Haydns Schöpfung - ein selbstverherrlichendes Machwerk!

  • Zitat

    Original von oper337
    Da wird mir immer kalt, egal von wem und wo ich es höre. Diese grandiose "Tonmalerei" kommt wohl von dem gläubigsten Menschen Joseph Haydn, der die Worte der Genesis, wahr und ernst nahm.


    Eigentlich sollte Licht ja Wärme bringen, oder nicht? Wenn es Dir also kalt wird, dann ist irgendetwas falsch komponiert... ;)


    Nein, ich finde die Stelle ziemlich trivial. C-Dur bei "Licht" - wer hätte das damals so nicht komponiert?


    Zitat

    Das ist uns heute schon "vergangen", wir staunen nur, dass es das gibt, wenn wir die "Schöpfung" hören, aber wir sind zu "modern", dass wir uns dann in die Welt des Ehrendoktors von Oxford und doch den einfachen Menschen aus Rohrau im heutigen N.Ö., oder im 6. Bezirk, Gumpendorf, in Wien, hineindenken.


    Ja, es klingt in der Tat zu studiert...


    Natürlich mag ich die Schöpfung dennoch.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Natürlich, deshalb hat er ja auch "vor allem, wenn..." und nicht "und zwar erst dann, wenn" geschrieben!

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Das "vor allem, wenn..." setzt dem aber nur ein Krönchen auf, das vorher wohl gefehlt hat.


    ;)


    Aber ich möchte nicht den falschen Eindruck erwecken, bewußt an Walters Schreibweise herumzunörgeln... dann lieber an Haydns Schöpfung.


    Mir sind die Zufallsschöpfungen, die es eben nicht darauf angelegt haben, ein Meisterwerk zu sein, viel lieber... im Falle von Haydns Schöpfung ist mir dies alles zu ablesbar.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Ulli,


    Nörgle lieber an mir statt an Haydn. Der Arme kann sich doch nicht mehr wehren. ;)


    Mit der österreichischen Ausdrucksweise hast Du eindeutig Probleme. Da steht offenbar zu viel z w i s c h e n den Zeilen. Ich gebe zu, sie ist eine Wissenschaft. Aber Du bist ja noch jung!


    Bei einer grottenschlechten Interpretation mag ein Meisterwerk ja noch erkennbar sein, aber wohl kaum genießbar (wenn ich denke, wie man sich z.B. am Lied an die Freude schon versündigt hat, bin ich fast versucht, ein sonst vermiedenes Smilie einzusetzen). Ein guter Interpret vermag dafür oft, ein gar nicht so aufregendes Werk zum Faszinosum oder irgendwelchen Blödsinn erträglich zu machen. Hoffentlich ist es also erlaubt, an einem guten Werk mit Hilfe einer grandiosen Wiedergabe noch mehr Freude zu empfinden als die bloße Normalemotion oder die pflichtschuldige Respektsregung. Denn große Interpreten helfen auch zu einem besseren Verstehen, eben weil sie mehr bieten.


    LG :hello:


    Waldi


    Post scriptum:
    Die "Schöpfung" ist zu einer Zeit entstanden, als ernsthaft von vielen geglaubt wurde, man würde zu großer Kunst vor allem Zirkel und Lineal benötigen oder nur diese. Für uns sicher abwegig. Trotzdem sind damals mit Hilfe von Zirkel und Lineal Meisterwerke geschaffen worden. Subjektiv hat jeder das Recht, zu mögen oder nicht zu mögen. Objektiv muß man die Bedingungen der Entstehungszeit zur Urteilsfindung heranziehen, dazu gehört sicher auch eine Auffassung von Naivität oder Frömmigkeit, die uns heute vollkommen fremd geworden ist (daß sie mit profanereren Überlegungen Hand in Hand gehen kann, ändert nichts daran).

  • Lieber Ulli!


    Es kann einem auch kalt werden, wenn etwas für einen Augenblick so hervorquillt


    und trotz aller Wärme die ein Schöpfungsakt in sich birgt, birgt er auch das Gegenteil in sich und diese C-Dur natürlich, die ist ja da die einzig richtige Tonart, um zu Herzen zu gehen - auch wenn Du meinst, wer hätte damals nicht so komponiert.


