spürt die Absicht und ist verstimmt...


    Hallo Medard,


    natürlich sprengt Wagners Alliterieren die reguläre Anwendung des Stabreims. Wagner beruft sich zwar - wie so oft ideologisch unterfüttert - auf die alten Techniken, wendet sie dann aber so an, dass sie mit dem ursprünglichen Konzept nicht mehr viel zu tun haben. Du sagst: Das ist Unvermögen - ich sage: das schafft eine eigene Qualität. Wagner ist eben - zum Glück! - kein Historist, der nur getreu nachahmen will.




    Zitat

    Dies wird eben auch an den beiden von mir zitierten Versen deutlich, die ich nicht aufgrund ihrer semantischen Dimension für lächerlich halte, sondern aufgrund ihr rhetorischen Struktur: mag sein, daß die tagenden Nibelungen ein ironischer Seitenhieb des Wanderers auf den Nachtalben Alberich sind - dazu könnten sie aber auch dort »wohnen«, »leben«, »vor sich hin vegetieren« oder sonst was. Daß die Nachtalben aber »tagen« ist IMO nicht ironisch, sondern einfach nur mißlungen, weil schlicht der Notwenigkeit gezollt, daß Herr W. ein auf »Tiefe« alliterierendens Wort benötigte.


    Nein, nein, nein :D. Sie könnten dort eben nicht "wohnen" oder "leben". Der Witz bei dem Wort "tagen" ist in diesem Zusammenhang doch, dass der kleine Nibelung von der Straße den "Tag" niemals zu Gesicht bekommt. Mit der Alliteration/Analogie von "Tiefe" und "tagen" geht also ein bewusstes Paradoxon einher (weil "Tiefe" und "Tag" sich nun mal gegenseitig ausschließen). Ergo: Wagner entkleidet das Wort "tagen" von seinem konventionellen, symbolischen Sprachgebrauch ("tagen" im Sinne einer Gremiensitzung etc.) und überführt es in eine als ursprünglich angenommene, ikonische Bedeutungsschicht ("tagen" im Sinne von "im Tageslicht leben"), was aber durch das semantische Paradoxon gleich wieder als artifizieller Kniff vorgeführt wird. Das ist ein genuin poetisches Verfahren, das die Vieldeutigkeit von Sprache zum Bewusstsein bringt - und so etwas findet sich bei Wagners ungewöhnlichen Sprachschöpfungen ziemlich oft.



    Zitat

    Noch deutlicher wird dies an dem zweiten Beispiel. Auch hier magst Du recht haben, daß der Vers zur Charakterisierung »Siegfrieds« geeignet ist. Daran entzündet sich auch nicht meine Kritik, sondern allein daran, daß hier mißlungen gestabt wird: denn genau die beiden Worte, die Du aus dem Zitat herausgepickt hast (»Fresse« und »Leckermaul«) müßten genaugenommen in einem Stabreim akzentuiert werden - leider alliterieren sie nicht. Statt dessen alliterieren »zierliche« und »Zähne«. »Bleckend« und »Leckermaul«, die wohl als weitere Alliteration fungierend sollten, tragen zudem zur Lächerlichkeit bei, weil sie als Schüttelreim wahrgenommen werden (was sie aber eigentlich nicht sind...). Naja, vielleicht ist das auch alles Humbug und Wagner hat hier wirklich absichtsvoll Sprachkomik praktiziert... ;)


    An dieser Stelle ist es doch gar nicht abwegig, absichtsvolle Sprachkomik zu vermuten (was nicht ausschließt, dass es bei Wagner auch viel unfreiwillige Komik gibt). Dass der Barbar Siegfried den korrekten Stabreim nicht beherrscht (bzw. erst, als er ihm von Brünnhilde beigebracht wird) - wer will es ihm verdenken? Und dass der Autor Wagner sich dabei bis zu einem gewissen Grad mit dem Barbaren identifiziert - nicht unproblematisch, aber aus dem Text belegbar. Siegfrieds wichtigste Tat im ersten Akt ist die komplette Verflüssigung und Neuschaffung des Schwerts, bei der eben nicht die Brei-und-Bapp-Technik des altmodischen Künstlers Mime zur Anwendung kommt: dieser selbstreflexive Verweis auf Wagners eigene anarchistische Ästhetik, die eben nicht Bruchstücke der überlieferten Tradition (Stabreim, Funktionsharmonik etc.) aneinanderkleben, sondern ein gänzlich Neues aus ausgewählten Traditionen schaffen will, zeigt allein schon die Qualität des Wagner'schen Dichtens an.


