Ist Tschaikowsky außer Mode ?

  • Peter Tschaikowski ist in meiner Rezeption eine völlige Randerscheinung. In meiner Jugend habe ich mich (recht schnell) an seinem ersten Klavierkonzert sattgehört.

    Tschaikowski erstes Klavierkonzert habe ich nur einmal in Düsseldorf gehört, mit Tzimon Barto. Furchtbarer als das Klavierkonzert war nur, dass der Pianist zwischendurch immer eigene Gedichte vortrug. Schlimmer als Tschaikowskis erstes Klavierkonzert fand ich nur Rach 3. Als es in Duisburg gespielt wurde, wollte ich raus, aber der letzte Satz war attaca, da habe ich mich nicht getraut. Vor Jahren war in Düsseldorf Hilary Hahn zu Gast, sie spielte das Violinkonzert von Strawinski. Nach der Pause waren Tschaikowskis Rokokovariationen dran. Am Ausgang trafen Hilary Hahn und ich zusammen und parlierten ein paar Takte in Deutsch und Englisch. Mit einem Autogramm ging ich dann stante pede in die Altstadt.

    Allerdings muss ich sagen, dass seine drei Streichquartette mit die schönsten sind, die ich kenne.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Der derzeitige russische Kulturminister Wladimir Medinski bestreitet die Homosexualität Tschaikowskis ganz vehement. Es gäbe keine Beweise hierfür (wissenschaftlich ist diese Behauptung unhaltbar). Ein Tschaikowski-Film wurde seinerzeit auch deswegen gestoppt. Selbst Wladimir Putin bestritt die Homosexualität Tschaikowskis indes nicht, meinte aber, die Russen liebten ihn nicht deswegen, sondern wegen seiner großartigen Musik. In der UdSSR wurden die Briefe Tschaikowskis, die dies eindeutig beweisen, nicht editiert.

    Das Zitat stammt aus einem Beitrag vom 24. Juni 2019. Medinski ist zwar nicht mehr Kulturminister, an der inhaltlichen Sachlage hat sich aber nichts geändert. Schon deshalb sollte Tschaikowski im aufgeklärten Westen, wo er sich selbst oft aufhielt, geehrt werden. Man darf ihn nicht der russischen Deutungshoheit überlassen. Es wäre töricht, den Komponisten in die aktuellen Ereignisse infolge des Ukrainekrieges hineinzuziehen. Für mich war Tschaikowski zu keiner Zeit weder aus der - noch in Mode. Er steht über solchen Zuteilungen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich finde dass Lisitsa ihre Sache ziemlich gut macht, trotzdem kann mich nicht einmal für seine Klaviermusik über einen längeren Zeitraum (> 1 Stunde) begeistern. Ich bin immer froh, wenn es zuende ist.

    Lisitsa ist sicher gut, aber kommt bei weitem nicht an die singuläre Aufnahme von Svjatoslav Richter heran. Diese Synthese aus Strenge, Klarheit, Schlichtheit, äußerster Konzentration und poetischer Verdichtung sucht Ihrersgleichen, finde ich. Diese Platte höre ich immer wieder mit größtem Vergnügen:


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    Diese kleinen, unscheinbaren und unvirtuosen lyrischen Stücke spiegeln Tschaikowskys Klaviermusik eigentlich am besten wieder. Bei Lazar Berman kann man lesen, dass Tschaikowsky virtuosen Pomp auf dem Klavier regelrecht hasste. Vielleicht ist das der Grund, warum virtuose Passagenwerke im 2. Klavierkonzert, die ihm der Zeitgeschmack abtrotzte, etwas hohl klingen, weil er sie mit Widerwillen komponierte. In der Urfassung des 1. Klavierkonzertes sind die Anfangsakkorde Arpeggio notiert - klingen also viel weniger monumental, als wie sie heute immer vorgetragen werden. Tschaikowsky hat Juwelen auf dem Klavier komponiert - das sind diese kleinen Stücke und das 1. Klavierkonzert. Mir ist es auch so gegangen, dass ich es in meiner Jugend zu oft gehört habe. Wiederentdeckt und realisiert, dass das ganz große poetische Musik ist, habe ich Tschaikowsky 1 durch die Aufnahme von Claudio Arrau, dann durch das Hören und Wiederhören vor allem von Lazar Berman, Artur Rubinstein und Geza Anda. Die Gattung Klaviersonate liegt ihm nicht so. Letztlich ist Tschaikowsky trotz des 1. Klavierkonzerts eigentlich kein ausgesprochener Klavierkomponist wie Scriabin oder Rachmaninow etwa. Seine überragende Bedeutung ist die als Symphoniker. Die 6. Symphonie ist auch konzeptionell ein kühnes Werk! Auch das traumhaft schöne Violinkonzert ist nicht zu vergessen - Schöneres in der Gattung gibt es nicht! Ich bin ein großer Tschaikowsky-Liebhaber!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Danke für die Hinweise. Ich werde mich etwas anstrengen ... Man weiß ja nie.