    Da habe ich, wie Waldi mit der "Ode an die Freude" schon mehr Schwierigkeiten, nicht unbedingt bei Beethoven, aber bei Schiller.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien, wo man vielleicht ein anderes Deutsch spricht oder denkt, möglicherweise! :hello:

  • Hallo Wal- und Peter,


    ich glaube nicht, daß mein persönlicher Geschmack etwas mit dem Verständnis der österreichischen Sprache zu tun hat, obwohl ich zugeben muß, daß ich damit gelegentliche Problemchen habe - aber das ist einfach mangelnde Gewohnheit [es dürfte umgekehrt recht ähnlich sein].


    Zitat


    Die "Schöpfung" ist zu einer Zeit entstanden, als ernsthaft von vielen geglaubt wurde, man würde zu großer Kunst vor allem Zirkel und Lineal benötigen oder nur diese. Für uns sicher abwegig. Trotzdem sind damals mit Hilfe von Zirkel und Lineal Meisterwerke geschaffen worden. Subjektiv hat jeder das Recht, zu mögen oder nicht zu mögen. Objektiv muß man die Bedingungen der Entstehungszeit zur Urteilsfindung heranziehen, dazu gehört sicher auch eine Auffassung von Naivität oder Frömmigkeit, die uns heute vollkommen fremd geworden ist (daß sie mit profanereren Überlegungen Hand in Hand gehen kann, ändert nichts daran).


    Die Herangehensweise an die objektive Betrachtung ist ganz in meinem Sinne dargestellt: Auch ich ziehe die näheren Umstände der damaligen Zeit, soweit bekannt resp. eruierbar, mit ins Boot. Aber genau hier liegt der Hase schon im Pfeffer: Zu jener Zeit, wo Haydn quasi formvollendet seine Schöpfung präsentierte [1796/1798], war aber doch der Stil bereits in vollem Umbruch. Hatte doch Beethoven erst kurz zuvor den Papa Haydn mit einem seiner Werke schockiert...


    Ich denke, daß Haydns "Getue" zu dieser Zeit schon fast überholt war - jedenfalls nahe dran, überholt zu werden und auch kuz darauf überrollt wurde; vielleicht nicht im Fach "Oratorium" [mir sind aus dieser Nachfolgezeit nur zu wenige Oratorien bekannt], aber was den Stil und die Form betraf, in jedem Fall.


    Und genau dieses penibelst perfekte in Haydns Arbeit - man mag das meisterhaft empfinden - stört mich: Es ist einfach keine Bewegung, kein Suchen mehr in dieser Musik, sondern eine fast schon ermüdende Korrektheit. So, wie ein alter Mann im Lehnsessel sitzt, von der Frage angeätzt den Qualm eines Zigarillo auspustet und sagt: "Kindchen, das ist doch ganz einfach... pass mal auf."


    Ebensowenig mag ich Fabrikkuchen - sie mögen, was ich gerne bestätige, noch so perfekt aussehen und schmecken: Omas Torte, die vom Blech gefallen ist, ist mir lieber...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Lieber Ulli!


    Du magst wohl Recht haben - aber der Vergleich mit der Torte ist einfach köstlich, ich gestehe ich habe ziemlich gelacht, :jubel:


    darf ich mir dieses Bonmot zu meinen nehmen? :yes:


    Das gefällt mir, aber um auf Haydns "Schöpfung" zu kommen, ja Du hast natürlich Recht der junge Beethoven hat da schon Einiges "durcheinander gebracht", sehr zum Vorteil,


    jedoch mir gefällt die "Schöpfung", wobei ich die "Jahreszeiten" schon lange nicht mehr aus dem Regal genommen habe, weiß nicht zu denen habe ich keinen "besonderen Draht"???


    Frag mich nicht, ich weiß es nicht.


    Liebe Grüße Peter aus Wien, wir verstehen uns schon - wir sprechen ja eine Sprache


    und wir haben eine Sprache, die die ganze Welt versteht: die Musik!


    :hello: :hello:

  • Hallo Ulli,


    Das ist für mich das Anziehende an der Epoche um 1800 (nicht das einzige), daß hier so gegensätzliche Dinge zugleich passieren und vielfach auch in bewußtem Kontrast zueinander.