    Die Bemängelung der nicht korrekten Verwendung des Stabreims bei Wagner finde ich ein sehr "akademisches" Argument. Womit ich diesen gänzlich unakademischen Beitrag fürs erste abschließen möchte. :D


    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd,


    Ein kleiner Einwand: Historisten wollen in der Regel nicht getreu nachahmen, sondern nur dann, wenn damit bestimmte - etwa museologische - Aspekte verknüpft sind. Ansonsten geht es um Weiterentwicklung, Variation, Assoziation usw. Der Historismus ist eine nicht weniger schöpferische Epoche als frühere Epochen, die ja auch nicht "Neues" schufen. Die Renaissance z.B. lebt von der Antike u.a. (und hatte teilweise auch eine ganz andere Einstellung zur Fälschung oder Nachahmung als wir Modernen), und das Hochmittelalter anerkannte im ernsthaften Bereich sowieso nur die legitimierte "Kopie".


    Zu Wagner: Man kann und darf ihn keinesfalls nur auf die Musik reduzieren, auch nicht auf die Dichtung, sondern man muß auch seine theoretischen Schriften kennen, um seine Werke ganz zu begreifen. In erster Linie denke ich da an "Das Kunstwerk der Zukunft" sowie "Oper und Drama". Das sind Schlüssel zum Gesamtkunstwerk und nur als solches sind seine Schöpfungen verständlich - aber nicht nur seine. Wagners Bedeutung geht da weit über seine engere Sphäre hinaus. Das hat nichts damit zu tun, daß er selbst und noch mehr seine Anhängerschar Beschränktheiten und Fiesitäten praktizierten, die einem den Zugang mehr als erschweren.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Hallo Medard,
    natürlich sprengt Wagners Alliterieren die reguläre Anwendung des Stabreims. Wagner beruft sich zwar - wie so oft ideologisch unterfüttert - auf die alten Techniken, wendet sie dann aber so an, dass sie mit dem ursprünglichen Konzept nicht mehr viel zu tun haben. Du sagst: Das ist Unvermögen - ich sage: das schafft eine eigene Qualität. Wagner ist eben - zum Glück! - kein Historist, der nur getreu nachahmen will.


    Hallo Bernd,
    ich sage nicht: das ist Unvermögen, sondern ich sage, daß dem ein Mißverständnis zugrunde liegt, mit dem Herr Wagner um die Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs allein ist - das ganze romatische Bild des Mittelalters ist ein gründliches, aber erklärliches Mißverständnis. So gesehen ist Wagner zwar selbst kein Historist - aber der Historist selbst würde sagen, daß Wagners vermeintliches Gestabe nur aus der Zeit selbst erklärbar ist, in der er dichtete (schon wieder akademisch ;))


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Nein, nein, nein :D. Sie könnten dort eben nicht "wohnen" oder "leben".


    Stimmt, würde ja auch nicht alliterieren :D ...


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Der Witz bei dem Wort "tagen" ist in diesem Zusammenhang doch, dass der kleine Nibelung von der Straße den "Tag" niemals zu Gesicht bekommt. Mit der Alliteration/Analogie von "Tiefe" und "tagen" geht also ein bewusstes Paradoxon einher (weil "Tiefe" und "Tag" sich nun mal gegenseitig ausschließen). Ergo: Wagner entkleidet das Wort "tagen" von seinem konventionellen, symbolischen Sprachgebrauch ("tagen" im Sinne einer Gremiensitzung etc.) und überführt es in eine als ursprünglich angenommene, ikonische Bedeutungsschicht ("tagen" im Sinne von "im Tageslicht leben"), was aber durch das semantische Paradoxon gleich wieder als artifizieller Kniff vorgeführt wird. Das ist ein genuin poetisches Verfahren, das die Vieldeutigkeit von Sprache zum Bewusstsein bringt - und so etwas findet sich bei Wagners ungewöhnlichen Sprachschöpfungen ziemlich oft.