    Den Richter scheine ich mit etwas anderem Cover (Material für unsere Coverfreunde :)) zum Streamen gefunden zu haben



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    scheint dasselbe drauf zu sein. Das Klavierkonzert hatte ich damals in der unvermeidlichen Aufnahme mit Richter und Karajan. Das habe ich nun nicht mehr auf CD.


    Das Cover sah damals so aus


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  • Ich gestehe, dass ich unterschiedliche Formen von "Moden" wahrnehme, diejenigen hier im Forum, die tatsächlich um Komponisten kreisen, wie eine zeitlang etwa um Franz Ries, immer wieder werden auch unbekannte Komponisten (Weinberg dürfte außerhalb unseres Forums nicht die größte Öffentlichkeit haben) zum emsig präsenten Thema. Moden außerhalb unseres Forums drehen sich wohl eher um Künstler. Eine neue CD von Lang Lang, Yuya Wang und anderen, da ist es fast egal, was die spielen. Immerhin beruht der frühe Rum von Lang Lang auf Aufführungen von Tschaikowskis KK 1. Aus der Mode ist Tschaikowski gewiss nicht. Irgendeines der Tschaikowski-Ballette ist zwischen Dortmund und Essen immer zu finden, zur Not in Aufführungen tourender Petersburger Ballett-Truppen. Das Violinkonzert hat die fiese Hanslick-Kritik bravourös überlebt und die Oper "Eugen Onegin" taucht immer wieder auf Spielplänen auf. Betrüblich ist eher, dass das Werk Tschaikowskis in meiner Wahrnehmung vor allem auf die Ballette, das KK 1 und die letzten beiden Sinfonien nebst ein paar reizenden Orchesterstücken zusammenschnurrt.


    Die hinreissenden Streichquartette, die meiner Wahrnehmung nach auch im Plattenangebot unverdient unterrepräsentiert sind, wurden schon angesprochen. Von dem Klavier-Trio gibt's eine feine Aufnahme mit dem Trio Rubinstein-Heifez-Piatigorski. Auch das Klavierwerk enthält wahre Perlen, etwa mit den Jahreszeiten. Holgers Richter-Empfehlung kann ich da nur unterstreichen.


    Unbedingt hinweisen möchte ich auf das Geistliche Chorwerk, etwa die Chrisostomos-Liturgie:



    Das die Zählung der Sinfonien sich auf sechs beschränkt, klammert die viersätzige Auseiandersetzung mit Lord Byrons "Manfred"-Stoff aus. Dimitri Kitaenko hat mit diesem Werk die Reihe seiner Tschaikowsky-GA mit dem Kölner Gürzenich eröffnet. Tolle Aufnahme übrigens und hochdramatisch überdies: Kitaenko läßt den drohenden Paukenwirbel am Ende des ersten Satzes durch ein Tam-Tam verstärken (was ich weder bei Svetlanov, noch bei Markevitch oder Rozhdestwenski finde). Immerhin hat die Anzahl der Manfred -Aufnahmen deutlich zugenommen.



    Man könnte sich den Petersburger Meister gewiss vertrauter machen, als das derzeit der Fall ist, aber aus der Mode ist er wohl kaum


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zeitgeist hin oder her, in meiner persönlichen Sammlung ist Pjotr Iljitsch weiterhin ganz weit vorne, im symphonischen Bereich sogar neben Beethoven, Schumann, Sibelius und Schostakowitsch an der Spitze. Gerade kürzlich habe ich etwa die vierte Symphonie nach jahrelangem Meiden (wieso eigentlich?) wiederum neu für mich entdeckt. Welch ein Juwel, fürwahr. Und die zu Unrecht im Schatten stehenden Klemperer-Einspielungen (auch von Nr. 5 und vor allem Nr. 6) sind vorzüglich und mit das Beste, was es an "westlichen" Tschaikowski-Aufnahmen überhaupt gibt, neben Monteux' "Schwanensee"-Auszügen. Nein, Tschaikowski kommt nie aus der Mode.