    Den gelungenen Vergleich mit Omas Torte und dem Industriegugelhupf kann ich nur mit dem Hinweis auf den individuellen Gusto erwidern. Ich habe ja auch meine Vorlieben und würde, vor die Wahl gestellt, sicher eher Beethoven als Haydn auf die Insel mitnehmen - aber wer weiß, ob ich, falls ich in zwanzig Jahren unwahrscheinlicherweise noch lebe, dann nicht einen veränderten Geschmack aufweise. Und ich würde sicher alles versuchen, um beide mitnehmen zu können. Doch fürchte nicht, daß ich Dir die "Schöpfung" jetzt unbedingt als Lieblingsstück einreden will, das wäre doch vollkommen verkehrt.


    LG


    Waldi

  • Lieber Waldi!


    Ich nehme - auf die Insel - auf alle Fälle " Die Schöpfung" mit, aber die Aufnahme mit Gundula Janowitz,


    bei Beethoven eventuell die Symphonie Nr. 7, die 9. da habe ich meine Bedenken, wegen dem Text im 4. Satz, aber der ist ja auch nicht von Beethoven. Wahrscheinlich aber den Fidelio - ebenfalls mit Gundula Janowitz, als DVD, nehme ich mit.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter. :hello: :hello:

  • Der ZDF-Theaterkanal bringt im Oktober 2008 aus einem Archiv eine Aufzeichnung von den Salzburger Festspielen 1990, der nicht nur Fans von Lucia Popp oder Francisco Araiza aufhorchen läßt:

    JOSEPH HAYDN: DIE SCHÖPFUNG

    Salzburger Festspiele 1990
    Dirigent: Ricardo Muti
    Wiener Philharmoniker
    Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
    Chorleitung: Helmut Froschauer
    Cembalo: Robert Kettelson, Vc.: Robert Scheiwein


    Mit Lucia Popp, Francisco Araiza, Olaf Bär, Samuel Ramey,
    Iris Vermillion u.a.


    Zitat

    Joseph Haydn war einer der meistgefeierten Komponisten seiner Zeit. Hochgeschätzt, bestimmt von Harmoniestreben und logischem Denken. Haydns Musik ist Ausdruck einer inneren Ruhe und heiteren Gelassenheit: ... da mich Gott mit einem fröhlichen Naturell ausgestattet hat, wird mein Schöpfer mir wohl verzeihen, wenn ich ihm fröhlich diene - diese Worte schwingen mit, wenn man die Musik seines Oratoriums, das er 1798 vollendet hatte, hört. Von England zurückgekehrt, war Haydn unglücklich über den englischen Text seiner Schöpfungsgeschichte. Der kaiserliche Hofbibliothekar Gottfried van Swieten übersetzte ihn dann ins Deutsche. Am 30. April 1798 fand die mit Spannung erwartete Uraufführung im Palais des Fürsten Joseph Schwarzenberg in Wien statt. Haydn dirigierte. Salieri saß am Klavier. Die Premiere war ein grandioser Erfolg. Schon die ersten Klänge, die das Chaos schildern, aus dem Gott die Erde schuf, sprengten den Rahmen der damals bekannten Musik.


    Hier die Sendetermine:


    Mi, 01.10.2008 14:00 Uhr(120 min.)
    So, 05.10.2008 09:00 Uhr
    Mi, 08.10.2008 14:00 Uhr
    Fr, 10.10.2008 09:00 Uhr
    Mi, 15.10.2008 14:00 Uhr
    Di, 21.10.2008 09:00 Uhr
    Mi, 22.10.2008 14:00 Uhr
    So, 26.10.2008 09:00 Uhr
    Mi, 29.10.2008 14:00 Uhr
    Fr, 31.10.2008 09:00 Uhr


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Lieber Harald!


    Danke für die Termine, weiß nur nicht wie ich das bei uns bei Telekabel einstelle? (Gilt auch für Gasparone).


    Diese Aufnahme ist besonders gut, also bitte Aufnehmen.


    Lucia Popp singt hier den Gabriel und die Eva (war in Wien eigentlich sehr lange üblich, z.B. bei Hilde Güden in den 1964er Jahren).