    Hm, irgendwie scheinst Du nicht, wie Du es in einem Posting weiter oben angedeutet hattest, zwischen dem Dichter bzw. dem Willen des Dichters einerseits und dem Produkt, das uns vorliegt, andererseits zu trennen. Ich weiß nicht was Wagner wollte, vermag es auch nicht recht zu ergründen. Ich kann nur den Text lesen und danach fragen, welchen rhetorischen und poetischen Strukturen er folgt. Du unterstellst, daß der Vers dem Gesetz eines »Mehrwerts gereimter Wörter« ( :] ) folgt; ich unterstelle, daß er ausschließlich das Produkt eines poetisch-rhetorischen Musters ist. Vielleicht ist das »Tagen in den Tiefen« tatsächlich ein intendiertes Paradox in dem eine zynische Deskription nibelungischen Lebens tropenhaft verdichtet ist. Vielleicht ist es aber auch nur Ergebnis einer Versgenerierung über einem poetisch-rhetorischen Grundmuster.


    Zitat

    Original von Zwielicht
    An dieser Stelle ist es doch gar nicht abwegig, absichtsvolle Sprachkomik zu vermuten (was nicht ausschließt, dass es bei Wagner auch viel unfreiwillige Komik gibt). Dass der Barbar Siegfried den korrekten Stabreim nicht beherrscht (bzw. erst, als er ihm von Brünnhilde beigebracht wird) - wer will es ihm verdenken? Und dass der Autor Wagner sich dabei bis zu einem gewissen Grad mit dem Barbaren identifiziert - nicht unproblematisch, aber aus dem Text belegbar. Siegfrieds wichtigste Tat im ersten Akt ist die komplette Verflüssigung und Neuschaffung des Schwerts, bei der eben nicht die Brei-und-Bapp-Technik des altmodischen Künstlers Mime zur Anwendung kommt: dieser selbstreflexive Verweis auf Wagners eigene anarchistische Ästhetik, die eben nicht Bruchstücke der überlieferten Tradition (Stabreim, Funktionsharmonik etc.) aneinanderkleben, sondern ein gänzlich Neues aus ausgewählten Traditionen schaffen will, zeigt allein schon die Qualität des Wagner'schen Dichtens an.



    Ja, vielleicht hast Du in diesem Falle recht. Aber Innovationswille führt nicht immer dazu, daß die neue Form die alte qualitativ übertrifft. Was mich wieder zu Deiner Ausgangsbemerkung führt: Wagner bezieht sich explizit auf den germanischen Stabreim, wendet ihn aber nicht orthodox an, sondern in freier, anarchischer Form. Und genau daran entzündet sich ja die Kritik: sein freier Rekurs auf die »gemanische Dichtung« des Mittealters geht IMO (unakademisch gesprochen) gründlich in die Hose. Da bringt der freie Umgang mit der poetischen Tradition keinen innovativen Mehrwert - anders als bei seinem freien Umgang mit der musikalischen Tradition, die Du ansprichst, aber auch mit der musikdramatischen Tradition.



    Zitat

    Original von Zwielicht
    Die Bemängelung der nicht korrekten Verwendung des Stabreims bei Wagner finde ich ein sehr "akademisches" Argument.
    Viele Grüße


    Bernd


    Recht hast Du - das ist bei mir (leider) tatsächlich eine Berufskrankheit, wenn es um Literatur geht :D .


    Herzlichst,
    Medard

  • Erst mal möchte ich gegen den Threadtitel protestieren. Ich würde dem von mir nicht geliebten Mozart auch nicht eine Formulierung antun wie "Mozart - unsterbliche Meisterwerke oder banales Gedudel?".