    Lieber Joseph II.,


    .... auch bei mir rangiert er nach wie vor mit an vorderster Stelle, und auf den sogenannten "Zeitgeist" pfeife ich!


    Schön, daß Du die Klemperer-Aufnahmen von 1961 ins Feld führst. Insonderheit die Vierte ist mir in seiner Interpretation sehr ans Herz gewachsen:

    CDJapan : Tchaikovsky: Symphony No.4 Otto Klemperer (conductor),  Philharmonia Orchestra CD Album

    In dieser Import-CD aus Japan habe ich sie in meiner Sammlung (übrigens die Nr. 5 & 6 ebenso).


    Wenn es um Tschaikowskys Vierte geht, habe ich noch einen weiteren, ebenfalls recht betagten, aber glänzend klingenden Favoriten:

    Tchaikovsky: Symphony No 4

    aufgenommen 1960 in der Jesus-Christus-Kirche, Berlin. Eine Aufnahme aus Maazels Frühzeit, voller jugendlichem Elan und Spielfreude.


    Zu den "Schwanensee"-Auszügen mit Pierre Monteux (PHILIPS, heute Decca) kann ich Dir nur beipflichten. Es gibt aber eine, zumindest gleichwertige, Aufnahme von Monteux mit umfangreichen Auszügen aus "Dornröschen", die ich zu seinen allerschönsten zähle. Ursprünglich für RCA eingespielt, gibt es sie heute auf dieser CD der australischen DECCA:


    Tchaikovsky: Sleeping Beauty Stravinsky: Firebird by Paris Conservatoire Orchestra / LSO Cond Pierre Monteux (2014) Audio CD

    mit dem London Symphony Orchestra, aufgenommen 1956 in der Londoner Kingsway Hall, in guter Stereo-Technik. Gekoppelt ist sie mit der "Feuervogel"-Suite von Strawinsky, ebenfalls 1956 produziert.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Tschaikowskis Rokokovariationen

    Damit habe ich seit jeher so meine Probleme! Die Rokokovariationen sind mir ein süßliches Gräuel. Vor Kurzem hörte ich mal wieder eine ältere Aufnahme, in der Mischa Maisky zunächst Elgars Cellokonzert spielt und danach die Rokokovariationen. Ich habe die CD durchlaufen lassen, aber die Rokokovariationen nach dem Elgar-Konzert waren ein echter emotionaler Crash :no:


    Grüße

    Garaguly

  • Wenn ich soeben schrieb, daß russlands Kompositionen des 19 Jahrhundertgs wenig beliebt sind, so muß man doch sagen, das gilt - wiederum von wenigen Ausnahmen abgesehen - für die meisten Werke des mittleren bis späten 19. Jahrhunderts.

    Das halte ich für falsch. Mittleres und spätes 19. Jahrhundert, dazu gehören viele Werke des klassisch-romantischen Kanons, der die Spielpläne unserer Konzertsäle und Opernhäuser nach wie vor dominiert. Die Werke von Brahms und Bruckner sind in dieser Zeit ebenso zu verorten wie die von Bizet, Dvorak, Mussorgski, von Wagner und Verdi ganz zu schweigen. "Wenig beliebt" trifft da wohl kaum zu.

    Es wäre töricht, den Komponisten in die aktuellen Ereignisse infolge des Ukrainekrieges hineinzuziehen. Für mich war Tschaikowski zu keiner Zeit weder aus der - noch in Mode. Er steht über solchen Zuteilungen.