    Es gibt ja dann noch die DVD wo Lucia Popp, sehr jung damals, die Eva sang und Judith Blegen den Gabriel unter Leonard Bernstein.



    Liebe Grüße Peter aus Wien. :hello: :hello:

  • Hoffentlich wird man jetzt, im 200.Todesjahr von Joseph Haydn,


    seinen Oratorien gerecht werden.


    Ich kann mich zwar nicht ganz mit den "Jahreszeiten" anfreunden, aber mit der "Schöpfung" auf alle Fälle.


    Und diese Freundschaft dauert nahezu 45 Jahre.


    Liebe Grüße Peter aus Wien. :hello: :hello:

  • Zitat

    Diese Ton-/Lautmalerei ist eben auch fantastisch. Aber gehört sie in dieser Intensivität in ein geistliches Werk oder doch eher in eine Bühnenmusik?


    Warum nicht?
    Warum sollte geistliche Musik nur fromm sein?
    Die Schöpfung hat Intensivität auch im Alten Testament, das dort im Buch Genesis hat nichts mit "fromm" oder ähnlich leisem zu tun!
    Das dort ist intensiv und laut (vgl. "Es werde Licht!!!) und nicht fromm und leise!
    Glaube heißt nicht zwingend fromm - und diesbezüglich ist "Die Schöpfung" ein geistliches Werk, das eben - Intensiv und glühend ist, wie die "wahre Schöpfung" im Alten Testament der Bibel...


    Haydn selbst war ein sehr gläubiger Mensch und das besonders während des Schaffens der Schöpfung. (wie selbst sein Diener sagte: er war nie so gläubig wie während des Schaffens der Schöpfung).
    Also glaube ich und vertrete dies auch vehement, dass die Schöpfung ein geistliches und tief gläubig machendes Werk ist, das viel mehr Glaube übermittelt, als so manch anderes frommes, leises Werk...


    Gruß :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Zitat

    Ich kann mich zwar nicht ganz mit den "Jahreszeiten" anfreunden, aber mit der "Schöpfung" auf alle Fälle.


    Das ist etwas, das interessanterweise sehr oft auftritt.
    Die Jahreszeiten ist ein ganz anderes Oratorium und vielen ist es entweder nicht Oratorium genug oder eben gar kein Oratorium (in ihren Augen und Ohren).
    ABER-
    die Jahreszeiten ist ganz sicher ein Oratorium ein ganz großartiges sogar und müsste ich wählen - Gott sei Dank muss ich es nicht ( :P) würde ich die Jahreszeiten bevorzugen...
    Die Jahreszeiten ist deswegen als Oratorium zu verstehen, weil Haydn Pantheist war - also jemand, der glaubt Gott sei die Schöpfung, also die Natur um uns. Deshalb ist "Die Jahreszeiten" auch ein Oratorium!
    Er beschreibt, wie alles gesät wird und alles blüht, beschreibt die Natur - also Gott...
    Ich finde "Die Jahreszeiten" ist ein ganz vorzügliches, unglaublich schönes Oratorium, das ich niemals als "zu wenig Oratorium" ansehen werde... :yes:


    Aber dieser Thread ist ja nicht der Jahreszeiten-Thread, also genug von den Jahreszeiten... :stumm:


    Gruß :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Ich habe mir den Thread zu Haydns "Die Schöpfung" mit den kontroversen Sichten gelesen. Dem Thread-Eröffner ist das Oratorium zu plakativ obwohl er die Musik eine Grösse nicht abspricht. Der gewählte Titel des "selbstverherrlichenden Machwerkes" ist reisserisch. Wird das dem Werk gerecht?


    Ein Oratorium ist die Vertonung eines (meist) geistlichen Inhaltes. Haydns Oratorium hat drei Teile:


    Im ersten Teil geht es um die Erschaffung des Lichts, der Erde, der Himmelskörper, des Wassers, des Wetters und der Pflanzen.

    Im zweiten Teil wird die Erschaffung von Fischen, Vögeln, Vieh und Menschen behandelt.

    Im dritten Teil wird von Adam und Eva im Garten Eden erzählt.