    Dann zu dem interessanten Thema "Wagner und der Stabreim". Man muss Wagner ja schon attestieren, dass er mit seinen Alliterationen nicht beliebige Wörter, sondern schon meist die sinntragenden Substantive und Verben verknüpft. Was seine Alliterationen dann aber doch vom Stabreim im eigentlichen Sinne unterscheidet, ist ihr inflationärer und metrisch nicht festgelegter Gebrauch. Wagner legt die alliterierenden Laute immer dahin, wo es ihm gerade passt, mal stehen sie über Kreuz zueinander, mal folgen gleich fünf m-s oder w-s aufeinander, es lässt sich kein über längere Zeiträume durchgehaltenes Schema ausmachen. Ein Stabreim im eigentlichen Sinne ist immer in einem festgelegten metrischen Schema verortet, in der germanischen Langzeile wie z. B. im "Hildebrandslied" gibt es vier Schwerpunktsilben, wovon häufig die erste, zweite und dritte miteinander staben. Dieser Schwall von Alliterationen, wie sie bei Wagner geradezu aus den Sängern heraussprudeln (was durchaus im musikalischen Kontext seinen Reiz hat), ist der germanischen Dichtung völlig fremd, abgesehen vielleicht von manchen Skaldengedichten, wo der Stabreimgebrauch manchmal verstärkt, aber auch extrem reguliert ist. Ich finde es von daher nicht zutreffend, bei Wagner von Stabreim zu sprechen, ich weiß nicht, wie er das selbst gehalten hat.
    Wenn man diese Texte für sich genommen liest, wirken die Alliterationen häufig überzogen, aber m. E. auch nur dann. In der musikalischen Anwendung entfalten sie eine eigene, die Satzmelodie hervorhebende Wirkung und fördern auch das Textverständnis. Der Fehler Wagners ist meiner Ansicht nach nicht der, die Texte so zu schreiben, sondern sie als eigenständige Kunstwerke zu veröffentlichen - das hat ihrer Rezeption m. E. nicht gut getan.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

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  • Hallo Draugur,
    danke für Deine Ausführungen, mit denen ich ganz übereinstimme. Ich habe ja gerade deutlich machen wollen, daß Wagner eben nicht wirklich stabreimt (an germanischen Langversen hat er sich ja [glücklicherweise] - anders als später Gustav Frenssen in seinem Versepos »Bismarck« - gar nicht erst versucht) - und zwar deshalb nicht, weil er das Staben mit Alliterationskaskaden gleichsetzt, was IMO schlicht auf sein Mißverständnis der vormodernen Versformen zurückzuführen ist.
    Mich stört das Allitartionsgeklapper übrigens auch häufig beim Hören...
    Herzlichst,
    Medard

  • Es gibt ein Stabreimepos über Bismarck? :D :D Das will ich lesen!
    Kennst du Wilhelm Jordans "Nibelunge"? Das ist auch eine Stabreimdichtung. Egal, wie man zu dem steht, was Jordan inhaltlich aus dem Stoff macht (die sehr patriotische Einleitung dürfte heute nicht mehr so gut ankommen), verstechnisch ist das m. E. durchaus gelungen. Ich für meinen Teil experimentiere auch des öfteren mit Stabreimen rum.

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    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Michael
    wie kann es sein, dass die Werke eines Komponisten auf mehr oder weniger allen Operhäusern dieser Welt zum Standardrepertoire gehören, also in etwa von Sydney über Tokio bis S. Francisco, von Kapstadt bis Oslo? Kann sich die Menschheit irren?


    LG Michael : :hello:


    Michael Jackson oder Tina Turner haben weltweit mit Sicherheit mehr Menschen erlebt. Kann sich die Menschheit irren???