    Genau so sehe ich das auch. Ich verstehe, dass Ukrainer gerade keine Wertschätzung für Musik russischer Komponisten empfinden. Das ginge mir wahrscheinlich ebenso, wenn die russische Armee in Deutschland einmarschiert wäre. Hat man während des 2. Weltkriegs in britischen Konzertsälen Beethoven und Brahms, in den Opernhäusern Wagner gespielt? Ich weiß es nicht, aber es würde mich nicht wundern, wenn deutsche Komponisten in dieser Zeit dort unerwünscht gewesen wären. Aber das schmälert alles nicht deren Rang, und es führt auch nicht dazu, dass sie dauerhaft "außer Mode" kommen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Dass Tschaikowsky vom Konzertpublikum nach wie vor geliebt wird, durfte ich gestern exemplarisch bei einem Konzert im Rahmen des Rheingau-Musik-Festivals in Wiesbaden erfahren: Nach dem Verklingen des letzten Taktes von Tschaikowskys 5. Symphonie e-Moll, op. 64 tobte der Saal. Es gab Jubelrufe, Standing Ovations. Ich persönlich neige nicht zu solchen Exaltiertheiten, aber auch ich war echt beglückt. Verantwortlich waren neben dem Komponisten Tschaikowsky und dessen Musik das Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck, das diese Musik mit einer solchen energiegeladenen Wucht und gleichzeitiger Präzision in den Saal rammte ... da blieb kein Auge trocken! Das war unglaublich gut gespielt.


    Im ersten Teil geigte Anne-Sophie Mutter Beethovens Violinkonzert. Auch das war natürlich sowohl solistisch wie orchestral erste Sahne - aber der Tschaikowsky hat es für mich noch getoppt. Das ging mir derart unter die Haut - ich war sehr beeindruckt von dieser Darbietung.


    Aber hier geht es ja um Tschaikowsky.


    Also, die Publikumsreaktionen des gestrigen Abends ließen nicht darauf schließen, dass Tschaikowsky außer Mode gekommen sei. Allerdings muss man festhalten, dass das Publikum im Friedrich-von-Thiersch-Saal des Wiesbadener Kurhauses ein sehr bürgerlich-traditionelles Klassikpublikum war, sehr hoher Altersdurchschnitt. Ich denke, dass ich mit meinen 50 Lenzen ebendiesen Altersdurchschnitt kräftig gesenkt habe (gut, das ist jetzt etwas zugespitzt; es saßen auch etliche Leute im Publikum, die jünger als ich waren!) - aber der generelle Gesamteindruck ist nicht falsch. Da saß das alte Deutschland im Saal. Und es wurde klassische Musik ganz traditionell zelebriert. Alles verströmt den Geruch von Traditionalität. Der Ort, das Publikum, die Solistin des Abends (was nicht heißen soll, dass Mutters Interpretation irgendwie verstaubt gewesen sei - nein! Aber sie ist ein Star aus der alten Zeit, das Publikum ist mit ihr gealtert), das musikalische Programm. Ich konnte mir nicht helfen: ich hatte das Gefühl, etwas beizuwohnen, das vor dem Ende steht und großen Umwälzungen ausgesetzt sein wird.


    Gleichwohl erfreute mich all das: der unglaublich schöne Saal, diese traditionelle Konzertform, das ganz traditionelle Programm des Abends, die Interpreten, das Publikum, das wusste, dass der vierte Satz von Tschaikowskys Fünfter so eine tückische Stelle hat, wo die Kenntnislosen bereits in Applaus ausbrechen, weil sie denken, die Musik sei an ihr Ende gekommen - aber genau danach dreht Tschaikowsky ja nochmal richtig auf und steigert alles in eine geniale Raserei hinein. Es saß ein im Schnitt wohl erfahrenes Konzertpublikum im Saal. Und das alles gefiel mir sehr!



    Grüße

    Garaguly

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  • Von Tschaikowsky stammt das berühmteste Klavierkonzert, eines der drei bis fünf beliebtesten Violinkonzerte, vermutlich die Top 3 der 5-10 beliebtesten Ballette, die Sinfonien 4-6 sind zumindest Kandidaten für die beliebtesten ca. 10 Sinfonien und Eugen Onegin dürfte zwar höchstens eine Chance auf Platz 15-20 bei den Opern haben, aber eine sehr gute auf die beliebteste Oper, die nicht Carmen, italienisch oder deutsch ist.


    Daran hat sich m.E. wenig geändert, selbst wenn zB das b-moll-Konzert oder die Sinfonien nicht mehr ganz so dominant sind wie in den 60ern oder noch 80ern.