    Der erste und der zweite Teil folgen dem Text der Genesis 1, 1-31. In den Rezitativen wird er wörtlich wiedergegeben. Die Engel Gabriel, Uriel und Raphael kommentieren und der Chor steigern die Wirkung oder schliessen jeden Schöpfungstag ab. Teilweise wird Bezug auf die Psalmen genommen. Der Schlusschor des Ersten Teils behandelt Psalm 19, das Terzett im Schlussabschnitt des Zweiten Teils stammt aus Psalm 104, 27-30.


    Der dritte Teil beginnt mit den Worten "Aus Rosenwolken bricht, geweckt durch süßen Klang, der Morgen jung und schön." Er enthält bibelfremde Texte des Librettisten Lidley. Der Sündenfall wird ausgeklammert. Ein paradiesischer Zustand wird beschrieben. Eine optimistische Grundstimmung herrscht.


    Sind es die positiv gestimmte Konstruktion, die von Konflikten frei ist und eine Wohlfühlstimmung verbreitet und die zu einer negativen Einschätzung des Oratoriums führen? Ist zuviel Harmonie enthalten? Wird die Welt durch eine rosarote Brille gesehen?


    Ich habe mich musikalisch gut unterhalten gefühlt, als ich das Oratorium in der Interpretation Harnoncourts angehört habe.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ob fromme oder nicht fromm, das ist mir schnuppe. Joseph Haydn war ein gläubiger Mensch. Der Schöpfung, die er überblicken konnte, war er zugetan. Als Besucher Londons hat er die Weite des Meeres erlebt, ist von einer ländlichen Umgebung umgeben gewesen, in der er komponiert hatte, das Städtische war ihm auch bekannt. Das angespannte Verhältnis zu seiner Ehefrau klammere ich mal aus, wenn man den paradiesischen dritten Teil in Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter und Haydns Erfahrungen berücksichtigen wollte.


    Die Worte "selbstverherrlichend" und "Machwerk" des Titels würde den Komponisten ins Mark treffen, wenn er von seiner himmlischen Wolke der Diskussion verfolgen könnte.


    Er war ein schöpferischer Mensch der in der Sinfonie und Kammermusik Maßstäbe gesetzt hat und die musikalischen Grenzen mit Witz und Tiefgang ausgelotet hat. Ich sehe ihn als der Musik und seinem Dienstherrn dienenden Komponisten, der sich seines Wertes und Könnens durchaus bewusst war.


    Wenn ein Musiker sein Publikum mit musikalischen Mitteln beeindrucken möchte, finde ich das legitim. Langeweile würde ich ihm allerdings nicht verzeihen. Das ist in "Die Schöpfung" nie der Fall.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Als ich den Thread grade durch deinen neuen Beitrag, moderato, gesehen habe, bin ich erschrocken und wollte schon "Frechheit" rufen. Aber meist ist man ja besser beraten, erstmal zu lesen.

    Ulli hat dieses Thema begonnen und argumentiert, dass Haydns "Schöpfung" zwar großartige Musik ist bzw. enthält, aber keine richtiges Oratorium und keine richtige Sakralmusik sei.


    Das scheint mir aber ein Missverständnis zu sein. Leider kann ich ihn ja nicht mehr fragen. Aber IMO gibt es eben nicht nur entweder eindeutig geistliche Oratorien, die dann Sakralmusik sind und auf der anderen Seite weltliche Oratorien. Man könnte ja schon kritisch fragen, ob Händels dramatische Bibeloratorien Sakralmusik sind. In meinen Augen sind sie das nicht, zumindest nicht im liturgischen Sinn. Aber Ulli wirft es nur Haydn vor. Was macht denn ein geistliches Oratorium aus? Am ehesten das Sujet und das Vorhandensein von Bibelwort und in diesem Sinne ist Haydns Schöpfung genau so ein geistliches Oratorium, wie die Händelschen und später Mendelssohnschen oder auch Beethovens "Christus am Ölberg". Aber all diese Werke sind auch dramatisch und natürlich überhaupt nicht liturgisch und vergleichbar mit Messkompositionen. Selbst die Bachschen Oratorien, die gemeinhin eher als Sakralmusik bezeichnet werden und immerhin Choräle enthalten, sind ja im hohen Maße auch dramatisch und nicht im eigentlichen Sinne Sakralmusik. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, warum diese gattungsimanente Eigenheit nur Haydns Schöpfung vorgeworfen wird.