  • Die Frage ist aber, ob über die Musik von Michael Jackson oder Tina Turner noch 124 Jahre nach deren Ableben (!) irgendjemand reden wird.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Lieber Bernd,


    Ein kleiner Einwand: Historisten wollen in der Regel nicht getreu nachahmen, sondern nur dann, wenn damit bestimmte - etwa museologische - Aspekte verknüpft sind. Ansonsten geht es um Weiterentwicklung, Variation, Assoziation usw. Der Historismus ist eine nicht weniger schöpferische Epoche als frühere Epochen, die ja auch nicht "Neues" schufen. Die Renaissance z.B. lebt von der Antike u.a. (und hatte teilweise auch eine ganz andere Einstellung zur Fälschung oder Nachahmung als wir Modernen), und das Hochmittelalter anerkannte im ernsthaften Bereich sowieso nur die legitimierte "Kopie".


    Hallo Waldi,


    es liegt mir - gerade weil auch ich Kunsthistoriker bin - völlig fern, den Historismus zu reduzieren oder gar zu denunzieren. Insofern hast Du mit Deinem Einwand natürlich recht. Der Begriff ist eben sehr komplex und ich habe aus Gründen der Polemik etwas vereinfacht... Wobei ich in puncto Hochmittelalter schon widersprechen würde, was hier aber fehl am Platze wäre ;).




    Zitat

    Original von Klawirr
    Hallo Bernd,
    ich sage nicht: das ist Unvermögen, sondern ich sage, daß dem ein Mißverständnis zugrunde liegt, mit dem Herr Wagner um die Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs allein ist - das ganze romatische Bild des Mittelalters ist ein gründliches, aber erklärliches Mißverständnis. So gesehen ist Wagner zwar selbst kein Historist - aber der Historist selbst würde sagen, daß Wagners vermeintliches Gestabe nur aus der Zeit selbst erklärbar ist, in der er dichtete (schon wieder akademisch ;))


    Hallo Medard,


    natürlich ist Wagners Mittelalter-Bild kein Einzelfall und es ist sicherlich ein Missverständnis in Bezug auf das "wirkliche" Mittelalter. Aber die Geschichte der Ästhetik ist reich an produktiven Missverständnissen...
    Wobei ich schon behaupte, dass für Wagner das "Mittelalter" noch weniger eine reale historische Epoche und noch stärker "Material" für seine Fiktionen ist als bei vielen anderen Mittelalterezipienten des 19. Jahrhunderts.




    Zitat

    Hm, irgendwie scheinst Du nicht, wie Du es in einem Posting weiter oben angedeutet hattest, zwischen dem Dichter bzw. dem Willen des Dichters einerseits und dem Produkt, das uns vorliegt, andererseits zu trennen. Ich weiß nicht was Wagner wollte, vermag es auch nicht recht zu ergründen. Ich kann nur den Text lesen und danach fragen, welchen rhetorischen und poetischen Strukturen er folgt. Du unterstellst, daß der Vers dem Gesetz eines »Mehrwerts gereimter Wörter« ( :] ) folgt; ich unterstelle, daß er ausschließlich das Produkt eines poetisch-rhetorischen Musters ist. Vielleicht ist das »Tagen in den Tiefen« tatsächlich ein intendiertes Paradox in dem eine zynische Deskription nibelungischen Lebens tropenhaft verdichtet ist. Vielleicht ist es aber auch nur Ergebnis einer Versgenerierung über einem poetisch-rhetorischen Grundmuster.


    Ich habe zwar der Einfachheit halber Wagner als handelndes Subjekt in meine Sätze eingebaut - die Interpretation funktioniert aber ganz ohne Autorintention. Im Grunde ist es der Versuch einer Analyse im Sinne der linguistischen Poetik Jakobsons (die durchaus mit dem "Mehrwert gereimter Wörter" argumentiert), rein werkorientiert und weitgehend ohne Berücksichtigung von Autor oder Rezipient. Man kann hier natürlich aus akademischer...äh...positivistischer Sicht skeptisch bleiben ("Überinterpretation") oder aus poststrukturalistischer Sicht geschlossene Interpretationen ablehnen ;)...


