http://www.epochtimes.de/feuil…zensbildung-a1317130.html
Weikls Aussagen sind hart und zugespitzt. Sie bieten aber durch viele Fakten und belegte Beispiele die Basis einer konkreten Auseinandersetzung. Vielleicht auch mit der Methode des Faktenchecks, in dem diejenigen Tamino-Freunde, die anderer Meinung sind aufzeigen, in welchen Punkten der Sänger/Regisseur falsch liegt. Ich befürchte beim jetzigen Stand unserer Diskussion, dass durch Nebensächliches abgelenkt wird und Nebelkerzen - so intelligent diese auch sein mögen - gezündet werden und die Taminofreunde, die anderer Meinung als der Autor/Interviewpartner im besagten Presseartikel sind Weikls Thesen nicht widerlegen können. Bis jetzt ist Ihnen der Beweis dafür m. E. noch nicht gelungen.
Herzlichst
Operus
Ich folge mit der Einrichtung dieses Threads einem Vorschlag von operus, eine Diskussion über den Artikel von Bernd Weikl in der Zeitschrift „Epoch Times“ zu eröffnen – in der Hoffnung, dass diese Diskussion sachlich und frei von persönlichen Anwürfen bleibt.
Ich habe versucht, die von Bernd Weikl vertretenen Thesen zu rekonstruieren und nehme im folgenden dazu Stellung.
1. Die Oper hat einen Bildungsauftrag, der sich - insofern es sich um öffentliche oder öffentlich geförderte Institutionen handelt - aus dem staatlichen Bildungsauftrag ableiten lässt.
Diese These ist wohl unstrittig – wer wollte hier widersprechen?
2. Dieser Bildungsauftrag lässt sich am besten über eine emotionale Ansprache und nicht über wissenschaftliche oder politische Bildung erzielen, durch „Freude bei beglückenden Erlebnissen“ wie „Genuss spendende Theateraufführungen“. Als Begründung werden nicht näher bezeichnete „wissenschaftliche Untersuchungen“ angeführt, die dies „längst nachgewiesen“ haben sollen.
Hier habe ich schon beträchtliche Zweifel. Weder sehe ich ein Primat kultureller Bildung gegenüber wissenschaftlicher oder politischer Bildung, noch glaube ich, dass kulturelle Bildung am besten auf emotionaler Ebene funktioniert, und ein emotionaler Zugang muss auch nicht ausschließlich über „schöne“ Emotionen erfolgen. Sollten wissenschaftliche Untersuchungen anderes nachgewiesen haben, dann müssten diese zitiert werden, ansonsten hat der Verweis darauf keinerlei Aussagekraft.
Hinter dieser These steckt die meiner Meinung nach naive Vorstellung des „böse Menschen haben keine Lieder“: wenn man genug Schönes, Wohlklingendes und Erbauliches im Theater und Konzertsaal hört, dann trägt das zur wahren Herzensbildung bei. Da gibt es nun aber wahrlich genug Gegenbeispiele, vom Mozart und Beethoven hörenden KZ-Wächter angefangen. Und dass der zweifellos schöne Gesang in ganz traditionellen "schönen" Aufführungen, den Hitler und seine Entourage alljährlich in Bayreuth erlebt hat, etwas zu deren Herzensbildung beigetragen hätte, ist mir auch nicht bekannt. Ganz im Gegensatz zu Wagners antisemitischen Schriften und dem deutsch-nationalen und antisemitischen Gedankengut, das Hitler in Wagners Opern zu entdecken glaubte. Ein wenig politische Bildung wäre da vielleicht zumindest im Frühstadium bei dem einen oder anderen doch hilfreicher gewesen. Eine Filmempfehlung dazu: "Death and the Maiden" mit Sigourney Weaver und Ben Kingsley, der als südamerikanischer Folterer bevorzugt Schubert als Hintergrundmusik laufen lässt, wenn er seine Opfer quält und vergewaltigt.
Die Frage, wie man am besten bestimmte Werte vermittelt und positiv auf Sozialverhalten und soziale Kompetenz einwirkt, ist eine sehr wichtige. Weikl Ausführungen dazu greifen m.E. aber viel zu kurz.