    Und was Ulli mit "angeberisch" und "Machwerk" meint, erschließt sich mir überhaupt nicht.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Lieber Tristan2511


    Weshalb das inaktive Mitglied Ulli diesen reisserischen Titel gewählt hatte, ist mir ebenso unverständlich, denn er hatte im Forum sehr fundierte Beiträge verfasst.

    Zuweilen werden Schlagzeilen der Threads gewählt, die im wahrsten Sinne des Wortes "erschlagen". Schon der Beginn von "Die Schöpfung" war Ulli ihm ein Dorn im Ohr.


    Deine Erklärungen zu den Oratorien und die Meinung dazu, teile ich auch.


    LG moderato

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Weshalb das inaktive Mitglied Ulli diesen reisserischen Titel gewählt hatte, ist mir ebenso unverständlich, denn er hatte im Forum sehr fundierte Beiträge verfasst.

    Lieber moderato auch ich lese mit zum Teil erheblichen Vergnügen die Beiträge des inaktiven Mitgliedes Ulli . Bei allem Sachverstand, den er offensichtliche hat(te), scheint er aber auch über eine ausgewachsene Menge an Humor zu verfügen. So interpretiere ich den Titel :) und die etwas plakative Art des Angriffs auf das Werk. ;)

  • Für mich war es nicht einfach mit der "Schöpfung",


    ich hatte sie auf CD angehört und es hat nicht "Klick" gemacht. Aber dann habe ich mir sie in einem Konzert angetan. In Baden-Baden, Gardiner mit seinem Chor und Orchester - und war überwältigt. Am nächsten Tag die CD heraus gesucht - und siehe da - wieder Gardiner, hatte ich vergessen. Da hatte es mich dann gepackt und ich hatte mir noch zwei weitere Aufnahmen besorgt. Die schon genannte Aufnahme mit Christie und Spering ( als SACD, gibt es nicht bei JPC ). Alle drei finde ich sehr hörenswert :




    Ich wünsche allen frohe Ostertage !


    Kalli


    P.S. Karajan habe ich auch - aber die CD hatte ich nur wegen Wunderlich gekauft der den Uriel sang, leider aber durch seinen tragischen Unfalltod die Aufnahme nicht beenden konnte, er wurde durch den gar nicht schlechten Werner Krenn ersetzt, aber er war halt nicht Wunderlich. Auch die übrige Sängerbesetzung ist toll, aber insgesamt wäre das nicht meine erste Wahl....


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  • Zitat von moderato

    Ob fromme oder nicht fromm, das ist mir schnuppe.

    ........mir auch! :)


    Zitat von moderato

    Die Worte "selbstverherrlichend" und "Machwerk" des Titels würde den Komponisten ins Mark treffen, wenn er von seiner himmlischen Wolke der Diskussion verfolgen könnte.

    :saint::angel:


    Zitat von Tristan2511

    Was macht denn ein geistliches Oratorium aus? Am ehesten das Sujet und das Vorhandensein von Bibelwort und in diesem Sinne ist Haydns Schöpfung genau so ein geistliches Oratorium, wie die Händelschen und später Mendelssohnschen oder auch Beethovens "Christus am Ölberg".

    Hallo lieber Tristan2511, es ist allerdings nicht das Vorhandensein von Bibelworten ausschlaggebend, sondern im großen und ganzen geistlich mit div. Assoziationen!


    Zitat von Wikipedia

    Oratorium (kirchenlat. oratorium „Bethaus“, von lat. orare „beten“) nennt man in der musikalischen Formenlehre die dramatische, mehrteilige Vertonung einer zumeist geistlichen Handlung, verteilt auf mehrere Personen, Chor und Orchester.

    Zitat von Haydn

    „Ich war auch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte.“


    Also, ich stimme dir und moderato zu , "Die Schöpfung" ist ein herrliches Werk mit wunderschöner Musik!