    Ich könnte (mit etwas mehr Zeit) ähnlich gelagerte Beispiele, bei denen eine "symbolische" durch eine "ikonische" Sprache ersetzt wird, in Wagners Dichtungen raussuchen. Dieses Phänomen war es ja, das Joyce an Wagner so bewundert hat und das er mit expliziten Wagner-Rekursen in "Finnegans Wake" zu einem Höhepunkt getrieben hat. Ich finde das viel interessanter als das Problem der falschen Stabreime...




    Zitat

    Ja, vielleicht hast Du in diesem Falle recht. Aber Innovationswille führt nicht immer dazu, daß die neue Form die alte qualitativ übertrifft.


    Sehe ich genauso. Mir ging es auch gar nicht darum, ob die neue Form die alte TATSÄCHLICH qualitativ übertrifft. Aber allein die Tatsache, dass Wagner mit Handlungsmetaphern über seine eigene ästhetische Position Auskunft gibt, verweist auf ein Reflexionsniveau des Textes, das in der Operngeschichte bisher unbekannt war.


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Zitat

    Original von Draugur
    Es gibt ein Stabreimepos über Bismarck? :D :D Das will ich lesen!
    Kennst du Wilhelm Jordans "Nibelunge"? Das ist auch eine Stabreimdichtung. Egal, wie man zu dem steht, was Jordan inhaltlich aus dem Stoff macht (die sehr patriotische Einleitung dürfte heute nicht mehr so gut ankommen), verstechnisch ist das m. E. durchaus gelungen. Ich für meinen Teil experimentiere auch des öfteren mit Stabreimen rum.


    Im Ernst?? Du kannst Gustav Frenssens »Bismarck« hier antiquarisch und ziemlich kostengünstig erwerben. Frenssen bemüht den Stabreim und den germanischen Langvers aus durchaus patriotisch-germonophilen Motivationen. Ist ein schlimmes Machwerk :kotz: - und das von einem Nobelpreiskandidaten. Eigentlich muß man sich allerdings fragen, warum der Mann für den Nobelpreis überhaupt vorgesehen werden konnte...


    Wilhelm Jordans Stabreimdichtung kenne ich nicht (allerdings kenne ich Herrn Jordan ohnehin nicht). Danke daher für den Hinweis, werde diese Wissenslücke schließen.
    Was stabst Du selbst denn so?
    Herzlichst,
    Medard

  • Welch wulstiger Wahn wogt wieder wohlfeil in wonnigen Wellen durch Weibes Wange , wenn......
    ja , wenn ich die Postings einiger mir aus der Seele sprechender Gleichgesinnter hier lese. :yes: :hello: :jubel:
    Der Mann ist ein genialer Komponist gewesen und hat die Operngeschichte revolutioniert.
    Aber einen gefährlichen Demagogen(noch mehr in der Wirkungsgeschichte als in der Person) kann das bei mir nicht rehabilitieren. :no: :boese2:
    Man kann auch für Marquis de Sade als Schriftsteller mit brillantem Stil schwärmen ........
    Beide,(und andere) die naturlich inhaltlich nciht zu vergleichen sind, kann ich unmöglich NUR als Künstler betrachten. Das ist nach meinem Empfinden die reine Schizpophrenie und funktioniert nicht!
    Wagner ist insofern ein bedauernswertes Opfer seiner Wirkungsgeschichte , aber wie hier schon gesagt wurde, ist er daran keineswegs unschuldig. :no:
    Also hält sich mein Mitleid SEHR in Grenzen, zumal er es auch wahrlich nciht bracuht...... ;)