3. Bestimmte Inszenierungsstile sind nicht mit dem Bildungsauftrag des Theaters vereinbar
Auch dies ist eine sehr fragwürdige These, sofern sie allgemein für „das Regietheater“ gemeint ist. Die Tradition, in der dieses Theater steht, sei es nun das Brechtsche Theater oder die 68er Bewegung, sind nun gerade aufklärerische Traditionen, die sehr wohl auf Bildung abzielen. Mein Verdacht ist eher, dass diese antibürgerlichen Traditionen von dem in der Mehrheit konservativen Opernpublikum abgelehnt werden. Ein Publikum, dass in der Oper Wohlklang und Schönheit sucht, wird durch eine bewusste „Irritation seiner Denk-, Seh- und Hörgewohnheiten“ natürlich nicht erfreut. Aber durch solche Irritationen – so meine These – kann Theater seinem Bildungsauftrag sehr wohl nachkommen. Nicht Irritation um der Irritation wegen, nicht Schocks, weil man gerne schockiert oder es dem Publikum mal so richtig zeigen will, sondern weil man damit gesellschaftliche Probleme bewusst machen und festgefahrene Positionen ins Wanken bringen kann. Welche Aufführung des „Fidelio“ kommt dem Bildungsauftrag wohl eher nach: eine auf „Herzensbildung“ setzende "schöne", bei dem am Ende ein Großteil des Publikums mit einer Träne in den Augen ob der rührenden Geschichte zum Diner in die nahegelegenen Restaurants entschwindet und sich über die Leistungen der Sänger austauscht? Oder eine "häßliche" Inszenierung, die auf vielleicht drastische und verstörende Weise deutlich macht, dass Folter und politische Verfolgung auch heute noch in unzähligen Tyrannenstaaten an der Tagesordnung sind oder dass in diesem unserem Lande der „Bruder seine Brüder“ u.a. in den Flüchtlingsheimen antreffen kann, wo man sich über ein „kann er helfen, hilft er gern“ sicher mehr freuen würde als über Brandsätze?
Inwieweit Inszenierungen etwas zur Bildung beitragen oder nicht, kann man im Einzelfall immer diskutieren, und ich bin der letzte, der jeden Auswuchs des „Regietheaters“ gutheißt. Aber den pauschalen Vorwurf, diese Art des Theaters sei nicht mit dem öffentlichen Bildungsauftrag vereinbar, halte ich für absurd.
4. Es gibt keinen Unterschied zwischen „Ekeldarstellungen“ im Dschungelcamp und ähnlichen Szenen auf der Bühne
Zunächst gibt es natürlich einen ganz banalen Unterschied: Auf dem Theater ist das meiste nur angedeutet oder gespielt, während im Dschungelcamp ja offenbar echte Spinnen gegessen werden etc. (ich habe noch nie eine Folge davon gesehen). Aber das ist letztlich zweitrangig, denn der hier entscheidende Unterschied besteht in der Absicht, die mit solchen Szenen verfolgt wird, man könnte auch sagen: dem Kontext. Im Dschungelcamp werden die Szenen mit der Absicht gezeigt, die Sensationslust des Publikums zu befriedigen. Mit einem solchen Appell an die niederen Instinkte ist schwerlich ein Bildungsauftrag verbunden. Werden solche Szenen im Theater gezeigt, haben sie aber doch wohl eine andere Funktion: sie sollen schockieren, aber nicht zur Freude des Publikums, sondern um etwas damit zu erreichen. Sie sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel, zumindest sollten sie das sein. Und wenn das nicht so ist, dann wäre ich der erste, der Kritik daran übt. Was ist der Unterschied zwischen einem Kriegsfilm und einem Anti-Kriegsfilm, beide zeigen doch Waffengebrauch und Tod? Was ist der Unterschied zwischen Gewaltdarstellungen in einem Splatter- oder Rape-and-Revenge-Film und in beispielsweise Michael Hanekes „Funny Games“? Warum wird eine Photographie von Robert Mapplethorpe, die einen Mann mit erigiertem Penis zeigt, im Museum ausgestellt, während andere Photographien mit einem solchen Motiv als Pornographie auf dem Index stehen? Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Der Unterschied ist immer der Umgang mit dem Objekt oder Thema, die Haltung, die der Autor dazu einnimmt, die Absicht, die er damit verfolgt.