    Was hier noch nicht gezeigt wurde sind drei Aufnahmen der "Der Schöpfung" mit englischem Text .......


    Zitat

    Es folgte eine Rückübersetzung des Textes ins Englische. Die englische Erstaufführung fand im Jahr 1800 im Londoner Covent Garden statt


    ....ich habe immer schon ein Faible fürs englische, das kommt vom Händel!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Nur so am Rande - um den - natürlich nicht zutreffenden Titel - zu verstehen - sollte man wissen, daß solche Titel in der Steinzeit von Tamino Klassikforum quasi eine Notwendigkeit waren, um das Forum in Schuß zu bringen. Es wurde mit Protesten gerechnet und so das Forum belebt. In späteren Jahren brauchten wir das nicht mehr.

    Die Idee zu "provokativen und geschmacklosen Titeln" kam übrigens teilweise von mir, wobei ich hier durch ein "Vorbild" geprägt wurde.

    Dereinst kam eine neue Stereozeitschrift auf den Markt, deren Artkikel oft mit IMO geschmacklosen Titeln versehen waren. Binnen 2 Jahren gelang es dieser Zeitschrift, die alteingesessene "HIFI STEREOPHONIE" vom Markt zu verdrängen und zur Aufgabe zu bewegen. DAS habe ich mit gemerkt und -widerwillig- das Vorbild kopiert. Dieser Stil wurde dann im Forum übernommen. Man merkt heut kaum was davon, weil in späteren Jahren - oft auf Anregung von Mitgliedern - die Titel geändert wurden. Oft mit Einverständnis der Thermenstarter - gelegentlich aber auch ohne.....

    Und natürlich ist Haydns Oratorium weder ein Machwerk, noch selbstverherrlichend.:)


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gut, dass Alfred erklärend eingegriffen hat. :) Der Ulli, der bei meinem Eintritt in dieses Forum bereits entschwunden war, versteht viel zu viel von Musik, als dass er seinen Beitrag ganz ernst gemeint haben dürfte.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold1876


    Ulli ist es ernst, mit seiner Ablehnung. Ich sehe nicht ein Stäubchen Ironie in seinen Aussagen und die Wahl des Titels ist von ihm bewusst gesetzt.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Der dritte Teil beginnt mit den Worten "Aus Rosenwolken bricht, geweckt durch süßen Klang, der Morgen jung und schön." Er enthält bibelfremde Texte des Librettisten Lidley. Der Sündenfall wird ausgeklammert. Ein paradiesischer Zustand wird beschrieben. Eine optimistische Grundstimmung herrscht.


    Sind es die positiv gestimmte Konstruktion, die von Konflikten frei ist und eine Wohlfühlstimmung verbreitet und die zu einer negativen Einschätzung des Oratoriums führen? Ist zuviel Harmonie enthalten? Wird die Welt durch eine rosarote Brille gesehen?

    Es IST ja VOR dem Sündenfall, oder? :) Insofern wäre es völlig korrekt, eine paradiesische Stimmung einzufangen.

    Wohl eher eine Frage der Nuancen, ob man den Fall ausklammert, da jeder seinerzeitige Zuhörer mit der Geschichte vertraut war. (Das ist wohl ein Unterschied zu den "Predigten" bei Bach (oder in Jennens Messiah-libretto), in der immer Bögen über die gesamte Heilsgeschichte geschlagen werden müssen. Andererseits enden selbst die weltlicheren "Jahreszeiten" mit einem Ausblick auf den jüngsten Tag, also den "7. Tag und Sabbat" der Weltgeschichte.


    Es kann allerdings schon auch sein, dass Haydns Oratorium durchaus den seinerzeitigen eher deistischen, optimistischen rationalistischen Zeitgeist ansprach, der nicht an den Sündenfall glaubte, und an die diesseitige Verbesserung der Welt (die ja nicht verboten ist im Christentum). Wobei freilich ein irgendwie gearteter historisch-gesellschaftlicher "Sündenfall" auch in einer Rousseauschen Idee impliziert wird. Denn wenn der ursprüngliche edle Wilde frei und glücklich war, muss ja irgendeine Entwicklung zur repressiven Gesellschaft, die Unfreiheit erzeugt, geführt haben.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)