    Lieber Flotan,
    Du kannst gerne als wackerer Welscher dich rüsten und mit mir als dezidierter Anti-Walküre(in jeder Hinsciht, von Stimme bis Taillenumfang und Haarfarbe) ins Feld ziehen =)
    Sehr ritterlich, Dein Racheangebot! :yes: Stammst du von den Troubadouren ab???
    Wagners Familie "kenne" ich aus einer sehr intensiven Beschäftigung mit dem Thema. Da ich ja zunächst Verfallene war, musste ich erst ins Eismeer fallen um vom Fieberwahn kuriert zu werden.
    Etliche Biographien verschiedenster ideologischer Ausrichtung, Briefe, Vorträge und insbesondere die Beschäftigung mit den Frauen um Wagner und Wagners Urenkel haben mich dann das Puzzle immer mehr füllen lassen.
    Das Ganze hat auch etwas mit meiner Familiengeschichte zu tun , aber das soll hier nciht breitgetreten werden.
    Jedenfalls: ich bin keinesfalls eine bLINDE Gegenerin, sondern habe wohl eher einen Weg wie Nietzsche gemacht......
    Fairy Queen


    Ben Heppner singt die Tenorarien trotzdem sehr schön und das konnte ich sogar geniessen! :yes:

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Hallo Medard,


    natürlich ist Wagners Mittelalter-Bild kein Einzelfall und es ist sicherlich ein Missverständnis in Bezug auf das "wirkliche" Mittelalter. Aber die Geschichte der Ästhetik ist reich an produktiven Missverständnissen...
    Wobei ich schon behaupte, dass für Wagner das "Mittelalter" noch weniger eine reale historische Epoche und noch stärker "Material" für seine Fiktionen ist als bei vielen anderen Mittelalterezipienten des 19. Jahrhunderts.


    D'ACCORD!!
    Produktiv bleibt dieses Mißverständnis übrigens selbst dann, wenn man die Adaption mittelalterlicher Reimschamata im Ergebnis für mißlungen hält.


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Ich habe zwar der Einfachheit halber Wagner als handelndes Subjekt in meine Sätze eingebaut - die Interpretation funktioniert aber ganz ohne Autorintention.


    Ja, ja, ja - war nur ein bissel Stichelei ;).


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Im Grunde ist es der Versuch einer Analyse im Sinne der linguistischen Poetik Jakobsons (die durchaus mit dem "Mehrwert gereimter Wörter" argumentiert), rein werkorientiert und weitgehend ohne Berücksichtigung von Autor oder Rezipient.


    Geht das überhaupt? Ich meine, den »Autor« kann man natürlich als Kontext ausblenden, sollte man sogar, weil er IMO ziemlich nichtssagend ist hinsichtlich dessen, was man als Rezipient (egal ob als akademischer oder unakademischer) letztlich vor sich hat. Aber (und das ist wahrscheinlich einer der Irrtümer des Formalismus und auch noch des frühen Strukturalismus) man kann - glaube ich - nie mit dem Text/einem Kunstwerk allein sein. Die Bedingungen der Rezeption bilden immer einen unhintergehbaren strukturellen Kontext der Lektüren - der Kontext somit doch immer schon in unseren Köpfen. Und Strukturen sind damit eben nicht zeitlos und rezipientenunabhängig, sondern historisch und sozial bedingt und damit dynamisch (Jan Mukarovsky etwa wußte das). Aber das ist eine andere Diskussion, die auf einem anderen Blatt (oder in einem anderen Thread) stehen sollte...


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Man kann hier natürlich aus akademischer...äh...positivistischer Sicht skeptisch bleiben ("Überinterpretation") oder aus poststrukturalistischer Sicht geschlossene Interpretationen ablehnen ;)...


    Ich versuche gar nicht zu »interpretieren« sondern die Verstruktur und ihre rhetorisch-poetologischen Voraussetzungen zu beschreiben...
    Ich glaube der Zugriff ist ein anderer: Du bist (ganz zurecht) an den möglichen semantischen Dimensionen des Textes interessiert und ich (auch ganz zu recht) an dem poetologischen Programm, von dem ich glaube, daß es hier die Textoberfläche generiert. Wir kommen zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen - die beide nicht falsch sein müssen. Das ist ja das schöne an der Kunst: die - akademisch poststrukturalistisch gesprochen - Unabschließbarkeit der Signifikantenkette... ;)


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Ich könnte (mit etwas mehr Zeit) ähnlich gelagerte Beispiele, bei denen eine "symbolische" durch eine "ikonische" Sprache ersetzt wird, in Wagners Dichtungen raussuchen. Dieses Phänomen war es ja, das Joyce an Wagner so bewundert hat und das er mit expliziten Wagner-Rekursen in "Finnegans Wake" zu einem Höhepunkt getrieben hat. Ich finde das viel interessanter als das Problem der falschen Stabreime...


