Es wird Zeit für - André Previn. Der in diesem Forum leider vollkommen unterrepräsentierte Komponist, Pianist, Arrangeur und natürlich Dirigent verdient einfach größere Aufmerksamkeit. Mittlerweile ist es ziemlich still um Ihn geworden; er ist halt auch nicht mehr der Jüngste. Seine große Zeit der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts liegt hinter Ihm.
Hier einige Lebensdaten:
Geboren wurde er am 6. April 1929 in Berlin als Andreas Ludwig Priwin - er ist also Deutscher.
1937 zog die jüdische Familie nach Paris, von wo aus sie 1941 vor den Nazis in die USA flüchtete.
In den USA angekommen, beschäftigte sich Previn mit Jazz und begann seine Karriere mit Radioaufnahmen. Mit fünfzehn Jahren gab er sein erstes Jazzkonzert und machte seine ersten Aufnahmen für ein Jazzlabel 1945/46. Er zählte zu den erstklassigen Jazzmusikern der Vereinigten Staaten und spielte mit Ray Brown, Dizzy Gillespie und Billie Holiday. In den 50er Jahren war er mit der Sängerin Betty Bennett verheiratet. Von 1970-1979 war er mit Mia Farrow und von 2002-2006 mit Anne-Sophie Mutter verheiratet. Von Königin Elisabeth II. wurde er mit dem Knight Commander of the British Empire ausgezeichnet.
Im weiteren Verlauf seiner Karriere beschäftigte er sich mit dem Komponieren von Filmmusik (z.B. Three Little Words und Gigi, für die er einen Oscar erhielt) sowie dem Dirigieren von Kinofilmmusiken (Der Elefantenmensch, Rollerball, Jesus Christ Superstar, My Fair Lady, Porgy and Bess, Seidenstrümpfe u.a.).
Und nun begann seine internationale Dirigentenkarriere, die sich in folgenden Chefdirigentenpositionen manifestierte:
1967 - 1970: Houston Symphony Orchestra
1969 - 1979: London Symphony Orchestra (Conductor Laureate seit 1993)
1976 - 1984: Pittsburgh Symphony Orchestra
1985 - 1989: Los Angeles Philharmonic Orchestra
1985 - 1991: Royal Philharmonic Orchestra
seit 2002: Oslo Philharmonic Orchestra
Tja, und nun die eigentliche Frage: warum "verkanntes Genie"?
Irgendjemand bezeichnete Ihn mal als "erstklassigen Dirigenten für zweitklassige Musik", was sich wahrscheinlich auf seine Vorliebe für eher randständiges Repertoire bezog. Und da liegt wahrscheinlich genau der Hase begraben: Previn hat sich nie ein "Titanenimage" wie Karajan zugelegt oder ein sonstiges Maestrogehabe veranstaltet und sich eben auch nicht mit dem Standardrepertoire beim Publikum beliebt gemacht.
Als seine Glanzzeit muß die Zeit als Chefdirigent des London Symphony Orchestra bezeichnet werden. Aus dieser Zeit stammen seine besten Aufnahmen, viele von ihnen haben bis heute ihre Gültigkeit behalten. Previns künstlerische Potenz war zu dieser Zeit am höchsten und irgendwie wirkte er auch am inspiriertesten und lustvollsten.
Er scheute sich nicht, seine Mode der damaligen Flower-Power-Zeit anzupassen und auch Auftritte im Fernsehen zu absolvieren, die wohl beim britischen Publikum hervorragend angekommen sein müssen. Nachzulesen ist dies alles in dem exzellenten Buch "Der Mythos vom Maestro" von Norman Lebrecht.
André Previn ist ein uneitler, seriöser und introvertierter Vertreter seiner Zunft, der in Deutschland leider nur als Ehemann von ASM für einiges Aufsehen gesorgt hat, was ein bezeichnendes Licht auf die deutsche Medienlandschaft wirft.
Aber ich will jetzt endlich zu seinen genialen, einmaligen Aufnahmen kommen:
Ganz exzellent und Referenz bis heute ist die Gesamteinspielung der Vaughan Williams-Sinfonien aus den 70er Jahren mit dem LSO auf RCA:
Weiter geht es mit seinen idiomatisch-dunklen Rachmaninov-Sinfonien auf EMI:
sowie einer Spitzenaufnahme der Fünften von Shostakovich auf RCA:
Außerdem gibt es zum Glück noch seine sich als wahres Klangfest entpuppende Einspielung der Ersten Sinfonie von William Walton auf RCA:
Ich wills mit den Plattentips erstmal dabei belassen und Euch jetzt den Vortritt lassen. Was haltet ihr von André Previn? Welche Einspielungen habt ihr? Habt ihr ihn womöglich mal live gehört? Ich bin gespannt.
;)Agon