    Selbst Beethoven und Mozart schaffen nur mit Mühe so eine Präsenz bei den bekanntesten Werken mehrerer Genres und praktisch kein anderer Komponist dominiert irgendein Genre so wie Tschaikowsky das Ballett. Wo gäbe es noch einmal, dass etwa die Hälfte der zentralen Repertoire Werke von einem einzigen Komponisten stammt? (Klar, Ballett ist nicht so zentral für die Klassik wie Oper oder Sinfonie, aber es ist dennoch bemerkenswert.)

    Struck by the sounds before the sun,
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    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Garaguly

    Auch bei mir war Tschaikowskis 5. eines der berührendsten Konzerterlebnisse der letzten Jahre. Der Konzertsaal machte nicht den Eindruck, dass da etwas aus der Mode gekommen sei - war im Wiener Musikverein, welches Orchester weiß ich nicht mehr.

  • scheint dasselbe drauf zu sein. Das Klavierkonzert hatte ich damals in der unvermeidlichen Aufnahme mit Richter und Karajan. Das habe ich nun nicht mehr auf CD.

    In seinem Tagebuch flucht Richter über Karajan, insbesondere über diese Aufnahme - wegen des langsamen Tempos im Kopfsatz und weil er stur blieb und ihm einen gewissen Einsatz partout nicht geben wollte. Besser finde ich Richters Aufnahme mit Karel Ancerl von 1954 - die ist wohl eher in seinem Sinne:



    Wobei ich zu Karajan sagen muss, dass er das Tschaikowsky-Konzert mit verschiedenen großen Pianisten (Weissenberg, Richter, Berman, Kissin...) aufgenommen hat und es immer ein bisschen anders dirigiert, sich also sehr wohl auf den Solisten und seinen Interpretationsansatz eingestellt hat. Er war schon ein sehr guter Begleiter von Solisten!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Karajan ist sicher ein wichtiger Dirigent und nicht selten haben solche Künstler ja Marotten, die man dann lieben muss ;)


    Vielen Dank für die Mühe mit Tschaikowski. Ich bin ja grundsätzlich aufgeschlossen und werde hin und wieder Versuche unternehmen. Vieles ist eben auch Geschmackssache. Zum Beispiel bei seinen Souvenirs für Violine und Klavier finde ich das Trio im Scherzo fast schon unerträglich, ein anderer liebt vielleicht gerade diesen Teil. Interessanterweise sind die beiden Eckteile eigentlich für meine Ohren recht gut gelungen ...


    Absurd fände ich es, wenn man einen Komponisten, den man eigentlich mag, nun wegen der Putinschen Aggression nicht mehr hören möchte!

  • Von Tschaikowsky stammt das berühmteste Klavierkonzert, eines der drei bis fünf beliebtesten Violinkonzerte, vermutlich die Top 3 der 5-10 beliebtesten Ballette, die Sinfonien 4-6 sind zumindest Kandidaten für die beliebtesten ca. 10 Sinfonien und Eugen Onegin dürfte zwar höchstens eine Chance auf Platz 15-20 bei den Opern haben, aber eine sehr gute auf die beliebteste Oper, die nicht Carmen, italienisch oder deutsch ist.

    Völlig richtig. Um die Beliebtheit Tschaikowskis muss man sich wirklich keine Sorgen machen. Da gäbe es andere Komponisten, die in Betracht kämen, er definitiv nicht. Tschaikowski taucht in den heutigen Konzertprogrammen unvermindert häufig auf. Ich konnte da persönlich keinen etwaigen Abfall feststellen. Im Opernhaus findet man auch "Pique Dame" gar nicht so selten, wollte ich ergänzen. Die derzeitigen weltpolitischen Ereignisse werden daran (vielleicht zum Ärger einiger ukrainischer Ultranationalisten) nichts ändern. Und das ist gut so.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Völlig richtig. Um die Beliebtheit Tschaikowskis muss man sich wirklich keine Sorgen machen. Da gäbe es andere Komponisten, die in Betracht kämen, er definitiv nicht. Tschaikowski taucht in den heutigen Konzertprogrammen unvermindert häufig auf. Ich konnte da persönlich keinen etwaigen Abfall feststellen. Im Opernhaus findet man auch "Pique Dame" gar nicht so selten, wollte ich ergänzen. Die derzeitigen weltpolitischen Ereignisse werden daran (vielleicht zum Ärger einiger ukrainischer Ultranationalisten) nichts ändern. Und das ist gut so.

