Erbärmlich fand ich die Reaktion, besser gesagt die Nichtreaktion, führender deutscher Medien auf den Tod der großartigen Mirella Freni. Weder die ARD-Tagesschau noch das ZDF fanden es für nötig, auf ihrem Online-Portal darüber ein Wort zu verlieren. Traurig, aber wahr! Es geht aber auch anders: Der ORF brachte die Meldung zeitnah auf der ersten Seite seiner online-Nachrichten! Auch die führenden deutschen Zeitungen haben sich in dem Zusammenhang nicht gerade mit Ruhm bekleckert!
Dafür werden bei uns oft sogenannte Künstler gewürdigt, denen man zu Lebzeiten lieber nicht im Dunkeln begegnet wäre.
Ich habe eine stattliche Anzahl Tonaufnahmen der großen Sängerin in meiner Sammlung. Statt des üblichen, allgemein bekannten Repertoires habe ich mir zum Gedächtnis in den letzten Tagen diese Aufnahmen angehört:
Mirella Freni (Sopran) und Nicolai Gedda (Tenor) singen Duette aus Opern von Bellini und Donizetti, begleitet vom
New Philharmonia Orchestra London, Dirigent: Edward Downes (Aufnahmen: Februar und Juni 1966, Abbey Road Studio Nr. 1, London).
Ganz zauberhaft fand ich das Duett Norina-Ernesto aus dem 3. Akt von Donizettis "Don Pasquale": "Tornami a dir che m'ami" (Laß es, ach laß es mich hören), aber auch die restlichen Stücke aus "Die Nachtwandlerin" (La Sonnambula) und "Lucia de Lammermoor" von Donizetti sind wunderschön interpretiert. Zwei Stimmen, die ideal miteinander harmonieren und nicht sich selbst, sondern dem Werk dienen. Schade, daß es so wenige Aufnahmen in dieser Kombination gibt.
Erinnern möchte ich an dieser Stelle noch an Mirella Frenis erste Studio-Bohème, in der sie ebenfalls an der Seite von Nicolai Gedda zu hören ist:
mit dem Chor und Orchester des Opernhauses Rom, Dirigent: Thomas Schippers (Aufnahme: 1962/63, Rom).
Leider ist diese Aufnahme durch die spätere unter Karajan mit Luciano Pavarotti als Rodolfo (Decca) total in den Hintergrund geraten, obwohl sie das keineswegs verdient hat! Bei allem Glanz und Gloria der Karajan-Produktion scheint mir persönlich in dieser älteren Aufnahme die Atmosphäre des Quartier Latin und ihrer Künstler noch besser und überzeugender eingefangen zu sein. Die Aufnahme zeichnet sich durch das Fehlen von allem Pathos und jeglicher Sentimentalität aus. Der Dirigent, der früh verstorbene Thomas Schippers, spielt so flüssig, zart und transparent, mit einer geradezu vornehmen Zurückhaltung, daß die Oper eine bis dato unbekannte Klarheit gewinnt. Und Mirella Freni und ihr Partner Gedda singen so schlank und feinsinnig, wie ich es sonst in keiner mir bekannten Bohème-Aufführung gehört habe.
Wohlgemerkt: Nichts gegen die herausragende Karajan-Produktion, die mit ihrer unerhörten orchestralen Brillanz und einer schier unübertrefflichen Besetzung aufwarten konnte, doch um bei Mirella Freni zu bleiben, sie war in der Schippers-Aufnahme rund 10 Jahre jünger, und mit ihrer damals noch frischeren, jungmädchenhaften Stimme war sie eine noch überzeugendere Mimì.
Für mich bleibt die Schippers-Produktion ein geschliffener Diamant unter den zahlreichen Bohème-Aufnahmen der Stereo-Ära.
LG Nemorino