    Da hast Du allerdings recht!! :yes: :yes:
    Ich meine, die Ganze Diskussion hängt ja an meiner kleinen Äußerung, daß ich die Dichtung im Ring-Libretto für eher mißlungen halte und an meiner Begründung warum, ich sie für eher mißlungen halte.
    Intressant finde ich »das Problem der falschen Stabreime« auch nicht - und im Hinblick auf eine Einschätzung des Rings halte ich dieses »Problem« auch nichtmals für zentral...


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Sehe ich genauso. Mir ging es auch gar nicht darum, ob die neue Form die alte TATSÄCHLICH qualitativ übertrifft. Aber allein die Tatsache, dass Wagner mit Handlungsmetaphern über seine eigene ästhetische Position Auskunft gibt, verweist auf ein Reflexionsniveau des Textes, das in der Operngeschichte bisher unbekannt war.


    Viele Grüße


    Bernd


    Völlig D'ACCORD!!


    Herzlichst,
    Medard

  • Hallo Fairy Queen,
    ich nehme an, Du lehnst auch Gesualdo an, Jean Genet, Bertolt Brecht, Maxim Gorkij, Heidegger, etc. etc.


    Aber ich fürchte, wir nähern uns wieder der Wagner-Charakter-Diskussion, die schon einen älteren Wagner-Thread praktisch gekillt hat.


    Ich lese jedenfalls mit großer Freude, daß ich nicht ganz allein bin mit meiner Wertschätzung des Autors Richard Wagner.


    Es geht wieder einmal um den Stabreim? - Nein: Es geht um den Stabreim in deutscher Sprache. Denn im Englischen etwa wird die Alliteration als Mittel der Dichtung durchaus geschätzt - nicht nur von alten Knochen wie Shaky, sondern auch von moderneren wie Dylan Thomas.


    Darüber vergißt man obendrein, daß nur der "Ring" sich des Stabreims bedient. Und was ist mit einem Gedicht wie der musikalisch dann leider überzuckerte "Abendstern"? Nicht einmal Eichendorff hat immer auf diesem Niveau gedichtet.


    Aber immer wieder findet man erstaunliche sprachliche Leistungen bei Wagner, vielfach im "Ring", vor allem in den "dunklen" Szenen, aber auch in den Kundry-Monolgen des "Parsifal" stehen dichterische Stellen von großer sprachlicher Schönheit.


    :hello:

    ...


  • Lieber Edwin,
    ich glaube, Du schätzt diese Diskussion falsch ein. Ich weiß recht gut, daß es Alliterationen auch bei anderen Dichtern »deutscher« und »welscher« ;) Zunge gibt und bin kein grundsätzlicher Feind der Alliteration (was ja recht schwachsinnig wäre, ebenso wie »Feind der Metapher«, »Feind der Synekdoche«, »Feind der Antilabe«, »Feind der Anapher«, »Feind des Zeugmas« oder so). Ich habe schlicht die Ansicht geäußert (und diese These IMO auch begründet vertreten), warum ich Wagners Alliterationen im Ring für mißverstandenes Gestabe halte. Darüber haben Zwielicht und Draugur und ich uns lichtvoll und angeregt ausgetauscht.
    Wagners Charakter spielt dabei überhaupt keine Rolle - Alliterationen sind kein Symptom für ein charakterliches Störungsbild (könntest Du aber vielleicht einmal als Vorschlag für eine Modernisierung des analytischen Instrumentariums bei Vertretern einer psychoanalytischen Literaturwissenschaft einreichen ;) ).
    Meine Einschätzung Wagners als Künstler leidet unter seinen seltsamen Versen nur bedingt... :D
    Herzlichst,
    Medard

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