    Das sehe ich genauso. Würde Tchaikovsky heute leben, hätte er aufgrund seiner wahrscheinlichen Homosexualität in Russland (insbesondere in Tschetschenien) riesige Probleme.


    Ich bin da bei Bertarido:

    Genau so sehe ich das auch. Ich verstehe, dass Ukrainer gerade keine Wertschätzung für Musik russischer Komponisten empfinden. Das ginge mir wahrscheinlich ebenso, wenn die russische Armee in Deutschland einmarschiert wäre. Hat man während des 2. Weltkriegs in britischen Konzertsälen Beethoven und Brahms, in den Opernhäusern Wagner gespielt? Ich weiß es nicht, aber es würde mich nicht wundern, wenn deutsche Komponisten in dieser Zeit dort unerwünscht gewesen wären. Aber das schmälert alles nicht deren Rang, und es führt auch nicht dazu, dass sie dauerhaft "außer Mode" kommen.

    Ich kann auf jeden Fall nachvollziehen, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer aktuell nichts Russisches um sich haben möchten, auch nicht hier in Deutschland. Tchaikovsky kann aber nichts für seine Herkunft und ich weiß von keiner antiukrainischen Äußerung von ihm.

    Bei Gestalten wie Wagner, Pfitzner, etc. sind Proteste wegen ihrer antisemitischen Denkweise schon eher nachvollziehbarer, eine vollständige Trennung von Künstler und Kunstwerk ist nun einmal nicht möglich. Aber auch der gescholtene Wagner wird regelmäßig aufgeführt und seine Werke gefeiert, wieso sollte es bei Tchaikovsky anders sein?


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Bei Tschaikowski ist der Fall eben besonders schwierig, da er durchaus auch ukrainische Vorfahren hatte. Das ist aber offenbar auch vielen Ukrainern gar nicht bekannt. Anders als durch Unwissen kann man sich die pauschalen ukrainischen Boykottaufrufe schwer erklären.


    Ich zitiere mal die durchaus gediegene Website "Tchaikovsky Research":

    Zitat

    On his father's side, Tchaikovsky's origins may be traced to the Ukrainian village of Nikolayevka in the Poltava region. His great-grandfather was an 18th-century Ukrainian Cossack named Fyodor Chayka. Later the family name was changed from Chayka (Чайка) to Chaykovsky (Чайковский), which is usually transliterated in English as Tchaikovsky.


    Das sehe ich genauso. Würde Tchaikovsky heute leben, hätte er aufgrund seiner wahrscheinlichen Homosexualität in Russland (insbesondere in Tschetschenien) riesige Probleme.

    Das ist richtig. Allerdings sollte man schon hinzufügen, dass die gesellschaftliche Ablehnung von Homosexualität in der Ukraine und auch in Belarus quasi auf demselben unschönen Level ist wie in Russland. Zumindest in dieser Hinsicht ticken die drei ostslawischen Staaten bis heute weitgehend gleich.

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  • Vielen Dank für die Mühe mit Tschaikowski. Ich bin ja grundsätzlich aufgeschlossen und werde hin und wieder Versuche unternehmen. Vieles ist eben auch Geschmackssache.

    Genau! Da habe ich noch einen "Versuch" für Dich! ^^ "Dumka" ist ein wirklich schönes Klavierstück, ein kleines Drama mit einer Per aspera ad astra-Dramaturgie. Kennengelernt habe ich es durch die wunderbare Horowitz-Aufnahme (wie er die traurige Melodie zu Beginn aussingt auf dem Klavier!) - auch Vladimir Ashkenazy spielt das sehr, sehr schön:


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    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich habe mir nun die Dumka in c-Moll Op 59 in mehreren Versionen angehört. Um fair zu sein, auch die Lisitsa Version ist gut! Ich glaube, dass das Stück sehr gut ist. Die leichte Steigerung der ruhigen Stimmung am Anfang überzeugt, den tänzerischen Mittelteil spielt Horowitz auf Horowitz-Manier, den keiner der anderen Interpretinnen nachzumachen versucht. Er hat etwas kompositorisch leicht Banales mit virtuoser Außenwirkung, was aber infolge sofort relativiert wird.....