Zu den Zitaten von Barbara Beyer, Peter Konwitschny und Albrecht Puhlmann fällt mir eine Stellungnahme schwer, weil diese zum Teil sehr kurz und aus dem Zusammenhang gerissen sind. Daher nur wenige Anmerkungen dazu:
Barbara Beyer im Vorwort zu „Warum Oper?“ Alexander Verlag Berlin. 2005. Spätestens seit 1968 habe man sich von der überalterten Ästhetik einer als bürgerliches Kulturgut verachteten Oper verabschiedet und das sogenannte Regietheater an deren Stelle gesetzt. Jetzt bedürfe es gezielter Provokationen und der bewussten Irritation von Denk-, Seh- und Hörgewohnheiten. Zeitgemäß wäre eine rebellisch-kritische Einstellung gegenüber der Institution Oper sowie eine unabhängige künstlerische Haltung von Regisseuren, die mit ihren Arbeiten wieder politische Brisanz in die deutschen Musiktheater bringen müssten.
Wie schon ausgeführt, habe ich nichts gegen Provokationen und Irritationen, wenn diese nicht um ihrer selbst willen erfolgen, sondern etwas bezwecken. Bewerten lässt sich dies nur im Einzelfall. Politische Brisanz ins Musiktheater zu bringen halte ich für durchaus erstrebenswert, wenn es nicht mit der Brechstange erfolgt und dem Stück gerecht wird. Und gegen eine rebellisch-kritische Einstellung und eine unabhängige künstlerische Haltung von Regisseuren ist aus meiner Sicht nichts einzuwenden.
Albrecht Puhlmann im Vorwort: „... man muss bewusst so pointiert formulieren, um deutlich zu sehen, dass immer neue Schocks und ungeahnte Experimente zur weitgehenden Entfremdung eines genussorientierten und aufbaubedürftigen Publikums führen; ... (denn) wenn man die Oper als exterritoriales Gebiet betrachtet, wo man sich wohlfühlt und das wiedererkennt, was man schon vor Jahren gesehen hat, dann würde dies das Ende der Oper bedeuten.“
Schwer zu bewerten, da aus dem Zusammenhang gerissen. Dass Oper nicht nur ein Wohlfühlort sein sollte, finde ich auch, was aber auch nicht heißt, dass Wohlfühlen verboten ist und man das Publikum schockieren und entfremden muss. Dass manche Regisseure und Theaterwissenschaftler hier eine zu radikale Position vertreten, gestehe ich gerne zu.
Barbara Beyer: „... von einigen Regisseuren wird die Dekonstruktion als möglicher Weg forciert, um durch das Zerlegen der Werke in Fragmente und Ausschnitte diese aus sich heraus und anders lesbar zu machen – und auch, um sich dem sakrosankten Absolutheitsanspruch der Systeme zu widersetzen“.
Die Dekonstruktion von Stücken lehne ich ab, weil damit die Grenzen der Werkgerechtigkeit weit überschritten werden. Jedenfalls wäre eine Sammlung von Fragmenten, angereichert mit Fremd-Texten, wie es im Sprechtheater oft erfolgt, dann keine Interpretation des Werkes mehr sondern eine Bearbeitung und müsste auch als solche gekennzeichnet werden. Der Rest des Zitats ist außerhalb des Zusammenhangs für mich nicht verständlich.
Peter Konwitschny: „Ich habe etwas gegen diese Opernpathetik und mag es auch, diesem konservativen Publikum etwas ins Gesicht zu schleudern ...“ und weiter S. 36: „Wer die Bühne missbraucht, um dort für viel Geld schöne, perfekte Töne zu singen, ist asozial. Ich verstehe da keinen Spaß ..“
Auch das ist so fragmentarisch zitiert, dass es schwer zu bewerten ist. Was ist „diese Opernpathetik“, gegen die sich Konwitschny hier wehrt? Das müsste man erst einmal nachlesen. Dem Publikum etwas ins Gesicht zu schleudern halte ich per se nicht für schlimm, es kommt darauf an was und wozu. Die Ablehnung der Bühne als bloße Rampe des schönen Singens ist gerade ein Beispiel dafür, dass Konwitschny mehr vom Theater verlangt – vielleicht hat er ja einen Bildungsanspruch?