    Also ja, Dumka gefällt mir. Hatte ich bisher noch nicht gehört! Danke für den Tipp.


    Vielleicht zum Vergleich


    Valentina Lisitsa



    und Viktoria Postnikova


  • Um fair zu sein, auch die Lisitsa Version ist gut!

    Schön, dass Dir das Stück gefallen hat! Mir spielt Lisitsa am Anfang mit etwas viel Rubato - das wirkt sentimentalisiert. Postnikova gefällt mir da wesentlich besser, weil sie eine klarere Linie in der Phrasierung hat. Noch mehr gefällt mir Ashkenazy, indem er einen ruhig-getragenen Erzählton trifft, hoch expressiv mit "russischer Seele", aber ohne jegliche Sentimentalisierung. Klar, Horowitz theatralisiert immer ein bisschen. Was aber zu diesem Stück passt, denn es ist letztlich Musiktheater auf dem Klavier.


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Wenn es hier nur um Tschaikowski's Sinfonien geht... ich muss sagen, sie sind bisher nicht besonders in meine Aufmerksamkeit gerückt. Da ist bei mir eher Mozart und Beethoven verteten.

    Mit den letzten drei möchte ich mich demnächst noch einmal näher befassen.


    Aber ansonsten: Tschaikowski "ausser Mode"?

    Ich weiss nicht, ob man das jemals wird behaupten können. Das b-Moll Klavierkonzert - ein absolutes Meisterwerk. Die bis heute konkurrenzlose Aufnahme - sag ich mal ganz provokativ - von van Cliburn wurde über 1 Million mal verkauft, und dieses Klavierkonzert ist das bis heute am meisten aufgenommene.


    Kennt jemand die Anekdote, dass dieses Konzert von seinem Mentor Nikolai Rubinstein in der Luft zerrissen, und als "unrettbar" bezeichnet wurde...? ;-)

    So kann man sich manchmal irren...!


    Unvergessen ebenso seine berühmten Ballette (Schwanensee/Nussknacker), oder das Violinkonzert.


    Zum dem Violinkonzert hätte ich vielleicht noch was Ausgefallenes... was vermutlich noch keiner hier kennt... mal überlegen.

  • Im ganzen Thread fand diese Aufnahme der drei letzten Sinfonien keine Erwähnung. Die Deutsche Grammophon hat sie immer noch im Katalog. Sie stammt aus dem Jahr 1961.


    Yevgeni Mravinsky dirigiert das Leningrad Philharmoniker Orchestra



    Ein Rezensent bringt es auf den Punkt. "Mravinsky räumt mit der weithin verbreiteten tränenseligen Tschaikowsky-Auffassung gründlich auf, er erstellt Interpretationen, die eine ganz neue, nüchterne, aber keineswegs unbeteiligte, neutrale Sicht auf die Werke freigeben."


    Man kennt Aussagen Tschaikowskys, dass er jede Gefühlsseligkeit in den Interpretationen seiner Werke ablehnte. Dieser Forderung des Komponisten kommt diese Aufnahme am nächsten.


    Ich habe längere Zeit seine Musik nicht mehr gehört. Ich bin immer noch von dem ergriffen, was aus den Lautsprechern klingt.


    * * * * *


    In der Zeit, in der alles Russische auf dem Prüfstand steht, kommt einer Aufführung der Tschaikowski-Sinfonien eine besondere Bedeutung zu.


    Der im Titel gewählte Ausdruck, ob Tschaikowski aus der Mode kommt, erhält eine ungeahnte Richtung. Es kann sein: Werke russischer Komponisten werden wegen den tragischen Ereignissen in der Ukraine von Konzertveranstaltern gemieden. Ich hoffe, man gibt diesem öffentlichen Druck nicht nach, wenn er zunehmen sollte.


    Kyrill Petrenko hatte beim letzten Waldbühne Konzert im Sommer 2022 ein Programm mit russischer Musik aufgeführt. Er hatte diese Programmwahl bewusst getroffen. Musikalische Sippenhaft und Ausgrenzung gehören nicht in den Konzertsaal.


    Garaguly hat in Beitrag 130 über seine Eindrücke eines Konzertes der 5. Sinfonie e-Moll geschrieben. Die Musik hatte das Publikum begeistert. Ich bin der Meinung, das wird auch in Zukunft so sein, vorausgesetzt die political correctness verhindert keine Aufführungen.


    Die Worte des Machthabers aus dem Kreml, die heute nichts weniger als eine neue Weltordnung verkünden, sind bedrückend. Ein unbefangener Umgang mit russischer Kultur wird zunehmend schwierig. Dem ist entgegenzuwirken.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Die ursprüngliche Frage wurde, wenn ich das richtig sehe, 2005 und damit vor 18 Jahren gestellt. Es ist recht interessant, dass ich die Frage damals mit einem entschiedenen Nein, heute eher mit einem unsicheren Jein beantwortet hätte. Bei den zahlreichen Konzerten die ich während meiner Studienzeit besuchte, in Konzerthäusern in Halle, Leipzig, Weimar, Berlin und Straßburg, war Tschaikovsky häufig auf dem Spielplan. Es gab alle Sinfonien (bis auf Nr. 3), das Violinkonzert, beide Klavierkonzerte und einige Ouvertüren/Sinfonische Dichtungen zu hören. Die 5. Sinfonie war z.B. gradezu ein Modestück, dass immer wieder im Programm vertreten war. Dazu kammen Eugen Onegin und Pique Dame in der Oper, na und von den Balletten muss man ja gar nicht erst sprechen - die waren omnipräsent. Und das sind sie heute natürlich immer noch. Auch die beiden bekanntesten Opern sehe ich häufig auf Spielplänen, auch hier in HH. Jedoch begegnen mir Sinfonien und Solokonzerte derzeit deutlich seltener (schon vor dem Ukrainekrieg und ich hoffe, dass dieser keinen ernsthafen Einfluss auf die diesbezügliche Programmplanung nimmt). Insofern scheint mir nach empirischen Maßstäben Tschaikovsky in meinem Umfeld tatsächlich ein wenig aus der Mode gekommen zu sein. Allerdings nicht in tragischem Ausmaß, denn man trifft ihn immer noch häufig an. Bei mir persönlich übrigens überhaupt nicht, er dürfte (knapp) in meine Top 10 gehören.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • In der Zeit, in der alles Russische auf dem Prüfstand steht, kommt einer Aufführung der Tschaikowski-Sinfonien eine besondere Bedeutung zu

    Ich wäre überhaupt nie auf die Idee gekommen, meine Hörgewohnheiten vor dem aktuellen politischen Hintergund zu beleuchten...


    Als ob Tschaikowski das geringste mit den jüngsten politischen Ereignissen zu tun hätte.


    Für den momentan zu beobachtenden illegalen Angriffskrieg zeichnen schliesslich andere Namen verantwortlich.

  • Wenn es hier nur um Tschaikowski's Sinfonien geht... ich muss sagen, sie sind bisher nicht besonders in meine Aufmerksamkeit gerückt. Da ist bei mir eher Mozart und Beethoven verteten.

    Mit den letzten drei möchte ich mich demnächst noch einmal näher befassen.


    Aber ansonsten: Tschaikowski "ausser Mode"?

    Ich weiss nicht, ob man das jemals wird behaupten können. Das b-Moll Klavierkonzert - ein absolutes Meisterwerk. Die bis heute konkurrenzlose Aufnahme - sag ich mal ganz provokativ - von van Cliburn wurde über 1 Million mal verkauft, und dieses Klavierkonzert ist das bis heute am meisten aufgenommene.

    Tschaikowsky ist ein Fall von "winner takes it all" INNERHALB des Oeuvres eines Komponisten. So etwas wie die Dominanz des 1. Klavierkonzerts ggü dem zweiten (und den beiden kürzeren/fragmentarischen Werken) gibt es sonst fast nur noch bei Bruchs Violinkonzerten (ja es sind drei, nicht eins und noch weitere konzertante Stücke).

    Das mag man bedauern, aber es besagt halt nicht nur, dass bspw. die dritte Sinfonie oder das 2. Klavierkonzert stark im Schatten stehen, sondern auch, dass das b-moll-Konzert oder die 5. u. 6. Sinfonie zu den bekanntesten Klassikwerken überhaupt gehören.

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